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DER FREIE ZAHNARZT - Juli/AuGuST 2019

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DVG: FVDZ stellt seine Forderungen aufDigitalisierung. Kaum ist das TSVG in klammen Tüchern (denn Gesetzesverabschiedung und -anwen-dung sind bekanntlich zweierlei), zaubert der Gesundheits-Houdini Jens Spahn das nächste Kaninchen aus dem Hut: das DVG (Digitale Versorgung-Gesetz).

AUTOR: BERTRAM STEINER

IM KERN

geht es bei dem DVG darum, digitale technische Möglichkei-ten in der Gesetzlichen Krankenversicherung nutzbar zu machen. Das klingt gut. Telekonsile zwischen Ärzten, Video-sprechstunden, elektronischer Impfausweis, elektronisches Rezept und Medikationsplan und gar eine elektronische Pati-entenakte (ePA) sind vorgesehen. Doch das sind elektronische Anwendungen, die, bei Lichte besehen, enorme technische Schwierigkeiten mit sich bringen und Fragen nach der Zuver-lässigkeit der digitalen Information aufwerfen. (Hierauf wird an anderer Stelle in dieser Ausgabe Bezug genommen.)Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens seine Stellungnahme zum Referen-tenentwurf des DVG abgegeben. Kernpunkte seiner Kritik sind für den FVDZ nicht die oben genannten kleinen Wun-derdinge, sondern diejenigen Elemente, die die Rolle der Krankenkassen grundlegend verändern sollen.

ABGRENZUNG PATIENTENNUTZEN VON KASSENNUTZENDie Krankenkassen sollen die von ihnen zum Zweck der kor-rekten Abrechnung und Bezahlung der ärztlichen und zahn-ärztlichen Leistungen zwangsweise übermittelten Daten künf-tig auch für andere Zwecke nutzen dürfen. Hier steht nicht die wissenschaftliche Auswertung der Daten zur Verbesserung ärztlicher Therapien im Vordergrund, wie gerne behauptet wird. Hierfür sind die Daten wenig geeignet.

Es geht um die Patientensteuerung durch die Krankenkassen. Nicht mehr der Arzt soll den Patienten zu dem aus medizini-scher Sicht sinnvollen Facharzt überweisen. Die Krankenkas-sen sollen stattdessen aufgrund von Algorithmen ermitteln, welche Therapie bei welchem Leistungserbringer vorgenom-men wird und den Patienten entsprechende, von der Kasse präferierte Therapieeinrichtungen vorschlagen. Hier steht der Kassennutzen im Vordergrund. Wenn der Patient Glück hat, schlägt ihm der Algorithmus auch noch das Richtige vor.

KEINE DATENVERWERTUNG DURCH KASSEN AUßER ZUR ABRECHNUNGDas sind medizinische Entscheidungen. Deshalb fordert der FVDZ den Gesetzgeber auf, bei der bewährten Trennung zwi-schen Therapiefreiheit auf Seiten der Ärzte und Patienten einerseits sowie der Verwaltung der Versichertengelder durch die Krankenkassen andererseits zu bleiben. Erst recht wendet sich der FVDZ gegen die vorgesehene Möglichkeit für die Krankenkassen, zusammen mit gewerblichen Anbietern digi-taler Anwendungen unter Bereitstellung der ihnen vorliegen-den Daten und finanziellen Mitteln „Gesundheits-Apps“ ent-wickeln zu lassen. Hierfür dürfen die Zwangsbeiträge der Ver-sicherten als Venture-Capital nicht missbraucht werden.

PATIENTENNUTZEN NICHT OHNE DATENSICHERHEITDie vorgesehene Einführung einer elektronischen Patienten-akte (ePA) auf dem Smartphone des Patienten ist mit einem funktionierenden Datenschutz nicht praktikabel. Abgesehen

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von dem großen bürokratischen Aufwand und den unwägba-ren juristischen Konsequenzen für die Ärzteschaft lässt sich auf absehbare Zeit nicht sicherstellen, dass die Krankheitsda-ten des Patienten nicht in falsche Hände geraten. Der FVDZ fordert deshalb, falls daran festgehalten werden sollte, neben der Arzt-ePA zusätzlich eine Zahnarzt-ePA zu installieren, auf die dann nur der Zahnarzt Zugriff hat. Auf die Arzt-ePA wiederum hätte der Zahnarzt keinen Zugriff. Ein eventueller elektronischer Medikationsplan könnte für Ärzte und Zahnärzte zugänglich sein.

WIRTSCHAFTLICHE ANREIZE STATT FINANZIELLER SANKTIONENIm DVG ist weiterhin vorgesehen, Ärzte und Zahnärzte, die aus guten Gründen die Installation der IT-Infrastruktur (Konnektor) in ihrer Praxis nicht vornehmen lassen, durch eine Verschärfung der finanziellen Strafmaßnahmen (2,5 Pro-zent GKV-Honorarabzug anstatt ein Prozent) zur Installation

zu zwingen. Für den FVDZ ist dies ein völlig ungeeignetes Mittel. Der FVDZ sieht die Gefahr, dass die ältere Kollegen-schaft die Zwangsmaßnahme zum Anlass nimmt, früher als geplant in den Ruhestand zu gehen, und dies in schwächer versorgten Regionen die wohnortnahe Versorgung weiter gefährdet. Stattdessen fordert der FVDZ die Politiker auf, Anreize zu schaffen, die den Nutzen für Praxen und Patienten in den Vordergrund stellen.

KOMMENTAR: DIGITALE ZEITEN = GOLDENE ZEITEN? … UND WENN JA, FÜR WEN?

BIG DATA soll es richten-- Geradezu Goldgräberstimmung herrscht bei allen, die sich die Digitalisierung der Medizin auf die Fahnen geschrieben haben. „Es gibt keine Gesun-den – es gibt nur Patienten, die noch nicht richtig unter-sucht worden sind“, ist ein alter Kalauer in Medizinerkrei-sen. Der Genetiker Michael Snyder von der Stanford Uni-versity in Kalifornien ist Presseberichten zufolge dem Ziel der Verifizierung dieser Aussage einen großen Schritt nähergekommen. Er hat über acht Jahre zunächst sich selbst und dann 108 Probanden lückenlos überwacht und untersucht. Nach einer Eingangsuntersuchung wurden alle drei Wochen Blut-, Urin- und Speichelproben abge-nommen, um genetische, bakteriologische, serologische Abweichungen von der Norm festzustellen. Einige Teil-nehmer trugen auch ständig elektronische Überwa-chungsgeräte.Ziel war es, im Sinne einer individualisierten Medizin alle technischen Möglichkeiten auszunutzen, um Krankhei-ten, Vorstufen von Krankheiten oder auch Risiken wie die genetische Disposition frühzeitig zu erkennen. Dadurch, so die Überlegung, könnten kostspielige Behandlungen vermieden werden, weil die Betroffenen sich in ihrem Lebenswandel auf ihre speziellen Risiken einstellen kön-nen und weil Frühbehandlung billiger ist als Spätbehand-lung. Das Ergebnis: In 67 Fällen wurden Veränderungen festgestellt, die auf „behandelbare“ Krankheiten hin-deuten.

SOLLTEN WIR WIRKLICH ALLES WISSEN? Und da fängt das Problem bereits an: Ist alles, was „behandelbar“ ist auch „behandlungsbedürftig“? Früher-

kennung und Frühbehandlung sparen nur dann Kosten, wenn der Eintritt der Erkrankung tatsächlich verhindert wird, sonst werden die Kosten nur gestreckt. Und die Überwindung einer Krankheit erhöht die Chance, eine andere, womöglich teurere Erkrankung zu erleiden (klingt zynisch, stimmt aber statistisch betrachtet). Snyder ist vom Nutzen seiner Idee überzeugt und hat ein Unternehmen gegründet, das die von ihm sogenannte „hyperpersonali-sierte Medizin“ als Gesundheitsportrait für 3.500 Dollar dem breiten Publikum anbietet. Aber was fängt der Endkunde mit dem teuren Wissen an? Neben ökonomischen – wer kann sich diese Untersuchun-gen leisten (je öfter, desto sicherer)? – stellen sich auch ethische Fragen: Sollten wir wirklich alles wissen, was wir wissen können? Dass Menschen nicht in der Lage sind, Risiken richtig einzuschätzen und ihr Verhalten rational danach auszurichten, ist eine Binsenwahrheit. Kritiker warnen vor Überdiagnostik und Verunsicherung der Pati-enten. Was bewirkt das Wissen, ein erhöhtes Risiko für eine bestimmte Erkrankung zu haben, für die es keine Behandlung gibt (beispielsweise Alzheimer) bei einem Betroffenen?Überspitzt ausgedrückt: „Das Leben ist so gefährlich, dass es immer tödlich endet“ – würde ich deswegen darauf ver-zichten wollen, es anzufangen? Snyders Ehefrau und seine beiden Kinder haben sich übrigens bislang nicht „hyper-personalisert“ untersuchen lassen.KOMMENTAR VON DR. JOACHIM HÜTTMANN

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Kranker Datenschutz?Meinung zum Thema. Muss man nach Einführung der Daten-schutz-Grundverordnung (DSGVO) noch über Datenschutz reden? Zwar stehen medizinische und genetische Daten unter besonderem Schutz, doch die verschiedenen Rechtsfiktionen zu ihrem Schutz werden der Realität und dem Schutzbedarf nicht gerecht.

AUTOR: THOMAS MAUS

DIE FIKTION „BETROFFENE PERSON“Die „Betroffene Person“ ist entscheidend in Artikel 9, Absatz 2, um die zulässi-gen Ausnahmen vom generellen Verar-beitungsverbot besonderer Kategorien von Daten zu regeln – bei der aus-drücklichen Einwilligung sowie bei verschiedenen Güterabwägungen.Genetische Daten betreffen aber auch alle Blutsverwandten mindestens ersten und zweiten Grades. Logischerweise müssten sie ebenfalls ihre Einwilligung erteilen und ihre Rechte in die Güter-abwägungen einfließen – schwierig, denn sie sind vielleicht noch nicht gezeugt.Beim Schutzbedarf ergibt sich jeden-falls ein enormer Zeithorizont – 100 bis 200 Jahre sind sicherlich nötig, um drei Generationen zu schützen. Beim heuti-gen Stand der Wissenschaft sind medi-zinische Daten immer auch genetische

Daten. Sie treffen Aussagen zum Phäno typ, also der konkret zu erwar-tenden Ausprägung eines Genoms unter bestimmten Lebensumständen. Sie sind damit schutzbedürftiger als etwa eine DNA-Sequenzierung, die nur den Genotyp erfasst – also alle mögli-chen Ausprägungen.Von 1976 bis 2006 wuchs die Zahl erforschter genetischer Krankheits-dispositionen um einen Faktor 10 auf 17.000. Dies war zu Beginn der DSGVO-Konzeption definitiv bekannt und der durch die leichtere Verfügbar-keit von Genom-Analysen mögliche rasante weitere Erkenntnisgewinn in diesem Bereich mindestens absehbar.Die juristische Fiktion des einzelnen Betroffenen ist bei medizinisch/geneti-schen Daten schlicht nicht sachgerecht – es muss der gesamte Betroffenen kreis berücksichtigt werden.

DIE FIKTION „INFORMIERTE EINWILLIGUNG“Niemand kann absehen, was ein derzeit harmloser Befund, wie etwa eine Medi-kamentenunverträglichkeit, zukünftig an Schlussfolgerungen erlaubt. Eine Stu-die von 2007 belegte etwa, dass eine Überreaktion auf Pilocarpin-Augen-tropfen ein klarer Indikator für bestimmte Demenzerkrankungen ist. In der Veterinärmedizin wird dieser Test auch heute noch zur Diagnose genutzt.Aus einem vermeintlich nebensächli-chen Fakt wird durch wissenschaftli-chen Fortschritt plötzlich und unvor-hersehbar eine hochsensible Aussage. Rückblickend wären Einwilligungen zur Datenverarbeitung bei verschiedenen Stellen vielleicht verweigert worden. Ebenso kann sich eine Diagnose erst Jahre später als erblich disponiert erwei-sen und einen ganzen Betroffenenkreis erfassen.Der Bürger mag also so mündig, infor-miert und sachkundig sein, wie er will – die Auswirkungen sind bei medizini-schen/genetischen Daten weder über-schaubar noch vorhersehbar. Die juristi-sche Fiktion der umfassend infor- mierten Einwilligung ist hier also eben-falls nicht sachgerecht.

DIE FIKTION „SICHERHEIT DER VERARBEITUNG“Die Sicherheit der Verarbeitung soll durch technische und organisatorische Maßnahmen auf einem dem Risiko angemessenen Schutzniveau gewährleis-tet werden. (Artikel 32)Leider steht dem der weitestgehende Konsens höchster IT-Sicherheits- und Kryptologie-Fachkreise entgegen: Bei

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entsprechendem Angriffsdruck kann niemand Daten verlässlich auch nur für 50 Jahre schützen – eine enorme Kluft zu den oben festgestellten 100 bis 200 Jahren.Den gängigen kryptographischen Methoden droht ein spontanes Total-versagen bei Durchbrüchen in der Mathematik oder im Quanten-Compu-ting. Selbst ohne solche Sprunginnova-tionen nagt das kontinuierliche rasante Wachstum der verfügbaren Rechenleis-tung im Netz an der Widerstandskraft kryptographischer Mechanismen.Praktisch plagen andere Probleme: Nie-mandem, der der Berichterstattung in den vergangenen 20 Jahren einigerma-ßen gefolgt ist, kann entgangen sein, in welchem Umfang höchst schutzbedürf-tige Datensammlungen regelmäßig, in steigender Frequenz und Umfang, in Umlauf geraten. Leckagen medizini-scher/genetischer Daten von zig Millio-nen – auch ganzer Staatsvölker bei ent-sprechend zentraler Datenhaltung – scheinen eher die Regel als die Aus-nahme zu sein.Vielleicht wendet mancher ein: Man muss es nur richtig machen, und genau das erzwingt die DSGVO. Nun: Die NSA spielt sicherlich in der Oberliga hinsichtlich IT-Kompetenz, Finanzmit-teln, Überwachungs- und Repressions-arsenal. Wenn sie hochgeheime Daten nicht unter Kontrolle halten kann – siehe Manning und Snowden oder auch LOVEINT –, dann ist „richtig machen“ wohl richtig schwierig.Beispiel Gesundheitstelematik – seit 20 Jahren versucht man sich hier im „Rich-tig machen“: Aufwändigste Zertifizie-rungsprozesse, lückenlose Transport-kontrolle, detaillierte Integritätsprü-fung und Versiegelung für die Konnek-toren – alles für die Katz. Denn um die Masse der Konnektoren im politisch forcierten Zeitrahmen installieren zu können, wurde seitens der gematik auf eine Zertifizierung der Dienstleister für die Konnektorinstallation verzichtet. Selbst minimale IT-Kenntnisse sind optional.Die Konsequenz laut aktuellen Berich-ten: Augenscheinlich stellen fundamen-tale Fehler bei der Installation in vielen

Praxen die vorhandenen Sicherheits-maßnahmen in Frage. Das angemessene Sicherheitsniveau der Praxis-IT ist aber eine zentrale Sicherheitsannahme der gesamten Zertifizierungen. Eigentlich müssten nun sämtliche Installationen überprüft und gegebenenfalls wieder-holt werden – das ohnehin pannenge-plagte Projekt würde wegen dieser über-eilten Aktion um Jahre zurückgeworfen, die Kosten weiter explodieren.Im Furor der Digitalisierung leider wahrscheinlicher: Man opfert die Datensicherheit im Gesundheitswesen und damit die Privatsphäre aller Bürger und ihrer Kinder und Kindeskinder auf dem Altar des Molochs Digitalisie-rungswahn – und den Vertrauensvor-schuss der Bevölkerung als wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung gleich mit.Nächste Runde politischer Digitalisie-rungswut: Gesundheitsakten auf Smart-phones und der Verzicht auf abgestufte Zugriffsrechte – entgegen seit Jahrzehn-ten etablierten IT-Sicherheitsregeln wie dem „Need-to-know“-Prinzip.Setzt die Politik unrealistisch knappe Fristen und tut den Stand der Technik als Fortschrittshindernis ab, bahnt sie Datenpannen (und Akzeptanzproble-men) den Weg und hebelt die Rechtsfik-tion der „Sicheren Verarbeitung“ mut-willig endgültig aus.

DIE FIKTION „RECHTMÄSSIGE VERARBEITUNG“Erpressung, Ausschluss von privaten Kranken-, Lebens- und Berufsunfähig-keitsversicherungen oder Arbeitsstellen – sind das nicht unrealistische Horrors-zenarien? Sollte die DSGVO dies nicht verhindern – immerhin liegt ja keine Einwilligung für eine rechtmäßige Ver-arbeitung der Erkenntnisse aus Daten-lecks vor?Kriminelle schert das per Definition nicht: Nach größeren medizinischen Datenlecks gab es regelmäßig Erpres-sungsversuche gegen den Datenverant-wortlichen oder Patienten mit „interes-santen“ Diagnosen.Außerhalb der EU – Reisen, Studium, Arbeit – schützt die DSGVO nicht. Auch im Geltungsbereich der DSGVO

sehe ich wenig Schutz bei folgendem Szenario: Versicherungen und Arbeitge-ber konsultieren Cambridge Apophenia. Die (fiktive) Firma hat ihren Sitz in einem geschickt gewählten Rechtssys-tem und bietet als Dienstleistung Weis-sagungen zu Vertragsabschlüssen anhand einiger, sogar pseudonymisier-barer, Eckdaten des Vertragspartners sowie des Vertragszwecks an. Es wäre doch eine infame Unterstellung, dieses Unternehmen betreibe nicht altehrwür-dige Künste der Kaffeesatzleserei, son-dern schnöde Datensatzleserei in den gesammelten Datenleckagen der letzten Jahrzehnte.

FAZITFür einige besondere Datenkategorien scheinen die Rechtsfiktionen der DSGVO unzureichend – sie brauchen besondere Schutzmechanismen. Vor-schläge dazu lesen Sie in der nächsten DFZ-Ausgabe.

Um die Masse der Konnektoren im politisch forcierten Zeitrahmen

installieren zu können, wurde seitens der gematik auf eine Zertifizierung

der Dienstleister für die Konnektorins-tallation verzichtet.

Thomas MausThomas Maus arbeitet seit 40 Jahren mit Computertechnik, ist Diplom-Informatiker und berät seit 1993 freiberuflich Unter nehmen und Behörden, vornehmlich zu IT-Sicherheitsfragen. Er ist weder Maschinen stürmer noch Gegner eines sinnvollen IT-Einsatzes im Gesund heits wesen, hat aber neben seiner Technik begeisterung als not-wendiges Korrektiv das Bewusstsein für die Risiko- und Folge abschätzung von Technik einsatz gepflegt – unterstützt durch den reichen Erfahrungs schatz auch an IT-induzierten „Pleiten, Pech und Pannen“, den eine so lange Praxis mit sich bringt.

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TI-Anschluss – alles sicher?Installation der Konnektoren. „Die einen sagen so, die anderen sagen so“, könnte man kalauern. In der Tat kann der Endkunde „Praxisbetreiber“ kaum beurteilen, ob alles nach Vorschrift abgelaufen ist. Trotz der Versicherung der gematik, bei korrekter Installation würden Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten nicht für Schäden infolge von Sicherheitslücken der TI haftbar gemacht werden. Berichte darüber, dass sicherheitsrelevante Einstellungen bei der Installation verändert, Firewalls sogar komplett abgeschaltet worden waren, hatten für zusätzliche Verunsicherung gesorgt. Was also kann der Praxisinhaber tun?

AUTOR: DR. JOACHIM HÜTTMANN

In ihrem aktuellen Informationsblatt zu Datenschutz und Haftung betont die gematik, dass eine Haftung des Arztes (Zahnarztes) oder Psychotherapeuten ausscheide, sofern die zugelassenen Konnektoren „vorschriftsgemäß verwendet, auf-gestellt und betrieben“ würden. Dies sei sowohl nach der Datenschutz-Grundverordnung als auch nach jeder anderen vergleichbaren zivilrechtlichen Norm der Fall, „da nach allen haftungsrechtlichen Tatbeständen den Datenverarbeiter ein Verschulden für den eingetretenen Schaden treffen muss“. Das gelte auch für jegliche strafrechtliche Haftung des Arztes bei der Nutzung eines Konnektors. Nach den Vorgaben der gematik sind Reihenbetrieb und Paral-lelbetrieb des Konnektors möglich. Im Reihenbetrieb sichert die Firewall des Konnektors alle daran angeschlossenen Geräte wie Kartenterminals und Praxis-Computer ab. Im Parallelbe-trieb ist der Konnektor lediglich ein gleichwertiger Teil des Praxisnetzwerks. Die Firewall des Konnektors schützt folglich nicht das Praxisnetzwerk als Ganzes. Die Praxis muss daher spezielle Sicherheitsmaßnahmen wie Firewall und Virenschutz ergreifen, um sich vor Angriffen von außen zu schützen, sofern das Praxisnetzwerk Zugang zum Internet hat. Es darf voraus-gesetzt werden, dass solche Sicherheitsmaßnahmen bereits von allen Praxen eingehalten werden. Genauso darf vorausgesetzt werden, dass der installierende Dienstleister vor Ort (DVO) an diesen bestehenden Sicherheitsvorkehrungen von sich aus kei-nerlei Veränderungen vornimmt. Deshalb ist es ist in jedem Fall wichtig, dass sich der Zahnarzt als Betreiber des Konnek-tors die ordnungsgemäße Installation schriftlich bestätigen lässt. Dazu hat die gematik ein aktualisiertes Muster-Installati-onsprotokoll auf ihrer Homepage bereitgestellt:https://www.gematik.de/fileadmin/user_upload/fachportal/files/Service/Anschluss_medizinischer_Einrichtungen_an_die_Tele-matikinfrastruktur__DVO_/Muster-Installations-protokoll_Sichere_TI-Installation_V.1.0.0.pdf. (Schneller geht es allerdings über eine Suchmaschine mit „G“ und Eingabe von „Muster-Installationsprotokoll“ – die entsprechende Ein-

gabe auf der Homepage der gematik führt nicht zum Ziel.)Dieses Protokoll mit knapp 20 Fragen sollte (zusätzlich!) zum Protokoll des DVO gemeinsam mit diesem durchgegangen, ausgefüllt und unterzeichnet werden. Ob dann alles auf Dauer gesichert ist, sei dahingestellt. Im Fall des Falles besitzt der Zahnarzt dann eine Absicherung, in seinem Verantwortungs-bereich alles richtig gemacht zu haben.

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KANADA – 74,7 PUNKTE

36,5 Millionen Einwohner9.984.670 km2 Landesfläche3,6 Einwohner pro km2

45,08 Dollar BIP pro Kopf

ESTLAND – 81,9 PUNKTE

1,3 Millionen Einwohner45,339 km2 Landesfläche29 Einwohner pro km2

19,81 US-Dollar BIP pro Kopf

Kein Vergleich – aber viele AnregungenStudie. In anderen Ländern haben Ärzte und Patienten weit weniger Skrupel im Umgang mit elektronischer Patientenakte, KI-Diagnosen und Datenaustausch. Eine umfangreiche Untersuchung der Bertels-mann-Stiftung zeigt zwei Dinge: wie stark Deutschland bei Digital Health hinterherhinkt, und dass sich die Systeme der anderen nicht eins zu eins übertragen lassen.

AUTORIN: MARION MEYER-RADTKE

Insgesamt 400 Seiten umfasst die Studie „Smart Health Systems – Digitalisie-rungsstrategien im internationalen Ver-gleich“, die die Bertelsmann-Stiftung Ende 2018 veröffentlichte. Darin erstel-len die Wissenschaftler einen Index für den jeweiligen Stand der Digitalisierung in 17 Ländern und ein Benchmarking für drei Sub-Indizes. Ausgewertet wur-den 34 Indikatoren, die zeigen, wie das Thema politisch vorangetrieben wird, wie weit die technischen Voraussetzun-gen gediehen sind und wie die Daten tatsächlich schon genutzt werden.Wenig überraschend steht Deutschland nach dieser Auswertung auf Platz 16 mit einem Index-Wert von 30,0 von 100 Punkten. Nur Polen kommt auf noch weniger. Die ersten fünf Plätze belegen Estland (81,9), Kanada (74,7), Dänemark (72,5), Israel (72,4) und Spanien (71,4). Dabei lassen sich die Strategien der anderen nicht einfach auf Deutschland übertragen, wie die Forscher betonen. Denn jedes Land hat seine eigenen geo-grafischen und demografischen Gege-benheiten, politischen Strukturen und sein ganz individuell organisiertes Gesundheitssystem – wodurch es zu unterschiedlichen digitalen Schwer-punkten kommt.

Ein großer Unterschied zu Deutschland: In Estland wurde nicht diskutiert, son-dern einfach gemacht. Das muss man nicht unbedingt gut finden, zeitigte aber Ergebnisse. Die gesamte öffentliche Ver-waltung in Estland funktioniert digital, auch das Gesundheitswesen. Im Jahr 2005 erhielt der kleine baltische Staat aus dem EU-Strukturfonds Geld für vier E-Health-Projekte, die er allesamt innerhalb weniger Jahre umsetzte: Es gibt ein Gesundheitsinformationsportal und ein Gesundheitsaustauschnetzwerk (ENHIS) seit 2009, das e-Rezept seit 2010 und Videosprechstunden seit 2012. Das Austauschnetzwerk ENHIS regist-riere „praktisch die gesamte Kranken-geschichte der Bevölkerung von der Geburt bis zum Tod“, heißt es in der Studie „Smart Health Systems“. Aber:

„Patienten sind die Eigentümer ihrer Gesundheitsdaten.“ Sie haben vollen Zugriff auf ihre Daten und können sie sperren lassen. Über das Informations-portal digilugu.ee hat jeder Bürger Zugang zum e-Rezeptdienst, kann Termine bei niedergelassenen Ärzten buchen, seine Daten einsehen und sich allgemein über Gesundheitsthemen informieren. „Sämtliche ePAs in Estland sind in der Lage, mit ENHIS zu kommunizieren, Daten auszutauschen und diese auch für andere Datenbanken im Forschungs-bereich direkt zur Verfügung zu stel-len“, heißt es in der Studie weiter. Lokale elektronische Patientenakten werden demnach mit ENHIS synchronisiert, vor allem für Daten in den Bereichen medizinische Notfälle, ambulante Ver-sorgung, Informationen zu Medika-menten und Rezepten sowie Krebsre-gister daten. Und es geht weiter: Bis 2020 sollen personalisierte Gesundheitsdaten für Risikogruppenanalysen bereitste-hen, um Behandlungspfade zu verkür-zen und Diagnosen zu erleichtern.

Kanada ist ein Land der langen Wege. Bei einer Bevölkerungsdichte von 3,6 Einwohnern auf einen Quadratkilome-ter (Deutschland: 323) ist Telemedizin keine digitale Spielerei, sondern ein ernsthafter Gesundheitsfaktor. Vor allem in den entlegenen Regionen des Landes lassen sich Patienten häufig aus der Ferne betreuen. In den Kranken-häusern sind die radiologischen Abtei-lungen fast vollständig digitalisiert, so dass Befunde über abgesicherte Wege digital verschickt werden können.Dennoch kommt Telemedizin nicht

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ZUM VERGLEICH: DEUTSCHLAND

83 Millionen Einwohner357.578 km2

323 Einwohner/km2

44,55 Dollar BIP pro Kopf

DÄNEMARK – 72,5 PUNKTE

5,75 Millionen Einwohner (Kernland)42.921 km2 Landesfläche (Kernland)130 Einwohner pro km2

56,44 Dollar BIP pro Kopf

flächen deckend zum Einsatz. Das kana-dische Gesundheitssystem ist regional organisiert: Es gibt zwar eine landes-weite Gesundheitspolitik, die praktische Umsetzung bestimmen aber die Provin-zen. Deshalb sind einige Regionen stär-ker digitalisiert als andere und werden z. B. elektronische Patientenakten regio-nal aufgesetzt. Das heißt, innerhalb der Regionen gibt es ePAs, über die der sta-tionäre und der ambulante Sektor mit-einander kommunizieren. Allerdings waren im Jahr 2017 erst 42 Prozent der niedergelassenen Ärzte insgesamt an ein regionales ePA-System angeschlos-sen, aber mehr als 75 Prozent der Kranken häuser und Apotheken.Überregional versucht man, die Ergeb-nisse aus den regionalen ePAs codiert in Datenbanken zusammenzufassen, um so die öffentliche Gesundheitsversor-gung verbessern zu können. National verfügbar sind z. B. Datensätze über Krebsregister, Langzeitpflege, aus der ambulanten Versorgung und der statio-nären Psychiatrie.

Papierakten spielen im dänischen Gesundheitswesen im Grunde keine Rolle mehr. Alle Hausärzte und Kran-kenhäuser arbeiten mit elektronischen Patientenakten. Krankenhäuser schi-cken ihre Testresultate ausschließlich elektronisch an die Hausärzte, 99 Pro-zent aller Verschreibungen gehen elekt-ronisch bei den Apotheken ein, und auch 97 Prozent aller Überweisungen nehmen den digitalen Weg. Die Hoheit über die Daten liegt bei den Patienten. Sie entscheiden, wer darauf

zugreifen darf – und sie haben auch selbst jederzeit Einsicht in ihre Befunde: Über die zentrale Datenbank e-Journal haben Patienten und Ärzte Zugang zu Diagnosen, Behandlungsplänen und Notizen, die im Krankenhaus erstellt wurden. In das P-Journal sollen in Zukunft die Hausärzte alles gesundheit-lich Relevante über ihre Patienten ein-tragen, sodass z. B. eine Urlaubsvertre-tung auf diese Daten zurückgreifen kann. Außerdem wichtig: die Shared Medica-tion Record (SMR), eine zentrale Daten-bank, in der für jeden Dänen die ver-schreibungspflichtige Medikation der vergangenen zwei Jahre und der Impf-status hinterlegt sind. Ärzte sind gesetz-lich verpflichtet, die Angaben aktuell zu halten. Die Schnittstelle aller dieser Datenbanken ist das Gesundheitsportal Sundhed.dk, über das Ärzte und Patien-ten die Informationen abrufen können (siehe Interview Seite 22).

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DFZ: Herr Ballast, Dänemark hat in den letzten zehn Jahren vieles in seinem Gesundheitssystem umgestellt. Was hat Sie besonders beeindruckt?

Thomas Ballast: Es gibt drei Punkte, die ich bemerkens-wert fand: Wie Dänemark seine Krankenhaus-Landschaft neu geordnet hat – mit Zusammenlegungen zu Superkrankenhäu-sern. Dann die zentrale Datenbank Sundhed.dk, in der Pati-enten ihre gesamten Gesundheitsdaten hinterlegen können. Und was mich persönlich besonders beeindruckt hat, war die Organisation des Notfallsystems.

Wie funktioniert das?In Dänemark können Patienten nicht einfach ins Kran-

kenhaus gehen, sondern müssen sich vorher immer erst telefo-nisch mit der Notfallzentrale in Verbindung setzen. Dort sitzt eine ausgebildete Krankenschwester oder Arzthelferin – genannt Flowmaster – und beurteilt den Fall: Wer muss drin-gend ins Krankenhaus? Wer kann warten? Wer sollte zum Hausarzt, wer zum Facharzt, und wann? In ihrem System sieht sie sofort, wo der Anruf herkommt, wo der nächste

Krankenwagen frei ist, den sie losschicken kann, welches Krankenhaus Kapazitäten hat oder auch welcher Hausarzt gerade Dienst hat.

Also ganz anders als bei uns, wo die Notaufnahmen der Kranken-häuser sich zunehmend um Bagatellfälle kümmern müssen.

Den Unterschied haben wir bei unserem Besuch deutlich gespürt: Obwohl in den 16 Krankenhäusern jedes Jahr Hun-derttausende Patienten versorgt werden, herrscht eine ganz ruhige und gelassene Atmosphäre. Weil dort kein Patient sitzt, von dem man nicht weiß, wer er ist, was er hat und was mit ihm geschehen soll. Die Wartezeit liegt im Schnitt unter 30 Minuten. Das ist natürlich toll. Bei uns ist das ein sehr viel unaufgeräumterer Prozess.

Sie haben das Gesundheitsportal Sundhed.dk erwähnt – wie stark wird das genutzt?

Das Portal ist ein freiwilliges Angebot und wird nicht von allen genutzt – aber mit starkem Wachstum. „Start small and scale big“ ist das Motto. Jeder Däne kann selbst entscheiden, ob

„SEHR VIEL AUFGERÄUMTER ALS BEI UNS“

INTERVIEW: MARION MEYER-RADTKE

Nachgefragt. Thomas Ballast ist stellvertretender Vorstands-vorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK) und als solcher

zuständig unter anderem für Versorgung, Innovationen und Kun-denservice. In Dänemark hat er sich zeigen lassen, welche Innovati-

ven es im dortigen Gesundheitssystem gibt.

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DER FREIE ZAHNARZT - Juli/AuGuST 2019

Page 10: 14 TITEL - fvdz.de · von dem großen bürokratischen Aufwand und den unwägba-ren juristischen Konsequenzen für die Ärzteschaft lässt sich auf absehbare Zeit nicht sicherstellen,

er seine Gesundheitsdaten dort zentral hinterlegen lassen möchte, so dass zum Beispiel Flowmaster in der Notfallzent-rale darauf Zugriff haben oder der jeweils behandelnde Arzt. Jeder Patient hat jederzeit Zugriff auf seine Daten und kann Informationen auch sperren – für einzelne Ärzte oder für alle. Im Moment sind jeden Monat 1,7 Millionen Dänen auf dem Portal, das ist gut jeder Dritte.

Was, glauben Sie, lässt sich von all dem auf Deutschland übertragen?

Ich denke, dass wir uns zwei Dinge abgucken können. Wir sollten uns unbedingt an dem Vorbild des digitalen Versorgungsprozesses orientieren: Daten müssen von einer Versorgungs-stufe zur nächsten so weitergegeben werden können, dass keine Daten verlo-ren gehen, was letztlich die Versorgung deutlich verbessern wird. Und bei der Einschätzung der unmittelbaren Behandlungsbedürftigkeit ist Dänemark uns auch voraus. Ein solches System würde uns helfen, die überfüllte Kran-kenhaus-Ambulanzen zu entlasten und unsere Mittel und Kapazitäten effektiver einzusetzen.

Und welche Grenzen sehen Sie?Die dänischen Strukturen sind nur

bedingt mit unseren vergleichbar. Das fängt beim Datenschutz an: Es gibt in Deutschland einfach größere Wider-stände und Sorgen, was mit den Daten passiert. In Dänemark wurde uns natür-lich auch gesagt, dass der Datenschutz sicher ist. Aber grundsätzlich ist dort auch das Vertrauen größer. Schwierig wäre es auch, das Einweisungssystem eins zu eins zu übertragen. Die Regeln für die Inanspruchnahme von ärztli-chen Leistungen sind in Dänemark ziemlich rigide, zumal es fast keine nie-dergelassenen Fachärzte gibt, sondern man für diese Leistungen ins Kranken-haus muss. Eine solche Zuteilung wäre hier schwer vermittelbar, weil wir es gewohnt sind, über eine freie Arztwahl zu verfügen.Mehr Eindrücke von der Exkursion nach Dänemark finden Sie hier:https://wirtechniker.tk.de/2019/05/23/ehealth-in-daenemark/

NUR BEDINGT MIT DEM DEUTSCHEN SYSTEM VER-GLEICHBAR

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Juli/AuGuST 2019 - DER FREIE ZAHNARZT

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Ja zur modernen Praxis, nein bei SicherheitslecksDas DVG aus Studi-Sicht. Wer heute Zahnmedizin studiert, lebt selbstverständlich digital. Das heißt aber nicht, dass die junge Gene-ration die Digitalisierung der Praxen unreflektiert bejubelt. Zumindest nicht, wie sie zurzeit geplant ist.

AUTOR: KONSTANTIN SCHRADER

Der digitale Wandel ist in vollem Gange – wer wüsste das besser als die Studie-renden der Zahnmedizin? E-Learning, Klausurpläne, die online abzurufen sind, Absprachen per Whatsapp: Das Studium wird dadurch erleichtert, ohne dass man es überhaupt noch wahr-nimmt. Die Generation, die sich im Stu-dium befindet, studiert ganz selbstver-ständlich digital. Einige Universitäten schwören teils zwar immer noch auf analoge Systeme und arbeiten mit Kar-teikarten, was vielleicht auch Daten bes-ser schützt, aber privat kenne ich keine Studierenden ohne Smartphone. Fragen über das Studium gehen innerhalb von Millisekunden durchs Netz und werden umgehend beantwortet. Die Digitalisie-rung hilft uns. Für Studierende ist es deshalb oft schwer nachzuvollziehen, warum die Digitalisierung des Gesundheitswesens so umstritten ist. Schließlich sind wir erst nach der Approbation betroffen. Unter Digitalisierung im Gesundheits-wesen stellen sich junge Leute an der Uni oft auch etwas ganz anderes vor, als das, was in Politik und standespolitisch gerade passiert, dass nämlich momen-tan alle Akteure des Gesundheitswesens

im Bereich der gesetzlichen Kranken-versicherung vernetzt werden.

WO IST DER MEHRWERT?Uns betrifft das erst, wenn wir Praxen übernehmen sollen – die der Gesetzge-ber durch das Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) übrigens teurer macht. Die Kosten, die entstehen, um eine zahnärztliche Praxis an das System der Telematikinfrastruktur anzuschließen, tragen Praxisinhaber. Viele niedergelas-sene Kolleginnen und Kollegen haben damit ein Problem, denn sie erkennen keinen direkten Mehrwert, und viele kritisieren den Umgang mit den sensib-len Daten ihrer Patienten. Nicht umsonst gibt es Verweigerer, die Sankti-onen in Kauf nehmen, weil sie auf ihrer Meinung beharren. Vom studentischen Standpunkt fällt es manchmal schwer, die Beweggründe eines Boykotts nachzuvollziehen. Doch auch wir machen uns schon Gedanken über eine finanzielle Mehrbelastung unseres künftigen Arbeitsplatzes. Die „digital natives“ und Praxisübernehmer der Zukunft – sprich: wir – wollen moderne Praxen und ein modernisier-tes System, doch fehlen aus unserer

Sicht die wirtschaftlichen Anreize und die Vorteile für uns, die zahnmedizini-schen Kostenträger.Die Stellungnahme des Freien Verban-des wird von den Studierenden im Ver-band unterstützt, denn auch wir haben Bedenken, dass der Patientennutzen nicht deutlich genug wird. Wir wün-schen uns eine Garantie dafür, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis auch auf digi-taler Ebene vertraulich bleibt und der Zahnarzt es nicht zu verantworten hat, wenn dieses Verhältnis gestört wird, etwa durch den Erwerb eines Konnek-tors und den Anschluss an die Tele-matik infrastruktur. Die ärztliche Schweigepflicht zu gewährleisten, wird mit zunehmender Einbindung des Internets immer schwieriger, vor allem wenn es Mängel in der Sicherheit gibt – und auf die haben Experten nun schon häufig hingewiesen.

ARZT- PATIENTEN-VERHÄLTNIS MUSS VER-TRAULICH BLEIBEN

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