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14 Wochen Streik:

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I m p r e s s u mDer ver.di Report biwifo Extra · Juni 2006Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)Fachbereich Bildung, Wissenschaft und ForschungPaula-Thiede-Ufer 10 · 10179 BerlinV.i.S.d.P.: Petra GerstenkornVerantwortliche Redakteurin: Annette JensenInternet: www.verdi.deGrafisches Konzept: Hansen Kommunikation GmbHLayout: einsatz · Wolfgang WohlersDruck: apm AG Darmstadt, Kleyerstraße 3, 64295 DarmstadtTitelbild: Hans-Dieter MüllerW-1728-24-0606

Die Artikel stellen die Meinungsvielfalt unseres Fachbereiches dar und spiegeln nicht in jedem Fall die Meinung des Bundesfachbereichsvorstandes wider.

S e r v i c eFachbereich Bildung, Wissenschaft und ForschungInternet: www.biwifo.verdi.deAnsprechpartner biwifo-Report:[email protected].: 030/69 56-14 10 · Fax: 030/69 56-32 11

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Der Streik hat sich gelohnt 3

Streikende mit Sonnenbräune an der Ruhr-Uni 4–5

So sieht der Abschluss aus 6–7

Kritische Stimmen aus Hannover 8

Premiere beim DESY 9

Hat es sich gelohnt? 9

Kalte Küchen in Trier und Mainz 10–11

Eine fast unendliche Geschichte 12

Sie kommen: Tarifregeln für die Wissenschaft 13

Streiksplitter 14

Blick in die Zukunft 15

Nasse Füße 16

S t re i k v o m 6 . F e b r u a r b i s 29 . M a i 2 0 0 6

Fachhochschule Aachen · Rheinisch-WestfälischeTechnische Hochschule Aachen · Studentenwerk Aachen ·Hochschule Aalen · Fachhochschule Augsburg · Studenten-werk Augsburg · Universität Augsburg · UniversitätBayreuth · Universität Bielefeld · Verein BAJ e.V. Bielefeld ·Fachhochschule Bochum · Ruhr-Universität Bochum ·Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ·Studentenwerk Bonn · Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig · Technische UniversitätClausthal · Schule am Schillerzentrum Cuxhaven ·Fachhochschule Dortmund · Universität Dortmund ·Universität Duisburg-Essen · Friedrich-Alexander-Uni-versität Erlangen-Nürnberg · Fachhochschule Flensburg ·Universität Flensburg · Albert-Ludwigs-UniversitätFreiburg · Studentenwerk Freiburg · UniversitätsbauamtFreiburg · Georg-August-Universität Göttingen ·Fernuniversität Hagen · DESY Hamburg · HochschulenHamburg · Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg ·Technische Universität Hamburg · Universität Hamburg ·Fachhochschule Hannover · Stiftung TierärztlicheHochschule Hannover · Universität Hannover · Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg · Lindenparkschule Heilbronn · Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen · HAWK Hochschule für angewandte Wissen-schaft und Kunst · Stiftung Universität Hildesheim ·Universität Hohenheim · Technische Universität Ilmenau ·Universität Jena · Forschungszentrum Karlsruhe ·Universität Karlsruhe (TH) · Christian-Albrechts-Universitätzu Kiel · Fachhochschule Kiel · Universität Koblenz-Landau · Studentenwerk Köln · Universität zu Köln ·Fachhochschule Konstanz · Hochschule Konstanz ·Universität Konstanz · Universität Lüneburg · Fachhoch-schule Mainz · Johannes Gutenberg-Universität Mainz ·Studierendenwerk Mainz · Hochschule Mannheim ·Studentenwerk Mannheim · Universität Mannheim ·Fachhochschule München · Leibniz-RechenzentrumMünchen · Ludwig-Maximilians-Universität München ·Studentenwerk München · Technische UniversitätMünchen · Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven · Universität Oldenburg · Anne-Frank-Schule Osnabrück · Fachhochschule Osnabrück ·Montessori-Schule Osnabrück · Universität Osnabrück ·Universität Regensburg · Universitätsbauamt Regensburg ·Hochschule Reutlingen · Universität des Saarlandes ·Hochschule für Gestaltung Schwäbisch-Gmünd ·Pädagogische Hochschule Schwäbisch-Gmünd · Universität Stuttgart · Fachhochschule Südwestfalen ·Fachhochschule Trier · Studierendenwerk Trier ·Universität Trier · Eberhard Karls Universität Tübingen ·Studentenwerk Tübingen · Fachhochschule Ulm ·Studentenwerk Ulm · Universität Ulm · FachhochschuleBraunschweig/Wolfenbüttel · Herzog-August-BibliothekWolfenbüttel · Fachhochschule Worms · Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg · StudentenwerkWürzburg . . .

Sie alle waren dabei

Die Ausgangslage war mehr alsschwierig: Einige Akteure im Arbeit-geberlager erklärten öffentlich, eintarifloser Zustand sei ihnen lieber als ein Tarifvertrag. Sie konfrontiertendie Beschäftigten unverhohlen mit derAlternative, sich entweder einem Diktatzu unterwerfen oder auf Dauer ohneTarifvertrag zu bleiben. Konkret hättedas bedeutet, künftig Arbeitgeberngegenüber zu stehen, die Arbeits-bedingungen und Arbeitszeit einseitigregeln. Gemessen an dieser Ausgangs-lage ist die Durchsetzung eines Tarifvertrages für alle Bundesländer – Ost wie West, CDU- oder SPD-regiert –ganz sicher ein Erfolg. Aber wir haben auch Kröten schlucken müssen.

VON FRANK BSIRSKE

Wir hatten es mit ArbeitgeberInnen zu tun,die 40, 41 und 42 Wochenstunden durch-

setzen wollten und das in der Presse ausdrücklichals Pilotauseinandersetzung auch für die Privat-wirtschaft proklamierten. Auch daran gemessen,ist das Ergebnis ein Erfolg: Eine Wochen-arbeitszeit von durchschnittlich 39,22 Stundenüber alle Länder hinweg.

Positiv ist auch, dass wir die Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes abgewehrthaben. Die Sonderzahlungen bleiben im Umfanggesichert, wie er für den kommunalen und denBundesbereich gilt.

Für alle Beschäftigten der Länder konnte einerund dreiprozentige Lohnsteigerung im Jahr 2008durchgesetzt werden. 2006 und 2007 gibt es Ein-malzahlungen, die dem Niveau auf kommunalerund Bundesebene entsprechen. All das sindErgebnisse, die die Länderfinanzminister keines-wegs so wollten und deshalb alles andere alsselbstverständlich sind.

Aber: ver.di hat auch Kröten schlucken müssen.Es ist uns nicht gelungen, die Verlängerung derArbeitszeiten vollständig abzuwehren. Ein weite-

rer negativer Punkt ist das Einzelkündigungsrecht der Länder bei Arbeitszeit und Sonderzahlungen.Sie sind Rückenwind für Bestrebungen, wichtigetarifpolitische Bereiche – genau wie das Beamten-recht – durch die Länder zu regeln. Das machtkünftige Auseinandersetzungen nicht einfacher.

Wir konnten zwar verhindern, dass negativeAuswirkungen auf die Beschäftigten bei Bundund Kommunen entstehen. Doch die Erfahrungder vergangenen Monate zeigt auch: Meist-begünstigungsklauseln, bei denen Abschlüssedurch später ausgehandelte Verträge mit anderenTarifpartnern infrage gestellt werden können,sind für uns nicht wünschenswert.

In den vergangenen Monaten wuchs dieStimmung, dass „es reicht“. Die kommunalenStreiks fanden in der Bevölkerung – für die Arbeit-geber überraschend – viel Sympathie. Wichtigwar, dass in der Anfangsphase die Ausein-andersetzung im kommunalen und im Länder-bereich zusammenfiel. Dadurch entwickelte derStreik von Anfang an eine große Dynamik.Gezeigt hat sich auch: Es gibt durchaus auchneue streikfähige Bereiche, die einen Arbeits-kampf für die Arbeitgeber spürbar gestaltenkönnen.

An dieser Stelle möchten wir Dankeschön analle Streikenden sagen. Es war absehbar, dassdie Auseinandersetzung sehr hart werden würde.Aber niemand konnte damit rechnen, dass wireinen derart langen Arbeitskampf erleben. Dassdie Arbeitgeber am 10. März eine „Denkpause“einlegen würden und es zehn Wochen dauerte,bis das Nachdenken wieder einsetzte, war wirk-lich nicht zu erwarten. Die Arbeitgeber habeneinen Durchmarsch versucht, der letztlich nurdurch die Ausdauer und den Willen derStreikenden verhindert werden konnte.

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Der Streikhat sichgelohnt

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Auch in Einrichtungen desFachbereichs 5 gab es einerege Streikbeteiligung.Viele sind zum ersten Malin den Arbeitskampfgezogen, manche habensich noch nicht getraut.

Wie ver.di insgesamtwerdet auch Ihr über EureErfahrungen beratenmüssen. Wie kann zu-künftig die Beteiligung erhöht werden, wie kannstärker Druck ausgeübtwerden? Gelegenheit dazuwird es sicher in nicht allzu ferner Zukunft geben,denn: Das war nicht der letzte Streik.

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Zum Be i sp i e l : Bochum

Streikendemit Sonnenbräune

Die Sieben war schon immer eine Zahl mithohem Symbolwert. Nun hat sie auch für

Jochen Beyer und Werner Schwarz eine beson-dere Bedeutung. Sieben Wochen haben sie im April und Mai dieses Jahres gestreikt – zusammen mit vielen hundert KollegInnen von der Ruhr-Universität Bochum, der Fachhochschule und den medizinischen Einrichtungen. Die meistenAktiven gehörten zum nicht-wissenschaftlichenPersonal, aber auch einige WissenschaftlerInnenmachten mit.

„Das war enorm anstrengend“, sind sich diebeiden einig. Beyer, der die betriebliche Streik-leitung übernahm, ist im Hauptberuf Betriebs-techniker. Der Diplom-Ingenieur Werner Schwarzarbeitet als Sicherheitsbeauftragter. Nicht nur alsPersonalratsvorsitzender der Uni, sondern auchals Chef vom ver.di-Fachbereich 5 in Nordrhein-Westfalen war er besonders gefordert. Jetzt,nachdem der Tarifvertrag endlich unter Dach undFach ist, sind die beiden vor allem eins: stolz!Stolz auf das, was sie mit ihren KollegInnengeschafft haben.

Eintägige Streiks hatte es hier und da auchschon früher mal gegeben. Aber mit dem unbe-fristeten Streikaufruf betraten hier alle Neuland –und zudem erschien der Ausgang höchst unge-wiss. In den ersten Tagen herrschte Unsicherheit:Viele wussten noch nicht so recht, wie das sogeht mit dem Streiken. Wie sieht die rechtlicheSeite aus? Was ist mit dem Geld? Wie soll manmit Notdienstvereinbarungen umgehen? Nachdrei Tagen hatten Jochen Beyer und WernerSchwarz die meisten Grundsatzfragen derKollegInnen beantwortet. In den kommendenWochen verteilten sie dann mehr als 3000Brötchen, schenkten ungezählte Liter Kaffee imkleinen Streikzelt am Forumsplatz aus und verteil-ten Massen von Streikaufrufen. Hätte man dasganze Papier gestapelt, wäre ein zwölf Meterhoher Turm entstanden, hat Beyer ausgerechnet.

Jeden Nachmittag herrschte im Personalrats-büro emsiges Treiben: Eilig hackten EngagierteTexte in den Computer, sichteten Fotos und mon-tierten das Streikinfo. Nachts wurde gedruckt undam nächsten Morgen standen Beyer, Schwarzund andere KollegInnen an den Eingängen Ostund West. Morgen für Morgen verteilten sie den

neuen Streikaufruf. „Wir bekamen schon malPralinen oder Lakritz mitgebracht, zur Auf-munterung,“ erinnert sich Beyer. Schon äußerlichwurde rasch klar, wer mitstreikte. „Es hat fastimmer feste die Sonne geschienen und wirwurden alle lecker braun“, schmunzelt WernerSchwarz. Damit es des Guten nicht zu viel wurde,gab es Sonnenmilch vom Hauptpersonalratsvor-sitzenden Klaus Böhme.

Um auch die Bevölkerung zu informieren,verließen die Streikenden das Unigelände undzogen in die City oder ins benachbarte Queren-burg, demonstrierten zusammen mit 8000 ande-ren Landesbediensteten in Düsseldorf und soli-darisierten sich mit KollegInnen in Essen, Aachen,Duisburg und Siegen. „Auf uns war Verlass, vierBusse haben wir immer voll gekriegt.“

Dass die neue Landesregierung gerade dasHochschulfreiheitsgesetz verabschiedet hatte,habe die Streik-Bereitschaft bei vielen KollegInnenerhöht, ist sich Werner Schwarz sicher. „Dasmacht unsere Jobs ja noch unsicherer.“ Doch ein-schüchtern lassen sich die Streikerfahrenen nunnicht mehr.

Das ist nicht der einzige positive Effekt desArbeitskampfes. Auch die Zahl der ver.di-Mit-glieder an der Uni Bochum stieg um 15 Prozent.„Wir haben alle Kollegen zurückgekriegt, diewegen des günstigeren Beitrags zum VdLA des Deutschen Beamtenbundes abgewandertwaren,“ erzählt Beyer.

An der Ruhr-Uni wurde sieben Wochen lang

gestreikt – und täglich ein neues

Extrablatt publiziert.

Beim diesjährigen Halbmarathon der Uni Bochum

ging Roland Steinmetz in Streikkluft an den Start –

und nach 21 Kilometern als Erster ins Ziel.

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Zum Be i sp i e l : Bochum

Von ver.di haben sich Beyer und Schwarz gutunterstützt gefühlt. „Uns hat es organisatorischund materiell an nichts gemangelt. Und unserSekretär Peter Neubauer hat einen enormen per-sönlichen Einsatz gezeigt.“

Mit dem Ergebnis von Potsdam können dieKollegen leben, glauben Schwarz und Beyer. „Eshat sich rasch die Erkenntnis durchgesetzt: Mehrist unter den derzeitigen Bedingungen nicht her-auszuholen“.

Außerdem sind in den Streikwochen neueKoalitionen entstanden zum Beispiel mit denStudierenden, die wegen der Studiengebührendas Rektorat besetzt hielten. „Schulterschlussstatt Achselzucken“, hieß die Solidaraktion. Eingreifbares Ergebnis der neuen Zusammenarbeit:Eine Großdemo am 16. Mai, auf der sich auchHochschulprofessorInnen und SenatorInnen mitden Studierenden und Streikenden gegen diestrukturelle Unterfinanzierung der Hochschulenaussprachen.

Jede erfolgreiche Streikbewegung hat nebenvielen kleinen einige etwas größere Helden. Undwer das war, das machten die Beschäftigen derUni Bochum auf der Fete zum Streik-Ende deut-lich. Geschmückt mit Lorbeerkränzen durfte dasDreigestirn Neubauer, Beyer und Schwarz seinwohlverdientes Bier trinken. Auch wenn die dreiAktivisten sonst nichts umhauen konnte, fandensie das „einfach umwerfend“.

Frank Biermann

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Fotos: Hamburg, Hannover, Mainz, Flensburg, Clausthal-Zellerfeld, Homburg

D I E E R G E B N I S S E I M Ü B E R B L I C K

1.Am Abend des 19. Mai 2006 war derlängste Tarifkonflikt seit über 80 Jahrenzu Ende: ver.di und die Tarifgemein-schaft deutscher Länder (TdL) haben sich nach 14 Wochen Streik geeinigt. Damit ist im Bereich Arbeitszeit sowieUrlaubs- und Weihnachtsgeld der tarif-lose Zustand beendet. Es ist gelungen,wieder weitgehend gleiche Arbeits- und Einkommensbedingungen im öffentlichen Dienst zu erreichen.

40-Stunden-Woche verhindertDie ArbeitgeberInnen haben 2004 dieArbeitszeitregelungen gekündigt, um längereArbeitszeiten durchzusetzen. Die Länderhaben einseitig insbesondere den neuein-gestellten Beschäftigten längere Arbeitszeitenmit 40, 41 oder 42 Stunden arbeitsvertraglichaufgezwungen. An Stelle einer einheitlichenArbeitszeit gibt es künftig in jedem Land eine eigenständige Arbeitszeitdauer. Die Arbeitszeit der Beschäftigten, denen dieArbeitgeberInnen eine längere Arbeitszeitaufgezwungen hatten, wird auf die neuetarifliche Arbeitszeit im jeweiligen Bundeslandabgesenkt.

Arbeitszeit bis 2007 geregeltIm Tarifgebiet Ost bleibt es bei der 40-Stunden-Woche. Die Arbeitszeitregelungenkönnen von den einzelnen Ländernfrühestens zum 31.12. 2007 gekündigtwerden. Diese Öffnung für die Länder hatten die ArbeitgeberInnen zur unabding-baren Voraussetzung für einen Tarif-abschluss erhoben.

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4.Einkommenserhöhung in 2008Entgegen den Zielen der ArbeitgeberInnenhaben wir für 2008 für alle Beschäftigten eine Entgelterhöhung erreicht. 2008 steht eineEinkommensteigerung um 2,9 Prozent an.Stichtag ist im Westen der 1. Januar und imOsten der 1. Mai. Die Tabellenwerte werdenauf volle 5-Euro-Beträge aufgerundet. Dadurch ergibt sich ein Erhöhungsvolumen von durchschnittlich 3 Prozent für 2008. DieTarifverträge über die Einkommen haben eineLaufzeit bis zum 31.12. 2008.

Nähere Einzelheiten sind unserem Tarif-Info zu entnehmenhttp://www.verdi.de/tarifbewegung/kommunen_und_laender/publikationen/data/Flugblatt_TdL.pdf

Jahressonderzahlungen gesichert Auch beim Weihnachts- und Urlaubsgeldhaben die ArbeitgeberInnen den tariflosenZustand genutzt, um für Neubeschäftigte oderfür Beschäftigte bei Vertragsänderungen das Weihnachts- und Urlaubsgeld zu kürzenoder ganz zu streichen. Wir haben durch-gesetzt, dass alle Beschäftigten künftig eineJahressonderzahlung bekommen. Die seit 2003 neueingestellten Beschäftigten oder dieBeschäftigten mit niedrigeren Jahreszahlungenwerden in zwei Schritten auf das neue Niveauangehoben. Für Beschäftigte, die seit dem 30. Juni 2003 bereits in einem Beschäftigungs-verhältnis stehen, wird im Jahr 2006 zusätz-lich das zustehende Urlaubsgeld gezahlt.

Einmalzahlungen vereinbart Die Länder wollten ihren Beschäftigten die mit Bund und Kommunen vereinbarten Einmalzahlungen vorenthalten. Damit sind siegescheitert. Für alle Beschäftigten wurden nachEntgeltgruppen gestaffelte Einmalzahlungenfestgeschrieben. Diese werden 2006 und 2007ausgezahlt. Auszubildende, SchülerInnen in der Krankenpflege und PraktikantInnenerhalten jeweils zu den Terminen 100 Euro.

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Sie gehörten zu den Ersten, die streikten – und haben bis zum Schluss durchgehalten: Bis zu 150 Beschäftigteder Universität Hannover. Sie kamen vor allem aus den Bibliotheken, aber auch aus anderen Abteilungen. 14 Wochen lang haben sie für den Flächentarifvertrag im öffentlichen Dienst gekämpft, zuerst zwei Tage pro Woche, später permanent. Damit zählten sie unterden deutschen Hochschulen zu den aktivsten. EinBilanzgespräch mit Personalräten und Mitgliedern derStreikleitung.

biwifo: Was hat Euch angespornt, so lange durchzuhalten?

Ricarda Lau (Streikleitung): Wir hatten einen gutenZusammenhalt. Ein harter Kern hat bis zum Ende durchgehalten.

Daniel Ho (Streikleitung): Die meisten haben relativ früh begriffen, dass es nicht um reine Tarifverhandlungen ging,sondern um einen politischen Angriff.

Roger-Michael Klatt (Personalrat und Bundestarif-kommission): Vielen war klar: Wenn du jetzt zurücksteckst,dann hast du alles verloren.

Gerhard Rechel (Personalrat/Streikleitung): Es war ganzwichtig, dass wir ein eigenes Streiklokal hatten, viele Aktionenmachen konnten und immer sehr offen die Inhalte diskutierthaben – auch sehr kontrovers.

Habt Ihr auch dem Verhandlungsführer der Länder,Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), EureMeinung gesagt?

Michael Holert (Personalrat): Ja, als er gerade zu einemGastvortrag an der Uni Lüneburg in den Hörsaal ging. Allerdingswar die Konversation etwas schwierig, weil das Pfeifkonzertdoch relativ laut war. Immerhin hatten einige Streik-Delegierteein 45-Minuten-Gespräch mit Ministerpräsident Christian Wulff(CDU).

Klatt: Dabei wurde klar, dass die Länder unterschiedlicheInteressen hatten: Niedersachsen ging es nicht vorrangig um dieArbeitszeit, sondern um die Entgelthöhe; bei den Bayern war es umgekehrt.

Hat sich denn der ganze Aufwand gelohnt?

Ho: Allen war klar, dass wir Abstriche machen müssten. Aber ich kritisiere die Ausdifferenzierung der Arbeitszeiten nachBundesländern und nach Berufsgruppen. Es ist schwer zuvermitteln, dass ein Uni-Bediensteter, der eine Bürotätigkeit hat,länger arbeiten soll als ein Büroangestellter in derStraßenmeisterei.

Rechel: Durch diese Zersplitterung wird es schwieriger, einheit-liche Verhandlungen zu führen und Solidarität zu erreichen.

Ho: Ein anderes Problem ist die Öffnungsklausel: Die einzelnenLänder können ab Ende 2007 die Arbeitszeitregelungen kündigen– und nach der ersten Auszahlung auch die Jahressonder-leistungen. Das werden sie wahrscheinlich zeitlich abgestuft tun,um dann einzeln neu zu verhandeln. Dadurch werden wirkomplett aufgespalten. Das ist sozusagen der Anfang vom Endeeines gemeinsamen Flächentarifvertrags.

Rechel: Immerhin wurde der Versuch abgewehrt, die Länder in einen tariflosen Zustand zu bringen.

Klatt: Ein schlechter Vertrag ist besser als gar kein Vertrag.Aber leider sind die Hochschulen das Bauernopfer. Wir wolltenwissenschaftsspezifische Sonderregelungen durchsetzen, aber dieErgebnisse unserer Arbeitsgruppe sind nicht berücksichtigt wor-den. Die Hochschulen mussten zurückstecken, damit es zu einemAbschluss kommt.

Lau: Speziell die befristet Beschäftigten werden ausgegrenzt.Im ersten Jahr erhalten sie keine Jahressonderleistung.

Hätte ver.di Eurer Meinung nach eine Chance gehabt, mehrherauszuholen?

Ho: Zumindest hätten die langfristigen Probleme diesesTarifvertrags offener diskutiert werden müssen. Aber klar ist auch:Der Organisationsgrad hier an der Uni ist gering (350 Mitgliederbei gut 2.500 Beschäftigten im Uni-Kernbereich; Anm. d. Red.).Wenn die Stärke an der Basis fehlt, kann man nicht mehrerreichen.

Wie ist die Stimmung in der Belegschaft?

Rechel: Etwa die Hälfte sagt, das Ergebnis ist akzeptabel. Ho: Ich will aber auch was Positives sagen: Es hat im Streik eine

unheimliche Selbstorientierung stattgefunden. Ganz viele Kollegen wollen sich auch über den Arbeitskampf hinausengagieren.

Rechel: Der Schwung geht jetzt weiter. Das ist etwas, das manvorher nie für möglich gehalten hätte.

Holert: Wir hatten auch Neueintritte. Und viele Kollegen, andenen man sonst auf dem Flur eher vorbeirennt, hat man voneiner anderen Seite kennen und schätzen gelernt.

Lau: Bei aller Kritik: Streik ist unsere einzige Möglichkeit,Forderungen durchzusetzen.

Interview: Eckhard Stengel

„Besser als gar kein Vertrag“

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Gemischte Bilanz nach 14 Wochen Streik (v.l.n.r.): Bibliothekarin Ricarda

Lau (36), Systemadministrator Daniel Ho (37), halb freigestellter

Personalrat Gerhard Rechel (59), Chemisch-Technischer Assistent Roger-

Michael Klatt (49) und Bibliotheksangestellter Michael Holert (47)

vor dem Hauptgebäude der Universität Hannover.

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Zum Be i sp i e l : Hambu rg

Streik-Premierebeim DESY in HamburgStreiken beim Teilchenbeschleuniger DESY,

macht das Sinn? Da wird doch hier nurToilettenpapier gespart und der Nobelpreiskommt eben einen Tag später, haben am Anfangbestimmt viele gefragt. Doch darum ging esvielen gar nicht. Sie wollten ein Zeichen setzen:Arbeitszeitverlängerung in Zeiten mit über fünfMillionen Arbeitslosen ist ein völlig falschesSignal. Am 15. Februar hatte der Betriebsrat kurz-fristig zu einer Betriebsversammlung eingeladen,zu der viele DESYanerInnen kamen. Und dannwurde er ausgesprochen: Der Streikaufruf zum17. Februar!

Auch für uns, die Mitglieder der ver.di-Betriebsgruppe, war die Durchführung einesStreiks Neuland. Wie viele DESYanerInnen wür-den sich beteiligen? Brauchen wir einen odermehrere Busse um zur Kundgebung nach Altonazu kommen? Wir verteilten Flugblätter und ver-nahmen eine ungläubige, aber positive Resonanz.

Am Streiktag standen wir um 6.15 Uhr vorden Toren. Nach und nach wurde die Gruppegrößer und wir fuhren mit öffentlichen Bussennach Altona. „Heute wird gestreikt, müssen wirbezahlen?“ Auf diese Frage gab es vom Busfahrer

nur ein Schulterzucken. Wir waren fast überwäl-tigt, als wir schließlich feststellten: 120 streikendeDESYanerInnen waren mitgekommen.

Am Montag, als wir dann wieder beim DESYwaren, erfuhren wir, dass etliche KollegInnen, diesich nicht am Streik beteiligen wollten, aus Soli-darität einen Urlaubs- oder Gleittag genommenhatten. Dadurch war manche Abteilung gar nichtoder nur sehr spärlich besetzt gewesen.

ver.di Betriebsgruppe beim DESY

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83,5 Prozent haben JA gesagt zum Tarifergebnis. Das ist einedeutliche Mehrheit. Können wir also zufrieden sein?

Wir haben auch Kröten schlucken müssen, sagt unser Vor-sitzender. Eine davon ist die Erhöhung der Arbeitszeit. Doch nichtdie absolute Höhe der Arbeitszeit scheint mir das zentraleProblem zu sein, sondern dass keiner mehr überblickt, wer wo wielange arbeiten muss. In einigen Kommunen hängt die Arbeitszeitvom Alter ab und oft auch davon, ob jemand Kinder hat, welcherEntgeltgruppe er oder sie angehört und welche Tätigkeit jemandverrichtet. Mit dem neuen Tarifabschluss gilt darüber hinaus injedem Bundesland eine andere Wochenarbeitszeit. Allein dieseDifferenziertheit macht zukünftige tarifliche Arbeitszeitpolitik sehr schwierig.

Noch komplizierter wird es dadurch, dass es in jedem Bundes-land Einrichtungen geben wird, die weiterhin 38,5 Wochen-stunden arbeiten und solche, die länger arbeiten. WelcheEinrichtungen das betrifft, ist noch vor Ort in der Diskussion. Aber: Je mehr Einrichtungen bei 38,5 Wochenstunden bleiben,umso länger müssen die anderen arbeiten!

Als Gewerkschaft sind wir dafür, dass es für besondersschwere und belastende Arbeit kürzere Arbeitszeiten gibt. Dassdies jetzt zu Lasten der anderen geht, ist unserer Schwächegeschuldet. Dies muss man akzeptieren – und an der Beseitigungdes Missstandes arbeiten.

Aus meiner Sicht widerspricht es dem Prinzip der gewerk-schaftlichen Solidarität, Schwächere, sprich nicht oder wenigerStreikfähige, besonders zu „bestrafen“. Stattdessen muss mandie objektiven Ursachen der gemachten Erfahrungen unter-suchen.

Es spricht für diesen Fachbereich, dass seine Mitglieder z.B. inBaden-Württemberg oder Niedersachsen erst die Auswirkungenauf andere diskutieren bzw. berechnen, bevor sie selbst Anträgeauf Ausnahme von der Arbeitszeiterhöhung stellen.

Hannelore Reiner

Zufrieden?Zufrieden?

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Zum Be i sp i e l : Tr i e r

Kalte Küchein Trier

Zunächst waren wir vom StudierendenwerkTrier unsicher: Ist es rechtlich okay, wenn wir

uns am Streik beteiligen? Schließlich sind dieStudierendenwerke Trier nicht Mitglied imArbeitgeberverband TdL, sondern die Tarifver-träge werden nur über das Hochschulrahmen-gesetz angewandt. Doch bald hatten wir grünesLicht und so konnte die Urabstimmung statt-finden: Eine überwältigende Mehrheit stimmtefür einen Arbeitskampf. 34 neue Mitglieder konnten wir gleich begrüßen und am 4. April wardann unser erster Streiktag. Über E-Mails hattenwir alle Studierenden informiert und auch zurDiskussion aufgefordert.

Die KollegInnen aus anderen Betrieben, dieschon länger im Streik waren, begrüßten uns 56Dazukommende freudig. Wir engagierten uns

bei allen Planungen und immer mehr KollegInnenschlossen sich dem Streik an. Meist waren wir100 bis 120 Leute. Die meisten Cafeterien bliebengeschlossen und in der Mensa gab es nur einTagesmenü.

Vor allem in und vor den Mensen machten wir Aktionen und verteilten zum Beispiel „ver.di-Notrationen“: Ein Apfel, ein Ei und ein Flugblattzum Streik. So kamen wir mit vielen Studieren-den ins Gespräch. Manche haben sich gleichsolidarisch mit uns erklärt und uns gebeten, ihnen eine Streikweste zu überlassen. Auch dasStudierendenparlament der Uni hat uns aus-drücklich seine Solidarität bekundet.

Detlef Schieben

In Trier wurden an 21 Streiktagen 34 neue Mitglieder gewonnen.

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Zum Be i sp i e l : Ma in z

Groß ist der Missmut vieler Studierender, denn in der Mensa bleibt die Küche kalt. Bisher verlief der Streik an den Unis eherunbemerkt, weil die MitarbeiterInnen den Lehrbetrieb nicht lahmlegen. Ob dies möglich wäre oder nicht: Angesichts dürftigerBildungsausgaben der Länder wäre jede weitere Verknappung desLehrangebots an den chronisch unterfinanzierten Hochschuleneine fragwürdige Maßnahme, so lange es nicht zu einer breitenSolidarisierung seitens der Studierenden kommt.

Dabei stehen die Beschäftigten der Universität und dieStudierenden eigentlich auf derselben Seite: Gegen PolitikerInnenin den Ländern wie die Ministerpräsidenten Koch, Oettinger undStoiber, die Studiengebühren einführen wollen und sich konse-quent weigern, die Tarifvereinbarung im öffentlichen Dienst auchfür Beschäftigte der Länder zu übernehmen.

Ministerpräsident Beck demonstrierte im zurückliegendenLandtagswahlkampf den Beschäftigten im öffentlichen Dienstgegenüber verbal Entgegenkommen. Nach der Wahl kann Becknun erneut im Windschatten der Tarifgemeinschaft der Länderfahren – und dort dominieren neoliberale und gewerkschafts-feindliche Ministerpräsidenten der Union.

Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen über drohendeLohnkürzungen und längere Arbeitszeiten werden stellvertretend

für die gesamte Gesellschaft ausgefochten. Denn jede Arbeits-zeitverlängerung im öffentlichen Dienst bedeutet nicht nur einenallgemeinen Druck hin zu längeren Arbeitszeiten, sondern geradeauch im öffentlichen Sektor die zunehmende Ungleichverteilunggesellschaftlich notwendiger Arbeit. Immer weniger Menschenarbeiten immer länger, und immer mehr Menschen werden ausdem Erwerbsleben ferngehalten und in die Arbeitslosigkeit ge-trieben.

Dass in der Mensa die Küche kalt bleibt und für zwei Wochendie Butterstulle, die Dönerbude oder die improvisierte Suppen-küche als Ersatz für das Putenschnitzel „Florida“ oder denBlumenkohlröstling mit Suppe, Salat und Sättigungsbeilage ver-bleiben, ist eine äußerst klug gewählte Streikmaßnahme.Bildungsangebote werden nicht beeinträchtigt, und dennocherzielen die Streikenden eine deutliche Signalwirkung, da derMensa-Streik den Alltag von Studierenden, MitarbeiterInnen undProfessorInnen merklich durcheinander bringt. Ein Streik, denniemand wahrnimmt und der niemandem einen Nachteil bringt,ist nämlich ein ziemlich unsinniges Unterfangen.

Gunther Heinisch

Dieser leicht gekürzte Kommentar erschien während der Streikwochen in der studentischen Zeitung unipress, Mainz.

Klug gewähltKlug gewählt

Gulaschkanone vorder Mainzer MensaErst als die Mensen dicht machten, wurden viele

Studierende auf den Streik im öffentlichenDienst aufmerksam. Schon vor der Arbeitsnieder-legung hatten die ver.di-Vertrauensleute dieStudierendenvertretungen informiert – und warenauf Verständnis gestoßen. „Wir sehen es als wich-tig an, uns gemeinsam gegen den Sozialabbau zu stellen. Denn auch wir sind unter anderemdurch die drohende Einführung von allgemeinenStudiengebühren davon betroffen,“ fasste dieAstA-Vorsitzende Nicole Gotthardt zusammen. DieStudierenden gemeinsam über die Hintergründedes Streiks aufzuklären, sahen deshalb beideOrganisationen als zentrale Aufgabe an.

Während der ersten Tage des Mensastreiksverteilte der AstA Flugblätter. ver.di signalisierte:„Wir backen kleinere Brötchen“ – und reichteMinibrötchen, um symbolisch den gröbstenHunger der Studierenden zu stillen.

Wenig später tauchten dann die ersten Grill-stände auf, die KommilitonInnen spontan organi-siert hatten. Bald arbeitete die private Campus-gastronomie auf Hochtouren, um die täglich6000 Essensportionen der Mensa auszugleichen.Auch der AStA kochte mit. Zusammen mit ver.diorganisierte er in der zweiten Streikwoche eineGulaschkanone, aus der kostenlose Gemüse-suppe verteilt wurde. So war es einfach, mit denStudierenden ins Gespräch zu kommen und klarzu machen, dass der Streik nicht gegen sie ge-richtet war. „Die Resonanz der Studierenden auf die gemeinsamen Aktionen waren immer posi-tiv,“ beschreibt Max Lindemann, Pressereferentdes AStA der Uni-Mainz, seinen Eindruck undfügt dann hinzu: „Wir freuen uns, dass die Streik-maßnahmen nun zu einem positiven Tarifab-schluss geführt haben.“

Urs Prochnow · unipress Redaktion Foto

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Wissenschaftstarifvertrag –Eine fast unendliche Geschichte

VON BERNHARD KUNZE

1999 richtete das Bundesforschungsministeriumeine Arbeitsgruppe ein, in der ÖTV, DAG undGEW beratende Stimme hatten. Gefordert warennun konkrete Vorstellungen. Noch im selben Jahrerarbeiteten die drei Gewerkschaften Papiere zutariflichen Regelungen und Arbeitsbedingungenim Wissenschaftsbereich.

Nach einem internen Gespräch zwischenBundesforschungsministerium, ÖTV und DAGwurden im März 2001 Tarifverhandlungen auf-genommen. Es ging um „Sonderregelungen fürWissenschaft und Forschung“. Sie sollten sowohlfür die Hochschulen als auch für außeruniversitäreForschungseinrichtungen gelten. An den Ver-handlungen beteiligt waren VertreterInnen vonBund, Ländern und Gemeinden sowie die ÖTV,DAG (dann ver.di) und GEW.

Die ArbeitgeberInnen wollten die Wettbe-werbsfähigkeit der Hochschulen und Forschungs-einrichtungen verbessern und dafür die Ver-gütung an spezifischen Anforderungs- und Auf-gabenprofilen festmachen. Nicht mehr Alter undBerufsabschluss, sondern Erfahrung und konkreteTätigkeiten sollten ausschlaggebend für die Höheder Bezahlung sein. Außerdem wünschten sichdie ArbeitgeberInnen eine Vereinfachung derTarifordnung, eine größere Durchlässigkeit undvariable Vergütungsbestandteile. Und all dassollte kostenneutral vonstatten gehen.

Es gab also genügend Anknüpfungspunktefür Verhandlungen. Doch im Juli 2001 stieg dieTarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) aus.

Schnell schrumpfte der Bereich, auf den sichdie Verhandlungen beziehen sollten. Bei denaußeruniversitären Forschungseinrichtungen kon-zentrierte man sich auf die Fraunhofer-Gesell-schaft (FhG), weil hier viele externe Drittmitteleingeworben werden. Im Dezember 2003 legtedie Tarifkommission FhG einen Tarifvertrag mitEntgeltordnung und -tabellen vor. Er sah Risiko-zuschläge für befristete Arbeitsverhältnisse,

Arbeitszeitkonten, Langzeitarbeitskonten undeine Arbeitszeitregelung für Dienstreisen vor.Darüber hinaus enthielt der Vorschlag moderneInstrumente wie die Befristung von Personal-verantwortung und Zielvereinbarungen. Auch dieQualifizierung des Personals und die Vereinbarkeitvon Familie und Beruf sollten tarifvertraglich ge-regelt werden.

Leider sah sich der FhG-Vorstand ohneMandat der Bundesregierung nicht in der Lage zuverhandeln.

Mit der Prozessvereinbarung „Neugestaltungdes Tarifrechts (TVöD)“ im Rahmen des Tarif-abschlusses im Januar 2003 wurden die Ver-handlungen zunächst zurückgestellt. Immerwieder mahnte der ver.di-Fachbereich BiWiFowissenschaftsspezifische Regelungen an. Wissen-schaftsorganisationen und Parteien fordertenwiederholt einen Wissenschaftstarifvertrag undbegründeten das mit dem hohen Innovations-druck im nationalen und internationalen Wett-bewerb. Im Februar 2004 ergriff BIWIFO deshalbdie Initiative und wollte im Rahmen des TVöDweiter über wissenschaftsspezifische Regelungenverhandeln. Tatsächlich wurde daraufhin eineArbeitsgruppe gegründet und an die Projekt-gruppe „B1 Verwaltung“ angehängt. Ziel war dieAusarbeitung eines spezifischen Tarifteils. Auf derGegenseite saßen die TdL und VertreterInnen derHochschulen; der Bund fehlte. Bis Anfang 2006konnte ein Teil der Themen produktiv abge-arbeitet werden.

Im Mai 2006 musste es dann schnell gehen,um den TVöD auf die Länder zu übertragen bzw.den TV-L abzuschließen. (siehe gegenüberliegen-de Seite)

Der BAT ist reformbedürftigund die Zunahme befriste-

ter Arbeitsverträge in der Wissenschaft sind ein

Problem – dieser Über-zeugung waren

Gewerkschaften schon seit langem.

Auch Wissenschafts-organisationen wünschen

eine neue Tarifregelung.Notwendig sind

Änderungen, um dieLeistungs- und Innovations-

fähigkeit des deutschenWissenschafts- und

Forschungssystems zustärken. Zugleich ist klar,

dass das Dienst- undTarifrecht für den

Hochschulbereich und dieaußeruniversitären

Forschungseinrichtungenmodernisiert werden muss.

Dort wird es immerschwerer, qualifiziertesPersonal zu gewinnen.

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Was j e t z t zu t un i s t

ver.di gelingt der Durchbruch:Tarifregeln für die WissenschaftZum ersten Mal wird es in einem Tarif-vertrag einen besonderen Teil Wissenschaftgeben. Der soll die spezifischen Arbeits-bedingungen in Hochschulen undForschungseinrichtungen berücksichtigen.Damit sind die jahrelangen Bemühungender Gewerkschaften – vor allen von ver.di –von Erfolg gekrönt: Zum einen wird nunden Bedingungen wissenschaftlicher Arbeit Rechnung getragen. Zum anderenbleibt dieser Teil integrierter Bestandteileines Tarifwerks für den öffentlichenDienst.

VON KARL-HEINRICH STEINHEIMER

Das „Potsdamer Ergebnis“ formuliert nur Eck-punkte und ist noch nicht der endgültige

Tarifvertrag. So kann es nicht verwundern, dassauch zur Wissenschaft nur an wenigen Stellenetwas Konkretes vereinbart wurde. Die meistenPunkte bedürfen noch weiterer Verhandlungen.Bei ver.di dafür zuständig ist die eigens von derBundestarifkommission gebildete Arbeitsgruppe„Wissenschaft“. Zum Redaktionsschluss am 9.Juni gab es zwar noch keine Termine. Doch einesist klar: Rechtzeitig vor Inkrafttreten des Tarif-vertrags am 1. November 2006 wird alles „fertig“sein.

Wer die Ergebnisse von Potsdam mit dengewerkschaftlichen Eckpunkten aus dem Jahr2005 vergleicht, wird feststellen, dass nicht alleunsere Wünsche in puncto Wissenschaftsspezifikwahr werden. Doch wesentliche Probleme wer-den nun gelöst. Außerdem gibt es grundlegendeVerbesserungen gegenüber dem mit dem Arbeit-geber Bund abgeschlossenen TvöD. Dafür dreiBeispiele:

Schon der allgemeine Teil des Tarifvertrags mitden Ländern (TV-L) wertet Berufserfahrung höherals der TVöD-Bund. Für neu Eingestellte bedeutetdas eine bessere Stufenzuordnung. In dem Teil,der sich mit der Wissenschaft beschäftigt, soll diesnoch ausgebaut werden. Das ist auch notwendig,weil von den Beschäftigten in Hochschulen undForschungseinrichtungen Mobilität gefordert

wird. Die im TVöD-Bund enthaltenen diesbezügli-chen Hindernisse beiseite zu räumen, liegt sowohlim Interesse der Beschäftigten als auch der Ein-richtungen.

Obwohl sich das leidige Thema „Befristungvon Beschäftigungsverhältnissen“ als ein Knack-punkt bei den Verhandlungen herausgestellt hat(wen wundert‘s?), haben sich die Tarifvertrags-parteien darauf verständigt, Befristungen verant-wortungsbewusst zu handhaben. Vereinbart ist,zwischen „dienstlichen Notwendigkeiten undInteressen der betroffenen Beschäftigten ausge-wogen abzuwägen“. Ein Element könnte darinbestehen, dass befristet Beschäftigte einen finan-ziellen Ausgleich für ihr Risiko bekommen.

Weil Hochschulen und Forschungseinrich-tungen angehalten sind, möglichst viel Drittmitteleinzuwerben und Erlöse aus der Vermarktung vonErgebnissen und Dienstleistungen zu erzielen,sind auch materielle Anreize für die beteiligtenPersonen unabdingbar. Deshalb soll tarifvertrag-lich die Möglichkeit eröffnet werden, dass dieBeschäftigten aus diesen Mitteln honoriertwerden – zusätzlich zum allgemein vereinbartenLeistungsentgelt. Schließlich hätte der Arbeit-geber ohne das Engagement der beteiligtenMitarbeiter keine Zusatzeinnahmen; insofern be-lastet die Regelung die Kasse des Arbeitgebersnicht wirklich. Gelingt eine entsprechende tarif-vertragliche Formulierung, wäre damit auch dasBesserstellungsverbot gekippt – ein positiver,nicht zu unterschätzender Nebeneffekt.

Noch muss um die konkreten Fragen gerun-gen werden. ver.di ist optimistisch. Eine Ein-schränkung muss allerdings gemacht werden: Alldas Gesagte gilt nur für die Bereiche, in denendas mit der TdL vereinbarte Tarifwerk zur Anwen-dung kommt. In vielen Forschungseinrichtungengilt der TVöD-Bund. Und der Bund zeigt gegen-wärtig keine Neigung, wissenschaftsspezifischeRegelungen tarifvertraglich zu vereinbaren. Viel-leicht bringt ja ein Abschluss mit der TdL einenneuen Anstoß. ver.di wird darauf drängen – undsetzt auf die Unterstützung durch die Beschäf-tigten.

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S t re i k sp l i t t e r

Solidarität bleibt auchin der Zukunft der

entscheidende Faktorfür gewerkschaft-

lichen Erfolg

Fotos: Hamburg, Freiburg, Mainz, Braunschweig, Clausthal-Zellerfeld

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B l i c k i n d i e Zukun f t

Was ist der Maßstab für Erfolgbei einem Tarifkonflikt?Nun zunächst die Forderungen, die aufArbeitnehmer- und Arbeitgeberseite dieAusgangsposition markieren.

Tarifgemeinschaft der Länder (TdL):– Beibehaltung des tariflichen Zustandes, d. h.

Nachwirkung des vormaligen Tarifvertrages für„Alt-Beschäftigte“,

– einseitige Setzung anderer Bedingungen (z. B.längere Arbeitszeit) für „Neu-Beschäftigte“

ver.di:– Übernahme des TVöD für die Beschäftigten im

Länderbereich– Erhalt der bisherigen tarifvertraglichen Arbeits-

zeit von 38,5 Stunden

Weiterer Parameter:

Die Dauer und die Härte des Tarifkonflikts:Vor zwei Jahren hat die TdL die Arbeitszeit-regelungen gekündigt, die Bestimmungen zumWeihnachts- und Urlaubsgeld schon vorher. FürBeschäftigte, die von der Nachwirkung gekündig-ter Bestimmungen erfasst waren, änderte sichnichts. Beschäftigte, die neu eingestellt wurden,mussten die neuen Bedingungen akzeptieren. Mitdiesem Zustand hatten sich viele arrangiert. Vielewaren aber unzufrieden: Sie wollten keine Arbeit-geberdiktate hinnehmen, keine unterschiedlichenArbeitsbedingungen, sondern einen einheitlichenTarifvertrag für alle Beschäftigten.

Ein schwelender Konflikt also, der heiß wurde,als Beschäftigte im kommunalen Bereich sichmassiv gegen die Kündigung der Arbeitszeit von38,5-Wochenstunden wehrten und Beschäftigteder Uni-Kliniken für die Beibehaltung der 38,5-Stunden-Woche streikten.

Nächste Stufe:Es war ein harter, zäher Konflikt. 14 Wochen dau-erte der Streik. Für die Beteiligten bedeutete das große Herausforderungen. Bei Kälte, Regen,Sonnenschein vor den Toren stehen. Kundgebun-gen, Demonstrationen, Mahnwachen, Protest-

Petra Gerstenkorn

Mitglied des ver.di-Bundesvorstands

und Leiterin des

Fachbereichs Bildung, Wissenschaft

und Forschung,

auf einer Demo am 19. April

in Braunschweig

aktionen. Streikgeld, das nur zum Teil den Ein-kommensverlust ausgleicht. ArbeitskollegInnen,die sich nicht überzeugen lassen, dass es sich lohnt, sich zu wehren, die zum Teil mit Hämeund Spott reagieren. Immer wieder die Frage:„Schaffen wir’s? Erreichen wir unser Ziel?“ArbeitgeberInnen, die zuwarten, die gar nichtmehr verhandeln wollen; Streikfolgen bagatel-lisieren. Verhandlungsrunden, die ergebnislosenden – und dennoch: Durchhalten, weiterstreiken.

An den Ausgangspositionen gemessen, warenwir erfolgreich. Wir haben wieder einen Tarif-vertrag mit den Ländern.

Gemessen an den erhofften Ergebnissen unddem hohen Einsatz unserer Streikenden, habenwir Kompromisse gemacht, die einige als zuweitgehend empfinden. Die Zustimmung zumTarifabschluss, die im Bereich der Hochschulenvon knapp 60 bis über 90 Prozent reicht, spiegeltauch diese Kritik wider.

Welche Alternativen hätte es gegeben undwie sind unsere Perspektiven für zukünftige Tarif-auseinandersetzungen?

Antworten auf diese Fragen werden wir rechtschnell finden müssen. Denn die Arbeitszeitrege-lungen haben zum Beispiel „nur“ eine Laufzeitbis zum 31. Dezember 2007.

In unserem Fachbereich Bildung, Wissenschaftund Forschung werden wir in den Einrichtungen,in den Bezirken und Landesbezirken in den Gre-mien diskutieren, wie wir uns auf die kommen-den Tarifauseinandersetzungen vorbereiten.

Im September 2006 werten wir in einerKlausurtagung mit den Streikleitungen die Ergeb-nisse aus und beginnen mit der Arbeit für dienächste Tarifauseinandersetzung.

Petra Gerstenkorn

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