18Ost- und Entspannungspolitik

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1 18 Ost- und Entspannungspolitik Die neue Phase einer dynamischen westdeutschen Ostpolitik begann mit dem Amtsantritt der Koalitionsregierung von SPD und FDP unter Willy Brandt und Walter Scheel im Oktober 1969. Die Wahl im Jahr 1969 war nicht primär außenpolitisch bestimmt gewesen, im Wahlkampf spielten vielmehr wirtschaftliche Probleme die Hauptrolle. Die neue Ostpolitik bestimmte die Bonner Deutschlandpolitik für zwei Dekaden mit drei Regierungen. Sie war, einmal implementiert, von bemerkenswerter Kontinuität geprägt. Die Anfänge westlicher Entspannungspolitik Ende der sechziger Jahre hatten die Bonner Ostdiplomatie isoliert. Die neue Dynamik unter Brandt - Scheel passte sich dem neuen Trend an, ohne die eigenen Ziele aus den Augen zu verlieren.

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18 Ost- und Entspannungspolitik

Die neue Phase einer dynamischen westdeutschen Ostpolitik begann mit dem Amtsantritt der Koalitionsregierung von SPD und FDP unter Willy Brandt und Walter Scheel im Oktober 1969.

Die Wahl im Jahr 1969 war nicht primär außenpolitisch bestimmt gewesen, im Wahlkampf spielten vielmehr wirtschaftliche Probleme die Hauptrolle. Die neue Ostpolitik bestimmte die Bonner Deutschlandpolitik für zwei Dekaden mit drei Regierungen. Sie war, einmal implementiert, von bemerkenswerter Kontinuität geprägt.

Die Anfänge westlicher Entspannungspolitik Ende der sechziger Jahre hatten die Bonner Ostdiplomatie isoliert. Die neue Dynamik unter Brandt - Scheel passte sich dem neuen Trend an, ohne die eigenen Ziele aus den Augen zu verlieren.

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Der Schwerpunkt der deutschen Ostpolitik wurde jetzt von Territorialfragen auf die Verbesserung menschlicher Kontakte und politisch-diplomatischer Beziehungen verlagert. Die neue Ostpolitik war auf eine „europäische Friedensordnung“ gerichtet.

Nicht mehr die unmittelbare Wiedervereinigung sondern die Lösung der Deutschen Frage durch einen allmählichen „Wandel durch Annäherung“ war strategisches Ziel. Ein „geregeltes Nebeneinander“ sollte längerfristig eine friedliche Lösung der Deutschen Frage erlauben.

„Wer die Grenzpfähle in Europa abbauen will, muss aufhören, sie verrücken zu wollen.“ (Willy Brandt 1970)

Die Regierung Brandt suchte, die Widersprüche in der deutschen Ostpolitik zu überwinden und ein politisch plausibles Programm zu entwickeln. Die Realität der DDR als existierender Staat sollte anerkannt und mit der Formulierung „zwei Staaten in Deutschland“ teilweise anerkannt werden.

Das diplomatische Prinzip Adenauers, der Fortschritte in der Deutschen Frage einer Annäherung an den Osten vorausgehen lassen wollte, wurde umgekehrt. Die neue Ostpolitik wollte an Adenauers Westpolitik anschließen und mit ihr gleichziehen.

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3 Eine Vorbedingung war die Ost-West-Entspannung. Eine zufrieden

stellende Lösung der Berlin-Frage musste daher vorangehen.

Ein Problem gegenüber dem Westen war der dort aufkommende Eindruck, das alles könne auf eine deutsche Neutralitätspolitik hinauslaufen. Besonders dem deutschlandpolitischen Berater Brandts, Egon Bahr, wurde dies in den Vereinigten Staaten unterstellt.

Dazu schrieb Henry Kissinger unverblümt 1973:

„Ein ungebundenes, mächtiges Deutschland, das versuchte, zwischen Ost und West zu manövrieren, bedeutete, welcher Ideologie es auch folgte, die klassische Herausforderung des Gleichgewichts in Europa, denn die Seite, auf die sich Deutschland stellte, würde der anderen überlegen sein.“ (Kissinger, Memoiren 73-74, S. 174)

„Wir waren entschlossen, uns darum zu bemühen, die latente Unvereinbarkeit zwischen Deutschlands nationalen Zielen und seinen Bindungen an die atlantische und europäische Gemeinschaft abzuschwächen.“ (Kissinger, Memoiren 68-73, S. 442)

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Um keine Zweifel an der Westbindung aufkommen zu lassen, lautete die deutsche Parole: „Kontinuität und Erneuerung“. Die Westmächte nahmen die Bonner Initiativen im Osten dennoch anfänglich überaus zurückhaltend auf.

Obwohl die westdeutsche Außenpolitik die Entspannungspolitik des Westens aufnahm, blieb in Washington und Paris der Verdacht, dass Bonn den europäischen Status quo nur taktisch anerkannte, um ihn letztlich überwinden zu können.

Die USA waren um ihre Doppeleindämmungspolitik besorgt, konnten aber kaum Einwände gegen die Bonner Initiativen vorbringen, weil jetzt angestrebt wurde, was die USA eigentlich von Westdeutschland schon länger gefordert hatten: die Anerkennung des Status quo.

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Die neue deutsche Dynamik wurde also im Westen mit Misstrauen verfolgt. Bonn, der isolierte Nachzügler, wurde plötzlich zum engagierten Vorreiter und übernahm damit selbst eine Führungsrolle im Ost-West-Entspannungs-prozeß. In Moskau stieß die neue Bonner Linie auf Entgegenkommen.

Nachdem die Sowjetunion die nukleare Parität erreicht hatte, sich also mit den USA gleichwertig fühlte, wuchs die Bereitschaft, den Status quo in Berlin mit der Bindung West-Berlins an die Bundesrepublik anzuerkennen. Moskau wollte die Festigung des Status quo und sah in den Bonner Signalen auf Anerkennung der DDR und der Oder-Neiße-Grenze alte Ziele erfüllt.

Die neue Bonner Ostpolitik schlug sich in den Verträgen nieder, die im August 1970 mit der Sowjetunion und im Dezember 1970 mit Polen unterzeichnet wurden. Danach folgte 1971 das Viermächte-Abkommen über Berlin, 1972 der Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und 1973 der Vertrag mit der Tschechoslowakei.

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Konsequenterweise begann der Vertragsreigen mit dem deutsch-sowjetischen Vertrag. Dieser Vertrag war symbolisch der wichtigste, weil damit die territorialen und politischen Folgen des Zweiten Weltkriegs von deutscher Seite anerkannt wurden.

Bundeskanzler Brandt meinte dazu, es sei nichts verlorengegangen, „was nicht längst verspielt worden war“.

Dieser Vertrag öffnete dann die Tür zum Vertrag mit Polen, der Bonner Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Ersterer war ein Gewaltverzichtsvertrag, letzterer ein Grenzvertrag.

Die deutschlandpolitische Komponente der Ostpolitik machte der Bonner Regierung am meisten zu schaffen. Hauptproblem war, dass Bonn der Kernforderung der DDR, nämlich die gleichberechtigte Anerkennung, nicht nachgeben wollte. Damit spielte die Regierung Brandt die Prinzipien „Wiedervereinigung“ und „Selbstbestimmung“ herunter, hielt aber an der deutschen Einheit als Ziel fest. Ein Vertrag mit der DDR musste also aus westdeutscher Sicht die Besonderheit des deutsch-deutschen Verhältnisses widerspiegeln.

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Das Treffen der deutschen Regierungschefs im Frühjahr 1970 bei den Gipfelkonferenzen in Erfurt und Kassel führte deshalb auch noch nicht zu vorzeigbaren Ergebnissen. Immerhin bot Willy Brandt Willi Stoph den Verzicht auf Einwände gegen die Mitgliedschaft beider deutscher Staaten in den Vereinten Nationen an. Für die DDR war die symbolische Bedeutung des Treffens unübersehbar, sie war letztlich als ebenbürtiger Verhandlungspartner anerkannt worden.

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Nachdem im September 1971 das Viermächte-Abkommen über Berlin unterzeichnet worden war, konnte es auch innerdeutsch weitergehen. Der rechtliche und politische Status Westberlins war abgesichert worden, für die DDR war dies ein diplomatischer Rückschlag. Der „Pfahl im Fleisch der DDR“ wurde von östlicher Seite anerkannter Dauerzustand. Moskau hatte die Regierung der DDR in der Berlin-Frage unter erheblichen Druck gesetzt.

1972 wurde dann der Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten ausgehandelt. Am 21. Dezember des Jahres konnte er unterzeichnet und dann im Mai 1973 vom Bundestag und im Juni von der Volkskammer ratifiziert werden.

Beide Regierungen anerkannten ihre Gleichberechtigung, die Unverletzlichkeit der Grenzen und die territoriale Integrität des anderen. Statt Botschaften gab es allerdings nur „ständige Vertretungen“. Die Staatsangehörigkeitsfrage blieb ungeregelt.

Das Kunststück der westdeutschen Ostpolitik, Akzeptanz der DDR ohne volle Anerkennung als zweiter deutscher Staat, war erreicht worden. Die DDR hoffte umgekehrt, dass der Faktor Zeit und die Macht des Faktischen für sie arbeiten würden.

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Zu guter Letzt noch problematisch war der an sich drittrangige Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei.

Prag forderte nämlich einen deutschen ex tunc-Verzicht auf die Münchner Vereinbarung, sie sollte also von vornherein für ungültig erklärt werden.

Bonn war dagegen nur zu einem kleinen ex nunc-Verzicht, also der späteren Ungültigkeit des Vertrags bereit. Im endgültigen Vertrag betrachteten dann beide Partner das Münchner Abkommen vom 29. September 1938 als nichtig.

Es ging bei diesen Spitzfindigkeiten um komplizierte Rechtsfragen und vor allem um Eigentumsansprüche.

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Die dramatische Phase der Bonner Ostpolitik war mit den Verträgen beendet. Kurzfristig waren die Ergebnisse für Bonn erst einmal enttäuschend. Die DDR blockierte nämlich bei der Verbesserung der innerdeutschen Beziehungen und betrieb Abgrenzungsdiplomatie.

Das entsprach auch den Moskauer Absichten, das engere Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu verhindern trachtete.

Die Moskauer außenpolitischen Entscheidungsträger sahen sehr genau, dass der Zusammenhalt und die Stabilität des Warschauer Paktes durch das Streben einzelner osteuropäischer Länder nach mehr Handlungsfreiheit unterhöhlt werden könnte.

Dies sollte verhindert werden und nur der Erfolg der prinzipiellen Bonner Anerkennung des europäischen Status quo als Guthaben verbucht werden.

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Wie prekär eng die Kontakte zwischen den westdeutschen Baumeistern der Ostpolitik, voran Egon Bahr, und ihren Moskauer Verhandlungspartnern waren, belegten Aktenfunde im Jahr 1995 und die Memoiren Keworkows. Danach soll sich Bahr konspirativer Kontakte zu einem führenden Agenten des KGB bedient haben.

Wjatscheslaw Keworkow fungierte als direkter Draht zum Kreml. Diese Einlassung Bahrs gab Anlass zum Vorwurf, er sei damit zu weit gegangen und habe sich doppeldeutig verhalten. Für sein Vorgehen im Interesse der Sache spricht, dass ein System wie das der UdSSR keine Trennung zwischen operativer Exekutive und Geheimdienst kannte und deshalb jede Kontaktperson höheren Ranges von vornherein als geheimdienstnah einzustufen war. Zudem war der KGB unter seinem damaligen Chef Andropow, der schon auf die Nachfolge des kranken Breschnew hinarbeitete, im außenpolitischen Entscheidungssystem der UdSSR schlicht ein wichtiger Akteur.

Bahr betrieb hier Geheimdiplomatie, das klassische Mittel, um ohne öffentlichen Rummel weiterzukommen. Eine Gratwanderung war dieser Typ von Kommunikation aber schon, weil der deutsche Partner damit potentiell erpressbar wurde.

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Durch vertrauliches Geplaudere über innerwestliche Divergenzen, selbst wenn diese der sowjetischen Seite nicht unbekannt sein konnten, begab sich Bahr als westdeutschen Spitzenpolitiker jedoch in eine Grauzone, die z. B. amerikanisches Misstrauen, etwa von Henry Kissinger, zurecht provozierte, obwohl der selbst meisterhaft Geheimdiplomatie am Apparat vorbei pflegte.

Die Ostpolitik wurde dadurch nicht diskreditiert, sie war zeitgemäß vernünftig, Egon Bahrs Rolle gab dadurch freilich für diejenigen, die ihm nie getraut hatten, Anlass zum Verdacht der Zwielichtigkeit.

Die Tatsache, dass aus der DDR Querschüsse kamen, unterstreicht den Kurs von Bahr. So suchte das MfS, die Stasi, Erich Mielke persönlich und auch Markus Wolf, Willy Brandt und seine Politik bei den Freunden im KGB schlechtzureden. Doch Breschnew befahl die Fortsetzung und Ost-Berlin gehorchte.

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Mit der Ablösung von Bundeskanzler Brandt durch Helmut Schmidt im Mai 1974 war die innovative, dynamische Phase der neuen deutschen Ostpolitik vorbei. Das hatte persönliche und sachliche Gründe. Während Willy Brandt eher den idealistischen Politiker verkörperte, stand Helmut Schmidt für den pragmatischen Typ.

Schmidt interessierte sich sehr wohl für die Ost-West-Entspannung, die Details des innerdeutschen Verhältnisses waren jedoch unter Schmidt das Feld seines Außenministers Hans-Dietrich Genscher. Sachlich ergab sich die Schwerpunktver-lagerung durch die in der Amtszeit Schmidts dringlichen wirtschaftlichen und monetären Probleme in der Innen- und Außenpolitik.

Dies bedeutete nicht, dass die deutsche Ostpolitik unter Helmut Schmidt vernachlässigt worden wäre. So handelte der Kanzler selbst im Jahre 1975 mit seinem polnischen Kollegen Edward Gierek eine ganze Reihe von Vereinbarungen aus. Die Ausreise von bis zu 125 000 Volksdeutschen aus Polen war eine Seite der Medaille, die Vergabe eines Milliardenkredits an Polen die andere.

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Ohne die spektakulären Momente der ersten Jahre unter Brandt ergaben sich jetzt eine ganze Reihe von politischen und wirtschaftlichen Fragen, die für die praktische Seite der deutschen Ostpolitik noch offen waren.

Insgesamt könnte man diese Phase der zweiten Hälfte der siebziger Jahre als eine der Konsolidierung der westdeutschen Ostpolitik ansehen. Die Fesseln der sechziger Jahre waren abgeschüttelt, die neue deutsche Ostdiplomatie hatte der Bundesrepublik auch im Westen größeren Handlungsspielraum eingebracht.

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Eine Bewährungsprobe kam mit der Krise der Entspannungspolitik Anfang der achtziger Jahre. Auf Seiten beider Supermächte waren Enttäuschungen aufgetreten, die auf Europa zurückwirkten.

Die USA monierten das Verhalten der Sowjetunion in Afghanistan, im Nahen Osten und in Afrika, die UdSSR war über die zögerliche amerikanische Haltung in der Rüstungspolitik unzufrieden. Unmittelbar in Europa war die Verhängung des Kriegsrechts in Polen im Jahr 1981 ein Grund, der ein entspanntes Verhältnis untergrub.

Die Teilbarkeit der Entspannung wurde zum Axiom beider deutscher Staaten. Während die Supermächte die Unteilbarkeit betonten, waren Bonn und Ostberlin an der Fortsetzung ihrer deutschen Mini-Détente interessiert. Henry Kissinger hatte jede Form von „selektiver Deténte“ schon in den Anfangsstadien der Bonner Ostpolitik kritisiert.

Die innerdeutsche Entspannung litt zwar unter dem sich verschlechternden Ost-West-Verhältnis, konnte aber eine Reihe von kleinen Schritten zur Verbesserung der Beziehungen erreichen.

Dazu gehörten Besuchsrechte für Ost- und Westdeutsche, ein erleichterter Zugang zu Berlin, verstärkte kulturelle und wissenschaftliche Kontakte und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes.

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Bezeichnend war die innerwestliche Kontroverse nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen im Jahre 1981.

Helmut Schmidt wurde von seinen westlichen Verbündeten vorgeworfen, er habe sich gegenüber der menschenrechtlichen Seite der Situation in Polen gefühllos gezeigt.

Das traf auf Schmidt zweifellos nicht zu, er hatte lediglich eine andere Sicht der westdeutschen Interessen.

Er wollte die Beziehungen zu Osteuropa offen halten und die polnische Bevölkerung nicht durch Wirtschaftssanktionen bestrafen.

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Die Konsolidierung und feste Etablierung der westdeutschen Ostpolitik wird durch nichts besser belegt als durch ihre Fortführung nach 1982, als Helmut Kohl Helmut Schmidt als Bundeskanzler nachfolgte.

Die propagierte innenpolitische Wende galt für die Ostpolitik nicht. Das gemeinsame Ziel der Bundesrepublik und der DDR in einer Phase wachsender Ost-West-Spannungen, das innerdeutsche Verhältnis nicht leiden zu lassen, wuchs sogar.

Erich Honecker sprach von „Schadensbegrenzung“ und der Notwendigkeit, den innerdeutschen Dialog fortzusetzen. Unterhalb der Vorherrschaft der Supermächte wollten beide deutschen Staaten Handlungsspielräume nutzen, um ihr Verhältnis zu gestalten.

Mit Wiedervereinigungspolitik hatte dies allerdings wenig zu tun. Das gewachsene Selbstbewusstsein der DDR fand nicht zufällig in dieser Phase Ausdruck in der ideologisch geplanten Pflege des Verhältnisses zu großen Gestalten der deutschen Geschichte, wie z. B. Martin Luther, Friedrich dem Großen und Otto von Bismarck.

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Unter Helmut Kohl wurden symbolische und praktische Gesten gegenüber der DDR erheblich intensiviert. Ausdruck der deutschen Mini-Entspannung war z. B. der 1983 unter Mithilfe von Franz Josef Strauß ausgehandelte Fünf-Jahres-Kredit über eine Milliarde DM.

Die Besucherzahlen in beide Richtungen wuchsen erheblich an. 1986 kam es zu dem Abschluss einer Vereinbarung über den Kulturaustausch.

Höhepunkt war der Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik im Herbst 1987. Er war durch das ungünstige Klima zwischen Ost und West verzögert, aber nicht verhindert worden.

Paradoxerweise erreichte die DDR den Zenit ihrer äußeren Anerkennung zu einem Zeitpunkt, als die innere Stabilität schon immer mehr abnahm.

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Ein Sonderfall der innerdeutschen Beziehungen war der Freikauf politischer Gefangener aus der DDR.

Der Häftlingsfreikauf lief 26 Jahre lang, rund 33 755 Personen gelangten so in die Bundesrepublik. Insgesamt wurden 3.436.900.755 DM und 12 Pfennige bezahlt. Die ersten 50 kamen im August 1964. 1964 lag der Preis pro Person bei 40 000 DM. 1977 wurde der Preis auf 75 874 DM angehoben.

Streifragen sind, ob mit diesem Geld die DDR wirtschaftlich stabilisiert worden ist, oder es nur Kleinbeträge für humanitäre Zwecke waren. Beide Argumente sind nebeneinander plausibel.

Alle westdeutschen Regierungen seit 1962/63 haben dieses humanitäre Geschäft ohne großes politisches Aufsehen betrieben. Das Angebot ging von der DDR aus.

In der DDR hielt die Stasi vertreten durch die „Koko“ die Fäden dabei in der Hand. Honnecker erhielt so einen Devisensonderfonds. Der bekannte Rechtsanwalt Vogel agierte als Anlaufstelle und Unterhändler.

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So deutlich die innerdeutsche Entspannung in den achtziger Jahren auch war, die Beziehungen waren dennoch alles andere als freundlich.

Doch dies reichte schon aus, um im Westen wie im Osten Befürchtungen hervorzurufen.

Der Verdacht, die Deutschen wollten eine Annäherung auf Kosten der Westintegra-tion, war besonders in Frankreich virulent.

Diskrepanzen im westlichen Bündnis über Sicherheitsfragen, insbesondere die eurostrategischen Mittelstreckenwaffen, trugen dazu bei. Bonn sah sich dem Verdacht ausgesetzt, Deutschland versuche bereits wieder einen neuen Sonderweg.

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Ein Anlass für die Sonderwegbefürchtungen war die Mitte der achtziger Jahre aufkeimende neue Debatte über die deutsche Mittellage. Die Renaissance des Begriffs Mitteleuropa war über die gemeinsamen deutschen Sicherheitsinteressen, nicht zum alleinigen Schlachtfeld eines Krieges zwischen Ost und West zu werden, hervorgerufen worden.

Begriffe wie "Verantwortungsgemeinschaft" und "Koalition der Vernunft", letzterer war von Erich Honecker ins Spiel gebracht worden, betonten die gemeinsame Sonderverantwortung für den Erhalt einer friedlichen europäischen Ordnung. Die beiden deutschen Staaten wollten ihr bilaterales Verhältnis zunehmend selbst in die Hand nehmen und sich nicht von politischen Ausschlägen in den Politiken der Supermächte dirigieren lassen.

Konkreter Anlass dafür war die Aufstellung neuer Kurzstreckennuklearwaffen in der Bundesrepublik und die sowjetische Ankündigung, vergleichbares in der DDR zu unternehmen. Das wachsende Selbstbewusstsein beider deutscher Staaten innerhalb ihrer jeweiligen Bündnisse mag im nachhinein als Wiedervereinigungstrend erscheinen, im Bewusstsein der handelnden Akteure war es dies jedoch nicht.

Die Ereignisse am Ende des Jahres 1989 kamen überraschend und ohne Schubladenpläne in West und Ost.