1989 Oliver Kloss - Diskussionsbeitrag zum Wehrdienstproblem

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    ISKUSSIONSBEITRAG ZUM

    W

    EHRDIENSTPROBLEM

    Erweiterte Fassung des Vortrages, gehalten am 1. April 1989 in der

    Samariter-Gemeinde zu Berlin vor dem DDR-weiten Arbeits- undKoordinierungskreis zum Wehrdienstproblem von Frieden konkret

    In: FORUM FR K I RCHE UND MENSCHENRECHTE . Nr. 2 / 1989Herausgegeben von der Arbeitsgruppe Menschenrechte derLukaskirchgemeinde Leipzig-Volkmarsdorf in Zusammenarbeit mit demArbeitskreis Gerechtigkeit Leipzig, Samisdat, S. 4 14.

    OL IVER KLOSS

    Dresden / LeipzigJuli 1989

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    Forum fr Kirche und Menschenrechte. Nr. 2 (1989) Oliver Kloss: Diskussionsbeitrag zum Wehrdienstproblem DDR 1989

    D

    ISKUSSIONSBEITRAG ZUM

    W

    EHRDIENSTPROBLEM

    Erweiterte Fassung des Vortrages, gehalten am 1. April 1989 in der

    Samariter-Gemeinde zu Berlin vor dem DDR-weiten Arbeits- undKoordinierungskreis zum Wehrdienstproblem von Frieden konkret

    OL IVER KLOSS Dresden / LeipzigJuli 1989

    In:FORUM FR K I RCHE UND MENSCHENRECHTE . Nr. 2 / 1989

    Herausgegeben von der Arbeitsgruppe Menschenrechte der

    Lukaskirchgemeinde Leipzig-Volkmarsdorf in Zusammenarbeit mit dem

    Arbeitskreis Gerechtigkeit Leipzig, Samisdat, S. 4 14.[Seitenzahlen in eckiger Klammer rechts eingefgt.]

    Erstverffentlichung des Textes in der August-Beilage zum Bekenntnis.

    Inhalt

    I. Weg und Ziel 4

    II. Situationsanalyse 4

    1. Gruppe 4

    2. Staat und Gesellschaft 5

    3. Politik und konomie 54. Industriegesellschaft 5

    5. Gewaltapparate 7

    6. Militr 8

    7. Staatsideologie 8

    III. Prognosen 9

    1. Angelegenheit weiterhin auf sich beruhen lassen 9

    2. Wehrersatzdienst im Sinne eines Arbeitsdienstes 9

    3. Wehrersatzdienst mit Gewissensprfung 10

    4. Wehrersatzdienst im Gesundheits- und Sozialwesen 10

    5. Rckkehr zur Praxis der Verurteilung 10

    IV. Minimalkonsens das Ziel betreffend: 10

    Abschaffung jeglicher Zwangsdienste 11

    V. Minimalkonsens den Weg beginnend: 11

    1. Ausgliederung des Wehrersatzdienstes aus militrischen Strukturen 13

    2. Einsatz ausschlielich im Gesundheits- und Sozialwesen 13

    3. Keine Gewissensprfung 13

    Verwendete Literatur / Abkrzungen 14

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    I . Weg und Ziel

    Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg;

    was wir Weg nennen, ist Zgern.

    Franz Kafka

    Dieses Zitat gibt den Eindruck wieder, welchen ich in den Diskussionen

    vergangener Treffen gewann. Zum absolut gedachten Ziel fhrt kein Weg; der

    absolute Weg negiert ein Ziel, welches sein Ende wre. Stete Selbstklrung der

    Gruppe, anhaltende Diskussionen ber Weg und Ziel, andauerndes Abwgen

    verschiedener Utopien, dies lhmt ffentlichkeitsarbeit. Es breitet sich Freude aus

    ber die Vielfalt der hier geuerten Meinungen und Phantasiefhigkeit wird

    geschtzt Willens- und Geisteskraft verliert sich dann ins Sehnen oder ergeht

    sich in Diskussionen, in welchen Argumente aufeinandertreffen, die oftmals sehr

    unterschiedlichen Anspruchsniveaus entstammen, was der Diskussion

    Emotionalitt und Endlosigkeit, zumindest aber Unergiebigkeit verspricht. Die

    Utopien sollten meiner Meinung nach nicht hher steigen als die Situationsanalyse

    Tiefe gewonnen hat. Zwar vermag eine schne Utopie die Innerlichkeit zu

    bereichern und durchaus Kriterien zur Kritik der Wirklichkeit zu liefern, doch

    verspricht diese Vorgehensweise einer Gruppe, die den Anspruch verndernder

    Wirkung ber sich selbst hinaus vertritt, methodisch keine Effektivitt. Damit

    mchte ich mich keineswegs gegen Grundsatzdiskussionen als solche aussprechen,doch sollte das Theoretisieren gegenstandsbezogener verlaufen. Es gilt, einen

    Minimalkonsensus zu finden, der zwar der Meinungen Vielfalt nicht unbedingt

    schmlern, sie jedoch relativieren mu, damit Formulierung eines gemeinsamen

    Zieles und eines Weges Erarbeitung ermglicht werden.

    I I . Situationsanalyse

    So fest wie die Hand den Stein hlt.Sie hlt ihn aber fest, nur um ihn desto

    weiter zu verwerfen. Aber auch in jene

    Weite fhrt der Weg.

    Franz Kafka

    Es gilt zuerst die gegebenen Verhltnisse in der DDR zu erfassen, zu begreifen

    und geistig zu durchdringen. Fr eine umfassende Gesellschaftskritik ist hier nicht

    der Platz. Ich unternehme nur den Versuch, einige Aspekte problembezogen

    zusammenzustellen ohne Anspruch auf Vollstndigkeit.

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    1. Gruppe

    Wir hier versammelten Vertreter der Gruppen drfen nicht vergessen, da wir

    eine Minderheit reprsentieren inmitten einer Gesellschaft, in welcher die Mehrheit

    der einzelnen eine Grundangst versprt, sofern es um nonkonformes Handeln

    gegenber den Erwartungen der Staatsmacht geht.

    [Seite 5:]

    2. Staat und Gesellschaft

    Eine Marx zufolge fundamentale Voraussetzung der sozialistisch/

    kommunistischen Gesellschaft wurde nicht geschaffen: Der Staat wurde nicht in

    die Gesellschaft zurckgenommen.

    Vielmehr hat sich der Partei- und Staatsapparat alle gesellschaftlichen

    Funktionen angeeignet; die Gesellschaft ist ihm gegenber atomisiert. Der

    Monopolisierung der Verantwortung durch den Apparat entsprechen subalterne

    Individuen (Rudolf Bahro) in der Gesellschaft. Der Apparat beansprucht die

    Verfgungsgewalt ber die Gesellschaft und unterdrckt eigenstndige

    Aktivitten, die aus der Gesellschaft kommen, da er in ihnen eine Schwchung

    seiner Verfgungsgewalt erkennt. Mangels Artikulations-, Informations- und

    Organisationsmglichkeiten wird die Gesellschaft immobil.

    3. Politik und konomie

    Die kapitalistische Gesellschaft ist charakterisiert durch den konomischen

    Mechanismus der Vergesellschaftung; sie tendiert zur Einbeziehung anderer

    Gesellschaften in ihren Verwertungsbereich.

    Spaltet sich die politische von der konomischen Autoritt ab (Voraussetzung

    fr die Erweiterung politischer und ziviler Rechte), so bleibt der konomischeZwang erhalten. In der Marktwirtschaft ist der Produzent von Arbeitslosigkeit

    bedroht, was ihn diszipliniert und an den Arbeitsplatz bindet. Die Produktion von

    Nachfrage (Werbung, Marketing) frdert die konomische Abhngigkeit des

    Menschen.

    Im Staatssozialismus sind konomie und Politik inhaltlich miteinander vermischt.

    Er basiert auf der inneren direkt-politischen Zwangsvergesellschaftung. Partei- und

    Staatsapparat sind Instanz dieser Vergesellschaftungsform. Das Verhltnis von

    Politik und konomie ist von der Dominanz der politischen Sphre bestimmt. Die

    Ausbeutung im Staatssozialismus ist ein politisches Phnomen (Rudolf Bahro).

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    Indem das Recht auf Arbeit garantiert werden mu, um die Behauptung

    aufrechterhalten zu knnen, die Produzenten seien Eigentmer und Besitzer der

    Produktionsmittel, ergibt sich fr die Herrschenden die Notwendigkeit des

    Einsatzes auerkonomischen Zwanges (R. Henrich: Gesellschaft wird in

    Abgeschlossenheit gehalten und somit des einzelnen Gefesseltsein an den

    Boden und die Maschinerie als Zubehrerzeugt).

    Die Ziele des Wirtschaftens werden vom herrschenden Apparat bestimmt und

    der Proze ihrer Realisierung vom ihm kontrolliert, mithin verfgt der Apparat ber

    das Mehrprodukt, bestimmt seine Hhe und seine Verwendung. Mit der

    Verfgung ber den Teilbereich Wirtschaft und damit ber die Inhalte und die

    Form der Produktion wie der Bedrfnisse verbindet sich automatisch die

    Beherrschung der Gesellschaft als ganzer und ihrer weiteren Entwicklung (z. B.

    Wachstum des militrischen Bereichs, des Bildungsbereichs und damit die

    Verteilung von Lebenschancen). (Renate Damus [2], S. 517) Damit mu die

    Rentabilitt der Wirtschaft der Produktion von Mitteln zur Machterhaltung und -

    stabilisierung nachgeordnet werden.

    4. Industriegesellschaft

    Das Zivilisationsmodell der kapitalistischen Industriegesellschaft ist dasselbe wie

    das der staatssozialistischen Industriegesellschaft, insofern es in beiden umerweiterte Produktion und damit um Wachstum als

    [Seite 6:]

    solches und um Rentabilitt als solche geht. Der Wachstumsfetischismus wird

    allerdings im Staatssozialismus spezifisch gebrochen: Aus der Funktion des Staates,

    aus der Monopolisierung der Verantwortung im Apparat, ergibt sich die

    strukturelle Dominanz der Produktion von Produktionsmitteln (materielle Mittel,

    die dem Apparat zur direkten Verfgung stehen) und die Frderung des Anteils

    der Akkumulation am Nationaleinkommen zu Lasten der Konsumtion. Damitwachsen die materiellen Grundlagen der Herrschaft des Partei- und

    Staatsapparates und zugleich er selbst.

    Das Industriegesellschaftssystem fhrt bereits als solches zur Verminderung der

    Selbstbestimmung gesellschaftlicher Gruppen, frdert die Zentralmchte, ruft

    immer grere Formen von Organisation in allen Lebensbereichen hervor und

    frdert somit Brokratie, Routineverhalten, Sicherheitsbedrfnis, Angleichung,

    Anpassung, Normierung und formal-quantitatives Denken. Die staatssozialistische

    Form der Vergesellschaftung frdert diesen Proze eigenstndig, sie konstituiert

    die politische Zentralmacht als Vergesellschaftungsinstanz bzw. umgekehrt (z. B.

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    Steigerung der Arbeitsproduktivitt fhrt nicht zur Arbeitszeitverkrzung, sondern

    zur Herstellung von noch mehr Produktion, was der Macht der Instanzen dient, die

    ber das Mehrprodukt und damit ber die Gesellschaft verfgen).

    Stellt man Wachstum als solches und Technik, wie sie sich bisher entwickelt

    hat, nicht in Frage, dann auch nicht die im Kapitalismus ausgebildeten sozialen

    (=asozialen), egoistischen, konkurrierenden, privat-materiell ausgerichteten

    Verhaltensweisen.

    Der Reale Sozialismus zeichnet sich lediglich durch eine andere, die direkte

    Form der Durchsetzung desselben Zivilisationsmodells und damit zustzlich durch

    die Negation brgerlicher Freiheitsrechte aus. (Renate Damus [2], S. 520)

    Ein Mehr an staatlicher Herrschaft und die Enteignung der Gesellschaft sind die

    Folgen. Solange Wachstum auf extensiven Faktoren beruht und extensiv vollzogen

    wird, kann das Zentralverwaltungssystem die konomie forcieren. Ab einer

    bestimmten Entwicklungsstufe geraten die Erfordernisse, die sich aus dem

    Industriegesellschaftssystem ergeben, in zunehmenden Konflikt. Der vorher latent

    vorhandene Konflikt schlgt sich von dem Zeitpunkt an konomisch unbersehbar

    nieder, ab dem Wachstum ber intensive Faktoren bewirkt werden mu. Eine

    zentrale Zwangswirtschaft stt hier an die Grenzen ihrer Mglichkeiten, da sie

    intensives wachstumsfrderndes Verhalten kaum von oben dekretieren kann. Sie

    kann dazu entsprechend dem Zivilisationsmodell nur privat-materiell anreizen. []

    Da sich im Konflikt zwischen den politischen Erfordernissen der Macht- undSystemreproduktion einerseits und den konomischen Erfordernissen der

    Systemerhaltung andererseits gem der Form der Vergesellschaftung die

    politischen Erfordernisse durchsetzen, wird versucht, den konomischen

    Erfordernissen ber Auenbeziehungen Rechnung zu tragen. Die Auenwirtschaft

    mu ein Teil der Systemdefizite mehr schlecht als recht kompensieren. (Renate

    Damus [2], S. 520)

    Der Apparat hat selbst die Tendenz zu Wachstum und Verschwendung, da jeder

    Teilapparat versucht, sein Wachstum im Plan zu sichern, dabei aber berhhteForderungen stellt in der Befrchtung, da ohnehin nicht alles bewilligt werden

    kann.

    Da Wachstum nicht durch Nachfrage, sondern durch die zur Verfgung

    stehenden Mittel (Ressourcen) bestimmt wird, werden Bereiche der

    Produktionsmittelproduktion bevorzugt zuungunsten der

    Konsumtionsmittelproduktion. Eine solche Wirtschaft ist [] auf Auenwirtschaft

    angewiesen aufgrund der Unausgewogenheit

    [Seite 7:]

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    zwischen Produktion und Konsumtion, zwischen den einzelnen Branchen,

    aufgrund der gleichzeitigen Produktion von Mangel und Verschwendung,

    aufgrund des Strebens nach Maximierung der dem Apparat zur Verfgung

    stehenden materiellen Mittel und der damit verbundenen Knappheit und

    mangelnden Qualitt bestimmter Gter (Rohstoffe, hochwertige Gter,

    Konsummittel als Feuerlscher gegen materielle Unzufriedenheit, so sie politisch

    gefhrlich werden knnte). (Renate Damus [2], S. 521)

    Die Kehrseite der an die Produzenten gerichteten propagandistischen Formel

    Streike nicht, es geht dir sonst materiell schlechter! heit: Erhhung der

    Arbeitsproduktivitt ist Erhhung des Lebensniveaus. Letztlich mu aber fr die

    Arbeitsproduktivittssteigerung ein privat-materieller Anreiz vorhanden sein ohne

    Kder keine Leistung. Wachstum des Mehrproduktes frdert Wachstum der Mittel,

    die dem Machtapparat direkt zur Verfgung stehen zuungunsten der

    Konsumtionsmittel. Der privat-materielle Produktionsanreiz verliert jedoch seine

    Wirkung, entspricht ihm das Warenangebot nicht. Es kommt zu materieller

    Unzufriedenheit. Damit diese nicht politisch gefhrlich wird und nicht zu

    Produktionsunlust fhrt, mu der Apparat auch Manahmen im

    Konsumtionsbereich durchsetzen, Kompensation der Defizite durch die

    Auenwirtschaft (z. B. Delikat-Geschfte) und eine heimliche Preissteigerung sind

    die Folgen.

    5. Gewaltapparate

    Im System direkt-politischer Herrschaft spielen sie die zentrale Rolle schlechthin,

    da die Gesellschaft durch den Partei- und Staatsapparat zusammengehalten wird,

    wodurch das Bewutsein von Herrschaft vorhanden ist, welches seinerseits die

    Anwendung direkten Zwanges zustzlich frdert, so auch die Aufblhung

    traditioneller Machtapparate (Polizei, Justiz, Geheimdienst, Militr).

    Gesellschaft, Wirtschaft, Partei und Staat weisen berall hierarchisch-direkteBefehlsstrukturen vom immergleichen Zentrum her auf und knnen insofern als

    militarisiert bezeichnet werden.

    Das Aufblhen der Machtapparate steigert die strukturelle Gewalt und die

    Verschwendung von Mitteln, die dem Konsumbereich entzogen werden. Das

    Wissen der Staatspartei um die Lge ihrer Propaganda, die Bevlkerung befnde

    sich zu ihr in uneingeschrnkter Zustimmung, wird am deutlichsten in ihrem

    Sicherheitsbedrfnis offenbar, welches sich in den Sicherheitsorganen und deren

    Umfang (u. a. ca. 17.000 Geheimpolizisten Rolf Henrich, S. 188)

    vergegenstndlicht.

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    Mit der Dominanz der Geheimpolizei im Sozialismus erfhrt der Antagonismus

    Staat-Gesellschaft / Staat-Individuum seine historisch letzte Zuspitzung. Mehr ist

    nicht mglich. [] Obwohl das hypertrophierte Gewaltpotential im

    Staatssozialismus stndig Gegengewalt (Widerstandsdelikte u. .) hervorruft, ist

    seine alltgliche Funktion keinesfalls die Vollstreckung polizeilicher Gewalt. Es geht

    um die Verbreitung einer diffusen Atmosphre der Ohnmacht und der Angst bei

    den Menschen. [] Die den Menschen in ihrer Kindheit vermittelten Ohnmachts-

    und Hilflosigkeitsgefhle werden in derartigen Verhltnissen stndig neu

    angeheizt. Die erweitert reproduzierte Gesamtlast der Angst in der Gesellschaft

    wiederum ruft massenhaft das Bedrfnis nach Angst-Abwehr hervor. Damit

    wchst empirisch die Bereitschaft vieler Menschen, diesem Bedrfnis durch

    Teilhabe an der Ausbung statt dem Erleiden von Gewalt und Unterdrckung zu

    entsprechen. (Rolf Henrich, S. 189 / 191 f.)

    [Seite 8:]

    Nach Max Weber definiert sich die politische Gemeinschaft Staat durch ein

    Monopol legitimer Gewaltsamkeit und nur durch dieses Monopol der

    Bereitschaft zu physischer Gewalt (Max Weber, 1980, S. 514 f.). Es bieten sich

    verschiedene Zwecke an, durch die Staat auch definierbar wre, aber es gibt

    keinen Zweck, den alle Staaten befolgen. Somit ist eine Definition nur durch

    Angabe eines spezifischen Mittels mglich: die Gewaltsamkeit (Max Weber, 1980,

    S. 29 f.).Je mehr ein Staat in die Gesellschaft zurckgenommen wird, um so geringer

    wird seine Bereitschaft zu physischer Gewalt. Ein Staat, der die Verfgungsgewalt

    ber die ganze Gesellschaft beansprucht, ist auch jeder Gewaltsamkeit fhig. Ihm

    sollte nicht mit Gewalt aus der Bevlkerung begegnet werden, erschiene doch

    seine Reaktion dann legitimiert, fnde er doch schnell eine ideologische

    Rechtfertigung.

    Gewaltfreier Widerstand des Individuums, seine Verweigerung, Komplize der

    Machthaber zu werden dies scheint ein Weg zu sein.

    6. Militr

    Unter den Gewaltapparaten nimmt das Militr eine besondere Stellung ein,

    insofern die Gesetzgebung eine Mitwirkung in ihm von jedem

    Wehrdiensttauglichen mit Strafandrohung fordert.

    Die Geschichte des Militrs im Ostblock zeigt, da die konventionellen Truppen

    vornehmlich in ihm gegen Bewegungen gesellschaftlicher Vernderung eingesetzt

    wurden. Die Befrwortung des chinesischen Regimes in seiner Darstellung des

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    Massakers gegen die Bevlkerung in Peking durch die SED darf wohl als Drohung

    aufgefat werden, da auch die Staatsmacht der DDR sich des Militrs zu

    bedienen wte, kme es hier zu einer breiten demokratischen Bewegung.

    Der Dienst im Militr (im weiteren Sinne umfat dieser Begriff auch

    paramilitrische Einheiten, z. B. Kampfgruppen) ist innenpolitisch bedeutsam, ist er

    doch die Schule zur Untertnigkeit par excellence fr jeden einzelnen in ihm.

    7. Staatsideologie

    Das Tier entwendet dem Herrn die

    Peitsche und peitscht sich selbst, um

    Herr zu werden, und wei nicht, da

    das nur eine Phantasie ist, erzeugt

    durch einen neuen Knoten im

    Peitschenriemen des Herrn.

    Franz Kafka

    Was in der konomischen Vergesellschaftungsform des Kapitalismus die

    Werbung als Produktion von Nachfrage ist, welche den einzelnen in strkere

    konomische Abhngigkeit fhren soll, das ist in der direkt-politischen

    Vergesellschaftungsform des Staatssozialismus die Propaganda als Produktion vonFunktionren, von politischer Zustimmung, welche den einzelnen in strkere

    politische Abhngigkeit fhren soll.

    Bildungssystem und Propaganda der Medien mhen sich darum, dem Brger

    seine Unmndigkeit gegenber dem Staat mindestens zur Selbstverstndlichkeit

    werden zu lassen.

    Betrachtet man eine Ideologie funktional im psychologischen und

    soziologischen Sinne, kann gesagt werden: Ideologie entlastet und stabilisiert

    menschliches Verhalten, sie kommt dem Bedrfnis nach Kontinuitt, Orientierungund Sicherheit in der Welt entgegen (R. V. Burks); sie verringert die Komplexitt

    der Mglichkeiten menschlichen Verhaltens und Handelns (N. Luhmann).

    Der Begriff der Staatsideologiebezeichnet eine Ideologie,

    [Seite 9:]

    welche die Komplexitt der Mglichkeiten menschlichen Handelns und Denkens

    dahingehend einzuschrnken sucht, da ein Bewutsein des Beherrschtwerdens

    und Unterdrcktseins nicht aufkommt bzw. erlischt. Die Staatsideologie kommt

    dem Bedrfnis nach Sicherheit vor den staatlichen Gewaltapparaten entgegen. (Sie

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    ist gleichsam die Phantasie des sich peitschenden Tieres, Herr zu sein. Siehe oben

    Kafka-Zitat!)

    Wird unbegriffene Zustimmung zum oder gar Identifikation mit dem Willen der

    Herrschenden erreicht, sprt der Mensch den Zwang nicht mehr: Parteilichkeit im

    Denken erwchst aus berzeugung.

    Insofern die Ausbeutung im Staatssozialismus ein politisches Phnomen

    (Rudolf Bahro) ist, kann man schematisch von zwei Klassen sprechen: die Klasse

    derer, die sich auf die Seite der Machthaber gestellt wissen und die Klasse jener,

    die sich nicht den Ansprchen des Staates an sie unterwirft. Praktisch kann sich

    kaum einer des Mibrauchs seiner Person durch den Staat entziehen.

    Diese Punkte, die sicher recht willkrlich getrennt wirken, mgen gengen fr

    die nachfolgenden Errterungen.

    I I I . Prognosen

    Seit 1986 ist kein Wehrdienstverweigerer mehr verurteilt worden, jedoch

    besteht weiterhin die Mglichkeit der Verurteilung, sobald einem

    Wehrdienstverweigerer der Einberufungsbefehl zugestellt wird und er diesem nicht

    Folge leistet. Welche Mglichkeiten des Reagierens auf diese ungeklrteRechtslage sind von der Politbrokratie zu erwarten?

    1. Sie knnte die Angelegenheit weiterhin auf sich beruhen lassen,

    wohlwissend, da sich die Zahl der Wehrdienstverweigerer in absehbarer Zeit nicht

    wesentlich erhhen wird.

    - Das Menschenrecht auf Wehrdienstverweigerung wird so praktisch nicht

    verletzt, doch rechtlich nicht gewhrt, somit Popularitt der Verweigerung

    verhindert.- Die Information, da seit 1986 kein Verweigerer mehr verurteilt wurde,

    kann nur innerkirchlich Verbreitung finden und wird in der weiteren

    ffentlichkeit kaum geglaubt, auch kann sie schwerlich zu Nachahmung

    verleiten, da Bestrafung der Verweigerung weiterhin angedroht bleibt.

    - Die Politbrokratie kann auf die von ihr bei der Mehrheit der einzelnen

    erzeugte Angst setzen, welche die Fhigkeit vieler zu nonkonformem

    Handeln weitgehend einschrnkt.

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    - Jugendliche sind mehr denn ltere zum Wohlverhalten gentigt, sofern sie

    die Verwirklichung eigener Ziele (Qualifikation, Studium usw.) strker

    abhngig vom Staate sind.

    - Es kann sein, da der Parteiapparat derzeitig vordringlich innere Probleme

    (Gesundschrumpfungsproze) der Machtstabilisierung hat.

    2. Einfhrung eines Wehrersatzdienstes im Sinne eines Arbeitsdienstes

    - Dies entsprche einer Arbeitsauffassung, die vorrangig auf den

    auerkonomischen Zwang setzt (Rolf Henrich) und dem Anspruch des

    Partei- und Staatsapparates auf Verfgungsgewalt ber die Gesellschaft.

    - Arbeitssoldaten sind verfgbar, um Unausgewogenheiten innerhalb der

    Wirtschaft auszugleichen bei geringeren Lhnen.

    -Gewhrung dieser Art von Ersatzdienst wrde das Problem der

    Verweigerung nicht lsen, doch knnte dann propagandistisch wieder das

    Gemeinwohl strapaziert werden. Die Arbeitsdienstverweigerung bekme

    den Hauch von Asozialitt verliehen und ihre Bestrafung erschiene

    legitimiert.

    [Seite 10:]

    3. Einfhrung eines Wehrersatzdienstes mit Gewissensprfung

    - Auch dies entsprche dem Anspruch des Apparates auf Verfgungsgewalt

    ber den einzelnen.- Macht knnte sich in einer Gewissensprfung wieder als Steuerungsmittel

    der Gesellschaft erweisen, denn ihr Ergebnis oblge ohnehin den

    Machthabern: das Quantum der Ersatzdienstleistenden wre bestimmbar.

    4. Einfhrung eines Wehrersatzdienstes im Gesundheits- und Sozialwesen

    - Angesichts desolaten Zustandes im Gesundheits- und Sozialwesen und der

    erklrten Bereitschaft vieler Wehrdienstverweigerer zu einem Dienst in

    diesem Bereich, knnte die Politbrokratie das Angebot nutzen und so dasPersonaldefizit in diesem Bereich verringern bei Aufwand geringer Mittel.

    - Es knnte eine Furcht der Politbrokratie bestehen, da bei Gewhrung

    dieser Mglichkeit sich viele Jugendliche auf diesem Wege der direkten

    hierarchischen Zwangsherrschaft des Gewaltapparates entziehen knnten,

    die unter bestehenden Verhltnissen nicht einmal den Weg des Bausoldaten

    gewhlt htten.

    - Fr die Einfhrung eines solchen Dienstes sprche noch, da der

    Politbrokratie daran gelegen sein mte, das Land wenigstens

    verteidigungswrdig in den Augen derer erscheinen zu lassen, die zum

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    Wehrdienst motiviert werden sollen. Sie kann aber auch weiterhin auf die

    von ihr erzeugte Angst in den einzelnen setzen, die Folgsamkeit erzeugt.

    - Es bleibt fragwrdig, ob der konomistisch ausgerichteten Politbrokratie so

    viel am Gesundheits- und Sozialwesen gelegen ist, ob ihr das dort

    bestehende Personaldefizit nicht gnstig erscheint, verheit es doch

    Einsparung von Mitteln in diesem Bereich bei verstrkter Ausnutzung der

    dort Beschftigten.

    5. Rckkehr zur Praxis der Verurteilung

    - Dagegen sprche nur das ausgeprgte Bedrfnis des Staates nach uerer

    Anerkennung, doch dieses ist der Machtstabilisierung nachgeordnet und

    kann innenpolitischen Machtansprchen schnell geopfert werden, so diese

    bedroht geglaubt werden.

    Wird nicht zur Praxis der Verurteilung zurckgekehrt, so kommt der

    Situationsanalyse entsprechend den Punkten 2 und 3 die hchste

    Wahrscheinlichkeit zu. Wir sollten uns daher deutlich dagegen aussprechen.

    IV. Minimalkonsens das Ziel betreffend

    Das Negative zu tun, ist uns noch

    auferlegt; das Positive ist uns schon

    gegeben.

    Franz Kafka

    Da unsere Problemstellung den Wehrdienst betrifft, mu unser Ziel dieses

    Problemes Lsung sein. Dieses Ziel ist zeitlich ein Noch-nicht und rumlich einNirgend-wo (Utopia) in bestehenden DDR-Verhltnissen. Da das Ziel ein Nichts im

    Bestehenden ist, so entspricht ihm eine negative Beschreibung sicher am besten,

    auch erweist sich diese methodisch als leichter erreichbar denn die positive, soll sie

    unterschiedlicher Auffassungen und Meinungen Konsens sein.

    [Seite 11:]

    Der Wehrdienst ist wesentlich ein Zwangsdienst unter direkt-hierarchischer

    Herrschaftsform im Gewaltapparat der Staatsmacht. In ihm wird dem Menschen

    die Verantwortung fr sein eigenes Handeln entzogen, seine Freiheit als Person

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    Forum fr Kirche und Menschenrechte. Nr. 2 (1989) Oliver Kloss: Diskussionsbeitrag zum Wehrdienstproblem DDR 1989

    wird negiert, er wird depersonalisiert zum Funktionr, zum Mittel der Zwecke jener

    ber ihm waltenden Machthaber.

    Ich schlage folgende Zielformulierung vor, von der ich annehme, da sie in der

    Gruppe Akzeptanz finden knnte:

    Abschaffung jeglichen Zwangsdienstes.

    Diese Formulierung bezeichnet eine Freiheit von und lt die Freiheit zu

    offen, ist also formales Negat und gibt nicht an, worauf sich gewonnene Freiheit

    richten mu, wenn das Ziel erreicht ist. Sie verheit aber ein erweitertes

    Mglichkeitsspektrum der Freiheit zu.

    Alle Modellkonzepte zur Wehrdienstproblematik fordern mindestens eine

    Alternative zur bestehenden Regelung, somit des Zwanges Minderung auf die

    Entscheidungsfindung und Erweiterung des Feldes der Wahlfreiheit des Handelns.

    V. Minimalkonsens den Weg beginnend

    Alle menschlichen Fehler sind

    Ungeduld, ein vorzeitiges Abbrechen

    des Methodischen, ein scheinbares

    Einpfhlen der scheinbaren Sache.

    Franz Kafka

    Der Weg zum Ziel mu aus den gegebenen Verhltnissen herausfhren. Demrelativen Weg entspricht eine Aufteilung in Schritte, die auf ein Ziel gerichtet sind.

    Diskussionspartner mit unterschiedlichen Anspruchsniveaus knnen sich schwer

    verstndigen, noch schwerer einigen: im Diskurs werden Argumente vorgebracht,

    die mitunter nur versachlichte Emotionen sind.

    Die Einigung auf ein gemeinsames Anspruchsniveau als Schritt, der auf dem

    Weg zum Ziel zu erreichen ist, verhlfe zu besserer Verstndigung und

    Zusammenarbeit. Im Folgenden versuche ich die verschiedenen Modellkonzepte

    nach Anspruchsniveaus zwischen dem Gegebenen und dem Ziele zu ordnen:

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    ZI EL = Abschaffung jeglicher Zwangsdienste

    -------------------- ZIED k)ein Schritt zur Entmilitarisierung

    - Abschaffung des Wehrdienstes

    - Ablehnung des zivilen Ersatzdienstes

    - Diskussion wird auf Gestaltung eines freiwilligen

    Friedensdienstes gelenkt

    -------------------- Thesenpapier zum SOFD Gesprchskreis Weimar

    - Forderung eines Alternativdienstes zum Wehrdienst

    ausschlielich im Gesundheitsbereich und

    Sozialwesen und im Umweltschutz

    - freie Wahl des Ortes

    - Entscheidung zum SOFD kann auch whrend des

    Wehrdienstes erfolgen

    -------------------- Vorschlag zur

    Einfhrung eines sozialen Wehrersatzdienstes

    - Einsatz ausschlielich im Gesundheits- und

    Sozialwesen- Entscheidung auerhalb des Wehrdienstes

    -------------------- DZB Vorschlag der Berliner Freunde

    - andere Ministerien sind ber Modalitten dieses

    Dienstes im zivilen Bereich dem

    Verteidigungsministerium rechenschaftspflichtig

    GEGEBENHE ITEN

    [Seite 12:]Der DZB-Vorschlag hebt sich wenig von der bestehenden Regelung ab und

    kommt den militrischen Strukturen entgegen. Es lohnt nicht, ihn weiter zu

    diskutieren, da er ohnehin keine Anhnger mehr hat.

    Das Thesenpapier zum SOFD mchte ich in vier Punkten kritisieren:

    - Die Forderung nach Einsatz im Umweltschutz scheint verstndlich, doch wie

    soll sie realisierbar sein, wenn fr den Umweltschutz kein eigenstndiges

    Ministerium existiert? Diese Forderung rckt in die Nhe jener nach einem

    Arbeitsdienst.

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    Forum fr Kirche und Menschenrechte. Nr. 2 (1989) Oliver Kloss: Diskussionsbeitrag zum Wehrdienstproblem DDR 1989

    - Mit der freien Wahl des Ortes wird ein Privileg gegenber den

    Wehrdienstleistenden gefordert. Hier sollten wir uns auf die Forderung nach

    Mitbestimmung bei der Wahl des Ortes beschrnken.

    - Der SOFD-Leistende soll keinen Einschrnkungen im Reiseverkehr

    unterliegen! Ein Privileg gegenber der Mehrheit der Bevlkerung der DDR

    wird verlangt.

    - Die Entscheidung zum Wehrersatzdienst soll auch whrend des

    Wehrdienstes ermglicht werden. Diese Forderung ignoriert die

    Organisationsstruktur des Militrs schlechthin. Wie soll im Militr Druck auf

    die Wehrdienstleistenden ausgebt werden, wenn stets ein Ventil offen

    steht, wodurch sich der Bedrckte dem Zwang entziehen kann. Das Militr

    mte praktisch seine innere Organisationsstruktur und so auch sich selbst

    aufgeben, ginge es auf diesen Vorschlag ein.

    Das ZIED-Papier spricht offen aus, da es letztlich um Abschaffung des

    Wehrdienstes geht, lehnt jedoch auch die Forderung nach einem Wehrersatzdienst

    ab, verwirft sie auch als Schritt auf dem Wege zu diesem Ziel.

    Die Hinlenkung der Diskussion auf Gestaltung eines freiwilligen Friedensdienstes

    verstehe ich lediglich als Ablenkung von dem anstehenden Problem der

    Abschaffung des bestehenden Wehrdienstes.

    Sein Leben als einen Dienst fr den Frieden zu gestalten, die Aufgabe mag demIndividuum anheimgestellt sein. Hier in dieser Gruppe ist die Erfindung eines

    freiwilligen kollektiven Friedensdienstes nicht Notwendigkeit, solange wir noch

    unter der Not leiden, einem Zwangsdienst ausgeliefert zu sein. Zuerst mu diese

    Not ihre Wende finden. Der Leidensdruck, den die Wirklichkeit erzeugt, sollte

    gegen sie zu ihrer Vernderung gewendet und nicht anderweitig kompensiert

    werden.

    Das Papier enthlt einen interessanten Trugschlu. In Punkt 1 heit es: In allen

    Lebensbereichen vollzieht man eine ersetzende Handlung nur dann, wenn manden zu ersetzenden Gegenstand fr ersetzungswrdig wertschtzt. Einen Ersatz

    des Wehrdienstes zu wnschen bedeutet, damit Wehrdienst und die Mglichkeit

    militrischer Konfliktlsung anzuerkennen. Fr uns ist das Mitwirken an einer

    militrischen Konfliktlsung, auch an ihrer Ermglichung, ein Verbrechen.

    Niemand kommt auf die Idee, fr ein Verbrechen, das er nie zu begehen gedenkt,

    Ersatz zu leisten.

    Originelle Paralogik! In Abwandlung eines Nietzsche-Wortes mchte ich sagen:

    Wer nicht blind folgen will, der sollte folgern knnen!

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    Forum fr Kirche und Menschenrechte. Nr. 2 (1989) Oliver Kloss: Diskussionsbeitrag zum Wehrdienstproblem DDR 1989

    Der Argumentation Scheinwahrheit wird offenbar, fragt man sich einmal nach

    dem Begriff Ersatz. Ersetze ich ein X durch ein A, huldige ich dann in

    besonderer Weise dem X, da ich es fr ersetzungswrdig hielt?

    [Seite 13:]

    In der Argumentation wird der Eindruck erweckt, als sei die Ersatzwrdigkeit,

    die Austauschbarkeit, die Substitution, die einem Gegenstande zugesprochen

    wird, eine ganz besondere Wertschtzung dieses Gegenstandes. Ersatz heit aber

    lediglich, da an die Stelle dessen, was ersetzt wird, etwas anderes gesetzt wird.

    In diesem Sinne wrde formalisiert ausgedrckt statt X in unserem Falle

    Entweder X oder A gesetzt, kme es neben dem Wehrdienst zur Einfhrung

    eines Wehrersatzdienstes. Die ersetzende Handlung ist somit nicht die

    Verbesserung des vorher bestehenden Zustandes, sondern Abschaffung seiner

    Ausschlielichkeit.

    Das Postulat, da derjenige, der Ersatz des Wehrdienstes wnscht, die

    Mglichkeit militrischer Konfliktlsung anerkennt und den Wehrdienst auch, ist

    fr mich nicht einsehbar.

    Das Gefhrliche an der Argumentation ist vielleicht nicht so sehr die

    durchschaubare innere Unhaltbarkeit, sondern mehr noch die Abstraktion von der

    bestehenden Rechtslage und vom Zwangscharakter des Wehrdienstes. Es wird so

    getan als enthbe uns die banale Feststellung, da es sich bei der Ermglichung

    militrischer Konfliktlsungen um ein Verbrechen handelt, aller weiteren Probleme,als knne man nun getrost einen freiwilligen Friedensdienst erfinden.

    Die Logik der Argumentation: Wehrdienst ist ein Verbrechen. Wer kein

    Verbrechen begehen will, mu keinen Ersatz dafr fordern, es sei denn, er erkennt

    das Verbrechen an. Vorerst scheint dies schlssig. Zur Verdeutlichung ein

    Gedankenexperiment: Auch folgender Satz hat eine innere Logik. Ich kmpfe nicht

    fr die Pflicht, mich einmal schlagen zu mssen, als Ersatz fr Suicid, denn ich

    kenne keine Pflicht, mich umbringen zu mssen. Der Satz als solcher ist

    berzeugend. Ich mchte an ihm nur zeigen, da Handlungen unterverschiedenen situativen Bedingungen sich durchaus in ihrer ethischen Bedeutung

    wandeln knnen. Nehmen wir einmal an, es gbe eine durch mich momentan

    unabwendbare Macht, die nur die Alternative liee, da entweder ich mich

    umbringe oder da sie mich beseitigt. Gelnge es mir nun eine Ohrfeige

    auszuhandeln, so erreichte ich ein kleineres bel, was mir wohl nicht zu verbeln

    wre. Mich in der vorgestellten Zwangslage zu obigem Satz zu bekennen,

    erschiene recht unsinnig.

    In der Argumentation des ZIED-Papiers wird die Realitt gefhrlich verkrzt, es

    wird abstrahiert von der Bedrohung, mit der sich der einzelne angesichts der

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    Forum fr Kirche und Menschenrechte. Nr. 2 (1989) Oliver Kloss: Diskussionsbeitrag zum Wehrdienstproblem DDR 1989

    Wehrgesetzgebung konfrontiert sieht. Das Hauptmerkmal der Situation, die

    Zwangslage, wird nicht einmal bewut gemacht. Es wird verdrngt, da wir eine

    Minderheit sind und vertreten, die unter der Herrschaft eines Staates steht, dem

    sie sich nicht gnzlich auszuliefern gedenkt.

    Ich spreche mich fr das Papier Vorschlag zur Einrichtung eines sozialen

    Wehrersatzdienstes aus. Es scheint mir in Relation zur

    Vernderungsnotwendigkeit in seiner inneren Schlssigkeit ausgewogen. Um uns

    schon jetzt gegen eine mgliche Neuregelung (Siehe III. 2. Und 3.!) abzugrenzen,

    die nicht in unserem Sinne wre, sollten wir folgende Punkte besonders betonen:

    1. Ausgliederung des Wehrersatzdienstes aus militrischen Strukturen

    2.

    Einsatz ausschlielich im Gesundheits- und Sozialwesen

    3. Recht auf Wahrnehmung eines Wehrersatzdienstes darf nicht durch eine

    Gewissensprfung eingeschrnkt werden

    Diese drei Punkte implizieren weitere Punkte, die ausgefhrt werden im

    Vorschlag zur Einrichtung eines sozialen Wehrersatzdienstes. Diese drei Punkte

    knnten jenen Konsens darstellen, der an des Weges Beginn notwendig ist

    angesichts der Situationsanalyse und der aus ihr gewonnenen Prognose hchster

    Wahrscheinlichkeit.[Seite 14:]

    Die Einfhrung eines Wehrersatzdienstes dieser Art kann als erster Schritt

    gesehen werden auf dem Wege zur Abschaffung jeglicher Zwangsdienste.

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    Forum fr Kirche und Menschenrechte. Nr. 2 (1989) Oliver Kloss: Diskussionsbeitrag zum Wehrdienstproblem DDR 1989

    Verwendete Literatur

    Bahro, Rudolf: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus.

    Kln/ Frankfurt am Main, Europische Verlagsanstalt, 1979.

    Burks, Richard Voyles: A Conception of Ideology for Historians. In: J. Hist. Ideas, 10

    / 1949, p. 183189.

    Damus, Renate: [1] Systemvergleich: Kapitalismus Realer Sozialismus. BRDDDR.

    In: Christliches ABC. Heute und Morgen. Heft 1 / 1983.

    Damus, Renate: [2] Bestimmungsfaktoren sowjetischer Auenpolitk. In:

    LEVIATHAN. Zeitschrift fr Sozialwissenschaft. Jg. 11, Berlin,

    Heft 4 / 1983, S. 515536.

    Damus, Renate: [3] Kriegsrecht in Polen. Politik der Strke. Entspannungspolitik

    und Friedensbewegung. In: Fenchel, Reinhard / Pietsch, Anna-

    Jutta (Hrsg.): Polen 198082. Gesellschaft gegen den Staat.

    Hannover, SOAK-Verlag, 1982.

    Gorz, Andr: kologie und Freiheit. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, 1980.

    Henrich, Rolf: Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real

    existierenden Sozialismus. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt,

    1989.

    Kafka, Franz: Betrachtungen ber den wahren Weg. In: ders.: Das

    erzhlerische Werk. Hrsg. von Klaus Hermsdorf, Bd. I, Berlin,Rtten & Loening, 1. Auflage 1983, S. 374386.

    Luhmann, Niklas: Wahrheit und Ideologie. In: Der Staat 1, 1962, S. 431448

    oder in: Soziologische Aufklrung. Aufstze zur Theorie

    sozialer Systeme, Bd. 1, Kln/ Opladen, Westdeutscher

    Verlag, 1970, S. 54 ff.

    Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundri der verstehenden

    Soziologie. Tbingen, Mohr, 1980.

    Weber, Max: Der Sozialismus. In: Gesammelte Aufstze zur Soziologie undSozialpolitik. Tbingen, Mohr, 1924.

    Abkrzungen

    SoFd / SOFD Sozialer Friedensdienst (Begriff von Christoph Wonneberger)

    Dieser Text ist verffentlicht unter der Creative Commens BY-NC-ND-Lizenz.

    Wollen Sie den Text weitergehend nutzen,

    nehmen Sie bitte Kontakt mit dem Autor auf!

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    Abschrift )

    Frieden konkret + Frieden konkret + Frieden konkret + Frieden konkret +

    Vorschlag zur Einrichtung eines sozialen Wehrersatzdienstes

    Auf der Grundlage der verfassungsgem garantierten Glaubens- undGewissensfreiheit fordern wir aus christlicher Verantwortung fr die Schpfung. Ausder humanistischen Verpflichtung zur Ehrfurcht vor dem Leben und aus demAnspruch auf selbstverantwortbares Handeln die Einrichtung einer Alternative zurgegenwrtigen Praxis der Wehrpflicht.

    Die in der DDR bestehende Praxis der Wehrpflicht (Verfassung der DDR, Art. 23;Wehrdienstgesetz der DDR vom 25. 3. 1982, 3, Abs. 2) bzw. des Wehrdienstesohne Waffe (Bausoldaten) steht im Widerspruch zum Verfassungsrecht aufGlaubens- und Gewissensfreiheit (Verfassung der DDR, Art. 19, Abs. 3; Art. 30).Auerdem werden die Verfassungsrechte in Art. 35, Abs. 1 und Art. 36 ungengendgewhrleistet.Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Einrichtung eines Wehrersatzdienstes alsAlternative fr jene, deren Gewissen es ihnen verbietet, Dienst im militrischenBereich zu tun.Durch den sozialen Wehrersatzdienst bliebe der Dienst fr die Gesellschaft erhalten,er trge zum Ausgleich des Personaldefizits im staatlichen und kirchlichenGesundheits- und Sozialwesen bei.

    Der Wehrersatzdienstleistende sieht seinen Dienst als Zeichen seiner sozialen

    Verantwortung.

    Wir fordern Rechtsverbindlichkeit in folgenden Punkten:

    1. Jeder Wehrpflichtige hat das uneingeschrnkte Recht, einen sozialenWehrersatzdienst alternativ zum Wehrdienst in Anspruch zu nehmen. Damit liegtdie Entscheidung ber die Art seines Friedensdienstes beim einzelnen Brger, dieer seiner berzeugung und seinem Gewissen entsprechend trifft.

    2. Die Entscheidung zum sozialen Wehrersatzdienst mu sptestens zur jeweiligen

    Einberufungsberprfung (bzw. Musterung) bzw. zur Einberufung zur Reserveschriftlich beim Wehrkreiskommando erfolgen. Mit der Registrierung beimWehrkreiskommando unterstehen die den sozialen Wehrersatzdienst-Leistendennicht mehr dem Ministerium fr Nationale Verteidigung.

    3. Damit setzt die Zustndigkeit des Ministeriums fr Gesundheits- und Sozialwesenein, wobei abgesichert ist, da der Einsatz ausschlielich im nicht-militrischensozialen Bereich erfolgt.Die den sozialen Wehrersatzdienst Leistenden legen also weder Eid nochGelbnis ab, behalten den Personalausweis, tragen keine Uniform und

    unterstehen weder der Befehlsgewalt noch der Militrgerichtsbarkeit.

    4. Die Dauer des sozialen Wehrersatzdienstes kann bis zu 24 Monate betragen.

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    5. Vor Antritt des sozialen Wehrersatzdienstes mu ein Gesprch ber dieEinsatzweise stattfinden.

    6. Eine den Erfordernissen entsprechende Ausbildung im jeweiligen

    Aufgabenbereich erfolgt der sozialen Zielsetzung entsprechend.

    7. Die Rechte werden fr die den sozialen Wehrersatzdienst-Leistenden auf derGrundlage des AGB [Arbeitsgesetzbuches] mit folgenden Einschrnkungengeregelt:Entlohnung, Urlaub, Kndigung.

    8. Die finanziellen und sozialen Leistungen entsprechen denen derWehrdienstleistenden.

    9.

    Durch Entlohnung entsprechende finanzielle berschsse werden demnichtmilitrischen sozialen Bereich zugefhrt.

    10.Aus der Entscheidung zum sozialen Wehrersatzdienst drfen keine Nachteile inBezug auf Weiterbildung und berufliche Qualifikationsmglichkeiten erwachsen.

    Mit dieser Forderung wollen wir einen Beitrag zur allgemeinen Abrstung leistenund schlieen uns der Resolution der Menschenrechtskommission der UNO vom Mai1987 ber das Recht auf Wehrdienstverweigerung an.

    DDR-weiter Arbeits- undKoordinierungskreis fr dasWehrdienstproblem

    Kontaktadressen:

    1. Oliver KloWestendstrae 24PF 15512Dresden8027

    2.

    Heiko LietzTrotschestrae 11Gstrow2600

    3.

    Mario SchattaTassostrae 16Berlin1120

    - innerkirchlich -

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