2 Was ist Theologie? 9 - Neutestamentliches · PDF file„Mir stand, von meinem...

10
§ Was ist Theologie? § Was ist Theologie? N ach meiner Auffassung müssen wir uns zunächst einmal der Frage zuwenden, was Theologie ist. Was meinen Sie dazu? Was verste- hen Sie unter Theologie? [Hier wird traditionell eine Umfrage unter den HörerInnen durchgeführt, um ein Meinungsbild zu erstellen.] Sie werden es mir als einem Neutestamentler nicht verargen, wenn ich zuerst einen Blick in mein Buch, d.h. zunächst in die Konkordanz zu meinem Buch werfe. Das Wort θεολογα (theologi . a) begegnet weder im NT noch im AT. Das Ergebnis ist ernüchternd: θεολογα (theologi . a) kommt im Neuen Testament überhaupt nicht vor! Also, notieren Sie den ersten Befund: Im Neuen Testament Fehlanzeige. Wir greifen zum andern Buch, dem Alten Testament, in seiner grie- chischen Fassung: Auch hier begegnet das Wort θεολογα (theologi . a) an keiner Stelle. Daher können Sie den zweiten Befund zu Papier bringen: Im Alten Testament ebenfalls Fehlanzeige! Ein biblisches Wort ist es mit- hin nicht, mit dem wir uns hier befassen. Amos hat es ebenso wenig be- nutzt wie Paulus, und Jesus auch nicht. Das Sympathische an Jesus und Paulus ist: Eine Theologie des Neuen Testaments haben sie uns nicht hinterlassen. Als Theologen sind wir also von Haus aus für das Wort θεολογα (theologi . a) gar nicht zuständig. Was tut man in einem solchen Fall? Man fragt den Fachmann. Als ein solcher hat sich Thomas Bonhoeer erwie- sen, der den „Wurzeln des Begris Theologie“ nachgegangen ist. Mit modernster Technologie ausgerüstet macht Bonhoeffer sich an die Ar- beit. Eine ernüchternde Arbeit, wie er sogleich einzuräumen gezwungen ist: „Die Quellenlage ist unbefriedigend. Die ersten Belege für θεολογ- [theolog-] sind, gemessen an der Phänomengeschichte, sehr spät. Inhalt- Ich benutze die Konkordanz von Moulton/Geden (A Concordance to the Greek Testament, hg. v. W.F. Moulton undA.S. Geden, Edinburgh ); hier S. . Edwin Hatch/Henry A. Redpath: A Concordance to the Septuagint and the other Greek Versions of the Old Testament, Volume I, Oxford (Nachdr. Graz ), S. . Thomas Bonhoeer: Die Wurzeln des Begris Theologie, Archiv für Begrisge- schichte (), S. . „Mir stand, von meinem altphilologischen Kollegen A K instrumentell voll erschlossen, zur Verfügung die Compactdiskette Pilot CD Rom , eine gute und reiche Auswahl aus dem TLG (siehe hierzu L B & K. S: Thesaurus Linguae Graecae. Canon of Greek Authors and Works. . Aufl. New York/Oxford ) mit dem Suchprogramm Searcher . von R M. S, Department of Classics, University of California, Santa Barbara“ (Thomas Bonhoeer , a.a.O., S. , Anm. ).

Transcript of 2 Was ist Theologie? 9 - Neutestamentliches · PDF file„Mir stand, von meinem...

  • Was ist Theologie?

    Was ist Theologie?

    Nach meiner Auffassung mssen wir uns zunchst einmal der Fragezuwenden, was Theologie ist. Was meinen Sie dazu? Was verste-hen Sie unter Theologie? [Hier wird traditionell eine Umfrage unter denHrerInnen durchgefhrt, um ein Meinungsbild zu erstellen.]

    Sie werden es mir als einem Neutestamentler nicht verargen, wenn ichzuerst einen Blick in mein Buch, d.h. zunchst in die Konkordanz zumeinem Buch werfe. Das Wort

    (theologi.a)begegnet weder

    im NT noch im

    AT.

    Das Ergebnis ist ernchternd: (theologi.a)kommt im Neuen Testament berhaupt nicht vor! Also, notieren Sie denersten Befund: Im Neuen Testament Fehlanzeige.

    Wir greifen zum andern Buch, dem Alten Testament, in seiner grie-chischen Fassung: Auch hier begegnet das Wort (theologi.a) ankeiner Stelle. Daher knnen Sie den zweiten Befund zu Papier bringen:Im Alten Testament ebenfalls Fehlanzeige! Ein biblisches Wort ist es mit-hin nicht, mit dem wir uns hier befassen. Amos hat es ebenso wenig be-nutzt wie Paulus, und Jesus auch nicht. Das Sympathische an Jesus undPaulus ist: Eine Theologie des Neuen Testaments haben sie uns nichthinterlassen.

    Als Theologen sind wir also von Haus aus fr das Wort (theologi.a) gar nicht zustndig. Was tut man in einem solchen Fall? Manfragt den Fachmann. Als ein solcher hat sich Thomas Bonhoeffer erwie-sen, der den Wurzeln des Begriffs Theologie nachgegangen ist. Mitmodernster Technologie ausgerstet macht Bonhoeffer sich an die Ar-beit. Eine ernchternde Arbeit, wie er sogleich einzurumen gezwungenist: Die Quellenlage ist unbefriedigend. Die ersten Belege fr -[theolog-] sind, gemessen an der Phnomengeschichte, sehr spt. Inhalt-

    Ich benutze die Konkordanz von Moulton/Geden (A Concordance to the GreekTestament, hg. v. W.F. Moulton und A.S. Geden, Edinburgh ); hier S. .

    Edwin Hatch/Henry A. Redpath: A Concordance to the Septuagint and the otherGreek Versions of the Old Testament, Volume I, Oxford (Nachdr. Graz ),S. .

    Thomas Bonhoeffer: Die Wurzeln des Begriffs Theologie, Archiv fr Begriffsge-schichte (), S. .

    Mir stand, von meinem altphilologischen Kollegen A Kinstrumentell voll erschlossen, zur Verfgung die Compactdiskette Pilot CD Rom, eine gute und reiche Auswahl aus dem TLG (siehe hierzu L B& K. S: Thesaurus Linguae Graecae. Canon of Greek Authors and Works.. Aufl. New York/Oxford ) mit dem Suchprogramm Searcher . von RM. S, Department of Classics, University of California, Santa Barbara (ThomasBonhoeffer, a.a.O., S. , Anm. ).

  • Prolegomena

    lich sind sie kritisch distanziert. Sie finden sich erst bei P und A-.

    Ich greife Platon heraus; er ist der erste, der das Wort (theolo-gi.a) berhaupt benutzt. In dem corpus Platonicum begegnet es genauan einer Stelle: Rep II a. Im zweiten Buch der Politeia diskutiertSokrates mit Adeimantos ber die Gtter; genauer: ber das, was dieDichter von den Gttern zu erzhlen wissen. Jmmerlich ist das, findetSokrates, und dringend der Besserung bedrftig. Wie man es denn bessermachen knnte, will Adeimantos wissen.

    O Adeimantos, antwortet Sokrates, wir sind keine Dichter in die-sem Augenblick, du und ich, sondern Stdtegrnder; und solchen ge-bhrt zwar die Grundzge zu kennen, nach denen die Dichter erzhlenmssen, und sie nicht zuzulassen, wenn sie von diesen abweichen, nichtaber selbst Mrchen zu dichten.

    Richtig, erwidert Adeimantos, und fgt hinzu: Aber nun eben dieseGrundzge in bezug auf die Gtterlehre, welches wren sie?: Im Origi-nal: , , ; Ein wenig schmeichelhafter Zusammenhang in der Tat. Es geht umdie Erziehung der Wchter, denen man nicht irgendwelche Mrchen vor-setzen darf. Es kommt fr die Stdtegrnder Sokrates und Adeimantosalso zuvrderst darauf an, Aufsicht ber die zu fhren, welche Mrchenund Sagen dichten (b). Da kommen zunchst einmal Hesiod und Ho-mer in Betracht, die grottenschlechte Geschichten ber die Gtter erzh-len (d). Dergleichen wollen Sokrates und Adeimantos in der von ih-

    Thomas Bonhoeffer, a.a.O., S. . Leonard Brandwood: A Word Index to Plato, Compendia , Leeds , S. . Platon: Politeia II ea, deutsche bersetzung nach Schleiermacher (Pla-

    ton: Smtliche Werke . Phaidon, Politeia. In der bersetzung von Friedrich Schlei-ermacher, Hamburg [Nachdr. ], S. ), griechischer Text nach der alten Ox-forder Ausgabe (Platonis opera. Tomus IV tetralogiam VIII continens, hg. v. JohannesBurnet, SCBO, Oxford , Nachdr. ). , , , , ., , ;

  • Was ist Theologie?

    nen zu grndenden Stadt von vornherein verbieten (b). Wenn schonMrchen so die Position des Sokrates , dann didaktisch-staatstragende(e). Und nach den Kriterien fr solche (theologi.a) wird eran unserer Stelle gefragt. Es geht mithin um staatstragende Ammenmr-chen, die Gtter betreffend. Das ist der Sinn von (theologi.a) andiesem ersten Punkt der Geschichte des Begriffs.

    Vornehmer formuliert Thomas Bonhoeffer: Theologie wre Gtter-aufzhlung, Gttererzhlung; also Klrung des Numinosen, Erklrungdes Gttlichen letzteres freilich ist bei Platon noch nicht im Blick.Von dem, was wir unter Theologie verstehen, ist Platon noch unendlichweit entfernt.

    Die Absicht Platons skizziert Bonhoeffer wie folgt: UnerschtterlicheEvidenz gibt es . . . nur auf hchstem Abstraktionsniveau; dem entsprichtder sublime Begriff des wahren Seins. Die Bemhung um eine verbindli-che, heilsame Ordnung unter den Menschen mu nach P ansetzenbei der Idee des Guten. Entsprechend diesem prinzipiellen Ansatz, ist dertheologische Ansatz monotheistisch: Die Rede ist von [ho theo. s];und dieser ist P sieht nicht vor, da A hier schwankenknnte, gut. Nur eine konsequent hiernach normierte Theologie kannstaatlich erlaubt werden.

    Auch Aristoteles bietet nur einen einzigen Beleg fr (theolo-gi.a) auch er nicht gerade schmeichelhaft. Ich will darauf im einzelnennicht eingehen.

    Zunchst und zumeist ist das, was Theologie heit, Traditionssache.So kann von der Theologie der Magier [Philostrat], der Rmer [Dionysi-os von Halikarnassos] oder (hufiger) der gypter geredet werden. Jederredet von Gott und Gttern. Rar aber ist, da einer kundig von Gott re-det. Ein solcher ist [theolo. gos] im eigentlichen Sinn des Wortes.Es gibt den [theolo. gos], der ber die Gottheit Bescheid wei,von ihrem Verhalten Rechenschaft geben kann und also etwas ber siezu sagen hat, einerseits und die berlieferung seiner (theologi.a),seiner Gotteskunde, andrerseits.

    Thomas Bonhoeffer, a.a.O., S. . Es ist vielleicht charakteristisch, da der besorg-te Politologe P besonders Ansto nimmt an der mangelnden Stringenz der altenkosmogonischen Aufstellungen; er empfindet diese Entwrfe als leichtfertig, egozen-trisch, hochmtig, im Grunde asozial (a.a.O., S. ).

    Thomas Bonhoeffer, a.a.O., S. . Aristoteles: Meteorologica a, vgl. Thomas Bonhoeffer, a.a.O., S. . Thomas Bonhoeffer, a.a.O., S. .

  • Prolegomena

    Abbildung : Wegweiser zum Ort [Theolo. gos]

    So wird [theolo. gos] zu einer Berufsbezeichnung und kommtals solche beispielsweise in ephesinischen Inschriften auch hufig vor.Wie auch in andern Sprachen kann die Berufsbezeichnung zum Namenwerden, denken Sie im Deutschen etwa an Mller oder Schmied, undso begegnen auf Inschriften gelegentlich Mnner, die auf den schnenNamen [Theolo. gos] hren und ganz selten auch Frauen na-mens (Theolo. ge). Wenn Sie einmal die herrliche Insel Thasosbesuchen, werden Sie feststellen, da es im Sden dieser Insel auch einenOrt namens [Theolo. gos] gibt. Doch das nur am Rande.

    Belege sowohl fr die Berufsbezeichnung als auch fr den mnnlichenNamen gibt es sehr reichlich auf der PHI-CD-ROM # ; ich fhre sie hierdaher nicht im einzelnen an.

    Was die Dame namens angeht, so verweise ich auf Harnack: Als Curio-sum sei erwhnt, dass auf einer macedonischen Inschrift der Frauenname Theologenachgewiesen ist. (Adolf von Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Erster Band:Die Entstehung des kirchlichen Dogmas, Tbingen , Nachdr. Darmstadt ,S. f., Anm. .)!

    Obwohl ich meine, diese Inschrift schon gesehen zu haben, kann ich sie im Mo-ment nicht finden. hat im Index zwar , aber nicht das Femininum( : - , Athen [Nachdr. in der Reihe als Nr. inzwei Bnden, Thessaloniki ]).

    In dem neuen Lexikon fr griechische Personennamen zu Makedonien fehlt sowohldie maskuline als auch die feminine Form des Namens (P.M. Fraser, E. Matthews,R.W.V. Catling: A Lexicon of Greek Personal Names, Volume IV: Macedonia, Thrace,Northern Regions of the Black Sea, Oxford , S. ).

  • Was ist Theologie?

    Abbildung : Das Heiligtum der Iobakchen unterhalb der Akropolis in Athen

    Zu der Zeit, als die Christen die Wrter (theologe. o) und (theolo. gos) erstmals verwenden, sind sie im Sprachgebrauch eta-bliert und ohne besondere Konnotationen. Das zeigt ein Beispiel ausAthen.

    Im Jahre n.Chr. erhlt der Kultverein des Dionysos, die Iobak-chen, einen neuen Priester und zugleich Vorsitzenden, den berhmtenHerodes Atticus. Aus diesem Anla werden die Statuten des Vereins ineiner Inschrift dokumentiert, nachdem dort zunchst die Vorgnge derSitzung in lebhafter Weise geschildert werden. Neben dem Aufnahme-verfahren (schriftlicher Antrag, Abstimmung der Iobakchen, Aufnahme-gebhr) und den Sanktionsmanahmen bei ungebhrlichem Verhaltenwhrend der Versammlungen und ausbleibenden Beitragszahlungen wer-den auch Amtshandlungen des Priesters uns berliefert. Wir lesen dort:Der Priester soll bei der Versammlung und beim Jahresfest den gewohn-ten Gottesdienst in angemessener Weise vollziehen und soll der Gemein-schaft ein Trankopfer fr die Rckkehr (des Bacchus) vorsetzen und einePredigt halten, wie sie der frhere Priester Nikomachos aus ehrenvollemEifer eingefhrt hat. Im Original: , - .

    Wilhelm Dittenberger: Sylloge inscriptionum Graecarum III , Z. ;deutsche bersetzung b