2005-02-14 Aktionsbuendnis - Leipziger HartzIV-Bilanz Zum Leben zu wenig

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    Initiative gegen einen neuen Reichsarbeitsdienst

    KontaktTelefon: 0341-463 99 79Fax: 0341-463 99 78e-Mail: [email protected]

    Internetwww.aktionsbuendnis-leipzig.de

    www.montagsdemonstration-leipzig.dewww.sozialforum-leipzig-ev.de

    Zum Leben zu wenigOffenes Sendschreiben an die Funktions- und Mandatstrger imSPD-Unterbezirk Leipzig-Borna

    Leipzig, den 14. Februar 2005

    I. Zur Frage des Anspruches der SPD an sich selbstIn diesen Tagen jhrt sich zum 15. mal der 1. Parteitag der wiedergegrndetenSozialdemokratischen Partei in Ostdeutschland. Einige von Ihnen, die Sie heute im SPD-Unterbezirk Leipzig-Borna in verantwortlichen Funktionen ttig sind oder ein Mandat imDeutschen Bundestag innehaben, nahmen an dem Parteitag selbst teil. Er fand aus gutemGrunde in Leipzig statt. Die Wiederbegrnder wollten bewusst an die Tradition der ebenfallsin Leipzig im Jahre 1863 gegrndeten Vorluferorganisation der deutschenSozialdemokratie, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein anknpfen. Dieser 1.Parteitag der wiederbegrndeten Sozialdemokratie in Ostdeutschland beschloss hier inLeipzig am 25. Februar 1990 ein Grundsatzprogramm fr die Sozialdemokratie. In ihm heites:

    Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass der Staat ... diesozialen Sicherungen gegen die elementaren Risiken des Lebens mittrgt. ... Wir werden uns darum bemhen ... eine soziale Grundsicherung zu schaffen ... Sie soll im Alter, bei Invaliditt und bei Arbeitslosigkeit ein menschenwrdiges Auskommengarantieren. Wir erstreben eine Gesellschaft, in der jeder entsprechend seiner Qualifikation eine Beschftigung frei whlen kann. ... Deshalb befrworten wir dieVerkrzung der Wochen- und Jahresarbeitszeit und Regelungen fr den vorzeitigen... Ruhestand. ... Die von uns ... untersttzten ... Einzelgewerkschaften und ...Interessenvertretungen der Arbeitnehmer ... sorgen dafr, dass sich die Entlohnung der Arbeit nach der tatschlichen Leistung richtet und die Lhne und Gehlter an dieEntwicklung der Lebenshaltungskosten angeglichen werden.

    Einhundert Jahre zuvor war die SPD 1890 in Halle gegrndet worden. In ihrem 1891 inErfurt beschlossenen Programm heit es:

    Hand in Hand mit dieser Monopolisierung der Produktionsmittel geht dieVerdrngung der ... Kleinbetriebe durch kolossale Grobetriebe, ... geht einriesenhaftes Wachstum der Produktivitt der menschlichen Arbeit. Aber alle Vorteiledieser Umwandlung werden ... monopolisiert. Fr ... die versinkenden Mittelschichten

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    Kleinbrger, Bauern bedeutet sie wachsende Zunahme der Unsicherheit ihrer Existenz, des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Erniedrigung. ... Immer grer wird die Zahl der berschssigen Arbeiter, immer schroffer der Gegensatz ... der diemoderne Gesellschaft in zwei ... Heerlager trennt. ... Der Abgrund zwischenBesitzenden und Besitzlosen wird noch erweitert durch die ... Krisen, die immer umfangreicher und verheerender werden.

    Im noch immer gltige Grundsatzprogramm der SPD aus dem Dezember 1989 heit dieprogrammatische Antwort:

    Angesichts des Reichtums unserer Gesellschaft, angesichts der vielen unerledigten Aufgaben zeigt Massenarbeitslosigkeit gesellschaftliches Versagen, das auf Dauer Demokratie gefhrdet. ... Eine gerechtere Einkommensverteilung sorgt fr sozialen

    Ausgleich und schafft zustzliche Nachfrage und damit Arbeitspltze. ...Ungeschtzte Arbeitsverhltnisse darf es nicht geben. Leiharbeit ist zu verbieten. ...

    Alle Formen der Erwerbsarbeit mssen als Normalarbeitsverhltnisse abgesichert sein. ... Dies bedeutet ... ein arbeits- und sozialrechtlich geschtztes Verhltnis fr alle Formen der Erwerbsarbeit. ... In der gesetzlichen Krankenversicherung lehnenwir eine Kostenbeteiligung der Versicherten ber den Beitrag hinaus ab.

    Im Rahmen der Agenda-Politik der jetzigen SPD-gefhrten Bundesregierung kam es zuerheblichen Verschlechterungen in den Sozialversicherungssystemen zuungunsten der Mehrheit der Bevlkerung. Rentner, Studenten, Kleinverdiener und Erwerbslose wurdenfinanziell weiter belastet, whrend die Gewinne groer Unternehmen weiter in teilweise niedagewesene Hhen stiegen. Mit der im Rahmen der Agenda 2010 ebenfalls beschlossenensogenannten Arbeitsmarktreform Hartz I bis IV, so versprach die SPD-gefhrteBundesregierung, wrden

    Arbeitspltze geschaffen undSozialhilfeempfnger auch finanziell besser gestellt.

    Nichts von alledem ist eingetreten. Obwohl die jeweiligen Regierungen in wechselndenZeitabstnden Regelungen fr die Nicht-Mehr-Registrierung von Erwerbslosen erlassen,steigen die Zahlen der Erwerbslosen weiter. Mittlerweile ist die Zahl von fnf MillionenErwerbslosen auch offiziell erreicht. Millionen Erwerbslose werden in der Statistik gar nichterst erfasst. Statt eine Neuverteilung der Arbeit mit zu organisieren, wird stndig eineArbeitszeit- und Lebensarbeitszeitverlngerung gefordert. Wie bei weiter sinkendem realemArbeitsvolumen dadurch Arbeitspltze geschaffen werden sollen, erschliet sich uns nicht.Die finanzielle Lage der Erwerbslosen hat sich zudem durch die Einfhrung desGesetzespaketes Hartz IV in den ersten Wochen des Jahres 2005 dramatischverschlechtert, die der meisten bisherigen Sozialhilfeempfnger ebenfalls. Deshalb und weilSie selbst angekndigt haben, eine sogenannte Monitoring-Runde ber Ihre sogenannten

    Arbeitsmarktreformen demnchst abhalten zu wollen, sind wir hier. Auch wir haben Bilanzgezogen, Bilanz gezogen darber, was uns zur Finanzierung unseres Lebensunterhaltesnoch bleibt und was Hartz IV mit dem Rechtsstaat Bundesrepublik noch zu tun hat.

    II. Hartz IV Zum Leben zu wenigSehr geehrte Damen und Herren von der SPD, die hier dargestellten Sachverhalte undgenannten Zahlen sind ausnahmslos exemplarische Beispiele. Sie lieen sich um einVielfaches erweitern. Sie sollen Ihnen hier nur zum besseren Verstndnis der von Ihnen zuverantwortenden sogenannten Arbeitsmarktreform dargestellt werden. Sie stellen keinevollstndige Analyse der Ungereimtheiten und Unverschmtheiten, welche als ganzesgenommen dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes widersprechen und die nackteExistenz von Millionen Menschen gefhrden, dar. Wir knpfen an die von uns genanntenBeispiele die Hoffnung, dass Sie als verantwortliche Politiker selbst beginnen

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    grndlich zu prfen, wie hoch die Kosten eines Menschen fr ein menschenwrdigesAuskommen sind. Sollten Sie Interesse daran haben, mit den Experten desAktionsbndnisses Soziale Gerechtigkeit Stoppt den Sozialabbau (Leipzig-Nordsachsen)eine Fachdebatte ber die Fragen der realen Lebenshaltungskosten zu fhren, so wrdenwir das ausdrcklich begren. Wir sind dazu bereit.

    Im brigen stehen die Erwerbslosen der Bundesrepublik mit ihrem Vorwurf der Regelsatzreiche fr ein menschenwrdiges Leben nicht aus wie Sie sehr wohl wissen - nichtalleine. Der Parittische Wohlfahrtsverband (DPWV) wirft der Bundesregierung und damitauch Ihnen als Kanzlerpartei, bei der Berechnung des Regelsatzes von Sozialhilfe undArbeitslosengeld II einen manipulativen und unserisen Umgang mit den statistischenGrundlagen vor.

    Selbst nach Ansicht der Sozialrechts-Experten der SPD-nahen ZEIT, nutzt dieBundesregierung die Hartz-Reform, um unbemerkt von der ffentlichkeit sogar dieLeistungen fr Sozialhilfe-Empfnger zu senken. Rot-Grn habe die Zusammenlegung vonSozial- und Arbeitslosenhilfe dazu genutzt, den entsprechenden ''Regelsatz ganz gezieltrunterzurechnen'', klagt der Rechtsprofessor Matthias Frommann von der FachhochschuleFrankfurt. ''Die Infamie des Verfahrens wird nur dem deutlich, der sich zwei, drei Tagehinsetzt und alles durchrechnet,'' meint Prof. Frommann.

    Die Mogelei mit dem Regelsatz

    Die im Regelsatz zugrundegelegten Energiekosten wurden wie auch alle anderen Kosten- auf der Grundlage der Preise von 1998 berechnet. Wir fragen, wovon sollen wir dieDifferenz zu den heutigen Energiekosten bezahlen? Zudem ist davon auszugehen, dassein Erwerbsloser hhere Energiekosten hat als ein Arbeitnehmer, da Erwerbslose sichlnger in ihrer Wohnung aufhalten als jene. Wir fragen, sollen die Erwerbslosen immer inder letzten Woche des Monats ihren Strom sperren lassen, weil das ihnen dafr zugebilligteGeld nach der Berechnungsgrundlage der Regierung nur fr drei Wochen ausreicht?

    Als Kosten fr Bekleidung und Schuhe werden einem Alleinstehenden 33,10 Euro proMonat zugestanden. Sollte dieser Alleinstehende jedoch verheiratet sein, so erhlt seinPartner nur 26,50. Wir fragen, steht dem Lebenspartner dann nur ein Schuh zu? Das magals weitere Zumutung noch verkraftbar sein, wenn beide die selbe Schuhgre haben, aber kann doch wohl nur als schlechter Witz oder reine Schikane der Erwerbslosen durch dieSPD gedacht sein.

    Als Grundlage fr den Regelsatz gilt, dass alle Monate mit 30 Tagen berechnet werden.Das Jahr hat aber 365 Tage und nicht nur 360. Wir fragen, wer deckt den Lebensunterhaltfr die 5 fehlenden Tage?

    Kranke werden sich selbst berlassen oder kriminellSeit dem 1. Januar 2004 werden die Kosten fr Sehhilfen nicht mehr von der gesetzlichenKrankenkasse bernommen. Die anfallenden Kosten fr die Sehhilfe sind im Regelsatznicht enthalten. Wir fragen, wie kommt der Erwerbslose zu einer Brille? Ist die SPD der Auffassung, dass Erwerbslose keine Brille mehr brauchen oder sollen die Erwerbslosendiese stehlen? Wir erwarten Antworten!

    Selbst das Krankenhaustagegeld sollen die Erwerbslosen jetzt selbst aufbringen. ImRegelsatz ist es nmlich nicht vorgesehen. Nicht anders verhlt es sich mitVorsorgeuntersuchungen wie zur Diagnose des Grnen Star, Sonographie undMammographie; Praxisgebhr und medizinischer Rehabilitation erwachsener Erwerbsloser.Wir fragen, steht den Erwerbslosen ein Recht auf notwendige medizinische Versorgungnicht mehr zu?

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    Und wovon soll eigentlich ein Erwerbsloser die Fahrtkosten des Krankentransportes zur rztlichen Behandlung (auer bei Tumor- und Nierenpatienten) bezahlen oder Arznei- undHilfsmittel sowie Verbandsmaterial deren Kosten die gesetzliche Krankenkasse nichtbernimmt. Wir fragen, glauben Sie wirklich dass dafr die 13,24 Euro pro Monatausreichen von denen die gesamte Gesundheitspflege und alle Hygiene- und Waschartikelzu bezahlen sind?

    Bundesregierung frdert Abtreibung

    Bisher erstatteten die Sozialmter fr Sozialhilfeempfnger auf Nachweis die Kosten fr Verhtungsmittel (Antibabypille). Dies ist nun nicht mehr der Fall. Die dafr anfallendenKosten sind im Regelsatz jedoch nicht enthalten. Die Kosten fr den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft bernimmt glcklicherweise weiterhin die gesetzlicheKrankenkasse. Wir fragen, was bezweckt die SPD mit dieser Regelung? Soll dadurch dieAnzahl der verarmten Kinder weiter steigen oder ist diese Regelung als Teil einesBinnenkonjunkturprogrammes fr die rzteschaft gedacht?

    Kinder werden schlechter gestellt

    Was hat eigentlich die etablierten Parteien dazu bewogen, den Regelsatz der Kinder vonErwerbslosen gegenber dem ehemaligen Regelsatz der Kinder von Sozialhilfeempfngernab dem 8. Lebensjahr je nach Alter um 7,7 bis 11 % abzusenken? Zudem wurden 10,25Euro vom Kindergeld den Sozialhilfeempfngern nicht angerechnet. Nach der heutigenRegelung wird das Kindergeld vollstndig angerechnet. Wir fragen, wie erklren Sie dieseAbsenkung, wenn Sie gleichzeitig behaupten, Sozialhilfeempfnger seien jetzt besser gestellt als vor dem sogenannten Gesetzespaket Hartz IV?

    Jugendliche konnten sich bisher zur Sozialhilfe bis zu 40 Taschengeld im Monatanrechnungsfrei hinzuverdienen. Nach der jetzigen Regelung nach dem GesetzespaketHartz IV gelten sie mit 15 Jahren als arbeitsfhig und ihr Hinzuverdienst wirdentsprechend angerechnet. Das heit von den ehemals 40 Euro Taschengeld bleiben mitder Neuregelung nur noch 6 Euro brig. Wir fragen auch hier, was ist an dieser Regelungfr die Kinder der ehemaligen Sozialhilfeempfnger besser als bei der alten Regelung?

    Bildung ist nicht mehr bezahlbar

    In heftigen Auseinandersetzungen hatten die ehemaligen Oppositionsfraktionen von SPDund Bndnis 90/ Die Grnen Anfang der 90iger Jahre im schsischen Schulgesetz eineLehrmittelfreiheit erstritten. Leider gilt diese im wesentlichen nur fr die Schulbcher. Wer Kinder in schsischen Schulen hat, wei, am Beginn eines jeden Schuljahres fallen Kostenfr zu den Lehrmitteln praktisch dazugehrenden Arbeitsheften an. Diese Kosten mssendie Eltern selbst bernehmen. Pro Arbeitsheft betragen die Kosten je nach Schulklassezwischen 10 und 18 Euro. Diese Arbeitshefte gibt es fr viele Fcher. Wir fragen, warumsind diese Kosten nicht im Regelsatz enthalten oder warum werden sie nicht vom Schulamtoder wie bisher vom Sozialamt erstattet? Wie vertrgt sich diese Regelung mit der programmatischen Aussage der SPD, sie trte fr gleiche Bildungschancen ein?

    Was wird eigentlich mit den Begabungen und Hobbys der Kinder von Erwerbslosen? Auchdafr entstehen zumeist Kosten. Wir fragen, halten Sie die Frderung einer Begabung vonKindern Erwerbsloser nicht mehr fr sinnvoll? Sind Sie der Auffassung Kinder vonErwerbslosen drften keine Hobbys haben?

    Mit der Privatisierung vieler sozio-kultureller und jugendhilflicher Einrichtungen durch die

    Stdte und Gemeinden, wurden diese im Rahmen ihrer Anerkennung als freie Trger undmithin Frdermittelempfnger dazu verpflichtet, von den Kindern und Jugendlichen bzw.deren Eltern immer hhere Beitrge fr Freizeitkurse einzufordern. Wir fragen, warumwerden diese Kosten bei der Festlegung der Regelstze nicht mit eingerechnet? Ist es der

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    Wunsch der SPD, dass Kinder von Erwerbslosen jetzt nicht mehr die pdagogisch undentwicklungspsychologisch sinnvollen Angebote der Jugendclubs und sozio-kulturellenEinrichtungen nutzen knnen?

    Alleinerziehende leben vom Kindergeld und vom Kindesunterhalt

    Kindergeld und vom Gesetzgeber fr das Kind vorgesehene Unterhaltszahlungen werdenauch auf den Regelsatz des Alleinerziehenden angerechnet. Viele AlleinerziehendeErwerbslose leben jetzt vom Kindergeld und Unterhalt, der dem Kind zusteht. Wir fragen,wie viel soll der Alleinerziehend von dem Geld, welches nach Ansicht des Gesetzgeber fr das Kind als Lebensunterhalt zusteht, wegnehmen, damit er selbst berleben kann?

    Versicherungen stehen den Erwerbslosen nicht mehr zu

    Der Regelsatz enthlt keine Versicherungsleistungen. Das heit nicht nur dieLebensversicherung muss gekndigt werden, sondern auch eventuell vorhandene Unfall-,Rechtsschutz-, Sterbe-, Haftpflicht-, Hausratsversicherungen. Selbst wenn der Erwerbslosedie ihm nach dem Regelsatz zustehenden 19,86 pro Monat fr sonstige Waren undDienstleistungen komplett fr die notwendigen Versicherungen aufwenden wrde, wrdediese Summe zur Deckung der Versicherungskosten nicht ausreichen. Wir fragen, wieso istdie SPD der Auffassung, dass gerade finanziell unterbemittelte Bevlkerungsgruppen - beieinem entsprechenden Schadensfall oder entsprechend anfallenden Kosten - ber entsprechende Rcklagen verfgen, so dass sie getrost auf die genanntenVersicherungsleistungen verzichten knnen?

    Sechs Wochen Hartz IV in Leipzig Die Armut wchst

    Erwerbslose, welche sich im Januar oder Februar eine Brille Kaufen mussten oder Kostenfr Zahnersatz hatten, konnten sich in den vergangenen Wochen nichts zu Essen mehr kaufen. Sie haben gehungert oder sind auf Empfehlung des Leipziger Erwerbslosenzentrums hin ins Obdachlosenheim zur Armenspeisung gegangen. Anderehaben versucht sich einen Berechtigungsschein fr die Leipziger Tafel zu ergattern. Es hataber nicht fr alle gereicht. Einige hatten dann eben nichts zu essen, insbesonderealleinstehende Mnner.

    In einer Schule im Leipziger Westen organisieren Lehrer ein Frhstck fr hungerndeKinder von Arbeitslosengeld-II-Empfngern oder eben auch Arbeitslosengeld-II-Nicht-Empfngern, die keine Arbeit haben. Wir fragen, wie kann es dazu unter einer sozialdemokratisch gefhrten Stadt- und Bundesregierung kommen? WelcheVerantwortung bernimmt die ffentliche Hand berhaupt noch fr das menschenwrdigeberleben finanziell benachteiligter Bevlkerungsgruppen?

    III. Hartz IV und der RechtsstaatEingliederungsvereinbarung

    Der in den 2 Abs. 1 und 15 in Verbindung mit 31 Abs. 1Nr. 1 lit. a) SGB IIverpflichtende Zwang zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung kommt einemKontrahierungszwang gleich und verstt damit gegen die durch Art. 2 des Grundgesetzesgeschtzte Vertragsfreiheit. Die Eingliederungsvereinbarung ist ein erzwungener zivilrechtlicher Vertrag, der erhebliche Nachteile hinsichtlich der Verwendung der Regelleistung (Eigentumsschutz nach Art. 14 GG), Bewegungsfreiheit (Freizgigkeit nachArt. 11 GG) und freien Berufswahl (Art. 12 GG) hat. Weiterhin sind die Inhalte nicht freivereinbart sondern vorgegeben und knnen auf der Seite des Erwerbslosen bei einer Nichteinhaltung zu Schadensersatzansprchen fhren. Gegen den geschlossenen Vertrag

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    sind keine ffentlichen Rechtsmittel (Sozial- bzw. Verwaltungsgerichtsbarkeit) mglich, wiees bei einer Anordnung durch Verwaltungsakt der Fall wre.

    Mit der Beantragung bzw. mit dem Bescheid wird der Erwerbslose diesenverfassungswidrigen gesetzlichen Regelungen unterworfen. Er wird durch denKontrahierungszwang bei der Eingliederungsvereinbarung in seinen Rechten nach Art. 2,Art. 11, Art. 12 und Art. 14 des Grundgesetzes verletzt.

    Arbeitsgelegenheiten

    Nach 2 Abs. 1 und 16 Abs. 3 i.V.m. 31 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) und d) SGB II ist der Erwerbslose verpflichtet und gezwungen eine Arbeitsgelegenheit aufzunehmen,auszufhren und fortzufhren, bei der er keinen Anspruch auf an arbeitsrechtlichen,betriebsverfassungsrechtlichen oder tarifrechtlichen Gesichtspunkten orientierteArbeitsbedingungen hat, insbesondere keine entsprechende Entlohnung erhlt. Dieses istein nicht hinzunehmender Zwang in eine Arbeit. Diese Manahme widersprichtinternationalen und in Deutschland ratifizierten Rechten und auch Art. 12 Abs. 2 und 3 desGrundgesetzes.

    Nach Art. 2 des ILO-bereinkommens ber Zwangs- und Pflichtarbeiten, ist jede Art vonArbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafeverlangt wird und fr die sie sich nicht freiwillig zur Verfgung gestellt hat verboten. Dienach dem SGB II erzwungene Aufnahme einer Arbeitsgelegenheit (durch Androhung der Krzung bzw. Wegfall der Geldleistung zur Sicherung der Existenz und damit der krperlichen Unversehrtheit und des Lebens) verstt gegen Art. 8 Abs. 3 desinternationalen Paktes ber brgerliche und politische Rechte, der in der Bundesrepublikseit dem 23. Mrz 1976 geltendes Recht ist, sowie gegen das ILO-bereinkommenNummer 29 und Nummer 105 ber die Abschaffung der Zwangsarbeit vom 5. Juni 1957.Ausnahmen gibt es nur in Fllen des Militrdienstes, des Katastrophenfalls oder der Arbeitspflicht durch Strafurteil. Die Praxis der bundesdeutschen Sozialmter,leistungsempfangene Asylbewerber zu gemeinntziger Arbeit zu verpflichten, wurde durcheinen Expertenausschuss der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der VereintenNationen bereits als Versto gegen das Verbot der Zwangsarbeit nach der ILO-KonventionNummer 29 gewertet.

    Hhe der Regelleistung

    Die Regelleistungen entsprechen nicht den tatschlichen Entwicklungen der Lebenshaltungskosten. Die Anpassung entsprechend der Einkommens- undVerbrauchsstatistik hat nicht stattgefunden. Die Hhe der Regelleistung ist bereits durch diegesetzesvorbereitenden Ausschsse im Jahre 2003 festgelegt worden. Durch dieunvernderte Einfhrung zum 1. Januar 2005 wird das vom Bundesverfassungsgerichtfestgestellte Existenzminimum nicht mehr gewhrleistet. Damit ist die Wrde des Menschennach Art. 1 des Grundgesetzes bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben inDeutschland fr den Erwerbslosen nicht mehr gewhrleistet. Zudem liegt ein Versto gegendas in den Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes manifestierteSozialstaatsgebot vor.

    Erbenhaftung

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    Nach Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes ist das Erbrecht garantiert. Die in 35 SGB IInormierte Erbenhaftung verstt dagegen. Das Arbeitslosengeldes II wird ohneEinschrnkung ausgezahlt, wenn Vermgen unterhalb der Freigrenzen liegt bzw. eineImmobilie selbst bewohnt und angemessen gro ist. Die Rckzahlung erhaltender Leistungen durch die Erben dieses geschtzten Vermgens ist nicht rechtens, da dieLeistungen weder auf Darlehensbasis noch unter Vorbehalt gezahlt wurden. Der verfassungsrechtliche Schutz des Erbes wird durch 35 SGB II widerrechtlich verletzt.

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    Befristeter Zuschlag nach Arbeitslosengeldbezug

    Die Bestimmung des 24 SGB II verstt gegen Art. 3 und Art. 6 des Grundgesetzes. Der befristete Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld benachteiligt Familiengegenber Einzelpersonen. Die Vergleichsrechnung zwischen dem bezogenenArbeitslosengeld und Wohngeld mit dem Bedarf der Bedarfsgemeinschaft verletzt denGleichheitsgrundsatz. Der Bedarf einer Familie mit Kindern ist immer hher als der Bedarf einer Einzelperson.

    Von daher ist die Differenz zwischen der Ausgangsbasis (Arbeitslosengeld und Wohngeld)bei Bedarfsgemeinschaften mit mehreren Mitgliedern immer geringer. Die Ausgangsbasisist in beiden Fllen aber die Gleiche.

    Verordnungsermchtigung bei Unterkunftskosten

    Hinsichtlich der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten verstt dieVerordnungsermchtigung gem 27 SGB II gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 80Abs. 1 des Grundgesetzes. Das Ausma der Ermchtigung ist lediglich durch den Begriff angemessen definiert. Dieser Begriff ist aber ein unbestimmter Rechtsbegriff. Gleiches giltfr die Voraussetzungen der Pauschalierungen. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind nichtgeeignet, das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes zu erfllen.

    Sofortige Vollziehbarkeit

    Durch die generelle sofortige Vollziehbarkeit aller Bescheide der Agenturen fr Arbeit nach 39 SGB II wird der Erwerbslose in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehr nach Art. 19Abs. 4 des Grundgesetzes verletzt. Er ist durch diese Regelung auch nicht gegenwillkrliche, unrichtige oder falsche Bescheide ordnungsgem im Sinne der Rechtsstaatlichkeit geschtzt. Bereits das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 13. Juni 1979 festgestellt, dass eine Verwaltungspraxis, die

    Verwaltungsakte generell fr sofort vollziehbar erklrt, nicht mit der Verfassung vereinbar wre (BVerfGE 51, 268 [284f]).

    IV. Schlieen sie Frieden mit den Erwerbslosen!Wir meinen nicht nur, sondern wir erleben seit dem 1. Januar 2005 wie der soziale Friede inder Bundesrepublik durch Ihre Hartz-IV-Gesetzgebung weiter zerstrt wird. IhreGesetzgebung strzt Millionen unverschuldet in Armut. Einige haben sich deshalb in denletzten Wochen das Leben genommen. Wir fordern Sie daher dringendst auf, als Mitglieder der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten,welches den im folgenden genannten Forderungen der Erwerbslosen Rechnung trgt undals SPD-Unterbezirk auf ihre Parteifhrung entsprechend einzuwirken:

    1. Die sofortige Erhhung des Regelsatzes auf 552 Euro ist unabdingbar notwendig.Weniger reicht nicht aus fr ein menschenwrdiges Leben. Einige Fachleute, welchesich mit der Bemessung und der Hhe des Existenzminimums bei Beachtung der gesetzlichen Vorgaben, sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- undBundesverwaltungsgerichts beschftigt haben, gehen sogar davon aus, dass der Sozialhilfe-Regelsatz fr ein menschenwrdiges Leben bei 626 Euro liegen msste.

    2. Es darf keine Anrechnung der Leistungen fr Kinder wie Kindergeld und Unterhalt auf die Regelstze fr den Lebensunterhalt der Erwachsenen erfolgen.

    3. Es darf keine Anrechnung des Einkommens von Partnern oder Verwandten auf dieRegelstze der Erwerbslosen erfolgen.

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    4. Die Mglichkeit der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse fr alleErwerbslosen muss hergestellt werden.

    5. Die Wiederherstellung der bisherigen Regelungen fr die Berechnung der knftigenRente der ALG-II-Empfnger ist unerlsslich.

    6. Schluss mit dem Annahmezwang von deutlich untertariflich bezahlter Arbeit!

    7. Schluss mit der Erbenhaftung!

    8. Schluss mit den Repressionen gegen Erwerbslose durch die Mitarbeiter der Agentur fr Arbeit!

    Darber hinaus erwarten wir als Erwerbslose, dass Sie, um unsere finanziellexistenzgefhrdende Lage umgehend wenigstens geringfgig zu lindern, sich auch auf der kommunalen Ebene hier in der Stadt Leipzig als SPD-Stadtratsfraktion und als Partei dieden Oberbrgermeister stellt fr die Umsetzung der folgenden Forderungen einsetzen:

    1. Die Stadt Leipzig erklrt hiermit ihren Verzicht auf jegliche Zwangsumzge vonArbeitslosengeld-II-Empfngern, ungeachtet ihrer Wohnungsgre und der Mietkosten.

    2. Die Stadt Leipzig bernimmt die vollen Heiz-, Warmwasser- und pauschalisiertenStromkosten, sowie die Grundgebhr fr einen Telefonanschlu der Arbeitslosengeld-II-Empfnger.

    3. Die Stadt Leipzig bernimmt die Kosten fr die Krankenversicherung fr die Menschen,die aus dem Leistungsspektrum von Arbeitslosengeld II herausfallen, nichtfamilienversichert und demnach nicht mehr krankenversichert sind.

    4. Die Stadt Leipzig weist alle stdtischen Einrichtungen an, keine sogenannten Ein EuroJobs anzubieten. Sie blockiert in allen Betrieben mit stdtischer Beteiligung dieEinfhrung dieser Billigjobs. Sie fordert die freien Trger auf, keine sogenannten Ein

    Euro Jobs anzubieten. Freie Trger erhalten keine ber die Pflichtleistungenhinausgehende stdtische Frderung mehr, wenn sie diese Billigjobs einfhren.

    5. Die Stadt Leipzig fordert die ARGE auf, keine Arbeitslosengeld-II-Empfnger anzuweisen, einen sogenannten Ein Euro Job anzunehmen.

    6. Die Stadt Leipzig handelt mit den Leipziger Verkehrsbetrieben ein Sozialticket fr denffentlichen Personennahverkehr aus, dessen Kosten fr den Erwerbslosen 50 % desvollen Preises nicht berschreitet.

    7. Die Stadt Leipzig beschliet, Erwerbslosen knftig den kostenfreien Besuch der Bibliotheken und Museen sowie den Kindern der Erwerbslosen den kostenfreien Besuch

    der jugendhilflichen und soziokulturellen Einrichtungen der Stadt und ihrer freien Trger zu ermglichen.

    8. Die Stadt Leipzig beschliet, den Besuch aller anderen Kultur- und Freizeiteinrichtungender Stadt Leipzig fr die Erwerbslosen um mindestens 75 % zu ermigen.

    Die vorliegenden 16 Forderungen haben wir am 14. Februar whrend der Kundgebung vor dem SPD Unterbezirk Leipzig-Borna vorgetragen und als die Bilanz von in denOrganisationen des Aktionsbndnisses vertretenen Erwerbslosen an den SPD-Unterbezirkbergeben. Wir fordern Sie auf, das von uns vorgebrachte Sendschreiben in ernsthafter Weise in ihre Beratungen im Zusammenhang der Monitoring-Runde einzubeziehen und diefinanziell existenzbedrohende Lage der ALG-II-Antragsberechtigten umgehendentsprechend der vorgebrachten Forderungen zu verbessern. Fr nhere umfangreicheErluterungen zum realen Finanzbedarf fr ein menschenwrdiges Leben stehen wir Ihnengern zur Verfgung.