2012-04_event_tiziano-ferro

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I italo pop I SCHWEIZER ILLUSTRIERTE event. 19 18 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE event. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE event. 19 Es ist für keinen Teenager leicht, seine Homo- sexualität zu entdecken. In Italien ist es sicher keine Alltäglichkeit, vielleicht hätte ich es leichter gehabt als Franzose oder Deutscher und sechs Jahre weniger dazu gebraucht. Aber ich denke, hauptsächlich geht es um Selbstwertschätzung. Wenn du dich selber nicht liebst, kannst du keine Liebe, Ruhe und Klarheit ausstrahlen. Ich musste diesen lan- gen Weg gehen, um Frieden und Glück zu finden. Das sind zwei grosse Worte, man kann weder Frieden noch Glück in absoluter Form finden. Ich versuche, mich anzunähern. Sechs Jahre sind eine lange Zeit für einen Leidensweg. Manchmal muss man ganz am Boden landen, um wirklich zu einem selbst zurückzufinden Tiziano Ferro galt lange als der neue Eros Ramazzotti. Im Gespräch mit dem jungen Italiener wird klar, dass er weit mehr ist als ein Schmusesänger. Er öffnet event. sein Herz. Tiziano, du hast mit John Legend zusam- mengearbeitet, was ist er für ein Typ? Wir kamen super miteinander aus und haben festgestellt, dass wir vieles gemeinsam haben: Wir sind gleich alt und fingen beide in einem Gospelchor an zu singen. Eine Erfah- rung, die uns half, uns zu öffnen, denn wir sind eigentlich zurückhaltend. Johns Künstlername «Legend» ist aber nicht, was man bescheiden nennt. Ja, das ist seltsam. Er ist schüchtern. Als ich erstmals realisierte, dass «Legend» nicht sein Familienname ist, habe ich mich auch ge- fragt. Es passt nicht zu seiner Natur, sich einen solchen Namen zu geben. Und bei der Arbeit, stand er da über dir? Anfangs schaute ich nur zu ihm auf und war sehr nervös. Jedes seiner Alben habe ich immer sehnlichst erwartet. Als ich anfing zu singen und er mir sagte, er liebe es, wie groo- vig ich töne, lief die Produktion sehr easy. Wer hat den Song ausgesucht, den ihr gemeinsam eingespielt habt? Ich habe ihn gebeten, einen Song auszusu- chen und er hat sich für «Esmeraldo» ent- schieden, den wir dann «Karma» nannten. Ihr singt «When the Universe connects, I know that this is Karma». Was meinst du damit? Ich habe den englischen Text nicht geschrie- ben, aber ich glaube wirklich an Karma, an diese Philosophie, dass alles, was man tut, Konsequenzen hat und dass man in diesem Leben Dinge lösen muss, in die man sich im letzten Leben verstrickte. Ich finde mich so oft in wiederkehrenden Problemsituationen. Zum Beispiel? Zum Beispiel Technik. Ich bin kein technischer Mensch. Alles, was überstrukturiert ist, funk- tioniert bei mir nicht. Wenn ich ein neues Handy kaufe, muss ich es garantiert erst ein- mal umtauschen, es würde niemals auf An- hieb funktionieren. Aber das ist jetzt aus Karma-Perspektive nicht ein Problem, aus dem du etwas ler- nen kannst, wenn du es löst. Wer weiss? Vielleicht habe ich in meinem frü- heren Leben Gefühle künstlich geäussert und nun ist alles, was künstlich ist, gegen mich (lacht). Der Begriff «Karma» stammt nicht aus dem Katholizismus. Du bist als Italiener aber sicher katholisch aufgewachsen? Tiziano Ferro spricht viel mit den Händen und lacht gerne – ein richtiger Italiener, mit Charme und dem Feuer in den Augen, wie wir ihn uns vorstellen. L‘amore è una cosa sem- plice. Liebe ist etwas Einfach- es. Mach nichts Kompliziertes, Schmerzhaftes daraus! ’’ TIZIANO FERRO 23. Mai Hallenstadion Zürich Das neue Album von Tiziano Ferro ist eine Heimkehr Der Philosoph Ja. Die christlich-katholische Lehre ist schön, denn es geht eigentlich nur um Liebe und Vergebung. Das Problem ist, dass die Kirche ein Business darum herum gebaut hat. Auch hier wurde überstrukturiert, sodass die Lehre weit ab vom realen menschlichen Leben ist. Ich glaube fest an Jesus, aber ich komme mit der Kirche nicht klar. Viele Schweizer denken von Italien eher klischeehaft als ein Land, das sehr stark katholisch denkt und funktioniert. Ihr liegt nicht so falsch. In Italien ist es nicht einfach, anders zu sein. Religion und Politik richten sich gegen Andersartigkeit. Aber wir haben ein Hirn, und vor allem die junge Ge- neration hat einen kritischen Blick entwickelt. Trotzdem brauchtest du viel Mut für dein Coming Out in einem Land wie Italien. mein Traum war. Aber ich war traurig. Ich schottete mich ab, weil ich glaubte, ich dürfe meine Freunde nicht mit meinen Problemen belasten. Aber 2008, als ich mich nicht mehr im Spiegel erkannte, war der Moment, in dem ich realisierte, dass ich Hilfe brauchte. Das war der erste Schritt. Und wer hat dir geholfen? Ein Psychoanalytiker. Diese Sitzungen sind sehr spannend, denn man kommt in Kontakt mit seinem Unterbewusstsein. Das kann schmerzhaft sein, ist aber auf viele Arten fas- zinierend und manchmal ist es auch lustig. Aber ich brauchte mehrere Jahre, um an den Punkt zu kommen, wo ich in den Spiegel schauen und sagen konnte: Okay, ich möchte mein Leben leben, so wie ich es fühle. Wie hat deine Familie den neuen Tiziano aufgenommen? Sehr liebevoll. Ich merkte, dass ich meine Gefühle nur leben kann, wenn ich sie teile. Als ich mich Familie und Freunden öffnete, widerspiegelten sie meine Liebe. Nur wenn du dich selbst liebst, kannst du Liebe geben und be- kommst Liebe zurück. Das klingt irgendwie einfach. Ist es auch. Darum heisst mein Album «L’amore è una cosa semplice», «Liebe ist eine einfache Sache». Die Liebe ist ein simples Bedürfnis der Menschen. Aber manchmal machen Menschen alles kompliziert. Ich verkomplizierte mein Leben auf der Suche nach den Dimensionen meiner Emotionen. Ob- wohl es eigentlich so einfach gewesen wäre, zu sehen, dass alles, was ich brauche, Liebe war, von jemandem, der in seinem Innern so ist, wie ich. Und diese Erkenntnis ist mit dem neuen Album eng verknüpft. Genau, und es ist ein «Nachhause- kommen», weil ich für dieses Album zu meinen Wurzeln zurückgekehrt bin, nach fünf Jahren Isolation in England. Ich hatte nicht mehr Italienisch gesprochen, weil ich mich selbst verleugnete, so sehr, dass ich mich immer in fremde Welten setzen wollte. Du warst auch drei Jahre in Mexiko. Ein wunderbares Land. Ich habe mit Mexika- nern Musik gemacht. Die waren aber nicht so berühmt wie John Legend. Interview: Selina Müller und dann mit aller Kraft wieder aufzustehen und den richtigen Weg zu gehen. Ich hatte mein absolutes Tief 2008, da konnte ich nicht einmal mehr in den Spiegel schauen am Mor- gen, so scheisse fühlte ich mich. Ich erkannte mich selber gar nicht wieder. Ich mochte mein Leben nicht, ich mochte nicht, was ich war. Ich fühlte mich wertloser als eine Null, obwohl ich eine wundervolle Karriere hatte, von meiner Musik leben konnte, was immer Beim Look ist Tiziano Ferro der typische stilsichere Italiener. Sein Denken und Fühlen ist aber nicht konform. PAPERBOY

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Tiziano Ferro galt lange als der neue Eros Ramazzotti. Im Gespräch mit dem jungen Italiener wird klar, dass er weit mehr ist als ein Schmusesänger. Er öffnet event. sein Herz. I italo pop I Das neue Album von Tiziano Ferro ist eine Heimkehr Tiziano Ferro spricht viel mit den Händen und lacht gerne – ein richtiger Italiener, mit Charme und dem Feuer in den Augen, wie wir ihn uns vorstellen. Interview: Selina Müller SCHWEIZER ILLUSTRIERTE event. PAPERBOY

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I italo pop I

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE event. 19 18 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE event. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE event. 19

Es ist für keinen Teenager leicht, seine Homo-sexualität zu entdecken. In Italien ist es sicher keine Alltäglichkeit, vielleicht hätte ich es leichter gehabt als Franzose oder Deutscher und sechs Jahre weniger dazu gebraucht. Aber ich denke, hauptsächlich geht es um Selbstwertschätzung. Wenn du dich selber nicht liebst, kannst du keine Liebe, Ruhe und Klarheit ausstrahlen. Ich musste diesen lan-gen Weg gehen, um Frieden und Glück zu fi nden. Das sind zwei grosse Worte, man kann weder Frieden noch Glück in absoluter Form fi nden. Ich versuche, mich anzunähern.Sechs Jahre sind eine lange Zeit für einen Leidensweg.Manchmal muss man ganz am Boden landen, um wirklich zu einem selbst zurückzufi nden

Tiziano Ferro galt lange als der neue Eros Ramazzotti. Im Gespräch mit dem jungen Italiener wird klar, dass er weit mehr ist als ein Schmusesänger. Er öffnet event. sein Herz.

Tiziano, du hast mit John Legend zusam-mengearbeitet, was ist er für ein Typ?Wir kamen super miteinander aus und haben festgestellt, dass wir vieles gemeinsam haben: Wir sind gleich alt und fi ngen beide in einem Gospelchor an zu singen. Eine Erfah-rung, die uns half, uns zu öffnen, denn wir sind eigentlich zurückhaltend. Johns Künstlername «Legend» ist aber nicht, was man bescheiden nennt.Ja, das ist seltsam. Er ist schüchtern. Als ich erstmals realisierte, dass «Legend» nicht sein Familienname ist, habe ich mich auch ge-fragt. Es passt nicht zu seiner Natur, sich einen solchen Namen zu geben.Und bei der Arbeit, stand er da über dir?

Anfangs schaute ich nur zu ihm auf und war sehr nervös. Jedes seiner Alben habe ich immer sehnlichst erwartet. Als ich anfi ng zu singen und er mir sagte, er liebe es, wie groo-vig ich töne, lief die Produktion sehr easy.Wer hat den Song ausgesucht, den ihr gemeinsam eingespielt habt?Ich habe ihn gebeten, einen Song auszusu-chen und er hat sich für «Esmeraldo» ent-schieden, den wir dann «Karma» nannten.Ihr singt «When the Universe connects, I know that this is Karma». Was meinst du damit?Ich habe den englischen Text nicht geschrie-ben, aber ich glaube wirklich an Karma, an diese Philosophie, dass alles, was man tut,

Konsequenzen hat und dass man in diesem Leben Dinge lösen muss, in die man sich im letzten Leben verstrickte. Ich fi nde mich so oft in wiederkehrenden Problemsituationen.Zum Beispiel?Zum Beispiel Technik. Ich bin kein technischer Mensch. Alles, was überstrukturiert ist, funk-tioniert bei mir nicht. Wenn ich ein neues Handy kaufe, muss ich es garantiert erst ein-mal umtauschen, es würde niemals auf An-hieb funktionieren. Aber das ist jetzt aus Karma-Perspektive nicht ein Problem, aus dem du etwas ler-nen kannst, wenn du es löst.Wer weiss? Vielleicht habe ich in meinem frü-heren Leben Gefühle künstlich geäussert und nun ist alles, was künstlich ist, gegen mich (lacht).Der Begriff «Karma» stammt nicht aus dem Katholizismus. Du bist als Italiener aber sicher katholisch aufgewachsen?

Tiziano Ferro spricht viel mit den Händen und lacht gerne – ein richtiger Italiener, mit Charme und dem Feuer in den Augen, wie wir ihn uns vorstellen.

“ L‘amore è una cosa sem-

plice. Liebe ist etwas Einfach-

es. Mach nichts Kompliziertes,

Schmerzhaftes daraus! ’’TIZIANO FERRO

23. Mai

Hallenstadion

Zürich

Das neue Album von Tiziano Ferro ist eine Heimkehr

Der Philosoph

Ja. Die christlich-katholische Lehre ist schön, denn es geht eigentlich nur um Liebe und Vergebung. Das Problem ist, dass die Kirche ein Business darum herum gebaut hat. Auch hier wurde überstrukturiert, sodass die Lehre weit ab vom realen menschlichen Leben ist. Ich glaube fest an Jesus, aber ich komme mit der Kirche nicht klar.

Viele Schweizer denken von Italien eher klischeehaft als ein Land, das sehr stark katholisch denkt und funktioniert.Ihr liegt nicht so falsch. In Italien ist es nicht einfach, anders zu sein. Religion und Politik richten sich gegen Andersartigkeit. Aber wir haben ein Hirn, und vor allem die junge Ge-neration hat einen kritischen Blick entwickelt. Trotzdem brauchtest du viel Mut für dein Coming Out in einem Land wie Italien.

mein Traum war. Aber ich war traurig. Ich schottete mich ab, weil ich glaubte, ich dürfe meine Freunde nicht mit meinen Problemen belasten. Aber 2008, als ich mich nicht mehr im Spiegel erkannte, war der Moment, in dem ich realisierte, dass ich Hilfe brauchte. Das war der erste Schritt.Und wer hat dir geholfen? Ein Psychoanalytiker. Diese Sitzungen sind sehr spannend, denn man kommt in Kontakt mit seinem Unterbewusstsein. Das kann schmerzhaft sein, ist aber auf viele Arten fas-zinierend und manchmal ist es auch lustig. Aber ich brauchte mehrere Jahre, um an den Punkt zu kommen, wo ich in den Spiegel schauen und sagen konnte: Okay, ich möchte mein Leben leben, so wie ich es fühle.

Wie hat deine Familie den neuen Tiziano aufgenommen?Sehr liebevoll. Ich merkte, dass ich meine Gefühle nur leben kann, wenn ich sie teile. Als ich mich Familie und Freunden öffnete, widerspiegelten sie meine Liebe. Nur wenn du dich selbst liebst, kannst du Liebe geben und be-kommst Liebe zurück.Das klingt irgendwie einfach.Ist es auch. Darum heisst mein Album «L’amore è una cosa semplice», «Liebe ist eine einfache Sache». Die Liebe ist ein simples Bedürfnis der Menschen. Aber manchmal machen Menschen alles kompliziert. Ich verkomplizierte mein Leben auf der Suche nach den Dimensionen meiner Emotionen. Ob-wohl es eigentlich so einfach gewesen wäre, zu sehen, dass alles, was ich brauche, Liebe war, von jemandem, der in seinem Innern so ist, wie ich. Und diese Erkenntnis ist mit dem neuen Album eng verknüpft.Genau, und es ist ein «Nachhause-kommen», weil ich für dieses Album

zu meinen Wurzeln zurückgekehrt bin, nach fünf Jahren Isolation in England. Ich hatte nicht mehr Italienisch gesprochen, weil ich mich selbst verleugnete, so sehr, dass ich mich immer in fremde Welten setzen wollte.Du warst auch drei Jahre in Mexiko.Ein wunderbares Land. Ich habe mit Mexika-nern Musik gemacht. Die waren aber nicht so berühmt wie John Legend.

Interview: Selina Müller

und dann mit aller Kraft wieder aufzustehen und den richtigen Weg zu gehen. Ich hatte mein absolutes Tief 2008, da konnte ich nicht einmal mehr in den Spiegel schauen am Mor-gen, so scheisse fühlte ich mich. Ich erkannte mich selber gar nicht wieder. Ich mochte mein Leben nicht, ich mochte nicht, was ich war. Ich fühlte mich wertloser als eine Null, obwohl ich eine wundervolle Karriere hatte, von meiner Musik leben konnte, was immer

Beim Look ist Tiziano Ferro der typische stilsichere Italiener. Sein Denken und Fühlen ist aber nicht konform.

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