2013-01-traveller_07_Frankreich-Loire

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Fahrrad-Schlösser an der Loire Nach zehnjähriger Aufbauarbeit ist man an Frankreichs längstem Fluss zurecht stolz auf ein abwechslungsreiches und gut ausgebautes Radwege- Netzwerk. „La Loire a Velo“ lockt auf 800 Kilometern mit abwechslungsreichen Routen, Top-Sehenswürdigkeiten und vielen fahrradfreundlichen Unterkünften und Restaurants. Lenker justieren und ab auf den Sattel Das Fahrrad erlebt in Frankreich gerade eine Renaissance. In den größeren Städten nutzen Einheimische ebenso wie Besucher eifrig das gute Angebot öffentlicher Citybike-Stationen. Auch auf dem Land wird das Radweg-Netz immer dichter. Mit Themenrouten und neu ausgebauten Strecken werben die Regionen um Radtouristen. Wer sich Frankreich auf zwei Rädern erschließen will, der bringt ent- weder seinen eigenen Drahtesel bequem im Zug mit oder verabredet sich mit einem Leihrad-Anbieter. Dieser liefert auf Wunsch auch direkt ins Hotel. Hänger auf, Radl raus, Lenker und Sattelhöhe einstellen und schon geht’s los mit einem einwandfreien Zweirad neuesten Jahrgangs. Die Reisekoffer drückt man einfach dem Radverleiher zur Übergabe im nächsten Etappen-Hotel in die Hand. Auch die Bed&Bike-Partnerunterkünfte entlang des Loire-Radweges bieten diesen Gepäckservice. Für Reisende mit eigenem Fahrrad ein ebenso nützlicher Aspekt, wie auch der sichere Stell- platz und die kleine Reparatur-Werkstatt im Haus. Man hat sich allerhand einfallen las- sen, um die Besucher des berühmten Fluss- tales auf den Sattel zu locken. Und mal ehr- lich: Gibt es eine bessere Möglichkeit, sich diesen Schmelztiegel von historischen Monu- menten, ausgezeichneten Weinen und gutem Essen zu erschließen? Geräucherte Kaldaunen Bitte, was? Auf beiden Seiten der Speisekarte stehen unverständliche Worte. Bei der Andouille, so der französische Name, handelt es sich um eine Wurst, gefüllt mit gerolltem Schweinemagen, herzhaft geschmort mit ei- ner reichhaltigen Soße. Vor dem Grillstand auf dem Weinfest in Tours stehen die Franzo- sen Schlange, um eine Portion dieser Lecker- bissen abzubekommen. Die französische Kü- che ist ein Aushängeschild des Landes. Gutes Essen hat einen hohen Stellenwert, und ge- gen den Fastfood-Einheitsbrei wehren sich kreative Köche mit regionalen und saisonalen Spezialitäten. Schnitzel billig entspricht nicht dem französischen Verständnis von pass- ablem Essen. Fleisch gerne; es muss auch nicht teuer sein. Aber um jeden Preis würde man selten seinen Anspruch auf gute Ernäh- rung opfern. Ob deftig dampfende Haus- mannskost oder überschaubare kulinarische Wunderwerke beim Haubenkoch: Frankreich sollte man sich schmecken lassen. Zum bes- seren Verständnis von prosaisch formulierten Speisekartentexten gibt es in der Reisebuch- handlung sehr nützliche Kulinarik-Wörterbü- cher. Oder man fragt einfach den Koch bzw. die Bedienung. Die lieben es, über ihr Essen zu reden. Wenn man dann weiß, dass es um Kalbshaxe, Rinderhüftsteak, Nudeln mit Pe- sto oder einen Wiesenkrautsalat mit Waldpil- zen geht, dann versteht man schnell: Es ist schade, wenn im eigenen Bauch Platz für nur eine Hauptspeise ist. Und auf die folgt ja noch ein Dessert und ein paar Käsehäppchen. 71er Weißwein in der Höhle Zu einem guten Essen gehört auch ein guter Wein. An dem herrscht im Loiretal – Frank- reichs zweitgrößtem Weinbaugebiet - wahrhaf- tig kein Mangel. Man muss sich schon selbst disziplinieren, um nicht zu viele Winzerbe- sichtigungen und Verkostungen zwischen die Radtouren durch die Weinberge zu packen: Trunkenheit am Steuer ist auch bei Radfahr- ern nicht gerne gesehen. Gänzlich auf die Pausen beim Winzer zu verzichten, wäre aber auch fahrlässig. Dafür schmecken sie zu gut, die lokalen Weine. Und überall ein bisschen anders. Die Chateaux öffnen gerne ihre Tore F R A N K R E I C H Die königliche Burgfeste Chinon © C. Mouton © Franck Badaire 18

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Fahrrad-Schlösser an der Loire Nach zehnjähriger Aufbauarbeit ist man an Frankreichs längstem Fluss zurecht stolz auf ein abwechslungsreiches und gut ausgebautes Radwege- Netzwerk. „La Loire a Velo“ lockt auf 800 Kilometern mit abwechslungsreichen Routen, Top-Sehenswürdigkeiten und vielen fahrradfreundlichen Unterkünften und Restaurants.

Lenker justieren und ab auf den SattelDas Fahrrad erlebt in Frankreich gerade eine Renaissance. In den größeren Städten nutzen Einheimische ebenso wie Besucher eifrig das gute Angebot öffentlicher Citybike-Stationen. Auch auf dem Land wird das Radweg-Netz immer dichter. Mit Themenrouten und neu ausgebauten Strecken werben die Regionen um Radtouristen. Wer sich Frankreich auf zwei Rädern erschließen will, der bringt ent-weder seinen eigenen Drahtesel bequem im Zug mit oder verabredet sich mit einem Leihrad-Anbieter. Dieser liefert auf Wunsch auch direkt ins Hotel. Hänger auf, Radl raus, Lenker und Sattelhöhe einstellen und schon geht’s los mit einem einwandfreien Zweirad neuesten Jahrgangs. Die Reisekoffer drückt man einfach dem Radverleiher zur Übergabe im nächsten Etappen-Hotel in die Hand. Auch die Bed&Bike-Partnerunterkünfte entlang des Loire-Radweges bieten diesen Gepäckservice. Für Reisende mit eigenem Fahrrad ein ebenso nützlicher Aspekt, wie auch der sichere Stell-platz und die kleine Reparatur-Werkstatt im Haus. Man hat sich allerhand einfallen las-sen, um die Besucher des berühmten Fluss-tales auf den Sattel zu locken. Und mal ehr-lich: Gibt es eine bessere Möglichkeit, sich diesen Schmelztiegel von historischen Monu-menten, ausgezeichneten Weinen und gutem Essen zu erschließen?

Geräucherte KaldaunenBitte, was? Auf beiden Seiten der Speisekarte stehen unverständliche Worte. Bei der Andouille, so der französische Name, handelt es sich um eine Wurst, gefüllt mit gerolltem Schweinemagen, herzhaft geschmort mit ei-ner reichhaltigen Soße. Vor dem Grillstand auf dem Weinfest in Tours stehen die Franzo-sen Schlange, um eine Portion dieser Lecker-bissen abzubekommen. Die französische Kü-

che ist ein Aushängeschild des Landes. Gutes Essen hat einen hohen Stellenwert, und ge-gen den Fastfood-Einheitsbrei wehren sich kreative Köche mit regionalen und saisonalen Spezialitäten. Schnitzel billig entspricht nicht dem französischen Verständnis von pass-ablem Essen. Fleisch gerne; es muss auch nicht teuer sein. Aber um jeden Preis würde man selten seinen Anspruch auf gute Ernäh-rung opfern. Ob deftig dampfende Haus-mannskost oder überschaubare kulinarische Wunderwerke beim Haubenkoch: Frankreich sollte man sich schmecken lassen. Zum bes-seren Verständnis von prosaisch formulierten Speisekartentexten gibt es in der Reisebuch-handlung sehr nützliche Kulinarik-Wörterbü-cher. Oder man fragt einfach den Koch bzw. die Bedienung. Die lieben es, über ihr Essen zu reden. Wenn man dann weiß, dass es um Kalbshaxe, Rinderhüftsteak, Nudeln mit Pe-

sto oder einen Wiesenkrautsalat mit Waldpil-zen geht, dann versteht man schnell: Es ist schade, wenn im eigenen Bauch Platz für nur eine Hauptspeise ist. Und auf die folgt ja noch ein Dessert und ein paar Käsehäppchen.

71er Weißwein in der HöhleZu einem guten Essen gehört auch ein guter Wein. An dem herrscht im Loiretal – Frank-reichs zweitgrößtem Weinbaugebiet - wahrhaf-tig kein Mangel. Man muss sich schon selbst disziplinieren, um nicht zu viele Winzerbe-sichtigungen und Verkostungen zwischen die Radtouren durch die Weinberge zu packen: Trunkenheit am Steuer ist auch bei Radfahr-ern nicht gerne gesehen. Gänzlich auf die Pausen beim Winzer zu verzichten, wäre aber auch fahrlässig. Dafür schmecken sie zu gut, die lokalen Weine. Und überall ein bisschen anders. Die Chateaux öffnen gerne ihre Tore

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Special

und in der Gegend zwischen Saumur und Chi-non kann man den Wein sogar unterirdisch verkosten. Viele alte Steinbrüche, die man zum Abbau des als Baumaterial geschätzten weißen Tuffsteins weit in den Fels getrieben hat, werden heute zur Wein- und Sektlagerung genutzt. Mit konstant 12 Grad Celsius bieten sie eine willkommene Abkühlung für erhitzte Radfahrer. Wer nicht nur einen kurzen Spa-ziergang im Felsenlabyrinth unternehmen möchte, dem sei eine warme Jacke angeraten. Oder man verabredet sich gleich mit dem Win-zer zum Schmaus unter Tage – im Wärmekegel eines Heizstrahlers. Auf den Tisch kommen al-lerlei Schweinereien – geselcht, gebraten, ge-grillt oder als Pastete – frisch zubereitet von der hemdsärmeligen Dame des Hauses. Dazu Salat, Käse und natürlich der ein oder andere passende Wein – die Schatzkammer ist ja nicht weit. Dort lagern dann auch Tröpfchen,

die man unter freiem Himmel wohl nie zu Ge-sicht bekäme: Ein 1971er Weißwein, zum Bei-spiel, der tatsächlich ganz hervorragend schmeckt. Wer hätte das gedacht?

Kämpferische Jungfrau und WeltuntergangMan lernt also aus Erfahrungen. Und das kann man beim Loire-Radweg durchaus wörtlich nehmen: 100-jähriger Krieg, Johanna von Orléans, die Hugenotten ... Was im Ge-schichtsunterricht fader Lernstoff war, erfährt man sich zwischen Angers und Tours einfach mit dem Fahrrad. Abwechslung ist dabei ga-rantiert. Zig Dutzend Schlösser spicken eine der lieblichsten Landschaften Frankreichs. Das tagsüber Erlebte lässt man am Abend gut und gerne bei einem Glas Wein auf dem Markt-platz eines der charmanten Städtchen am Flussufer Revue passieren: Das Grabmal von Richard Löwenherz in der Abtei Fontevraud, in

Angers der 80 Meter lange mittelalterliche Wandteppich mit Motiven aus der Apokalypse, die Burgfeste Chinon, in der Jean d‘Arc ihrem König den Sieg über die Engländer vorausge-sagt hat. Man hat sich viel Mühe gemacht, um die historischen Stätten attraktiv zu präsentie-ren. Multimedia-Shows, Audio-Guides und Entdecker-Parcours für Kinder faszinieren für die Geschichte ohne mit trockener Chronolo-gie zu langweilen. Das Ensemble geschichts-trächtiger Orte ist ein Aushängeschild Frank-reichs und zu Recht aufgenommen ins UN-ESCO-Register des kulturellen Erbes der Menschheit. Und doch bietet die Region ge-nug, um auch weniger Geschichtsinteressierte zu begeistern: Die wohl prächtigsten Gemüse-beete der Welt in den Renaissance-Gärten von Vilandry, die lebhafte Altstadt von Tours mit ihrer Studentenszene und den Musikfestivals, die Kulinarik, den Wein oder einfach nur die gut ausgeschilderten Radwege in schöner Landschaft. Marcus Bauer

Informationen Anreise: NIKI fliegt zwischen Wien und Paris ab 49 Euro inklusive aller Steuern und Gebüh-ren one-way zweimal täglich Mo bis Fr und je einmal am Sa bzw. So. www.flyniki.com Vom Flughafen CDG gibt es die direkte Verbin-dung mit dem Schnellzug TGV nach Angers (2 h 10 min) oder Tours (1 h 50 min). Zug-Tickets können beim Ruefa Bahn- und Fäh-rencenter [email protected], Tel. 01/503 00 2010 gebucht werden, übrigens auch für die Nacht-zugstrecke Wien-Paris via München.Infos: Streckenplaner, Übernachtung, Sehens-würdigkeiten: Alle Informationen rund um den Loire-Radweg sind übersichtlich auf der Seite www.loire-radweg.org zusammengestellt.Zu Reisen in Frankreich informiert Atout France unter www.rendezvousenfrance.comRadlergruppe im Loire-Tal

Herzhafte Spezialitäten aus Tours Am Loire-Tal-Radweg Winzer Christophe vor seiner „Höhle“

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