2014-10-09 Nikolaikirche 25 Jahre Friedliche Revolution

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2014-10-09 Nikolaikirche 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution - James Baker - Frank Richter.

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Einleitung zum „Appell vom 9. Oktober 1989“,

der von Christoph Wonneberger und Kathrin Maler Walther

in der Nikolaikirche Leipzig verlesen wurde

Frank Richter

„Mit Gewalt, sagte der Friseurgehilfe, das Rasiermesser an

meiner Kehle, ist der Mensch nicht zu ändern.

Mein Kopfnicken beweist ihm das Gegenteil.“

Mit diesen Worten begann Christoph Wonneberger das

Friedensgebet der Arbeitsgruppe Menschenrechte am

25.September 1989.

Gewalt war bereits vor dem 9.Oktober 1989 ein Thema.

Vor 25 Jahren habe ich hier einen Appell dreier Leipziger

Bürger- und Menschenrechtsgruppen, der Arbeitsgruppe

Menschenrechte, des Arbeitskreises Gerechtigkeit und der

Arbeitsgruppe Umweltschutz verlesen, mit dem w i r zu Gewaltfreiheit aufriefen.

Dieser Appell wurde am 7. Oktober 1989 von Vertretern der

unterzeichnenden Gruppen beschlossen.

Der Text war nicht unumstritten. Einige hatten Bedenken, der Passus „Wir sind ein Volk“ könnte

missverstanden werden, in dem Sinne,

wir machten uns gemein mit den Unterdrückern.

Aber wir wollten auch ein Stichwort für die Zukunft geben und

das hat die Bedenken überwogen.

Am späten Abend des 7.Oktober 1989 haben wir unsere

Wachsmatrizen-Druckmaschine angeworfen und den Text in

einer Auflage von ca. 25.000 Stück gedruckt, bis unser

Papiervorrat in der Nacht zum Montag zu Ende ging. Den

Appell verteilten wir am 9. Oktober ab dem frühen Nachmittag

in der Innenstadt, erstaunlicherweise fast unbehelligt von den

zahlreichen Sicherheitsorganen.

Die Entwicklung hin zum 9.Oktober 1989 in Leipzig,

zur friedlichen Revolution, war k e i n Wunder und auch nicht

einfach nur ein großer Zufall –

und dann doch ein Glücksfall der Geschichte.

Vier Punkte möchte ich hervorzuheben:

1. Der Aufbau eines Netzwerkes der Oppositionsgruppen in der

„DDR“. Einmal im Monat trafen sich seit Sommer 1988 in

Leipzig Vertreter von mehr als 40 Gruppen. Nicht der Einzelne,

sondern der organisierte Zusammenschluss und dessen gemeinschaftliches Handeln gegen die Herrschenden, war

das Politikum.

2. Der Aufbau eines Netzwerkes in den Ostblock, unter

anderem nach Polen, in die damalige ČSSR, nach Ungarn, in

das Baltikum, nach Rumänien.

3. Die Zusammenarbeit mit den Antragstellern auf ständige

Ausreise. Sie in unsere politische Arbeit einzubeziehen, war für uns in Leipzig selbstverständlich.

4. Persönliche Kontakte zu bundesdeutschen und

ausländischen Journalisten und Politikern. Über diese Kontakte

erhielten wir nicht nur unsere technische Ausrüstung. Wir

konnten so die Öffentlichkeit über Tagesschau, RIAS und

Deutschlandfunk über Menschenrechtsverletzungen,

Inhaftierungen und Aktionen in der „DDR“ informieren. Diesen

Kontakten war es zu verdanken, dass der Appell bereits am

Morgen des 09.Oktober 1989, also noch vor dem Verteilen in Leipzig, in der Tageszeitung (taz) erscheinen konnte.

Weshalb also dieser Appell? Die SED, die Sozialistische

Einheitspartei Deutschlands und die ihr unterstellten

bewaffneten Organe drohten seit Monaten mit Gewalt.

Und sie haben Gewalt auch angewendet,

zuletzt am 7./8. Oktober 1989, in Leipzig, Magdeburg, Plauen,

Berlin, Dresden.

Wir mussten handeln.

Informieren, Mut machen, Ängste verringern – und dann

gewaltfrei auf die Straße gehen.

Die Gewaltfreiheit war eine Freiheit, die wir uns genommen

haben. Und die ist gelungen!

Und heute?

Die einst erkämpfte Freiheit wird immer mehr der

vermeintlichen Sicherheit geopfert.

Freie Informationen werden in großen Teilen der Welt, in China,

Russland, auch in den Vereinigten Staaten von Amerika und

sogar in Europa mit Gewalt unterdrückt oder verschleiert.

Wer, wie Edward Snowden, mutig das Spiel der Mächtigen

offen legt, sollte, gerade hier in diesem Land, verteidigt und

geschützt, also in Deutschland aufgenommen, werden.

Die Botschaft der gewaltfreien Revolution von 1989 ist,

zu investieren in soziale Verteidigung,

in Friedensforschung, in Entwicklungshilfe.

Das verträgt sich aber nicht gut mit Deutschlands

Waffenexporten, erst recht nicht mit Waffenexporten in

Krisen- und Kriegsgebiete.

Hier schließt sich der Kreis zu unserem Appell von 1989.

„Keine Gewalt“ war kein Ruf der Angst, kein passiver Ruf. Er

war ein Aufruf, ein Appell aktiv zu werden – das ist er auch

heute noch.

(Gesprochener Text von Frank Richter

am 9. Oktober 2014)