(3) Die NATO und Russland – ein schwieriges Verhältnis ......naturgegebenen Rechtes, die Mittel...

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Politik Aktuell Nr. 28/2014 12. September 2014 5 © Madog Druck & Verlag GmbH – Alle Rechte vorbehalten Die Vervielfältigung und Weitergabe dieser PDF-Datei ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages erlaubt. Warschauer Pakt ist ein Vertrag vom 14. Mai 1955 über Freundschaft, Zusam- menarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen kommunis- tischen Staaten Europas mit automatischer Beistandspflicht, vereinigtem Oberkommando und unterstellten Truppen. Mitglieder waren Bulgarien, die DDR (bis 1990), Polen, Rumänien, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Ungarn; Albanien, das bereits 1961 die Mitarbeit eingestellt hatte, trat 1968 aus. Die militärischen Strukturen des Warschauer Pakts wurden zum 31. März 1991 aufgelöst. Am 1. Juli 1991 beschlossen die verbliebenen Mitgliedstaaten in Prag die Beendigung der Wirksamkeit des in Warschau geschlossenen Vertrages und damit die endgültige Auflösung der Vertragsorganisation. (3) Die NATO und Russland – ein schwieriges Verhältnis Kompetenzen: 1. Die historische Entwicklung des Verhältnisses der NATO zu Russland beschreiben können. 2. Die Grundlagen einer Kooperation beschreiben können. 1. Der aktuelle Anlass Beim NATO-Gipfel am 4. und 5. September 2014 im walisischen Newport stand die Krise in der Ukraine im Mittelpunkt. Von der NATO (ŹPA 10/2014) werden Antworten und Reaktionen erwartet, wie der blutige Ukraine- Konflikt politisch beendet werden kann und wie man sich gegenüber Russland verhalten soll. Die Frage steht im Raum, ob Russland nach Jahren der Entspannung wieder ein Gegner der NATO ist oder ob an der Partnerschaftsvereinbarung aus dem Jahr 1997 zwischen NATO und Russland festzu- halten ist. 2. Die NATO-Osterweiterung Nach dem Ende des Kalten Krieges traten mehrere Staaten der NATO bei, die zuvor Mitglied des Warschauer Pakts waren, einem von der Sowjetunion geführten Militärbündnis. Auch die ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Litauen und Lettland traten der NATO bei. Damit wuchs der Einflussbereich der NATO immer näher an Russland heran. Russland hat diese Annäherung an seine Grenzen stets kritisiert. Die NATO-Mitglieder sind in roter Schrift dargestellt. Österreich und Irland sind über die EU in die westliche Verteidigung eingebunden. Die Schweiz und Schweden kooperieren mit der NATO. Finnland wurde mehr- mals von Russland eingenommen; es soll künftig bei der strategischen Diskussion beteiligt sein. Frankreich Deutschland Russland Ukraine Polen Litauen Estland Lettland Weißrussland Türkei Norwegen Tschechien Slowakei Bulgarien Rumänien Ungarn Finnland Italien Spanien Portugal Groß- britannien Belgien Niederlande Lux. Dänemark Kroatien Slowenien Griechenland Mold. Albanien Island

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Politik Aktuell Nr. 28/2014 12. September 2014

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Die Vervielfältigung und Weitergabe dieser PDF-Datei ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages erlaubt.

Warschauer Pakt ist ein Vertrag vom 14. Mai 1955 über Freundschaft, Zusam-menarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen kommunis-tischen Staaten Europas mit automatischer Beistandspflicht, vereinigtem Oberkommando und unterstellten Truppen. Mitglieder waren Bulgarien, die DDR (bis 1990), Polen, Rumänien, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Ungarn; Albanien, das bereits 1961 die Mitarbeit eingestellt hatte, trat 1968 aus. Die militärischen Strukturen des Warschauer Pakts wurden zum 31. März 1991 aufgelöst. Am 1. Juli 1991 beschlossen die verbliebenen Mitgliedstaaten in Prag die Beendigung der Wirksamkeit des in Warschau geschlossenen Vertrages und damit die endgültige Auflösung der Vertragsorganisation.

(3) Die NATO und Russland – ein schwieriges Verhältnis Kompetenzen: 1. Die historische Entwicklung des Verhältnisses der NATO zu Russland beschreiben können.

2. Die Grundlagen einer Kooperation beschreiben können.

1. Der aktuelle Anlass Beim NATO-Gipfel am 4. und 5. September 2014 im walisischen Newport stand die Krise in der Ukraine im Mittelpunkt.

Von der NATO ( PA 10/2014) werden Antworten und Reaktionen erwartet, wie der blutige Ukraine-Konflikt politisch beendet werden kann und wie man

sich gegenüber Russland verhalten soll.

Die Frage steht im Raum, ob Russland nach Jahren der Entspannung wieder ein Gegner der NATO ist oder ob an der Partnerschaftsvereinbarung aus dem Jahr 1997 zwischen NATO und Russland festzu-halten ist.

2. Die NATO-Osterweiterung Nach dem Ende des Kalten Krieges traten mehrere Staaten der NATO bei, die zuvor Mitglied des Warschauer Pakts waren, einem von der Sowjetunion geführten Militärbündnis.

Auch die ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Litauen und Lettland traten der NATO bei. Damit wuchs der Einflussbereich der NATO immer näher an Russland heran. Russland hat diese Annäherung an seine Grenzen stets kritisiert.

Die NATO-Mitglieder sind in roter Schrift dargestellt. Österreich und Irland sind über die EU in die westliche Verteidigung eingebunden. Die Schweiz und Schweden kooperieren mit der NATO. Finnland wurde mehr-mals von Russland eingenommen; es soll künftig bei der strategischen Diskussion beteiligt sein.

Frankreich

Deutschland

Russland

Ukraine

Polen

Litauen

Estland

Lettland

Weißrussland

Türkei

Norwegen

Tschechien

Slowakei

Bulgarien

Rumänien Ungarn

Finnland

Italien

Spanien Portugal

Groß-britannien

Belgien

Niederlande

Lux.

Dänemark

Kroatien Slowenien

Griechenland

Mold.

Albanien

Island

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3. Die NATO-Russland-Grundakte Russland und die NATO arbeiten seit 1991 in Fragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zusammen. 1994 wurde die Russische Föderation Mitglied im Programm „Partnerschaft für den Frieden“. Mit der Unterzeichnung der „Grundakte über gegen-seitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicher-heit zwischen der NATO und der Russischen Föde-ration am 27. Mai 1997 in Paris sollte die Koopera-tion gefestigt werden. Als Konsultationsforum wurde der „Ständige Gemeinsame NATO-Russland-Rat“ geschaffen. Die Grundakte legt fest, dass Russland und die

NATO sich nicht als Gegner betrachten. Zur Bestätigung und um jegliche Provokation zu vermeiden, ist festgehalten, dass es keinen Anlass gebe, Nuklearwaffen in den neuen NATO-Mitglied-staaten im Osten zu stationieren. Der Vertrag verbietet dort auch die dauerhafte Stationierung von „substanziellen Kampftruppen“. Als Definition des Begriffes „substanziell“ in diesem Zusammenhang gilt die Aussage des früheren deutschen NATO-Generals Naumann, der gegen-über Moskau von einer Division, also etwa 15.000 Soldaten gesprochen hatte.

Aus der Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Russischen Föderation Paris, 27. Mai 1997

(…) Die NATO und Russland betrachten einander nicht als Gegner. Sie verfolgen gemeinsam das Ziel, die Spuren der früheren Konfrontation und Konkurrenz zu beseitigen und das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zu stärken. Diese Akte bekräftigt die Entschlossenheit der NATO und Russlands, ihrer gemeinsamen Verpflichtung zum Bau eines stabilen, friedlichen und ungeteilten, geeinten und freien Europas zum Nutzen aller seiner Völker konkreten Ausdruck zu verleihen. (…) Zur Verwirklichung der Ziele dieser Akte verpflichten sich die NATO und Russland gemeinsam dazu, ihre Beziehungen an folgenden Grundsätzen auszurichten:

• Aufbau einer starken, stabilen, dauerhaften und gleichberechtigten Partnerschaft und der Zusammenarbeit auf der Grundlage der Transparenz mit dem Ziel, die Sicherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum zu stärken;

• Anerkennung der Schlüsselrolle, die Demokratie, politischer Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten sowie die Entfaltung freier Marktwirtschaften für die Schaffung allgemeinen Wohlstands und umfassender Sicherheit spielen;

• Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegeneinander oder gegen irgendeinen Staat, seine Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit in einer Weise, die mit der Charta der Vereinten Nationen oder der in der Schlussakte von Helsinki enthaltenen Erklärung über die Prinzipien, die die Beziehungen der Teilnehmerstaaten leiten, unvereinbar ist;

• Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Staaten sowie ihres naturgegebenen Rechtes, die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sowie der Unverletzlichkeit von Grenzen und des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie es in der Schlussakte von Helsinki und anderen OSZE-Dokumenten verankert ist, selber zu wählen;

• Gegenseitige Transparenz bei der Ausarbeitung und Umsetzung verteidigungspolitischer und militärischer Doktrinen;

• Verhütung von Konflikten und Beilegung von Streitigkeiten durch friedliche Mittel im Einklang mit den Prinzipien der Vereinten Nationen und der OSZE;

• Unterstützung friedenserhaltender Operationen von Fall zu Fall, die unter der Autorität des UN-Sicherheitsrates oder der Verantwortung der OSZE durchgeführt werden.

4. Die NATO und die Ukraine Zwischen der Ukraine und der NATO gibt es einen militärischen Partnerschaftsvertrag, der am 9. Juli 1997 in Madrid geschlossen wurde. Der Vertrag regelt Konsultationen über Abrüstungs- und Kontroll-fragen sowie Waffen- und Technologietransfer. Die Teilnahme an friedenserhaltenden und friedens-schaffenden Missionen der NATO ist über die PfP (Partnership for Peace) ebenfalls möglich. Vorgese-hen ist auch die Konsultation der NATO bei Bedro-hung eines Unterzeichnerstaats von außen. Die PfP ist jedoch ausdrücklich kein Verteidigungsbündnis. Die Ukraine hat sich weiter verpflichtet, auf Be-schluss des Nordatlantikrates an militärischen Ope-rationen multinationaler Streitkräfte teilzunehmen, die entweder mit Mandat des UN-Sicherheitsrates durchgeführt werden oder unter Leitung der OSZE stehen.

Die NATO unterhält ein Informations- und Doku-mentationszentrum in Kiew, die Ukraine hat eine militärische Verbindungsstelle in Brüssel einge-richtet. Die Ukraine strebt eine Annäherung an die NATO an. Die NATO hatte aber wiederholt erklärt, ein Beitritt der Ukraine stehe derzeit nicht zur Debatte. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte ein-dringlich vor einem Ende des blockfreien Status der Ukraine. Wer die Neutralität infrage stelle, gefährde eine Lösung im Ostukraine-Konflikt, sagte er in Moskau. Ebenso warnte er vor einer Aufkündigung der NATO-Russland-Grundakte. Dies wäre die Kon-sequenz, wenn die NATO der Forderung mehrerer osteuropäischen Staaten nach größerer und dauerhafter Truppenpräsenz in ihren Staaten durch die NATO nachkommen würde.

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Arbeits- und Informationsblatt zu: Die NATO und Russland – ein schwieriges Verhältnis

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1. Beschreiben Sie

a) die Entwicklung der NATO-Osterweiterung und

b) mithilfe der Landkarte die heutige verteidigungs- und geopolitische Lage zwischen der NATO, Russland und der Ukraine.

2. Beschreiben Sie den wesentlichen Inhalt und die Ziele der NATO-Russland-Grundakte.

3. Durch welche Zusagen in der NATO-Russland-Grundakte wollte die NATO den Eindruck einer Bedrohung Russlands vermeiden und einem partnerschaftlichen Verhältnis Ausdruck verleihen?

4. Infolge des Krieges in der Ostukraine verlangen osteuropäische Staaten wie Polen und die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, größere und vor allem dauerhafte Truppenpräsenz in ihren Staaten durch die NATO einzurichten. Diese Staaten, in denen russische Minderheiten bzw. russischstämmige Bevölkerung leben, sehen sich von den Moskauer Expansionsbestrebungen direkt bedroht. Diese Forderung verstößt aber gegen die 1997 verfasste NATO-Russland-Grundakte. Vor allem die USA, Frankreich und Deutschland haben erklärt, dass sie an der NATO-Russland-Grundakte festhalten wollen, um den Konflikt nicht noch zusätzlich anzuheizen. Der polnische Verteidigungsminister Siemoniak hingegen begründete die Forderung so: „Russland hat angefangen, Russland hat die Vereinbarung gebrochen und die NATO und der Westen müssen daraus die Schlussfolgerungen ziehen. Die NATO muss ihre Mitglieder verteidigen und nicht auf Dokumente schauen.“ Der polnische Außenminister Sikorski meinte, dass es nicht Stärke, sondern Schwäche sei, die zur Invasion einlade. Die russische Regierung warnte die NATO davor, ihre Truppenpräsenz in Osteuropa zu verstärken, die Ukraine als Mitglied aufzunehmen oder die Gründungsakte des Nato-Russland-Rates von Mai 1997 aufzukündigen. Die NATO hat auf ihrem Gipfeltreffen beschlossen, mit einer neuen „Speerspitze“ einen russischen Angriff auf östliche NATO-Mitglieder zu verhindern. „Speerspitze“ bezeichnet eine Einsatztruppe von 5.000 Soldaten, die innerhalb von zwei bis drei Tagen einsatzbereit sein soll. Daneben will die NATO die Luftraumüberwachung über den baltischen Staaten, die keine eigenen Luftwaffen haben, deutlich verstärken. Eine ganze Reihe von Manövern ist im Baltikum und Polen geplant. Die Zahl der Kriegsschiffe im Schwarzen Meer und der Ostsee wird erhöht.

a) Beschreiben Sie die Standpunkte der osteuropäischen NATO-Mitglieder einerseits und der

USA, Deutschlands und Frankreichs andererseits.

b) Welche Interessen stehen sich gegenüber?

c) Ist der Beschluss der NATO ein guter Kompromiss?

d) Welchem Standpunkt können Sie sich anschließen?

Begründen Sie jeweils Ihre Meinung.