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Einfuhrung in die Wirtschaftspolitik 3-1 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2010)

3. Die Soziale Wohlfahrtsfunktion

• zentrale Annahme der sozialen Wohlfahrtstheorie: derStaat als einheitlicher Akteur, der sich verhalt wie einsozialer Planer bzw. ein benevolenter Diktator

“Herrschen aber soll die kleinste der Gruppen, die Wei-sen, Lehrer und Philosophen, denn sie allein verstehenes, die anderen Gruppen durch ihre Vernunft zu lenken.Wohl dem Staate, in dem die Weisen Konige und dieKonige Weise sind.” Platon, Der Staat

3.1. Das Konzept der Sozialen Wohlfahrtsfunktion

• auf Grund der Beschrankungen des Pareto Prinzips (→Kap. 2) werden die Annahmen von kardinaler Nutzen-messung und interpersoneller Vergleichbarkeit in Teilender Wohlfahrtstheorie gemacht

• Grundlegung des Konzepts der Sozialen Wohlfahrtsfunk-tion (SWF) durch Abram Bergson (1938) und Paul Sa-muelson (1947)

• allgemeine Form der SWF mit Individuen i = 1, 2, ...H

W (u1, u2, ......, uH), ∂W/∂ui ≥ 0 ∀ i

wobei der Nutzen jedes Individuums nicht-negativ in dieSWF eingeht (methodologischer Individualismus)

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Einfuhrung in die Wirtschaftspolitik 3-2 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2010)

• mit Hilfe der SWF wird der optimale Punkt auf der Nut-zenmoglichkeitsgrenze (Menge aller Pareto-effizienten Al-lokationen) bestimmt

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u1

u2

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NMG

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SIK

Abbildung 3.1: Maximierung der sozialen Wohlfahrt

NMG: Nutzenmoglichkeitsgrenze (fur variable Produkti-onsplane): Menge aller Allokationen, die durch Effizienzim Tausch, Effizienz in der Produktion und Gesamteffi-zienz gekennzeichnet sind (→ Abbildung 2.5)

SIK: soziale Indifferenzkurve: die Menge aller Kombinatio-nen von u1 und u2, die die gleiche soziale Wohlfahrtergeben (formal analog zur Indifferenzkurve eines Indi-viduums, aber hier gesellschaftliche Aggregation uber in-

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Einfuhrung in die Wirtschaftspolitik 3-3 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2010)

dividuelle Nutzen, anstatt individueller Aggregation uberverschiedene Guter)

3.2. Spezielle Soziale Wohlfahrtsfunktionen

konkretere Aussagen sind (nur) mit einer genau spezifizier-ten SWF moglich

=⇒ verbleibende Frage nach der Aggregationsregel, d.h.alternativen Formen der Sozialen Wohlfahrtsfunktion

3.2.1 Additive Soziale Wohlfahrtsfunktion

• auch als utilitaristische oder Bentham’sche SWF be-zeichnet, nach dem Begrunder des Utilitarismus JeremyBentham (1748-1823)

• einfachste Regel: Summierung der Nutzen

• prinzipiell unterschiedliche Gewichte der Individuen moglich;in der Regel aber gleiche Gewichte (von 1)

• sind ui(x) die individuellen Nutzen der Individuen imZustand x, dann ist die soziale Wohlfahrt W (x)

W (x) =H∑

i=1ui(x) (3.1)

• graphisch entspricht das einer vollstandigen Substituier-barkeit der Nutzen verschiedener Individuen

aber: Nutzen ist i.d.R. eine konkave Funktion des indi-viduellen Einkommens!

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u1

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llW1

W2

Abbildung 3.2: Additive SWF

3.2.2. Multiplikative Soziale Wohlfahrtsfunktion

• dem Mathematiker und Okonomen John Nash (* 1928)zugeordnet und daher auch als Nash-SWF bezeichnet

• alternativer Operator: Multiplikation individueller Nut-zen

W (x) =H∏

i=1ui(x) (3.2)

• graphisch: unvollstandige Substituierbarkeit der Nutzenverschiedener Individuen

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Einfuhrung in die Wirtschaftspolitik 3-5 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2010)

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u1

u2

W1

W2

Abbildung 3.3: Multiplikative SWF

starkere Betonung einer gleichmaßigen Nutzenverteilung alsbei utilitaristischer SWF. Beispiel:

Zustand A: u1 = 2, u2 = 3

Zustand B: u1 = 1, u2 = 5

=⇒ bei multiplikativer SWF wird Zustand A praferiert, beiadditiver SWF Zustand B

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Einfuhrung in die Wirtschaftspolitik 3-6 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2010)

3.2.3 Rawls’sche Soziale Wohlfahrtsfunktion

• benannt nach John Rawls (1921-2002; Hauptwerk: ‘ATheory of Justice’, 1971)

• nach Rawls werden Individuen unter dem ‘Schleier derUngewissheit’ den Nutzen des am schlechtesten gestell-ten Individuums maximieren (→ Abschnitt 3.3)

• soziale Wohlfahrt ist dann

W = min(ui) i ∈ {1, 2, ...H} (3.3)

• graphisch: keine Substituierbarkeit der Nutzen verschie-dener Individuen (limitationale soziale Indifferenzkurven)

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u1

u2

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W1

W2

Abbildung 3.4: Rawls’sche (Maximin) SWF

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Einfuhrung in die Wirtschaftspolitik 3-7 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2010)

Beispiel:

In einer Okonomie gibt es nur zwei Individuen. Individuum 1arbeitet, wobei der Lohnsatz w = 1 ist und das Arbeitsan-gebot gemaß der Formel L = 10 − at vom proportionalenEinkommensteuersatz t ≥ 0 abhangt. Der Nettolohn nachSteuern dieses Individuums ist also

Y1 =

Das gesamte Aufkommen der Lohnsteuer kommt Individu-um 2 zu, das arbeitslos und ohne eigenes Einkommen ist.Das Transfereinkommen dieses Individuums ist also

Y2 =

Der Nutzen jedes Individuums entspricht dem erzielten Net-toeinkommen nach Steuern und Transfers: Ui = Yi ∀ i.Wie hoch ist der optimale Einkommensteuersatz t, wenn dersoziale Planer

(a) eine utilitaristische soziale WohlfahrtsfunktionW = U1 + U2 maximiert?

(b) eine Rawls’sche soziale WohlfahrtsfunktionW = min{U1, U2} maximiert?

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Einfuhrung in die Wirtschaftspolitik 3-8 Prof. Andreas Haufler (SoSe 2010)

Zusammenfassung: Kritische Evaluation der SWF

• Einigung uber Form der SWF grundsatzlich denkbar beigrundsatzlicher, konstitutioneller ex-ante Entscheidungder Gesellschaft unter einem ‘Schleier der Ungewissheit’(John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1971).

• Der ‘Schleier der Ungewissheit’ bedeutet dabei, dass dieBeteiligten nicht wissen, ob sie selbst am Markt okono-misch erfolgreich sind und daher von einer umverteilen-den Politik gewinnen oder verlieren.

• Kein Konsens uber die ‘richtige’ Form der SWF bei po-litischen Tagesentscheidungen. Grund: hier keine ex an-te, sondern ex-post Entscheidung nach Realisierung ei-ner bestimmten Einkommensverteilung. Daher kommtes notwendig zu gegensatzlichen Interessen.

• Verwendung alternativer SWF sinnvoll, um die Robust-heit von Politikempfehlungen gegenuber der genauenAggregationsregel zu uberprufen (z.B. optimale Einkom-mensbesteuerung; → Kap. 10)