3. Kapitel Die Aufklärungspflicht und die Folgen ihrer...

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3. Kapitel Die Aufklärungspflicht und die Folgen ihrer Verletzung Die Literatur zu Kap. 3 befindet sich vor Kap. 2. I. Die Aufklärung als ärztliche Pflicht 1. Bedeutung und Funktion der Aufklärung Die Aufklärung des Patienten gehört heute zu den zentralen und un- abdingbaren Elementen der ärztlichen Behandlung. Als solche hat sie zwei Komponenten, eine medizinische und eine juristische. Aus medizinischer Sicht stellt die Aufklärung des Patienten insofern eine Notwendigkeit dar, als sie Voraussetzung und zugleich Teil der Thera- pie ist. Diese Eingebundenheit in die therapeutische Zielsetzung der Be- handlung bedeutet aber auch, dass es aus medizinischer Sicht dem Arzt überlassen bleiben müsste, wie und in welchem Ausmass er Patienten auf- klärt. Einen derartigen Spielraum kann die Rechtsordnung dem Arzt jedoch nicht gewähren 1 . Aus juristischer Sicht handelt es sich bei der Aufklärung um eine Pflicht, der sich der Arzt nicht entziehen kann. Diese Rechtspflicht beruht auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen, hat aber ein im Kern gemein- sames Ziel. Es besteht darin, dass die Aufklärung den Patienten in die Lage versetzen soll und muss, aufgrund der erhaltenen Informationen eine freie und sachgerechte Entscheidung über die Vornahme und die Durchführung einer medizinischen Behandlung zu treffen. Erst unter dieser Vorausset- zung ist eine vom Patienten gegebene Einwilligung wirksam und rechtsbe- ständig und nur so kann die Rechtswidrigkeit der medizinischen Behand- lung ausgeschlossen werden. Die Aufklärung hat also in rechtlicher Hinsicht 1 Zu den therapeutischen Grenzen der Aufklärung unten 3. Kap. II 3 b. Wiegand 119

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3. Kapitel Die Aufklärungspflicht und die Folgen ihrer Verletzung

Die Literatur zu Kap. 3 befindet sich vor Kap. 2.

I. Die Aufklärung als ärztliche Pflicht

1. Bedeutung und Funktion der Aufklärung

Die Aufklärung des Patienten gehört heute zu den zentralen und un­abdingbaren Elementen der ärztlichen Behandlung. Als solche hat sie zwei Komponenten, eine medizinische und eine juristische.

Aus medizinischer Sicht stellt die Aufklärung des Patienten insofern eine Notwendigkeit dar, als sie Voraussetzung und zugleich Teil der Thera­pie ist. Diese Eingebundenheit in die therapeutische Zielsetzung der Be­handlung bedeutet aber auch, dass es aus medizinischer Sicht dem Arzt überlassen bleiben müsste, wie und in welchem Ausmass er Patienten auf­klärt. Einen derartigen Spielraum kann die Rechtsordnung dem Arzt jedoch nicht gewähren1.

Aus juristischer Sicht handelt es sich bei der Aufklärung um eine Pflicht, der sich der Arzt nicht entziehen kann. Diese Rechtspflicht beruht auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen, hat aber ein im Kern gemein­sames Ziel. Es besteht darin, dass die Aufklärung den Patienten in die Lage versetzen soll und muss, aufgrund der erhaltenen Informationen eine freie und sachgerechte Entscheidung über die Vornahme und die Durchführung einer medizinischen Behandlung zu treffen. Erst unter dieser Vorausset­zung ist eine vom Patienten gegebene Einwilligung wirksam und rechtsbe­ständig und nur so kann die Rechtswidrigkeit der medizinischen Behand­lung ausgeschlossen werden. Die Aufklärung hat also in rechtlicher Hinsicht

1 Zu den therapeutischen Grenzen der Aufklärung unten 3. Kap. II 3 b.

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Die Aufklärungspflicht

die Funktion, die Entscheidungsfreiheit des Patienten über seine körperli­che und seelische Integrität zu sichern2. Während der Schutz dieser Rechts­güter als solcher unbestritten ist, besteht über deren Verhältnis zueinander keine Einigkeit. Da diese dogmatischen Differenzen Konsequenzen für die Beurteilung und Einordnung der Aufklärungspflicht haben, ist darauf kurz einzugehen.

2. Der Heileingriff und die geschützten Rechts guter

Jede medizinische Behandlung stellt eine Beeinträchtigung des Per­sönlichkeitsrechts des Patienten dar. Fraglich ist nur, ob und unter welchen Voraussetzungen die Rechtswidrigkeit eines solchen Eingriffs entfallen kann. Die Beantwortung dieser Frage ist deshalb nicht ganz einfach, weil das Persönlichkeitsrecht als solches nicht eine eigentliche Einheit, sondern eine Summe von Teilrechten darstellt3. Dies beruht auf folgenden Gründen:

Das Persönlichkeitsrecht wird zivilrechtlich durch ZGB 284 gewähr­leistet. Der Zweck dieser Norm ist es, die Person vor Eingriffen Dritter zu schützen. Die gleiche Funktion hat das aus der Verfassung abgeleitete Per­sönlichkeitsrecht in bezug auf Eingriffe durch den Staat. In beiden Fällen handelt es sich um Generalklauseln, die der Konkretisierung bedürfen, um sie für die Rechtsanwendung praktikabel zu machen. Rsp. und Lehre haben deshalb im Wege dieser Konkretisierung eine Reihe von Schutzbereichen definiert, von denen für die ärztliche Behandlung das Selbstbestimmungs­recht und die körperliche (einschliesslich der seelischen) Integrität von Bedeutung sind.

2 Vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 1. 3 Vgl. PEDRAZZINI/OBERHOLZER 131 ff. 4 ZGB 28: «1. Grundsatz:

Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, den Richter anrufen. Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegend privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.»

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Der Heileingriff und die geschützten Rechtsgüter

a) Das Selbstbestimmungsrecht

Das Selbstbestimmungsrecht ist Teil der von unserer Rechtsordnung anerkannten persönlichen Freiheit des Menschen und besitzt aufgrund die­ser Konzeption Menschenrechtsqualität5. Unter Selbstbestimmung ist da­bei die Freiheit des Einzelnen zu verstehen, ihn selbst betreffende Entschei­dungen allein und ohne Einflussnahme Dritter zu fällen6. Als Quellen, aus denen das Selbstbestimmungsrecht abzuleiten ist, kommen Verfassung7, Konventionen8 aber auch meta-juristische Ansätze in Betracht, welche den Rahmen für die Festlegung des Selbstbestimmungsrechts durch den Ge­setzgeber bilden9.

Als Teil des Persönlichkeitsschutzes ist auch das Selbstbestimmungs­recht zivilrechtlich durch ZGB 28 gewährleistet10 und umfasst nach dieser Konzeption die Verfügungsfreiheit über das Rechtsgut der körperlichen In­tegrität11. Es wäre jedoch verfehlt, dem Selbstbestimmungsrecht einen selb­ständigen Schutzbereich zuweisen zu wollen. Die Verfügungsfreiheit kann

5 Das Schutzobjekt des Selbstbestimmungsrechts ist «Würde und Wert des Menschen» («...la dignite de l'homme et sa valeur propre» BGE 113 la 262) - eine unveräusserliche Qualität des Menschen, welche ihm «von Natur aus» zusteht. Eine weniger naturrechtliche Betrach­tungsweise geht davon aus, dass dieses Konzept nicht durch positives Recht festgelegt wird, sondern durch die kulturspezifische Praxis. Unabhängig davon, was als Basis der Freiheitsrechte betrachtet wird, werden diese auf jeden Fall durch das menschliche Verhal­ten (Politik, Gesetz, Wirtschaft etc.) beeinflusst, welches entweder zur Sicherung oder Verletzung der persönlichen Freiheit beiträgt.

6 Vgl. MALEK/ENDRISS 125 ff. 7 Verfassungsrechtlich wird das Selbstbestimmungsrecht durch das ungeschriebene Grund­

recht der persönlichen Freiheit garantiert (in BGE 90 I 34 ff. erstmals anerkannt). Dazu grundlegend MÜLLER 6 ff.

8 Vgl. in diesem Zusammenhang EMRK 8. 9 Dazu PICHLER 76 ff. 0 Das Selbstbestimmungsrecht, wie es aus ZGB 28 fliesst, ist negatorischer u. allenfalls

reparatorischer Natur, d.h. es hat bloss abwehrenden Charakter. Diese Konzeption ist al­len absoluten Rechten eigen, weil sie gegenüber jedermann wirken u. nur zum Unterlas­sen zwingen können (vgl. PEDRAZZINI/OBERHOLZER 132).

1 Das Recht auf Selbstbestimmung findet wie jedes Persönlichkeitsrecht seine Grenzen in ZGB 27II: «Niemand kann sich seiner Freiheit entäussem oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken.» Wo die Aus­übung des Selbstbestimmungsrechts nur auf die Zerstörung der eigenen Existenz ausge­richtet ist, kann sie keinen ärztlichen Eingriff rechtfertigen, was jedoch nicht bedeutet, dass eine lebenserhaltende Massnahme gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten zulässig sein kann. Ein Eingriff bedarf immer der Einwilligung des Patienten, jedoch kann nicht jeder Eingriff mit einer Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden.

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Die Aufklärungspflicht

nicht von einem Rechtsgut wie der körperlichen Integrität abgespalten wer­den, ohne dass dieses seine Qualität als disponibles Rechtsgut verlieren würde12.

b) Die körperliche Integrität

Die herrschende Auffassung betrachtet die ärztliche Behandlung als Eingriff in die körperliche Integrität. Dieser ist rechtswidrig, wenn er nicht durch wirksame Einwilligung oder einen anderen Rechtfertigungsgrund13

gerechtfertigt ist. Die traditionelle strafrechtliche Doktrin qualifiziert den Eingriff in die körperliche Integrität als Körperverletzung. Entgegen einer neueren Ansicht14, nach der ein «lege artis» durchgeführter Heileingriff nie Körperverletzung sein kann, hält das BGer an der traditionellen Konzepti­on in konstanter Praxis fest15.

Nachdem sich das BGer in dem Grundsatzentscheid vom 28. Mai 1991 (BGE 117 Ib 197 ff.) nochmals ausdrücklich für die Beibehaltung der

12 Vgl. MAINARDI-SPEZIALI 80; ARZT 49 ff.; a.M. E. BUCHER, Arzt und Recht 41 f.; HONSELL ZSR 1990 I 146; vgl. dazu sofort unter c u. unten IV.

13 Z.B. eine gesetzliche Ermächtigung zur medizinischen Zwangsbehandlung. 14 EISNER 203 ff. (mit weiteren Literaturhinweisen); GROSS, persönliche Freiheit 139 ff.; (an­

ders aber GROSS, Haftung 204 f.); HONSELL ZSR 1990 I 145 f.; A. KELLER, Diss. 25 ff.; NOLL 50; SCHUBARTH StGB 123 N 49 ff.; STRATENWERTH BT § 3 N 15 ff.

Die Kritiker der bundesgerichtlichen Rsp. verweisen auf den sozialen Sinn des Heilein­griffs, der gerade nicht die Schädigung der Gesundheit sei. Der Versuch, dem Heilzweck der ärztlichen Behandlung tatbestandsausschliessende Wirkung zuzuerkennen, erweist sich jedoch als problematisch, weil auch ärztliche Eingriffe existieren, die nicht der Verbesse­rung des Gesundheitszustandes dienen (Organtransplantation, Sterilisation, kosmetische Eingriffe, pharmazeutische Versuche etc.). Ebenso geht der Vorwurf fehl, die geltende Gerichtspraxis sei eine Diskrimierung der Ärzte, da die Tatbestandsmässigkeit allein noch keine Rechtsfolgen auszulösen vermag u. die eigentliche Bewertung erst auf der Rechts­widrigkeitsebene vorgenommen wird.

15 BGE 99IV 208 ff.; 108 II 61 E. 2 u. 3 = Pra 1982,299 f.; 117 Ib 200; ebenso die deutsche Praxis: BGHSt 11, 111 «Myom-Fall» (kritisch besprochen von STRATENWERTH BT § 3 N 16). Die neuere Lehre will die Zwangsbehandlung als Delikt gegen die freie Willensbildung (StGB 181 [Nötigung], StGB 183 Ziff. 1 [Freiheitsberaubung]) oder als Sondertatbestand der eigenmächtigen Behandlung qualifiziert wissen u. vollzieht damit die fragwürdige Trennung der Dispositionsfreiheit vom eigentlichen Rechtsgut. Vgl. dazu ARZT 52 ff.: «Wenn man sich ein Rechtsgut der körperlichen Integrität oder ein sonstiges disponibles Rechtsgut ohne Verfügungsfreiheit vorstellt, hat man kein Gut mehr, sondern eine Last», 53; KUHN ZSR 1986 1478; LAUFS/UHLENBRUCK § 103 N 7; MAINARDI-SPEZIALI 79 f.

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Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht

traditionellen Konzeption ausgesprochen hat, wird diese im folgenden zu­grunde gelegt16.

c) Das Verhältnis der geschützten Rechtsgüter zueinander

Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit ergibt sich aus der zuvor geschilderten Konzeption, dass die Rechtsgüter Selbstbestimmungsrecht und körperliche Integrität nicht voneinander getrennt werden können. Das BGer hat denn auch den von ihm zugrunde gelegten Ansatz dahingehend zusam-mengefasst:

«Die Aufklärungspflicht dient sodann ... nicht nur dem Schutz der freien Willensbildung des Patienten, sondern auch dem Schutz seiner kör­perlichen Integrität. Das ergibt sich ohne weiteres aus der persönlichkeits­rechtlichen Grundlage dieser Pflicht, denn der allgemeine Persönlichkeits­schutz umfasst den Schutz des Rechtsträgers, nach freiem Willen über einen allfälligen Eingriff in seine körperliche Integrität zu entscheiden. Beides ist untrennbar miteinander verbunden.»17

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass die medizinische Be­handlung als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, und zwar sowohl in das Selbstbestimmungsrecht wie in die körperliche Integrität, verstanden wird. Ein solcher Eingriff ist rechtswidrig, sofern nicht ein Rechtfertigungsgrund, insb. eine Einwilligung des Patienten, vorliegt. Diese ist nur nach voraus­gegangener Aufklärung wirksam. Daraus resultiert eine Aufklärungspflicht, deren rechtliche Grundlagen im folgenden näher zu umschreiben sind.

3. Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht

Das BGer hat in zahlreichen Entscheiden18 festgehalten, dass es die Aufklärung als Pflicht versteht und diesen Standpunkt dahingehend zusam-mengefasst, «dass das Erfordernis der Einwilligung des Patienten und der

16 Vgl. unten 5. Kap. I 1; abweichend HONSELL oben 15 ff. 17 BGE 117 Ib 201; vgl. auchGutLLOD, in: Commissione 74; besonders klar hierzu MAINARDI-

SPEZIALI 74 ff.; vgl. auch RGRK/NÜSSGENS BGB 823 Anhang II N 65. 18 BGE 117 1b 200; 115 1b 180 f.; 114Ib358E. 6; 112 II 128; 108 II 61 ff. E. 2 u. 3.

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Die Aufklärungspflicht

damit verbundene Aufklärungsanspruch in dessen allgemeinen Persönlich­keitsrechten gründet und dem Schutz sowohl der Willensfreiheit, dem Selbst­bestimmungsrecht, wie auch der körperlichen Integrität des Patienten dient. Die Aufklärungspflicht gehört deshalb zu den allgemeinen Berufspflichten des Arztes, und zwar unabhängig davon, ob er im Rahmen eines privat­rechtlichen Vertragsverhältnisses oder als Beamter oder Angestellter des Staates handelt.»19

Auch wenn man mit dem BGer davon ausgeht, dass die Aufklärungs­pflicht eine generelle ärztliche Pflicht darstellt - wie schon einleitend be­merkt wurde - müssen dennoch die rechtlichen Grundlagen, aus denen die­se Pflicht abgeleitet wird, näher eingegrenzt werden. In Betracht kommen neben den Strafrechtsbestimmungen20 die folgenden Regeln: - Öffentlich-rechtliche Vorschriften - Persönlichkeitsschutz und Deliktsrecht - Vertragsrecht.

a) Öffentlich-rechtliche Grundlagen

Neben den zivilrechtlichen Ansatzpunkten lassen sich immer mehr positivrechtliche Grundlagen des öffentlichen Rechts finden. Das PatD/BE21

bspw. hat die Aufklärungspflicht des Personals öffentlicher Spitäler in be-zug auf Umfang und Vorgehensweise genau festgelegt22. Eine ähnliche Re­gelung kennen die Kt. Basel-Landschaft23, Zürich24 und Genf25, während in anderen Kt. vergleichbare Normen in den Organisationsgesetzen der öf-

19 BGE 117 Ib 200; Hervorhebungen vom Verfasser. 20 Dazu den Beitrag von REHBERG in diesem Bd., 5. Kap. I 2 acc. 21 Dekret über die Rechte u. Pflichten der Patientinnen u. der Patienten in öffentlichen Spi­

tälern (Patientendekret) vom 14. Februar 1989 (BSG 812.121.11). 22 Art. lOPatD. 23 VO über die Rechte u. Pflichten der Patienten in den kantonalen Krankenanstalten

(Patientenverordnung) vom 1. November 1988 (930.15); s. v.a. § 4 «Aufklärung». 24 VO über die Rechte u. Pflichten der Patienten in staatlichen u. vom Staat unterstützten

Krankenhäusern (Patientenrechtverordnung) vom 28. August 1991 (813.13); s. v.a. Ab­schnitt II «Auskünfte» u. III «Medizinische Eingriffe».

25 Loi cantonale du 21 decembre 1987 concernant les rapports entre membres des professions de la sante et patients; s. v.a. Art. 5 «Consentement» u. Art. 6 «Recherche, experimentation et enseignement».

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Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht

fentlichen Spitäler zu finden sind26. Auch diesen Normen liegt der Gedanke des Persönlichkeitsschutzes zugrunde, weshalb deren Schutzbereiche mit denjenigen des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes identisch sind.

b) Persönlichkeits- und deliktsrechtliche Grundlagen

Die eigenmächtige, d.h. ohne wirksame Einwilligung vorgenomme­ne Heilbehandlung stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und die körperliche Integrität dar, deren Rechtswidrigkeit nur durch vorhergehende Einwilligung ausgeschlossen werden kann27. Hieraus ergibt sich gewisser-massen als Reflex die Pflicht des Arztes, vor einem allfälligen Heileingriff den Patienten aufzuklären.

Die deliktsrechtlichen Grundlagen der Aufklärungspflicht bildeten den Ausgangspunkt der Entwicklung und prägen noch heute entscheidend die Betrachtungsweise der ärztlichen Aufklärungspflicht28.

c) Vertragliche Grundlagen

Besteht zwischen dem Patienten und dem Arzt ein Vertragsverhält­nis, so wird dieses als Auftrag qualifiziert, wie das im schweizerischen Recht für die Dienstleistungen in der Regel der Fall ist29. Deren zunehmende Be­deutung hat dazu geführt, dass dieser Vertragstypus weiterentwickelt und den Bedürfnissen eines wachsenden und immer stärker differenzierten Dienstleistungsmarktes angepasst wurde. Dies gilt insb. für die allgemei­nen Pflichten des Beauftragten, die ständig ausgebaut wurden. Ihre rechtli­che Grundlage haben diese Pflichten in den Sorgfalts- und Treuepflichten des Beauftragten, die in OR 398 gesetzlich fixiert sind30.

26 So bspw. Kt. BS: Spitalgesetz vom 26. März 1981 (330): § 11; Kt. SO: Organisations- u. Betriebsreglement des Bürgerspitals Solothurn vom 18. August 1977 (817.413): Art. 34; Kt. SG: VO über die medizinische u. betriebliche Organisation der kantonalen Spitäler, psychiatrischen Kliniken u. Laboratorien (Spitalorganisationsverordnung) vom 17. Juni 1980 (321.11): Art. 55-59.

27 S. oben I 2 b. 28 Dazu v.a. MAINARDI-SPEZIALI 77 ff. mit zahlreichen wNw auf die Entstehungsgeschichte

in Deutschland, die ihrerseits die schweizerische Entwicklung massgebend beeinflusst hat.

29 Vgl. 1. Kap. I 1 a; zum folgenden WIEGAND recht 1990, 134 ff. 10 Ausführlich dazu: BK-FELLMANN OR 398 N 16 ff.

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Die Aufklärungspflicht

Die Aufklärungspflicht wird nach heute herrschender Auffassung als Ausprägung der Treuepflicht betrachtet. Diese Treuepflicht hat der Arzt nur dann erfüllt, wenn er seinem Patienten all diejenigen Informationen zu­kommen lässt, die es ihm ermöglichen, sein Selbstbestimmungsrecht in an­gemessener Weise auszuüben3'. Daraus ergibt sich mit einer gewissen Selbst­verständlichkeit, dass der beauftragte Arzt die zur Entscheidung notwendigen Informationen von sich aus geben muss, mit anderen Worten, dass er den Patienten unaufgefordert aufklären muss.

Zum gleichen Ergebnis führt eine weitere Begründungsvariante des Aufklärungsrechts. Dem Auftraggeber - also dem Patienten - steht im Auf­tragsverhältnis ein Weisungsrecht gem. OR 397 zu32. Dieses kann er in sinn­voller Weise nur dann ausüben, wenn er über die entscheidungserheblichen Informationen verfügt33.

Darüberhinaus lässt sich die Aufklärungspflicht des Arztes auch noch aus der Rechenschaftspflicht des Beauftragten gem. OR 400 ableiten34. Da­bei ist aber zu beachten, dass nach richtigem Verständnis von OR 400 die dort genannten Pflichten nur relevant werden, wenn der Auftraggeber dem Beauftragten entsprechende Fragen stellt. Sind derartige Informationsbe­gehren an den Beauftragten gerichtet, so unterscheidet sich die aus OR 400 abgeleitete Aufklärungspflicht inhaltlich nicht von derjenigen aus OR 398.

Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass aus dem zwischen Arzt und Patienten normalerweise bestehenden Auftragsverhältnis eine ver­tragliche Aufklärungspflicht entsteht, die aus verschiedenen Regelungen des Auftragsrechts abgeleitet werden kann. Schutzzweck dieser Aufklärung ist in allen Fällen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und die damit verknüpfte körperliche Integrität. Eine rein dogmatisch-konstruktive Frage ist es, ob man diese Aufklärungspflicht als eine vertragliche Haupt- oder

31 Vgl. BK-FELLMANN OR 398 N 146; DERENDINGER N 131; HOFSTETTER SPR VII/2,89; WEBER AJP 1992, 184 f.; ausführlich begründet bei MAINARDI-SPEZIALI 95 ff.

12 Dazu ausführlich BK-FELLMANN OR 397 N 13 ff. 13 Das Weisungsrecht ist nach traditioneller Auffassung mit Blick auf ZGB 27II unverzicht­

bar (vgl. BK-GAUTSCHI OR 397 N 5a). Daraus ergibt sich von selbst, dass auch die Auf­klärungspflicht unabdingbar ist. Die neuere Lehre lässt hingegen die Möglichkeit zu, das Weisungsrecht vertraglich einzuschränken, was gerade bei der ärztlichen Behandlung sinn­voll erscheint, da sich der Arzt in aller Regel keine Fachanweisungen gefallen lassen muss u. solche Anweisungen auch im Interesse des Patienten besser unbeachtet lässt (vgl. BK-FELLMANN OR 397 N 28).

34 Vgl. dazu unten 4 d.

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Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht

Nebenpflicht betrachtet; denn die Rechtsfolgen richten sich in jedem Fall nach OR 97, so dass sich im Resultat keine wirklichen Abweichungen erge­ben35.

4. Arten und Ziele der Aufklärungspflicht

Die Aufklärung, von der bisher die Rede war und die gewöhnlich gemeint ist, wenn von der Aufklärungspflicht gesprochen wird, ist diejeni­ge, die der ärztlichen Behandlung und insb. dem ärztlichen Eingriff voraus­geht. Sie dient - wie dargelegt - dem Schutz des Selbstbestimmungsrechtes und der körperlichen Integrität. Von Aufklärung und Aufklärungspflicht ist aber auch dann die Rede, wenn der Arzt den Patienten über das von ihm erwartete «richtige» Verhalten informiert. Diese Form der Aufklärung dient der Sicherung des Heilerfolgs. Infolgedessen bezeichnet man die letzte als Sicherungs- oder therapeutische Aufklärung, während die erste als Eingriffs­oder Selbstbestimmungsaufklärung bezeichnet wird. Beide Aufklärungsar­ten sind von unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlicher Bedeutung.

a) Die Eingriffsaufklärung

Bei der Eingriffs- oder Selbstbestimmungsaufklärung geht es in er­ster Linie um die Frage, in welchem Umfang der Patient aufgeklärt werden muss, damit seine Einwilligung den ärztlichen Eingriff zu rechtfertigen ver­mag36. Es geht also um die juristisch gebotene Aufklärungspflicht, wobei die Willensfreiheit des Patienten oberstes Gebot ist. Diese Betrachtungs­weise scheint mit der medizinischen Devise von der Gesundheit des Patien­ten als oberstem Gebot unvereinbar zu sein. Lehre und Rsp. beschreiten heute jedoch einen Mittelweg, der den Widerspruch aufzulösen vermag. Dieser Mittelweg besteht im Abwägen der Umstände des Einzelfalls, wo­durch weitgehend Inhalt und Umfang der Eingriffsaufklärung bestimmt werden. Kriterien sind bspw. die Wahrscheinlichkeit und die Tragweite der möglichen Komplikation, das Verhältnis der Komplikation zur Auswirkung des Unterbleibens der Behandlung, die persönliche Erfahrung des Patien-

35 Einzelheiten unten IV 2. 36 Vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 1.

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Die Aufklärungspflicht

ten mit gleichen oder ähnlichen Eingriffen, das Vorhandensein von Alter­nativbehandlungen sowie die psychische Belastbarkeit des Patienten37.

b) Die Sicherungsaufklärung

Spielen schon bei der Eingriff saufklärung therapeutische Aspekte eine gewisse Rolle, so stehen therapeutische Überlegungen bei der Siche­rungsaufklärung ganz im Vordergrund3*. Ziel dieser Aufklärung ist es, den Patienten durch Information über seinen Zustand, über die Wirkungsweise von Medikamenten39 oder über den Verlauf von Heilungsprozessen zu sach­gerechtem und richtigem Verhalten zu bewegen. Konsequenterweise wird diese Art der Aufklärung denn auch als therapeutische Aufklärung bezeich­net. Darin kommt zugleich zum Ausdruck, dass diese den Heilerfolg si­chernde Aufklärung einen integralen Bestandteil der Behandlung bildet.

Die therapeutische Aufklärung gehört deshalb zu den Pflichten des behandelnden Arztes; sie findet ihre rechtliche Grundlage in aller Regel in dem zwischen Arzt und Patienten bestehenden Auftragsverhältnis40. Dar­aus ergibt sich, dass auf die Erfüllung und Verletzung der Sicherungsauf-klärungspflicht die Grundsätze Anwendung finden, die für die Erfüllung von Pflichten des Beauftragten ganz generell gelten41. Sofern das Behand­lungsverhältnis nicht auf privatrechtlichen Grundlagen beruht, sind hier, wie in allen anderen Fällen, die auftragsrechtlichen Regeln analog heranzu­ziehen.

Die Anwendung des Auftragsrechts führt auch dazu, dass neben der Eingriffs- und Sicherungsaufklärung weitere typisch auftragsrechtliche Aufklärungspflichten bestehen, auf die im folgenden hingewiesen wird.

c) Generelle Aufklärungspflicht

In der Regel dient die Aufklärung der Vorbereitung einer Behand­lung («Eingriffsaufklärung», s. oben unter a) oder der Unterstützung einer Therapie («therapeutische Aufklärung», s. oben unter b), wobei beide trotz

37 Vgl. BGE 117Ib203E. 3b; 1151b 178; 1131b 426 E. 6; 108 II61 E. 2 = Pra 1982, 299. 38 Umfassend zur Sicherungsaufklärung LAUFS/UHLENBRUCK § 62; s. auch EISNER 109 ff. 39 Vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 62 N 8 ff. 40 S. oben 1. Kap. I 1 a. 41 Vgl. dazu im einzelnen oben 1. Kap. I 2 u. unten V.

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Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht

unterschiedlicher dogmatischer Struktur ineinander übergehen können. Die «Risikoaufklärung» über die postoperativen Gefahren geht Hand in Hand mit den Hinweisen auf das dann notwendige «richtige» Verhalten; die Er­öffnung der Diagnose ist in der Regel sowohl Teil der Eingriffs- wie der Sicherungsaufklärung.

Daneben aber gibt es noch die schlichte Aufklärung als solche, die weder der Vorbereitung eines Eingriffs noch der Sicherung der Therapie dient. Sie ist z.B. geschuldet bei einer Kontrolluntersuchung («Check up») oder in sog. Diagnosekliniken42.

d) Besondere Aufklärungspflichten

Der Auftrag wird verstanden als Interessenwahrungsvertrag. Der Beauftragte ist infolgedessen verpflichtet, dem Auftraggeber unaufgefor­dert alles mitzuteilen, was für diesen «von Interesse» sein kann. Die daraus resultierende umfassende Aufklärungspflicht lässt sich sowohl aus den in OR 398 I u. II enthaltenen Sorgfalts- und Treuepflichten wie aus der in OR 4001 festgelegten Pflicht zur «Rechenschaftsablegung» ableiten, wobei die aus OR 400 resultierende Pflicht prinzipiell nur durch ein entsprechendes Auskunftsbegehren des Auftraggebers ausgelöst wird43.

aa) Ob aus dieser generellen Verpflichtung auch eine Aufklärungs­pflicht hinsichtlich eigener Fehler abgeleitet werden kann, ist umstritten. Die deutsche Rsp.44 hat eine solche Aufklärungspflicht über eigene Fehllei­stungen bejaht. Es ist indessen fraglich, ob die Annahme einer solchen Pflicht nicht zu weit geht. Gegen sie lässt sich einwenden, dass selbst nach straf­rechtlichen Grundsätzen niemand zur Selbstanzeige verpflichtet sein kann und darf, so dass die Annahme einer solchen Pflicht im Zivilrecht mit allge­meinen Grundprinzipien unserer Rechtsordnung unvereinbar ist45.

bb) Die Aufklärung über wirtschaftliche Aspekte: Die wirtschaftli­chen Konsequenzen einer Heilbehandlung, insb. die finanziellen Folgen kostspieliger Eingriffe, berühren die Interessen des Patienten als Auftrag­geber unmittelbar. Infolgedessen ergibt sich aus der Rechenschaftspflicht

42 Besonderheiten zu dieser Aufklärung s. unten II 4 c. 43 Hierzu BK-FELLMANN OR 400 N 13 U. 39 ff. 44 Ihr folgend: DERENDINGER N 77 f. u. 126 ff.; zu alledem Nachweise bei WIEGAND recht

1990, 134 ff. 45 So zurecht MAINARDI-SPEZIALI 107; differenzierend jetzt TAUPITCZBJV 1993,671 ff.

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Die Aufklärungspflicht

von OR 400 I die Verpflichtung des Arztes, den Patienten über derartige wirtschaftliche Aspekte aufzuklären. Diese gelegentlich auch als wirtschaft­liche Aufklärungspflicht bezeichnete Obligation des Arztes ist heute in der Schweiz anerkannt; das BGer hat diese Verpflichtung des Arztes in einem unveröffentlichten Entscheid46 ausdrücklich festgehalten und in einem Ur­teil zur Sicherungsaufklärung47 die wirtschaftliche Aufklärungspflicht, wenn auch nur beiläufig, so doch als selbstverständliche Verpflichtung des Arztes erwähnt48. Vereinzelt haben die Gerichte diese Pflicht auch dahingehend ausgedehnt, dass der Arzt von sich aus Vorabklärungen über die versiche­rungsrechtliche Situation des Patienten durchführen und diesen darüber orientieren muss49. Es ist zumindest zweifelhaft, ob diese Entscheidung verallgemeinert werden kann50.

//. Die Eingriffsaufklärung

1. Ziele und Grenzen

Die Eingriffsaufklärung bildet die Basis für jede Behandlung, die in die körperliche Integrität des Patienten eingreift. Sie soll ihm eine freie, selbstverantwortliche Entscheidung ermöglichen. Diese Entscheidung soll in Kenntnis aller für ihn persönlich wichtigen Faktoren und in Abwägung aller relevanten Umstände erfolgen. Infolgedessen hat der Arzt dem Patien­ten alle Informationen zu geben, die dieser als Basis für seine Entscheidung benötigt. Dabei unterscheidet man üblicherweise die Informationen, die den Ist-Zustand betreffen von denjenigen, die sich mit der künftigen Entwick-

46 BGE vom 27. September 1990 E. 2: «Pourque l'accord du patient soiteclaire, l'information soit etre objective et complete, c'est-ä-dire soit porter non seulement sur les aspects medicaux amis aussi economiques du traitement, en particulier son coüt» (zit. nach MAINARDI-SPEZIALI 106 FN 69).

47 BGE 116 II 521; dazu unten 190 ff. 48 Zu alledem auch MAINARDI-SPEZIALI 106 mit wNw. 4'' So hat das BezGer Zürich eine solche Pflicht unter konsumentenschutzrechtlichen Aspekten

bejaht; vgl. SJZ 1989, 249 u. 251. 50 Dazu WIEGAND, in: FS Gagner 547 u. 560.

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Die Eingriffsaufklärung

lung befassen. Man spricht von Diagnoseaufklärung51 und Verlaufsaußlä-rung51. Dabei ist freilich zu beachten, dass es sich nur um eine Art Zuord­nungsschema handelt; denn beide Aufklärungsformen gehen in der Regel ineinander über.

Immerhin ist die Einteilung nicht ganz ohne praktische Bedeutung, denn es kommt häufig vor, dass sich verschiedene Ärzte die Aufklärungs­aufgaben teilen. So wird häufig der zuerst behandelnde Arzt eine Diagnose stellen, die er dem Patienten eröffnet und ihn zugleich an einen Spezialisten oder an ein Spital überweisen. Dort kann (nicht aber muss) sich die Aufklä­rung dann auf die Behandlung und deren Konsequenzen beschränken. Man kann hier von einer Aufklärung in verschiedenen Etappen sprechen, ohne dass sich dadurch das eigentliche Ziel und die Bedeutung der Aufklärung verändern würde.

Das Ziel der Aufklärung, dem Patienten eine Basis für die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts zu geben, kann jedoch nicht immer ohne weiteres verwirklicht werden. Dies ist dann der Fall, wenn die Aufklärung selbst oder die mit ihr verbundenen Folgen gerade diese Entscheidungsfä­higkeit, die Gesundheit oder zumindest die Heilungschancen beeinträchti­gen. Ob und inwiefern sich hier Grenzen der Aufklärung ergeben, ist nach wie vor umstritten53.

Aus der Zielsetzung der Aufklärung ergibt sich eine weitere Proble­matik, die bisher nur in Teilbereichen erörtert worden ist. Wenn es bei der Eingriffsaufklärung darum geht, dem Patienten die selbstverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen und sein Selbstbestimmungsrecht zu verwirk­lichen, so kann davon nur die Rede sein, wenn der Patient wirklich selbst entscheidet. In der Theorie der ärztlichen Beratung ist in diesem Zusam­menhang das Prinzip des non-directive-counseling entwickelt worden, das vorwiegend im Bereich der genetischen Beratung und der pränatalen Dia­gnostik eine Rolle spielt54. Es ist jedoch insofern verallgemeinerungsfähig, als daraus der Grundsatz abgeleitet wird, dass die Beratung und die Aufklä­rung des Patienten nicht dazu führen dürfen, dass dem Patienten die Ent­scheidungsfreiheit praktisch genommen wird. Es ist natürlich klar, dass dies in weiten Bereichen ein rein theoretisches Konzept ist, nämlich dann, wenn es für den Patienten wenig oder keinen Spielraum gibt. Umgekehrt lässt

51 Vgl. EISNER 165; LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 13 ff.; MEISEL, in: BINSWANGER 162 f. 52 Vgl. BUSSMANN 66; EISNER 166 f.; GUILLOD, Diss. 141 f.; LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 16 ff. 53 S. dazu unten II 3 b. 54 Vgl. MAINARDI-SPEZIALI 39 f. u. 131 f.; WIEGANDTU 1988. 729 ff.

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Die Aufklärungspflicht

sich aber gerade aus diesem Prinzip ableiten, dass der Patient über Alterna­tiven im weitesten Sinne informiert und ihm eine entsprechende Entschei­dungsbefugnis eingeräumt werden muss55.

2. Inhalt der Aufklärung

a) Diagnoseaufklärung

Mit der Diagnoseaufklärung orientiert der Arzt den Patienten über den Zustand, der sich aufgrund der durchgeführten Untersuchungen ergibt. Er muss ihm den Befund und dessen Bedeutung erläutern und zwar in einer Art und Weise, die den intellektuellen Fähigkeiten des Patienten entspricht. Er kann Fachausdrücke gebrauchen, wenn er davon ausgehen kann, dass diese dem Patienten geläufig sind. Soweit das nicht der Fall ist, muss er den Befund in einer auch dem Laien verständlichen Weise beschreiben56. Da­von zu unterscheiden ist die Frage, ob die Verwendung von belastenden Begriffen (Karzinom, Melanom oder auch nur Geschwulst oder Krebs) in der konkreten Situation verantwortet werden kann57. Sieht man von diesen, aus therapeutischen Gründen, zulässigen Begrenzungen ab, so ist der Pati­ent vollumfänglich über die gesamte Diagnose zu informieren.

Fraglich ist allein, ob und inwieweit er auch über Verdachtsmomente zu orientieren ist. Dabei ist wie folgt zu differenzieren: Im Rahmen der generellen Aufklärungspflicht über die Befunde einer Untersuchung um-fasst die auf OR 400 gestützte Rechenschaftspflicht des Arztes als Be­auftragten auch die Information über Verdachtsmomente. Im Rahmen der Eingriffsaufklärung besteht an sich keine solche Hinweispflicht; denn be­vorstehende Eingriffe sollen ja gerade nicht auf einer unsicheren oder gar Verdachtsdiagnose beruhen, sondern Massnahmen sein, deren Notwendig­keit sich aufgrund einer gesicherten Diagnose ergibt58.

55 S. dazu unten II 2 d. 56 Einzelheiten dazu unten II 5. 57 S. dazu unten II 3 b. 58 Missverständlich LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 15, WO ausserdem zu Unrecht auf BGHZ 85,

327 verwiesen wird.

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Die Eingriffsaufklärung

b) Verlaufsaufklärung

Der Arzt hat den Patienten über den Verlauf und die Auswirkung des beabsichtigten Eingriffs zu orientieren. Zu dieser Aufklärung gehören zwei Elemente, die nicht den Eingriff selbst betreffen, sondern gewissermassen seine Voraussetzungen: Der Arzt muss erläutern, warum er den Eingriff überhaupt vorschlägt und, wenn andere Massnahmen in Betracht kommen, welche Alternativen zum vorgeschlagenen Eingriff bestehen59.

Vorstufe und zugleich den Übergang von der Diagnose- zur Verlaufs­aufklärung bilden die Erläuterungen über die Gebotenheit des Eingriffs. Dazu gehört zunächst die aus der Diagnose abgeleitete Prognose über die weitere Entwicklung, sofern kein Eingriff vorgenommen wird. Hierbei ist die Gefahr der Beeinflussung besonders gross; denn durch die Darstellung möglicher Folgen kann der Arzt die Entscheidung des Patienten praktisch programmieren. Infolgedessen sind in dieser Phase die Grundsätze des non-directive-counseling60 besonders wichtig. Die Entscheidung über das «ob» muss beim Patienten bleiben.

Um diese zu ermöglichen, müssen dem Patienten in der eigentlichen Verlaufsaufklärung zumindest der Ablauf des Eingriffs und seine Wirkung erläutert werden. Der Arzt kann sich dabei auf die Grundlagen und die we­sentlichen Elemente beschränken, muss aber immer beachten, dass die Per­spektive des Patienten eine andere ist als die des Arztes: Aus medizinischer Sicht mag die Länge eines Schnittes oder die Schmerzhaftigkeit einer Rek­toskopie nebensächlich oder selbstverständlich erscheinen. Für den Patien­ten kann gerade dies ausschlaggebend sein.

Das gleiche gilt für die vorübergehenden und dauernden Auswirkun­gen einer Behandlung. Deshalb muss der Patient über die Eingriffsfolgen informiert werden wie etwa Operationsnarben, Funktionseinbussen infolge Substanzverlusten (z.B. Amputationen), Unfruchtbarkeit infolge einer Ge-bärmutterentfemung, Haarausfall als Folge einer Chemotherapie aber auch über Belastungen durch postoperative Nachbehandlungen, wie das bspw. bei der Hämodialyse der Fall ist.

Zu den Eingriffsfolgen im weiteren Sinne gehören auch die damit typischerweise verbundenen Risiken. In welchem Umfang der Patient dar­über aufzuklären ist, bleibt nach wie vor umstritten.

S. dazu unten II 2 d. S. dazu oben II 1.

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Die Aufklärungspflicht

c) Insbesondere die Risikoaufklärung

Bei jeder medizinischen Behandlung können Komplikationen oder planwidrige Entwicklungen auftreten, obwohl der Arzt lege artis gehandelt hat. Erreichen sie eine bestimmte Häufigkeit, so spricht man von typischen Risiken eines Eingriffs. Typisch in diesem Sinne sind etwa Thrombosen, Embolien oder Blutungen nach Operationen. Derartige Komplikationen sind geläufig und vielfach auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Zum an­deren gibt es typische (und statistisch höhere) Risiken, die weithin unbe­kannt sind wie etwa Krankenhausinfektionen61. Fraglich ist deshalb, wor­über der Patient in konkretem Falle aufzuklären ist. Ausgangspunkt der Beurteilung bildet der Grundsatz, dass der Patient Anspruch auf die Aufklä­rung über derartige Risiken hat. Problematisch kann deshalb allein sein, wo die Grenze zu ziehen ist oder umgekehrt formuliert, ob der Arzt über jedes Risiko aufklären muss. Dazu sind verschiedene Konzepte entworfen worden:

aa) Die sogenannte Prozentaufklärung

Teilweise hat man versucht, die Grenzen der Aufklärungspflicht mit Hilfe der statistischen Risikoprozente bzw. -promille zu bestimmen. So hat etwa die deutsche Rsp. zum Teil Aufklärungen über Risiken von weniger als einem Promille verlangt. Die schweizerische Judikatur hat bisher kei­nen derartigen Massstab angewandt, aber doch indirekt auf die statistische Häufigkeit von Risiken Bezug genommen. Besonders deutlich wird dies in dem neuen Leitentscheid des BGer62. Dort stellt das BGer unter Hinweis auf verschiedene medizinische Publikationen fest, dass «die Durchführung einer Laminektomie im thorakalen Bereich ... in beinahe siebzig Prozent der Fälle zu keiner Verbesserung des Zustandes des Patienten führt. Zudem besteht in nahezu fünfunddreissig Prozent der Fälle die Gefahr einer Para-plegie. Über diese vom Gesichtspunkt eines medizinischen Laien aus sehr ungünstigen Erfolgsaussichten hätte der Kläger ausdrücklich und unter Angabe der ungefähren prozentualen Anteile aufgeklärt werden müssen»63. Damit hat das BGer in einigen zentralen Punkten gewissermassen Leitli­nien entwickelt.

61 Vgl. HONSELL ZSR 1990 I 137 und oben 7. 62 BGE 1171b 201, 205 ff. 65 BGE117Ib206E.4.

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Die Eingriffsaufklärung

Es bestätigt, was oben schon generell für die Aufklärungsbedürftig­keit ausgeführt wurde: Es kommt nicht darauf an, ob das Risiko aus medi­zinischer Sicht gross oder klein ist, massgeblich ist vielmehr die Perspekti­ve des Laien. Immerhin hält das BGer die Angabe der «ungefähren prozentualen Anteile» für geboten.

Inwieweit Folgerungen aus diesen Leitlinien gezogen werden kön­nen, ist jedoch ungewiss, weil es sich um einen allzu eindeutigen Fall han­delt. Dass über derart hohe Risiken aufzuklären ist, bedürfte an sich keiner Diskussion. Die Nennung von Prozentsätzen hat in solchen Fällen wohl nur erläuternde Funktion; sie stellt nicht etwa ein notwendiges Element der Aufklärung dar. Das BGer hat mit dem Hinweis auf die statistische Häufig­keit in casu wohl auch nur klarstellen wollen, dass es sich um einen Fall handelt, in dem der Aufklärungsbedarf evident war. Das bedeutet, dass in der Schweiz auch in Zukunft Risikoprozente nicht ausschlaggebend für die Auf klärungsbedürftigkeit sind, sondern allenfalls dem Arzt als Beurteilungs­faktoren dienen. Insb. gehört die Bezifferung des Risikos nicht zum Inhalt der Aufklärung; sie kann höchstens zur Verdeutlichung herangezogen wer­den.

bb) Sonstige Massstäbe für die Aufklärungsbedürftigkeit

In der Literatur sind zahlreiche Versuche unternommen worden, Massstäbe dafür zu entwickeln, wann über Risiken aufzuklären ist. Das Ziel dieser Bemühungen ist es, verlässliche Kriterien zu erarbeiten und da­mit eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen64. Genannt werden etwa Häu­figkeit und Gewicht der Komplikation oder Gebotenheit des Eingriffs in sachlicher und zeitlicher Hinsicht. Aus einer Kombination dieser Kriterien werden dann Regeln abgeleitet, wie etwa die, dass mit zunehmender Dringlichkeit des Eingriffs geringere Anforderungen an die Aufklärung zu stellen sind65.

Bei näherer Betrachtung erweisen sich alle diese Ansätze als unge­eignet und zum Teil auch als verfehlt. Dies lässt sich an einzelnen Konse-

64 S. LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 6 ff.; vgl. auch EISNER 167 ff. 65 So KUHN ZSR 1986 I 479 u. 501; LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 6, spricht vom «reziproken

Zusammenhang zwischen Indikation u. Aufklärungspflicht»: BOCKELMANN 59 spricht von dem «Grundsatz, dass das Mass der Genauigkeit, mit der aufgeklärt werden muss, im umgekehrten Verhältnis zu dem Mass der Dringlichkeit steht, mit der die Operation indi­ziert ist».

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Die Aufklärungspflicht

quenzen der aufgestellten Regeln, aber auch durch Rückbesinnung auf die Grundlagen der Aufklärungspflichten zeigen:

So führt die zeitliche Dringlichkeit nicht dazu, dass der Auf klärungs­bedarf des Patienten geringer wird; es bleibt allenfalls keine Zeit für eine umfassende Aufklärung. Nur soweit dies zutrifft, ist eine nichtumfassende Information zulässig. Ebenso liegt es bei der sachlichen Dringlichkeit. Auch die medizinische Gebotenheit des Eingriffs reduziert den Aufklärungsbe-darf des Patienten nicht; die These, dass in diesem Fall geringere Anforde­rungen an die Aufklärung zu stellen seien, beruht (wenn auch meist unaus­gesprochen) auf der Annahme, dem Patienten bleibe ja sowieso kaum ein Entscheidungsspielraum66. Dies mag tatsächlich so sein, und es entspricht auch einer gewissen Lebenserfahrung, dass ein Patient in derartigen Situa­tionen «in der Regel» zustimmt. Das ändert jedoch nichts an der Rechtsla­ge: Der Anspruch des Patienten auf Information und die Pflicht, ihm diese auch zu geben, werden dadurch nicht berührt. Ähnliches gilt für die häufig diskutierte Unterscheidung zwischen therapeutischem und diagnostischem Eingriff. Es ist zwar richtig, dass der diagnostische Eingriff nicht so dring­lich ist wie der therapeutische. Gleichwohl ist es eine Unterstellung, dass der Patient für die Entscheidung über den therapeutischen Eingriff weniger Informationen benötige als für die Entscheidung über den diagnostischen Eingriff. Richtig ist nur, dass der Entschluss beim diagnostischen Eingriff natürlich schwerer fällt als beim therapeutischen, weil beide nicht in glei­cher Weise dringlich sind. Aber auch das alles ändert nichts am Aufklä­rungsbedarf des Patienten.

cc) Massstab der individuellen Aufklärungsbedürftigkeit

Die erörterten Bsp. zeigen, dass die angeführten Kriterien auch in ihrer Kombination keine Entscheidungsgrundlage bilden und letztlich nicht einmal eine Entscheidungshilfe darstellen. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, bestünden grundsätzliche Bedenken, denn mit der Aufstellung sol­cher Kriterien wird der Versuch unternommen, die Massstäbe für die Auf­klärung zu schematisieren. Gerade das ist aber mit der Grundkonzeption der Aufklärungspflicht nicht vereinbar. Diese hat den Zweck, das Informa­tionsdefizit des Patienten zu beseitigen und ihm eine selbstbestimmte Ent­scheidung zu ermöglichen. Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn

Vgl. dazu EISNER 169 f., unter Bezugnahme auf MEISEL. in: Binswanger 165 ff.

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Die Eingriffsaufklärung

auf die individuellen Informationsbedürfnisse abgestellt wird. Nur ein sol­cher Massstab gewährleistet, dass dem Patienten eine wirkliche Selbstbe­stimmung möglich wird67. Daraus ergibt sich zugleich, dass auch bei der Risikoaufklärung nicht der «verständige Patient» als Massstab gelten kann68, sondern der zu behandelnde individuelle Mensch in der konkreten Situa­tion69.

Es ist klar, dass derartigen Anforderungen vor allem in der Praxis der Spitäler nicht leicht entsprochen werden kann; es ist jedoch möglich, wenn man in der hier vorgeschlagenen Weise vorgeht und die generelle sowie die konkret-individuelle Aufklärung miteinander verknüpft und den Umstän­den entsprechend gewichtet70.

Dass das hier vorgeschlagene Vorgehen sachgerecht ist, ergibt sich auch aus einem Vergleich mit den sonstigen Aufklärungspflichten, die im Haftungsrecht entwickelt worden sind. Bei den auftragsrechtlichen Infor­mationspflichten stellt man generell und zurecht auf die individuellen In­formationsbedürfnisse des Auftraggebers ab. Diesen hat der Beauftragte Rechnung zu tragen. Dies gilt immer (aber auch nur dann), wenn es sich um ein individuelles Auftragsverhältnis handelt. Sobald ein Massengeschäft vorliegt, kann eine derartige Berücksichtigung der konkreten Situation und Bedürfnisse des Auftraggebers nicht mehr verlangt werden. Die Unterschiede im Hinblick auf die Informationspflicht werden sehr deutlich, wenn man den Fall der indivuellen Vermögensanlageberatung mit demjenigen der massenhaften Vermögensverwaltung von Grossinstituten vergleicht. Bezieht man die ausservertraglichen Aufklärungs- und Informationspflichten in die Betrachtung ein, so liegt es nahe, die Aufklärungspflichten des Arztes mit derjenigen des Medikamentenherstellers oder des Produzenten generell zu vergleichen. Auch hier ist das Problem des Hinweises auf die typischen Risiken seit langem diskutiert. Es ist allgemein anerkannt, dass die Pflicht zur Aufklärung und Warnung des Konsumenten sich aus dessen Informati­onsdefiziten ergibt. Die Frage, über welche Risiken aufzuklären ist, stellt sich hier in ähnlicher Weise wie bei der ärztlichen Aufklärung. Der wesent­liche Unterschied besteht jedoch darin, dass man sich bei einer Warnung und Information, die sich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen rich­tet, die dem Hersteller von Arzneimitteln oder Produkten nicht bekannt sind.

67 S. dazu GUILLOD, Diss. 127 ff. u. 149 ff. 68 S. dazu oben II 2 c. w So im Ergebnis auch HONSELL ZSR 1990 I 139. 70 Dazu unten II 5 c.

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Die Aufklärungspflicht

nicht an individuellen Massstäben orientieren kann. Infolgedessen ist es dort durchaus zulässig und letztlich unvermeidbar, dass man auf den durch­schnittlichen Konsumenten oder den verständigen Arzneimittelbenutzer abstellt. Zu einer derartigen Generalisierung besteht jedoch im Arztrecht kein Anlass. Es gehört zu dessen Besonderheiten, dass das Verhältnis zwi­schen Patient und Arzt als persönliche Beziehung verstanden wird. Daraus ergibt sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, dass die Aufklärung des Arztes sich an den persönlichen Bedürfnissen und der konkreten Situa­tion des Patienten orientieren muss und dass Schematisierungen und Ver­allgemeinerungen, wie sie bei der Verteilung von massenhaft produzierten Gütern notwendig sind, hier keinen Raum haben.

dd) Die Rechtsprechung des Bundesgerichts

Die Rsp. des BGer hat sich zur Aufklärungspflicht verglichen mit den Gerichten der umliegenden Länder spät und nur selten geäussert71. Es hat jedoch in dem mehrfach erwähnten Leitentscheid seinen Standpunkt zusammengefasst und nochmals verdeutlicht:

«Nach der Rsp. des BGer ist der Arzt verpflichtet, den Patienten über Art und Risiken der in Aussicht genommenen Behandlungsmethoden auf­zuklären, es sei denn, es handle sich um alltägliche Massnahmen, die keine besondere Gefahr und keine endgültige oder länger dauernde Beeinträchti­gung der körperlichen Integrität mit sich bringen. Der Patient soll über den Eingriff oder die Behandlung soweit unterrichtet sein, dass er seine Einwil­ligung in Kenntnis der Sachlage geben kann. Die Aufklärung darf jedoch keinen für seine Gesundheit schädlichen Angstzustand hervorrufen (BGE 113 Ib 426 E. 6, 108 II 61 E. 2). Massstab des Ausmasses der Aufklärung sind auf der einen Seite die vom Arzt gestellte Diagnose und die nach den medizinischen Kenntnissen des damaligen Zeitpunktes mit dem Eingriff verbundenen Risiken. Ob die Diagnose rückblickend richtig war, ist in die­sem Zusammenhang unerheblich. Das Stellen einer falschen Diagnose bil­det allenfalls einen selbständigen Haftungsgrund. Andererseits kann der Arzt im allgemeinen davon ausgehen, dass er es mit einem verständigen Patien­ten zu tun hat, der im Rahmen seiner Lebenserfahrung um die allgemein bekannten Gefahren der in Frage stehenden Operation weiss. Nicht aufzu­klären hat der Arzt deshalb über Komplikationen, die mit einem grösseren

71 S. dazu die Zusammenstellung der BGE zur Aufklärungspflicht am Ende dieses Kap.

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Die Eingriffsaufklärung

Eingriff regelmässig verbunden sind oder ihm folgen können, wie z.B. Blu­tungen, Infektionen, Thrombosen oder Embolien. Zu berücksichtigen sind aber auch die konkreten Umstände. So braucht der Arzt einen Patienten oder dessen gesetzlichen Vertreter dann nicht in allen Einzelheiten über die Gefahren der geplanten Operation aufzuklären, wenn auf der Hand liegt, dass diesem aufgrund früherer ähnlicher oder gleicher Operationen die ein­schlägigen Risiken bereits bekannt sein müssen (vgl. BGE 115 Ib 178). Allgemein gilt aber, dass der Arzt bei gewöhnlich mit grossen Risiken ver­bundenen Operationen, die schwerwiegende Folgen haben können, den Patienten ausführlicher aufklären und informieren muss, als wenn es sich um einen im allgemeinen unproblematischen Eingriff handelt.»72

Im Ergebnis stimmen die Leitlinien des Urteils mit dem hier vertre­tenen Standpunkt überein. Das BGer stellt auf die konkrete Situation ab und bringt, sofern es generalisiert, jeweils Vorbehalte an. So heisst es aus­drücklich, der Arzt könne «im allgemeinen» von gewissen Kenntnissen ausgehen. Sofern Zweifel bestehen, ob der Patient solche Kenntnisse be­sitzt, ist aufzuklären73.

Andererseits kann so auch den individuellen (Vor-)Kenntnissen des Patienten Rechnung getragen werden, wie in dem vom BGer erwähnten Fall74.

d) Alternative Behandlungsmethoden

Aus dem Zweck der Aufklärung ergibt sich mit Selbstverständlich­keit die schon oben angedeutete Notwendigkeit der Aufklärung über Alter­nativen zu dem vom Arzt vorgeschlagenen Eingriff. Erst und nur dann kann der Patient entscheiden, ob er diesen Eingriff und die damit verbundenen Risiken wirklich will oder ob er eine andere Behandlung vorzieht. Um eine solche Entscheidung zu ermöglichen, müssen insb. die Risiken der verschie­denen Eingriffe, aber auch die evtl. unterschiedlichen Erfolgsaussichten erläutert werden. Gerade hier ist erneut darauf hinzuweisen, dass der Arzt

72 BGE 1171b 203 f. E. 3b. 73 M.E. ist die Annahme des BGer, jedermann wisse, dass nach Operationen Blutungen.

Infektionen, Thrombosen oder Embolien auftreten, sehr problematisch. Hierüber klärt deshalb das im Anhang abgedruckte Formular des Berner Inselspitals zurecht u. in vor­bildlicher Weise auf.

74 In BGE 1151b 178 ff. ging es um die Aufklärung der Eltern eines dreijährigen Kindes, das zum dritten Mal am Herzen operiert wurde. Eine erneute Aufklärung wurde zurecht für unnötig gehalten.

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Die Aufklärungspflicht

sich nach den Grundsätzen des non-directive-counseling75 verhalten muss. Dies bedeutet nicht, dass er auf entsprechende Fragen nicht die Vorteile des von ihm vorgeschlagenen Eingriffs hervorheben darf; es bedeutet aber, dass er allfällige andere Eingriffsmöglichkeiten nicht bewusst so darstellen darf, dass die Entscheidung des Patienten beeinflusst wird76.

Von der Information über andere Behandlungsmethoden ist zu unter­scheiden die Informationen über bessere Behandlungsmöglichkeiten. Nach nahezu allgemeiner und zutreffender Auffassung ist der Arzt nicht verpflich­tet, den Patienten eines Bezirksspitals darauf hinzuweisen, dass der gleiche Eingriff in einem Kantons- oder Universitätsspital in qualitativ besserer oder gesicherterer Weise vorgenommen werden könne. Es ist freilich nicht zu verkennen, dass diese /tecfeauffassung dabei natürlich weitgehend durch die faktischen Verhältnisse geprägt ist. Würde man nämlich eine derartige Aufklärungspflicht annehmen, so würde die grosse Mehrzahl der Patienten sich für eine Behandlung in den besser ausgerüsteten oder mit qualifizierte­rem Personal ausgestattete Spitäler entscheiden. Dass dies gesundheitspo­litisch nicht erwünscht und auch schwer realisierbar wäre, liegt auf der Hand. Dass dies auch ausreichender Grund dafür sein soll, dass eine entsprechen­de ärztliche Informationspflicht nicht besteht, ist zumindest problematisch.

Ebenso ist von der Entscheidung über alternative Behandlungsme­thoden die Wahl der richtigen Behandlungsmethode zu unterscheiden. Sie steht als medizinische Fachfrage allein dem Arzt zu77. Hält der Arzt eine Behandlungsmethode im konkreten Fall für ungeeignet, so kommt sie als Alternativmethode nicht mehr in Betracht, weshalb über diese Möglichkeit auch nicht aufgeklärt werden muss.

Fraglich ist schliesslich, ob die Informationspflicht des Arztes be­züglich alternativer Behandlungsmethoden sich auch auf Möglichkeiten erstreckt, die ausserhalb des Bereichs der sogenannten Schulmedizin lie­gen78. Hier lassen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen. Als Grundsatz

75 S. dazu oben II 1. 76 Das BGer anerkennt seit BGE 114 Ia 350 ff. = Pra 1989,951 ff. eine ärztliche Aufklärungs­

pflicht über Behandlungsalternativen: «Cette libert6 de choix part de la consideration que les patients qui possedent la capacite de prendre des decisions au sujet des soins qui leur sont prodigues doivent etre ä meme de le faire, et obtenir por cela toute information pertinente sur leur etat de sante et les possibilites de traitement.» (358 E. 6) S. dazu auch LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 4 ff.; EISNER 166 f.; Die deutsche Judikatur hat die Aufklärungs­pflicht über Behandlungsalternativen schon mehrfach anerkannt, s. insb. BGH NJW 1988, 1516 (Magenoperation).

77 S. dazu LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 4 mit Hinweisen auf die deutsche Rsp. 78 Vgl. dazu SIEBERT 118 ff.; SCHMID NJW 1986, 2339 ff. -

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Grenzen der Aufklärung

kann immerhin die Annahme gelten, dass eine Information über derartige alternative Behandlungsmethoden zumindest dann geboten ist, wenn diese einen gewissen Anerkennungsgrad erreicht haben - wie z.B. heute die Be­handlung allergischer oder rheumatischer Erkrankungen durch Akupunk­tur.

3. Grenzen der Aufklärung

Aus dem zuvor aufgezeigten Inhalt und Umfang der Aufklärungs­pflicht ergibt sich zwangsläufig die Frage, wo deren Grenzen liegen79. Hier sind zwei Gesichtspunkte zu unterscheiden. Zum einen geht es um eine generelle rechtsdogmatische wie rechtspolitische Grundsatzfrage, nämlich darum, wieviel Aufklärung erforderlich und zugleich sinnvoll ist80. Zum andern aber geht es um eine spezifisch arztrechtliche Frage, nämlich dar­um, wieviel Aufklärung der Patient verträgt, ohne Schaden zu erleiden. Beide Fragen sind scharf voneinander zu trennen.

a) Generelle Begrenzung von Informationspflichten

Informationspflichten dienen - wie schon mehrfach hervorgehoben - dem Abbau von Informationsdefiziten. Sie haben also die Funktion, das Informationsgefälle zwischen dem Aufklärungspflichtigen und dem Auf­klärungsempfänger auszugleichen. An der grundsätzlichen Berechtigung dieser für das Expert-Client-Verhältnis entwickelten Konzeption bestehen keine Zweifel. Sie gilt nicht nur im gesamten medizinischen Bereich, son­dern überall dort, wo eine der am Rechtsverkehr beteiligten Parteien, insb. ein Vertragspartner, über einen Wissens- oder Erfahrungsvorsprung verfügt. Die grundsätzliche Anerkennung der darauf basierenden Informationspflicht hat jedoch nicht nur zu der Frage geführt, worüber informiert werden muss, sondern auch zu jener, wieviel Information der Empfänger verarbeiten kann. Derartige Überlegungen sind insb. im Bereich der Produkthaftung und ge-

Bei den folgenden Ausführungen gilt primär wie für die «Selbstbestimmungsaufklärung» das Prinzip der schonenden Aufklärung. Dies gilt aber nicht für die Information über Untersuchungsergebnisse (z.B. in einer reinen Diagnoseklinik), die nicht der Vorbereitung einer Behandlung oder eines Eingriffs dienen; s. oben I 4 c. Hierzu etwa GRUNEWALD ACP 1990. 609 ff.; dort auch zum folgenden.

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Die Aufklärungspflicht

nerell im Bereich der gesamten Dienstleistungen angestellt worden. Es hat sich sehr bald gezeigt, dass eine allzu extensive und detaillierte Informati­on kontraproduktiv ist. Diese sogenannte Überinformation wird zur Desin­formation, so dass der Aufklärungsbedarf überhaupt nicht befriedigt wird, weil der Informationsempfänger die Informationsflut gar nicht verarbeiten kann. Hieraus ist der allgemeine Grundsatz entwickelt worden, dass die Information so gestaltet und begrenzt werden muss, dass der Empfänger sie verarbeiten kann. Darüberhinausgehende Informationen sind nur auf des­sen ausdrücklichen Wunsch und zielgerichtete Anfrage zu erteilen. Diese Grundsätze gelten ohne weiteres auch für den Bereich des Medizinrechts, der jedoch noch durch eine weitere Besonderheit gekennzeichnet ist.

b) Die zumutbare Aufklärung

Die Besonderheit im medizinischen Bereich liegt darin, dass der Umfang der Aufklärung nicht nur durch die Masse der Fakten, die der Pati­ent vernünftigerweise aufnehmen kann, begrenzt wird, sondern auch durch einen weiteren Umstand: Der Patient kann nicht jede Information «verkraf­ten». Es geht also darum, ob und inwieweit der Arzt ihm die Mitteilung der Ergebnisse der Untersuchung oder der Folgen eines Eingriffs bzw. seines Unterbleibens «zumuten» kann. Es handelt sich hierbei um eine seit lan­gem bekannte Konfliktsituation81, die in dieser Form bei den sonstigen In­formationspflichten nicht auftritt.

Das BGer hat bezüglich der Aufklärung des Patienten festgehalten, diese dürfe «keinen für seine Gesundheit schädlichen Angstzustand her­vorrufen»82. Geht man vom Aufklärungszweck aus - der Ermöglichung der Selbstbestimmung des Patienten - so ist die Aufklärung nutzlos, wenn durch sie die Selbstbestimmung nicht nur nicht ermöglicht, sondern eher noch vereitelt wird. Dies ist immer dann der Fall, wenn aufgrund der Konstituti­on des Patienten die Offenbarung einer deprimierenden Diagnose oder ho­her Risiken dazu führt, dass die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt oder gar ausgeschlossen wird. Hieraus ergibt sich, dass der Arzt seiner an sich bestehenden Aufklärungspflicht dann nicht nachkommen kann und darf, wenn deren Erfüllung sich als kontraproduktiv erweisen würde.

81 Das Problem wird gelegentlich mit der Formel «salus aut voluntas» umschrieben. *2 BGE 117 Ib 203; unter Bezugnahme auf BGE 113 Ib 426 E. 6 u. 108 II 61 E. 2; s. auch

BGE 105 II 287 = Pra 1980, 365 mit zahlreichen weiteren Literaturhinweisen.

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Grenzen der Aufklärung

Ob und wann das der Fall ist, kann wiederum nicht generell bestimmt werden. Massgeblich sind vielmehr die persönlichen Eigenschaften des Patienten und seine konkrete Situation. Infolgedessen muss die Beurtei­lung, wieviel Aufklärung dem Patienten zuzumuten ist, dem behandelnden Arzt überlassen bleiben.

Generell ist jede Aufklärung, welche den Behandlungserfolg gefähr­den kann, auf ihre Notwendigkeit und therapeutische Verträglichkeit zu überprüfen83. Die Schonungslosigkeit, mit der die Aufklärung vorgenom­men wird, findet deshalb dort ihre Grenzen, wo sie nicht mehr dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts dient, sondern dazu führt, dass der Patient durch Angstzustände oder Resignation in den Entfaltungsmöglichkeiten seines Selbstbestimmungswillens eingeschränkt wird84.

c) Problematik der «Zumutbarkeit» der Aufklärung

Die dargelegte Konzeption wird gelegentlich als therapeutisches Pri­vileg85 bezeichnet. Ein Teil der juristischen Literatur ist der Auffassung, dass es ein derartiges therapeutisches Privileg nicht geben dürfe. Vielmehr habe das Selbstbestimmungsrecht des Patienten absoluten Vorrang und dürfe auf diese Weise nicht unterlaufen werden. Es handle sich dabei im Resultat um nichts anderes als um eine «paternalistische Bevormundung durch den Experten»86.

Die generelle Ablehnung des therapeutischen Privilegs ist nicht ge­rechtfertigt87. Die daran geäusserte Kritik ist insofern wichtig, als sie dazu beiträgt, mit dem therapeutischen Privileg zurückhaltend umzugehen. Dies

83 Würde der Patient über die Wirkung eines Placebo-Mittels aufgeklärt werden, wäre der therapeutische Zweck des Placebos vereitelt.

84 Ein krasses Bsp. aus einem Patienten-Merkblatt eines amerikanischen Zentrums für Knochenmarktransplantation zeigt, was nicht mehr vertretbar ist: «Sie haben eine akute Leukämie, an der Sie mit einiger Sicherheit innerhalb von 2 Jahren sterben werden.» (zit. nach R. GROSS 43).

85 Der Begriff wird uneinheitlich verwendet. Im folgenden wird er in einem weiten Sinne verwendet, d.h. als die Möglichkeit, den Umfang der Aufklärung zu «dosieren», d.h. auf den Patienten individuell abzustimmen (u. damit auch einzuschränken), um eine optimale Selbstbestimmung zu ermöglichen.

86 So insb. GIESEN, medizinische Behandlung 133 ff. u. 163 ff., mit umfassenden Nachwei­sen zur Rechtslage in Deutschland u. Österreich sowie mit kritischen Anm. zur Rsp. des schweizerischen BGer; anders aber PICHLER 340 ff.

87 EISNER 183 ff.; GUIIXOD, Diss. 192 ff.; LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 19 ff. u. § 163 N 74 f.; HONSELLZSR 19901 148.

Wiegand 143

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Die Aufklärungspflicht

vorausgesetzt, ist an der grundsätzlichen Befürwortung durch das BGer fest­zuhalten, zugleich aber folgendes klarzustellen:

aa) Die Anwendung des therapeutischen Privilegs findet dort seine Gren­zen, wo es nicht mehr dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Pati­enten dient. Ist z.B. bei einem schwer Krebskranken mit einer Selbstbe­stimmung zu rechnen, die jede weitere lebensverlängernde Massnahme verhindert, so begründet dieser Umstand keine Reduktion des Aufklärungs-umfangs. Auch hier gilt, dass der Arzt den Patienten in seiner Willensfin-dung so weit als möglich zu unterstützen hat und eine einmal geäusserte Selbstbestimmung respektieren muss88.

bb) Aber auch dermassen reduziert, bleibt diese Konzeption in verschie­dener Hinsicht problematisch:

Zum einen besteht die Gefahr, dass die mangelnde Belastbarkeit des Patienten als genereller Vorwand gebraucht und dadurch die Aufklärungs­pflicht ausgehöhlt wird. Diese Gefahr ist jedoch eher gering einzuschätzen; gewichtiger ist ein anderes Risiko: Ist die erforderliche Aufklärung - aus welchen Gründen auch immer - unterblieben und kommt es anschliessend zu rechtlichen Auseinandersetzungen, so bietet sich die Behauptung gera­dezu an, dass die Aufklärung deshalb unterblieben sei, weil der Patient sie vor dem Eingriff nicht verkraftet hätte.

Anderseits besteht auch die umgekehrte Gefahr, dass der vom Arzt zurecht nicht aufgeklärte Patient in späteren Rechtsstreitigkeiten behaup­tet, ihm hätte eine umfassende Aufklärung durchaus zugemutet werden können89.

Es liegt auf der Hand, dass die beschriebene Problematik nicht ei­gentlich gelöst werden kann. Man kann jedoch die Schwierigkeiten redu­zieren, wenn man zunächst einmal die beweisrechtliche Seite und die mate­riell-rechtliche Frage unterscheidet.

Unter diesem Gesichtspunkt erscheint der vom BGer in BGE 105 II 285 ff. = Pra 1980, 362 ff. definierte Anwendungsbereich des therapeutischen Privilegs gefährlich weit: «Le devoir d'informer trouve ses limites dans la definition meme de la science medicale, qui a pour objet la conservation et la retablissement de la sante.» (288). Besonders illustrativ ist in dieser Hinsicht BGE 105 II 285 ff. = Pra 1980, 362 ff.; in diesem Fall unterliess es der behandelnde Chirurg, den Patienten über seinen Verdacht auf Krebs bei einem festgestellten Dickdarmtumor zu informierem, nachdem ihm die Ehefrau u. der Hausarzt des Patienten davon abgeraten hatten. Nach der Operation mach­te der Patient geltend, dass er die Diagnose verkraftet hätte, da er gewohnt sei, «den Din­gen ins Gesicht zu sehen». Das BGer verneinte in diesem Fall eine Pflicht zu weiterge­hender Aufklärung.

144 Wiegand

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Grenzen der Aufklärung

- In beweisrechtlicher Hinsicht sind wie in allen anderen Fällen die Grund­züge der Aufklärung nach den unten90 dargelegten Grundsätzen in der Krankengeschichte als Teil der Dokumentationspflicht festzuhalten. Bleibt der Aufklärungsinhalt hinter den Standards zurück, die für einen Eingriff dieser Art eingehalten werden müssen oder wird die Diagnose dem Pati­enten nicht in vollem Umfang eröffnet, muss dies nicht nur in der Kran­kengeschichte vermerkt, sondern auch begründet werden. Damit verschafft sich der Arzt im Rahmen der unten91 dargelegten Möglichkeiten eine bes­sere prozessuale Ausgangslage.

- In materiell-rechtlicher Hinsicht ist zunächst eine Klarstellung erforder­lich. Bei der Entscheidung, ob der Patient über bestimmte Umstände nicht aufgeklärt werden soll, geht es nicht nur um ein Problem der Aufklä­rungspflicht, sondern zugleich auch um die Frage der richtigen Erfül­lung der Sorgfaltspflicht des Arztes. Dieser muss mit der von ihm ge­schuldeten Sorgfalt abwägen, ob und inwieweit der Patient eine Aufklärung ertragen kann, ohne dass seine psychische oder physische Situation da­durch verschlechtert wird. Kommt er zu dem Schluss, dass eine solche Verschlechterung oder gar eine akute Gefährdung sicher eintreten wird, so muss er sich fragen, ob ein solches Risiko in Kauf genommen werden muss, um dem Patienten die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts zu ermöglichen. In dieser mit dem Schlagwort «salus aut voluntas» um­schriebenen Konstellation wird dem Arzt immer wieder empfohlen, er solle so entscheiden, dass «salus et voluntas» angemessen berücksichtigt werden können. Diese «Zauberformel» kann nicht darüber hinwegtäu­schen, dass es sich letzten Endes um einen Kompromiss handelt; diesen kann man dahingehend formulieren, dass der Arzt dem Patienten so viel Aufklärung gibt, wie er verantworten zu können glaubt. Bei dieser Ent­scheidung ist mit aller Sorgfalt zwischen Gesundheit und Selbstbestim­mungsrecht abzuwägen und das Mass der zumutbaren Auskunft festzu­setzen. Für eine spätere rechtliche Auseinandersetzung ist dies der zentrale Punkt. Es geht dann nicht darum, ob zuviel oder zuwenig aufgeklärt wor­den ist, sondern es kann ausschliesslich darum gehen, ob der Arzt die Entscheidung mit der gebotenen Sorgfalt getroffen hat.

S. unten II 5 a dd. S. unten II 5 a dd.

Wiegand

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Die Aufklärungspflicht

Der beurteilende Richter hat sich hier - wie bei Sorgfaltspflichtsver-letzungen generell92 - in die Situation des entscheidenden Arztes zurückzu­versetzen und zu fragen, wie aus damaliger Sicht ein sorgfältig handelnder Arzt entschieden hätte.

cc) In besonders kritischen Situationen, in denen der Arzt einerseits dem Patienten eine Aufklärung nicht zuzumuten können glaubt, anderseits aber auf eine Entscheidungshilfe nicht verzichten will, bietet sich die Infor­mation der Angehörigen93 an. Diesen Weg hat das BGer ausdrücklich ge­billigt94. Die Information der dem Patienten nahestehenden Person kann in extremen Fällen ein Ausweg sein, darf aber nicht dazu führen, dass der Arzt diesen Ausweg regelmässig wählen kann95.

Entscheidet sich der Arzt für die Information von nahestehenden Per­sonen, muss auch dieser Vorgang in der Krankengeschichte aufgezeichnet und entsprechend den unten96 dargelegten Grundsätzen begründet werden.

4. Einzelfragen

a) Operationserweiterung

Die Frage, ob und in welchem Umfang Operationserweiterungen zulässig sind, ist umstritten. Im Prinzip ist daran festzuhalten, dass der Ein­griff nur so weit reichen darf, wie die aufgrund der zuvor erfolgten Aufklä­rung erteilte Einwilligung97. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine

n Die Problematik dieser ex post Beurteilung von Sorgfaltsverstössen beschränkt sich nicht auf den hier vorliegenden Fall. Es handelt sich um ein generelles Phänomen des Haf­tungsrechts. Dazu etwa WIEGAND, Verantwortlichkeit 1, 16 ff.

93 Der Begriff der Angehörigen ist in diesem Zusammenhang nicht definiert. Bei Verheirate­ten dürfte es in erster Linie der Ehepartner sein. Des weitern kommen nahe Verwandte aber auch Lebenspartner in Frage.

94 BGE 105 II 285 ff. = Pra 1980, 362 ff.: «Un prognostic grave ou fatal... peut etre cache au patient, mais doit en principe etre revele ä ses proches.» (288).

93 Kritisch hierzu: BGHZ 107, 222 = JZ 1989, 901 mit Anm. LAUFS. 96 S. unten II 5 a dd 97 So insb. die strenge deutsche Rsp. (vgl. Fallkonstellation von BGHSt 11, 111 «Myom-

Fall»).

146 Wiegand

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Einzelfragen

Erweiterung im konkreten Fall zulässig ist, wird unten98 eingehend darge­legt.

b) «Exzessive» Aufklärung

Fragen des Patienten verpflichten den Arzt regelmässig zu Antwor­ten". Verlangt dieser jedoch eine exzessive Aufklärung, d.h. Informatio­nen, die offensichtlich nicht der Selbstbestimmung dienen, so ist der Arzt grundsätzlich nicht zur Auskunft verpflichtet. Entschliesst er sich jedoch, dem Patienten Auskunft zu erteilen, so muss diese vollumfänglich erfol­gen; denn mit der Auskunftserteilung übernimmt der Arzt gleichzeitig eine weitergehende Pflicht, die ihn zur wahrheitsgetreuen Auskunft verpflich­tet100.

c) Der diagnostische Eingriff

Der Umfang der Aufklärung über die Folgen eines diagnostischen Eingriffs ist grundsätzlich nach den bereits dargelegten Regeln zu bestim­men. Der Umstand, dass es sich regelmässig um einen Eingriff ohne unmit­telbare Heilwirkung handelt, vermag den Umfang der Aufklärung nicht zu verändern101.

d) Zufallsfund

Infolge der immer differenzierteren und zugleich weiterreichende-ren Diagnosetechnik kommt es immer häufiger zu demjenigen Sachver­halt, den man verkürzt als Zufallsfund bezeichnen kann. Im Rahmen einer auf Wunsch des Patienten durchgeführten Untersuchung oder bei einer vom Allgemeinmediziner veranlassten Spezialuntersuchung werden krankhafte Befunde entdeckt, nach denen man eigentlich nicht gesucht hatte. So kann sich bei Röntgenaufnahmen der Lunge eine krankhafte Veränderung der Wirbelsäule zeigen oder im Rahmen der pränatalen Diagnose eine Krebs-

98 S. unten III 3a. 9 9 So LAUFS/UHLENBRUCK § 68 N 18.

100 Hierzu ARZT 65. 0i Die bei LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 8 ff., vertretene Meinung ist abzulehnen. S. dazu oben

II 2 c bb.

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Die Aufklärungspflicht

geschwulst am Darm entdeckt werden. Gerade beim letzten Bsp. wird das Problem mit Deutlichkeit sichtbar: Die Untersuchung zielt darauf ab, evtl. krankhafte Veränderungen der Leibesfrucht frühzeitig festzustellen. Wird diese Untersuchung vom Gynäkologen durchgeführt, so könnte man im­merhin noch davon ausgehen, dass er verpflichtet ist, den Gesundheitszu­stand der Mutter in seine Betrachtungen einzubeziehen, da dieser für den Ablauf der Schwangerschaft sowie für den Gesundheitszustand des Em­bryos wichtig ist. Aber schon wenn man die Situation nur geringfügig ver­ändert und annimmt, dass bei einer in einem darauf spezialisierten Spital vorgenommenen Fruchtwasseruntersuchung (diese wird mit Hilfe von Ul­traschall kontrolliert) ein derartiger Befund sichtbar wird, stellt sich so­gleich die Frage, ob überhaupt und gegbenenfalls wem dieser zu offenba­ren ist. Grundsätzlich wird daran festzuhalten sein, dass der Patient ein Recht auf Kenntnis aller Befunde hat, die bei ihm festgestellt werden. Anderer­seits ist gerade im Bereich der durch die gentechnische Forschung erwei­terten Erkenntnismöglichkeit seit langem anerkannt, dass dem Patienten ein Recht auf Nichtwissen102 zusteht. Um hier eine Grenzziehung zu ermög­lichen, wird es in Zukunft in vielen Bereichen notwendig sein, den Patien­ten vor der Untersuchung darüber zu befragen, ob er die Offenbarung sämt­licher Untersuchungserkenntnisse oder nur den Befund haben wolle, auf den die Untersuchung an sich ausgerichtet war.

5. Art und Form der Aufklärung

a) Das Aufklärungsgespräch

aa) Allgemeines

Die Aufklärung wie auch die Eingriffseinwilligung bedürfen keiner bestimmten Formm. Dieser Grundsatz gilt in allen Behandlungsverhältnis­sen, unabhängig davon, ob sie solche des Privatrechts oder des Verwaltungs-

S. dazu WIEOAND TU 1988, 729 ff. mit weiteren Quellenangaben. Statt aller: GIESEN, medizinische Behandlung 174. •

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Art und Form der Aufklärung

rechts darstellen104. Die Aufklärung kann somit mündlich oder schriftlich erfolgen. Die grundsätzliche Formfreiheit wird jedoch dadurch einge­schränkt, dass die bloss schriftliche Form den von Lehre und Rsp. aufge­stellten Anforderungen an Inhalt, Umfang und Ausmass105 der Aufklärung oft nicht zu genügen vermöchte. Über Besonderheiten des Einzelfalles lässt sich nämlich mit notwendigerweise generell gehaltenen Formularen nicht aufklären. «Aushändigung und Unterzeichnung von Formularen und Merk­blättern ersetzen nicht das erforderliche Aufklärungsgespräch...»106.

bb) Aufklärungspflichtiger

Das BGer hat sich bisher noch nie explizit mit der Frage nach der Person des Aufklärungspflichtigen befasst. Wohl geht es in seinen Begrün­dungen jeweils davon aus, dass der Arzt zur Aufklärung verpflichtet sei107. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass eine Delegation per se unzulässig wäre. Das gleiche gilt für die diesbezüglichen Ausführungen in der schweizerischen Lehre108.

Ausdrücklich Stellung zur Frage nimmt Eisner, der unter Bezug auf die in Deutschland vertretene Auffassung die Aufklärung als eine nicht de­legierbare Pflicht des Arztes betrachtet109. Mit dem Hinweis auf OR 398III, wonach der Beauftragte für die persönliche Besorgung des Geschäftes ver­antwortlich ist, sofern keine der gesetzlichen Ausnahmegründe110 vorlie­gen, lässt sich ein Verbot der Delegation jedoch nicht begründen. Denn OR 398 III regelt die eigentliche Substitution, nicht jedoch den Beizug von Er­füllungsgehilfen.

104 Die das öffentlich-rechtliche Behandlungsverhältnis regelnden kantonalen Erlasse sehen keine Formvorschriften vor. So z.B. Art. 10 Abs. 1 des Bemischen Dekrets über die Rechte u. Pflichten der Patientinnen u. Patienten in öffentlichen Spitälern (Patientendekret. PatD) vom 14.2.1989: «...in geeigneter, verständlicher und der Situation angepasster Form aufzuklären».

105 Vgl. dazu oben I 4; II 2, 3. 106 So für das deutsche Recht BGH NJW 1985, 1399. 107 Z.B. BGE 117 Ib 203: «Nach der Rsp. des BGer ist der Arzt verpflichtet, den Patienten

über Art und Risiken der in Aussicht genommenen Behandlungsmethoden aufzuklären,...»; BGE 108 II61 E. 2 = Pra 1982, 299 E. 2.: «Grundsätzlich ist der Arzt verpflichtet, seinen Patienten ... zu informieren».

108 Statt vieler BK-FELLMANN OR 400 N 39. 109 EISNER 158. 110 OR 398 III: Ermächtigung zur Übertragung an einen Dritten, besondere Umstände, ent­

sprechende Übung. Vgl. dazu HOFSTETTER SPR VII/2, 72 ff.

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Die Aufklärungspflicht

Die Frage nach der Zulässigkeit der Delegation der Aufklärung ist letztlich danach zu beantworten, welches die Anforderungen an den Auf­klärenden sind, damit eine bezüglich Inhalt, Umfang und Ausmass genü­gende Aufklärung vorliegt. Hier wird grundsätzlich bloss der Arzt die ent­sprechenden Qualifikationen aufweisen. In der Regel ist somit die Übertragung der Aufklärung an nichtärztliches Personal unzulässig.

Sofern jedoch die an die Aufklärung zu stellenden Anforderungen von (genügend qualifiziertem) Hilfspersonal erfüllt werden können, steht einer Delegation nichts im Wege111.

Die Delegation der Aufklärung an einen anderen Arzt ist grundsätz­lich zulässig. In der Regel wird jedoch der für den Eingriff zuständige Arzt auch die eingriffsbezogene Aufklärung vornehmen. Denn häufig ist nur er über die Besonderheiten des Einzelfalles genügend informiert, um richtig aufklären zu können. Dann kommt eine Delegation nicht in Betracht. Wur­de der Patient schon von einem vorbehandelnden Arzt aufgeklärt, entfällt das Aufklärungsbedürfnis; allerdings hat der den Eingriff vornehmende Arzt sich zu vergewissern, dass der betreffende Patient die Aufklärung nicht mehr benötigt"2.

Wird die Behandlung eines Patienten von verschiedenen Fachärzten vorgenommen, trifft jeden von ihnen die Aufklärungspflicht für seinen Bei­trag an der Behandlung.

Im Falle einer expliziten oder konkludenten Vereinbarung, wonach der betreffende Arzt die Aufklärung persönlich vornehme, ist die Übertra­gung der Aufklärung an eine Hilfsperson oder an einen anderen Arzt unzu­lässig"3.

1,1 Diese Auffassung wird in BGE 116II522 indirekt bestätigt. Im vorliegenden Fall erfolgte die Aufklärung durch die Arztgehilfin. Diese unterliess es, über mögliche Risiken eines Krankheitsbildes u. der empfohlenen Therapie (strikte Diät) aufzuklären. Gem. OR 101 haftete der Arzt für ihr Fehlverhalten wie für sein eigenes. Der Arzt haftete mithin wegen der falschen Aufklärung (es handelte sich im wesentli­chen um eine Sicherungsaufklärung, allerdings waren auch Elemente der Eingriffsauf­klärung gegeben), nicht jedoch wegen der Delegation der Aufklärungsaufgabe an sich. Denn die Übertragung der Aufklärung an eine Hilfsperson stellt grundsätzlich gehörige Vertragserfüllung dar, sofern nur die Aufklärung die an sie zu stellenden Anforderungen erfüllt. Dies gilt sowohl bei der Sicherungs- wie auch bei der Eingriffsaufklärung, wobei aber OR 68 zu beachten bleibt.

112 Vgl. zum Ganzen: NARR 539; s. auch oben zur Aufklärung in Etappen II 1. 1" Die Frage der Delegation der Aufklärung von Arzt zu Arzt wird bei genauer Betrachtung

nur aktuell bei privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen, in welchen der Patient mit einem bestimmten Arzt einen Auftrag abgeschlossen hat. Denn nur hier hat der Patient unter dem Vorbehalt von OR 398 III Anspruch darauf, vom betreffenden Arzt persönlich

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Einzelfragen

cc) Aufklärungsberechtigter

Die richtige Aufklärung ist Voraussetzung der rechtswirksamen Ein­willigung. Da allein die Einwilligung des Patienten den Eingriff rechtfer­tigt, ist auch er allein Adressat der Aufklärung. Ausnahmen ergeben sich bei beschränkt oder voll handlungsunfähigen Patienten"4.

Die Person des Aufklärungsberechtigten oder -adressaten spielt in­sofern eine Rolle, als nach der hier vertretenen Konzeption der individuell­konkreten Aufklärung nicht auf einen generellen Massstab, sondern auf die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten abzustellen ist. Im Sinne der allge­meinen Rechtsgeschäftslehre kommt es also auf den sog. Empfängerhori­zont an. In diesem Sinne ist auch die Auffassung des deutschen BGH und eines Teils der deutschen Lehre"5 zu verstehen, wonach gegenüber Ange­hörigen gehobener Berufe eine allgemein gehaltene Aufklärung genügend sei. Der Arzt dürfe von solchen Patienten nämlich erwarten, dass sie bei Bedarf weiterführende Fragen stellten. Diese juristisch vertretbare Diffe­renzierung des Aufklärungsumfanges nach der Person des Aufklärungs­pflichtigen ist allerdings kaum eine grosse Erleichterung für den Arzt. Denn er hat immer soweit aufzuklären, als ein Aufklärungsbedürfnis"6 besteht,

behandelt zu werden. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Delegation ist zu unter­scheiden zwischen der eigentlichen Substitution u. dem Einsatz von Hilfspersonen. Die Substitution ist im eingangs erwähnten Behandlungsverhältnis gem. OR 398 III u. OR 68 unzulässig. Überträgt der Arzt hingegen nur die Aufklärung einem Kollegen, führt die Behandlung aber ansonsten selbst durch, wird dieser regelmässig in die Erfüllungs­organisation des Mandataren integriert. Hingegen wird nicht eine Teilleistung aus dem Pflichtenheft des beauftragten Arztes eliminiert. Somit handelt es sich bei der Delegati­on der Aufklärung an einen anderen Arzt nicht um eine Substitution, sondern um den prinzipiell erlaubten Beizug einer Hilfsperson. Obwohl hier gem. OR 68 die persönliche Erfüllung durch den Schuldner (hier: der Arzt als Mandatar) erforderlich ist, ist der Bei­zug von Dritten zulässig, solange das materielle Hauptgewicht der Leistung beim Ver­tragspartner liegt. Ob dies der Fall ist, hängt von Bedeutung u. Umfang der Aufklärung im Einzelfall ab. Wurde der Auftrag hingegen mit einer juristischen Person (z.B. einem Privatspital) ab­geschlossen, so hat der Patient mangels anderweitiger Vereinbarung keinen Anspruch darauf, von einem bestimmten Arzt aufgeklärt zu werden. In öffentlich-rechtlichen Verhältnissen ist die entsprechende gesetzliche Grundlage zu prüfen. So verpflichtet z.B. Art. 10 Abs. 1 PatD/BE ausdrücklich «die behandelnden Ärztinnen und Ärzte» zur Aufklärung.

114 S. unten II 6 a. 1,5 Umfassende Darstellung mit wNw in GIESEN, medizinische Behandlung 140. 116 Soweit der Patient über das für eine sachgerechte Entscheidung erforderliche Wissen

bereits verfügt, er mithin nicht aufklärungsbedürftig ist, kann es für die Wirksamkeit der Einwilligung keine Rolle spielen, wie u. von wem ihm dieses Wissen vermittelt wurde. So auch EISNER 66.

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Die Aufklärungspflicht

und ein Irrtum über die wirklichen Aufklärungsbedürfnisse des Patienten geht zu seinen Lasten. Der Arzt wird deshalb im Zweifelsfall gut daran tun, eine übliche Aufklärung zu erteilen.

dd) Beweisfragen

Das verständnisvolle Arzt-Patientengespräch ist ein ideales Aufklä­rungsmittel, birgt für den Arzt u.U. jedoch die Gefahr, in einem allfälligen Prozess die vor der Einwilligung erteilte Aufklärung bzw. ihre Angemes­senheit, wofür ihn nach bundesgerichtlicher Rsp. die Beweislast trifft, nicht beweisen zu können.

Es stellt sich mithin die Frage nach den geeigneten Formen der Be­weissicherung beim Auf klärungsgespräch. Diese muss so erfolgen, dass das Gericht sich davon überzeugen kann, dass ein den Anforderungen der Auf­klärung"7 genügendes Gespräch vor der Einwilligung stattfand. Als mögli­che zweckdienliche Beweissicherungsmassnahmen werden genannt118: Ver­merk bezüglich der Aufklärung in den Krankenunterlagen, Aufzeichnung des Aufklärungsgesprächs durch den Arzt im Krankenblatt des Patienten, Unterzeichnung des erfolgten Eintrags durch den Patienten, Aufnahme des Gesprächs auf einen Tonträger, Anwesenheit eines Dritten als Zeugen oder gar Protokollierung des Aufkärungsgesprächs durch einen Dritten, evtl. zusätzlich verbunden mit anschliessender Unterzeichnung119.

Unter Berücksichtigung eines bundesgerichtlichen obiter dictum120

kann für das schweizerische Recht festgehalten werden: Es genügt den Beweisanforderungen nicht, in der Krankengeschichte nur ganz allgemein zu vermerken, der Patient sei über die geplante Operation und ihre mögli­chen Komplikationen informiert worden. Beweis für eine genügende Auf­klärung verschafft nur ein ausführlicher Vermerk über das Aufklärungs­gespräch in der Krankengeschichte mit Angabe von Ort und Zeit der Aufklärung, Person des Aufklärenden, stichwortartige Zusammenfassung des Gesprächsgegenstandes sowie dem Datum der Erstellung des Vermerks. Wenn auch das BGer im Entscheid BGE 117 Ib 197 ff. die Frage offenliess, welcher Beweiswert der Krankengeschichte im Arzthaftungsprozess im all­gemeinen zukommt, so kann davon ausgegangen werden, dass ordnungs-

1,7 S. oben II 2. "s Übersicht mit weiteren Hinweisen bei EISNER 161. 119 Zur Beweissicherung mittels Einwilligungsformularen s. III 1 b. 120 BGE 117 1b 205.

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Einzelfragen

gemäss geführte und das Wesentliche enthaltende Krankenunterlagen121 Be­weis für die richtige Aufklärung erbringen122.

Es wäre unzulässig und auch sachlich nicht gerechtfertigt, das Er­bringen des Beweises der Aufklärung von weitergehenden Erfordernissen abhängig zu machen, wie etwa vom Verwenden von Tonträgern, vom Bei­sein von Zeugen oder gar von Protokollierung und dergleichen. Eine solche Beweisvorsorge wäre nur mit unzumutbaren organisatorischen Massnah­men möglich, zudem würde das Arzt-Patientenverhältnis darunter leiden. Auch würde die vom Privatrecht garantierte Formfreiheit durch eine derar­tige Anforderung unzulässigerweise derogiert123.

b) Aufklärungsformulare

Aufklärungsformulare finden im Ausland mehr und mehr Verbrei­tung124. Diese Entwicklung ist auch in der Schweiz zu beobachten125, wenn auch die bloss mündliche Form der Aufklärung noch die Regel darstellen mag126. Die Tendenz zur vermehrten Verwendung von Formularen ist zum Teil auf das (infolge der Beweislastverteilung bestehende) Bedürfnis von Ärzten und Kliniken nach Beweisvorsorge127 zurückzuführen. Formulare stellen aber kein Allheilmittel128 dar.

Die Aufklärung allein mit Formularen würde oftmals daran schei­tern, dass diese den Umständen des konkreten Einzelfalles nicht genügend Rechnung tragen. «Die mannigfachen Möglichkeiten lassen sich oft nicht kasuistisch fassen.»129 Nicht nur der spezifische und konkrete Eingriff, son­dern auch die «berufliche und private Lebensführung des Patienten und dessen Entscheidungspräferenzen» 13° bestimmen das Mass der Aufklärung. Nebst der Abgabe von Merkblättern hat deshalb stets ein Aufklärungsge-

121 Zu den Gefahren einer unvollständig geführten Krankengeschichte vgl. WIEGAND 116. 122 In diesem Sinne etwa das Urteil BGH vom 8.1.1985 = NJW 1985, 1399: «... muss auch

der Arzt, der keine Formulare benutzt, und ... keine Zeugen zur Verfügung hat. eine faire und reale Chance haben, den ihm obliegenden Beweis für die Durchführung und den Inhalt des Aufklärungsgesprächs zu führen.»

123 Vgl. dazu BUCHER OR AT 163. 124 GIESEN. medizinische Behandlung 176. 125 Vgl. WIEGAND116. 126 SOEISNER 160. 127 Statt vieler: LAUFS/UHLENBRUCK § 67 N 14. 128 W[EGAND 116. 129 KERN/LAUFS 50. 130 LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 2.

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Die Aufklärungspflicht

sprach stattzufinden, um auf die besonderen Eigenheiten des konkreten Ein­griffs am betreffenden Patienten hinzuweisen. Aufklärungsformulare die­nen somit der Vorbereitung und Ergänzung des Aufklärungsgesprächs.

Die Ausarbeitung der Aufklärungsformulare ist ein heikler Balance­akt. Sind die Formulare zu allgemein gehalten131, so haben sie neben dem Aufklärungsgespräch keine selbständige Bedeutung und auch keinen Be­weiswert; sind sie zu detailliert, überfordern sie den Patienten als medizini­schen Laien und sind deshalb zur genügenden Aufklärung nicht geeignet132. Damit das Aufklärungsformular mit eigenständiger Bedeutung neben und als Ergänzung zum Aufklärungsgespräch eingesetzt werden kann, sind für jeden Eingriffstyp spezifische Formulare zu entwerfen, welche über Grund, Alternativen, Bedeutung, Verlauf, Risiken, Erfolgsaussichten und Folgen des Eingriffs in leichtverständlicher Sprache die wesentlichen Angaben enthalten133.

c) Die Stufenaufklärung

Nach dem Modell der sog. Stufenaufklärung134 werden dem Patien­ten durch auf bestimmte Eingriffe zugeschnittene Dokumentationsbogen die Basisinformationen schriftlich vermittelt. Im anschliessenden (zwin­gend erforderlichen) Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient er­folgt die Erläuterung individueller Besonderheiten des Einzelfalls; hier hat der Patient, nun bereits in Kenntnis der Grundproblematik, die Möglich­keit, spezifische Fragen zu stellen. Die Stufenaufklärung erleichtert dem Arzt die Beweissicherung, da er, was den gedruckt vorliegenden Teil der Aufklärung anbelangt, keine Zusammenfassung in den Krankenunterlagen abzufassen braucht.

Häufig enthalten die Aufklärungsformulare eine vom Patienten zu unterzeichnende Aufklärungs- und Einwilligungsbestätigung. Darin erklärt der Patient, den Inhalt des Formulars zu Kenntnis genommen, mit dem Arzt

1.1 Z.B. allgemeiner Hinweis auf die Möglichkeit von Nerven- u. Organverletzungen bei chirurgischen Eingriffen (vgl. GIESEN, medizinische Behandlung 177).

1.2 Hier sind eventuell die Grundsätze über die AGB (vgl. dazu etwa OR-BUCHER, Art. 1 N 47 ff.; GAUCH/SCHLUEP N 1128 ff.) entsprechend anwendbar; dazu generell die Arbeit von PFOST (oben vor Kap. 2).

1" Die im Handel erhältlichen Dokumentationsbogen folgen diesem Aufbaumuster (Ein Bsp. eines solchen Formulares in: PFOST 33 ff. Gelungene Bsp. stellen die zu Kap. 3 abge­druckten Formulare des Inselspitals Bern dar.

1,4 Als synonymer Begriff wird der Ausdruck «Zweistufenaufklärung» verwendet.

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Einzelfragen

zudem ein Aufklärungsgespräch geführt und keine weiteren Fragen mehr zu haben. Anschliessend folgt häufig eine «Einwilligungserklärung» in ei­nen genau genannten Eingriff. Diese schriftlich festgehaltene Einwilligung schützt den Arzt sicher vor der unzutreffenden Behauptung des Patienten, er habe dem Eingriff nicht zugestimmt. Hingegen ändert sie nichts an der Verteilung der Beweislast, wonach die nach Inhalt, Umfang und Ausmass richtige Aufklärung, ohne die die Einwilligung nicht wirksam ist, vom Arzt bewiesen werden muss.

Der Wert der Aufklärungsformulare ist mithin insgesamt in einer tech­nischen Erleichterung der Aufklärungsdokumentation135, der Verwendung des Vordrucks als Gedächtnisstütze sowie der Vorbereitung des Patienten auf das Aufklärungsgespräch zu sehen.

Nebst den oben genannten Bestandteilen hat das Formular die Bestä­tigung zu enthalten, dass dessen Inhalt vom Arzt erläutert wurde, die Auf­forderung an den Patienten, bei den geringsten Unklarheiten Fragen zu stel­len, sowie den ausdrücklichen Hinweis, dass das Formular bloss ein Teil der Aufkärung sei und dass alle nicht im Formular enthaltenen Informatio­nen im persönlichen Aufklärunsgespräch vermittelt würden.

Enthält das Formular eine Aufklärungsbestätigung und Eingriffsein­willigung, so ist darauf zu achten, dass die entsprechenden Rubriken erst nach dem mündlichen Aufklärungsgespräch signiert werden.

Die Stufenaufklärung ist u.a. wegen der Verwendung von Aufklä­rungsformularen in der Literatur umstritten136. Eine nicht genannte Gefahr der Auflärungsformulare besteht darin, dass durch den vermehrten Gebrauch von immer detaillierteren Aufklärungsformularen der Standard der genü­genden Aufklärung tendenziell immer höher geschraubt wird. Zudem ist es möglich, dass beim vermehrten Gebrauch von Formularen auch die Anfor­derungen an das Erbringen des Beweises der genügenden Aufklärung stei­gen.

Betreffend der im Formular festgehaltenen Aufklärungsinformation entfällt das Erstellen einer Zusammenfassung. Als Argumente für die Stufenaufklärung werden genannt die Beweiserleichterung, die Vorbereitung des Patienten auf das Auflärungsgespräch, die Tatsache, dass mit Formula­ren aufgeklärte Patienten über einen besseren Wissensstand verfügen, dass die Bedeu­tung des Eingriffs u. auch die Möglichkeit eines Risikoeintritts besser bzw. eindringli­cher vermittelt werden; als Nachteile genannt werden die psychische Belastung des Pati­enten, der Verlust an Vertrauen u. die Bürokratisierung der Arzt-Patientenbeziehung.

Wiegand 155

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Die Aufklärungspflicht

d) Zeitpunkt und sonstige Modalitäten

Da die Aufklärung Gültigkeitsvoraussetzung der Einwilligung ist, hat sie vor dem Eingriff zu erfolgen. Die Rsp. in der Schweiz hat sich jedoch noch nie zum «richtigen» Zeitpunkt geäussert. Die Schweizer Autoren, die sich mit der Frage detaillierter befassen, folgen der deutschen Praxis137. Danach soll bei schwerwiegenden Eingriffen die Aufklärung drei Tage vor der Operation erfolgen, in leichten Fällen mindestens einen Tag vor dem Eingriff. Für die Schweiz kann der Aufklärungszeitpunkt wie folgt umris­sen werden: Die Aufklärung kann erst erfolgen, wenn der Arzt über die dafür erforderlichen Aufschlüsse138 verfügt. Auf der anderen Seite hat die Aufklärung so früh stattzufinden, dass dem Patienten eine der Bedeutung des Eingriffs angemessene Überlegungsfrist verbleibt, welche u.U. auch noch eine Besprechung mit Angehörigen zu ermöglichen hat. Auf jeden Fall zu spät ist eine erst auf dem Weg in den Operationssaal durchgeführte Aufklärung. Für harmlose Routineeingriffe hat sie spätestens am Vorabend der Behandlung zu erfolgen, für schwerwiegende Eingriffe soll die Aufklä­rung mindestens drei Tage vor der Operation stattfinden. Die Bestimmung des konkreten Zeitpunktes hängt jedoch nicht nur von der Tragweite, son­dern auch von der Dringlichkeit des Eingriffes ab. In Notfällen wird sich die Überlegungsfrist zwischen Aufklärung und Eingriff naturgemäss ver­kürzen. Bei akuten Notfällen müssen Minuten oder gar bloss Sekunden genügen139. Allerdings ist es auch bei vitaler Indikation erforderlich, in der gebotenen Kürze dem Patienten «alle für den Entschluss erheblichen Fak­ten»140 zu vermitteln.

Weil der Arzt mit der Aufklärung sicherzustellen hat, dass der Pati­ent in Kenntnis der Bedeutung des Eingriffs irrtumsfrei in denselben ein­willigt, hat er bei der Wahl der Ausdrucksweise auf die psychischen und intellektuellen Eigenheiten und die konkrete Situation des Patienten Rück­sicht zu nehmen. Verwendet er Fremdwörter, hat er nötigenfalls deren Be­deutung zu erläutern. Bei der Aufklärung von Patienten mit mangelnden Sprachkenntnissen hat der Arzt besondere Sorgfalt anzuwenden. Beim

Vgl. etwa EISNER 160, mit wNw, welcher allerdings die weite Vorverlegung des Aufklärungszeitpunktes als unvereinbar mit den Bedürfnissen der klinischen Praxis bezeichnet. Hingegen stellt auch er fest, dass eine nur kurze Zeit vor der Behandlung erfolgte Aufklärung nur für «harmlose Routineeingriffe» rechtsgenügend ist. D.h. nach Anamnese, Statuserhebung und Diagnose. So LAUFS/UHLENBRUCK § 68 N 7. GIESEN, medizinische Behandlung 145.

156 Wiegand

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Sonderfälle der Aufklärung

fremdsprachigen Patienten hat er sicherzustellen, dass allfällige Verständ­nisschwierigkeiten in wichtigen Fragen durch den Beizug eines Sprach­kundigen überwunden werden141. Bei der Aushändigung von Aufklärungs­formularen ist zu beachten, dass auch Patienten mit guten mündlichen Sprachkentnissen die schriftlichen Grundinformationen in einer ihnen frem­den Sprache oftmals nicht verstehen. Eine Stufenaufklärung muss mit fremd­sprachigen Formularen durchgeführt werden.

6. Sonderfälle der Aufklärung

a) Beschränkt oder vollkommen Handlungsunfähige

Da die Aufklärung gegenüber dem Einwilligenden zu erfolgen hat, bestimmt sich die Person des Aufzuklärenden nach derjenigen des Einwil-ligungsentscheidungsträgers. Es ist deshalb vorgängig zu untersuchen, wer bei beschränkter oder voller Handlungsunfähigkeit des Patienten über die Vornahme des Eingriffs entscheidet142.

aa) Der beschränkt Handlungsunfähige

Ist der Patient in casu et concreto urteilsfähig1^, ändert die infolge Unmündigkeit oder Entmündigung vorliegende beschränkte Handlungsun­fähigkeit nichts an dessen Recht, die Persönlichkeitsrechte selbst auszu­üben144. Der beschränkt Handlungsunfähige hat somit allein das Recht, über Eingriffe in seine Persönlichkeitsrechte zu entscheiden. Sofern er in der Lage ist, sich über den Eingriff zu äussern, entfällt die Vertretungsbefugnis

141 Ausführlich zur Aufklärung des fremdsprachigen Patienten: KERN/LAUFS 23. 142 Der urteilsfähige mündige u. damit handlungsfähige Patient kann durch sein Verhalten

im umfassendsten Sinne «rechtswirksame Veränderungen» (BK-BUCHER vor ZGB 12 -19 N 1) herbeiführen. Er entscheidet somit allein über den Abschluss des Auftrages so­wie insb. über die Erteilung einer Eingriffseinwilligung. Deshalb ist auch er allein aufzu­klären.

143 Zur Bestimmung der Urteilsfähigkeit bzw. Urteilsunfähigkeit s. unten II 6 a cc. 144 Gem. ZGB 28 u. 19 II. Der urteilsfähige Unmündige oder Entmündigte besitzt in einem

«Bereich, der besondere Beziehungsnähe zur Persönlichkeit des Einzelnen aufweist» (BK-BUCHER ZGB 19 N 189). volle Handlungsfähigkeit.

Wiegand 157

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Die Aufklärungspflicht

der gesetzlichen Vertreter145. «Die Ausübung höchstpersönlicher Rechte i.S. von ZGB 19 II steht dem urteilsfähigen Minderjährigen selbständig und unter Ausschluss der Vertretungsbefugnis des gesetzlichen Vertreters zu.»146

In diesem Bereich wirkt eine Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter nicht rechtfertigend, da allein der Träger der Persönlichkeitsrechte bei ge­gebener Urteilsfähigkeit über allfällige Eingriffe in dieselben entscheiden kann. Der urteilsfähige unmündige oder entmündigte Patient ist somit gleich zu behandeln wie ein voll Handlungsfähiger. Mithin ist er aufzuklären, nicht etwa sein gesetzlicher Vertreter147.

Was den Abschluss des Arztvertrages anbelangt, ist gem. ZGB 19 I die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters148 erforderlich.

Falls sich der gesetzliche Vertreter weigert, die zum Abschluss des Vertrages erforderliche Zustimmung zu erteilen, ist allenfalls zu prüfen, ob dies nicht gegen das Kindeswohl bzw. die Interessen des Entmündigten

145 Der urteilsfähige Minderjährige übt höchstpersönliche Rechte i.S.v. ZGB 19II selbständig u. unter Ausschluss der Vertretungsbefugnis des gesetzlichen Vertreters aus (BK-BUCHER ZGB 16 N 104). Vgl. dazu auch ARZT, Die zivilrechtliche und strafrechtliche Verant­wortlichkeit des Mündels, ZVW 43, 16 ff. Die umstrittene Frage (vgl. BK-BUCHER ZGB 19 N 207 f.), ob die Geschäftsfähigkeit im höchstpersönlichen Bereich zwangsläufig diesbez. jede gesetzliche Vertretungsbefugnis derogiere, kann hier offen bleiben, da dies zumindest im Fall eines ausdrücklich geäusserten (gegenteiligen) Willens des Urteilsfähigen zutrifft. Womit es dabei bleibt, dass der Urteilsfähige allein über den Eingriff zu entscheiden befugt ist. Die Behandlung eines Urteilsfähigen ist somit auch gegen den explizit erklärten Willen der Eltern bzw. des Vormundes zulässig, sofern nur der Patient selbst die Einwilligung erteilt hat (so auch BK-BUCHER ZGB 19 N 220). So ist z.B. für das Verschreiben von Schwanger­schaftsverhütungmitteln allein der Wille der urteilsfähigen Minderjährigen relevant. Die Einwilligung der Eltern ist nicht erforderlich; diese dürfen vom Arzt überdies nicht infor­miert werden (s. dazu FN 147).

146 BK-BUCHER ZGB 16 N 104. 147 Die Aufklärung auch der gesetzlichen Venreter würde eine strafrechtlich relevante Ver­

letzung der ärztlichen Schweigepflicht darstellen, sofern sie ohne Einwilligung des Pati­enten erfolgt.

148 Nicht erforderlich ist die explizite Abgabe einer Zustimmung, wenn eine Ermächtigung zu einem Bereich von Geschäften gegeben wurde, wobei der Kreis der möglichen Ge­schäfte überblickbar u. die Auswirkungen ermessbar sein müssen (BK-BUCHER ZGB 19 N 97). So mag die Erlaubnis zu selbständiger Haushaltführung eine Ermächtigung zum Abschluss von in den Folgen u. Kosten nicht allzu umfangreicher Arztverträge sein. Weiter kann sich die Ermächtigung ex lege kraft Erwerb aus dem freien Kindesvermögen i.S. von ZGB 323 ergeben. Bezahlt das Kind z.B. mit seinem Arbeitserwerb die Kranken­kassenprämien, so ist eine explizite Zustimmung der Eltern wohl auch zu kostenintensi­ven Behandlungen nicht erforderlich. Dies gilt freilich nur für den Fall, dass die Tragung des Selbstbehaltes mit dem Arbeitserwerb möglich ist.

158 Wiegand

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Sonderfälle der Aufklärung

Verstösse und die Vormundschaftsbehörde Kindesschutzmassnahmen149 zu ergreifen bzw. gem. ZGB 4201 anstelle des Vormundes zu entscheiden hat.

bb) Der voll Handlungsunfähige

Beim voll handlungsunfähigen Patienten ist die Zurechenbarkeit von rechtserheblichen Verhaltensweisen grundsätzlich ausgeschlossen, da er urteilsunfähig ist. Er kann deshalb nicht über die Erteilung einer Eingriffs­einwilligung befinden.

Urteilsunfähigkeit liegt vor, wenn die «Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln»150, nicht vorhanden ist. Voraussetzung der Urteilsfähigkeit ist deshalb nach übereinstimmender Lehre und Rsp. das kumulative Vorhan­densein von Erkenntnisfähigkeit, Wertungsfähigkeit, Willensbildungsfähig­keit und Steuerungsfähigkeit151. Diese Elemente müssen - da die Urteilsfä­higkeit eine relative ist - in Bezug auf denjenigen Bereich gegeben sein, um den es in concreto geht152. Es ist mithin in der Praxis zu prüfen, ob der individuelle Patient die erforderliche Einsichtsfähigkeit bezüglich Bedeu­tung und Tragweite des konkreten Eingriffs hatte153.

Bei Minderjährigen ist die Urteilsfähigkeit gegeben, wenn sie nach ihrer geistigen und sittlichen Reife Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und ihrer Einwilligung abzuwägen vermögen154. Die Reife ist dabei von Fall zu Fall zu überprüfen. Immerhin kann im Sinne einer generalisieren­den Richtlinie155 festgehalten werden, dass bei Kindern unter 12 Jahren Urteilsfähigkeit bezüglich der Einwilligung in Heileingriffe bloss in selte­nen Ausnahmefällen angenommen werden darf. Bei Kindern zwischen 12 und 16 Jahren ist aufgrund der gesamten Umstände die Urteilsfähigkeit zu eruieren156. Bei Jugendlichen ab 16 Jahren kann die für die Einwilligung in

149 ZGB 307 ff. 150 ZGB 16. 151 Statt aller PEDRAZZINI/OBERHOLZER 70. 152 GROSSEN SPR II 319. 153 Z.B. GIESEN, medizinische Behandlung 128 mit wNw. 154 LAUFS, Arztrecht N 222. 155 BK-BUCHERZGB 16N68. 156 Einer solchen Schematisierung eignet stets gewisse Willkür an. weshalb die hier genann­

ten Grenzen nicht absolut gelten können. So werden denn auch in der Lehre andere Al­tersstufen genannt. EISNER 187 vermutet Urteilsunfähigkeit bloss bis zum 10. Altersjahr. Urteilsfähigkeit nimmt er ab dem 15. Altersjahr an (Vgl. dazu auch NÄGELI 105).

Wiegand 159

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Die Aufklärungspflicht

eine nicht aussergewöhnlich weitreichende Operation erforderliche Urteils­fähigkeit im Normalfall grundsätzlich angenommen werden157. Ab dem 18. Altersjahr wird die der üblichen Reife entsprechende Urteilsfähigkeit auch für den Entscheid über schwerste Eingriffe ausreichen. Dies muss insb. auch im Hinblick auf die vorgesehene Herabsetzung des Mündigkeitsalters auf 18 Jahre gelten158. Urteilsunfähigkeit kann ferner gegeben sein infolge Gei­steskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlichen Zuständen159. Dabei ist zu beachten, dass diese Schwächen nicht zwangsläufig Urteilsun­fähigkeit bedeuten160. Dies gilt auch für den Fall der Entmündigung, z.B. wegen Geisteskrankheit161, welche auch nicht die Vermutung der Urteilsun­fähigkeit begründet.

Die Urteilsfähigkeit wird prinzipiell vermutet162. Allerdings gilt dies nur, solange nicht die Lebenserfahrung im Einzelfall zur umgekehrten Ver­mutung führt, z.B. bei Kleinkindern und bestimmten Geisteskrankheiten163.

Generell ist des weiteren zu berücksichtigen, dass aus der Vernünf­tigkeit eines Entscheids über einen Eingriff nicht auf die Urteilsfähigkeit geschlossen werden darf, wie auch umgekehrt die Unsinnigkeit der Ertei­lung oder Nichterteilung einer Einwilligung nicht zur Annahme der Ur­teilsunfähigkeit führt. Anders entscheiden hiesse die Urteilsfähigkeit als subjektives Element, das die Befähigung zur selbstverantwortlichen Vor­nahme eines Rechtsgeschäfts bezeichnet, verkennen. Die Urteilsfähigkeit darf nicht zur Inhaltskontrolle des Rechtsgeschäfts herangezogen werden164.

Ergibt sich im konkreten Fall, dass die Voraussetzungen der Urteils­fähigkeit nicht gegeben sind, der Patient somit urteilsunfähig ist, so liegt der Entscheid über die Erteilung der Einwilligung beim gesetzlichen Ver-

157 Vgl. E. BUCHER, Arzt und Recht 43. 158 Da auch die Mündigerklärung gem. ZGB 15 I nach Vollendung des 18. Lebensjahres

sowie die Ehemündigkeitserklärung gem. ZGB 96 II ab dem 18. Lebensjahr (bzw. dem 17. Lebensjahr für die Frau) vom Gesetz ermöglicht wird, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die an die umfassende Urteilsfähigkeit zu stellenden Anforderungen in der Regel ab dem 18. Lebensjahr als gegeben erachtete. Instruktiv dazu der Vergleich mit dem US-amerikanischen Rechtskreis in EISNER 142.

159 ZGB 16. 160 BK-BUCHERZGB 16N73. 161 So BK-BUCHER ZGB 16 N 76. 162 Statt aller BK-BUCHER ZGB 16 N 125. Die Vermutung der Urteilsfähigkeit führt dazu,

dass im Prozess denjenigen die Beweislast trifft, der Urteilsunfähigkeit behauptet. 163 So BK-BUCHER ZGB 16 N 127. 164 Dazu treffend u. ausführlich BK-BUCHER ZGB 16 N 83.

160 Wiegand

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Sonderfälle der Aufklärung

treter des Urteilsunfähigen165. Es sind das beim Unmündigen die Eltern166, beim Entmündigten der Vormund. Diese sind mithin auch die Adressaten der Aufklärung167.

Bei der Ausübung der Vertretung gilt es dabei zu unterscheiden zwi­schen dem habituell Urteilsunfähigen und dem bloss vorübergehend Ur­teilsunfähigen.

cc) Der habituell Urteilsunfähige

Da der habituell Urteilsunfähige über keinen Willen von «rechtsge­staltender Kraft»168 verfügt, tritt an dessen Stelle der Wille des gesetzlichen Vertreters. Dabei muss der gesetzliche Vertreter «ausschliesslich aufgrund der Interessen des Patienten, d.h. rein objektiv entscheiden und den Wün­schen Rechnung tragen, welche dieser allenfalls geäussert hatte, bevor er urteilsunfähig wurde.»169 War der konkrete habituell urteilsunfähige Pati­ent nie urteilsfähig gewesen (z.B. ein Kleinkind), haben die Eltern - man-

ARZT, Die zivilrechtliche und strafrechtliche Verantwortlichkeit des Mündels. ZVW 43. 16 ff.; E. BUCHER, Arzt und Recht 43 f. Gesetzliche Vertreter der unmündigen Kinder sind die Eltern gem. ZGB 296 I i.V.m. ZGB 304; gesetzlicher Vertreter des Bevormundeten ist der Vormund gem. ZGB 367 I. Da die in Frage stehenden höchstpersönlichen Rechte gem. ZGB 28 nicht absolut, sondern bloss relativ höchspersönliche Rechte sind, ist für den Fall der Urteilsunfähigkeit die Ausübung dieser Rechte durch den gesetzlichen Vertreter zulässig (so BK-BUCHER ZGB 19 N 206; GROSSEN SPR II329; EISNER 188; BGE 114 Ia 362 E. 7 b bb = Pra 1989, 266 E. 7 b bb). Für Eingriffe mit besonders schwer­wiegenden Konsequenzen a.M. A. BUCHER N 178, 520; diese Unterscheidung geht fehl, was an folgendem Bsp. ersichtlich wird: Müssten einem urteilsunfähigen Kleinkind infolge einer Krebserkrankung zur Lebenserhaltung beide Beine amputiert werden, würde es sich zweifellos um einen Eingriff mit besonders schwerwiegenden Konsequenzen handein. was dazu führen würde, dass - infolge Vetretungsfeindlichkeit - niemand die Einwilligung zum Eingriff erteilen könnte. Während der Ehe üben die Eltern die elterliche Gewalt gemeinsam aus (ZGB 297) u. entscheiden somit gemeinsam über die Einwilligung. Die Einwilligung eines Elternteils genügt dabei, da gutgläubige Dritte voraussetzen dürfen, dass jeder Elternteil im Einver­nehmen mit dem andern handelt (ZGB 304II). Sind die Eltern nicht verheiratet, steht die Einwilligungsbefugnis ausschliesslich der Mutter zu (ZGB 298 I). Sind sie geschieden, entscheidet derjenige Eltemteil, dem das Kind anvertraut wurde (ZGB 297 II). Die Ver­tretung fällt mit der Ausübung der elterlichen Gewalt zusammen; durch die Erteilung der Eingriffseinwilligung willigen die Eltern gleichzeitig ein in den Eingriff in die elterliche Gewalt als Bestandteil der Persönlichkeitsrechte der Eltern (so BUCHER. Diss. 160). Die Aufklärung des gesetzlichen Vertreters stellt keine Verletzung der Schweigepflicht dar, soweit der Patient urteilsunfähig ist. BUCHER, Diss. 158. BGE 114 Ia 362 E. 7 b bb = Pra 1989. 959 E. 7 b bb.

Wiegand 161

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Die Aufklärungspflicht

gels zu berücksichtigender Wünsche des Kindes - danach zu entscheiden, was dem «Wohl des Kindes»170 am besten entspricht. Dies bestimmt sich daraus, was dem Schutz und der Förderung der körperlichen, geistigen und sittlichen Entfaltung des Kindes optimal dient. Das gleiche gilt für den Vormund, welcher im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht gem. ZGB 367 I die «Sorge für die geistige und körperliche Wohlfahrt des Mündels» wahrzunehmen und dementsprechend über die Eingriffseinwilligung zu ent­scheiden hat.

Ist das Einholen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters aus Zeitgründen nicht möglich, entfällt - mangels Adressaten - auch die Pflicht zur Aufklärung. Als Rechtfertigungsgrund für den Eingriff dient nun die hypothetische Einwilligung171. Ein Teil der Lehre will diese Situation unter die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag subsumieren, was im Er­gebnis zwar zur richtigen Lösung führt, in der Begründung jedoch unzu­treffend ist172. Unabhängig von der dogmatischen Konstruktion hat der Arzt so zu handeln, wie es dem hypothetischen Willen des gesetzlichen Vertre­ters des Patienten entspricht. Der Arzt hat und kann seinen Entscheid nicht nach dem Willen des Patienten richten, da dieser als habituell Urteilsunfä­higer über einen rechtserheblichen Willen nicht verfügt. Der Vertreter al­lein hat deshalb die Befugnis, über die Ausübung der Persönlichkeitsrechte des Urteilsunfähigen nach eigenem Willen zu bestimmen173.

170 ZGB 3011; die Zweck- u. Pflichtgebundenheit der elterlichen Gewalt steht im Vordergrund der fremdnützigen Entscheidungszuständigkeit der Eltern (vgl. dazu TUOR/SCHNYDER 321).

171 Zur dogmatischen Begründung vgl. BUCHER, Diss. 165 f. Der hypothetische Wille ist derjenige Wille, den der konkrete Patient bzw. bei dessen Urteilsunfähigkeit der gesetz­liche Vertreter bei Kenntnis aller wesentlichen Entscheidungsgrundlagen nach Abwä­gung der Vor- u. Nachteile einer Behandlung im konkreten Fall geäussert hätte, wenn er einen Willen hätte bilden bzw. mitteilen können.

172 Die Rechtsfigur der Geschäftsführung ohne Auftrag hat die Funktion, einen (fehlenden) Vertrag zu ersetzen. Sie kann nicht als Rechtfertigungsgrund dienen (ausführlich dazu BUCHER, Diss. 47 f.). Selbstverständlich relevant ist die GoA für die vermögensrechtlichen Folgen der Heilbehandlung. Hier ersetzt sie den fehlenden Vertrag.

173 Gl. M. BUCHER, Diss. 168. Dies trifft nur für den habituell Urteilsunfähigen zu, da nur bei ihm kein rechtswirksamer Wille vorliegt u. somit eine Substitution durch den Willen des gesetzlichen Vertreters erfolgt. Dabei ist zu beachten, dass der Vertreter seinen Entscheid allein aufgrund der objektiven Interessen des Urteilsunfähigen, d.h. nach dem Kindes­wohl bzw. dem Wohl des Mündels u. allfälligen im Zustand der Urteilsfähigkeit geäusserten Wünschen desselben zu richten hat. Wüsste der Arzt, dass der hypothetische Wille des gesetzlichen Vertreters dem Kindeswohl widerspräche, so dürfte er nicht auf diesen ab­stellen. Dies folgt aus der Begrenzung der gesetzlichen Vertretungsmacht in ZGB 304II: «Die Eltern haben ... die Vertretung ... im Umfang der ihnen zustehenden elterlichen Gewalt».

162 Wiegand

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Sonderfälle der Aufklärung

dd) Der kasuell Urteilsunfähige

Wird ein Patient in (z.B. infolge Bewusstlosigkeit) urteilsunfähigem Zustand in eine Klinik eingeliefert, gelangen - was die vermögensrechtli­che Seite der Behandlung angeht - die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag zur Anwendung174. Bezüglich der Einwilligung ist nach dem hypothetischen Willen des Patienten über die Vornahme eines Eingriffs zu entscheiden. Sofern die Zeit zur Anhörung Angehöriger oder dem Patien­ten nahe verbundener Personen ausreicht, sind diese über die Präferenzen des Patienten zu befragen. Dabei ist zu beachten, dass die Angehörigen nicht etwa Einwilligungsträger sind, sondern nur «Auskunftspersonen zur Erhellung des mutmasslichen Willens des Patienten»175.

Der kasuell urteilsunfähige Unmündige oder Entmündigte verfügt über einen (hypothetischen) rechtserheblichen Willen bezüglich der Aus­übung der höchstpersönlichen Rechte gem. ZGB 19 II176. Auf diesen hypo­thetischen Willen ist abzustellen. Es findet keine Substitution durch den Willen des gesetzlichen Vertreters statt; dieser hat vielmehr den Kindeswil­len durchzusetzen, mag er ihn billigen oder nicht177. Der gesetzliche Vertre­ter hat somit den Entscheid über die Einwilliung allein nach dem hypothe­tischen Willen des kasuell urteilsunfähigen Patienten zu fällen, auch wenn dieser Wille objektiv unvernünftig ist. Ein solcher Wille könnte sich z.B. aus einer rechtswirksamen Patientenverfügung des Kindes ergeben. Der Grund für diese Lösung liegt darin, dass der bewusstlose, nicht habituell

174 Selbstverständlich nur unter dem Vorbehalt, dass nicht ein öffentlich-rechtliches Behandlungsverhältnis vorliegt, was gerade bei der Behandlung von Notfallpatienten an öffentlichen u. teilweise auch privaten Spitälern regelmässig der Fall sein wird. Zur Be­handlung des Urteilsunfähigen als ein Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag s. neuerdings J. SCHMID N 349 ff. mit ausführlicher Erörterung des «Patiententestaments».

175 GIESEN, medizinische Behandlung 130. 176 BK-BUCHER ZGB 19 N 204. 177 Zum gleichen Ergebnis führt die in der Schweiz mehrheitlich befürwortete Anwendung

der Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) auf die Behandlung des Einwilligungsunfähigen. Ist der gesetzliche Vertreter nicht erreichbar, so hat der Arzt als gestor nach dem Interesse u. der mutmasslichen Absicht des Patienten als dominus, u. nicht etwa nach demjenigen des gesetzlichen Vertreters zu handeln. Kann der Vertreter vor der Behandlung befragt werden, so ist in der Regel anzunehmen, dass der Vertreter mit dem Arzt einen Behandlungsauftrag abschliesst. Bei der Ausübung der Vertretungs­befugnis hat der Vertreter dabei insb. im höchstpersönlichen Bereich den Willen des Vertretenen zu beachten. Die Erteilung einer Einwilligung durch den Vertreter gegen den bekannten hypothetischen Willen des Vertretenen wäre von der gesetzlichen Vertretungs­macht nicht mehr gedeckt.

Wiegand 163

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Die Aufklärungspflicht

urteilsunfähige Patient einen hypothetischen Willen hat, diesen bloss vor­übergehend nicht äussern kann. Für eine Substitution durch den Willen des Vertreters ist deshalb kein Platz.

Ist die Ermittlung des hypothetischen Willens des Patienten, z.B. durch Befragung von Angehörigen, aus zeitlichen Gründen nicht möglich und sind auch sonst keine Indizien vorhanden, aus welchen auf denselben ge­schlossen werden könnte, darf der Arzt darauf abstellen, was ein vernünfti­ger Rechtsgenosse unter den konkreten Umständen gewollt hätte. Kann auf­grund vom Vorliegen bestimmter Tatsachen, wie z.B. einer Patientenverfü­gung, auf den Willen des Patienten geschlossen werden, ist nach dem dort geäusserten Willen zu verfahren. Ein den Ärzten bekannter, dem Eingriff entgegenstehender Wille des Kranken ist in jedem Fall zu respektieren178.

b) Der Verzicht auf die Aufklärung

Im Falle des Aufklärungsverzichts erteilt der Patient die Eingriffs­einwilligung, ohne über die für diesen Entscheid erforderlichen Informa­tionen zu verfügen, da er die Aufklärung über Art, Umfang und Tragweite des Eingriffs für entbehrlich erklärte"9. Der Aufklärungsverzicht bereitet insofern Probleme, als nach einhelliger Lehre und Rsp. die Aufklärung Gültigkeitsvoraussetzung der Einwilligung ist, die Einwilligung ohne vor­herige Information somit grundsätzlich nicht rechtfertigend wirken könn­te180.

aa) Die Frage nach der Zulässigkeit des Aufklärungsverzichts wird von Rsp. und Lehre, insb. was den Umfang des Verzichts anbelangt, nicht ein­heitlich beantwortet.

178 Für die h.L. z.B. KERN/LAUFS 25. 179 Vgl. zum Begriff des Aufklärungsverzichts KERN/LAUFS 118. Zur Begründung der Mög­

lichkeit eines Aufklärungsverzichts stehen im wesentlichen zwei Varianten im Vorder­grund. Nach der einen Auffassung macht der Patient durch den Aufklärungsverzicht ge­rade in einer bestimmten Art von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch, so z.B. GIESEN, medizinische Behandlung 134; nach einer a.M. verzichtet der Patient nicht auf das Selbstbestimmungsrecht als solches (was sittenwidrig wäre), sondern bloss auf des­sen Ausübung im Einzelfall. Dass der Totalverzicht unzulässig ist (s. unten), ergibt sich u.a. daraus, dass auch im Strafrecht die Einwilligung nur dann rechtfertigend wirkt, wenn sie als Ausdruck des freien Willens des Patienten erscheint, was eine gewisse Informati­on über das Einwilligungsobjekt voraussetzt, ARZT 67. Man kann nicht in etwas einwilli­gen, was man nicht kennt, da juristisch ohne Wissen kein Wille vorstellbar ist.

180 Z.B. BGE 105 II287: «L'information du malade sur les risques d'un traitement determine ... est une condition de validite du consentement au traitement».

164 Wiegand

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Sonderfälle der Aufklärung

Nach einem Teil der Lehre kann auf jede Aufklärung verzichtet wer­den, ohne dass die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung entfällt (To­talverzicht)'81. Andere Autoren halten daran fest, dass die rechtfertigende Einwilligung zumindest eine vorgängige rudimentäre Information über die Situation voraussetzt182. Unzulässig wäre mithin der Verzicht auf die grund­legende Angabe der Erforderlichkeit und der Art des Eingriffs sowie der Möglichkeit eines Risikoeintritts183. Dieser Meinung ist zuzustimmen.

bb) Nach Auffassung des BGer entfällt die Aufklärungspflicht u.a., wenn der Patient «bei der Erteilung der Zustimmung zu der vorgeschlagenen Behandlung ausdrücklich oder durch sein unmissverständliches Verhalten auf einlässlichere Aufklärung verzichtet hat»184. Wie aus dem zitierten Ent­scheid hervorgeht, geht auch das BGer nicht von der Gültigkeit eines Total­verzichts auf Aufklärung aus, sondern erachtet eine minimale Information als unverzichtbar™5. Diese minimale Aufklärung müsste dem Patienten in jedem Fall erteilt werden186. Im übrigen erscheint die praktische Relevanz der Frage, ob Totalverzicht oder bloss Verzicht auf einlässlichere Aufklä­rung zulässig sei eher gering, da kaum jemals ein Patient ohne jede Infor­mation über Notwendigkeit und Art eines Eingriffs seine Einwilligung er­teilen wird; ganz abgesehen davon, dass kaum jemals ein Arzt ohne jegliche Hinweise einen Patienten operieren wird187.

181 So wohl GIESEN, medizinische Behandlung 134. 182 So ARZT 63; EISNER 181; KERN/LAUFS 119; LAUFS, Arztrecht N 207. 183 So KERN/LAUFS 119. 184 BGE 105 II 287 = Pra 1980, 365 E. 6c. 185 Dies folgt aus dem Wortlaut in BGE 105 II288; «Ledevoird'informertombe au surplus

... s'il donne son accord au traitement propose en renoncant expressement ou par une attitude sans equivoque ä recevoir de plus amples informations». Auch der vom BGer zitierte HINDERUNG schränkt die Verzichtsmöglichkeit ein. indem er den Verzicht auf «jede nähere Belehrung» (HINDERUNG 55) für zulässig erachtet. Im zitierten Entscheid hatte der Arzt denn auch den Patienten, bei welchem infolge Krebsverdachtes ein Ein­griff vorgenommen wurde, zwar nicht über die Krebsdiagnose, wohl aber über das Vor­handensein eines Geschwürs rudimentär aufgeklärt.

186 Da ARZT 63 ebenfalls von der Unumgänglichkeit einer Aufklärung in Umrissen ausgeht, dürfte dem Patienten entgegen ARZT' Darstellung - um bei dessen plastischer Wortwahl zu bleiben - die Information «ins Ohr geschrien» werden.

187 Überdies würde sich bei einem Patienten, der sich gegen jedes auch noch so allgemeine Gespräch über Befund u. Eingriff weigert, die Frage der ernstlichen Behandlungswilligkeit stellen, weshalb ohnehin kein Eingriff zulässig wäre.

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Die Aufklärungspflicht

cc) Der Verzicht auf die umfassende Aufklärung kann explizit oder kon­kludent, d.h. durch schlüssiges Verhalten, erfolgen188. Blosses Stillschwei­gen ohne weiter hinzukommende Umstände189 als Verzicht zu deuten, ist unzulässig, weil die Aufklärungspflicht des Arztes nicht erst durch entspre­chendes Begehren des Patienten aktuell wird. Da ein Irrtum über den Ver­zicht zu Lasten des Arztes geht, ist ihm dringend zu empfehlen, nicht auf einen bloss konkludenten Verzicht abzustellen, sondern vom Patienten eine unmissverständliche und explizite Äusserung zu verlangen190.

Da der Arzt im Prozess den Aufklärungsverzicht zu beweisen hat191, ist ihm anzuraten, einen expliziten Verzicht einzuholen und diese Äusse­rung zumindest im Krankenblatt zu dokumentieren192, obwohl der Verzicht an sich keiner bestimmten Form bedarf. Der Arzt hat sich dabei dessen bewusst zu sein, dass eine Einwilligung ohne umfassende Aufklärung in­folge Verzichts nur dann rechtfertigend wirken wird, wenn dieser Verzicht ohne Beeinflussung seitens des Arztes und wirklich freiwillig erfolgte.

dd) Ein im voraus vereinbarter Verzicht auf umfassende Aufklärung193

würde gegen ZGB 27 II Verstössen und wäre somit, da sittenwidrig, nicht bindend194. Unzulässig ist dabei nicht - wie oben dargestellt - der Verzicht als solcher, sondern es liegt eine Sittenwidrigkeit in der vertraglichen Bin­dung195 bezüglich der Art der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts vor. Der Verzicht auf die Aufklärung ist jederzeit - auch zur Unzeit, bspw. un­mittelbar vor dem Eingriff - widerrufbar mit der Folge, dass eine ordentli­che Aufklärung196 und eine neue Einwilligung erforderlich wird.

188 SoBGE 105 II288; statt vieler EISNER 181. Eine Mindermeinung erachtet bloss expliziten Verzicht als zulässig, so z.B. GUILLOD, Diss. 176; diese Auffassung vermischt die Gültigkeitsfrage mit dem Problem der Beweisbarkeit.

189 Vgl. KERN/LAUFS 120. 190 So setzt LAUFS, Arztrecht N 207, für die Gültigkeit des Verzichts eine eindeutige u. ernst­

hafte Erklärung voraus. 191 Statt aller KERN/LAUFS 119, welche hervorheben, dass dieser Beweis, je umfassender der

Verzicht sei, desto höheren Ansprüchen zu genügen habe. 192 So auch SCHWAB/KRAMER/KRIEGELSTEIN 33. Die Unterzeichnung einer im Einzelfall aus­

formulierten (u. nicht einer vorformulierten) Verzichtserklärung durch den Patienten, verbunden mit näheren Angaben zu den Umständen u. Gründen des Verzichts im Kran­kenblatt stellt eine optimale Beweissicherung dar.

193 Ein drastisches, «nur halb im Scherz» gemeintes Lehrbuchbsp. bei ARZT 62, wo der Ver­zicht auf die Aufklärung durch Kundgabe auf einem entsprechenden Schild im Warte­zimmer zum Vertragsinhalt stipuliert werden sollte.

194 Dies gilt selbstverständlich auch für den formularmässigen Verzicht auf die Aufklärung, vgl. NARR N 882.

195 Vgl. dazu einlässlich BUCHER OR AT 259 f. 196 S. oben II 2.

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Die Einwilligung

/// . Die Einwilligung

1. Die Wirkung und Erteilung der Einwilligung

a) Die Wirkung der Einwilligung

Nach traditioneller und richtiger Auffassung197 gilt der ärztliche Ein­griff als Eingriff in das Recht auf körperliche Integrität und das Selbstbe­stimmungsrecht des Patienten, die ihrerseits Konkretisierungen des Persön­lichkeitsrechts darstellen198.

Wie bei allen absoluten Rechten wird auch beim Persönlichkeits­recht vermutet, dass der Berechtigte eine Einwirkung auf das Objekt seines Rechts, d.h. auf seine Persönlichkeit und auf seinen Körper, nicht wolle199. ZGB 28 stellt denn auch fest, dass eine Verletzung des Persönlichkeits­rechts widerrechtlich ist, sofern sie nicht durch eine Einwilligung gerecht­fertigt ist200.

Die Einwilligung201 hat somit im Zivilrecht die Bedeutung einer Er­laubnis zum Eingriff. Erst die Einwilligung bewirkt die Rechtmässigkeit

197 Ständige Rsp. des BGer (z.B. BGE 117 Ib 197 ff.; BGE 113 Ib 420). Vgl. auch MAINARDI-SPEZIALI 81.

198 Vgl. oben I 2. 199 Vgl. BUCHER, Diss. 101; A. BUCHER N 506. 100 Im Zivilrecht ist die Einwilligung «der König der Rechtfertigungsgründe» (E. BUCHER.

Arzt und Recht 42). Weitere hier nicht interessierende Rechtfertigungsgründe sind das überwiegende öffentliche oder private Interesse sowie die Einräumung einer Eingriffs­befugnis durch Gesetzesnorm.

01 Die Rechtsnatur der Einwilligung ist umstritten. Ein Teil der Lehre betrachtet die Ertei­lung der Einwilligung als Willenserklärung, nach der anderen Auffassung handelt es sich dabei um rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (vgl. MAINARDI-SPEZIALI 82 mit weiteren Hinweisen). Nach richtiger Auffassung kann es sich bei der Einwilligung nicht um eine Willenserklärung i.S. eines einseitigen Rechtsgeschäfts handeln, allerdings nicht weil die Einwilligung jederzeit widerrufen werden kann (so E. BLCHER, Arzt und Recht 43; die Widerrufbarkeit schliesst das Vorliegen einer Willenserklärung nicht aus). Vielmehr fehlt der Einwilligung das jeder Willenserklärung typische finale Element, nämlich der Wille, dass eine bestimmte Rechtsfolge eintreten soll, umgekehrt dass die Rechtsfolge nur wegen des Willens eintritt (Vgl. grundlegend FLUME 23 ff.; VON TUHR/PETER 174 f.). Die Einwilligung in z.B. eine Körperverletzung ist vielmehr eine auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Erklärung, deren Rechtsfolge von Gesetzes wegen infolge Vorliegens einer bestimmten Tatsache eintritt. Somit ist die Einwilligung eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung (so auch PALANDT/HEINRICHS. Überbl v § 104 N 2c). Auf die rechtsgeschäfts-

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Die Aufklärungspflicht

der ärztlichen Behandlung202, während umgekehrt beim Fehlen der Einwil­ligung203 aufgrund der gesetzlichen Vermutung von ZGB 28 der Eingriff rechtswidrig ist204.

Die ärztliche Heilbehandlung ohne Einwilligung stellt zudem eine Verletzung des zwischen Arzt und Patienten bestehenden Vertrages dar205.

Schliesslich erfüllt nach traditioneller Lehre und der Praxis des BGer jeder Eingriff - unabhängig von der Art der Vornahme (ob kunstgerecht oder gegen die Regeln der ärztlichen Kunst) und des Erfolgs206 - die Tatbe­standsmerkmale der Körperverletzung gem. StGB 123207. Die Tatbestands­mässigkeit der Handlung hat rechtswidrigkeitsindizierende Wirkung208. Die Rechtswidrigkeit entfällt nur bei Vorliegen eines sie ausschliessenden Recht­

ähnlichen Handlungen finden die Vorschriften zu den Willenserklärungen entsprechend Anwendung, weshalb die unterschiedliche Einordnung in der Regel nicht zu divergie­renden Ergebnissen führt. So wird für die Einwilligung die Urteilsfähigkeit vorausge­setzt. Relevant ist die Rechtsnatur bei der Anfechtung. Diese ist bei der Einwilligung als rechtsgeschäftsähnlicher Handlung ausgeschlossen. «Schwerwiegende Willensmängel können aber dazu führen, dass die Handlung nicht mehr als Ausfluss einer sachgerechten Willensbildung anerkannt werden kann» (PALANDT/HEINRICHS, a.a.O. N 2c).

202 Dies gilt nicht nur für invasive, sondern auch für medikamentöse Massnahmen. 203 Sei es nun eine explizite oder konkludente oder gar bloss eine hypothetische Einwilli­

gung. 204 Zu den Folgen der rechtwidrigen Persönlichkeitsrechtsverletzung s. unten IV. An der

Rechtswidrigkeit vermöchte eine erst nach dem Eingriff erfolgte Einwilligung nichts zu ändern.

205 Das Deliktsrecht u. das Persönlichkeitsrecht schützen jeden Menschen vor unerlaubten Eingriffen Dritter; das zentrale Element in der Beziehung zwischen Arzt u. Patient bildet jedoch das dem Auftragsrecht zugeordnete Behandlungsverhältnis (dazu WIEGAND S AeZ 1991, 618). Zur getreuen u. sorgfältigen Geschäftsführung gehört dabei nicht nur (nebst vielen anderen Pflichten) die Aufklärungspflicht, sondern auch die Pflicht, vor der Vor­nahme des Eingriffs die Einwilligung einzuholen (so ausdrücklich auch A. BUCHER N 516). Da die Achtung der Persönlichkeitsrechte des Patienten im privaten Behandlungs­verhältnis auch eine Vertragspflicht ist, sind an den Arzt höhere Anforderungen zu stel­len als an einen Dritten, der 'bloss' aufgrund des Gesetzes zur Achtung der Persönlich­keitsrechte verpflichtet ist. Zu beachten ist, dass die Mandatserteilung nicht gleichzeitig auch die Erteilung der Ein­willigung bedeutet (dazu ausführlich MAINARDI-SPEZIALI 84)

206 So MAINARDI-SPEZIALI 80 FN 105; BGE 99 IV 208 ff. 207 BGE 99 IV 208 ff.: «Jede ärztliche Behandlung, welche die körperliche Integrität oder

die Gesundheit verletzt, erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung.» Zur dogmatischen Begründung vgl. z.B. ARZT 52 f. Mit der Feststellung der Tatbestandsmässigkeit ist -entgegen der laienhaften Vorstellung - noch keineswegs etwas über die Strafbarkeit ge­sagt, welche das kumulative Vorliegen von Tatbestandsmässigkeit, Rechtswidrigkeit u. Schuld voraussetzt.

208 Statt vieler REHBERG I 123.

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Die Einwilligung

fertigungsgrundes. Bei der ärztlichen Behandlung steht derjenige der Ein­willigung im Vordergrund209.

Sowohl im Zivilrecht wie auch im Strafrecht kann festgehalten wer­den: Erst die auf «einer rechtlich angemessenen Aufklärung basierende Ein­willigung des Patienten» begründet die Rechtmässigkeit210 und damit Zu-lässigkeit des ärztlichen Eingriffs2".

Dies gilt auch im öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnis; al­lerdings werden hier die Persönlichkeitsrechte des Patienten nicht durch den privatrechtlichen Schutz der Persönlichkeit gem. ZGB 28, sondern (ne­ben dem strafrechtlichen Schutz) durch das ungeschriebene Grundrecht der Persönlichen Freiheit212 geschützt.

b) Die Erteilung der Einwilligung

Einwilligungsberechtigt ist im Normalfall der Patient211. Die Einwilligung bedarf keiner Form, sie kann mithin mündlich oder

schriftlich erteilt werden214. Die Einwilligung kann nicht nur explizit, son­dern auch konkludent215 erfolgen. So wird der Patient hinsichtlich allge­meiner Untersuchungen, welche die Persönlichkeitssphäre bloss formell berühren, durch seinen Wunsch nach Rat und Auskunft schlüssig einwilli-

209 Als weitere Rechtfertigungsgründe im Arztrecht fallen in Betracht: der Notstand u. die Erlaubnis nach öffentlichem Medizinalrecht.

210 D.h. rechtmässig im Sinne des Deliktsrechts (OR 41 ff.), des Persönlichkeitsrechts (ZGB 28), des Vertragsrechts u. auch des Strafrechts.

211 So auch treffend MAINARDI-SPEZIALI 81: «Grundlage jeder ärztlichen Behandlungeines ... Patienten ist dessen Wille, überhaupt u. in bestimmter Weise behandelt zu werden.» Dies gilt auch für die Vornahme eines AIDS-Tests. Deshalb darf der Arzt, welcher eine konsentierte Blutentnahme vornimmt, nicht von sich aus u. ohne spezielle zusätzliche Einwilligung einen HIV-Test vornehmen (so für die h.L. etwa KUHN SJZ 1993. 258). Das gleiche gilt im öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnis. Vgl. etwa JAGGI 75 ff., mit spezieller Berücksichtigung des PatD/BE insb. 83 f.

212 Dazu grundlegend J.P. MÜLLER 6 ff. «Jeder ärztliche Eingriff im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Arzt-Patienten-Verhält­nisses fällt in den Schutzbereich der Persönlichen Freiheit.» J.P. MILLER 9.

213 Dazu ausführlich und mit Darstellung der Ausnahmefälle, auch der hypothetischen Einwilligung, oben II 6 a ee.

214 Statt aller: LAUFS/UHLENBRUCK § 139 N 34. 215 Für die h.L. LAUFS/U HLENBRUCK § 139 N 34. Dies ergibt sich aus den allgemeinen Vertrags­

lehren, insb. auch aus analoger Anwendung von OR 1 II. Konkludente Willensäusserung bedeutet Willensäusserung durch Willensbetätigung, durch schlüssiges Verhalten. Aus­führlich dazu BUCHER, Diss. 147 ff. Zu weit geht die Auffassung, nebst der konkludenten auch die nicht eindeutige Einwilligung als zulässig zu erachten (MAINARDI-SPEZIALI 82).

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Die Aufklärungspflicht

gen216. Für invasive Eingriffe wäre zwar die konkludente Einwilligung nach hinreichend erteilter Aufklärung ebenfalls ausreichend. Da der Arzt jedoch die Beweislast für das Vorliegen der Einwilligung trägt, wird er gut daran tun, vor Operationen und anderen schwerwiegenden Eingriffen, stets eine explizite Einwilligung einzuholen217. In Verbindung mit der Zweistufen­aufklärung wird die Einwilligung häufig in schriftlicher Form durch Unter­zeichnung einer entsprechenden Rubrik auf dem Aufklärungsformular er­teilt. Da diese Einwilligung allerdings immer nur im Zusammenhang mit der umfassenden, einen mündlichen Teil beinhaltenden Aufklärung rechts­wirksam ist, steht und fällt auch diese schriftlich erteilte Einwilligung im Prozessfall mit dem Nachweis der Angemessenheit der Aufklärung, wofür ebenfalls der Arzt die Beweislast trägt218.

Ein datierter Vermerk in der Krankengeschichte über die mündliche Erteilung der Einwilligung genügt als Beweissicherungsmassnahme voll­auf und hat eine hohe Beweiskraft, ganz im Gegensatz zu unterzeichneten Einwilligungserklärungen219.

Die Einwilligung muss frei von Willensmängeln220 sein und soll erst nach angemessener Überlegungsfrist221 gegeben werden.

216 Dies gilt auch für einige materielle Eingriffe in die körperliche Integrität. Wer z.B. dem Arzt den Arm nach erfolgter Aufklärung (!) zur Vornahme einer Injektion hinhält, willigt schlüssig ein.

217 Was im Anschluss an das Aufklärungsgespräch zwanglos u. ohne Verunsicherung des Patienten möglich ist.

218 Zum ganzen ausführlich II 5 a dd. Bei Anwendung der Stufenaufklärung ist zu beachten, dass der Patient das Formular, welches vor der mündlichen Aufklärung ausgehändigt wird, erst nach dem mündlichen Aufklärungsgespräch unterzeichnet. Andernfalls wäre die Einwilligung rechtlich unwirksam. Schliesslich darf der Frage nach der Form der Einwilligung nicht übermässiges Gewicht beigemessen werden, wird doch kaum je gel­tend gemacht, man habe z.B. zu der Operation überhaupt keine Einwilligung erteilt u. der Arzt habe völlig eigenmächtig den Eingriff vorgenommen. Umstritten ist regelmässig bloss die Frage, ob die Aufklärung vollständig war.

219 Formulare mit Blankoeinwilligungen u. Texten wie «ich bestätige, über Wesen, Bedeu­tung u. Tragweite des Eingriffs ausreichend aufgeklärt worden zu sein u. erteile hiermit die Einwilligung zur Operation...» (vgl. PFOST 24, mit einem derartigen, anscheinend häufig verwendeten Formular) sind vielmehr geeignet, massive Zweifel am Vorliegen einer angemessen Aufklärung u. genügend abgestützten Einwilligung zu erwecken. Sie beweisen so gut wie gar nichts.

220 Eine Anfechtung der Einwilligung ist infolge ihrer Rechtsnatur ausgeschlossen (s. oben FN 201); allerdings wäre eine infolge Täuschung oder Drohung erwirkte Einwilligung unbeachtlich. So darf der Arzt nicht mittels Anwendung psychischen Zwanges die Ein­willigung erwirken. Jedoch ist es seine auftragsrechtliche Pflicht, mit Nachdruck u. der nötigen Klarheit auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung u. damit der Nicht­vornahme des dringend indizierten Eingriffs hinzuweisen.

221 Vgl. oben II 5 d.

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Die Einwilligung

2. Die Verweigerung der Einwilligung und deren Konsequenzen

Verweigert der Patient die Einwilligung zum Eingriff, so darf dieser nicht vorgenommen werden222. Andernfalls würde sich der Arzt straf- und zivilrechtlich verantwortlich machen223.

Aufgrund der gesetzlichen Vermutung, wonach Eingriffe in absolut geschützte Rechtsgüter zu unterlassen sind224, hat der Patient, welcher mit einem Eingriff nicht einverstanden ist, weder explizit noch konkludent die Verweigerung zu äussern. Blosses Stillschweigen, d.h. Unterlassen der Er­teilung einer Einwilligung, genügt225.

a) Der urteilsfähige Patient

Ist der Patient urteilsfähig, so gehört es zu seiner «Freiheit»226, jeden Eingriff, auch einen vital indizierten227, aus welchen Gründen auch im­mer228, zu verweigern229. Dabei ist jedoch bei der Beurteilung der Urteilsfä-

222 S. die ausführliche Begründung III1 a. Das gilt auch, wenn beim urteilsunfähigen Patienten nicht auf eine hypothetische Einwilligung geschlossen werden kann.

223 S. oben III 1 a; unten IV. 224 S. oben III 1 a. 225 Deshalb ist denn auch für die Erteilung der Einwilligung eine explizite oder konkludente

Zustimmung erforderlich, blosses Stillschweigen genügt nicht. Eine ausdrückliche Wei­gerung durch den Patienten ist nur erforderlich, wenn er durch konkludente oder explizi­te Äusserungen den Anschein erweckt hat, er sei mit der Behandlung einverstanden (vgl. BUCHER, Diss. 150).

226 Sie wird im Privatrecht durch das in ZGB 28 normierte Selbstbestimmungsrecht garan­tiert.

227 «Auch bei vitaler Indikation eines Eingriffs verlangt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, dass sein Arzt ihm die Möglichkeit lässt. über den Eingriff selbst zu entschei­den u. ihn gegebenenfalls abzulehnen, auch wenn ein solcher Entschluss medizinisch unvernünftig ist», so BGHZ 90, 103, 105 f.

228 Auch eine objektiv unvernünftige Verweigerung muss zwingend respektiert werden, da das für die Einwilligung relevante Kriterium einzig u. allein der Wille des konkreten Patienten und nicht die Sicht eines verständigen u. vernünftigen Menschen ist. «Nie­mand darf sich zum Richter in der Frage aufwerfen, unter welchen Umständen ein ande­rer vernünftigerweise bereit sein sollte, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern, um dadurch wieder gesund zu werden.» BGHSt 11. 111, 114.

229 So die übereinstimmende Lehre u. Rsp. sowohl in der Schweiz wie in Deutschland. Vgl. statt vieler E. BUCHER, Arzt und Recht 42: «Im Persönlichkeitsbereich ist das. was der Patient will, recht, u. alles, was gegen seinen Willen erfolgt, ist unrecht.»: GIESEN. medi­zinische Behandlung 116, 144; LAUFS/UHLENBRUCK § 68 N 1: «Jedermann hat die Befug­nis, ärztliche Dienste in Anspruch zu nehmen oder einer Krankheit ihren schicksalhaften

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Die Aufklärungspflicht

higkeit besondere Vorsicht geboten; insb. ist zu prüfen, ob eine Verweige­rung wirklich dem freien Willen des Patienten entspreche oder allenfalls bloss durch Angst diktiert werde230. Beruht nämlich die Nichterteilung der Einwilligung nicht mehr auf einer freiverantwortlichen Willensentscheidung, ist der Patient mithin in concreto, d.h. kasuell, urteilsunfähig, hat der Arzt nach dem hypothetischen Willen des Patienten zu entscheiden231. Andern­falls kann er schadensersatzpflichtig werden infolge Nicht- oder nichtge­höriger Erfüllung des Auftrages232.

b) Der kasuell Urteilsunfähige

Beim kasuell urteilsunfähigen Patienten ist auf dessen hypothetischen Willen abzustellen233; lassen die Umstände, z.B. bei Vorliegen einer rechts­gültigen Patientenverfügung oder glaubwürdiger Angaben von dem Pati­enten nahestenden Personen, eindeutig auf das Fehlen einer hypothetischen Einwilligung zu einem konkreten Eingriff schliessen, darf dieser nicht vor­genommen werden.

c) Der habituell Urteilsunfähige

Da beim habituell Urteilsunfähigen der gesetzliche Vertreter seinen Entscheid ausschliesslich nach dem Kindeswohl bzw. dem Wohl des Mün­dels zu bestimmen hat und das Interesse des Vertretenen mangels eines hy­pothetischen rechtlich relevanten Willens ausschliesslich nach objektiven Massstäben bestimmt wird, kommt hier eine rechtlich zulässige Verweige­rung der Einwilligung durch den Vertreter nur selten in Betracht234.

Lauf zu lassen.» Das gilt auch in Fällen, wo durch einen leichten Eingriff, z.B. eine Bluttransfusion, das Leben des Patienten gerettet werden könnte, dieser jedoch in die Behandlung z.B. aus religiösen Gründen nicht einwilligt, wie dies etwa bei Mitgliedern der «Zeugen Jehova» vorkommt.

210 Vgl. E. BUCHER, Arzt und Recht 44. 231 Sofern sich die Einwilligung aus dem hypothetischen Willen des Patienten ergibt. Auf

den hypothetischen Willen ist abzustellen, da mangels Urteilsfähigkeit keine rechtliche relevante Willensäusserung vorliegt. Der betr. Patient ist kasuell urteilsunfahig.

232 Unter der Voraussetzung des Vorliegens eines Verschuldens, vgl. OR-WIEGAND, Art. 97 N 5 ff.

233 S. dazu oben II 6 a dd. Dies gilt sowohl bei Mündigen wie auch bei Unmündigen oder Entmündigten; wohl entscheidet bei letzteren der Vertreter, doch seine Vertretungsmacht wird eingeschränkt u. umschrieben durch den hypothetischen Willen des Vertretenen.

2,4 Die Eltern sind nicht befugt, unvernünftige Entschlüsse zum Nachteil ihrer Kinder zu

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Die Einwilligung

Verstösst die Verweigerung gegen das Kindes- bzw. Mündelwohl, so hat der Arzt sofort die Vormundschaftsbehörde zu informieren, welche ge­gebenenfalls Kindesschutzmassnahmen anordnet. Als behördlicher Eingriff wird in diesem Fall zuerst235 die Anordnung einer geeigneten Massnahme236

im Vordergrund stehen. Sie erlaubt der Behörde, die Eltern zur Erteilung der Einwilligung anzuweisen. Erst wenn sich die Eltern weiterhin weigern, muss die Vormundschaftsbehörde selbst die Zustimmung zum Eingriff er­teilen. Sie übt damit eine Befugnis aus, die an sich nur einem ernannten Beistand zustünde. Da ein besonderer Grund zum sofortigen Tätigwerden vorliegt, ist das Handeln ad hoc anstelle von Beistand, Beirat oder Vormund zulässig237. Steht genügend Zeit zur Verfügung, ist ein Beistand zu bestel­len238. Die für die Anordnung geeigneter Massnahmen resp. das Erteilen der Zustimmung durch die Behörde vorausgesetzte Gefährdung des Kin­deswohls liegt vor, sobald die «ernstliche Möglichkeit der Beeinträchti­gung des körperlichen, sittlichen oder geistigen Wohls des Kindes voraus­zusehen ist»239. Dieselben Regeln finden Anwendung, wenn der Vormund eines urteilsunfähigen Unmündigen oder Entmündigten die Eingriffsein­willigung verweigert.

Reicht die Zeit zur Information der Vormundschaftsbehörde und de­ren Handeln infolge Dringlichkeit des Eingriffs nicht aus240, so soll und darf der Arzt den Eingriff auch gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Vertreters vornehmen241. Diesem Willen kommt infolge Überschreitens der Vertretungsmacht keine rechtliche Bedeutung mehr zu242.

treffen. Ihre Entscheidungsfreiheit ist somit nicht eine unbeschränkte wie diejenige des urteilsfähigen Kranken; vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 66 N 11.

235 Vgl. BK-SCHNYDER/MURER ZGB 392 N 110. 256 Gem. ZGB 307. 217 Die Bestellung eines Beistands ist diesfalls, da blosse Formalität, nicht erforderlich; vgl.

BK-SCHNYDER/MURER ZGB 361 N 62. 238 Nach ZGB 308. Ein Beistand nach ZGB 392 Ziff. 3 ist zu ernennen, wenn der gesetzliche

Vertreter verhindert ist. 2 , 9 HEGNAUER 181. 240 Die Vormundschaftsbehörde wird im übrigen in dringenden Fällen die Zustimmung nach

kurzer ärztlicher Aufklärung auch mündlich oder femmündlich erteilen, so dass selbst in dringenden Fällen oftmals vom Arzt die Zustimmung der Behörde noch eingeholt wer­den kann.

241 Immer unter der Voraussetzung, dass die Verweigerung der Einwilligung gegen das Kindes­wohl verstösst. Derartige Situationen könnten sich z.B. bei der religiös motivierten Ab­lehnung einer Bluttransfusion ergeben.

242 Vgl. oben II 6 a cc - dd. Gl.M. E. BUCHER. Arzt und Recht 44. wonach darauf abzustellen ist, ob die Vormundschaftsbehörde dem Eingriff zugestimmt hätte; BUCHERS «rein advokatorischer Ratschlag» geht dahin, sich durch Zuziehung eines Konsiliarius' für eine allfällige Auseinandersetzung Beweise zu sichern.

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Die Aufklärungspflicht

d) Verweigerung zur Unzeit

Verweigert der Patient den Eingriff nach anfänglicher Einwilligung zur Unzeit, z.B. unmittelbar vor der Operation, ist Schadenersatz im Um­fang des negativen Vertragsinteresses geschuldet243.

3. Spezialprobleme

a) Die Operationserweiterung

Unter dem Begriff Operationserweiterung versteht man die Vornah­me weiterer oder anderer als der ursprünglich vorgesehenen Eingriffe, zu deren Durchführung sich der Arzt erst während der geplanten Operation entschliesst.

Hatte der Arzt den Patienten schon vor der Operation darüber aufge­klärt, dass u.U. ein ganz bestimmter, weiterer Eingrifferforderlich sein könn­te, und willigte der Patient in diesen ein, stellen sich bei der Operationser­weiterung keine besonderen Probleme.

War der effektive Befund vor dem Eingriff hingegen nicht vorher­sehbar, konnte der Arzt auch nicht über allenfalls notwendige Erweiterun­gen aufklären, weshalb keine Einwilligung vorliegt. Es stellt sich deshalb die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Chirurg den ursprünglichen, von der Einwilligung des Patienten gedeckten Operationsplan abändern oder erweitern darf bzw. muss, ohne eine erneute Einwilligung des Patienten einzuholen244.

aa) Im einzigen mit der Frage befassten Urteil vertrat das BGer die Auf­fassung, dass die Operationserweiterung nur zulässig sei, wenn der Eingriff dringlich oder unzweifelhaft nötig und eine Operationsunterbrechung nicht ohne Gefahr möglich sei245. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ein deut-

24< Dazu gehören z.B. die Generalunkosten der Vorbereitungen der technischen Einrichtungen sowie, bei Nachweisbarkeit der Ablehnung anderer Aufträge, der entgangene Gewinn; vgl. OR-WEBER, Art. 404 N 16 f.

244 Die Zulässigkeit der Operationserweiterung kann mit der hypothetischen Einwilligung begründet werden; so die überwiegende Auffassung; s. dazu GIESEN, medizinische Be­handlung 121 f. Der hypothetische Wille ist derjenige, den der Patient bei Kenntnis aller Umstände im entscheidenden Zeitpunkt, d.h. während der Operation, geäussert hätte, wenn er einen Willen hätte bilden bzw. äussern können.

245 BGE 108 II 61 E. 2 = Pra 1982, 299 f. E. 2.

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Die Einwilligung

sches Gerichtsurteil246 erhöhte neuerdings das KGer St.Gallen2*1 die Anfor­derungen an die Zulässigkeit der Operationserweiterung und setzte diese folgendermassen fest: - es muss ein Befund vorliegen, der mit an Sicherheit grenzender Wahr­

scheinlichkeit in absehbarer Zeit zum Tode des Patienten führt; - ein Abbruch der Operation muss medizinisch kontraindiziert, d.h. mit

erhöhten Gefahren verbunden sein; - ein der Erweiterung entgegenstehender Wille des Patienten darf aufgrund

der Lebensgefährlichkeit des Befundes nicht anzunehmen sein. Ob diese kantonale Rsp. vor BGer standhalten wird, erscheint frag­

lich. Dies insb. auch angesichts des Umstandes, dass der BGH die Operati­onserweiterung gestützt auf die hypothetische Einwilligung auch dann für zulässig hält, wenn nicht eine unmittelbare Lebensgefahr droht248.

bb) Sachgerecht scheint hier folgender, einen Mittelweg beschreitender Lösungsansatz:

Vital indizierte Operationserweiterungen sind stets zulässig249, auch wenn sie mit schwerwiegenden Folgen verbunden sind. Nicht vital indi­zierte, jedoch dringende Erweiterungen ohne schwerwiegende Folgen sind zulässig, wenn die Erweiterung nicht mit einer erhöhten Gefahr verbun­den250 und ein Abbruch kontraindiziert ist, weil dieser neue, gefährliche Komplikationen hervorriefe.

Nicht vital indizierte dringende Erweiterungen mit ganz gravieren­den Folgen sind unzulässig. Das gleiche gilt für alle Erweiterungen, wel­che die obigen Voraussetzungen nicht erfüllen, insb. auch für Erweiterun­gen, welche aus blossen Zweckmässigkeitsüberlegungen vorgenommen werden251-252. In jedem Fall ist eine Erweiterung zulässig, wenn der Arzt

246 Urteil OLG Frankfurt v. 10.2.1981 in NJW 1981, 1322 ff. 247 Urteil v. 21.8.91 in AJP 1992, 272. 248 BGH v. 25.3.1988 = NJW 1988, 2310. 249 Selbstverständlich unter dem Vorbehalt, dass der Patient nicht einen anderen Willen

geäussert hat. 250 EISNER (186 FN 242) nimmt an, dass eine Operationserweiterung aus medizinischen Grün­

den immer die bessere Lösung sei. Dies trifft nicht zu; vgl. etwa KGer SG. AJP 1992. 273.

251 Z.B. nichtindizierte Gelegenheitsappendektomie (Blinddarmentfernung) anlässlich ei­ner Sterilisation. Vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 139 N 51.

252 Die in Lehre u. Praxis zu konstatierende Verabsolutierung dieser Regeln birgt die Gefahr, ein erstrebenswertes Ziel, nämlich den Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patien­ten vor der Bevormundung durch den Arzt mit der teilweisen Fremdbestimmung durch die Rsp. erreichen zu wollen. Da solche Regeln individuelle Besonderheiten nicht be-

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Die Aufklärungspflicht

aufgrund besonderer Umstände auf einen solchen hypothetischen Willen des Patienten schliessen kann.

cc) War in der präoperativen Phase die Möglichkeit einer bestimmten Er­weiterung vorhersehbar, unterliess der Arzt jedoch die entsprechende Auf­klärung253, ist die Erweiterung im Rahmen der oben dargelegten Grundsät­ze trotzdem zulässig, da dann im Moment der Operationserweiterung die hypothetische Einwilligung angenommen werden kann. Allerdings verletzt der Arzt damit seine auftragsrechtlichen Pflichten254.

b) Der Heilversuch

Die Einwilligung zum Heilversuch255 (wie auch beim Humanexperi­ment256) hat besonderen Anforderungen zu genügen.

Beim Heilversuch soll die Einwilligung grundsätzlich explizit251 er­folgen, dies nach einer besonders ausführlichen Aufklärung. Dabei hat der Arzt den Patienten umso intensiver aufzuklären, je neuer und unerprobter die angewandte Methode ist. Heilversuche an Urteilsunfähigen bedürfen wie jeder Eingriff der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Sie sind

rücksichtigen, haben sie stets dort zurückzutreten, wo aus den Umständen mit einiger Sicherheit auf den hypothetischen Willen des konkreten Patienten geschlossen werden kann. Dabei ist auch die Anfälligkeit des Patienten auf körperliche u. seelische Beein­trächtigungen zu berücksichtigen, welche mit einer weiteren Operation verbunden sein können. Sei es, weil er infolge fehlerhafter Diagnose die Möglickeit einer Erweiterung nicht er­kannte, sei es weil er bei ihm bekannter Erweiterungsmöglichkeit darüber fahrlässiger­weise oder vorsätzlich nicht aufklärte. Vgl. dazu auch EISNER 100; OR-WEBER, Art. 398 N 8 f. Die Pflicht zur Aufklärung (auch über bloss evtl. erforderliche Erweiterungen) gehört zur auftragsrechtlichen Pflicht zum sorgfältigen Tätigwerden. Unter dem Begriff Heilversuch versteht man Eingriffe u. Behandlungsweisen, die in ei­nem konkreten Krankheitsfall mit Blick auf die Heilung des Kranken, d.h. therapeuti­scher Absicht, erfolgen (vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 130 N 7). Im Gegensatz zur Standard­behandlung sind die Auswirkungen u. Folgen der beim Heilversuch angewandten Be­handlungsweisen noch nicht genügend abzuschätzen, womit sich der Heilversuch von dieser abgrenzt. Unter dem Begriff Humanexperiment (auch klinisches Experiment) versteht man Ein­griffe u. Massnahmen, bei welchen nicht die Heilung des Patienten, sondern das wissen­schaftliche Interesse im Vordergrund steht u. deren Auswirkungen mangels genügender Erfahrung noch nicht ausreichend abzuschätzen sind. Juristisch würde auch eine konkludente Zustimmung genügen; allerdings sind kaum Umstände denkbar, unter welchen eine Einwilligung durch schlüssiges Verhalten vor­stellbar ist. Vgl. dazu auch oben III 1 b.

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Die Einwilligung

zulässig, sofern sie im Interesse des Urteilsunfähigen liegen258. Andernfalls wären sie auch bei erteilter Zustimmung durch die gesetzlichen Vertreter unerlaubt259.

c) Das Humanexperiment260

Hier gilt bezüglich Auflärung und Einwilligung das gleiche wie beim Heilversuch.

Handelt es sich beim Humanexperiment um einen schweren Ein­griff161, so wirkt die Einwilligung nur rechtfertigend, wenn das Experiment einem sittlichen Wert dient262.

Humanexperimente an Urteilsunfähigen sind in jedem Fall absolut unzulässig. Denn die gesetzlichen Vertreter dürfen in ein solches nicht ein­willigen, da dieses mangels Verfolgung eines konkreten therapeutischen Zwecks nicht dem objektiven Wohle des Urteilsunfähigen entspricht. Eine trotzdem erteilte Einwilligung wäre nichtig und würde den Eingriff nicht rechtfertigen263.

d) Die Organtransplantation

aa) Lebender Spender

Bei der Organtransplantation handelt es sich regelmässig um einen schweren Eingriff in die körperliche Integrität des lebenden Spenders. Es gilt für die Einwilligung zur Organentnahme beim lebenden Spender grund­sätzlich dasselbe wie bei der Einwilligung zum Humanexperiment; insb. kommt auch die Einwilligung zu einer Organentnahme durch den gesetzli-

is S. dazu ausführlich oben II 6 a cc - ee. Statt aller auch LAUFS/UHLENBRUCK § 130 N 28. i9 Vgl. dazu auch ausführlich oben II 6 a cc - ee. * Zum Begriff s.FN 256. '' D.h. um einen Eingriff, welcher den objektiven Tatbestand der schweren Körperverlet­

zung erfüllt. J Dies ergibt sich einmal aus OR 20, nach welchem die Gültigkeit (u. damit die rechtferti­

gende Wirkung) der zum Zeitpunkt des Eingriffs erteilten Einwilligung zu beurteilen ist: so A. BUCHER N 517. Es folgt ebenfalls aus strafrechtlichen Grundsätzen, statt vieler TRECHSEL vor StGB 122 N 7.

'-' Zur dogmatischen Begründung s. oben II 6 a cc - ee. Dezidien dazu GIESEN. medizini­sche Behandlung 150.

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Die Aufklärungspflicht

chen Vertreter des möglichen Spenders nicht in Betracht. Die aus bloss fi­nanziellen Interessen erteilte Einwilligung zur Organentnahme ist sitten­widrig, demnach nichtig, der gestützt darauf vorgenommene Eingriff rechts­widrig264.

bb) Toter Spender

Hat sich der Verstorbene zu Lebzeiten gegen eine allfällige Organ­transplantation ausgesprochen, ist jede Entnahme von Organen unzuläs­sig, da ZGB 28 auch das Recht der Person, über die Verwendung ihres Leichnams zu entscheiden, schützt. Hat der Verstorbene keine Anordnun­gen getroffen, ist die Organentnahme zulässig, sofern die nächsten Ange­hörigen des Verstorbenen diese gestatten. Eine ohne Einwilligung vorge­nommene Organentnahme würde eine rechtswidrige Verletzung der Per­sönlichkeitsrechte der Angehörigen darstellen265.

e) Delegation des Einwilligungsentscheids

Bislang von Lehre und Gerichtspraxis nicht behandelt wurde die Fra­ge, ob die Entscheidung über den Eingriff vom urteilsfähigen Patienten an einen Dritten delegierbar ist266. Wohl verlangt die Wahrung höchstpersön­licher Rechte nicht höchstpersönliches Handeln des Rechtsträgers; so ist es zulässig, die entsprechenden Handlungsbefugnisse auf einen gewillkürten Stellvertreter zu übertragen267. Der Stellvertreter hat dabei jedoch bloss eine fremdnützige Entscheidungszuständigkeit und muss nach den Interessen und dem Willen des Vertretenen entscheiden. Die Delegation der Entscheid­befugnis an den Delegaten ohne Angabe von zu beachtenden Entscheidkri-

264 Die Einwilligung zur Entnahme eines nichtpaarigen Organs oder eines nicht selbst regenerierenden Körperteils ist auch bei ethisch hochstehenden Zielen nichtig, da sittenwidrig. In die Entnahme paariger Organe oder sich selbst regenerierender Körperteile kann eingewilligt werden, wenn damit ein sittlicher Zweck (z.B. Vitalindikation beim Empfänger) verfolgt wird. Dazu ausführlich LAUFS/UHLENBRUCK § 131 N 19 ff. Zur Transplantation s. insb. unten 8. Kap.

2M Vgl. dazu etwa A. BUCHER N 468, 474. Anders aber Art. 41 Abs. 2 GG/BE v. 2.12.1984, wonach die Organentnahme zulässig ist, sofern nichts anderes verfügt wurde.

266 So wenn z.B. eine Frau, bei welcher eine Bluttransfusion letal indiziert ist, erklärt, weder verweigere sie die Einwilligung noch erteile sie diese; ihr Mann möge entscheiden.

267 So BK-BUCHER ZGB 19 N 199.

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Die Einwilligung

terien verstösst gegen ZGB U26*. Der vom Dritten geäusserte Wille, ob es sich nun um eine Verweigerung oder eine Einwilligung handle, ist deshalb unbeachtlich. Obwohl seitens des Patienten keine explizite Einwilligung zum Eingriff vorliegt, ist seine Erklärung, wonach der Entscheid einem Dritten delegiert werde, als Zustimmung zum Eingriff zu werten. Denn durch die entsprechende Äusserung gibt der Patient kund, dass ihm beides recht sei, der Eingriff wie auch das Unterlassen desselben. Es liegt somit nicht ein Fall der klassischen Unterlassung der Einwilligung vor, welche auf­grund der Vermutung von ZGB 28 II als Verweigerung zu werten wäre.

f) Die sittenwidrige Eingriffseinwilligung

Begehrt der Patient vom Arzt die Vornahme eines nicht indizierten Eingriffs269, ist zunächst festzustellen, dass der Arzt einen Auftrag mit rechts­widrigem oder unsittlichem Auftrag nicht abschliessen darf und muss. Rechtswidrige oder unsittliche Weisungen hat der Mandatar nicht zu befol­gen270. Auf der ausservertraglichen Stufe ist alsdann zu prüfen, ob der Arzt, weicherden Eingriff gleichwohl vornimmt, trotz Vorliegens einer «Einwil­ligung» die Persönlichkeitsrechte des Patienten rechtswidrig verletzt. Dies trifft dann zu, wenn die vom Patienten erteilte Zustimmung zum Eingriff nach OR 20271 infolge Sittenwidrigkeit oder Verstosses gegen objektives

58 Eine derartige Delegation des Entscheids erfolgt in der Regel bloss in Fällen, bei welchen der Patient in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu einer bestimmten Gruppierung oder Person steht. In Fällen eigentlicher Druckversuche durch solche Gruppierungen ist der Patient infolge der massiven Fremdbeeinflussung nicht mehr in der Lage, einen freien Willen zu bilden, weshalb in concreto seine Urteilsfähigkeit zu verneinen ist. Die Möglichkeit einer Delegation entfällt deshalb von vornherein, es ist nach dem hypothetischen Willen des Patienten zu entscheiden.

,9 Sei es infolge unsinniger selbstgestellter Diagnose (Patientin liess eine nichtindizierte Zahnextraktion vornehmen, da sie glaubte, nur so von chronisch starken Kopfschmerzen befreit zu werden; NJW 1978, 1206), sei es aufgrund bestimmter sozio-kultureller Gege­benheiten (z.B. Zirkumzision bei Frauen). Da sich die Zulässigkeit entsprechender Ein­griffe letztlich nach dem Kriterium der guten Sitten bestimmt, diese jedoch blosse Re­zeption herrschender Moralvorstellungen u. als solche insb. von Kultur u. Religion ab­hängig sind, ergeben sich in zunehmend multikulturellen Gesellschaften heikle Proble­me.

0 Statt aller OR-WEBER, Art. 397 N 7. 1 Der Schutz der Entscheidungsfreiheit gem. ZGB 27 findet hier keine Anwendung, da es

nicht um die Frage geht, inwiefern man sich binden kann; vielmehr geht es darum, ob eine rechtsgeschäftsähnliche Willensäusserung infolge ihres Inhaltes noch rechtswirksam ist oder nicht; vgl. zu dieser Abgrenzung A. BUCHER N 517. N 443; BUCHER OR AT 259 f.

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Die Aufklärungspflicht

Recht272 rechtsunwirksam ist, so wenn ein schwerer Eingriff ohne sittlichen Zweck273 vorgenommen werden soll274. Diesfalls muss der Arzt, um sich nicht straf- und zivilrechtlich verantwortlich zu machen, den Eingriff un­terlassen.

TV. Folgen fehlender oder fehlerhafter Aufklärung

1. Widerrechtlichkeit des Eingriffs

Nach h.L.275 und ständiger Praxis des BGer276 ist ein Eingriff in die körperliche Integrität rechtswidrig, sofern nicht die Einwilligung des Pati­enten vorliegt. Diese muss auf einer bezüglich Inhalt, Umfang und Aus-mass rechtlich ausreichenden Aufklärung basieren277. Denn erst die hinrei­chende Aufklärung ermöglicht es dem Patienten, eine freie Entscheidung2™

272 So statt vieler A. BUCHER N 517; gegen die guten Sitten verstösst, was der «Anschauung aller billig u. gerecht denkender Volksgenossen, gemessen an einem durchschnittlichen Massstab» (VON TUHR/PETER 256) zuwiderläuft. Die stete Bezugnahme der h.L. auf die Sittenwidrigkeit ist in diesem Zusammenhang unnötig; denn mit der Einwilligung in z.B. verstümmelnde Eingriffe wird ein vom Strafrecht verbotenes Ziel angestrebt, weshalb die Unwirksamkeit der Einwilligung nach OR 20 bereits infolge Verstosses gegen objek­tives Recht vorliegt (treffend zur Irrelevanz der Unterscheidung zwischen Sittenwidrigkeit u. Rechtswidrigkeit in diesem Zusammenhang BUCHER OR AT 253).

273 Z.B. eine verstümmelnde Operation. Kosmetische Eingriffe verfolgen in der Regel einen sittlichen Zweck, LAUFS/UHLENBRUCK § 139 N 40. Die Einwilligung in solche Eingriffe wirkt somit rechtfertigend. Zum Begriff der Sittenwidrigkeit vgl. FN 272.

274 Die vom Strafrecht u. Zivilrecht gezogenen Grenzen der rechtfertigenden Einwilligung bestimmen sich nach dem gleichen Kriterium. In beiden Rechtsgebieten wird die Einwil­ligung unbeachtlich, wenn sie sittenwidrig ist (vgl. z.B. TRECHSEL vor StGB 122 N 7; A. BUCHER N 517).

275 Vgl. statt aller GIESEN, medizinische Behandlung 105: «Grundsätzlich ist die auf einer rechtlich angemessenen ärztlichen Aufklärung basierende Einwilligung des Patienten eine unentbehrliche Voraussetzung allen ärztlichen Handelns...».

276 So im mehrfach zitierten Grundsatzentscheid BGE 117 Ib 197 ff. mit Hinweisen auf weitere BGE.

277 Vgl. oben II 2, 3. 278 Es steht im Belieben des urteilsfähigen Patienten, die Einwilligung zu verweigern, aus

welchen Gründen auch immer (vgl. oben III 2).

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Die Einwilligung

über die Durchführung einer medizinischen Behandlung zu treffen und da­mit rechtswirksam in einen Eingriff einzuwilligen279.

Unterlässt der Arzt die Aufklärung, stellt sein Heileingriff somit mangels rechtsgenüglicher Einwilligung einen rechtswidrigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Patienten dar280, ungeachtet einer allfälligen «Zustimmung» zum Eingriff281. Darüber hinaus wird regelmässig der Straf­tatbestand der Körperverletzung erfüllt sein282.

Unterbleibt die Aufklärung nicht ganz, ist sie jedoch fehlerhaft2^, ist zu differenzieren. Derjenige Teil des Eingriffs, über welchen genügend auf­geklärt wurde, ist von einer rechtswirksamen Einwilligung gedeckt und somit rechtmässig284. Der infolge falscher oder ungenügender Aufklärung nicht konsentierte, d.h. eigenmächtige Eingriffsteil ist rechtswidrig. Bei der recht­lichen Beurteilung einer Operation kann es sich mithin ergeben, dass eine Teilrechtswidrigkeit vorliegt285. In der Regel wird jedoch auch in Fällen der bloss fehlerhaften oder z.T. fehlenden Aufklärung der Eingriff als ganzer rechtswidrig sein286, da z.B. mangels Kenntnis eines bestimmten Risikos eine wesentliche, die gesamte Operation betreffende Entscheidgrundlage fehlte und mithin die Einwilligung insgesamt rechtsunwirksam ist.

'9 Vgl. statt vieler E. BUCHER, Arzt und Recht 45; LAUFS N 170; MAINARDI-SPEZIAU 81: BGE 117 Ib 200. Der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung setzt begriffsnotwendig Kenntnis des Eingriffs, d.h. Aufklärung, voraus, denn die Einwilligung bedarf eines (bekannten) Objektes. Man kann (juristisch) nicht in etwas einwilligen, was man nicht kennt.

10 U. zwar wird sowohl in die körperliche Integrität wie auch in das Selbstbestimmungs­recht als Teilgehalte des Persönlichkeitsrechts eingegriffen. So die h.L. in der Schweiz u. in Deutschland (vgl. etwa LAUFS, Arztrecht N 234) sowie die ständige Praxis des BGer (vgl. oben I 3).

1 Diese ist ohne vorherige Aufklärung keine Einwilligung im Rechtssinne, abgesehen vom Fall des Patienten, bei welchem infolge umfassender Kenntnis des Eingriffs kein Auf-klärungsbediirfnis besteht.

2 Womit noch nichts über die Strafbarkeit gesagt ist. denn diese setzt noch eine Verschuldens­form voraus.

3 In der Praxis werden die Fälle, in denen ein Arzt den Patienten überhaupt nicht aufklärt, heute selten sein. Häufiger wird es vorkommen, dass der Arzt es z.B. versäumt, über ein bestimmtes Risiko aufzuklären.

4 Selbstverständlich immer unter der Voraussetzung, dass überhaupt eine Einwilligung vorliegt.

3 Z.B. beim nichtindizierten Entfernen des Blinddarms anlässlich einer Unterleibsoperati­on (Gelegenheitsappendektomie). Wurde in die Unterleibsoperation eingewilligt, nicht jedoch in die Blinddarmentfernung, so ist nicht die Operation als ganze, sondern nur die Appendektomie rechtswidrig.

6 So etwa BGE 108 II 61 ff.

Wiegand 181

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Die Aufklärungspflicht

2. Schadenersatz und Genugtuung

a) Schadenersatz

aa) Voraussetzungen

Nach der Rsp. des BGer haftet der Arzt, welcher einen Eingriff ohne Einwilligung des genügend aufgeklärten Patienten287 vornimmt, für den gesamten Schaden, der infolge Misslingens der Operation entstanden ist288. Diese Haftung besteht dabei unabhängig davon, ob dem Arzt ein Kunstfeh­ler unterlief oder ob er alle gebotene Sorgfalt anwandte. Im vielzitierten leading case (BGE 117 Ib 197 ff.) hält das BGer trotz der teilweisen Kritik der Lehre an dieser Rsp. mit überzeugender Begründung289 fest.

Der eigenmächtig handelnde Arzt trägt somit das Risiko allfälliger Komplikationen und hat deren wirtschaftliche Folgen auszugleichen290. Der Körperschaden291 bemisst sich dabei nach der Differenz zwischen dem Ver­mögensstand des Geschädigten nach dem schädigenden Ereignis, d.h. nach­dem rechtswidrigen Eingriff, und dem Vermögensstand bei Ausbleiben des Ereignisses292. Zu ersetzen ist dabei sowohl damnum emergens (z.B. Hei­lungskosten) wie auch lucrum cessans (z.B. Verdienstausfall). Zu beachten ist, dass Anspruch auf Ersatz des Versorgerschadens nach h.M. nur gestützt auf OR 45 III besteht, nicht hingegen aus Vertrag293.

Da die ohne Einwilligung vorgenommene Operation als Ganzes rechtswidrig ist294, muss der Kausalzusammenhang vorhanden sein «zwi­schen dem als Ganzes genommenen ... Eingriff und dem Schaden des Pati-

287 Ein solcher Eingriff ist rechtswidrig, s. soeben 11. u. 3. 288 So BGE 108 II 59 ff.; 117 Ib 197 ff. Auf dem gleichen Standpunkt stehen auch die deut­

sche Gerichtspraxis u. die h.L. (vgl. z.B. GIESEN, medizinische Behandlung 104 f.; LAUFS, Arztrecht N 234; LAUFS/UHLENBRUCK § 106 N 3, § 67 N 2 ff.).

289 Zur ausführlichen Auseinandersetzung damit s. unten IV 3a. 290 So statt vieler LAUFS/UHLENBRUCK § 67 N 2. 291 Körperschaden definiert als die infolge einer Tötung oder Verletzung eines Menschen

entstandene Vermögensverminderung. 292 Statt aller BGE 104 II 199. 291 Für die h.M. BK-BREHM OR 45 N 29; kritisch dazu OR-WIEGAND, Art. 99 N 20. 294 Vgl. BGE 108II63 u. oben IV l. Bei der nichtkonsentierten Gelegenheitsappendektomie

ist die Operation nur teilweise rechtswidrig. Unter dem Begriff des Rechtswidrigkeits­oder Zurechnungszusammenhangs wird in Deutschland (vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 67 N 5 ff. mit weiteren Hinweisen auch auf die Gerichtspraxis) die Auffassung vertreten, dass

182 Wiegand

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Schadenersatz und Genugtuung

enten»295. Wenn die Ursache, d.h. der Eingriff, nicht hinweggedacht wer­den kann, ohne dass auch der Erfolg, dh. der Schaden, entfällt, ist die natür­liche Kausalität gegeben. Dieser Kausalverlauf ist immer dann adäquat und somit rechtserheblich, wenn er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet erscheint, einen Schaden von der Art des eingetretenen herbeizuführen, so dass sein Eintritt durch die Ursache allgemein als begünstigt erscheint296.

Die letzte Voraussetzung für die Haftung aus Aufklärungspflichtver­letzung bildet das Verschulden des Arztes297, welches sich auf das Unterlas­sen der Aufklärung oder deren fehlerhafte Erteilung beziehen muss. Im Bereich der Haftung aus Aufklärungspflichtverletzung sind insb. aufgrund des objektivierten Fahrlässigkeitsbegriffs298 kaum Fälle denkbar, in wel­chen dem Arzt wegen der fehlenden oder fehlerhaften Aufklärung keine Sorgfaltswidrigkeit299 vorgeworfen werden kann300. Der Arzt könnte sich nur exkulpieren durch den Nachweis, dass Zufall oder Drittverschulden301

die nichtgehörige Erfüllung bewirkt habe.

(bei Vorliegen eines Aufklärungsfehlers) die «Verwirklichung eines nicht aufklärungs-pflichtigen Eingriffsrisikos... dem Arzt... haftungsrechtlich nicht zuzurechnen» ist (LAUFS/ UHLENBRUCK § 67 N 5). Für das schweizerische Recht wurde die Frage noch nicht erör­tert; im Ergebnis wird sie jedoch gleich zu beurteilen sein wie in der deutschen Doktrin. BGE 108 II 59 E. 3 = Pra 1982, 300 f. E. 3. Dazu generell OR-SCHNYDER, Art. 41 OR N 9. Diese Formel gilt im Delikts- wie im Vertragsrecht, vgl. dazu WIEOAND recht 1983, 3. Auch der Arzt hat entsprechend dem üblichen Haftungsmassstab für omnis culpa einzu­stehen, vgl. z.B. OR-WIEGAND, Art. 99 N 1. Im öffentlich-rechtlichen Behandlungs­verhältnis wird in der Regel sogar eine verschuldensunabhängige Haftung statuiert sein, vgl. oben 1. Kap. IV 3. Zum Begriff des objektiverten Verschuldens vgl. OR-WIEGAND, Art. 99 N 9. Sorgfaltswidrigkeit hier verstanden als subjektives, definierendes Element auf der Seite des Verschuldens, nicht als Tatbestandsmerkmal der Schlechterfüllung. Anders als in bestimmten Bereichen der Arzthaftung, in welchen Tendenzen zur Subjektivierung der Haftungsmassstäbe bestehen, ist hier am objektivierten Fahrlässigkeitsbegriff festzuhal­ten. Zur Problematik der Doppeldeutigkeit der Sorgfaltswidrigkeit OR-WIEGAND, Art. 97 N 43 (mit weiteren Hinweisen): «Aus der Objektivierung des Fahrlässigkeitsmassstabes ergeben sich v.a. bei der Schlechterfüllung der auf Dienstleistungen gerichteten Verträge ... erhebliche Konsequenzen. Da die Pflichtverletzung bei diesen Obligationen in einem Verstoss gegen die vertraglich geschuldete und nach Berufsstandards gebotene Sorgfalt besteht, bleibt für eine Exkulpation praktisch kein Raum; denn mit dem Nachweis der Pflichtverletzung ist zugleich bewiesen, dass die von einem durchschnittlichen Schuld­ner in dieser Situation zu erwartende Sorgfalt nicht aufgewendet wurde.» So auch EISNER 58. Vgl. statt aller OR-WIEGAND, Art. 97 N 42.

Wiegand 183

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Die Aufklärungspflicht

Der Grad des Verschuldens hat nur Bedeutung für die Bemessung des Schadenersatzumfanges302.

bb) Der Einwand der hypothetischen Einwilligung und deren Beweis

In BGE 117 Ib 206 hat das BGer unter Bezugnahme auf die Rsp. des deutschen BGH entschieden, dem Arzt stehe der Einwand offen, dass der Patient auch bei hinreichender Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hät­te303. Es bestätigte dabei seine Auffassung304, dass den Arzt die Beweislast für die Behauptung treffe, dass der Patient sich auch bei gehöriger Aufklä­rung zum Eingriff entschlossen hätte305. Bei der Beurteilung dieser Hypo­these soll nicht darauf abgestellt werden, wie ein vernünftiger und beson­nener Patient nach erfolgter Aufklärung entschieden hätte, massgebend soll vielmehr sein, «wie sich der in Frage stehende Patient unter den konkreten Umständen verhalten hätte»306. Allerdings ist es nach Auffassung des BGer Sache des Patienten, glaubhaft zu machen oder wenigstens zu behaupten, aus welchen (v.a. persönlichen) Gründen er auch nach gehöriger Aufklä­rung den Eingriff abgelehnt hätte307. Äussert sich der Patient dazu nicht, so ist nach Ansicht des BGer letztlich dennoch nach objektiviertem Massstab

302 Dies ergibt sich aus der Verweisung von OR 99 III auf das Deliktsrecht, von welcher auch OR 43 erfasst wird (vgl. OR-WIEGAND, Art. 99 N 18).

303 BGE 117 Ib 206 ff. mit Hinweisen auf die Entwicklung der bundesgerichtlichen Rsp. u. ausführlicher Auseinandersetzung mit den in der Lehre vertretenen Auffassungen.

304 Bereits in BGE 108 II64. 305 BGE 1171b 208. 306 So BGE 117 Ib 209. Begründet wird die Bezugnahme auf den konkreten Patienten u.

dessen subjektive Einstellung mit der herausragenden Bedeutung des Selbstbestimmungs­rechts; dieses Abstellen auf den individuell-konkreten Massstab entspricht der hier gene­rell vertretenen Position, vgl. insb. II 2 c cc.

307 Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Behauptungslast im Sinne des Zivil­prozessrechts. Zu behaupten sind anspruchsbegründende Tatsachen nur von der beweis­pflichtigen Partei (WALDER-BOHNER § 28 N 28). Obwohl Kläger, ist der Patient bezüglich der Nichteinwilligung nicht beweispflichtig aufgrund der gesetzlichen Vermutung der Nichteinwilligung bei Eingriffen in die köperliche Integrität gem. ZGB 28 (so auch BUCHER, Diss. 101). Vielmehr ist es am Arzt, diese Vermutung durch den Gegenbeweis der hypo­thetischen Einwilligung zu beseitigen. Wenn das BGer vom Patienten verlangt, glaub­haft zu machen oder wenigstens zu behaupten, dass er aus persönlichen Gründen nicht eingewilligt hätte, darf dies daher nicht so verstanden werden, dass ihm eine Beweislast auferlegt werde. Hingegen kann der Richter ein diesbezügliches Schweigen des Patien­ten im Prozess wie jedes Parteiverhalten im Rahmen der Beweiswürdigung für seine Meinungsbildung heranziehen.

184 Wiegand

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Schadenersatz und Genugtuung

zu entscheiden; es ist zu prüfen, ob die Ablehnung des Eingriffs «vom Stand­punkt eines vernünftigen Patienten aus unverständlich gewesen wäre»308.

Gelingt es dem Arzt zu beweisen, dass der konkrete Patient auch bei umfassender Aufklärung eingewilligt hätte, trifft ihn keine Schadenersatz­pflicht309. Scheitert der Beweis, so hat aufgrund der bundesgerichtlichen Beweislastverteilung der Arzt die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen und wird schadenersatzpflichtig.

b) Genugtuung

Neben dem Schadenersatz schuldet der Arzt eine Genugtuung310, so­fern die Körperverletzung beim Verletzten zu einer immateriellen Unbill, d.h. zu einer mehr als geringfügigen Beeinträchtigung des Wohlbefindens geführt hat311. Verursachte die Tötung des Patienten bei den Hinterbliebe­nen immateriellen Schaden, ist ihnen Genugtuung geschuldet312.

Nur Genugtuung ist geschuldet, wenn der eigenmächtig vorgenom­mene Eingriff erfolgreich war. In dieser Konstellation kommt ein Schaden­ersatzanspruch mangels Vorliegens eines Schadens nicht in Betracht; der deliktische Genugtuungsanspruch stützt sich dann auf eine direkte, der ver­tragliche auf eine analoge Anwendung von OR 49313; dieser gewährt im Falle einer rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts einen Ge­nugtuungsanspruch unter der Voraussetzung, dass die «Schwere der Verlet-

308 BGE 1171b 209. 309 Zu diesem Ergebnis gelangt man unabhängig davon, ob die Frage der hypothetischen

Einwilligung als Glied in der Kette des Kausalzusammenhangs oder des Rechts­widrigkeitszusammenhangs eingeordnet wird. Auf diese rein dogmatische Frage, wel­che auch vom BGer mangels praktischer Auswirkungen nicht zugunsten der einen oder anderen Theorie entschieden wurde, ist deshalb hier nicht näher einzugehen. Zur aus­fuhrlichen Auseinandersetzung mit beiden Auffassungen vgl. etwa BGE 117 Ib 207 f.

310 Der Genugtuungsanspruch besteht (auch) auf vertragsrechtlicher Grundlage qua der Ver­weisung von OR 99 III. Diese erfasst auch die Genugtuungsnorm von OR 47. Vgl. dazu etwa OR-WIEGAND, Art. 99 N 20.

311 Vgl. z.B. OR-SCHNYDER, Art. 47 N 6. 3,2 Hier nun allerdings nicht gestützt auf Vertragsrecht (unter analoger Anwendung von OR

47), sondern direkt gestützt auf Deliktsrecht. 313 Die Verweisung von OR 99 III betrifft auch die Genugtuung gem. OR 49 (vgl. OR-

WIEGAND, Art. 99 Abs. 3 N 21; BUCHER OR AT 349: GAUCH/SCHLUEP N 2798; BGE 116 II 520 f.). Auch dieser Genugtuungsanspruch beruht mithin auf vertraglicher Grundlage (da Schadenersatz i.w.S. auch Genugtuung einschliesst; so BÜCHER OR AT 349).

Wiegand 185

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Die Aufklärungspflicht

zung» dies rechtfertigt314. Auch hier muss den Arzt ein Verschulden tref­fen315.

3. Problematik von Schadenersatz und Genugtuung wegen Verletzung der Aufklärungspflicht

a) Schadenersatz wegen Verletzung der Aufklärungspflicht

Nach der Praxis des BGer wie auch derjenigen des deutschen BGH316

haftet der Arzt, der einen Eingriff ohne Einwilligung des genügend aufge­klärten Patienten vornimmt, für allen infolge Misslingens der Operation entstandenen Schaden, auch wenn ihm kein Kunstfehler vorgeworfen wer­den kann317. Diese Rsp. wurde von einem Teil der Lehre kritisiert™. Zum einen wird argumentiert, dass der ex ante indizierte eigenmächtige ärztli­che Eingriff prinzipiell nicht als Körperverletzung zu qualifizieren sei, son­dern bloss als Delikt gegen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten319.

Anderseits wird die Auffassung vertreten, dass die Aufklärungspflicht bloss dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts, nicht aber dem der körper­lichen Integrität des Patienten diene320. Folgt man dieser Ansicht, entfällt eine Ersatzpflicht für den beim nichtkonsentierten Eingriff entstandenen Körperschaden, da der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der feh­lerhaften Aufklärung und dem Schaden fehlt321.

314 Auch nach der revidierten Fassung von OR 491 muss es sich um eine besonders schwere Verletzung handeln. Je hochwertiger das verletzte Rechtsgut ist, desto schwerer wiegt die Verletzung (vgl. zum Ganzen BK-BREHM, Art. 49 N 19 ff.). Da durch den eigen­mächtigen Heileingriff auch bei dessen Gelingen massiv in das Selbstbestimmungsrecht (als privatrechtliche Konkretisierung des Grundrechts der Persönlichen Freiheit) des Menschen über den höchstpersönlichen Bereich der körperlichen Integrität eingegriffen wird, wird der nichtkonsentierte invasive Eingriff in der Regel eine besonders schwere Verletzung darstellten.

315 Entgegen der früheren Fassung von OR 49 ist nicht mehr schweres Verschulden erfor­derlich, omnis culpa genügt (vgl. OR-SCHNYDER, Art. 49 N 6).

316 Vgl. BGH v. 10.2.1959 in NJW 1959, 825; BGH v. 22.2.1978 in NJW 1978, 1206. 117 Zur schweizerischen Judikatur vgl. IV 2 a aa. 318 Vgl. HONSELL oben 16 f. Für die deutsche Lehre insb. LAUFS, Arztrecht N 174 ff., mNw. 319 So LAUFS, Arztrecht N 174 ff.; EISNER 203 ff. 320 Z.B. LAUFS, Arztrecht N 540 f.; so noch WIECAND 114. 321 M.a.W: Da die Aufklärungspflicht die körperliche Integrität als verletztes Rechtsgut gar

nicht schützt, löst ihre Verletzung keine Schadenersatzpflicht aus (so noch WIECAND 114; HONSELL oben 17 u. ZSR 1990 I 145 f.; EISNER 213 f.).

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Schadenersatz und Genugtuung

Trotz dieser Kritik in der Lehre hielt das BGer mit überzeugender322

Begründung an seiner Rsp. fest323. Für die Praxis ist infolgedessen jeden­falls von dieser Konzeption auszugehen.

b) Aufklärungspflichtverletzung und Genugtuung

Auf einige dogmatische Besonderheiten der infolge einer Aufklä­rungspflichtverletzung geschuldeten Genugtuung wurde in der bisherigen Literatur zum Arztrecht nicht eingegangen.

Nach h.L. und der Gerichtspraxis schuldet der Arzt, welcher einen eigenmächtigen, d.h. nicht auf genügend aufgeklärter Einwilligung basie­renden Eingriff vornimmt, bei dessen Misslingen neben dem Schadener­satz auch Genugtuung324. Bei genauer Betrachtung handelt es sich dabei um einen Genugtuungsanspruch aus zwei verschiedenen Gründen. Einer­seits erleidet der Patient eine moralische Unbill, weil seine körperliche In­tegrität geschädigt wird (z.B. Invalidität oder chronische Schmerzen nach dem misslungenen Eingriff). Anderseits wird der Patient durch den eigen­mächtigen Eingriff in seinem Selbstbestimmungsrecht (über die körperli­che Integrität) verletzt, was bei entsprechender Schwere der Beeinträchti­gung325 ebenfalls einen Genugtuungsanspruch entstehen lässt.

Gelingt der eigenmächtige Eingriff, ist zwar auch eine Genugtuung geschuldet; diese beruht jedoch nur auf einer Verletzung des Persönlich­keitsrechts.

Wie der Schadenersatz lässt sich die Genugtuung infolge der Beein­trächtigung der körperlichen Integrität wie auch infolge der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts auf ausservertragliche und vertragliche Grundla­ge abstützen. Da im privatrechtlichen Arzt-Patientenverhältnis in aller Re-

An meiner früher vertretenen gegenteiligen Auffassung halte ich nicht mehr fest. Da allein der Inhaber des Rechtsgutes befugt ist, über den Zweck eines Eingriffs zu entscheiden, kann der von einem Dritten, z.B. dem eigenmächtig handelnden Chirurgen, bestimmte Zweck, nichts an der Widerrechtlichkeit des Eingriffs ändern (so BGE 117 Ib 201). Die Aufklärungspflicht dient sowohl dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts wie auch der körperlichen Integrität, denn beides ist untrennbar miteinander verbunden (so BGE 117 Ib 201). Vgl. dazu umfassend oben I 2. Vgl. oben IV 2 b. Vgl. oben IV 2 b.

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Die Aufklärungspflicht

gel ein Vertrag vorliegt, wird der Patient seine Ansprüche gestützt auf den Vertrag geltend machen326.

c) Der Aufklärungsschaden

Bislang wurden Folgen fehlender oder ungenügender Aufklärung erörtet. Die Fehlerhaftigkeit der Aufklärung kann jedoch auch darin liegen, dass der Arzt zu vollständig und umfassend aufklärt und damit bei einem empfindlichen Menschen die Gesundheit schwerwiegend beeinträchtigt, bei diesem mithin ein sog. Aufklärungsschaden eintritt. Das BGer äusserte sich zur Voraussetzung des sog. therapeutischen Privilegs wie folgt327: «Die Auf­klärung darf keinen für ...(die) Gesundheit schädlichen Angstzustand her­vorrufen.»328 Mit diesem Entscheid wurde die in BGE 105 II 284 begonne­ne Rsp. weitergeführt329, welche dem Arzt relativ leicht das therapeutische Privileg einräumt330. Richtig betrachtet liegt darin eine sich aus dem Postu­lat der individuell-konkreten Aufklärung notwendigerweise abzuleitenden Begrenzung der Aufklärungspflicht. Da das Selbstbestimmungsrecht nicht seines Inhalts entleert werden soll, muss allerdings eine gewisse Beein­trächtigung des Gesundheitszustandes durch Offenbarung des Leidens und von Risken eines Eingriffs in Kauf genommen werden. Die Pflicht (und das Recht) zum Unterlassen einer vollumfänglichen Aufklärung hat der Arzt

Abgesehen von der längeren Verjährung (OR 127 statt 60) bietet das Vertragsrecht im Bereich der Hilfspersonenhaftung wesentliche Vorteile für den Patienten (OR 101 statt 55). Theoretisch ist auch die Beweislast bezüglich des Verschuldens im Vertragsrecht für den Patienten günstiger; da im Bereich des objetivierten Fahrlässigkeitsmassstabes das Verschulden jedoch stets gegeben ist, wenn einmal die unsorgfältige Auftragsausführung (d.h. die nicht gehörige Erfüllung) nachgewiesen ist, spielt dies in der Praxis eine geringe Rolle. In der Literatur wird die Möglichkeit des Arztes, unter bestimmten Voraussetzungen die Aufklärung zu unterlassen, unter dem vielfach kritisierten (vgl. GIESEN, medizinische Behandlung 163) Begriff «therapeutisches Privileg» abgehandelt. S. dazu umfassend oben II 3. So BGE 117 Ib 203. Man wirft dem Arzt eine zu umfassende Offenbarung etwa einer deprimierenden Diagnose oder extrem hoher Risiken vor; zu den Grenzen der Aufklä­rung vgl. umfassend oben II 3 sowie EISNER 183 ff. Kritisch dazu GIESEN, medizinische Behandlung 165 FN 377: «Wenn das Schweizer BGer ... betont, dass die Pflicht des Arztes zur Aufklärung jedoch nicht zur Beunruhigung des Kranken u. dazu da sei, den physischen u. psychischen Zustand des Patienten nachteilig zu beeinflussen oder den Erfolg der Behandlung zu beeinträchtigen, so kann dem im Bereich des Wie noch gefolgt werden, nicht aber im Bereich des Ob einer Aufklärung überhaupt.» Zum ganzen umfassend oben II 3.

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Schadenersatz und Genugtuung

mithin nur in Ausnahmesituationen, wenn «Anhaltspunkte für eine schwer­wiegende Schädigungsgefahr des konkreten Patienten» vorliegen331.

Bei derartigem Begrenzen oder Unterlassen der Aufklärung handelt es sich nicht um ein Privileg, sondern um eine Rechtspflicht des Arztes. Verletzt der Arzt diese Sorgfaltspflicht und führt dies zu einem Aufklärungs­schaden, liegt eine nicht- oder nichtgehörige Erfüllung des Auftrages vor, was bei Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen332 eine Schadener­satzpflicht gem. OR 97 auslösen kann333. Zu beachten ist, dass ein Aufklä­rungsschaden auch eintreten kann, wenn zuwenig behutsam aufgeklärt wur­de.

d) Mangelhafte Aufklärung und Honoraranspruch

Die korrekte Aufklärung des Patienten ist eine auftragsrechtliche Sorg­faltspflicht des Arztes. Die Sorgfalt ist dabei Bestandteil der Leistungs­pflicht334, denn zentrales Element jedes Mandats ist das sorgfältige Tätig­werden335, verstanden als Einheit. Dazu gehört, soweit ein Auftrag die Pflicht zum ärztlichen Eingriff umfasst, auch die korrekte Aufklärung und das Ein­holen der Einwilligung. Verletzt der Arzt diese Leistungspflicht, erfüllt er den Vertrag nicht oder nicht gehörig336. Der Patient schuldet deshalb das Honorar nicht oder nicht vollumfänglich337.

331 S. aber EISNER 185, welcher mit eingehender Begründung die Praxis zum therapeutischen Privileg als bereits «von ihrem Ansatzpunkt her verfehlt» betrachtet.

332 Nebst dem Verschulden ist erforderlich der adäquate Kausalzusammenhang; vgl. dazu etwa OR-WIEGAND, Art. 97 N 37.

333 Gem. OR 97. 334 So BUCHER OR BT 231; betr. Sorgfaltswidrigkeit vgl. etwa WEBER ZSR 1988 I 39 ff. 335 U. nicht das blosse Tätigwerden, zu welchem die Sorgfalt bloss als Nebenpflicht hinzu­

käme. Diese Begründung würde zu archaischen Ergebnissen führen; so ist es zweifellos eine Hauptpflicht des Chirurgen, den Eingriff nach den Regeln der Kunst, d.h. objektiv sorgfältig vorzunehmen; das blosse Tätigwerden, z.B. das Schneiden, kann nicht die Er­füllung der Hauptpflicht darstellen, zu welchem dann noch die Sorgfalt als Nebenpflicht hinzukommt; zu beachten ist aber, dass infolge der heutigen Interpretation der Leistungs-störungstatbestände (OR 97,197) die Abgrenzung zwischen Haupt- u. Nebenpflicht weit­gehend ohne Bedeutung ist, vgl. WIEGAND recht 1984. 15 f.

336 Je nach der Schwere der Sorgfaltswidrigkeit. Nimmt der Arzt einen Eingriff ohne Auf­klärung u. Einwilligung vor, so handelt er krass unsorgfältig; er war diesbezüglich untä­tig, es liegt mithin eine Nichterfüllung vor (vgl. zum Begriff der Nichterfüllung OR-WEBER, Art. 398 N 19). Bei untergeordneten Aufklärungsmängeln mag eine blosse Schlechterfüllung vorliegen.

337 Die Begründung dieses Ergebnisses ist insofern heikel, als die gesetzliche Ordnung des Auftragsrechts keine Norm enthält, welche die Folgen einer wesentlichen Pflichtverlet-

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Die Aufklärungspflicht

Unbedeutend ist diese Feststellung, wenn der Patient infolge der Nichterfüllung oder nichtgehörigen Erfüllung einen Schaden erleidet. Die Störung des Äquivalenzprinzips lässt sich diesfalls nämlich durch Scha­denersatz ausgleichen338. Entsteht dem Patienten hingegen kein ersatzfähi­ger Schaden, ist die oben erörterte Frage, ob der Honoraranspruch auch bei Nicht- oder Schlechterfüllung bestehe, praxisrelevant339.

V. Die Sicherungsaufklärung

1. Begriff und Grundlage

Unter Sicherungsaufklärung340 versteht man die Gesamtheit aller In­formationen, mit welchen der Patient zu einem dem Heilerfolg dienenden und allfälligen Nebenfolgen angepasstem Verhalten veranlasst wird341. Die Sicherungsaufklärung ist Teil der ärztlichen Heilbehandlung und erfolgt

zung für die Gegenleistung regelt. Anders z.B. im Kaufrecht die Wandelung resp. bei untergeordneten Mängeln die Minderung gem. OR 205 ff.; im Werkvertragsrecht ent­sprechende Rechtsbehelfe gem. OR 368. In analoger Anwendung dieser Normen sowie (im Falle der Nichterfüllung vgl. vorhergehende FN) gem. OR 82 (das entgeltliche Man­dat ist ein synallagmatischer Kontrakt) ist das Honorar nur teilweise resp. überhaupt nicht geschuldet. (Vgl. dazu ausführlich BK-FELLMANN OR 394 N 496 ff.). Vgl. BK-FELLMANN OR 394 N 504. Durch die Gewährung des positiven Vertragsinteresses wird der Geschädigte so gestellt, wie wenn der Vertrag richtig erfüllt worden wäre; «eine Minderung des Honorars erübrigt bzw. verbietet sich» (so FELLMANN, loc. cit.). Z.B. im Fall, wo ein Patient nicht darüber aufgeklärt worden war, dass ein bestimmter Eingriff u.U. zu Impotenz führt (vgl. «Der Bund» vom 14.7.1993, 19). In einem solchen Fall ist es möglich, dass kein Schaden im Rechtssinne vorliegt. Die erlittene immateriel­le Unbill würde zu einem Genugtuunganspruch, nicht aber zu einem Schadenersatzan­spruch führen. Häufig auch therapeutische Aufklärung genannt. Sie wurde vom BGer in BGE 116 II 519, 521 in Anlehnung an die deutsche Doktrin «eingeführt». Sie überschneidet sich in weiten Bereichen mit der Eingriffsaufklärung (dazu sofort im Text). Inwieweit ihr wirk­lich eigenständige Bedeutung zukommt, erscheint zumindest zweifelhaft. Im folgenden wird diejenige Konzeption zugrundegelegt, von der das BGer in BGE 116 II 519 ff. auszugehen scheint u. die damit für die schweizerische Praxis massgebend ist. Vgl. statt vieler etwa MAINARDI-SPEZIALI 94; s. auch oben I 4 b.

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Schadenersatz und Genugtuung

durch Mitteilung von Verhaltensregeln342. Sie ist vom Arzt im Rahmen der auftragsrechtlichen Pflicht zum sorgfältigen Tätigwerden im Interesse des Mandanten geschuldet343'344. Die Sicherungsaufklärungspflicht ist klar von der Eingriffsaufklärungspflicht zu unterscheiden. Ihrem Wesen und Inhalt nach entspricht sie den Beratungs- und Informationspflichten, welche bei der Mehrzahl der auftragsrechtlichen Verhältnisse anzutreffen sind345. Ih­rem Kern nach ist sie vertraglicher Natur346. Die Eingriffsaufklärungspflicht schafft dagegen erst die Voraussetzung für die Rechtmässigkeit des ärztli­chen Eingriffs. Sie dient dem Schutz der körperlichen Integrität und des Selbstbestimmungsrechts347.

2. Gegenstand und Inhalt

a) Gegenstand

Gegenstand der Sicherungsaufklärung ist die Information des Pati­enten; dieser soll einerseits zu einem dem Behandlungsziel dienenden Ver­halten angehalten und anderseits auf mögliche Gefahren aufmerksam ge­macht werden.

342 So u. ausführlich zu Wesen u. Natur der Sicherungsaufklärungspflicht MAINARDI-SPEZIALI 101.

343 Dies gilt selbstverständlich auch, wenn die Parteien diesbezüglich beim Vertragsschluss keine Absprachen getroffen haben, was gerade beim Mandat typisch ist (so WIEGAND 86). Diesfalls bestimmt sich Inhalt u. Umfang des Auftrags nämlich gem. der Auslegungs­regel von Art. 396 OR nach der Natur des zu besorgenden Geschäfts (WIEGAND. loc. cit.). Zur Natur des ärztlichen Heilauftrages gehört die Sicherungsaufldärung (vgl. statt aller LAUFS, Arztrecht N 163: «Die therapeutische Auflärung oder Sicherungsaufklärung bil­det einen wesentlichen Teil des ärztlichen Gesundheitsdienstes.»).

344 Die Sorgfalt ist Teil der geschuldeten Leistung selbst, vgl. dazu OR-WIEGAND. Art. 97 N 31. Ob sie als Haupt- oder Nebenpflicht zu qualifizieren ist. ist grundsätzlich u. v.a. bei den modernen Dienstleistungen problematisch. Ausführlich zur Sorgfalts- u. Treuepflicht bei Dienstleistungen WIEGAND recht 1990, 138 ff.

345 Diese leiten sich von der Interessenwahrnehmungspflicht des Mandataren ab u. sind im­mer dann von erhöhter Bedeutung, wenn zwischen den Vertragspartnern ein starkes Wissensgefälle vorhanden ist (sog. expert-client-Beziehung. s. oben II 3 a), was im Ver­hältnis zwischen Arzt u. Patient in besonderem Masse zutrifft.

346 Sie kann daneben auch noch auf die deliktsrechtliche Fürsorgepflicht abgestutzt werden (so RIEGER N 280). , .. , , ,

347 Die beiden Aufklärungsarten unterscheiden sich zudem ganz elementar bezüglich der Folgen, welche sie bei fehlerhafter Aufklärung auslösen.

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Die Aufklärungspflicht

b) Inhalt

Der Arzt hat den Patienten zu informieren über den erhobenen Be­fund. Dabei sind die Krankheit oder Anfälligkeit und ihre Auswirkungen zu erläutern. Es ist eine Prognose über die wahrscheinliche Entwicklung des Leidens abzugeben. Ebenfalls im Rahmen der Sicherungsaufklärung ist der Arzt verpflichtet, die Möglichkeit bestimmter Behandlungsmassnahmen darzustellen und bei Indiziertheit zur Vornahme zu raten348. Weiter gehören zur Sicherungsaufklärung (und erst hier unterscheidet sie sich inhaltlich von der Eingriffsaufklärung) Informationen über erforderliche Einschrän­kungen nach Vornahme eines Eingriffs, Hinweise auf pünktliche und richti­ge Einnahme von Medikamenten, der Rat zu schonender Lebensweise oder zur Einhaltung einer Diät und dergleichen. Von praktischer Bedeutung im Rahmen der Gefahrenabwehr ist der Hinweis auf mögliche Risiken, die die Benutzung eines Motorfahrzeugs im Anschluss an eine Behandlung oder bei der Einnahme von bestimmten Medikamenten mit sich bringen kann.

3. Umfang

Der Arzt hat dem Patienten soviele Informationen zu erteilen, wie dies zur Erreichung eines dem Heilzweck dienenden Verhaltens und zur Abwendung von Gefahren erforderlich ist. Der Umfang der Aufklärungs­pflicht geht dabei erheblich weiter als bei der Eingriffsaußlärung^9. Was einem vernünftigen Menschen nach der allgemeinen Lebenserfahrung of­fensichtlich geläufig ist, braucht jedoch nicht erwähnt zu werden350, es sei denn, der konkrete Patient bedürfe erkennbarerweise auch solcher Hinwei-

Insoweit deckt sich die Sicherungsaufklärung mit der Diagnose- u. Verlaufsaufklärung, sie verfolgt aber ein anderes Ziel. So auch LAUFS, Arztrecht N 166. Der Grund dafür liegt darin, dass die Gefahr, die Ge­sundheit des Patienten durch belastende Hinweise schwer zu beeinträchtigen, bei der therapeutischen Aufklärung kaum besteht; dies trifft so allerdings nur bezüglich der di­versen Verhaltensanweisungen zu. Wie bei der Eingriffsaufklärung hängt auch bei der Sicherungsaufklärung der Umfang mithin vom Erfahrungs- u. Bildungsstand des Patienten ab; da (wie bei der Eingriffsauf­klärung, vgl. oben II5 a cc) ein Irrtum über die tatsächlichen Vorkenntnisse des Patienten u. damit über den erforderlichen Umfang der Aufklärung zu Lasten des Arztes geht, wird dieser gut daran tun, auch bei vermeintlich erfahrenen Patienten eine umfassende Sicher­ungsaufklärung zu erteilen.

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Beweisfragen der Aufklärung

se. Umgekehrt trifft in besonderen Verhältnissen den Patienten eine Mit-wirkungsobliegenheit35'.

4. Verletzung der Sicherungsaufklärungspflicht

Kommt der Arzt seiner Pflicht zur Sicherungsaufklärung nicht nach, so wenn er z.B. gebotene Verhaltensmassregeln nicht erteilt, liegt ein ei­gentlicher Behandlungsfehler vor352. Beweisrechtlich gilt denn auch für die fehlende oder fehlerhafte Sicherungsaufklärung dasselbe wie für den klas­sischen Behandlungsfehler. Die Beweislast für das Vorliegen der Verlet­zung der Sicherungsaufklärungspflicht als nicht- oder nichtgehörige Erfül­lung des Auftrages obliegt dem Patienten353.

VI. Beweisfragen der Aufklärung

1. Beweislast

a) Beweislast und Beweisführungslast

Die Regeln über die Beweislast\<erteilung beantworten die Frage, wer die Folgen der Beweislosigkeit von rechtserheblichen Tatsachen zu tragen hat, d.h. wer den Prozess bei Beweislosigkeit verliert354. Die Beweisfüh-

351 So hat z.B. der Patient, welcher eine Hochgebirgstour plant, von sich aus den Arzt nach allfälligen Folgen der veränderten Druckverhältnisse auf die Wirkungsweise ihm verschriebener Medikamente zu befragen.

352 So statt aller MAINARDI-SPEZIALI 101; GIESEN. medizinische Behandlung 70: LAUFS, Arzt­recht N 167. Zwei Bsp. aus der Judikatur: Die falsche Beratung der Mutter wahrend der Frühschwangerschaft über Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik kann einen Anspruch der Eltern gegen den Arzt auf Ersatz von Unterhaltsaufwendungen für das mit Behinde­rungen geborene Kind begründen. (BGH. Urteil vom 22.11.1983 in NJW 1984. 658 fT; vgl. zur Haftung für fehlerhafte pränatale Diagnostik MAINARDI-SPEZIALI 142 If.). In BGfc 116 II 519 ff. unterliess es die Arztgehilfin, über Risiken einer Dehydration sowie die Erforderlichkeit einer ärztlichen Behandlung aufzuklären.

353 Der Auftraggeber hat den Schaden, die Nicht- oder nichtgehörige Erfüllung, d.h. hier die Sorgfaltswidrigkeit sowie den adäquaten Kausalzusammenhang zu beweisen. Hinsicht­lich der Adäquanz genügt der Wahrscheinlichkeitsbeweis. Der Beauftragtchat zu bewei­sen, dass ihn kein Verschulden trifft, vgl. dazu WIEGAND 96 ff. u. oben 182 ff.

354 So statt aller etwa KUMMER 137: HABSCHEID N 868 f.

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Die Aufklärungspflicht

rungslast besagt, wer den Beweis über eine bestimmte rechtserhebliche Tatsache zu führen hat. Dies ist regelmässig die beweisbelastete Partei355.

b) Der Arzt als Beweisbelasteter

aa) Nach h.L. und Gerichtspraxis trifft den Arzt bezüglich sämtlicher rechtserheblicher Tatsachen im Bereich der Eingrijfsaufklärung und der Eingriffseinwilligung die Beweislast und damit auch die Beweisführungs­last356. Der zivilrechtliche Grund für diese Beweislastverteilung liegt darin, dass die Nichteinwilligung in Eingriffe in die körperliche Integrität vermu­tet wird (gem. ZGB 28). Da erst die auf einer genügenden Aufklärung ba­sierende Einwilligung die Rechtswidrigkeit des ärztlichen Eingriffs aus-schliesst, hat der Arzt nicht nur die Einwilligung, sondern auch die Aufklärung zu beweisen357.

Dem Arzt obliegt mithin einmal der Beweis, dass er dem Patienten eine rechtsgenügliche Eingriffsaufklärung erteilt hat358. Begrenzt der Arzt den Aufklärungsinhalt, weil er dem Patienten nicht die volle Aufklärung zumuten kann und darf, trägt der Arzt die Beweislast dafür, dass tatsächlich Gründe vorlagen, welche die Aufklärungsbegrenzung erforderlich mach­ten359. Verzichtet der Patient im Rahmen des Zulässigen360 auf die Aufklä­rung, trifft den Arzt für das Vorliegen des Verzichts die Beweislast. Weiter hat der Arzt im Streitfall zu beweisen, dass der Patient in den Eingriff ein­gewilligt hat361. Im Falle einer Operationserweiterung obliegt dem Arzt die Beweislast, dass die Voraussetzungen für die zulässige Abänderung oder Erweiterung des konsentierten Operationsplanes vorlagen362. Wurde der Ein-

>' Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass die mit der Beweislast beschwerte Partei im Falle der Beweislosigkeit den Prozess verliert. Folglich hat (nur) sie ein Interesse, den Beweis zu führen.

56 Es handelt sich im folgenden um einen zusammenfassenden Überblick über die beweis­rechtlichen Probleme, die sich im Bereich der Aufklärung u. der Einwilligung ergeben. Im übrigen wird auf die jeweiligen beweisrechtlichen Erörterungen bei den entsprechen­den Abschnitten verwiesen.

i7 Vgl. zum Ganzen oben III 1 a. '* Den Arzt trifft dabei die Beweislast, dass die Aufklärung in jeder Hinsicht rechtsgenüglich

war, d.h. die an sie gestellten Anforderungen erfüllte. S. bezüglich Inhalt der Aufklärung II 2, bezüglich der einzuhaltenden Formalitäten II 5, insb. II 5 a dd.

i9 Ausführlich dazu oben II 3 b. ß Eine minimale Aufklärung ist unverzichtbar, s. umfassend oben II 6 b. •' S. dazu grundsätzlich III 1 b sowie auch II 5 c. ,: Zu den Gültigkeitsvoraussetzungen der Operationserweiterung s. oben III 3 a.

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Beweisfragen der Aufklärung

griff ohne rechtfertigende Einwilligung vorgenommen, weil die zugrunde­liegende Aufklärung ungenügend war, steht dem Arzt der Einwand der hy­pothetischen Einwilligung offen. Die Beweislast und damit die schwierige Beweisführung für die hypothetische Einwilligung obliegt dem Arzt363.

bb) In Anbetracht dieser Beweislastverteilung ist es für den Arzt von zen­traler Bedeutung, im Hinblick auf evtl. prozessuale Auseinandersetzungen Beweismittel zu sichern, mit welchen er der ihm obliegenden Beweisfüh­rungslast nachkommen kann. Entsprechend der hier vertretenen Position sind die ausführliche Dokumentation des Aufklärungsgesprächs sowie der Vermerk der Einwilligung in der Krankengeschichte die geeignetsten Be­weismittel. Wie oben364 ausgeführt, ist dabei Ort und Zeitpunkt der Aufklä­rung, die Person des Aufklärenden, der Gesprächsgegenstand sowie das Datum der Erstellung des Vermerks zu dokumentieren. Werden Aufklärungs­formulare verwendet, entfällt die Dokumentationspflicht bezüglich der dem Patienten auf diese Weise vermittelten allgemeinen Informationen.

Eine sehr detaillierte Dokumentation ist beim Aufklärungsverzicht und bei der Operationserweiterung erforderlich. Höchsten Anforderungen hat die Beweisform im Falle eines Heilversuchs und eines Humanexperi­ments zu genügen; eine schriftliche Aufklärungs- und Einwilligungsbestä­tigung des Patienten ist hier zu empfehlen.

c) Der Patient als Beweisbelasteter

Die Sicherungsaußlärung ist Teil der eigentlichen ärztlichen Heil­behandlung. Erfolgt sie mangelhaft, liegt ein Behandlungsfehler vor. wofür der Patient die Beweislast trägt365.

Vgl. dazu ausführlich oben IV 2 a bb. S. II 5 a dd. . . Dies ergibt sich aus der allgemeinen Regel, dass der Gläub.ger die Nicht- oder nicht­gehörige Erfüllung des Vertrages zu beweisen hat, will er Schadenersatz beanspruchen; vgl. dazu ausführlich oben V, insb. V 4. Die Zulässigke.t dieser Beweislastverteilung insb. auch unter Berücksichtigung der (allerdings in ihrer allgemeinen Form überhöhen | Parömie «negativa non sunt probanda» ist differenziert zu beurteilen. So kann dem Pati­enten, welcher behauptet, vom Arzt keinen Hinweis erhalten zu haben, dass Fuhren ei­nes Motorfahrzeugs zu unterlassen, der diesbezügliche Negativbeweis nicht zugemutet werden. In einer solchen Konstellation trifft den Arzt als Bewe.sgegner die Pflicht, bei der Erstellung des Sachverhalts mitzuwirken. Zur Problematik des Beweises negativer Tatsachen vgl. etwa HABSCHEID N 880.

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Die Aufklärungspflicht

VII. Die Dokumentationspflicht

1. Rechtsgrundlagen der Dokumentationspflicht

Je nach der Rechtsnatur des Behandlungsverhältnisses zwischen Pa­tient und Arzt oder Krankenhaus beurteilt sich die Frage der Dokumentati­onspflicht des Arztes nach den Normen des Bundesprivatrechts oder des kantonalen öffentlichen Rechts. Das Behandlungsverhältnis zwischen Pati­ent einerseits und freipraktizierendem Arzt oder privatem Krankenhausträ­ger andererseits unterliegt in der Regel dem Vertragsrecht des OR, dasjeni­ge zwischen Patient einerseits und öffentlich-rechtlichem Krankenhausträger und dort besoldeten Ärzten andererseits kantonalem öffentlichen Recht366.

a) Öffentliches Recht

Die meisten Kt. kennen keine ausdrücklichen gesetzlichen Normen über die Dokumentationspflicht an öffentlichen Krankenhäusern. Einige Kt. haben dagegen die Dokumentationspflicht in neueren Erlassen auf Geset­zes- und Verordnungsstufe ausdrücklich geregelt. Im folgenden werden exemplarisch die Normierungen der Kt. Zürich und Bern dargestellt. Rege­lungen anderer Kt. werden ergänzend herangezogen367.

So hat zwar das zürcherische Gesundheitsgesetz (GG/ZH) von 1962368

weder die Dokumentationspflicht noch die Patientenrechte generell gere-

Vgl. dazu oben KUHN 1. Kap. I u. IV. So das Gesundheitsgesetz/AG v. 10.11.1987 (AGS Bd. 12 S. 553 ff., zit. «GG/AG») u. das Dekret über die Rechte u. Pflichten der Krankenhauspatienten (PatD) v. 21.8.1990 (AGS Bd. 13 S. 283 ff., zit. «PatD/AG»), das Spitalgesetz/BS v. 26. März 1981 (SG 330.100, zit. «SpG/BS») u. die VO dazu (SG 330.110, zit. «SpV/BS»), das Gesundheits-gesetz/LU v. 29. Juni 1981 (SLR Nr. 800, zit. «GG/LU») u. die VO über die kantonalen Heilanstalten (SLR Nr. 820, zit. «HV/LU»), die VO über die Ausübung der medizini­schen Berufe/SG v. 10. November 1981 (sSG 312.0, zit. «MBV/SG») u. die VO über die medizinische u. betriebliche Organisation der kantonalen Spitäler, psychiatrischen Kli­niken u. Laboratorien (Spitalorganisationsverordnung) (sSG 321.11, zit. «SpV/SG»), das Gesundheitsgesetz/TI v. 18. April 1989 (Legge sulla promozione della salute e il coordinamento sanitario (Legge sanitaria) del 18 aprile 1989, RL 5/185, zit. «GG/TI») u. das Gesundheitsgesetz/VD v. 29. Mai 1985 (loi sur la sante' publique, LSV 5.1, zit. «GG/ VD»). Zürcherisches Gesetz über das Gesundheitswesen (Gesundheitsgesetz) v. 4. November 1962, ZGS 810.1.

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Die Dokumentationspflicht

gelt. Mit der Teilrevision von 1987 wurde der Regierungsrat in § 42a GG/ ZH aber beauftragt «die Rechte und Pflichten des Patienten in den staatli­chen und vom Staat unterstützten Krankenhäusern durch Verordnung» zu regeln369. Die Patientenrecht\>erordnung von 199137° sieht in § 13 unter dem Marginale «Krankengeschichte» ausdrücklich vor: «Über jeden Patienten wird eine Krankengeschichte geführt.»371 Notwendiger Inhalt und Umfang der Krankengeschichte werden nicht ausdrücklich festgelegt. § 14 bis 16 regeln dagegen das Einsichtsrecht einlässlich (s. unten 3).

Das GG/Bern von 1984372 normiert die «Aufzeichnungspflicht» (so das Marginale von Art. 20 GG) bereits auf Gesetzesstufe ausdrücklich: «Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen, Chiropraktoren und Psychothe­rapeuten haben über ihre Berufstätigkeit fortlaufend Aufzeichnungen zu führen. Die Aufzeichnungen müssen das Wesentliche über ihre Feststellun­gen und Massnahmen enthalten.» (Art. 20 Abs. 1). Das PatD von 1989373

regelt auf Parlamentsverordnungsstufe in Art. 11 und 12 das Einsichtsrecht (s. unten 3).

b) Vertragsrechtliche Grundlagen

Privatrechtlich ergibt sich die Pflicht des Arztes, eine Heilbehand­lung zu dokumentieren, direkt aus OR 400 1. Danach liegt eine Hauptlei­stung des Beauftragten darin, den Auftraggeber über die Geschäftsführung aktiv und unaufgefordert zu benachrichtigen und ihm (passiv) auf Anfrage Auskunft zu erteilen374. Die Information muss rechtzeitig erfolgen und wahr­heitsgetreu und vollständig sein375. So hat namentlich der Arzt dem Patien­ten Auskunft zu erteilen über Gesundheitszustand, Krankheitsverlauf. Hei­lungschancen und -risiken einer Therapiemethode, Folgen und Kosten der

369 Ähnlich delegiert § 49 Abs. 2 GG/AG die Kompetenz zum Erlass der PatD/AG an den Grossen Rat, s. oben FN 67.

370 Zürcherische VO über die Rechte u. Pflichten des Patienten in staatlichen u. vom Staat unterstützen Krankenhäusern (Patientenrechtverordnung) v. 28. August 1991. ZGS 813.13 (zit.: PatRVO/ZH). . . „ , , , c^

371 Ähnlich § 16 Abs. 1 Satz 1 SpV/BS,§31 GG/LUu.§51 HV/LU. Art. 9 Abs. 1 MBV/SG u. Art. 62 Abs. 1 SpV/SG (s. oben FN 67).

372 Bernisches Gesundheitsgesetz v. 2. Dezember 1984. BGS 811.01. 373 Bernisches Dekret über die Rechte u. Pflichten der Patientinnen u. Patienten in öffentli­

chen Spitälern (PatD) v. 14. Februar 1989. 374 OR-WEBER, Art. 400 N 2. Die Dokumentationspflicht lässt sich im weiteren aut die allge­

meine Treue- und Sorgfaltspflicht abstützen. 575 Ebenda N 4.

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Die Aufklärungspflicht

Krankheit u.a.376 Daraus ergibt sich die Pflicht des Arztes, eine Dokumenta­tion zu erstellen, die es ihm ermöglicht, dieser Aufklärungspflicht nachzu­kommen377.

2. Gegenstand, Form und Umfang der Dokumentation

a) Insbesondere die Krankengeschichte

Herzstück medizinischer Dokumentation ist die Krankengeschichte. Das BGer geht konkludent von der Pflicht zur Führung einer Krankenge­schichte aus378, hat die Frage nach Mindestinhalt, Formerfordernissen und Beweiswert aber bisher ausdrücklich offengelassen379. Andererseits hat das Gericht in einem konkreten Aufklärungsdokumentationsfall die Kranken­geschichte in casu als «unter dem Gesichtspunkt der Beweistauglichkeit» ungenügend bezeichnet380. In BGE 113 II430 zitiert das BGer das Zürcher OGer, das davon ausgeht, dass der Arzt eine Krankengeschichte zu führen habe, «die sein Vorgehen und den Krankheitsverlauf» wiedergebe. Etwas präziser hält Art. 20 des GG/BE fest, dass die notwendigen Aufzeichnun­gen der Medizinalpersonen «fortlaufend» sein müssen und «das Wesentli­che über ihre Feststellungen und Massnahmen enthalten» müssen381. Gem. § 31 des GG/LU von 1981382 muss die Krankengeschichte «die Personalien des Patienten, die Diagnose, die Daten der Beratung und der Besuche, die verordneten oder verabreichten Medikamente und andere ärztliche Leistun­gen» enthalten.

Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass eine sorgfältige Krankenge­schichte in chronologischer Ordnung mindestens drei Elemente aufweisen muss: Erstens die Sachverhaltsfeststellungen des Arztes samt Anamnese, Krankheitsverlauf, persönlichem Umfeld des Patienten und differenzierter Diagnose, zweitens die angeordneten Therapieformen (zeitlich und quanti-

376 S. oben I u. II. 377 Davon geht offenbar auch BGE 113 II 430 aus, wenngleich hier nur die Ansicht der

Vorinstanz zitiert wird. 378 S. oben FN 377. 379 Vgl. insb. den jüngsten Entscheid BGE 117 Ib 204 f. 380 BGE 117 1b 205. 381 Art. 20 Abs. 1 Satz 2 GG/BE, s. oben FN 372. 382 S. oben FN 367.

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Rechtsgrundlagen der Dokumentationspflicht

tativ umschriebene Medikationen, Eingriffe mit Operationsberichten, phy­sikalische oder andere Therapieformen) und drittens Ablauf und Gegen­stand der Aufklärung des Patienten383.

Darüberhinaus muss die Krankengeschichte den generellen Anfor­derungen der auftragsrechtlichen Dokumentationspflicht genügen und insb. rechtzeitig384, wahrheitsgetreu und vollständig erstellt werden385.

Formal umfasst die Krankengeschichte nicht nur den eigentlichen, fortlaufend verfassten Text, sondern auch alle Zusatzdokumentem', wie etwa die Ergebnisse apparativer Untersuchungen (Röntgenbilder387, Laborbefun­de, EKG- und EEG-Befunde, Computertomogramme u.a.), Aufzeichnun­gen über diagnostische, therapeutische und pflegerische Tests und Mass­nahmen, spezielle Operationsberichte, Angaben von Drittpersonen und persönliche Notizen der Ärzte und des Pflegepersonals. Damit ist freilich noch nicht gesagt, welche Teile davon dem Einsichtsrecht des Patienten oder gar einer Herausgabepflicht unterliegen (s. unten 3).

b) Die Dokumentation der Auflclärungm

Die sorgfältige Aufklärung des Patienten ist wesentliche Vorausset­zung einer wirksamen Einwilligung des Patienten in einen Heileingriff. Demzufolge erstreckt sich die ärztliche Dokumentationspflicht neben den Sachverhaltsfeststellungen und den angeordneten Massnahmen wesentlich auch auf die Frage, ob überhaupt, wer, wann und in welchem Umfang den Patienten über Risiken des Krankheitsverlaufes und über Chancen und Ri­siken einer geplanten Heilbehandlung aufgeklärt hat.

Das BGer hält in einem jüngsten Entscheid lediglich fest, «dass es unter dem Gesichtspunkt der Beweistauglichkeit nicht (genüge), in der Kran­kengeschichte nur ganz allgemein zu vermerken, der Patient sei über die geplante Operation und ihre möglichen Komplikationen informiert wor-

183 S. unten b sowie ausführlich oben I - IV. 384 So ist in BGE 113 II430 das Zürcher OGer als Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen.

dass ein sieben Jahre nach dem Eingriff verfasster Operationsbericht «als blosse Partei­behauptung» zu qualifizieren sei.

385 S. oben FN 375. 386 Vgl. etwa die Aufzählung in § 14 PatRVO/ZH. s. oben FN 370. 387 Zu den zahnärztlichen Röntgenbildern vgl. die kantonalen Entscheide in AGVE 1987 -

40-50 u.ZR 1985, 144. 388 Dazu ausführlich oben I, II, insb. II 5 a dd.

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Die Aufklärungspflicht

den, wie es im vorliegenden Fall geschehen ist»389. Daraus ergibt sich zwei­erlei: - Einerseits betrachtet das BGer die Aufzeichnungen in der Krankenge­

schichte über die Aufklärung des Patienten als wesentliches Beweismit­tel in einem späteren Kunstfehlerprozess. Das Fehlen einer glaubwürdi­gen Dokumentation über eine hinreichende Aufklärung des Patienten in der Krankengeschichte bedeutet für den Arzt, der die Beweislast für Durchführung und Inhalt der Aufklärung trägt, ein erhebliches Prozess­risiko; denn nur in ganz seltenen Fällen wird es ihm gelingen (etwa durch Zeugen), den Beweis erfolgter Aufklärung zu erbringen.

- Andererseits stellt das Gericht an diese Aufzeichnungen offensichtlich inhaltliche oder formale Mindestanforderungen, die es aber in casu nicht definiert. Das Gericht lässt ausdrücklich offen, «ob es zweckmässig (sei), den Patienten ein Formular unterschreiben zu lassen, in welchem der genaue Inhalt der Aufklärung und die Einwilligung angegeben» würden390.

3. Das Einsichtsrecht und die Herausgabepflicht

Die Frage, inwieweit der Arzt verpflichtet ist, Feststellungen und Vorgänge zu dokumentieren, ist von der Frage zu trennen, ob und wie weit der Patient oder Dritte Anspruch darauf haben, Einsicht in diese Aufzeich­nungen zu nehmen oder gar Dokumente herauszuverlangen. Für die Beant­wortung der zweiten Frage sind im Einzelfall die Interessen des Patienten, des Arztes und allfällig beteiligter Dritter abzuwägen. Private und öffentli­che Einsichts- und Geheimhaltungsinteressen stehen sich in mannigfaltiger Weise gegenüber.

a) Rechte des Patienten

Im Auftragsrecht fliesst das Einsichtsrecht des Patienten in grund­sätzlich alle Unterlagen, die seine Behandlung betreffen, direkt aus der In­formationspflicht des Beauftragten, die eine Pflicht des Beauftragten, mit­hin auch des Arztes darstellt391. OR 400 verpflichtet den Arzt nicht nur, dem

,89 BGE 117 1b 205. ,(,° Ebenda; dazu ausführlich oben II 5. 1,1 S. oben 1 b.

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Gegenstand, Form und Umfang der Dokumentation

Patienten Einsicht in die Krankengeschichte zu gewähren, sondern auch, ihm bspw. Röntgenbilder und ähnliche Dokumente herauszugeben392.

Denselben Regeln folgen, wenn auch mit Differenzierungen, die kan­tonalen öffentlich-rechtlichen Normen. So hält die PatRVO/ZH klar fest, dass der Patient «Einsicht in die zur Krankengeschichte gehörenden Unter­lagen oder Kopien davon verlangen» kann393. Ausdrücklich eingeschlossen sind Ergebnisse apparativer Untersuchungen, wie Röntgenbilder u.a., Ope­rationsberichte, sowie eine ganze Reihe spezifizierter Dokumente394. Aus­drücklich keine Einsicht hat der Patient dagegen in «Angaben von nicht zum Krankenhaus gehörenden Drittpersonen»395 sowie in die «persönlichen Notizen der Ärzte und des Pflegepersonals»396. Streitfälle entscheidet die Gesundheitsdirektion397. Zudem hält die Verordnung fest, dass der Patient zwar von den einsichtsfähigen Dokumenten (gegen Gebühr398) Kopien ver­langen könne399, dass aber die Krankengeschichte Eigentum des Kranken­hauses bleibt400 und sich demzufolge die Herausgabepflicht offenbar nur auf Kopien, nicht aber Originaldokumente erstreckt401. Mit der Herausgabe von brauchbaren Kopien scheint aber dem Dokumentationsinteresse des Patienten hinreichend Genüge getan zu sein.

Ähnlich hält das PatD/BE fest, dass Patienten «nach mündlicher Aufklärung Anspruch auf vollständige und verständliche Auskunft über alle Daten, die ermittelt oder erzeugt werden», haben. «Auf Verlangen sind die

392 Vgl. zur Rsp. etwa AGVE 1987 - 40-50 u. ZR 1985, 144 (s. oben FN 387). zur Literatur BK-GAUTSCHI OR 400 N 7b; OTT 44; BK-FELLMANN OR 400 N 138.

393 § 14 Abs. 1 PatRV, s. oben FN 370, ähnlich § 27 Abs. 1 PatD/AG, § 17 Abs. 1 SpV/BS, Art. 22 GG/VD (s. oben FN 367). Art. 6 Abs. 3 GG/TI gibt dem Patienten zusätzlich das Recht auf Berichtigung von Fehlern in Krankengeschichte oder Zusatzdokumenten.

394 § 14 Abs. 1 lit. a - f. So auch Art. 6 Abs. 3 GG/TI (s. oben FN 367). 395 So auch Art. 6 Abs. 4 GG/TI (s. oben FN 367). 396 § 14 Abs. 2. Ähnlich schliessen § 27 Abs. 1 Satz 2 PatD/AG u. Art. 6 Abs. 4 GG/TI (s.

oben FN 367) die persönlichen Aufzeichnungen der Ärzte u. § 17 Abs. 2 SpV/BS auch des Pflegepersonals ausdrücklich vom Einsichtsrecht des Patienten aus.

397 So auch § 17 Abs. 3 SpV/BS (s. oben FN 367), wogegen gem. Abs. 4 in einem nicht­staatlichen Spital vorerst deren Direktion u. dann der Zivilrichter anzurufen sind.

398 § 14 Abs. 4. 399 Im gleichen Sinne § 27 Abs. 3 PatD/AG (s. oben FN 367). 400 § 13 Abs. 1 Satz 2. So auch § 16 SpV/BS (s. oben FN 367), der zusätzlich eine zehnjäh­

rige Aufbewahrungspflicht für Krankengeschichten u. Röntgenbilder u. eine zweijährige für Laborbefunde statuiert. § 62 Abs. 2 Satz 2 SpV/SG statuiert sogar eine zwanzigjähri­ge Aufbewahrungspflicht für Krankengeschichten.

401 Dagegen hat der Patient gem. Art. 22 GG/VD (s. oben FN 367) das Recht, sich Röntgen­bilder u. andere Dokumente, die einer späteren Behandlung dienen können, aushändigen zu lassen.

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Die Aufklärungspflicht

Unterlagen zur Einsicht vorzulegen und zu erläutern»402. Das Einsichts­recht kann eingeschränkt werden bei Aufzeichnungen, die Ärzte »ausschlies­slich zu ihrem persönlichen Gebrauch angefertigt haben» oder wenn «be­sonders schützenswerte Interessen Dritter dies erfordern»403. Aus dem Umstand, dass Kopien gebührenpflichtig sind404, ergibt sich indirekt, dass auch im Kt. Bern ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien, nicht aber auf die Herausgabe von Originalen, aller Dokumente besteht.

Wesentlich restriktiver ist dagegen die SpV/SG von 1980, die fest­hält: «Der Chefarzt kann Krankengeschichte und andere medizinische Un­terlagen ... dem Patienten, seinem gesetzlichen Vertreter oder Dritten zur Einsicht überlassen, soweit sie ein berechtigtes Interesse nachweisen»405.

b) Einsichtsrecht Dritter

Träger von Einsichts- und Herausgaberechten ist grundsätzlich nur der Patient selber. Die auftragsrechtliche Diskretions- und Geheimhaltungs­pflicht, sowie das öffentlichrechtliche (und strafrechtlich geschützte) Be­rufsgeheimnis verbieten es dem Arzt, seine Informationen aus dem Auf­tragsverhältnis mit dem Patienten Dritten ohne Einwilligung des Patienten weiterzugeben406. Dritte haben mithin kein Einsichtsrecht in die Kranken­geschichte eines Patienten und kein diesbezügliches Auskunftsrecht.

Auch Angehörige und Ehegatten fallen unter diesen Ausschluss. Wenn der Patient keine Einwilligung erteilt, ist der Arzt nicht berechtigt, ihnen Auskünfte zu erteilen. Wenn der Patient nicht mehr verfügungsfähig ist, genügt allerdings die mutmassliche Einwilligung des Patienten. Dabei sind generell die für die Aufklärung entwickelten Regeln entsprechend anzuwen­den407.

Das kantonale öffentliche Recht hat hier verschiedene Differenzie­rungen vorgenommen. Die PatRVO/ZH hält zwar auch am Grundsatz fest, dass Auskünfte an Dritte nur mit Einverständnis des Patienten erteilt wer-

402 Art. 11 Abs. 1 PatD/BE, s. oben FN 373. 403 Art. 11 Abs. 2. 404 Art. 11 Abs. 3. 405 Art. 62 Abs. 3 SpV/SG (s. oben FN 367). Diese Bestimmung steht zu den zivilrechtlichen

wie zu den verfassungsrechtlichen Regeln, die dem Patienten Einsichtsrechte gewähren, in Widerspruch. Inwieweit sie einer Überprüfung standhalten würde, ist fraglich.

406 S. oben 1. Kap. 12 j . 407 S. oben II 6 a ee; IV 2 a bb.

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Das Einsichtsrecht und die Herausgabepflicht

den dürfen408. Allerdings wird unabhängig vom Gesundheitszustand des Pa­tienten sein «Einverständnis ... für Auskünfte an die nächsten Angehörigen sowie an den gesetzlichen Vertreter vermutet»409. Als nächste Angehörige gelten zudem auch Personen, die mit dem Patienten in Lebensgemeinschaft stehen, wobei bei übereinstimmender Wohnandresse eine Lebensgemein­schaft angenommen werden darf410.

Etwas zurückhaltender formuliert das PatD/BE, dass «Auskünfte an Angehörige, den Patientinnen und Patienten nahestehende oder weitere Personen ... nur mit ihrer, allenfalls stillschweigenden Zustimmung und in ihrem Interesse gegeben werden» dürfen4". Eine Einwilligungsvermutung für nahe Angehörige wird nicht ausdrücklich statuiert.

c) Datenschutzprobleme

Die auftragsrechtliche Diskretionspflicht sowie das öffentlichrecht­liche Berufsgeheimnis verbieten es dem Arzt, Informationen aus dem Auf­tragsverhältnis mit dem Patienten weiterzugeben. Dies gilt grundsätzlich auch für die Weitergabe von Informationen an statistische Stellen und Wis­senschaftler.

Allerdings haben Rsp. und kantonales öffentliches Recht bei über­wiegendem öffentlichen Interesse Einschränkungen des Datenschutzan­spruchs des Patienten zugelassen.

So hat das Aargauer OGer die Verletzung des Amtsgeheimnisses durch einen Spitalarzt verneint, der gestützt auf eine Krankengeschichte das Da­tenerfassungsblatt der Vereinigung schweizerischer Krankenhäuser (VES-KA) ausgefüllt und ans Inselspital Bern zur Erfassung weitergeleitet hat­te412. Das PatD/AG von 1990 lässt die Verwendung und Bearbeitung von anonymisierten Daten «für wissenschaftliche und Planungszwecke» aus­drücklich auch ohne die Zustimmung des Patienten zu413. Gem. der HAV/ LU von 1985 kann der Chefarzt sogar generell «die Krankengeschichte und andere medizinische Unterlagen zur wissenschaftlichen Auswertung oder für Gutachten freigeben»414. Das Bundesamt für Justiz entschied 1982,

408 § 15 Abs. 1 Satz 1 PatRV, s. oben FN 370. So auch § 46 Abs. 1 HAV/LU (s. oben FN 367). 409 § 15 Abs. 1 Satz 2. So auch § 46 Abs. 1 HAV/LU (s. oben FN 367). 410 § 15 Abs. 2. 411 Art. 12 Abs. 2 PatD/BE, s. oben FN 373. 412 SJZ 1984, 146. 413 § 26 Abs. 2 PatD/AG (s. oben FN 367). 414 § 51 Abs. 3 LU HAV (s. oben FN 367).

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Die Aufklärungspflicht

dass für die Zulässigkeit der Mitteilung personenbezogener Patientendaten zur Errichtung eines Krebsregisters eine ausdrückliche gesetzliche Grund­lage erforderlich sei415.

Die PatRVo/ZH macht unter dem Auskunftsverbot an Dritte einen ausdrücklichen Vorbehalt für Auskünfte «zum Zwecke der Forschung oder aufgrund besonderer Meldepflichten oder -befugnisse»416 und verleiht dem Chefarzt die Kompetenz, «über die wissenschaftliche Ausweitung der Kran­kengeschichten» zu entscheiden417. Das PatD/BE macht einen ähnlichen Vorbehalt für «Auskünfte aufgrund besonderer Meldepflichten und Mel­derechte»418.

Auf Bundesebene sind zudem die Regeln des am 1. Juli 1993 in-kraftgetretenen Datenschutzgesetzes vom 19. Juni 1992419 sowie der Da­tenschutzverordnung vom 14. Juni 1993420 zu beachten.

4. Folgen unterbliebener oder unvollständiger Dokumentation

Weder das Auftragsrecht noch das kantonale öffentliche Recht knüp­fen unmittelbare materielle Rechtsfolgen an das Unterlassen einer ordnungs­gemässen Dokumentation. Führt der Arzt keine oder eine mangelhafte Do­kumentation über Diagnose, Behandlung und Aufklärung des Patienten, können die rechtlichen Konsequenzen dennoch gravierend sein, denn es ist davon auszugehen, dass der Arzt in allen Bereichen, in denen eine Doku­mentationspflicht besteht, im Falle des Unterlassens einer ordnungsgemäs­sen Dokumentation die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen hat.

So hat das BGer in einem jüngsten Entscheid festgestellt, dass in casu der generelle Vermerk in einer Krankengeschichte, der Patient sei über die geplante Operation und die möglichen Komplikationen informiert wor­den, «unter dem Gesichtspunkt der Beweistauglichkeit nicht (genüge)»421.

415 VPB 1982, 183. 416 § 15 Abs. 3 PatRV, s. oben FN 370. 417 § 13 Abs. 2 Satz 1. 418 Art. 12 Abs. 3 PatD, s. oben FN 373. 419 AS 1993, 1945 ff. 4211 AS 1993, 1963 ff. 421 BGE 117 1b 205, s. oben 2 a.

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Das Einsichtsrecht und die Herausgabepflicht

Dem Arzt wird mithin der Beweis, dass er den Patienten ordnungsgemäss aufgeklärt hat, misslingen, da die vorliegende Aufklärungsdokumentation ungenügend ist. Allerdings hat er die Möglichkeit, diesen Beweis mit ande­ren Beweismitteln (z.B. mit Zeugen) zu erbringen, deren Beweis wert im Vergleich zu einer ordnungsgemässen Krankengeschichte allerdings frag­lich sein kann.

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Die Aufklärungspflicht

Anhang 1 Bundesgerichtsentscheide zur ärztlichen Aufklärungspflicht

BGE 1171b 197ff.

Urteil vom 28. Mai 1991 i.S. S. C. gegen Kt. A. Pra 1993,104 ff. (Originaltext deutsch)

Staatshaftung für spitalärztliche Tätigkeit; Aufklärungspflicht des Arztes.

1. Ein zu Heilzwecken vorgenommener ärztlicher Eingriff in die körperliche In­tegrität des Patienten ist widerrechtlich, sofern nicht ein Rechtfertigungsgrund -insb. die Einwilligung des ausreichend aufgeklärten Patienten - vorliegt. Da die ärztliche Aufklärungspflicht sowohl dem Schutz der freien Willensbildung des Pa­tienten wie auch dem Schutz seiner körperlichen Integrität dient, besteht im Fall ihrer Verletzung nicht nur eine Ersatzpflicht für immateriellen, sondern auch für anderen Schaden (E. 2).

2. Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht: Allgemeine Grundsätze und Fest­stellung, dass der Patient im beurteilten Falle nicht ausreichend aufgeklärt worden ist (E. 3 u. 4).

3. Zulassung des Einwandes der hypothetischen Einwilligung des Patienten; Be­weislast (E. 5). In casu: Laminektomie; vollständige schlaffe Lähmung beider Beine als Operati­onsfolge.

BGE 11611519 ff.

Urteil vom 23. Oktober 1990 i.S. B. H. u. J. H. gegen L. Pra 1991,349 ff. (Originaltext deutsch)

Haftpflicht des Arztes, Genugtuung (OR 49).

2. Aufklärung des Patienten als Vertragspflicht des Arztes (E. 3). In casu: Dehydration eines einjährigen Kindes; schwere Hirnschäden und dauern­de Pflegebedürftigkeit infolge mangelnder therapeutischer Aufklärung des Kin­derarztes.

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Bundesgerichtsentscheide zur Aufklärung

BGE 1151b 175 ff.

Urteil vom 17. Mai 1989 i.S. S. C. gegen Kt. Zürich Pra 1989, 895 ff. (Originaltext deutsch)

Staatshaftung für spitalärztliche Tätigkeit.

3. Ein besonderer Nachweis über die Aufklärung und Einwilligung des Patienten erübrigt sich, wo dieser oder sein gesetzlicher Vertreter sich schon nach seinen Vorkenntnissen über alle Risiken einer schwierigen Operation im klaren sein muss (E. 3a).

In casu: Dritte Herzoperation an einem dreijährigen Kind; schwere Hirnschädi­gung, dauernde Pflegebedürftigkeit und Invalidität infolge einer Fehlkanülierung (Verwechslung der Lungenarterie mit dem aufsteigenden Teil der Aorta).

BGE 1141a 350 ff.

Urteil vom 26. Oktober 1988 i.S. X. gegen den Staatsrat des Kt. Genf Pra 1989, 951 ff. (Originaltext französisch)

Persönliche Freiheit; Voraussetzung der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eines Patienten zu einem medizinischen Eingriff.

3. Tragweite der persönlichen Freiheit im Verhältnis Patient-Arzt (E. 6).

5. Bei Urteilsunfähigkeit des Patienten ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters oder, bei Fehlen eines solchen, bei ihm nahestehenden Personen oder Familienangehörigen einzuholen (E. 7b).

In casu: Überprüfung des neuen Genfer Gesetzes über das Verhältnis zwischen Angehörigen der Medizinalberufe und den Patienten vom 21. Dezember 1987 im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle.

BGE 113II429 ff.

Urteil vom 3. November 1987 i.S. A. gegen B. Pra 1988, 71 ff. (Originaltext deutsch)

OR 394 ff. Haftung des Chirurgen.

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Die Aufklärungspflicht

1. Verschlimmerung einer unfallbedingten Gesichtsentstellung durch eine Ope­ration der plastischen Chirurgie: Ursachen und Folgen, Tat- und Rechtsfragen (E.2).

2 Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Arztes richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Bedeutung von Erfahrungssätzen, Berufsregeln und Gutachten (E 3a).

3. Umstände, unter denen eine Verletzung dieser Pflicht sowie die Haftung des Arztes für die Folgen davon zu bejahen sind (E. 3b).

In casu: Nasenoperation (plastische Chirurgie); Verschlimmerung der Entstellung durch unzweckmässige Bearbeitung des Flügelknorpels und einseitige Abtragung des Dreieckknorpels beim Abraspeln des Nasenrückens. Die Aufklärungspflicht des Arztes wird in diesem Entscheid nur am Rande behandelt.

BGE113 Ib 420 ff.

Urteil vom 8. Dezember 1987 i.S. X. gegen Kt. Zürich Pro 1988,1039 ff. (Originaltext deutsch)

Staatshaftung für spitalärztliche Tätigkeit.

Einwilligung des Patienten als Rechtfertigungsgrund... Beweislast. Umschreibung der Risiken, die von der Einwilligung erfasst werden können (E. 4). Operationsrisiko und ärztliche Aufklärungspflicht im konkreten Fall (E. 5 und 6). Rechtfertigungsbeweis (E. 7).

In casu: Erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität und weitgehende Invali­dität infolge Nachoperationen (Entfernung eines grossen Teils der Bauchspeichel­drüse und Teilen des Magens), welche nach endoskopischer Abtragung eines Poly­pen mit Komplikationen (tiefer Längsriss in der Bauchspeicheldrüse, beinahe vollständiges Abreissen des Pankreaskopfes vom Duodenum, Aufreissen der Arte­ria gastroduodenalis) notwendig geworden ist. Ausführungen zur Risikoaufklärung.

BGE 108II59 ff.

Urteil vom 12. Januar 1982 i.S. Frau X. gegen Y. Pia 1982. 299 ff. (Originaltext französisch)

Haftung des Chirurgen.

Der Chirurg ist haftbar, wenn er eine Operation vornimmt, ohne den Patienten aufgeklärt und von ihm die Einwilligung erhalten zu haben, obschon dies möglich und erforderlich gewesen wäre. Er ist dann für allen Schaden verantwortlich, der

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Bundegerichtsentscheide zur Aufklärung

infolge Misslingens der Operation entstanden ist, selbst wenn er keinen Kunstfeh­ler begangen hat. Kann er sich befreien, indem er beweist, dass sein Patient in die Behandlung eingewilligt hätte, selbst wenn er deren genaue Natur und die Risiken gekannt hätte?

In casu: Misslingen einer totalen subkutanen Mammektomie, welche mehrere Ein­griffe der Wiederherstellungschirurgie notwendig machte.

BGE 105II285 ff.

Urteil vom 13. November 1980 i.S. B gegen S. Pro 1980, 362 ff. (Originaltext französisch)

Haftung des Chirurgen.

Allgemeine Regeln (E. 1). Aufklärungspflicht (E. 6).

In casu: Darmresektion aufgrund einer (unzutreffenderweise) auf Krebs lautenden Diagnose bei einem Dickdarmtumor. Die Diagnose wurde dem Patienten auf An­raten seiner Ehefrau und seines Hausarztes zurecht nicht mitgeteilt, da ihm der Arzt eine vollständige Aufklärung nicht zumutete.

BGE 99IV 208 ff.

Urteil vom 14. September 1973 i.S. G. gegen E. Pra 1974,292 ff. (Originaltext italienisch)

StGB 123 u. 125, Körperverletzung.

2. Jede ärztliche Behandlung, welche die körperliche Integrität oder die Gesund­heit verletzt, erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung. Der Arzt ist indessen schuldlos, wenn er mit der Einwilligung des Patienten oder unter anderen schuld-ausschliessenden Umständen gehandelt hat (E. 3 und 4).

In casu: Injektionen gegen den Willen des Patienten, welcher in einer kantonalen Nervenheilanstalt in Behandlung war.

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Die Aufklärungspflicht

BGE66II34ff.

Urteil vom 20. Februar 1940 i.S. E. gegen Dr. X. Pra 1940,56 ff. (Originaltext französisch)

Keine Haftung des Arztes für eine Schädigung des Patienten, die nicht auf Unwis­senheit, Nachlässigkeit oder Ungeschicklichkeit des Arztes zurückzuführen ist, sondern auf eine beim gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft selbst bei aufmerksamer und gewissenhafter Prüfung nicht erkennbare Ursache.

In casu: Zerstörung einer Sehne am Ringfinger anlässlich einer Warzenentfernung, ohne dass ein Kunstfehler nachgewiesen werden konnte. Das Risiko, dass diese Komplikation eintritt, betrug ein Prozent. Eine Aufklärungspflicht wurde bei die­sem «normalen und minimalen» Risiko verneint.

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Aufklärungsformulare

Anhang 2 Aufklärungsformulare

Die hier wiedergegebenen Formulare wurden vom Direktor der «Kli­nik für Thorax-, Herz- und Gefässchirurgie des Inselspitals Bern», Herrn Prof. Dr. Ulrich Althaus, zur Verfügung gestellt.

Sie entsprechen im Aufbau und Inhalt den hier aufgestellten Anfor­derungen beinahe vollkommen. Auch die sprachliche Gestaltung ist «pati­entengerecht», wenn gleich man wie immer über die Zweckmässigkeit ge­wisser Bestandteile der Formulare diskutieren kann.

Zur Klarstellung ist auf folgendes hinzuweisen: Die Tatsache, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, muss auch dann in der Kran­kengeschichte festgehalten werden, wenn der Patient das Aufklärungsfor­mular unterschrieben hat. Die Notiz muss die wesentlichen Punkte des Ge­sprächs und die Feststellung enthalten, dass der Patient anschliessend die Einwilligung erteilt hat. Der Vermerk in der Krankengeschichte muss so­wohl den Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs als auch das genaue Datum der Erstellung des Vermerks festhalten. Er soll möglichst umgehend verfer­tigt werden, da er sonst an Beweiswert verliert (S. die Hinweise oben VII2 a u. b).

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Die Aufklärungspflicht

Merkblatt zum ärztlichen Aufklärungsgespräch über chirurgische Eingriffe an den Herzkranzgefässen (Koronare Bypassoperation)

Liebe Patientin, lieber Patient

Bei den bisherigen Untersuchungen wurde bei Ihnen eine Erkrankung der Herzkranzgefässe festgestellt. Um die Durchblutung Ihres Herzmuskels zu verbes­sern, ist die operative Umleitung des Blutstromes um die verengten Gefässsegmen-te vorgesehen (Bypass-Operation). Es liegt auf der Hand, dass kein Arzt den Erfolg seiner Behandlung garantieren kann und dass gewisse Komplikationen auch bei korrekt durchgeführter Operation auftreten können.

Die allgemeinen Risiken chirurgischer Eingriffe, z.B. Wundinfektionen, Thrombosen (Bildung von Blutgerinnseln), Embolien (Schlagaderverschlüsse durch verschleppte Gerinnsel) sowie Schädigungen von Nerven (z.B. bedingt durch La­gerung oder Druck) sind dank der Fortschritte der Medizin aber seltener gewor­den. Wir können heute auch mehr als früher dagegen tun.

Während oder bald nach der Operation können Unregelmässigkeiten des Herzschlages auftreten, welche in der Regel auf eine meist nur vorübergehende Schädigung des Herzmuskels zurückzuführen sind. In seltenen Fällen können Durch­blutungsstörungen Gehirnschädigungen verursachen.

Probleme können sich frühzeitig nach der Operation ergeben, wenn eine Nahtstelle undicht wird oder Gerinnungsstörungen auftreten. Die Nachblutung kann die erneute Eröffnung des Brustkorbes zur Blutstillung nach der Operation erfor­derlich machen. Selten muss das Brustbein in den ersten 14 Tagen nochmals stabi­lisiert werden. Die Ursache für schlechte Heilung kann eine Wundinfektion sein, wobei Wundheilungsstörungen auch an jener Stelle möglich sind, an der die Vene entnommen wurde (z.B. am Bein).

Dank der heute bestehenden grossen Erfahrungen lassen sich die erwähn­ten Komplikationen weitgehend vermeiden oder beherrschen. Ihr Gewicht ist ins­gesamt geringer als die Gefahr, die für Sie ohne Operation besteht.

Dieses Blatt soll zu Ihrer Aufklärung dienen und Sie nicht beunruhigen. Bitte fragen Sie uns nach allem, was Ihnen wichtig erscheint. Arzte und Pflegeper­sonal werden alles tun, um einen normalen Verlauf der Operation und der Nachbe­handlungsphase zu gewährleisten.

Der zuständige Arzt und der Operateur werden den Ablauf des geplanten Eingriffes mit Ihnen besprechen und noch offene Fragen gerne beantworten.

Ich habe von diesem Merkblatt Kenntnis genommen und hatte Gelegenheit, Fragen zu stellen, die zu meiner Zufriedenheit beantwortet wurden.

Datum: Unterschrift:

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Merkblatt zum Aufklärungsgespräch

Merkblatt zum ärztlichen Aufklärungsgespräch betreffend Spiegelung der Brusthöhle (Thorakoskopie)

Liebe Patientin, lieber Patient

zusammen mit Ihrem zuweisenden Arzt wurde bei Ihnen die Indikation zur Spiegelung der Thoraxhöhle (Thorakoskopie) gestellt.

Die Thorakoskopie ist ein elegantes Verfahren, indem sie eine gute Über­sicht über die Thoraxhöhle ermöglicht und gleichzeitig, verschiedene Eingriffe er­laubt, ohne dass dazu der Brustkorb operativ eröffnet werden muss (Thorakoto­mie). In der Regel genügen für die Thorakoskopie 2-3 kleine Inzisionen. Die Vorteile der Thorakoskopie gegenüber der offenen Operation liegen auf der Hand: weniger Schmerzen nach der Operation, raschere Erholung und grössere Beweglichkeit des Armes sowie kürzerer Spitalaufenthalt. Allerdings ist es aufgrund von verschiede­nen Faktoren, die erst während der Operation festgestellt werden können, nicht immer möglich, den ursprünglich geplanten Eingriff thorakoskopisch zu Ende zu führen. Deshalb ist es hie und da erforderlich, die geplante Operation offen zu vervollständigen. Diesem Umstand tragen wir Rechnung, indem wir sie vor der Operation eingehend über diese Eventualität informieren werden. Die Thorako­skopie an sich ist eine komplikationsarme Methode, je nach durchgeführtem Ein­griffkönnen sich aber gewisse Komplikationen nach der Operation ergeben, über die wir sie je nach Art des durchzuführenden Eingriffs speziell informieren werden. Ebenso ist die Wahl der Anästhesie von der Art dieses Eingriffs abhängig und wird individuell mit Ihnen vor dem Eingriff besprochen.

Praktisch nach jeder Thorakoskopie wird zur guten Entfaltung der Lunge die Luft zwischen Brustwand und Lunge über zwei Schläuche abgeleitet (Thorax-drainage). Diese werden entfernt, wenn sich pro 24h keine Luft und wenig Flüssig­keit mehr entleert. Je nach Eingriff muss dazu die Drainage einige Tage belassen werden. Sie werden darüber informiert werden, wie sie sich trotz dieser Schläuche im Rahmen des Möglichen frei bewegen können.

Dieses Blatt soll zu Ihrer Aufklärung dienen und Sie nicht beunruhigen. Bitte fragen Sie uns nach allem, was Ihnen wichtig scheint. Arzte und Pflegeperso­nal werden alles tun, um einen normalen Verlauf der Operation und der Nachbe­handlungsphase zu gewährleisten. Der zuständige Arzt und der Operateur werden den Ablauf des geplanten Eingriffs mit Ihnen besprechen und noch offene Fragen gerne beantworten.

Ich habe von diesem Merkblatt Kenntnis genommen und hatte Gelegenheit, Fragen zu stellen, die zu meiner Zufriedenheit beantwortet wurden.

Datum: Unterschrift:

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