3. Kapitel Die Aufklärungspflicht und die Folgen ihrer...
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3. Kapitel Die Aufklärungspflicht und die Folgen ihrer Verletzung
Die Literatur zu Kap. 3 befindet sich vor Kap. 2.
I. Die Aufklärung als ärztliche Pflicht
1. Bedeutung und Funktion der Aufklärung
Die Aufklärung des Patienten gehört heute zu den zentralen und unabdingbaren Elementen der ärztlichen Behandlung. Als solche hat sie zwei Komponenten, eine medizinische und eine juristische.
Aus medizinischer Sicht stellt die Aufklärung des Patienten insofern eine Notwendigkeit dar, als sie Voraussetzung und zugleich Teil der Therapie ist. Diese Eingebundenheit in die therapeutische Zielsetzung der Behandlung bedeutet aber auch, dass es aus medizinischer Sicht dem Arzt überlassen bleiben müsste, wie und in welchem Ausmass er Patienten aufklärt. Einen derartigen Spielraum kann die Rechtsordnung dem Arzt jedoch nicht gewähren1.
Aus juristischer Sicht handelt es sich bei der Aufklärung um eine Pflicht, der sich der Arzt nicht entziehen kann. Diese Rechtspflicht beruht auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen, hat aber ein im Kern gemeinsames Ziel. Es besteht darin, dass die Aufklärung den Patienten in die Lage versetzen soll und muss, aufgrund der erhaltenen Informationen eine freie und sachgerechte Entscheidung über die Vornahme und die Durchführung einer medizinischen Behandlung zu treffen. Erst unter dieser Voraussetzung ist eine vom Patienten gegebene Einwilligung wirksam und rechtsbeständig und nur so kann die Rechtswidrigkeit der medizinischen Behandlung ausgeschlossen werden. Die Aufklärung hat also in rechtlicher Hinsicht
1 Zu den therapeutischen Grenzen der Aufklärung unten 3. Kap. II 3 b.
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Die Aufklärungspflicht
die Funktion, die Entscheidungsfreiheit des Patienten über seine körperliche und seelische Integrität zu sichern2. Während der Schutz dieser Rechtsgüter als solcher unbestritten ist, besteht über deren Verhältnis zueinander keine Einigkeit. Da diese dogmatischen Differenzen Konsequenzen für die Beurteilung und Einordnung der Aufklärungspflicht haben, ist darauf kurz einzugehen.
2. Der Heileingriff und die geschützten Rechts guter
Jede medizinische Behandlung stellt eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Patienten dar. Fraglich ist nur, ob und unter welchen Voraussetzungen die Rechtswidrigkeit eines solchen Eingriffs entfallen kann. Die Beantwortung dieser Frage ist deshalb nicht ganz einfach, weil das Persönlichkeitsrecht als solches nicht eine eigentliche Einheit, sondern eine Summe von Teilrechten darstellt3. Dies beruht auf folgenden Gründen:
Das Persönlichkeitsrecht wird zivilrechtlich durch ZGB 284 gewährleistet. Der Zweck dieser Norm ist es, die Person vor Eingriffen Dritter zu schützen. Die gleiche Funktion hat das aus der Verfassung abgeleitete Persönlichkeitsrecht in bezug auf Eingriffe durch den Staat. In beiden Fällen handelt es sich um Generalklauseln, die der Konkretisierung bedürfen, um sie für die Rechtsanwendung praktikabel zu machen. Rsp. und Lehre haben deshalb im Wege dieser Konkretisierung eine Reihe von Schutzbereichen definiert, von denen für die ärztliche Behandlung das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche (einschliesslich der seelischen) Integrität von Bedeutung sind.
2 Vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 1. 3 Vgl. PEDRAZZINI/OBERHOLZER 131 ff. 4 ZGB 28: «1. Grundsatz:
Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, den Richter anrufen. Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegend privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.»
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Der Heileingriff und die geschützten Rechtsgüter
a) Das Selbstbestimmungsrecht
Das Selbstbestimmungsrecht ist Teil der von unserer Rechtsordnung anerkannten persönlichen Freiheit des Menschen und besitzt aufgrund dieser Konzeption Menschenrechtsqualität5. Unter Selbstbestimmung ist dabei die Freiheit des Einzelnen zu verstehen, ihn selbst betreffende Entscheidungen allein und ohne Einflussnahme Dritter zu fällen6. Als Quellen, aus denen das Selbstbestimmungsrecht abzuleiten ist, kommen Verfassung7, Konventionen8 aber auch meta-juristische Ansätze in Betracht, welche den Rahmen für die Festlegung des Selbstbestimmungsrechts durch den Gesetzgeber bilden9.
Als Teil des Persönlichkeitsschutzes ist auch das Selbstbestimmungsrecht zivilrechtlich durch ZGB 28 gewährleistet10 und umfasst nach dieser Konzeption die Verfügungsfreiheit über das Rechtsgut der körperlichen Integrität11. Es wäre jedoch verfehlt, dem Selbstbestimmungsrecht einen selbständigen Schutzbereich zuweisen zu wollen. Die Verfügungsfreiheit kann
5 Das Schutzobjekt des Selbstbestimmungsrechts ist «Würde und Wert des Menschen» («...la dignite de l'homme et sa valeur propre» BGE 113 la 262) - eine unveräusserliche Qualität des Menschen, welche ihm «von Natur aus» zusteht. Eine weniger naturrechtliche Betrachtungsweise geht davon aus, dass dieses Konzept nicht durch positives Recht festgelegt wird, sondern durch die kulturspezifische Praxis. Unabhängig davon, was als Basis der Freiheitsrechte betrachtet wird, werden diese auf jeden Fall durch das menschliche Verhalten (Politik, Gesetz, Wirtschaft etc.) beeinflusst, welches entweder zur Sicherung oder Verletzung der persönlichen Freiheit beiträgt.
6 Vgl. MALEK/ENDRISS 125 ff. 7 Verfassungsrechtlich wird das Selbstbestimmungsrecht durch das ungeschriebene Grund
recht der persönlichen Freiheit garantiert (in BGE 90 I 34 ff. erstmals anerkannt). Dazu grundlegend MÜLLER 6 ff.
8 Vgl. in diesem Zusammenhang EMRK 8. 9 Dazu PICHLER 76 ff. 0 Das Selbstbestimmungsrecht, wie es aus ZGB 28 fliesst, ist negatorischer u. allenfalls
reparatorischer Natur, d.h. es hat bloss abwehrenden Charakter. Diese Konzeption ist allen absoluten Rechten eigen, weil sie gegenüber jedermann wirken u. nur zum Unterlassen zwingen können (vgl. PEDRAZZINI/OBERHOLZER 132).
1 Das Recht auf Selbstbestimmung findet wie jedes Persönlichkeitsrecht seine Grenzen in ZGB 27II: «Niemand kann sich seiner Freiheit entäussem oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken.» Wo die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts nur auf die Zerstörung der eigenen Existenz ausgerichtet ist, kann sie keinen ärztlichen Eingriff rechtfertigen, was jedoch nicht bedeutet, dass eine lebenserhaltende Massnahme gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten zulässig sein kann. Ein Eingriff bedarf immer der Einwilligung des Patienten, jedoch kann nicht jeder Eingriff mit einer Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden.
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Die Aufklärungspflicht
nicht von einem Rechtsgut wie der körperlichen Integrität abgespalten werden, ohne dass dieses seine Qualität als disponibles Rechtsgut verlieren würde12.
b) Die körperliche Integrität
Die herrschende Auffassung betrachtet die ärztliche Behandlung als Eingriff in die körperliche Integrität. Dieser ist rechtswidrig, wenn er nicht durch wirksame Einwilligung oder einen anderen Rechtfertigungsgrund13
gerechtfertigt ist. Die traditionelle strafrechtliche Doktrin qualifiziert den Eingriff in die körperliche Integrität als Körperverletzung. Entgegen einer neueren Ansicht14, nach der ein «lege artis» durchgeführter Heileingriff nie Körperverletzung sein kann, hält das BGer an der traditionellen Konzeption in konstanter Praxis fest15.
Nachdem sich das BGer in dem Grundsatzentscheid vom 28. Mai 1991 (BGE 117 Ib 197 ff.) nochmals ausdrücklich für die Beibehaltung der
12 Vgl. MAINARDI-SPEZIALI 80; ARZT 49 ff.; a.M. E. BUCHER, Arzt und Recht 41 f.; HONSELL ZSR 1990 I 146; vgl. dazu sofort unter c u. unten IV.
13 Z.B. eine gesetzliche Ermächtigung zur medizinischen Zwangsbehandlung. 14 EISNER 203 ff. (mit weiteren Literaturhinweisen); GROSS, persönliche Freiheit 139 ff.; (an
ders aber GROSS, Haftung 204 f.); HONSELL ZSR 1990 I 145 f.; A. KELLER, Diss. 25 ff.; NOLL 50; SCHUBARTH StGB 123 N 49 ff.; STRATENWERTH BT § 3 N 15 ff.
Die Kritiker der bundesgerichtlichen Rsp. verweisen auf den sozialen Sinn des Heileingriffs, der gerade nicht die Schädigung der Gesundheit sei. Der Versuch, dem Heilzweck der ärztlichen Behandlung tatbestandsausschliessende Wirkung zuzuerkennen, erweist sich jedoch als problematisch, weil auch ärztliche Eingriffe existieren, die nicht der Verbesserung des Gesundheitszustandes dienen (Organtransplantation, Sterilisation, kosmetische Eingriffe, pharmazeutische Versuche etc.). Ebenso geht der Vorwurf fehl, die geltende Gerichtspraxis sei eine Diskrimierung der Ärzte, da die Tatbestandsmässigkeit allein noch keine Rechtsfolgen auszulösen vermag u. die eigentliche Bewertung erst auf der Rechtswidrigkeitsebene vorgenommen wird.
15 BGE 99IV 208 ff.; 108 II 61 E. 2 u. 3 = Pra 1982,299 f.; 117 Ib 200; ebenso die deutsche Praxis: BGHSt 11, 111 «Myom-Fall» (kritisch besprochen von STRATENWERTH BT § 3 N 16). Die neuere Lehre will die Zwangsbehandlung als Delikt gegen die freie Willensbildung (StGB 181 [Nötigung], StGB 183 Ziff. 1 [Freiheitsberaubung]) oder als Sondertatbestand der eigenmächtigen Behandlung qualifiziert wissen u. vollzieht damit die fragwürdige Trennung der Dispositionsfreiheit vom eigentlichen Rechtsgut. Vgl. dazu ARZT 52 ff.: «Wenn man sich ein Rechtsgut der körperlichen Integrität oder ein sonstiges disponibles Rechtsgut ohne Verfügungsfreiheit vorstellt, hat man kein Gut mehr, sondern eine Last», 53; KUHN ZSR 1986 1478; LAUFS/UHLENBRUCK § 103 N 7; MAINARDI-SPEZIALI 79 f.
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Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht
traditionellen Konzeption ausgesprochen hat, wird diese im folgenden zugrunde gelegt16.
c) Das Verhältnis der geschützten Rechtsgüter zueinander
Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit ergibt sich aus der zuvor geschilderten Konzeption, dass die Rechtsgüter Selbstbestimmungsrecht und körperliche Integrität nicht voneinander getrennt werden können. Das BGer hat denn auch den von ihm zugrunde gelegten Ansatz dahingehend zusam-mengefasst:
«Die Aufklärungspflicht dient sodann ... nicht nur dem Schutz der freien Willensbildung des Patienten, sondern auch dem Schutz seiner körperlichen Integrität. Das ergibt sich ohne weiteres aus der persönlichkeitsrechtlichen Grundlage dieser Pflicht, denn der allgemeine Persönlichkeitsschutz umfasst den Schutz des Rechtsträgers, nach freiem Willen über einen allfälligen Eingriff in seine körperliche Integrität zu entscheiden. Beides ist untrennbar miteinander verbunden.»17
Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass die medizinische Behandlung als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, und zwar sowohl in das Selbstbestimmungsrecht wie in die körperliche Integrität, verstanden wird. Ein solcher Eingriff ist rechtswidrig, sofern nicht ein Rechtfertigungsgrund, insb. eine Einwilligung des Patienten, vorliegt. Diese ist nur nach vorausgegangener Aufklärung wirksam. Daraus resultiert eine Aufklärungspflicht, deren rechtliche Grundlagen im folgenden näher zu umschreiben sind.
3. Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht
Das BGer hat in zahlreichen Entscheiden18 festgehalten, dass es die Aufklärung als Pflicht versteht und diesen Standpunkt dahingehend zusam-mengefasst, «dass das Erfordernis der Einwilligung des Patienten und der
16 Vgl. unten 5. Kap. I 1; abweichend HONSELL oben 15 ff. 17 BGE 117 Ib 201; vgl. auchGutLLOD, in: Commissione 74; besonders klar hierzu MAINARDI-
SPEZIALI 74 ff.; vgl. auch RGRK/NÜSSGENS BGB 823 Anhang II N 65. 18 BGE 117 1b 200; 115 1b 180 f.; 114Ib358E. 6; 112 II 128; 108 II 61 ff. E. 2 u. 3.
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Die Aufklärungspflicht
damit verbundene Aufklärungsanspruch in dessen allgemeinen Persönlichkeitsrechten gründet und dem Schutz sowohl der Willensfreiheit, dem Selbstbestimmungsrecht, wie auch der körperlichen Integrität des Patienten dient. Die Aufklärungspflicht gehört deshalb zu den allgemeinen Berufspflichten des Arztes, und zwar unabhängig davon, ob er im Rahmen eines privatrechtlichen Vertragsverhältnisses oder als Beamter oder Angestellter des Staates handelt.»19
Auch wenn man mit dem BGer davon ausgeht, dass die Aufklärungspflicht eine generelle ärztliche Pflicht darstellt - wie schon einleitend bemerkt wurde - müssen dennoch die rechtlichen Grundlagen, aus denen diese Pflicht abgeleitet wird, näher eingegrenzt werden. In Betracht kommen neben den Strafrechtsbestimmungen20 die folgenden Regeln: - Öffentlich-rechtliche Vorschriften - Persönlichkeitsschutz und Deliktsrecht - Vertragsrecht.
a) Öffentlich-rechtliche Grundlagen
Neben den zivilrechtlichen Ansatzpunkten lassen sich immer mehr positivrechtliche Grundlagen des öffentlichen Rechts finden. Das PatD/BE21
bspw. hat die Aufklärungspflicht des Personals öffentlicher Spitäler in be-zug auf Umfang und Vorgehensweise genau festgelegt22. Eine ähnliche Regelung kennen die Kt. Basel-Landschaft23, Zürich24 und Genf25, während in anderen Kt. vergleichbare Normen in den Organisationsgesetzen der öf-
19 BGE 117 Ib 200; Hervorhebungen vom Verfasser. 20 Dazu den Beitrag von REHBERG in diesem Bd., 5. Kap. I 2 acc. 21 Dekret über die Rechte u. Pflichten der Patientinnen u. der Patienten in öffentlichen Spi
tälern (Patientendekret) vom 14. Februar 1989 (BSG 812.121.11). 22 Art. lOPatD. 23 VO über die Rechte u. Pflichten der Patienten in den kantonalen Krankenanstalten
(Patientenverordnung) vom 1. November 1988 (930.15); s. v.a. § 4 «Aufklärung». 24 VO über die Rechte u. Pflichten der Patienten in staatlichen u. vom Staat unterstützten
Krankenhäusern (Patientenrechtverordnung) vom 28. August 1991 (813.13); s. v.a. Abschnitt II «Auskünfte» u. III «Medizinische Eingriffe».
25 Loi cantonale du 21 decembre 1987 concernant les rapports entre membres des professions de la sante et patients; s. v.a. Art. 5 «Consentement» u. Art. 6 «Recherche, experimentation et enseignement».
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Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht
fentlichen Spitäler zu finden sind26. Auch diesen Normen liegt der Gedanke des Persönlichkeitsschutzes zugrunde, weshalb deren Schutzbereiche mit denjenigen des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes identisch sind.
b) Persönlichkeits- und deliktsrechtliche Grundlagen
Die eigenmächtige, d.h. ohne wirksame Einwilligung vorgenommene Heilbehandlung stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und die körperliche Integrität dar, deren Rechtswidrigkeit nur durch vorhergehende Einwilligung ausgeschlossen werden kann27. Hieraus ergibt sich gewisser-massen als Reflex die Pflicht des Arztes, vor einem allfälligen Heileingriff den Patienten aufzuklären.
Die deliktsrechtlichen Grundlagen der Aufklärungspflicht bildeten den Ausgangspunkt der Entwicklung und prägen noch heute entscheidend die Betrachtungsweise der ärztlichen Aufklärungspflicht28.
c) Vertragliche Grundlagen
Besteht zwischen dem Patienten und dem Arzt ein Vertragsverhältnis, so wird dieses als Auftrag qualifiziert, wie das im schweizerischen Recht für die Dienstleistungen in der Regel der Fall ist29. Deren zunehmende Bedeutung hat dazu geführt, dass dieser Vertragstypus weiterentwickelt und den Bedürfnissen eines wachsenden und immer stärker differenzierten Dienstleistungsmarktes angepasst wurde. Dies gilt insb. für die allgemeinen Pflichten des Beauftragten, die ständig ausgebaut wurden. Ihre rechtliche Grundlage haben diese Pflichten in den Sorgfalts- und Treuepflichten des Beauftragten, die in OR 398 gesetzlich fixiert sind30.
26 So bspw. Kt. BS: Spitalgesetz vom 26. März 1981 (330): § 11; Kt. SO: Organisations- u. Betriebsreglement des Bürgerspitals Solothurn vom 18. August 1977 (817.413): Art. 34; Kt. SG: VO über die medizinische u. betriebliche Organisation der kantonalen Spitäler, psychiatrischen Kliniken u. Laboratorien (Spitalorganisationsverordnung) vom 17. Juni 1980 (321.11): Art. 55-59.
27 S. oben I 2 b. 28 Dazu v.a. MAINARDI-SPEZIALI 77 ff. mit zahlreichen wNw auf die Entstehungsgeschichte
in Deutschland, die ihrerseits die schweizerische Entwicklung massgebend beeinflusst hat.
29 Vgl. 1. Kap. I 1 a; zum folgenden WIEGAND recht 1990, 134 ff. 10 Ausführlich dazu: BK-FELLMANN OR 398 N 16 ff.
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Die Aufklärungspflicht
Die Aufklärungspflicht wird nach heute herrschender Auffassung als Ausprägung der Treuepflicht betrachtet. Diese Treuepflicht hat der Arzt nur dann erfüllt, wenn er seinem Patienten all diejenigen Informationen zukommen lässt, die es ihm ermöglichen, sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise auszuüben3'. Daraus ergibt sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, dass der beauftragte Arzt die zur Entscheidung notwendigen Informationen von sich aus geben muss, mit anderen Worten, dass er den Patienten unaufgefordert aufklären muss.
Zum gleichen Ergebnis führt eine weitere Begründungsvariante des Aufklärungsrechts. Dem Auftraggeber - also dem Patienten - steht im Auftragsverhältnis ein Weisungsrecht gem. OR 397 zu32. Dieses kann er in sinnvoller Weise nur dann ausüben, wenn er über die entscheidungserheblichen Informationen verfügt33.
Darüberhinaus lässt sich die Aufklärungspflicht des Arztes auch noch aus der Rechenschaftspflicht des Beauftragten gem. OR 400 ableiten34. Dabei ist aber zu beachten, dass nach richtigem Verständnis von OR 400 die dort genannten Pflichten nur relevant werden, wenn der Auftraggeber dem Beauftragten entsprechende Fragen stellt. Sind derartige Informationsbegehren an den Beauftragten gerichtet, so unterscheidet sich die aus OR 400 abgeleitete Aufklärungspflicht inhaltlich nicht von derjenigen aus OR 398.
Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass aus dem zwischen Arzt und Patienten normalerweise bestehenden Auftragsverhältnis eine vertragliche Aufklärungspflicht entsteht, die aus verschiedenen Regelungen des Auftragsrechts abgeleitet werden kann. Schutzzweck dieser Aufklärung ist in allen Fällen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und die damit verknüpfte körperliche Integrität. Eine rein dogmatisch-konstruktive Frage ist es, ob man diese Aufklärungspflicht als eine vertragliche Haupt- oder
31 Vgl. BK-FELLMANN OR 398 N 146; DERENDINGER N 131; HOFSTETTER SPR VII/2,89; WEBER AJP 1992, 184 f.; ausführlich begründet bei MAINARDI-SPEZIALI 95 ff.
12 Dazu ausführlich BK-FELLMANN OR 397 N 13 ff. 13 Das Weisungsrecht ist nach traditioneller Auffassung mit Blick auf ZGB 27II unverzicht
bar (vgl. BK-GAUTSCHI OR 397 N 5a). Daraus ergibt sich von selbst, dass auch die Aufklärungspflicht unabdingbar ist. Die neuere Lehre lässt hingegen die Möglichkeit zu, das Weisungsrecht vertraglich einzuschränken, was gerade bei der ärztlichen Behandlung sinnvoll erscheint, da sich der Arzt in aller Regel keine Fachanweisungen gefallen lassen muss u. solche Anweisungen auch im Interesse des Patienten besser unbeachtet lässt (vgl. BK-FELLMANN OR 397 N 28).
34 Vgl. dazu unten 4 d.
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Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht
Nebenpflicht betrachtet; denn die Rechtsfolgen richten sich in jedem Fall nach OR 97, so dass sich im Resultat keine wirklichen Abweichungen ergeben35.
4. Arten und Ziele der Aufklärungspflicht
Die Aufklärung, von der bisher die Rede war und die gewöhnlich gemeint ist, wenn von der Aufklärungspflicht gesprochen wird, ist diejenige, die der ärztlichen Behandlung und insb. dem ärztlichen Eingriff vorausgeht. Sie dient - wie dargelegt - dem Schutz des Selbstbestimmungsrechtes und der körperlichen Integrität. Von Aufklärung und Aufklärungspflicht ist aber auch dann die Rede, wenn der Arzt den Patienten über das von ihm erwartete «richtige» Verhalten informiert. Diese Form der Aufklärung dient der Sicherung des Heilerfolgs. Infolgedessen bezeichnet man die letzte als Sicherungs- oder therapeutische Aufklärung, während die erste als Eingriffsoder Selbstbestimmungsaufklärung bezeichnet wird. Beide Aufklärungsarten sind von unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlicher Bedeutung.
a) Die Eingriffsaufklärung
Bei der Eingriffs- oder Selbstbestimmungsaufklärung geht es in erster Linie um die Frage, in welchem Umfang der Patient aufgeklärt werden muss, damit seine Einwilligung den ärztlichen Eingriff zu rechtfertigen vermag36. Es geht also um die juristisch gebotene Aufklärungspflicht, wobei die Willensfreiheit des Patienten oberstes Gebot ist. Diese Betrachtungsweise scheint mit der medizinischen Devise von der Gesundheit des Patienten als oberstem Gebot unvereinbar zu sein. Lehre und Rsp. beschreiten heute jedoch einen Mittelweg, der den Widerspruch aufzulösen vermag. Dieser Mittelweg besteht im Abwägen der Umstände des Einzelfalls, wodurch weitgehend Inhalt und Umfang der Eingriffsaufklärung bestimmt werden. Kriterien sind bspw. die Wahrscheinlichkeit und die Tragweite der möglichen Komplikation, das Verhältnis der Komplikation zur Auswirkung des Unterbleibens der Behandlung, die persönliche Erfahrung des Patien-
35 Einzelheiten unten IV 2. 36 Vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 1.
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Die Aufklärungspflicht
ten mit gleichen oder ähnlichen Eingriffen, das Vorhandensein von Alternativbehandlungen sowie die psychische Belastbarkeit des Patienten37.
b) Die Sicherungsaufklärung
Spielen schon bei der Eingriff saufklärung therapeutische Aspekte eine gewisse Rolle, so stehen therapeutische Überlegungen bei der Sicherungsaufklärung ganz im Vordergrund3*. Ziel dieser Aufklärung ist es, den Patienten durch Information über seinen Zustand, über die Wirkungsweise von Medikamenten39 oder über den Verlauf von Heilungsprozessen zu sachgerechtem und richtigem Verhalten zu bewegen. Konsequenterweise wird diese Art der Aufklärung denn auch als therapeutische Aufklärung bezeichnet. Darin kommt zugleich zum Ausdruck, dass diese den Heilerfolg sichernde Aufklärung einen integralen Bestandteil der Behandlung bildet.
Die therapeutische Aufklärung gehört deshalb zu den Pflichten des behandelnden Arztes; sie findet ihre rechtliche Grundlage in aller Regel in dem zwischen Arzt und Patienten bestehenden Auftragsverhältnis40. Daraus ergibt sich, dass auf die Erfüllung und Verletzung der Sicherungsauf-klärungspflicht die Grundsätze Anwendung finden, die für die Erfüllung von Pflichten des Beauftragten ganz generell gelten41. Sofern das Behandlungsverhältnis nicht auf privatrechtlichen Grundlagen beruht, sind hier, wie in allen anderen Fällen, die auftragsrechtlichen Regeln analog heranzuziehen.
Die Anwendung des Auftragsrechts führt auch dazu, dass neben der Eingriffs- und Sicherungsaufklärung weitere typisch auftragsrechtliche Aufklärungspflichten bestehen, auf die im folgenden hingewiesen wird.
c) Generelle Aufklärungspflicht
In der Regel dient die Aufklärung der Vorbereitung einer Behandlung («Eingriffsaufklärung», s. oben unter a) oder der Unterstützung einer Therapie («therapeutische Aufklärung», s. oben unter b), wobei beide trotz
37 Vgl. BGE 117Ib203E. 3b; 1151b 178; 1131b 426 E. 6; 108 II61 E. 2 = Pra 1982, 299. 38 Umfassend zur Sicherungsaufklärung LAUFS/UHLENBRUCK § 62; s. auch EISNER 109 ff. 39 Vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 62 N 8 ff. 40 S. oben 1. Kap. I 1 a. 41 Vgl. dazu im einzelnen oben 1. Kap. I 2 u. unten V.
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Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht
unterschiedlicher dogmatischer Struktur ineinander übergehen können. Die «Risikoaufklärung» über die postoperativen Gefahren geht Hand in Hand mit den Hinweisen auf das dann notwendige «richtige» Verhalten; die Eröffnung der Diagnose ist in der Regel sowohl Teil der Eingriffs- wie der Sicherungsaufklärung.
Daneben aber gibt es noch die schlichte Aufklärung als solche, die weder der Vorbereitung eines Eingriffs noch der Sicherung der Therapie dient. Sie ist z.B. geschuldet bei einer Kontrolluntersuchung («Check up») oder in sog. Diagnosekliniken42.
d) Besondere Aufklärungspflichten
Der Auftrag wird verstanden als Interessenwahrungsvertrag. Der Beauftragte ist infolgedessen verpflichtet, dem Auftraggeber unaufgefordert alles mitzuteilen, was für diesen «von Interesse» sein kann. Die daraus resultierende umfassende Aufklärungspflicht lässt sich sowohl aus den in OR 398 I u. II enthaltenen Sorgfalts- und Treuepflichten wie aus der in OR 4001 festgelegten Pflicht zur «Rechenschaftsablegung» ableiten, wobei die aus OR 400 resultierende Pflicht prinzipiell nur durch ein entsprechendes Auskunftsbegehren des Auftraggebers ausgelöst wird43.
aa) Ob aus dieser generellen Verpflichtung auch eine Aufklärungspflicht hinsichtlich eigener Fehler abgeleitet werden kann, ist umstritten. Die deutsche Rsp.44 hat eine solche Aufklärungspflicht über eigene Fehlleistungen bejaht. Es ist indessen fraglich, ob die Annahme einer solchen Pflicht nicht zu weit geht. Gegen sie lässt sich einwenden, dass selbst nach strafrechtlichen Grundsätzen niemand zur Selbstanzeige verpflichtet sein kann und darf, so dass die Annahme einer solchen Pflicht im Zivilrecht mit allgemeinen Grundprinzipien unserer Rechtsordnung unvereinbar ist45.
bb) Die Aufklärung über wirtschaftliche Aspekte: Die wirtschaftlichen Konsequenzen einer Heilbehandlung, insb. die finanziellen Folgen kostspieliger Eingriffe, berühren die Interessen des Patienten als Auftraggeber unmittelbar. Infolgedessen ergibt sich aus der Rechenschaftspflicht
42 Besonderheiten zu dieser Aufklärung s. unten II 4 c. 43 Hierzu BK-FELLMANN OR 400 N 13 U. 39 ff. 44 Ihr folgend: DERENDINGER N 77 f. u. 126 ff.; zu alledem Nachweise bei WIEGAND recht
1990, 134 ff. 45 So zurecht MAINARDI-SPEZIALI 107; differenzierend jetzt TAUPITCZBJV 1993,671 ff.
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Die Aufklärungspflicht
von OR 400 I die Verpflichtung des Arztes, den Patienten über derartige wirtschaftliche Aspekte aufzuklären. Diese gelegentlich auch als wirtschaftliche Aufklärungspflicht bezeichnete Obligation des Arztes ist heute in der Schweiz anerkannt; das BGer hat diese Verpflichtung des Arztes in einem unveröffentlichten Entscheid46 ausdrücklich festgehalten und in einem Urteil zur Sicherungsaufklärung47 die wirtschaftliche Aufklärungspflicht, wenn auch nur beiläufig, so doch als selbstverständliche Verpflichtung des Arztes erwähnt48. Vereinzelt haben die Gerichte diese Pflicht auch dahingehend ausgedehnt, dass der Arzt von sich aus Vorabklärungen über die versicherungsrechtliche Situation des Patienten durchführen und diesen darüber orientieren muss49. Es ist zumindest zweifelhaft, ob diese Entscheidung verallgemeinert werden kann50.
//. Die Eingriffsaufklärung
1. Ziele und Grenzen
Die Eingriffsaufklärung bildet die Basis für jede Behandlung, die in die körperliche Integrität des Patienten eingreift. Sie soll ihm eine freie, selbstverantwortliche Entscheidung ermöglichen. Diese Entscheidung soll in Kenntnis aller für ihn persönlich wichtigen Faktoren und in Abwägung aller relevanten Umstände erfolgen. Infolgedessen hat der Arzt dem Patienten alle Informationen zu geben, die dieser als Basis für seine Entscheidung benötigt. Dabei unterscheidet man üblicherweise die Informationen, die den Ist-Zustand betreffen von denjenigen, die sich mit der künftigen Entwick-
46 BGE vom 27. September 1990 E. 2: «Pourque l'accord du patient soiteclaire, l'information soit etre objective et complete, c'est-ä-dire soit porter non seulement sur les aspects medicaux amis aussi economiques du traitement, en particulier son coüt» (zit. nach MAINARDI-SPEZIALI 106 FN 69).
47 BGE 116 II 521; dazu unten 190 ff. 48 Zu alledem auch MAINARDI-SPEZIALI 106 mit wNw. 4'' So hat das BezGer Zürich eine solche Pflicht unter konsumentenschutzrechtlichen Aspekten
bejaht; vgl. SJZ 1989, 249 u. 251. 50 Dazu WIEGAND, in: FS Gagner 547 u. 560.
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Die Eingriffsaufklärung
lung befassen. Man spricht von Diagnoseaufklärung51 und Verlaufsaußlä-rung51. Dabei ist freilich zu beachten, dass es sich nur um eine Art Zuordnungsschema handelt; denn beide Aufklärungsformen gehen in der Regel ineinander über.
Immerhin ist die Einteilung nicht ganz ohne praktische Bedeutung, denn es kommt häufig vor, dass sich verschiedene Ärzte die Aufklärungsaufgaben teilen. So wird häufig der zuerst behandelnde Arzt eine Diagnose stellen, die er dem Patienten eröffnet und ihn zugleich an einen Spezialisten oder an ein Spital überweisen. Dort kann (nicht aber muss) sich die Aufklärung dann auf die Behandlung und deren Konsequenzen beschränken. Man kann hier von einer Aufklärung in verschiedenen Etappen sprechen, ohne dass sich dadurch das eigentliche Ziel und die Bedeutung der Aufklärung verändern würde.
Das Ziel der Aufklärung, dem Patienten eine Basis für die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts zu geben, kann jedoch nicht immer ohne weiteres verwirklicht werden. Dies ist dann der Fall, wenn die Aufklärung selbst oder die mit ihr verbundenen Folgen gerade diese Entscheidungsfähigkeit, die Gesundheit oder zumindest die Heilungschancen beeinträchtigen. Ob und inwiefern sich hier Grenzen der Aufklärung ergeben, ist nach wie vor umstritten53.
Aus der Zielsetzung der Aufklärung ergibt sich eine weitere Problematik, die bisher nur in Teilbereichen erörtert worden ist. Wenn es bei der Eingriffsaufklärung darum geht, dem Patienten die selbstverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen und sein Selbstbestimmungsrecht zu verwirklichen, so kann davon nur die Rede sein, wenn der Patient wirklich selbst entscheidet. In der Theorie der ärztlichen Beratung ist in diesem Zusammenhang das Prinzip des non-directive-counseling entwickelt worden, das vorwiegend im Bereich der genetischen Beratung und der pränatalen Diagnostik eine Rolle spielt54. Es ist jedoch insofern verallgemeinerungsfähig, als daraus der Grundsatz abgeleitet wird, dass die Beratung und die Aufklärung des Patienten nicht dazu führen dürfen, dass dem Patienten die Entscheidungsfreiheit praktisch genommen wird. Es ist natürlich klar, dass dies in weiten Bereichen ein rein theoretisches Konzept ist, nämlich dann, wenn es für den Patienten wenig oder keinen Spielraum gibt. Umgekehrt lässt
51 Vgl. EISNER 165; LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 13 ff.; MEISEL, in: BINSWANGER 162 f. 52 Vgl. BUSSMANN 66; EISNER 166 f.; GUILLOD, Diss. 141 f.; LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 16 ff. 53 S. dazu unten II 3 b. 54 Vgl. MAINARDI-SPEZIALI 39 f. u. 131 f.; WIEGANDTU 1988. 729 ff.
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Die Aufklärungspflicht
sich aber gerade aus diesem Prinzip ableiten, dass der Patient über Alternativen im weitesten Sinne informiert und ihm eine entsprechende Entscheidungsbefugnis eingeräumt werden muss55.
2. Inhalt der Aufklärung
a) Diagnoseaufklärung
Mit der Diagnoseaufklärung orientiert der Arzt den Patienten über den Zustand, der sich aufgrund der durchgeführten Untersuchungen ergibt. Er muss ihm den Befund und dessen Bedeutung erläutern und zwar in einer Art und Weise, die den intellektuellen Fähigkeiten des Patienten entspricht. Er kann Fachausdrücke gebrauchen, wenn er davon ausgehen kann, dass diese dem Patienten geläufig sind. Soweit das nicht der Fall ist, muss er den Befund in einer auch dem Laien verständlichen Weise beschreiben56. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Verwendung von belastenden Begriffen (Karzinom, Melanom oder auch nur Geschwulst oder Krebs) in der konkreten Situation verantwortet werden kann57. Sieht man von diesen, aus therapeutischen Gründen, zulässigen Begrenzungen ab, so ist der Patient vollumfänglich über die gesamte Diagnose zu informieren.
Fraglich ist allein, ob und inwieweit er auch über Verdachtsmomente zu orientieren ist. Dabei ist wie folgt zu differenzieren: Im Rahmen der generellen Aufklärungspflicht über die Befunde einer Untersuchung um-fasst die auf OR 400 gestützte Rechenschaftspflicht des Arztes als Beauftragten auch die Information über Verdachtsmomente. Im Rahmen der Eingriffsaufklärung besteht an sich keine solche Hinweispflicht; denn bevorstehende Eingriffe sollen ja gerade nicht auf einer unsicheren oder gar Verdachtsdiagnose beruhen, sondern Massnahmen sein, deren Notwendigkeit sich aufgrund einer gesicherten Diagnose ergibt58.
55 S. dazu unten II 2 d. 56 Einzelheiten dazu unten II 5. 57 S. dazu unten II 3 b. 58 Missverständlich LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 15, WO ausserdem zu Unrecht auf BGHZ 85,
327 verwiesen wird.
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Die Eingriffsaufklärung
b) Verlaufsaufklärung
Der Arzt hat den Patienten über den Verlauf und die Auswirkung des beabsichtigten Eingriffs zu orientieren. Zu dieser Aufklärung gehören zwei Elemente, die nicht den Eingriff selbst betreffen, sondern gewissermassen seine Voraussetzungen: Der Arzt muss erläutern, warum er den Eingriff überhaupt vorschlägt und, wenn andere Massnahmen in Betracht kommen, welche Alternativen zum vorgeschlagenen Eingriff bestehen59.
Vorstufe und zugleich den Übergang von der Diagnose- zur Verlaufsaufklärung bilden die Erläuterungen über die Gebotenheit des Eingriffs. Dazu gehört zunächst die aus der Diagnose abgeleitete Prognose über die weitere Entwicklung, sofern kein Eingriff vorgenommen wird. Hierbei ist die Gefahr der Beeinflussung besonders gross; denn durch die Darstellung möglicher Folgen kann der Arzt die Entscheidung des Patienten praktisch programmieren. Infolgedessen sind in dieser Phase die Grundsätze des non-directive-counseling60 besonders wichtig. Die Entscheidung über das «ob» muss beim Patienten bleiben.
Um diese zu ermöglichen, müssen dem Patienten in der eigentlichen Verlaufsaufklärung zumindest der Ablauf des Eingriffs und seine Wirkung erläutert werden. Der Arzt kann sich dabei auf die Grundlagen und die wesentlichen Elemente beschränken, muss aber immer beachten, dass die Perspektive des Patienten eine andere ist als die des Arztes: Aus medizinischer Sicht mag die Länge eines Schnittes oder die Schmerzhaftigkeit einer Rektoskopie nebensächlich oder selbstverständlich erscheinen. Für den Patienten kann gerade dies ausschlaggebend sein.
Das gleiche gilt für die vorübergehenden und dauernden Auswirkungen einer Behandlung. Deshalb muss der Patient über die Eingriffsfolgen informiert werden wie etwa Operationsnarben, Funktionseinbussen infolge Substanzverlusten (z.B. Amputationen), Unfruchtbarkeit infolge einer Ge-bärmutterentfemung, Haarausfall als Folge einer Chemotherapie aber auch über Belastungen durch postoperative Nachbehandlungen, wie das bspw. bei der Hämodialyse der Fall ist.
Zu den Eingriffsfolgen im weiteren Sinne gehören auch die damit typischerweise verbundenen Risiken. In welchem Umfang der Patient darüber aufzuklären ist, bleibt nach wie vor umstritten.
S. dazu unten II 2 d. S. dazu oben II 1.
Wiegand 133
Die Aufklärungspflicht
c) Insbesondere die Risikoaufklärung
Bei jeder medizinischen Behandlung können Komplikationen oder planwidrige Entwicklungen auftreten, obwohl der Arzt lege artis gehandelt hat. Erreichen sie eine bestimmte Häufigkeit, so spricht man von typischen Risiken eines Eingriffs. Typisch in diesem Sinne sind etwa Thrombosen, Embolien oder Blutungen nach Operationen. Derartige Komplikationen sind geläufig und vielfach auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Zum anderen gibt es typische (und statistisch höhere) Risiken, die weithin unbekannt sind wie etwa Krankenhausinfektionen61. Fraglich ist deshalb, worüber der Patient in konkretem Falle aufzuklären ist. Ausgangspunkt der Beurteilung bildet der Grundsatz, dass der Patient Anspruch auf die Aufklärung über derartige Risiken hat. Problematisch kann deshalb allein sein, wo die Grenze zu ziehen ist oder umgekehrt formuliert, ob der Arzt über jedes Risiko aufklären muss. Dazu sind verschiedene Konzepte entworfen worden:
aa) Die sogenannte Prozentaufklärung
Teilweise hat man versucht, die Grenzen der Aufklärungspflicht mit Hilfe der statistischen Risikoprozente bzw. -promille zu bestimmen. So hat etwa die deutsche Rsp. zum Teil Aufklärungen über Risiken von weniger als einem Promille verlangt. Die schweizerische Judikatur hat bisher keinen derartigen Massstab angewandt, aber doch indirekt auf die statistische Häufigkeit von Risiken Bezug genommen. Besonders deutlich wird dies in dem neuen Leitentscheid des BGer62. Dort stellt das BGer unter Hinweis auf verschiedene medizinische Publikationen fest, dass «die Durchführung einer Laminektomie im thorakalen Bereich ... in beinahe siebzig Prozent der Fälle zu keiner Verbesserung des Zustandes des Patienten führt. Zudem besteht in nahezu fünfunddreissig Prozent der Fälle die Gefahr einer Para-plegie. Über diese vom Gesichtspunkt eines medizinischen Laien aus sehr ungünstigen Erfolgsaussichten hätte der Kläger ausdrücklich und unter Angabe der ungefähren prozentualen Anteile aufgeklärt werden müssen»63. Damit hat das BGer in einigen zentralen Punkten gewissermassen Leitlinien entwickelt.
61 Vgl. HONSELL ZSR 1990 I 137 und oben 7. 62 BGE 1171b 201, 205 ff. 65 BGE117Ib206E.4.
134 Wiegand
Die Eingriffsaufklärung
Es bestätigt, was oben schon generell für die Aufklärungsbedürftigkeit ausgeführt wurde: Es kommt nicht darauf an, ob das Risiko aus medizinischer Sicht gross oder klein ist, massgeblich ist vielmehr die Perspektive des Laien. Immerhin hält das BGer die Angabe der «ungefähren prozentualen Anteile» für geboten.
Inwieweit Folgerungen aus diesen Leitlinien gezogen werden können, ist jedoch ungewiss, weil es sich um einen allzu eindeutigen Fall handelt. Dass über derart hohe Risiken aufzuklären ist, bedürfte an sich keiner Diskussion. Die Nennung von Prozentsätzen hat in solchen Fällen wohl nur erläuternde Funktion; sie stellt nicht etwa ein notwendiges Element der Aufklärung dar. Das BGer hat mit dem Hinweis auf die statistische Häufigkeit in casu wohl auch nur klarstellen wollen, dass es sich um einen Fall handelt, in dem der Aufklärungsbedarf evident war. Das bedeutet, dass in der Schweiz auch in Zukunft Risikoprozente nicht ausschlaggebend für die Auf klärungsbedürftigkeit sind, sondern allenfalls dem Arzt als Beurteilungsfaktoren dienen. Insb. gehört die Bezifferung des Risikos nicht zum Inhalt der Aufklärung; sie kann höchstens zur Verdeutlichung herangezogen werden.
bb) Sonstige Massstäbe für die Aufklärungsbedürftigkeit
In der Literatur sind zahlreiche Versuche unternommen worden, Massstäbe dafür zu entwickeln, wann über Risiken aufzuklären ist. Das Ziel dieser Bemühungen ist es, verlässliche Kriterien zu erarbeiten und damit eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen64. Genannt werden etwa Häufigkeit und Gewicht der Komplikation oder Gebotenheit des Eingriffs in sachlicher und zeitlicher Hinsicht. Aus einer Kombination dieser Kriterien werden dann Regeln abgeleitet, wie etwa die, dass mit zunehmender Dringlichkeit des Eingriffs geringere Anforderungen an die Aufklärung zu stellen sind65.
Bei näherer Betrachtung erweisen sich alle diese Ansätze als ungeeignet und zum Teil auch als verfehlt. Dies lässt sich an einzelnen Konse-
64 S. LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 6 ff.; vgl. auch EISNER 167 ff. 65 So KUHN ZSR 1986 I 479 u. 501; LAUFS/UHLENBRUCK § 63 N 6, spricht vom «reziproken
Zusammenhang zwischen Indikation u. Aufklärungspflicht»: BOCKELMANN 59 spricht von dem «Grundsatz, dass das Mass der Genauigkeit, mit der aufgeklärt werden muss, im umgekehrten Verhältnis zu dem Mass der Dringlichkeit steht, mit der die Operation indiziert ist».
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Die Aufklärungspflicht
quenzen der aufgestellten Regeln, aber auch durch Rückbesinnung auf die Grundlagen der Aufklärungspflichten zeigen:
So führt die zeitliche Dringlichkeit nicht dazu, dass der Auf klärungsbedarf des Patienten geringer wird; es bleibt allenfalls keine Zeit für eine umfassende Aufklärung. Nur soweit dies zutrifft, ist eine nichtumfassende Information zulässig. Ebenso liegt es bei der sachlichen Dringlichkeit. Auch die medizinische Gebotenheit des Eingriffs reduziert den Aufklärungsbe-darf des Patienten nicht; die These, dass in diesem Fall geringere Anforderungen an die Aufklärung zu stellen seien, beruht (wenn auch meist unausgesprochen) auf der Annahme, dem Patienten bleibe ja sowieso kaum ein Entscheidungsspielraum66. Dies mag tatsächlich so sein, und es entspricht auch einer gewissen Lebenserfahrung, dass ein Patient in derartigen Situationen «in der Regel» zustimmt. Das ändert jedoch nichts an der Rechtslage: Der Anspruch des Patienten auf Information und die Pflicht, ihm diese auch zu geben, werden dadurch nicht berührt. Ähnliches gilt für die häufig diskutierte Unterscheidung zwischen therapeutischem und diagnostischem Eingriff. Es ist zwar richtig, dass der diagnostische Eingriff nicht so dringlich ist wie der therapeutische. Gleichwohl ist es eine Unterstellung, dass der Patient für die Entscheidung über den therapeutischen Eingriff weniger Informationen benötige als für die Entscheidung über den diagnostischen Eingriff. Richtig ist nur, dass der Entschluss beim diagnostischen Eingriff natürlich schwerer fällt als beim therapeutischen, weil beide nicht in gleicher Weise dringlich sind. Aber auch das alles ändert nichts am Aufklärungsbedarf des Patienten.
cc) Massstab der individuellen Aufklärungsbedürftigkeit
Die erörterten Bsp. zeigen, dass die angeführten Kriterien auch in ihrer Kombination keine Entscheidungsgrundlage bilden und letztlich nicht einmal eine Entscheidungshilfe darstellen. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, bestünden grundsätzliche Bedenken, denn mit der Aufstellung solcher Kriterien wird der Versuch unternommen, die Massstäbe für die Aufklärung zu schematisieren. Gerade das ist aber mit der Grundkonzeption der Aufklärungspflicht nicht vereinbar. Diese hat den Zweck, das Informationsdefizit des Patienten zu beseitigen und ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen. Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn
Vgl. dazu EISNER 169 f., unter Bezugnahme auf MEISEL. in: Binswanger 165 ff.
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Die Eingriffsaufklärung
auf die individuellen Informationsbedürfnisse abgestellt wird. Nur ein solcher Massstab gewährleistet, dass dem Patienten eine wirkliche Selbstbestimmung möglich wird67. Daraus ergibt sich zugleich, dass auch bei der Risikoaufklärung nicht der «verständige Patient» als Massstab gelten kann68, sondern der zu behandelnde individuelle Mensch in der konkreten Situation69.
Es ist klar, dass derartigen Anforderungen vor allem in der Praxis der Spitäler nicht leicht entsprochen werden kann; es ist jedoch möglich, wenn man in der hier vorgeschlagenen Weise vorgeht und die generelle sowie die konkret-individuelle Aufklärung miteinander verknüpft und den Umständen entsprechend gewichtet70.
Dass das hier vorgeschlagene Vorgehen sachgerecht ist, ergibt sich auch aus einem Vergleich mit den sonstigen Aufklärungspflichten, die im Haftungsrecht entwickelt worden sind. Bei den auftragsrechtlichen Informationspflichten stellt man generell und zurecht auf die individuellen Informationsbedürfnisse des Auftraggebers ab. Diesen hat der Beauftragte Rechnung zu tragen. Dies gilt immer (aber auch nur dann), wenn es sich um ein individuelles Auftragsverhältnis handelt. Sobald ein Massengeschäft vorliegt, kann eine derartige Berücksichtigung der konkreten Situation und Bedürfnisse des Auftraggebers nicht mehr verlangt werden. Die Unterschiede im Hinblick auf die Informationspflicht werden sehr deutlich, wenn man den Fall der indivuellen Vermögensanlageberatung mit demjenigen der massenhaften Vermögensverwaltung von Grossinstituten vergleicht. Bezieht man die ausservertraglichen Aufklärungs- und Informationspflichten in die Betrachtung ein, so liegt es nahe, die Aufklärungspflichten des Arztes mit derjenigen des Medikamentenherstellers oder des Produzenten generell zu vergleichen. Auch hier ist das Problem des Hinweises auf die typischen Risiken seit langem diskutiert. Es ist allgemein anerkannt, dass die Pflicht zur Aufklärung und Warnung des Konsumenten sich aus dessen Informationsdefiziten ergibt. Die Frage, über welche Risiken aufzuklären ist, stellt sich hier in ähnlicher Weise wie bei der ärztlichen Aufklärung. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, dass man sich bei einer Warnung und Information, die sich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen richtet, die dem Hersteller von Arzneimitteln oder Produkten nicht bekannt sind.
67 S. dazu GUILLOD, Diss. 127 ff. u. 149 ff. 68 S. dazu oben II 2 c. w So im Ergebnis auch HONSELL ZSR 1990 I 139. 70 Dazu unten II 5 c.
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Die Aufklärungspflicht
nicht an individuellen Massstäben orientieren kann. Infolgedessen ist es dort durchaus zulässig und letztlich unvermeidbar, dass man auf den durchschnittlichen Konsumenten oder den verständigen Arzneimittelbenutzer abstellt. Zu einer derartigen Generalisierung besteht jedoch im Arztrecht kein Anlass. Es gehört zu dessen Besonderheiten, dass das Verhältnis zwischen Patient und Arzt als persönliche Beziehung verstanden wird. Daraus ergibt sich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, dass die Aufklärung des Arztes sich an den persönlichen Bedürfnissen und der konkreten Situation des Patienten orientieren muss und dass Schematisierungen und Verallgemeinerungen, wie sie bei der Verteilung von massenhaft produzierten Gütern notwendig sind, hier keinen Raum haben.
dd) Die Rechtsprechung des Bundesgerichts
Die Rsp. des BGer hat sich zur Aufklärungspflicht verglichen mit den Gerichten der umliegenden Länder spät und nur selten geäussert71. Es hat jedoch in dem mehrfach erwähnten Leitentscheid seinen Standpunkt zusammengefasst und nochmals verdeutlicht:
«Nach der Rsp. des BGer ist der Arzt verpflichtet, den Patienten über Art und Risiken der in Aussicht genommenen Behandlungsmethoden aufzuklären, es sei denn, es handle sich um alltägliche Massnahmen, die keine besondere Gefahr und keine endgültige oder länger dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Integrität mit sich bringen. Der Patient soll über den Eingriff oder die Behandlung soweit unterrichtet sein, dass er seine Einwilligung in Kenntnis der Sachlage geben kann. Die Aufklärung darf jedoch keinen für seine Gesundheit schädlichen Angstzustand hervorrufen (BGE 113 Ib 426 E. 6, 108 II 61 E. 2). Massstab des Ausmasses der Aufklärung sind auf der einen Seite die vom Arzt gestellte Diagnose und die nach den medizinischen Kenntnissen des damaligen Zeitpunktes mit dem Eingriff verbundenen Risiken. Ob die Diagnose rückblickend richtig war, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Das Stellen einer falschen Diagnose bildet allenfalls einen selbständigen Haftungsgrund. Andererseits kann der Arzt im allgemeinen davon ausgehen, dass er es mit einem verständigen Patienten zu tun hat, der im Rahmen seiner Lebenserfahrung um die allgemein bekannten Gefahren der in Frage stehenden Operation weiss. Nicht aufzuklären hat der Arzt deshalb über Komplikationen, die mit einem grösseren
71 S. dazu die Zusammenstellung der BGE zur Aufklärungspflicht am Ende dieses Kap.
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Die Eingriffsaufklärung
Eingriff regelmässig verbunden sind oder ihm folgen können, wie z.B. Blutungen, Infektionen, Thrombosen oder Embolien. Zu berücksichtigen sind aber auch die konkreten Umstände. So braucht der Arzt einen Patienten oder dessen gesetzlichen Vertreter dann nicht in allen Einzelheiten über die Gefahren der geplanten Operation aufzuklären, wenn auf der Hand liegt, dass diesem aufgrund früherer ähnlicher oder gleicher Operationen die einschlägigen Risiken bereits bekannt sein müssen (vgl. BGE 115 Ib 178). Allgemein gilt aber, dass der Arzt bei gewöhnlich mit grossen Risiken verbundenen Operationen, die schwerwiegende Folgen haben können, den Patienten ausführlicher aufklären und informieren muss, als wenn es sich um einen im allgemeinen unproblematischen Eingriff handelt.»72
Im Ergebnis stimmen die Leitlinien des Urteils mit dem hier vertretenen Standpunkt überein. Das BGer stellt auf die konkrete Situation ab und bringt, sofern es generalisiert, jeweils Vorbehalte an. So heisst es ausdrücklich, der Arzt könne «im allgemeinen» von gewissen Kenntnissen ausgehen. Sofern Zweifel bestehen, ob der Patient solche Kenntnisse besitzt, ist aufzuklären73.
Andererseits kann so auch den individuellen (Vor-)Kenntnissen des Patienten Rechnung getragen werden, wie in dem vom BGer erwähnten Fall74.
d) Alternative Behandlungsmethoden
Aus dem Zweck der Aufklärung ergibt sich mit Selbstverständlichkeit die schon oben angedeutete Notwendigkeit der Aufklärung über Alternativen zu dem vom Arzt vorgeschlagenen Eingriff. Erst und nur dann kann der Patient entscheiden, ob er diesen Eingriff und die damit verbundenen Risiken wirklich will oder ob er eine andere Behandlung vorzieht. Um eine solche Entscheidung zu ermöglichen, müssen insb. die Risiken der verschiedenen Eingriffe, aber auch die evtl. unterschiedlichen Erfolgsaussichten erläutert werden. Gerade hier ist erneut darauf hinzuweisen, dass der Arzt
72 BGE 1171b 203 f. E. 3b. 73 M.E. ist die Annahme des BGer, jedermann wisse, dass nach Operationen Blutungen.
Infektionen, Thrombosen oder Embolien auftreten, sehr problematisch. Hierüber klärt deshalb das im Anhang abgedruckte Formular des Berner Inselspitals zurecht u. in vorbildlicher Weise auf.
74 In BGE 1151b 178 ff. ging es um die Aufklärung der Eltern eines dreijährigen Kindes, das zum dritten Mal am Herzen operiert wurde. Eine erneute Aufklärung wurde zurecht für unnötig gehalten.
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Die Aufklärungspflicht
sich nach den Grundsätzen des non-directive-counseling75 verhalten muss. Dies bedeutet nicht, dass er auf entsprechende Fragen nicht die Vorteile des von ihm vorgeschlagenen Eingriffs hervorheben darf; es bedeutet aber, dass er allfällige andere Eingriffsmöglichkeiten nicht bewusst so darstellen darf, dass die Entscheidung des Patienten beeinflusst wird76.
Von der Information über andere Behandlungsmethoden ist zu unterscheiden die Informationen über bessere Behandlungsmöglichkeiten. Nach nahezu allgemeiner und zutreffender Auffassung ist der Arzt nicht verpflichtet, den Patienten eines Bezirksspitals darauf hinzuweisen, dass der gleiche Eingriff in einem Kantons- oder Universitätsspital in qualitativ besserer oder gesicherterer Weise vorgenommen werden könne. Es ist freilich nicht zu verkennen, dass diese /tecfeauffassung dabei natürlich weitgehend durch die faktischen Verhältnisse geprägt ist. Würde man nämlich eine derartige Aufklärungspflicht annehmen, so würde die grosse Mehrzahl der Patienten sich für eine Behandlung in den besser ausgerüsteten oder mit qualifizierterem Personal ausgestattete Spitäler entscheiden. Dass dies gesundheitspolitisch nicht erwünscht und auch schwer realisierbar wäre, liegt auf der Hand. Dass dies auch ausreichender Grund dafür sein soll, dass eine entsprechende ärztliche Informationspflicht nicht besteht, ist zumindest problematisch.
Ebenso ist von der Entscheidung über alternative Behandlungsmethoden die Wahl der richtigen Behandlungsmethode zu unterscheiden. Sie steht als medizinische Fachfrage allein dem Arzt zu77. Hält der Arzt eine Behandlungsmethode im konkreten Fall für ungeeignet, so kommt sie als Alternativmethode nicht mehr in Betracht, weshalb über diese Möglichkeit auch nicht aufgeklärt werden muss.
Fraglich ist schliesslich, ob die Informationspflicht des Arztes bezüglich alternativer Behandlungsmethoden sich auch auf Möglichkeiten erstreckt, die ausserhalb des Bereichs der sogenannten Schulmedizin liegen78. Hier lassen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen. Als Grundsatz
75 S. dazu oben II 1. 76 Das BGer anerkennt seit BGE 114 Ia 350 ff. = Pra 1989,951 ff. eine ärztliche Aufklärungs
pflicht über Behandlungsalternativen: «Cette libert6 de choix part de la consideration que les patients qui possedent la capacite de prendre des decisions au sujet des soins qui leur sont prodigues doivent etre ä meme de le faire, et obtenir por cela toute information pertinente sur leur etat de sante et les possibilites de traitement.» (358 E. 6) S. dazu auch LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 4 ff.; EISNER 166 f.; Die deutsche Judikatur hat die Aufklärungspflicht über Behandlungsalternativen schon mehrfach anerkannt, s. insb. BGH NJW 1988, 1516 (Magenoperation).
77 S. dazu LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 4 mit Hinweisen auf die deutsche Rsp. 78 Vgl. dazu SIEBERT 118 ff.; SCHMID NJW 1986, 2339 ff. -
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Grenzen der Aufklärung
kann immerhin die Annahme gelten, dass eine Information über derartige alternative Behandlungsmethoden zumindest dann geboten ist, wenn diese einen gewissen Anerkennungsgrad erreicht haben - wie z.B. heute die Behandlung allergischer oder rheumatischer Erkrankungen durch Akupunktur.
3. Grenzen der Aufklärung
Aus dem zuvor aufgezeigten Inhalt und Umfang der Aufklärungspflicht ergibt sich zwangsläufig die Frage, wo deren Grenzen liegen79. Hier sind zwei Gesichtspunkte zu unterscheiden. Zum einen geht es um eine generelle rechtsdogmatische wie rechtspolitische Grundsatzfrage, nämlich darum, wieviel Aufklärung erforderlich und zugleich sinnvoll ist80. Zum andern aber geht es um eine spezifisch arztrechtliche Frage, nämlich darum, wieviel Aufklärung der Patient verträgt, ohne Schaden zu erleiden. Beide Fragen sind scharf voneinander zu trennen.
a) Generelle Begrenzung von Informationspflichten
Informationspflichten dienen - wie schon mehrfach hervorgehoben - dem Abbau von Informationsdefiziten. Sie haben also die Funktion, das Informationsgefälle zwischen dem Aufklärungspflichtigen und dem Aufklärungsempfänger auszugleichen. An der grundsätzlichen Berechtigung dieser für das Expert-Client-Verhältnis entwickelten Konzeption bestehen keine Zweifel. Sie gilt nicht nur im gesamten medizinischen Bereich, sondern überall dort, wo eine der am Rechtsverkehr beteiligten Parteien, insb. ein Vertragspartner, über einen Wissens- oder Erfahrungsvorsprung verfügt. Die grundsätzliche Anerkennung der darauf basierenden Informationspflicht hat jedoch nicht nur zu der Frage geführt, worüber informiert werden muss, sondern auch zu jener, wieviel Information der Empfänger verarbeiten kann. Derartige Überlegungen sind insb. im Bereich der Produkthaftung und ge-
Bei den folgenden Ausführungen gilt primär wie für die «Selbstbestimmungsaufklärung» das Prinzip der schonenden Aufklärung. Dies gilt aber nicht für die Information über Untersuchungsergebnisse (z.B. in einer reinen Diagnoseklinik), die nicht der Vorbereitung einer Behandlung oder eines Eingriffs dienen; s. oben I 4 c. Hierzu etwa GRUNEWALD ACP 1990. 609 ff.; dort auch zum folgenden.
Wiegand 141
Die Aufklärungspflicht
nerell im Bereich der gesamten Dienstleistungen angestellt worden. Es hat sich sehr bald gezeigt, dass eine allzu extensive und detaillierte Information kontraproduktiv ist. Diese sogenannte Überinformation wird zur Desinformation, so dass der Aufklärungsbedarf überhaupt nicht befriedigt wird, weil der Informationsempfänger die Informationsflut gar nicht verarbeiten kann. Hieraus ist der allgemeine Grundsatz entwickelt worden, dass die Information so gestaltet und begrenzt werden muss, dass der Empfänger sie verarbeiten kann. Darüberhinausgehende Informationen sind nur auf dessen ausdrücklichen Wunsch und zielgerichtete Anfrage zu erteilen. Diese Grundsätze gelten ohne weiteres auch für den Bereich des Medizinrechts, der jedoch noch durch eine weitere Besonderheit gekennzeichnet ist.
b) Die zumutbare Aufklärung
Die Besonderheit im medizinischen Bereich liegt darin, dass der Umfang der Aufklärung nicht nur durch die Masse der Fakten, die der Patient vernünftigerweise aufnehmen kann, begrenzt wird, sondern auch durch einen weiteren Umstand: Der Patient kann nicht jede Information «verkraften». Es geht also darum, ob und inwieweit der Arzt ihm die Mitteilung der Ergebnisse der Untersuchung oder der Folgen eines Eingriffs bzw. seines Unterbleibens «zumuten» kann. Es handelt sich hierbei um eine seit langem bekannte Konfliktsituation81, die in dieser Form bei den sonstigen Informationspflichten nicht auftritt.
Das BGer hat bezüglich der Aufklärung des Patienten festgehalten, diese dürfe «keinen für seine Gesundheit schädlichen Angstzustand hervorrufen»82. Geht man vom Aufklärungszweck aus - der Ermöglichung der Selbstbestimmung des Patienten - so ist die Aufklärung nutzlos, wenn durch sie die Selbstbestimmung nicht nur nicht ermöglicht, sondern eher noch vereitelt wird. Dies ist immer dann der Fall, wenn aufgrund der Konstitution des Patienten die Offenbarung einer deprimierenden Diagnose oder hoher Risiken dazu führt, dass die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt oder gar ausgeschlossen wird. Hieraus ergibt sich, dass der Arzt seiner an sich bestehenden Aufklärungspflicht dann nicht nachkommen kann und darf, wenn deren Erfüllung sich als kontraproduktiv erweisen würde.
81 Das Problem wird gelegentlich mit der Formel «salus aut voluntas» umschrieben. *2 BGE 117 Ib 203; unter Bezugnahme auf BGE 113 Ib 426 E. 6 u. 108 II 61 E. 2; s. auch
BGE 105 II 287 = Pra 1980, 365 mit zahlreichen weiteren Literaturhinweisen.
142 Wiegand
Grenzen der Aufklärung
Ob und wann das der Fall ist, kann wiederum nicht generell bestimmt werden. Massgeblich sind vielmehr die persönlichen Eigenschaften des Patienten und seine konkrete Situation. Infolgedessen muss die Beurteilung, wieviel Aufklärung dem Patienten zuzumuten ist, dem behandelnden Arzt überlassen bleiben.
Generell ist jede Aufklärung, welche den Behandlungserfolg gefährden kann, auf ihre Notwendigkeit und therapeutische Verträglichkeit zu überprüfen83. Die Schonungslosigkeit, mit der die Aufklärung vorgenommen wird, findet deshalb dort ihre Grenzen, wo sie nicht mehr dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts dient, sondern dazu führt, dass der Patient durch Angstzustände oder Resignation in den Entfaltungsmöglichkeiten seines Selbstbestimmungswillens eingeschränkt wird84.
c) Problematik der «Zumutbarkeit» der Aufklärung
Die dargelegte Konzeption wird gelegentlich als therapeutisches Privileg85 bezeichnet. Ein Teil der juristischen Literatur ist der Auffassung, dass es ein derartiges therapeutisches Privileg nicht geben dürfe. Vielmehr habe das Selbstbestimmungsrecht des Patienten absoluten Vorrang und dürfe auf diese Weise nicht unterlaufen werden. Es handle sich dabei im Resultat um nichts anderes als um eine «paternalistische Bevormundung durch den Experten»86.
Die generelle Ablehnung des therapeutischen Privilegs ist nicht gerechtfertigt87. Die daran geäusserte Kritik ist insofern wichtig, als sie dazu beiträgt, mit dem therapeutischen Privileg zurückhaltend umzugehen. Dies
83 Würde der Patient über die Wirkung eines Placebo-Mittels aufgeklärt werden, wäre der therapeutische Zweck des Placebos vereitelt.
84 Ein krasses Bsp. aus einem Patienten-Merkblatt eines amerikanischen Zentrums für Knochenmarktransplantation zeigt, was nicht mehr vertretbar ist: «Sie haben eine akute Leukämie, an der Sie mit einiger Sicherheit innerhalb von 2 Jahren sterben werden.» (zit. nach R. GROSS 43).
85 Der Begriff wird uneinheitlich verwendet. Im folgenden wird er in einem weiten Sinne verwendet, d.h. als die Möglichkeit, den Umfang der Aufklärung zu «dosieren», d.h. auf den Patienten individuell abzustimmen (u. damit auch einzuschränken), um eine optimale Selbstbestimmung zu ermöglichen.
86 So insb. GIESEN, medizinische Behandlung 133 ff. u. 163 ff., mit umfassenden Nachweisen zur Rechtslage in Deutschland u. Österreich sowie mit kritischen Anm. zur Rsp. des schweizerischen BGer; anders aber PICHLER 340 ff.
87 EISNER 183 ff.; GUIIXOD, Diss. 192 ff.; LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 19 ff. u. § 163 N 74 f.; HONSELLZSR 19901 148.
Wiegand 143
Die Aufklärungspflicht
vorausgesetzt, ist an der grundsätzlichen Befürwortung durch das BGer festzuhalten, zugleich aber folgendes klarzustellen:
aa) Die Anwendung des therapeutischen Privilegs findet dort seine Grenzen, wo es nicht mehr dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten dient. Ist z.B. bei einem schwer Krebskranken mit einer Selbstbestimmung zu rechnen, die jede weitere lebensverlängernde Massnahme verhindert, so begründet dieser Umstand keine Reduktion des Aufklärungs-umfangs. Auch hier gilt, dass der Arzt den Patienten in seiner Willensfin-dung so weit als möglich zu unterstützen hat und eine einmal geäusserte Selbstbestimmung respektieren muss88.
bb) Aber auch dermassen reduziert, bleibt diese Konzeption in verschiedener Hinsicht problematisch:
Zum einen besteht die Gefahr, dass die mangelnde Belastbarkeit des Patienten als genereller Vorwand gebraucht und dadurch die Aufklärungspflicht ausgehöhlt wird. Diese Gefahr ist jedoch eher gering einzuschätzen; gewichtiger ist ein anderes Risiko: Ist die erforderliche Aufklärung - aus welchen Gründen auch immer - unterblieben und kommt es anschliessend zu rechtlichen Auseinandersetzungen, so bietet sich die Behauptung geradezu an, dass die Aufklärung deshalb unterblieben sei, weil der Patient sie vor dem Eingriff nicht verkraftet hätte.
Anderseits besteht auch die umgekehrte Gefahr, dass der vom Arzt zurecht nicht aufgeklärte Patient in späteren Rechtsstreitigkeiten behauptet, ihm hätte eine umfassende Aufklärung durchaus zugemutet werden können89.
Es liegt auf der Hand, dass die beschriebene Problematik nicht eigentlich gelöst werden kann. Man kann jedoch die Schwierigkeiten reduzieren, wenn man zunächst einmal die beweisrechtliche Seite und die materiell-rechtliche Frage unterscheidet.
Unter diesem Gesichtspunkt erscheint der vom BGer in BGE 105 II 285 ff. = Pra 1980, 362 ff. definierte Anwendungsbereich des therapeutischen Privilegs gefährlich weit: «Le devoir d'informer trouve ses limites dans la definition meme de la science medicale, qui a pour objet la conservation et la retablissement de la sante.» (288). Besonders illustrativ ist in dieser Hinsicht BGE 105 II 285 ff. = Pra 1980, 362 ff.; in diesem Fall unterliess es der behandelnde Chirurg, den Patienten über seinen Verdacht auf Krebs bei einem festgestellten Dickdarmtumor zu informierem, nachdem ihm die Ehefrau u. der Hausarzt des Patienten davon abgeraten hatten. Nach der Operation machte der Patient geltend, dass er die Diagnose verkraftet hätte, da er gewohnt sei, «den Dingen ins Gesicht zu sehen». Das BGer verneinte in diesem Fall eine Pflicht zu weitergehender Aufklärung.
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Grenzen der Aufklärung
- In beweisrechtlicher Hinsicht sind wie in allen anderen Fällen die Grundzüge der Aufklärung nach den unten90 dargelegten Grundsätzen in der Krankengeschichte als Teil der Dokumentationspflicht festzuhalten. Bleibt der Aufklärungsinhalt hinter den Standards zurück, die für einen Eingriff dieser Art eingehalten werden müssen oder wird die Diagnose dem Patienten nicht in vollem Umfang eröffnet, muss dies nicht nur in der Krankengeschichte vermerkt, sondern auch begründet werden. Damit verschafft sich der Arzt im Rahmen der unten91 dargelegten Möglichkeiten eine bessere prozessuale Ausgangslage.
- In materiell-rechtlicher Hinsicht ist zunächst eine Klarstellung erforderlich. Bei der Entscheidung, ob der Patient über bestimmte Umstände nicht aufgeklärt werden soll, geht es nicht nur um ein Problem der Aufklärungspflicht, sondern zugleich auch um die Frage der richtigen Erfüllung der Sorgfaltspflicht des Arztes. Dieser muss mit der von ihm geschuldeten Sorgfalt abwägen, ob und inwieweit der Patient eine Aufklärung ertragen kann, ohne dass seine psychische oder physische Situation dadurch verschlechtert wird. Kommt er zu dem Schluss, dass eine solche Verschlechterung oder gar eine akute Gefährdung sicher eintreten wird, so muss er sich fragen, ob ein solches Risiko in Kauf genommen werden muss, um dem Patienten die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts zu ermöglichen. In dieser mit dem Schlagwort «salus aut voluntas» umschriebenen Konstellation wird dem Arzt immer wieder empfohlen, er solle so entscheiden, dass «salus et voluntas» angemessen berücksichtigt werden können. Diese «Zauberformel» kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich letzten Endes um einen Kompromiss handelt; diesen kann man dahingehend formulieren, dass der Arzt dem Patienten so viel Aufklärung gibt, wie er verantworten zu können glaubt. Bei dieser Entscheidung ist mit aller Sorgfalt zwischen Gesundheit und Selbstbestimmungsrecht abzuwägen und das Mass der zumutbaren Auskunft festzusetzen. Für eine spätere rechtliche Auseinandersetzung ist dies der zentrale Punkt. Es geht dann nicht darum, ob zuviel oder zuwenig aufgeklärt worden ist, sondern es kann ausschliesslich darum gehen, ob der Arzt die Entscheidung mit der gebotenen Sorgfalt getroffen hat.
S. unten II 5 a dd. S. unten II 5 a dd.
Wiegand
Die Aufklärungspflicht
Der beurteilende Richter hat sich hier - wie bei Sorgfaltspflichtsver-letzungen generell92 - in die Situation des entscheidenden Arztes zurückzuversetzen und zu fragen, wie aus damaliger Sicht ein sorgfältig handelnder Arzt entschieden hätte.
cc) In besonders kritischen Situationen, in denen der Arzt einerseits dem Patienten eine Aufklärung nicht zuzumuten können glaubt, anderseits aber auf eine Entscheidungshilfe nicht verzichten will, bietet sich die Information der Angehörigen93 an. Diesen Weg hat das BGer ausdrücklich gebilligt94. Die Information der dem Patienten nahestehenden Person kann in extremen Fällen ein Ausweg sein, darf aber nicht dazu führen, dass der Arzt diesen Ausweg regelmässig wählen kann95.
Entscheidet sich der Arzt für die Information von nahestehenden Personen, muss auch dieser Vorgang in der Krankengeschichte aufgezeichnet und entsprechend den unten96 dargelegten Grundsätzen begründet werden.
4. Einzelfragen
a) Operationserweiterung
Die Frage, ob und in welchem Umfang Operationserweiterungen zulässig sind, ist umstritten. Im Prinzip ist daran festzuhalten, dass der Eingriff nur so weit reichen darf, wie die aufgrund der zuvor erfolgten Aufklärung erteilte Einwilligung97. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine
n Die Problematik dieser ex post Beurteilung von Sorgfaltsverstössen beschränkt sich nicht auf den hier vorliegenden Fall. Es handelt sich um ein generelles Phänomen des Haftungsrechts. Dazu etwa WIEGAND, Verantwortlichkeit 1, 16 ff.
93 Der Begriff der Angehörigen ist in diesem Zusammenhang nicht definiert. Bei Verheirateten dürfte es in erster Linie der Ehepartner sein. Des weitern kommen nahe Verwandte aber auch Lebenspartner in Frage.
94 BGE 105 II 285 ff. = Pra 1980, 362 ff.: «Un prognostic grave ou fatal... peut etre cache au patient, mais doit en principe etre revele ä ses proches.» (288).
93 Kritisch hierzu: BGHZ 107, 222 = JZ 1989, 901 mit Anm. LAUFS. 96 S. unten II 5 a dd 97 So insb. die strenge deutsche Rsp. (vgl. Fallkonstellation von BGHSt 11, 111 «Myom-
Fall»).
146 Wiegand
Einzelfragen
Erweiterung im konkreten Fall zulässig ist, wird unten98 eingehend dargelegt.
b) «Exzessive» Aufklärung
Fragen des Patienten verpflichten den Arzt regelmässig zu Antworten". Verlangt dieser jedoch eine exzessive Aufklärung, d.h. Informationen, die offensichtlich nicht der Selbstbestimmung dienen, so ist der Arzt grundsätzlich nicht zur Auskunft verpflichtet. Entschliesst er sich jedoch, dem Patienten Auskunft zu erteilen, so muss diese vollumfänglich erfolgen; denn mit der Auskunftserteilung übernimmt der Arzt gleichzeitig eine weitergehende Pflicht, die ihn zur wahrheitsgetreuen Auskunft verpflichtet100.
c) Der diagnostische Eingriff
Der Umfang der Aufklärung über die Folgen eines diagnostischen Eingriffs ist grundsätzlich nach den bereits dargelegten Regeln zu bestimmen. Der Umstand, dass es sich regelmässig um einen Eingriff ohne unmittelbare Heilwirkung handelt, vermag den Umfang der Aufklärung nicht zu verändern101.
d) Zufallsfund
Infolge der immer differenzierteren und zugleich weiterreichende-ren Diagnosetechnik kommt es immer häufiger zu demjenigen Sachverhalt, den man verkürzt als Zufallsfund bezeichnen kann. Im Rahmen einer auf Wunsch des Patienten durchgeführten Untersuchung oder bei einer vom Allgemeinmediziner veranlassten Spezialuntersuchung werden krankhafte Befunde entdeckt, nach denen man eigentlich nicht gesucht hatte. So kann sich bei Röntgenaufnahmen der Lunge eine krankhafte Veränderung der Wirbelsäule zeigen oder im Rahmen der pränatalen Diagnose eine Krebs-
98 S. unten III 3a. 9 9 So LAUFS/UHLENBRUCK § 68 N 18.
100 Hierzu ARZT 65. 0i Die bei LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 8 ff., vertretene Meinung ist abzulehnen. S. dazu oben
II 2 c bb.
Wiegand 147
Die Aufklärungspflicht
geschwulst am Darm entdeckt werden. Gerade beim letzten Bsp. wird das Problem mit Deutlichkeit sichtbar: Die Untersuchung zielt darauf ab, evtl. krankhafte Veränderungen der Leibesfrucht frühzeitig festzustellen. Wird diese Untersuchung vom Gynäkologen durchgeführt, so könnte man immerhin noch davon ausgehen, dass er verpflichtet ist, den Gesundheitszustand der Mutter in seine Betrachtungen einzubeziehen, da dieser für den Ablauf der Schwangerschaft sowie für den Gesundheitszustand des Embryos wichtig ist. Aber schon wenn man die Situation nur geringfügig verändert und annimmt, dass bei einer in einem darauf spezialisierten Spital vorgenommenen Fruchtwasseruntersuchung (diese wird mit Hilfe von Ultraschall kontrolliert) ein derartiger Befund sichtbar wird, stellt sich sogleich die Frage, ob überhaupt und gegbenenfalls wem dieser zu offenbaren ist. Grundsätzlich wird daran festzuhalten sein, dass der Patient ein Recht auf Kenntnis aller Befunde hat, die bei ihm festgestellt werden. Andererseits ist gerade im Bereich der durch die gentechnische Forschung erweiterten Erkenntnismöglichkeit seit langem anerkannt, dass dem Patienten ein Recht auf Nichtwissen102 zusteht. Um hier eine Grenzziehung zu ermöglichen, wird es in Zukunft in vielen Bereichen notwendig sein, den Patienten vor der Untersuchung darüber zu befragen, ob er die Offenbarung sämtlicher Untersuchungserkenntnisse oder nur den Befund haben wolle, auf den die Untersuchung an sich ausgerichtet war.
5. Art und Form der Aufklärung
a) Das Aufklärungsgespräch
aa) Allgemeines
Die Aufklärung wie auch die Eingriffseinwilligung bedürfen keiner bestimmten Formm. Dieser Grundsatz gilt in allen Behandlungsverhältnissen, unabhängig davon, ob sie solche des Privatrechts oder des Verwaltungs-
S. dazu WIEOAND TU 1988, 729 ff. mit weiteren Quellenangaben. Statt aller: GIESEN, medizinische Behandlung 174. •
148 Wiegand
Art und Form der Aufklärung
rechts darstellen104. Die Aufklärung kann somit mündlich oder schriftlich erfolgen. Die grundsätzliche Formfreiheit wird jedoch dadurch eingeschränkt, dass die bloss schriftliche Form den von Lehre und Rsp. aufgestellten Anforderungen an Inhalt, Umfang und Ausmass105 der Aufklärung oft nicht zu genügen vermöchte. Über Besonderheiten des Einzelfalles lässt sich nämlich mit notwendigerweise generell gehaltenen Formularen nicht aufklären. «Aushändigung und Unterzeichnung von Formularen und Merkblättern ersetzen nicht das erforderliche Aufklärungsgespräch...»106.
bb) Aufklärungspflichtiger
Das BGer hat sich bisher noch nie explizit mit der Frage nach der Person des Aufklärungspflichtigen befasst. Wohl geht es in seinen Begründungen jeweils davon aus, dass der Arzt zur Aufklärung verpflichtet sei107. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass eine Delegation per se unzulässig wäre. Das gleiche gilt für die diesbezüglichen Ausführungen in der schweizerischen Lehre108.
Ausdrücklich Stellung zur Frage nimmt Eisner, der unter Bezug auf die in Deutschland vertretene Auffassung die Aufklärung als eine nicht delegierbare Pflicht des Arztes betrachtet109. Mit dem Hinweis auf OR 398III, wonach der Beauftragte für die persönliche Besorgung des Geschäftes verantwortlich ist, sofern keine der gesetzlichen Ausnahmegründe110 vorliegen, lässt sich ein Verbot der Delegation jedoch nicht begründen. Denn OR 398 III regelt die eigentliche Substitution, nicht jedoch den Beizug von Erfüllungsgehilfen.
104 Die das öffentlich-rechtliche Behandlungsverhältnis regelnden kantonalen Erlasse sehen keine Formvorschriften vor. So z.B. Art. 10 Abs. 1 des Bemischen Dekrets über die Rechte u. Pflichten der Patientinnen u. Patienten in öffentlichen Spitälern (Patientendekret. PatD) vom 14.2.1989: «...in geeigneter, verständlicher und der Situation angepasster Form aufzuklären».
105 Vgl. dazu oben I 4; II 2, 3. 106 So für das deutsche Recht BGH NJW 1985, 1399. 107 Z.B. BGE 117 Ib 203: «Nach der Rsp. des BGer ist der Arzt verpflichtet, den Patienten
über Art und Risiken der in Aussicht genommenen Behandlungsmethoden aufzuklären,...»; BGE 108 II61 E. 2 = Pra 1982, 299 E. 2.: «Grundsätzlich ist der Arzt verpflichtet, seinen Patienten ... zu informieren».
108 Statt vieler BK-FELLMANN OR 400 N 39. 109 EISNER 158. 110 OR 398 III: Ermächtigung zur Übertragung an einen Dritten, besondere Umstände, ent
sprechende Übung. Vgl. dazu HOFSTETTER SPR VII/2, 72 ff.
Wiegand 149
Die Aufklärungspflicht
Die Frage nach der Zulässigkeit der Delegation der Aufklärung ist letztlich danach zu beantworten, welches die Anforderungen an den Aufklärenden sind, damit eine bezüglich Inhalt, Umfang und Ausmass genügende Aufklärung vorliegt. Hier wird grundsätzlich bloss der Arzt die entsprechenden Qualifikationen aufweisen. In der Regel ist somit die Übertragung der Aufklärung an nichtärztliches Personal unzulässig.
Sofern jedoch die an die Aufklärung zu stellenden Anforderungen von (genügend qualifiziertem) Hilfspersonal erfüllt werden können, steht einer Delegation nichts im Wege111.
Die Delegation der Aufklärung an einen anderen Arzt ist grundsätzlich zulässig. In der Regel wird jedoch der für den Eingriff zuständige Arzt auch die eingriffsbezogene Aufklärung vornehmen. Denn häufig ist nur er über die Besonderheiten des Einzelfalles genügend informiert, um richtig aufklären zu können. Dann kommt eine Delegation nicht in Betracht. Wurde der Patient schon von einem vorbehandelnden Arzt aufgeklärt, entfällt das Aufklärungsbedürfnis; allerdings hat der den Eingriff vornehmende Arzt sich zu vergewissern, dass der betreffende Patient die Aufklärung nicht mehr benötigt"2.
Wird die Behandlung eines Patienten von verschiedenen Fachärzten vorgenommen, trifft jeden von ihnen die Aufklärungspflicht für seinen Beitrag an der Behandlung.
Im Falle einer expliziten oder konkludenten Vereinbarung, wonach der betreffende Arzt die Aufklärung persönlich vornehme, ist die Übertragung der Aufklärung an eine Hilfsperson oder an einen anderen Arzt unzulässig"3.
1,1 Diese Auffassung wird in BGE 116II522 indirekt bestätigt. Im vorliegenden Fall erfolgte die Aufklärung durch die Arztgehilfin. Diese unterliess es, über mögliche Risiken eines Krankheitsbildes u. der empfohlenen Therapie (strikte Diät) aufzuklären. Gem. OR 101 haftete der Arzt für ihr Fehlverhalten wie für sein eigenes. Der Arzt haftete mithin wegen der falschen Aufklärung (es handelte sich im wesentlichen um eine Sicherungsaufklärung, allerdings waren auch Elemente der Eingriffsaufklärung gegeben), nicht jedoch wegen der Delegation der Aufklärungsaufgabe an sich. Denn die Übertragung der Aufklärung an eine Hilfsperson stellt grundsätzlich gehörige Vertragserfüllung dar, sofern nur die Aufklärung die an sie zu stellenden Anforderungen erfüllt. Dies gilt sowohl bei der Sicherungs- wie auch bei der Eingriffsaufklärung, wobei aber OR 68 zu beachten bleibt.
112 Vgl. zum Ganzen: NARR 539; s. auch oben zur Aufklärung in Etappen II 1. 1" Die Frage der Delegation der Aufklärung von Arzt zu Arzt wird bei genauer Betrachtung
nur aktuell bei privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen, in welchen der Patient mit einem bestimmten Arzt einen Auftrag abgeschlossen hat. Denn nur hier hat der Patient unter dem Vorbehalt von OR 398 III Anspruch darauf, vom betreffenden Arzt persönlich
150 Wiegand
Einzelfragen
cc) Aufklärungsberechtigter
Die richtige Aufklärung ist Voraussetzung der rechtswirksamen Einwilligung. Da allein die Einwilligung des Patienten den Eingriff rechtfertigt, ist auch er allein Adressat der Aufklärung. Ausnahmen ergeben sich bei beschränkt oder voll handlungsunfähigen Patienten"4.
Die Person des Aufklärungsberechtigten oder -adressaten spielt insofern eine Rolle, als nach der hier vertretenen Konzeption der individuellkonkreten Aufklärung nicht auf einen generellen Massstab, sondern auf die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten abzustellen ist. Im Sinne der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre kommt es also auf den sog. Empfängerhorizont an. In diesem Sinne ist auch die Auffassung des deutschen BGH und eines Teils der deutschen Lehre"5 zu verstehen, wonach gegenüber Angehörigen gehobener Berufe eine allgemein gehaltene Aufklärung genügend sei. Der Arzt dürfe von solchen Patienten nämlich erwarten, dass sie bei Bedarf weiterführende Fragen stellten. Diese juristisch vertretbare Differenzierung des Aufklärungsumfanges nach der Person des Aufklärungspflichtigen ist allerdings kaum eine grosse Erleichterung für den Arzt. Denn er hat immer soweit aufzuklären, als ein Aufklärungsbedürfnis"6 besteht,
behandelt zu werden. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Delegation ist zu unterscheiden zwischen der eigentlichen Substitution u. dem Einsatz von Hilfspersonen. Die Substitution ist im eingangs erwähnten Behandlungsverhältnis gem. OR 398 III u. OR 68 unzulässig. Überträgt der Arzt hingegen nur die Aufklärung einem Kollegen, führt die Behandlung aber ansonsten selbst durch, wird dieser regelmässig in die Erfüllungsorganisation des Mandataren integriert. Hingegen wird nicht eine Teilleistung aus dem Pflichtenheft des beauftragten Arztes eliminiert. Somit handelt es sich bei der Delegation der Aufklärung an einen anderen Arzt nicht um eine Substitution, sondern um den prinzipiell erlaubten Beizug einer Hilfsperson. Obwohl hier gem. OR 68 die persönliche Erfüllung durch den Schuldner (hier: der Arzt als Mandatar) erforderlich ist, ist der Beizug von Dritten zulässig, solange das materielle Hauptgewicht der Leistung beim Vertragspartner liegt. Ob dies der Fall ist, hängt von Bedeutung u. Umfang der Aufklärung im Einzelfall ab. Wurde der Auftrag hingegen mit einer juristischen Person (z.B. einem Privatspital) abgeschlossen, so hat der Patient mangels anderweitiger Vereinbarung keinen Anspruch darauf, von einem bestimmten Arzt aufgeklärt zu werden. In öffentlich-rechtlichen Verhältnissen ist die entsprechende gesetzliche Grundlage zu prüfen. So verpflichtet z.B. Art. 10 Abs. 1 PatD/BE ausdrücklich «die behandelnden Ärztinnen und Ärzte» zur Aufklärung.
114 S. unten II 6 a. 1,5 Umfassende Darstellung mit wNw in GIESEN, medizinische Behandlung 140. 116 Soweit der Patient über das für eine sachgerechte Entscheidung erforderliche Wissen
bereits verfügt, er mithin nicht aufklärungsbedürftig ist, kann es für die Wirksamkeit der Einwilligung keine Rolle spielen, wie u. von wem ihm dieses Wissen vermittelt wurde. So auch EISNER 66.
Wiegand 151
Die Aufklärungspflicht
und ein Irrtum über die wirklichen Aufklärungsbedürfnisse des Patienten geht zu seinen Lasten. Der Arzt wird deshalb im Zweifelsfall gut daran tun, eine übliche Aufklärung zu erteilen.
dd) Beweisfragen
Das verständnisvolle Arzt-Patientengespräch ist ein ideales Aufklärungsmittel, birgt für den Arzt u.U. jedoch die Gefahr, in einem allfälligen Prozess die vor der Einwilligung erteilte Aufklärung bzw. ihre Angemessenheit, wofür ihn nach bundesgerichtlicher Rsp. die Beweislast trifft, nicht beweisen zu können.
Es stellt sich mithin die Frage nach den geeigneten Formen der Beweissicherung beim Auf klärungsgespräch. Diese muss so erfolgen, dass das Gericht sich davon überzeugen kann, dass ein den Anforderungen der Aufklärung"7 genügendes Gespräch vor der Einwilligung stattfand. Als mögliche zweckdienliche Beweissicherungsmassnahmen werden genannt118: Vermerk bezüglich der Aufklärung in den Krankenunterlagen, Aufzeichnung des Aufklärungsgesprächs durch den Arzt im Krankenblatt des Patienten, Unterzeichnung des erfolgten Eintrags durch den Patienten, Aufnahme des Gesprächs auf einen Tonträger, Anwesenheit eines Dritten als Zeugen oder gar Protokollierung des Aufkärungsgesprächs durch einen Dritten, evtl. zusätzlich verbunden mit anschliessender Unterzeichnung119.
Unter Berücksichtigung eines bundesgerichtlichen obiter dictum120
kann für das schweizerische Recht festgehalten werden: Es genügt den Beweisanforderungen nicht, in der Krankengeschichte nur ganz allgemein zu vermerken, der Patient sei über die geplante Operation und ihre möglichen Komplikationen informiert worden. Beweis für eine genügende Aufklärung verschafft nur ein ausführlicher Vermerk über das Aufklärungsgespräch in der Krankengeschichte mit Angabe von Ort und Zeit der Aufklärung, Person des Aufklärenden, stichwortartige Zusammenfassung des Gesprächsgegenstandes sowie dem Datum der Erstellung des Vermerks. Wenn auch das BGer im Entscheid BGE 117 Ib 197 ff. die Frage offenliess, welcher Beweiswert der Krankengeschichte im Arzthaftungsprozess im allgemeinen zukommt, so kann davon ausgegangen werden, dass ordnungs-
1,7 S. oben II 2. "s Übersicht mit weiteren Hinweisen bei EISNER 161. 119 Zur Beweissicherung mittels Einwilligungsformularen s. III 1 b. 120 BGE 117 1b 205.
152 Wiegand
Einzelfragen
gemäss geführte und das Wesentliche enthaltende Krankenunterlagen121 Beweis für die richtige Aufklärung erbringen122.
Es wäre unzulässig und auch sachlich nicht gerechtfertigt, das Erbringen des Beweises der Aufklärung von weitergehenden Erfordernissen abhängig zu machen, wie etwa vom Verwenden von Tonträgern, vom Beisein von Zeugen oder gar von Protokollierung und dergleichen. Eine solche Beweisvorsorge wäre nur mit unzumutbaren organisatorischen Massnahmen möglich, zudem würde das Arzt-Patientenverhältnis darunter leiden. Auch würde die vom Privatrecht garantierte Formfreiheit durch eine derartige Anforderung unzulässigerweise derogiert123.
b) Aufklärungsformulare
Aufklärungsformulare finden im Ausland mehr und mehr Verbreitung124. Diese Entwicklung ist auch in der Schweiz zu beobachten125, wenn auch die bloss mündliche Form der Aufklärung noch die Regel darstellen mag126. Die Tendenz zur vermehrten Verwendung von Formularen ist zum Teil auf das (infolge der Beweislastverteilung bestehende) Bedürfnis von Ärzten und Kliniken nach Beweisvorsorge127 zurückzuführen. Formulare stellen aber kein Allheilmittel128 dar.
Die Aufklärung allein mit Formularen würde oftmals daran scheitern, dass diese den Umständen des konkreten Einzelfalles nicht genügend Rechnung tragen. «Die mannigfachen Möglichkeiten lassen sich oft nicht kasuistisch fassen.»129 Nicht nur der spezifische und konkrete Eingriff, sondern auch die «berufliche und private Lebensführung des Patienten und dessen Entscheidungspräferenzen» 13° bestimmen das Mass der Aufklärung. Nebst der Abgabe von Merkblättern hat deshalb stets ein Aufklärungsge-
121 Zu den Gefahren einer unvollständig geführten Krankengeschichte vgl. WIEGAND 116. 122 In diesem Sinne etwa das Urteil BGH vom 8.1.1985 = NJW 1985, 1399: «... muss auch
der Arzt, der keine Formulare benutzt, und ... keine Zeugen zur Verfügung hat. eine faire und reale Chance haben, den ihm obliegenden Beweis für die Durchführung und den Inhalt des Aufklärungsgesprächs zu führen.»
123 Vgl. dazu BUCHER OR AT 163. 124 GIESEN. medizinische Behandlung 176. 125 Vgl. WIEGAND116. 126 SOEISNER 160. 127 Statt vieler: LAUFS/UHLENBRUCK § 67 N 14. 128 W[EGAND 116. 129 KERN/LAUFS 50. 130 LAUFS/UHLENBRUCK § 64 N 2.
Wiegand 153
Die Aufklärungspflicht
sprach stattzufinden, um auf die besonderen Eigenheiten des konkreten Eingriffs am betreffenden Patienten hinzuweisen. Aufklärungsformulare dienen somit der Vorbereitung und Ergänzung des Aufklärungsgesprächs.
Die Ausarbeitung der Aufklärungsformulare ist ein heikler Balanceakt. Sind die Formulare zu allgemein gehalten131, so haben sie neben dem Aufklärungsgespräch keine selbständige Bedeutung und auch keinen Beweiswert; sind sie zu detailliert, überfordern sie den Patienten als medizinischen Laien und sind deshalb zur genügenden Aufklärung nicht geeignet132. Damit das Aufklärungsformular mit eigenständiger Bedeutung neben und als Ergänzung zum Aufklärungsgespräch eingesetzt werden kann, sind für jeden Eingriffstyp spezifische Formulare zu entwerfen, welche über Grund, Alternativen, Bedeutung, Verlauf, Risiken, Erfolgsaussichten und Folgen des Eingriffs in leichtverständlicher Sprache die wesentlichen Angaben enthalten133.
c) Die Stufenaufklärung
Nach dem Modell der sog. Stufenaufklärung134 werden dem Patienten durch auf bestimmte Eingriffe zugeschnittene Dokumentationsbogen die Basisinformationen schriftlich vermittelt. Im anschliessenden (zwingend erforderlichen) Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient erfolgt die Erläuterung individueller Besonderheiten des Einzelfalls; hier hat der Patient, nun bereits in Kenntnis der Grundproblematik, die Möglichkeit, spezifische Fragen zu stellen. Die Stufenaufklärung erleichtert dem Arzt die Beweissicherung, da er, was den gedruckt vorliegenden Teil der Aufklärung anbelangt, keine Zusammenfassung in den Krankenunterlagen abzufassen braucht.
Häufig enthalten die Aufklärungsformulare eine vom Patienten zu unterzeichnende Aufklärungs- und Einwilligungsbestätigung. Darin erklärt der Patient, den Inhalt des Formulars zu Kenntnis genommen, mit dem Arzt
1.1 Z.B. allgemeiner Hinweis auf die Möglichkeit von Nerven- u. Organverletzungen bei chirurgischen Eingriffen (vgl. GIESEN, medizinische Behandlung 177).
1.2 Hier sind eventuell die Grundsätze über die AGB (vgl. dazu etwa OR-BUCHER, Art. 1 N 47 ff.; GAUCH/SCHLUEP N 1128 ff.) entsprechend anwendbar; dazu generell die Arbeit von PFOST (oben vor Kap. 2).
1" Die im Handel erhältlichen Dokumentationsbogen folgen diesem Aufbaumuster (Ein Bsp. eines solchen Formulares in: PFOST 33 ff. Gelungene Bsp. stellen die zu Kap. 3 abgedruckten Formulare des Inselspitals Bern dar.
1,4 Als synonymer Begriff wird der Ausdruck «Zweistufenaufklärung» verwendet.
154 Wiegand
Einzelfragen
zudem ein Aufklärungsgespräch geführt und keine weiteren Fragen mehr zu haben. Anschliessend folgt häufig eine «Einwilligungserklärung» in einen genau genannten Eingriff. Diese schriftlich festgehaltene Einwilligung schützt den Arzt sicher vor der unzutreffenden Behauptung des Patienten, er habe dem Eingriff nicht zugestimmt. Hingegen ändert sie nichts an der Verteilung der Beweislast, wonach die nach Inhalt, Umfang und Ausmass richtige Aufklärung, ohne die die Einwilligung nicht wirksam ist, vom Arzt bewiesen werden muss.
Der Wert der Aufklärungsformulare ist mithin insgesamt in einer technischen Erleichterung der Aufklärungsdokumentation135, der Verwendung des Vordrucks als Gedächtnisstütze sowie der Vorbereitung des Patienten auf das Aufklärungsgespräch zu sehen.
Nebst den oben genannten Bestandteilen hat das Formular die Bestätigung zu enthalten, dass dessen Inhalt vom Arzt erläutert wurde, die Aufforderung an den Patienten, bei den geringsten Unklarheiten Fragen zu stellen, sowie den ausdrücklichen Hinweis, dass das Formular bloss ein Teil der Aufkärung sei und dass alle nicht im Formular enthaltenen Informationen im persönlichen Aufklärunsgespräch vermittelt würden.
Enthält das Formular eine Aufklärungsbestätigung und Eingriffseinwilligung, so ist darauf zu achten, dass die entsprechenden Rubriken erst nach dem mündlichen Aufklärungsgespräch signiert werden.
Die Stufenaufklärung ist u.a. wegen der Verwendung von Aufklärungsformularen in der Literatur umstritten136. Eine nicht genannte Gefahr der Auflärungsformulare besteht darin, dass durch den vermehrten Gebrauch von immer detaillierteren Aufklärungsformularen der Standard der genügenden Aufklärung tendenziell immer höher geschraubt wird. Zudem ist es möglich, dass beim vermehrten Gebrauch von Formularen auch die Anforderungen an das Erbringen des Beweises der genügenden Aufklärung steigen.
Betreffend der im Formular festgehaltenen Aufklärungsinformation entfällt das Erstellen einer Zusammenfassung. Als Argumente für die Stufenaufklärung werden genannt die Beweiserleichterung, die Vorbereitung des Patienten auf das Auflärungsgespräch, die Tatsache, dass mit Formularen aufgeklärte Patienten über einen besseren Wissensstand verfügen, dass die Bedeutung des Eingriffs u. auch die Möglichkeit eines Risikoeintritts besser bzw. eindringlicher vermittelt werden; als Nachteile genannt werden die psychische Belastung des Patienten, der Verlust an Vertrauen u. die Bürokratisierung der Arzt-Patientenbeziehung.
Wiegand 155
Die Aufklärungspflicht
d) Zeitpunkt und sonstige Modalitäten
Da die Aufklärung Gültigkeitsvoraussetzung der Einwilligung ist, hat sie vor dem Eingriff zu erfolgen. Die Rsp. in der Schweiz hat sich jedoch noch nie zum «richtigen» Zeitpunkt geäussert. Die Schweizer Autoren, die sich mit der Frage detaillierter befassen, folgen der deutschen Praxis137. Danach soll bei schwerwiegenden Eingriffen die Aufklärung drei Tage vor der Operation erfolgen, in leichten Fällen mindestens einen Tag vor dem Eingriff. Für die Schweiz kann der Aufklärungszeitpunkt wie folgt umrissen werden: Die Aufklärung kann erst erfolgen, wenn der Arzt über die dafür erforderlichen Aufschlüsse138 verfügt. Auf der anderen Seite hat die Aufklärung so früh stattzufinden, dass dem Patienten eine der Bedeutung des Eingriffs angemessene Überlegungsfrist verbleibt, welche u.U. auch noch eine Besprechung mit Angehörigen zu ermöglichen hat. Auf jeden Fall zu spät ist eine erst auf dem Weg in den Operationssaal durchgeführte Aufklärung. Für harmlose Routineeingriffe hat sie spätestens am Vorabend der Behandlung zu erfolgen, für schwerwiegende Eingriffe soll die Aufklärung mindestens drei Tage vor der Operation stattfinden. Die Bestimmung des konkreten Zeitpunktes hängt jedoch nicht nur von der Tragweite, sondern auch von der Dringlichkeit des Eingriffes ab. In Notfällen wird sich die Überlegungsfrist zwischen Aufklärung und Eingriff naturgemäss verkürzen. Bei akuten Notfällen müssen Minuten oder gar bloss Sekunden genügen139. Allerdings ist es auch bei vitaler Indikation erforderlich, in der gebotenen Kürze dem Patienten «alle für den Entschluss erheblichen Fakten»140 zu vermitteln.
Weil der Arzt mit der Aufklärung sicherzustellen hat, dass der Patient in Kenntnis der Bedeutung des Eingriffs irrtumsfrei in denselben einwilligt, hat er bei der Wahl der Ausdrucksweise auf die psychischen und intellektuellen Eigenheiten und die konkrete Situation des Patienten Rücksicht zu nehmen. Verwendet er Fremdwörter, hat er nötigenfalls deren Bedeutung zu erläutern. Bei der Aufklärung von Patienten mit mangelnden Sprachkenntnissen hat der Arzt besondere Sorgfalt anzuwenden. Beim
Vgl. etwa EISNER 160, mit wNw, welcher allerdings die weite Vorverlegung des Aufklärungszeitpunktes als unvereinbar mit den Bedürfnissen der klinischen Praxis bezeichnet. Hingegen stellt auch er fest, dass eine nur kurze Zeit vor der Behandlung erfolgte Aufklärung nur für «harmlose Routineeingriffe» rechtsgenügend ist. D.h. nach Anamnese, Statuserhebung und Diagnose. So LAUFS/UHLENBRUCK § 68 N 7. GIESEN, medizinische Behandlung 145.
156 Wiegand
Sonderfälle der Aufklärung
fremdsprachigen Patienten hat er sicherzustellen, dass allfällige Verständnisschwierigkeiten in wichtigen Fragen durch den Beizug eines Sprachkundigen überwunden werden141. Bei der Aushändigung von Aufklärungsformularen ist zu beachten, dass auch Patienten mit guten mündlichen Sprachkentnissen die schriftlichen Grundinformationen in einer ihnen fremden Sprache oftmals nicht verstehen. Eine Stufenaufklärung muss mit fremdsprachigen Formularen durchgeführt werden.
6. Sonderfälle der Aufklärung
a) Beschränkt oder vollkommen Handlungsunfähige
Da die Aufklärung gegenüber dem Einwilligenden zu erfolgen hat, bestimmt sich die Person des Aufzuklärenden nach derjenigen des Einwil-ligungsentscheidungsträgers. Es ist deshalb vorgängig zu untersuchen, wer bei beschränkter oder voller Handlungsunfähigkeit des Patienten über die Vornahme des Eingriffs entscheidet142.
aa) Der beschränkt Handlungsunfähige
Ist der Patient in casu et concreto urteilsfähig1^, ändert die infolge Unmündigkeit oder Entmündigung vorliegende beschränkte Handlungsunfähigkeit nichts an dessen Recht, die Persönlichkeitsrechte selbst auszuüben144. Der beschränkt Handlungsunfähige hat somit allein das Recht, über Eingriffe in seine Persönlichkeitsrechte zu entscheiden. Sofern er in der Lage ist, sich über den Eingriff zu äussern, entfällt die Vertretungsbefugnis
141 Ausführlich zur Aufklärung des fremdsprachigen Patienten: KERN/LAUFS 23. 142 Der urteilsfähige mündige u. damit handlungsfähige Patient kann durch sein Verhalten
im umfassendsten Sinne «rechtswirksame Veränderungen» (BK-BUCHER vor ZGB 12 -19 N 1) herbeiführen. Er entscheidet somit allein über den Abschluss des Auftrages sowie insb. über die Erteilung einer Eingriffseinwilligung. Deshalb ist auch er allein aufzuklären.
143 Zur Bestimmung der Urteilsfähigkeit bzw. Urteilsunfähigkeit s. unten II 6 a cc. 144 Gem. ZGB 28 u. 19 II. Der urteilsfähige Unmündige oder Entmündigte besitzt in einem
«Bereich, der besondere Beziehungsnähe zur Persönlichkeit des Einzelnen aufweist» (BK-BUCHER ZGB 19 N 189). volle Handlungsfähigkeit.
Wiegand 157
Die Aufklärungspflicht
der gesetzlichen Vertreter145. «Die Ausübung höchstpersönlicher Rechte i.S. von ZGB 19 II steht dem urteilsfähigen Minderjährigen selbständig und unter Ausschluss der Vertretungsbefugnis des gesetzlichen Vertreters zu.»146
In diesem Bereich wirkt eine Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter nicht rechtfertigend, da allein der Träger der Persönlichkeitsrechte bei gegebener Urteilsfähigkeit über allfällige Eingriffe in dieselben entscheiden kann. Der urteilsfähige unmündige oder entmündigte Patient ist somit gleich zu behandeln wie ein voll Handlungsfähiger. Mithin ist er aufzuklären, nicht etwa sein gesetzlicher Vertreter147.
Was den Abschluss des Arztvertrages anbelangt, ist gem. ZGB 19 I die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters148 erforderlich.
Falls sich der gesetzliche Vertreter weigert, die zum Abschluss des Vertrages erforderliche Zustimmung zu erteilen, ist allenfalls zu prüfen, ob dies nicht gegen das Kindeswohl bzw. die Interessen des Entmündigten
145 Der urteilsfähige Minderjährige übt höchstpersönliche Rechte i.S.v. ZGB 19II selbständig u. unter Ausschluss der Vertretungsbefugnis des gesetzlichen Vertreters aus (BK-BUCHER ZGB 16 N 104). Vgl. dazu auch ARZT, Die zivilrechtliche und strafrechtliche Verantwortlichkeit des Mündels, ZVW 43, 16 ff. Die umstrittene Frage (vgl. BK-BUCHER ZGB 19 N 207 f.), ob die Geschäftsfähigkeit im höchstpersönlichen Bereich zwangsläufig diesbez. jede gesetzliche Vertretungsbefugnis derogiere, kann hier offen bleiben, da dies zumindest im Fall eines ausdrücklich geäusserten (gegenteiligen) Willens des Urteilsfähigen zutrifft. Womit es dabei bleibt, dass der Urteilsfähige allein über den Eingriff zu entscheiden befugt ist. Die Behandlung eines Urteilsfähigen ist somit auch gegen den explizit erklärten Willen der Eltern bzw. des Vormundes zulässig, sofern nur der Patient selbst die Einwilligung erteilt hat (so auch BK-BUCHER ZGB 19 N 220). So ist z.B. für das Verschreiben von Schwangerschaftsverhütungmitteln allein der Wille der urteilsfähigen Minderjährigen relevant. Die Einwilligung der Eltern ist nicht erforderlich; diese dürfen vom Arzt überdies nicht informiert werden (s. dazu FN 147).
146 BK-BUCHER ZGB 16 N 104. 147 Die Aufklärung auch der gesetzlichen Venreter würde eine strafrechtlich relevante Ver
letzung der ärztlichen Schweigepflicht darstellen, sofern sie ohne Einwilligung des Patienten erfolgt.
148 Nicht erforderlich ist die explizite Abgabe einer Zustimmung, wenn eine Ermächtigung zu einem Bereich von Geschäften gegeben wurde, wobei der Kreis der möglichen Geschäfte überblickbar u. die Auswirkungen ermessbar sein müssen (BK-BUCHER ZGB 19 N 97). So mag die Erlaubnis zu selbständiger Haushaltführung eine Ermächtigung zum Abschluss von in den Folgen u. Kosten nicht allzu umfangreicher Arztverträge sein. Weiter kann sich die Ermächtigung ex lege kraft Erwerb aus dem freien Kindesvermögen i.S. von ZGB 323 ergeben. Bezahlt das Kind z.B. mit seinem Arbeitserwerb die Krankenkassenprämien, so ist eine explizite Zustimmung der Eltern wohl auch zu kostenintensiven Behandlungen nicht erforderlich. Dies gilt freilich nur für den Fall, dass die Tragung des Selbstbehaltes mit dem Arbeitserwerb möglich ist.
158 Wiegand
Sonderfälle der Aufklärung
Verstösse und die Vormundschaftsbehörde Kindesschutzmassnahmen149 zu ergreifen bzw. gem. ZGB 4201 anstelle des Vormundes zu entscheiden hat.
bb) Der voll Handlungsunfähige
Beim voll handlungsunfähigen Patienten ist die Zurechenbarkeit von rechtserheblichen Verhaltensweisen grundsätzlich ausgeschlossen, da er urteilsunfähig ist. Er kann deshalb nicht über die Erteilung einer Eingriffseinwilligung befinden.
Urteilsunfähigkeit liegt vor, wenn die «Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln»150, nicht vorhanden ist. Voraussetzung der Urteilsfähigkeit ist deshalb nach übereinstimmender Lehre und Rsp. das kumulative Vorhandensein von Erkenntnisfähigkeit, Wertungsfähigkeit, Willensbildungsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit151. Diese Elemente müssen - da die Urteilsfähigkeit eine relative ist - in Bezug auf denjenigen Bereich gegeben sein, um den es in concreto geht152. Es ist mithin in der Praxis zu prüfen, ob der individuelle Patient die erforderliche Einsichtsfähigkeit bezüglich Bedeutung und Tragweite des konkreten Eingriffs hatte153.
Bei Minderjährigen ist die Urteilsfähigkeit gegeben, wenn sie nach ihrer geistigen und sittlichen Reife Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und ihrer Einwilligung abzuwägen vermögen154. Die Reife ist dabei von Fall zu Fall zu überprüfen. Immerhin kann im Sinne einer generalisierenden Richtlinie155 festgehalten werden, dass bei Kindern unter 12 Jahren Urteilsfähigkeit bezüglich der Einwilligung in Heileingriffe bloss in seltenen Ausnahmefällen angenommen werden darf. Bei Kindern zwischen 12 und 16 Jahren ist aufgrund der gesamten Umstände die Urteilsfähigkeit zu eruieren156. Bei Jugendlichen ab 16 Jahren kann die für die Einwilligung in
149 ZGB 307 ff. 150 ZGB 16. 151 Statt aller PEDRAZZINI/OBERHOLZER 70. 152 GROSSEN SPR II 319. 153 Z.B. GIESEN, medizinische Behandlung 128 mit wNw. 154 LAUFS, Arztrecht N 222. 155 BK-BUCHERZGB 16N68. 156 Einer solchen Schematisierung eignet stets gewisse Willkür an. weshalb die hier genann
ten Grenzen nicht absolut gelten können. So werden denn auch in der Lehre andere Altersstufen genannt. EISNER 187 vermutet Urteilsunfähigkeit bloss bis zum 10. Altersjahr. Urteilsfähigkeit nimmt er ab dem 15. Altersjahr an (Vgl. dazu auch NÄGELI 105).
Wiegand 159
Die Aufklärungspflicht
eine nicht aussergewöhnlich weitreichende Operation erforderliche Urteilsfähigkeit im Normalfall grundsätzlich angenommen werden157. Ab dem 18. Altersjahr wird die der üblichen Reife entsprechende Urteilsfähigkeit auch für den Entscheid über schwerste Eingriffe ausreichen. Dies muss insb. auch im Hinblick auf die vorgesehene Herabsetzung des Mündigkeitsalters auf 18 Jahre gelten158. Urteilsunfähigkeit kann ferner gegeben sein infolge Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlichen Zuständen159. Dabei ist zu beachten, dass diese Schwächen nicht zwangsläufig Urteilsunfähigkeit bedeuten160. Dies gilt auch für den Fall der Entmündigung, z.B. wegen Geisteskrankheit161, welche auch nicht die Vermutung der Urteilsunfähigkeit begründet.
Die Urteilsfähigkeit wird prinzipiell vermutet162. Allerdings gilt dies nur, solange nicht die Lebenserfahrung im Einzelfall zur umgekehrten Vermutung führt, z.B. bei Kleinkindern und bestimmten Geisteskrankheiten163.
Generell ist des weiteren zu berücksichtigen, dass aus der Vernünftigkeit eines Entscheids über einen Eingriff nicht auf die Urteilsfähigkeit geschlossen werden darf, wie auch umgekehrt die Unsinnigkeit der Erteilung oder Nichterteilung einer Einwilligung nicht zur Annahme der Urteilsunfähigkeit führt. Anders entscheiden hiesse die Urteilsfähigkeit als subjektives Element, das die Befähigung zur selbstverantwortlichen Vornahme eines Rechtsgeschäfts bezeichnet, verkennen. Die Urteilsfähigkeit darf nicht zur Inhaltskontrolle des Rechtsgeschäfts herangezogen werden164.
Ergibt sich im konkreten Fall, dass die Voraussetzungen der Urteilsfähigkeit nicht gegeben sind, der Patient somit urteilsunfähig ist, so liegt der Entscheid über die Erteilung der Einwilligung beim gesetzlichen Ver-
157 Vgl. E. BUCHER, Arzt und Recht 43. 158 Da auch die Mündigerklärung gem. ZGB 15 I nach Vollendung des 18. Lebensjahres
sowie die Ehemündigkeitserklärung gem. ZGB 96 II ab dem 18. Lebensjahr (bzw. dem 17. Lebensjahr für die Frau) vom Gesetz ermöglicht wird, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die an die umfassende Urteilsfähigkeit zu stellenden Anforderungen in der Regel ab dem 18. Lebensjahr als gegeben erachtete. Instruktiv dazu der Vergleich mit dem US-amerikanischen Rechtskreis in EISNER 142.
159 ZGB 16. 160 BK-BUCHERZGB 16N73. 161 So BK-BUCHER ZGB 16 N 76. 162 Statt aller BK-BUCHER ZGB 16 N 125. Die Vermutung der Urteilsfähigkeit führt dazu,
dass im Prozess denjenigen die Beweislast trifft, der Urteilsunfähigkeit behauptet. 163 So BK-BUCHER ZGB 16 N 127. 164 Dazu treffend u. ausführlich BK-BUCHER ZGB 16 N 83.
160 Wiegand
Sonderfälle der Aufklärung
treter des Urteilsunfähigen165. Es sind das beim Unmündigen die Eltern166, beim Entmündigten der Vormund. Diese sind mithin auch die Adressaten der Aufklärung167.
Bei der Ausübung der Vertretung gilt es dabei zu unterscheiden zwischen dem habituell Urteilsunfähigen und dem bloss vorübergehend Urteilsunfähigen.
cc) Der habituell Urteilsunfähige
Da der habituell Urteilsunfähige über keinen Willen von «rechtsgestaltender Kraft»168 verfügt, tritt an dessen Stelle der Wille des gesetzlichen Vertreters. Dabei muss der gesetzliche Vertreter «ausschliesslich aufgrund der Interessen des Patienten, d.h. rein objektiv entscheiden und den Wünschen Rechnung tragen, welche dieser allenfalls geäussert hatte, bevor er urteilsunfähig wurde.»169 War der konkrete habituell urteilsunfähige Patient nie urteilsfähig gewesen (z.B. ein Kleinkind), haben die Eltern - man-
ARZT, Die zivilrechtliche und strafrechtliche Verantwortlichkeit des Mündels. ZVW 43. 16 ff.; E. BUCHER, Arzt und Recht 43 f. Gesetzliche Vertreter der unmündigen Kinder sind die Eltern gem. ZGB 296 I i.V.m. ZGB 304; gesetzlicher Vertreter des Bevormundeten ist der Vormund gem. ZGB 367 I. Da die in Frage stehenden höchstpersönlichen Rechte gem. ZGB 28 nicht absolut, sondern bloss relativ höchspersönliche Rechte sind, ist für den Fall der Urteilsunfähigkeit die Ausübung dieser Rechte durch den gesetzlichen Vertreter zulässig (so BK-BUCHER ZGB 19 N 206; GROSSEN SPR II329; EISNER 188; BGE 114 Ia 362 E. 7 b bb = Pra 1989, 266 E. 7 b bb). Für Eingriffe mit besonders schwerwiegenden Konsequenzen a.M. A. BUCHER N 178, 520; diese Unterscheidung geht fehl, was an folgendem Bsp. ersichtlich wird: Müssten einem urteilsunfähigen Kleinkind infolge einer Krebserkrankung zur Lebenserhaltung beide Beine amputiert werden, würde es sich zweifellos um einen Eingriff mit besonders schwerwiegenden Konsequenzen handein. was dazu führen würde, dass - infolge Vetretungsfeindlichkeit - niemand die Einwilligung zum Eingriff erteilen könnte. Während der Ehe üben die Eltern die elterliche Gewalt gemeinsam aus (ZGB 297) u. entscheiden somit gemeinsam über die Einwilligung. Die Einwilligung eines Elternteils genügt dabei, da gutgläubige Dritte voraussetzen dürfen, dass jeder Elternteil im Einvernehmen mit dem andern handelt (ZGB 304II). Sind die Eltern nicht verheiratet, steht die Einwilligungsbefugnis ausschliesslich der Mutter zu (ZGB 298 I). Sind sie geschieden, entscheidet derjenige Eltemteil, dem das Kind anvertraut wurde (ZGB 297 II). Die Vertretung fällt mit der Ausübung der elterlichen Gewalt zusammen; durch die Erteilung der Eingriffseinwilligung willigen die Eltern gleichzeitig ein in den Eingriff in die elterliche Gewalt als Bestandteil der Persönlichkeitsrechte der Eltern (so BUCHER. Diss. 160). Die Aufklärung des gesetzlichen Vertreters stellt keine Verletzung der Schweigepflicht dar, soweit der Patient urteilsunfähig ist. BUCHER, Diss. 158. BGE 114 Ia 362 E. 7 b bb = Pra 1989. 959 E. 7 b bb.
Wiegand 161
Die Aufklärungspflicht
gels zu berücksichtigender Wünsche des Kindes - danach zu entscheiden, was dem «Wohl des Kindes»170 am besten entspricht. Dies bestimmt sich daraus, was dem Schutz und der Förderung der körperlichen, geistigen und sittlichen Entfaltung des Kindes optimal dient. Das gleiche gilt für den Vormund, welcher im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht gem. ZGB 367 I die «Sorge für die geistige und körperliche Wohlfahrt des Mündels» wahrzunehmen und dementsprechend über die Eingriffseinwilligung zu entscheiden hat.
Ist das Einholen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters aus Zeitgründen nicht möglich, entfällt - mangels Adressaten - auch die Pflicht zur Aufklärung. Als Rechtfertigungsgrund für den Eingriff dient nun die hypothetische Einwilligung171. Ein Teil der Lehre will diese Situation unter die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag subsumieren, was im Ergebnis zwar zur richtigen Lösung führt, in der Begründung jedoch unzutreffend ist172. Unabhängig von der dogmatischen Konstruktion hat der Arzt so zu handeln, wie es dem hypothetischen Willen des gesetzlichen Vertreters des Patienten entspricht. Der Arzt hat und kann seinen Entscheid nicht nach dem Willen des Patienten richten, da dieser als habituell Urteilsunfähiger über einen rechtserheblichen Willen nicht verfügt. Der Vertreter allein hat deshalb die Befugnis, über die Ausübung der Persönlichkeitsrechte des Urteilsunfähigen nach eigenem Willen zu bestimmen173.
170 ZGB 3011; die Zweck- u. Pflichtgebundenheit der elterlichen Gewalt steht im Vordergrund der fremdnützigen Entscheidungszuständigkeit der Eltern (vgl. dazu TUOR/SCHNYDER 321).
171 Zur dogmatischen Begründung vgl. BUCHER, Diss. 165 f. Der hypothetische Wille ist derjenige Wille, den der konkrete Patient bzw. bei dessen Urteilsunfähigkeit der gesetzliche Vertreter bei Kenntnis aller wesentlichen Entscheidungsgrundlagen nach Abwägung der Vor- u. Nachteile einer Behandlung im konkreten Fall geäussert hätte, wenn er einen Willen hätte bilden bzw. mitteilen können.
172 Die Rechtsfigur der Geschäftsführung ohne Auftrag hat die Funktion, einen (fehlenden) Vertrag zu ersetzen. Sie kann nicht als Rechtfertigungsgrund dienen (ausführlich dazu BUCHER, Diss. 47 f.). Selbstverständlich relevant ist die GoA für die vermögensrechtlichen Folgen der Heilbehandlung. Hier ersetzt sie den fehlenden Vertrag.
173 Gl. M. BUCHER, Diss. 168. Dies trifft nur für den habituell Urteilsunfähigen zu, da nur bei ihm kein rechtswirksamer Wille vorliegt u. somit eine Substitution durch den Willen des gesetzlichen Vertreters erfolgt. Dabei ist zu beachten, dass der Vertreter seinen Entscheid allein aufgrund der objektiven Interessen des Urteilsunfähigen, d.h. nach dem Kindeswohl bzw. dem Wohl des Mündels u. allfälligen im Zustand der Urteilsfähigkeit geäusserten Wünschen desselben zu richten hat. Wüsste der Arzt, dass der hypothetische Wille des gesetzlichen Vertreters dem Kindeswohl widerspräche, so dürfte er nicht auf diesen abstellen. Dies folgt aus der Begrenzung der gesetzlichen Vertretungsmacht in ZGB 304II: «Die Eltern haben ... die Vertretung ... im Umfang der ihnen zustehenden elterlichen Gewalt».
162 Wiegand
Sonderfälle der Aufklärung
dd) Der kasuell Urteilsunfähige
Wird ein Patient in (z.B. infolge Bewusstlosigkeit) urteilsunfähigem Zustand in eine Klinik eingeliefert, gelangen - was die vermögensrechtliche Seite der Behandlung angeht - die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag zur Anwendung174. Bezüglich der Einwilligung ist nach dem hypothetischen Willen des Patienten über die Vornahme eines Eingriffs zu entscheiden. Sofern die Zeit zur Anhörung Angehöriger oder dem Patienten nahe verbundener Personen ausreicht, sind diese über die Präferenzen des Patienten zu befragen. Dabei ist zu beachten, dass die Angehörigen nicht etwa Einwilligungsträger sind, sondern nur «Auskunftspersonen zur Erhellung des mutmasslichen Willens des Patienten»175.
Der kasuell urteilsunfähige Unmündige oder Entmündigte verfügt über einen (hypothetischen) rechtserheblichen Willen bezüglich der Ausübung der höchstpersönlichen Rechte gem. ZGB 19 II176. Auf diesen hypothetischen Willen ist abzustellen. Es findet keine Substitution durch den Willen des gesetzlichen Vertreters statt; dieser hat vielmehr den Kindeswillen durchzusetzen, mag er ihn billigen oder nicht177. Der gesetzliche Vertreter hat somit den Entscheid über die Einwilliung allein nach dem hypothetischen Willen des kasuell urteilsunfähigen Patienten zu fällen, auch wenn dieser Wille objektiv unvernünftig ist. Ein solcher Wille könnte sich z.B. aus einer rechtswirksamen Patientenverfügung des Kindes ergeben. Der Grund für diese Lösung liegt darin, dass der bewusstlose, nicht habituell
174 Selbstverständlich nur unter dem Vorbehalt, dass nicht ein öffentlich-rechtliches Behandlungsverhältnis vorliegt, was gerade bei der Behandlung von Notfallpatienten an öffentlichen u. teilweise auch privaten Spitälern regelmässig der Fall sein wird. Zur Behandlung des Urteilsunfähigen als ein Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag s. neuerdings J. SCHMID N 349 ff. mit ausführlicher Erörterung des «Patiententestaments».
175 GIESEN, medizinische Behandlung 130. 176 BK-BUCHER ZGB 19 N 204. 177 Zum gleichen Ergebnis führt die in der Schweiz mehrheitlich befürwortete Anwendung
der Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) auf die Behandlung des Einwilligungsunfähigen. Ist der gesetzliche Vertreter nicht erreichbar, so hat der Arzt als gestor nach dem Interesse u. der mutmasslichen Absicht des Patienten als dominus, u. nicht etwa nach demjenigen des gesetzlichen Vertreters zu handeln. Kann der Vertreter vor der Behandlung befragt werden, so ist in der Regel anzunehmen, dass der Vertreter mit dem Arzt einen Behandlungsauftrag abschliesst. Bei der Ausübung der Vertretungsbefugnis hat der Vertreter dabei insb. im höchstpersönlichen Bereich den Willen des Vertretenen zu beachten. Die Erteilung einer Einwilligung durch den Vertreter gegen den bekannten hypothetischen Willen des Vertretenen wäre von der gesetzlichen Vertretungsmacht nicht mehr gedeckt.
Wiegand 163
Die Aufklärungspflicht
urteilsunfähige Patient einen hypothetischen Willen hat, diesen bloss vorübergehend nicht äussern kann. Für eine Substitution durch den Willen des Vertreters ist deshalb kein Platz.
Ist die Ermittlung des hypothetischen Willens des Patienten, z.B. durch Befragung von Angehörigen, aus zeitlichen Gründen nicht möglich und sind auch sonst keine Indizien vorhanden, aus welchen auf denselben geschlossen werden könnte, darf der Arzt darauf abstellen, was ein vernünftiger Rechtsgenosse unter den konkreten Umständen gewollt hätte. Kann aufgrund vom Vorliegen bestimmter Tatsachen, wie z.B. einer Patientenverfügung, auf den Willen des Patienten geschlossen werden, ist nach dem dort geäusserten Willen zu verfahren. Ein den Ärzten bekannter, dem Eingriff entgegenstehender Wille des Kranken ist in jedem Fall zu respektieren178.
b) Der Verzicht auf die Aufklärung
Im Falle des Aufklärungsverzichts erteilt der Patient die Eingriffseinwilligung, ohne über die für diesen Entscheid erforderlichen Informationen zu verfügen, da er die Aufklärung über Art, Umfang und Tragweite des Eingriffs für entbehrlich erklärte"9. Der Aufklärungsverzicht bereitet insofern Probleme, als nach einhelliger Lehre und Rsp. die Aufklärung Gültigkeitsvoraussetzung der Einwilligung ist, die Einwilligung ohne vorherige Information somit grundsätzlich nicht rechtfertigend wirken könnte180.
aa) Die Frage nach der Zulässigkeit des Aufklärungsverzichts wird von Rsp. und Lehre, insb. was den Umfang des Verzichts anbelangt, nicht einheitlich beantwortet.
178 Für die h.L. z.B. KERN/LAUFS 25. 179 Vgl. zum Begriff des Aufklärungsverzichts KERN/LAUFS 118. Zur Begründung der Mög
lichkeit eines Aufklärungsverzichts stehen im wesentlichen zwei Varianten im Vordergrund. Nach der einen Auffassung macht der Patient durch den Aufklärungsverzicht gerade in einer bestimmten Art von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch, so z.B. GIESEN, medizinische Behandlung 134; nach einer a.M. verzichtet der Patient nicht auf das Selbstbestimmungsrecht als solches (was sittenwidrig wäre), sondern bloss auf dessen Ausübung im Einzelfall. Dass der Totalverzicht unzulässig ist (s. unten), ergibt sich u.a. daraus, dass auch im Strafrecht die Einwilligung nur dann rechtfertigend wirkt, wenn sie als Ausdruck des freien Willens des Patienten erscheint, was eine gewisse Information über das Einwilligungsobjekt voraussetzt, ARZT 67. Man kann nicht in etwas einwilligen, was man nicht kennt, da juristisch ohne Wissen kein Wille vorstellbar ist.
180 Z.B. BGE 105 II287: «L'information du malade sur les risques d'un traitement determine ... est une condition de validite du consentement au traitement».
164 Wiegand
Sonderfälle der Aufklärung
Nach einem Teil der Lehre kann auf jede Aufklärung verzichtet werden, ohne dass die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung entfällt (Totalverzicht)'81. Andere Autoren halten daran fest, dass die rechtfertigende Einwilligung zumindest eine vorgängige rudimentäre Information über die Situation voraussetzt182. Unzulässig wäre mithin der Verzicht auf die grundlegende Angabe der Erforderlichkeit und der Art des Eingriffs sowie der Möglichkeit eines Risikoeintritts183. Dieser Meinung ist zuzustimmen.
bb) Nach Auffassung des BGer entfällt die Aufklärungspflicht u.a., wenn der Patient «bei der Erteilung der Zustimmung zu der vorgeschlagenen Behandlung ausdrücklich oder durch sein unmissverständliches Verhalten auf einlässlichere Aufklärung verzichtet hat»184. Wie aus dem zitierten Entscheid hervorgeht, geht auch das BGer nicht von der Gültigkeit eines Totalverzichts auf Aufklärung aus, sondern erachtet eine minimale Information als unverzichtbar™5. Diese minimale Aufklärung müsste dem Patienten in jedem Fall erteilt werden186. Im übrigen erscheint die praktische Relevanz der Frage, ob Totalverzicht oder bloss Verzicht auf einlässlichere Aufklärung zulässig sei eher gering, da kaum jemals ein Patient ohne jede Information über Notwendigkeit und Art eines Eingriffs seine Einwilligung erteilen wird; ganz abgesehen davon, dass kaum jemals ein Arzt ohne jegliche Hinweise einen Patienten operieren wird187.
181 So wohl GIESEN, medizinische Behandlung 134. 182 So ARZT 63; EISNER 181; KERN/LAUFS 119; LAUFS, Arztrecht N 207. 183 So KERN/LAUFS 119. 184 BGE 105 II 287 = Pra 1980, 365 E. 6c. 185 Dies folgt aus dem Wortlaut in BGE 105 II288; «Ledevoird'informertombe au surplus
... s'il donne son accord au traitement propose en renoncant expressement ou par une attitude sans equivoque ä recevoir de plus amples informations». Auch der vom BGer zitierte HINDERUNG schränkt die Verzichtsmöglichkeit ein. indem er den Verzicht auf «jede nähere Belehrung» (HINDERUNG 55) für zulässig erachtet. Im zitierten Entscheid hatte der Arzt denn auch den Patienten, bei welchem infolge Krebsverdachtes ein Eingriff vorgenommen wurde, zwar nicht über die Krebsdiagnose, wohl aber über das Vorhandensein eines Geschwürs rudimentär aufgeklärt.
186 Da ARZT 63 ebenfalls von der Unumgänglichkeit einer Aufklärung in Umrissen ausgeht, dürfte dem Patienten entgegen ARZT' Darstellung - um bei dessen plastischer Wortwahl zu bleiben - die Information «ins Ohr geschrien» werden.
187 Überdies würde sich bei einem Patienten, der sich gegen jedes auch noch so allgemeine Gespräch über Befund u. Eingriff weigert, die Frage der ernstlichen Behandlungswilligkeit stellen, weshalb ohnehin kein Eingriff zulässig wäre.
Wiegand 165
Die Aufklärungspflicht
cc) Der Verzicht auf die umfassende Aufklärung kann explizit oder konkludent, d.h. durch schlüssiges Verhalten, erfolgen188. Blosses Stillschweigen ohne weiter hinzukommende Umstände189 als Verzicht zu deuten, ist unzulässig, weil die Aufklärungspflicht des Arztes nicht erst durch entsprechendes Begehren des Patienten aktuell wird. Da ein Irrtum über den Verzicht zu Lasten des Arztes geht, ist ihm dringend zu empfehlen, nicht auf einen bloss konkludenten Verzicht abzustellen, sondern vom Patienten eine unmissverständliche und explizite Äusserung zu verlangen190.
Da der Arzt im Prozess den Aufklärungsverzicht zu beweisen hat191, ist ihm anzuraten, einen expliziten Verzicht einzuholen und diese Äusserung zumindest im Krankenblatt zu dokumentieren192, obwohl der Verzicht an sich keiner bestimmten Form bedarf. Der Arzt hat sich dabei dessen bewusst zu sein, dass eine Einwilligung ohne umfassende Aufklärung infolge Verzichts nur dann rechtfertigend wirken wird, wenn dieser Verzicht ohne Beeinflussung seitens des Arztes und wirklich freiwillig erfolgte.
dd) Ein im voraus vereinbarter Verzicht auf umfassende Aufklärung193
würde gegen ZGB 27 II Verstössen und wäre somit, da sittenwidrig, nicht bindend194. Unzulässig ist dabei nicht - wie oben dargestellt - der Verzicht als solcher, sondern es liegt eine Sittenwidrigkeit in der vertraglichen Bindung195 bezüglich der Art der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts vor. Der Verzicht auf die Aufklärung ist jederzeit - auch zur Unzeit, bspw. unmittelbar vor dem Eingriff - widerrufbar mit der Folge, dass eine ordentliche Aufklärung196 und eine neue Einwilligung erforderlich wird.
188 SoBGE 105 II288; statt vieler EISNER 181. Eine Mindermeinung erachtet bloss expliziten Verzicht als zulässig, so z.B. GUILLOD, Diss. 176; diese Auffassung vermischt die Gültigkeitsfrage mit dem Problem der Beweisbarkeit.
189 Vgl. KERN/LAUFS 120. 190 So setzt LAUFS, Arztrecht N 207, für die Gültigkeit des Verzichts eine eindeutige u. ernst
hafte Erklärung voraus. 191 Statt aller KERN/LAUFS 119, welche hervorheben, dass dieser Beweis, je umfassender der
Verzicht sei, desto höheren Ansprüchen zu genügen habe. 192 So auch SCHWAB/KRAMER/KRIEGELSTEIN 33. Die Unterzeichnung einer im Einzelfall aus
formulierten (u. nicht einer vorformulierten) Verzichtserklärung durch den Patienten, verbunden mit näheren Angaben zu den Umständen u. Gründen des Verzichts im Krankenblatt stellt eine optimale Beweissicherung dar.
193 Ein drastisches, «nur halb im Scherz» gemeintes Lehrbuchbsp. bei ARZT 62, wo der Verzicht auf die Aufklärung durch Kundgabe auf einem entsprechenden Schild im Wartezimmer zum Vertragsinhalt stipuliert werden sollte.
194 Dies gilt selbstverständlich auch für den formularmässigen Verzicht auf die Aufklärung, vgl. NARR N 882.
195 Vgl. dazu einlässlich BUCHER OR AT 259 f. 196 S. oben II 2.
166 Wiegand
Die Einwilligung
/// . Die Einwilligung
1. Die Wirkung und Erteilung der Einwilligung
a) Die Wirkung der Einwilligung
Nach traditioneller und richtiger Auffassung197 gilt der ärztliche Eingriff als Eingriff in das Recht auf körperliche Integrität und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, die ihrerseits Konkretisierungen des Persönlichkeitsrechts darstellen198.
Wie bei allen absoluten Rechten wird auch beim Persönlichkeitsrecht vermutet, dass der Berechtigte eine Einwirkung auf das Objekt seines Rechts, d.h. auf seine Persönlichkeit und auf seinen Körper, nicht wolle199. ZGB 28 stellt denn auch fest, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts widerrechtlich ist, sofern sie nicht durch eine Einwilligung gerechtfertigt ist200.
Die Einwilligung201 hat somit im Zivilrecht die Bedeutung einer Erlaubnis zum Eingriff. Erst die Einwilligung bewirkt die Rechtmässigkeit
197 Ständige Rsp. des BGer (z.B. BGE 117 Ib 197 ff.; BGE 113 Ib 420). Vgl. auch MAINARDI-SPEZIALI 81.
198 Vgl. oben I 2. 199 Vgl. BUCHER, Diss. 101; A. BUCHER N 506. 100 Im Zivilrecht ist die Einwilligung «der König der Rechtfertigungsgründe» (E. BUCHER.
Arzt und Recht 42). Weitere hier nicht interessierende Rechtfertigungsgründe sind das überwiegende öffentliche oder private Interesse sowie die Einräumung einer Eingriffsbefugnis durch Gesetzesnorm.
01 Die Rechtsnatur der Einwilligung ist umstritten. Ein Teil der Lehre betrachtet die Erteilung der Einwilligung als Willenserklärung, nach der anderen Auffassung handelt es sich dabei um rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (vgl. MAINARDI-SPEZIALI 82 mit weiteren Hinweisen). Nach richtiger Auffassung kann es sich bei der Einwilligung nicht um eine Willenserklärung i.S. eines einseitigen Rechtsgeschäfts handeln, allerdings nicht weil die Einwilligung jederzeit widerrufen werden kann (so E. BLCHER, Arzt und Recht 43; die Widerrufbarkeit schliesst das Vorliegen einer Willenserklärung nicht aus). Vielmehr fehlt der Einwilligung das jeder Willenserklärung typische finale Element, nämlich der Wille, dass eine bestimmte Rechtsfolge eintreten soll, umgekehrt dass die Rechtsfolge nur wegen des Willens eintritt (Vgl. grundlegend FLUME 23 ff.; VON TUHR/PETER 174 f.). Die Einwilligung in z.B. eine Körperverletzung ist vielmehr eine auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Erklärung, deren Rechtsfolge von Gesetzes wegen infolge Vorliegens einer bestimmten Tatsache eintritt. Somit ist die Einwilligung eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung (so auch PALANDT/HEINRICHS. Überbl v § 104 N 2c). Auf die rechtsgeschäfts-
Wiegand 167
Die Aufklärungspflicht
der ärztlichen Behandlung202, während umgekehrt beim Fehlen der Einwilligung203 aufgrund der gesetzlichen Vermutung von ZGB 28 der Eingriff rechtswidrig ist204.
Die ärztliche Heilbehandlung ohne Einwilligung stellt zudem eine Verletzung des zwischen Arzt und Patienten bestehenden Vertrages dar205.
Schliesslich erfüllt nach traditioneller Lehre und der Praxis des BGer jeder Eingriff - unabhängig von der Art der Vornahme (ob kunstgerecht oder gegen die Regeln der ärztlichen Kunst) und des Erfolgs206 - die Tatbestandsmerkmale der Körperverletzung gem. StGB 123207. Die Tatbestandsmässigkeit der Handlung hat rechtswidrigkeitsindizierende Wirkung208. Die Rechtswidrigkeit entfällt nur bei Vorliegen eines sie ausschliessenden Recht
ähnlichen Handlungen finden die Vorschriften zu den Willenserklärungen entsprechend Anwendung, weshalb die unterschiedliche Einordnung in der Regel nicht zu divergierenden Ergebnissen führt. So wird für die Einwilligung die Urteilsfähigkeit vorausgesetzt. Relevant ist die Rechtsnatur bei der Anfechtung. Diese ist bei der Einwilligung als rechtsgeschäftsähnlicher Handlung ausgeschlossen. «Schwerwiegende Willensmängel können aber dazu führen, dass die Handlung nicht mehr als Ausfluss einer sachgerechten Willensbildung anerkannt werden kann» (PALANDT/HEINRICHS, a.a.O. N 2c).
202 Dies gilt nicht nur für invasive, sondern auch für medikamentöse Massnahmen. 203 Sei es nun eine explizite oder konkludente oder gar bloss eine hypothetische Einwilli
gung. 204 Zu den Folgen der rechtwidrigen Persönlichkeitsrechtsverletzung s. unten IV. An der
Rechtswidrigkeit vermöchte eine erst nach dem Eingriff erfolgte Einwilligung nichts zu ändern.
205 Das Deliktsrecht u. das Persönlichkeitsrecht schützen jeden Menschen vor unerlaubten Eingriffen Dritter; das zentrale Element in der Beziehung zwischen Arzt u. Patient bildet jedoch das dem Auftragsrecht zugeordnete Behandlungsverhältnis (dazu WIEGAND S AeZ 1991, 618). Zur getreuen u. sorgfältigen Geschäftsführung gehört dabei nicht nur (nebst vielen anderen Pflichten) die Aufklärungspflicht, sondern auch die Pflicht, vor der Vornahme des Eingriffs die Einwilligung einzuholen (so ausdrücklich auch A. BUCHER N 516). Da die Achtung der Persönlichkeitsrechte des Patienten im privaten Behandlungsverhältnis auch eine Vertragspflicht ist, sind an den Arzt höhere Anforderungen zu stellen als an einen Dritten, der 'bloss' aufgrund des Gesetzes zur Achtung der Persönlichkeitsrechte verpflichtet ist. Zu beachten ist, dass die Mandatserteilung nicht gleichzeitig auch die Erteilung der Einwilligung bedeutet (dazu ausführlich MAINARDI-SPEZIALI 84)
206 So MAINARDI-SPEZIALI 80 FN 105; BGE 99 IV 208 ff. 207 BGE 99 IV 208 ff.: «Jede ärztliche Behandlung, welche die körperliche Integrität oder
die Gesundheit verletzt, erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung.» Zur dogmatischen Begründung vgl. z.B. ARZT 52 f. Mit der Feststellung der Tatbestandsmässigkeit ist -entgegen der laienhaften Vorstellung - noch keineswegs etwas über die Strafbarkeit gesagt, welche das kumulative Vorliegen von Tatbestandsmässigkeit, Rechtswidrigkeit u. Schuld voraussetzt.
208 Statt vieler REHBERG I 123.
168 Wiegand
Die Einwilligung
fertigungsgrundes. Bei der ärztlichen Behandlung steht derjenige der Einwilligung im Vordergrund209.
Sowohl im Zivilrecht wie auch im Strafrecht kann festgehalten werden: Erst die auf «einer rechtlich angemessenen Aufklärung basierende Einwilligung des Patienten» begründet die Rechtmässigkeit210 und damit Zu-lässigkeit des ärztlichen Eingriffs2".
Dies gilt auch im öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnis; allerdings werden hier die Persönlichkeitsrechte des Patienten nicht durch den privatrechtlichen Schutz der Persönlichkeit gem. ZGB 28, sondern (neben dem strafrechtlichen Schutz) durch das ungeschriebene Grundrecht der Persönlichen Freiheit212 geschützt.
b) Die Erteilung der Einwilligung
Einwilligungsberechtigt ist im Normalfall der Patient211. Die Einwilligung bedarf keiner Form, sie kann mithin mündlich oder
schriftlich erteilt werden214. Die Einwilligung kann nicht nur explizit, sondern auch konkludent215 erfolgen. So wird der Patient hinsichtlich allgemeiner Untersuchungen, welche die Persönlichkeitssphäre bloss formell berühren, durch seinen Wunsch nach Rat und Auskunft schlüssig einwilli-
209 Als weitere Rechtfertigungsgründe im Arztrecht fallen in Betracht: der Notstand u. die Erlaubnis nach öffentlichem Medizinalrecht.
210 D.h. rechtmässig im Sinne des Deliktsrechts (OR 41 ff.), des Persönlichkeitsrechts (ZGB 28), des Vertragsrechts u. auch des Strafrechts.
211 So auch treffend MAINARDI-SPEZIALI 81: «Grundlage jeder ärztlichen Behandlungeines ... Patienten ist dessen Wille, überhaupt u. in bestimmter Weise behandelt zu werden.» Dies gilt auch für die Vornahme eines AIDS-Tests. Deshalb darf der Arzt, welcher eine konsentierte Blutentnahme vornimmt, nicht von sich aus u. ohne spezielle zusätzliche Einwilligung einen HIV-Test vornehmen (so für die h.L. etwa KUHN SJZ 1993. 258). Das gleiche gilt im öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnis. Vgl. etwa JAGGI 75 ff., mit spezieller Berücksichtigung des PatD/BE insb. 83 f.
212 Dazu grundlegend J.P. MÜLLER 6 ff. «Jeder ärztliche Eingriff im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Arzt-Patienten-Verhältnisses fällt in den Schutzbereich der Persönlichen Freiheit.» J.P. MILLER 9.
213 Dazu ausführlich und mit Darstellung der Ausnahmefälle, auch der hypothetischen Einwilligung, oben II 6 a ee.
214 Statt aller: LAUFS/UHLENBRUCK § 139 N 34. 215 Für die h.L. LAUFS/U HLENBRUCK § 139 N 34. Dies ergibt sich aus den allgemeinen Vertrags
lehren, insb. auch aus analoger Anwendung von OR 1 II. Konkludente Willensäusserung bedeutet Willensäusserung durch Willensbetätigung, durch schlüssiges Verhalten. Ausführlich dazu BUCHER, Diss. 147 ff. Zu weit geht die Auffassung, nebst der konkludenten auch die nicht eindeutige Einwilligung als zulässig zu erachten (MAINARDI-SPEZIALI 82).
Wiegand 169
Die Aufklärungspflicht
gen216. Für invasive Eingriffe wäre zwar die konkludente Einwilligung nach hinreichend erteilter Aufklärung ebenfalls ausreichend. Da der Arzt jedoch die Beweislast für das Vorliegen der Einwilligung trägt, wird er gut daran tun, vor Operationen und anderen schwerwiegenden Eingriffen, stets eine explizite Einwilligung einzuholen217. In Verbindung mit der Zweistufenaufklärung wird die Einwilligung häufig in schriftlicher Form durch Unterzeichnung einer entsprechenden Rubrik auf dem Aufklärungsformular erteilt. Da diese Einwilligung allerdings immer nur im Zusammenhang mit der umfassenden, einen mündlichen Teil beinhaltenden Aufklärung rechtswirksam ist, steht und fällt auch diese schriftlich erteilte Einwilligung im Prozessfall mit dem Nachweis der Angemessenheit der Aufklärung, wofür ebenfalls der Arzt die Beweislast trägt218.
Ein datierter Vermerk in der Krankengeschichte über die mündliche Erteilung der Einwilligung genügt als Beweissicherungsmassnahme vollauf und hat eine hohe Beweiskraft, ganz im Gegensatz zu unterzeichneten Einwilligungserklärungen219.
Die Einwilligung muss frei von Willensmängeln220 sein und soll erst nach angemessener Überlegungsfrist221 gegeben werden.
216 Dies gilt auch für einige materielle Eingriffe in die körperliche Integrität. Wer z.B. dem Arzt den Arm nach erfolgter Aufklärung (!) zur Vornahme einer Injektion hinhält, willigt schlüssig ein.
217 Was im Anschluss an das Aufklärungsgespräch zwanglos u. ohne Verunsicherung des Patienten möglich ist.
218 Zum ganzen ausführlich II 5 a dd. Bei Anwendung der Stufenaufklärung ist zu beachten, dass der Patient das Formular, welches vor der mündlichen Aufklärung ausgehändigt wird, erst nach dem mündlichen Aufklärungsgespräch unterzeichnet. Andernfalls wäre die Einwilligung rechtlich unwirksam. Schliesslich darf der Frage nach der Form der Einwilligung nicht übermässiges Gewicht beigemessen werden, wird doch kaum je geltend gemacht, man habe z.B. zu der Operation überhaupt keine Einwilligung erteilt u. der Arzt habe völlig eigenmächtig den Eingriff vorgenommen. Umstritten ist regelmässig bloss die Frage, ob die Aufklärung vollständig war.
219 Formulare mit Blankoeinwilligungen u. Texten wie «ich bestätige, über Wesen, Bedeutung u. Tragweite des Eingriffs ausreichend aufgeklärt worden zu sein u. erteile hiermit die Einwilligung zur Operation...» (vgl. PFOST 24, mit einem derartigen, anscheinend häufig verwendeten Formular) sind vielmehr geeignet, massive Zweifel am Vorliegen einer angemessen Aufklärung u. genügend abgestützten Einwilligung zu erwecken. Sie beweisen so gut wie gar nichts.
220 Eine Anfechtung der Einwilligung ist infolge ihrer Rechtsnatur ausgeschlossen (s. oben FN 201); allerdings wäre eine infolge Täuschung oder Drohung erwirkte Einwilligung unbeachtlich. So darf der Arzt nicht mittels Anwendung psychischen Zwanges die Einwilligung erwirken. Jedoch ist es seine auftragsrechtliche Pflicht, mit Nachdruck u. der nötigen Klarheit auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung u. damit der Nichtvornahme des dringend indizierten Eingriffs hinzuweisen.
221 Vgl. oben II 5 d.
170 Wiegand
Die Einwilligung
2. Die Verweigerung der Einwilligung und deren Konsequenzen
Verweigert der Patient die Einwilligung zum Eingriff, so darf dieser nicht vorgenommen werden222. Andernfalls würde sich der Arzt straf- und zivilrechtlich verantwortlich machen223.
Aufgrund der gesetzlichen Vermutung, wonach Eingriffe in absolut geschützte Rechtsgüter zu unterlassen sind224, hat der Patient, welcher mit einem Eingriff nicht einverstanden ist, weder explizit noch konkludent die Verweigerung zu äussern. Blosses Stillschweigen, d.h. Unterlassen der Erteilung einer Einwilligung, genügt225.
a) Der urteilsfähige Patient
Ist der Patient urteilsfähig, so gehört es zu seiner «Freiheit»226, jeden Eingriff, auch einen vital indizierten227, aus welchen Gründen auch immer228, zu verweigern229. Dabei ist jedoch bei der Beurteilung der Urteilsfä-
222 S. die ausführliche Begründung III1 a. Das gilt auch, wenn beim urteilsunfähigen Patienten nicht auf eine hypothetische Einwilligung geschlossen werden kann.
223 S. oben III 1 a; unten IV. 224 S. oben III 1 a. 225 Deshalb ist denn auch für die Erteilung der Einwilligung eine explizite oder konkludente
Zustimmung erforderlich, blosses Stillschweigen genügt nicht. Eine ausdrückliche Weigerung durch den Patienten ist nur erforderlich, wenn er durch konkludente oder explizite Äusserungen den Anschein erweckt hat, er sei mit der Behandlung einverstanden (vgl. BUCHER, Diss. 150).
226 Sie wird im Privatrecht durch das in ZGB 28 normierte Selbstbestimmungsrecht garantiert.
227 «Auch bei vitaler Indikation eines Eingriffs verlangt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, dass sein Arzt ihm die Möglichkeit lässt. über den Eingriff selbst zu entscheiden u. ihn gegebenenfalls abzulehnen, auch wenn ein solcher Entschluss medizinisch unvernünftig ist», so BGHZ 90, 103, 105 f.
228 Auch eine objektiv unvernünftige Verweigerung muss zwingend respektiert werden, da das für die Einwilligung relevante Kriterium einzig u. allein der Wille des konkreten Patienten und nicht die Sicht eines verständigen u. vernünftigen Menschen ist. «Niemand darf sich zum Richter in der Frage aufwerfen, unter welchen Umständen ein anderer vernünftigerweise bereit sein sollte, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern, um dadurch wieder gesund zu werden.» BGHSt 11. 111, 114.
229 So die übereinstimmende Lehre u. Rsp. sowohl in der Schweiz wie in Deutschland. Vgl. statt vieler E. BUCHER, Arzt und Recht 42: «Im Persönlichkeitsbereich ist das. was der Patient will, recht, u. alles, was gegen seinen Willen erfolgt, ist unrecht.»: GIESEN. medizinische Behandlung 116, 144; LAUFS/UHLENBRUCK § 68 N 1: «Jedermann hat die Befugnis, ärztliche Dienste in Anspruch zu nehmen oder einer Krankheit ihren schicksalhaften
Wiegand 171
Die Aufklärungspflicht
higkeit besondere Vorsicht geboten; insb. ist zu prüfen, ob eine Verweigerung wirklich dem freien Willen des Patienten entspreche oder allenfalls bloss durch Angst diktiert werde230. Beruht nämlich die Nichterteilung der Einwilligung nicht mehr auf einer freiverantwortlichen Willensentscheidung, ist der Patient mithin in concreto, d.h. kasuell, urteilsunfähig, hat der Arzt nach dem hypothetischen Willen des Patienten zu entscheiden231. Andernfalls kann er schadensersatzpflichtig werden infolge Nicht- oder nichtgehöriger Erfüllung des Auftrages232.
b) Der kasuell Urteilsunfähige
Beim kasuell urteilsunfähigen Patienten ist auf dessen hypothetischen Willen abzustellen233; lassen die Umstände, z.B. bei Vorliegen einer rechtsgültigen Patientenverfügung oder glaubwürdiger Angaben von dem Patienten nahestenden Personen, eindeutig auf das Fehlen einer hypothetischen Einwilligung zu einem konkreten Eingriff schliessen, darf dieser nicht vorgenommen werden.
c) Der habituell Urteilsunfähige
Da beim habituell Urteilsunfähigen der gesetzliche Vertreter seinen Entscheid ausschliesslich nach dem Kindeswohl bzw. dem Wohl des Mündels zu bestimmen hat und das Interesse des Vertretenen mangels eines hypothetischen rechtlich relevanten Willens ausschliesslich nach objektiven Massstäben bestimmt wird, kommt hier eine rechtlich zulässige Verweigerung der Einwilligung durch den Vertreter nur selten in Betracht234.
Lauf zu lassen.» Das gilt auch in Fällen, wo durch einen leichten Eingriff, z.B. eine Bluttransfusion, das Leben des Patienten gerettet werden könnte, dieser jedoch in die Behandlung z.B. aus religiösen Gründen nicht einwilligt, wie dies etwa bei Mitgliedern der «Zeugen Jehova» vorkommt.
210 Vgl. E. BUCHER, Arzt und Recht 44. 231 Sofern sich die Einwilligung aus dem hypothetischen Willen des Patienten ergibt. Auf
den hypothetischen Willen ist abzustellen, da mangels Urteilsfähigkeit keine rechtliche relevante Willensäusserung vorliegt. Der betr. Patient ist kasuell urteilsunfahig.
232 Unter der Voraussetzung des Vorliegens eines Verschuldens, vgl. OR-WIEGAND, Art. 97 N 5 ff.
233 S. dazu oben II 6 a dd. Dies gilt sowohl bei Mündigen wie auch bei Unmündigen oder Entmündigten; wohl entscheidet bei letzteren der Vertreter, doch seine Vertretungsmacht wird eingeschränkt u. umschrieben durch den hypothetischen Willen des Vertretenen.
2,4 Die Eltern sind nicht befugt, unvernünftige Entschlüsse zum Nachteil ihrer Kinder zu
172 Wiegand
Die Einwilligung
Verstösst die Verweigerung gegen das Kindes- bzw. Mündelwohl, so hat der Arzt sofort die Vormundschaftsbehörde zu informieren, welche gegebenenfalls Kindesschutzmassnahmen anordnet. Als behördlicher Eingriff wird in diesem Fall zuerst235 die Anordnung einer geeigneten Massnahme236
im Vordergrund stehen. Sie erlaubt der Behörde, die Eltern zur Erteilung der Einwilligung anzuweisen. Erst wenn sich die Eltern weiterhin weigern, muss die Vormundschaftsbehörde selbst die Zustimmung zum Eingriff erteilen. Sie übt damit eine Befugnis aus, die an sich nur einem ernannten Beistand zustünde. Da ein besonderer Grund zum sofortigen Tätigwerden vorliegt, ist das Handeln ad hoc anstelle von Beistand, Beirat oder Vormund zulässig237. Steht genügend Zeit zur Verfügung, ist ein Beistand zu bestellen238. Die für die Anordnung geeigneter Massnahmen resp. das Erteilen der Zustimmung durch die Behörde vorausgesetzte Gefährdung des Kindeswohls liegt vor, sobald die «ernstliche Möglichkeit der Beeinträchtigung des körperlichen, sittlichen oder geistigen Wohls des Kindes vorauszusehen ist»239. Dieselben Regeln finden Anwendung, wenn der Vormund eines urteilsunfähigen Unmündigen oder Entmündigten die Eingriffseinwilligung verweigert.
Reicht die Zeit zur Information der Vormundschaftsbehörde und deren Handeln infolge Dringlichkeit des Eingriffs nicht aus240, so soll und darf der Arzt den Eingriff auch gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Vertreters vornehmen241. Diesem Willen kommt infolge Überschreitens der Vertretungsmacht keine rechtliche Bedeutung mehr zu242.
treffen. Ihre Entscheidungsfreiheit ist somit nicht eine unbeschränkte wie diejenige des urteilsfähigen Kranken; vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 66 N 11.
235 Vgl. BK-SCHNYDER/MURER ZGB 392 N 110. 256 Gem. ZGB 307. 217 Die Bestellung eines Beistands ist diesfalls, da blosse Formalität, nicht erforderlich; vgl.
BK-SCHNYDER/MURER ZGB 361 N 62. 238 Nach ZGB 308. Ein Beistand nach ZGB 392 Ziff. 3 ist zu ernennen, wenn der gesetzliche
Vertreter verhindert ist. 2 , 9 HEGNAUER 181. 240 Die Vormundschaftsbehörde wird im übrigen in dringenden Fällen die Zustimmung nach
kurzer ärztlicher Aufklärung auch mündlich oder femmündlich erteilen, so dass selbst in dringenden Fällen oftmals vom Arzt die Zustimmung der Behörde noch eingeholt werden kann.
241 Immer unter der Voraussetzung, dass die Verweigerung der Einwilligung gegen das Kindeswohl verstösst. Derartige Situationen könnten sich z.B. bei der religiös motivierten Ablehnung einer Bluttransfusion ergeben.
242 Vgl. oben II 6 a cc - dd. Gl.M. E. BUCHER. Arzt und Recht 44. wonach darauf abzustellen ist, ob die Vormundschaftsbehörde dem Eingriff zugestimmt hätte; BUCHERS «rein advokatorischer Ratschlag» geht dahin, sich durch Zuziehung eines Konsiliarius' für eine allfällige Auseinandersetzung Beweise zu sichern.
Wiegand 173
Die Aufklärungspflicht
d) Verweigerung zur Unzeit
Verweigert der Patient den Eingriff nach anfänglicher Einwilligung zur Unzeit, z.B. unmittelbar vor der Operation, ist Schadenersatz im Umfang des negativen Vertragsinteresses geschuldet243.
3. Spezialprobleme
a) Die Operationserweiterung
Unter dem Begriff Operationserweiterung versteht man die Vornahme weiterer oder anderer als der ursprünglich vorgesehenen Eingriffe, zu deren Durchführung sich der Arzt erst während der geplanten Operation entschliesst.
Hatte der Arzt den Patienten schon vor der Operation darüber aufgeklärt, dass u.U. ein ganz bestimmter, weiterer Eingrifferforderlich sein könnte, und willigte der Patient in diesen ein, stellen sich bei der Operationserweiterung keine besonderen Probleme.
War der effektive Befund vor dem Eingriff hingegen nicht vorhersehbar, konnte der Arzt auch nicht über allenfalls notwendige Erweiterungen aufklären, weshalb keine Einwilligung vorliegt. Es stellt sich deshalb die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Chirurg den ursprünglichen, von der Einwilligung des Patienten gedeckten Operationsplan abändern oder erweitern darf bzw. muss, ohne eine erneute Einwilligung des Patienten einzuholen244.
aa) Im einzigen mit der Frage befassten Urteil vertrat das BGer die Auffassung, dass die Operationserweiterung nur zulässig sei, wenn der Eingriff dringlich oder unzweifelhaft nötig und eine Operationsunterbrechung nicht ohne Gefahr möglich sei245. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ein deut-
24< Dazu gehören z.B. die Generalunkosten der Vorbereitungen der technischen Einrichtungen sowie, bei Nachweisbarkeit der Ablehnung anderer Aufträge, der entgangene Gewinn; vgl. OR-WEBER, Art. 404 N 16 f.
244 Die Zulässigkeit der Operationserweiterung kann mit der hypothetischen Einwilligung begründet werden; so die überwiegende Auffassung; s. dazu GIESEN, medizinische Behandlung 121 f. Der hypothetische Wille ist derjenige, den der Patient bei Kenntnis aller Umstände im entscheidenden Zeitpunkt, d.h. während der Operation, geäussert hätte, wenn er einen Willen hätte bilden bzw. äussern können.
245 BGE 108 II 61 E. 2 = Pra 1982, 299 f. E. 2.
174 Wiegand
Die Einwilligung
sches Gerichtsurteil246 erhöhte neuerdings das KGer St.Gallen2*1 die Anforderungen an die Zulässigkeit der Operationserweiterung und setzte diese folgendermassen fest: - es muss ein Befund vorliegen, der mit an Sicherheit grenzender Wahr
scheinlichkeit in absehbarer Zeit zum Tode des Patienten führt; - ein Abbruch der Operation muss medizinisch kontraindiziert, d.h. mit
erhöhten Gefahren verbunden sein; - ein der Erweiterung entgegenstehender Wille des Patienten darf aufgrund
der Lebensgefährlichkeit des Befundes nicht anzunehmen sein. Ob diese kantonale Rsp. vor BGer standhalten wird, erscheint frag
lich. Dies insb. auch angesichts des Umstandes, dass der BGH die Operationserweiterung gestützt auf die hypothetische Einwilligung auch dann für zulässig hält, wenn nicht eine unmittelbare Lebensgefahr droht248.
bb) Sachgerecht scheint hier folgender, einen Mittelweg beschreitender Lösungsansatz:
Vital indizierte Operationserweiterungen sind stets zulässig249, auch wenn sie mit schwerwiegenden Folgen verbunden sind. Nicht vital indizierte, jedoch dringende Erweiterungen ohne schwerwiegende Folgen sind zulässig, wenn die Erweiterung nicht mit einer erhöhten Gefahr verbunden250 und ein Abbruch kontraindiziert ist, weil dieser neue, gefährliche Komplikationen hervorriefe.
Nicht vital indizierte dringende Erweiterungen mit ganz gravierenden Folgen sind unzulässig. Das gleiche gilt für alle Erweiterungen, welche die obigen Voraussetzungen nicht erfüllen, insb. auch für Erweiterungen, welche aus blossen Zweckmässigkeitsüberlegungen vorgenommen werden251-252. In jedem Fall ist eine Erweiterung zulässig, wenn der Arzt
246 Urteil OLG Frankfurt v. 10.2.1981 in NJW 1981, 1322 ff. 247 Urteil v. 21.8.91 in AJP 1992, 272. 248 BGH v. 25.3.1988 = NJW 1988, 2310. 249 Selbstverständlich unter dem Vorbehalt, dass der Patient nicht einen anderen Willen
geäussert hat. 250 EISNER (186 FN 242) nimmt an, dass eine Operationserweiterung aus medizinischen Grün
den immer die bessere Lösung sei. Dies trifft nicht zu; vgl. etwa KGer SG. AJP 1992. 273.
251 Z.B. nichtindizierte Gelegenheitsappendektomie (Blinddarmentfernung) anlässlich einer Sterilisation. Vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 139 N 51.
252 Die in Lehre u. Praxis zu konstatierende Verabsolutierung dieser Regeln birgt die Gefahr, ein erstrebenswertes Ziel, nämlich den Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten vor der Bevormundung durch den Arzt mit der teilweisen Fremdbestimmung durch die Rsp. erreichen zu wollen. Da solche Regeln individuelle Besonderheiten nicht be-
Wiegand 175
Die Aufklärungspflicht
aufgrund besonderer Umstände auf einen solchen hypothetischen Willen des Patienten schliessen kann.
cc) War in der präoperativen Phase die Möglichkeit einer bestimmten Erweiterung vorhersehbar, unterliess der Arzt jedoch die entsprechende Aufklärung253, ist die Erweiterung im Rahmen der oben dargelegten Grundsätze trotzdem zulässig, da dann im Moment der Operationserweiterung die hypothetische Einwilligung angenommen werden kann. Allerdings verletzt der Arzt damit seine auftragsrechtlichen Pflichten254.
b) Der Heilversuch
Die Einwilligung zum Heilversuch255 (wie auch beim Humanexperiment256) hat besonderen Anforderungen zu genügen.
Beim Heilversuch soll die Einwilligung grundsätzlich explizit251 erfolgen, dies nach einer besonders ausführlichen Aufklärung. Dabei hat der Arzt den Patienten umso intensiver aufzuklären, je neuer und unerprobter die angewandte Methode ist. Heilversuche an Urteilsunfähigen bedürfen wie jeder Eingriff der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Sie sind
rücksichtigen, haben sie stets dort zurückzutreten, wo aus den Umständen mit einiger Sicherheit auf den hypothetischen Willen des konkreten Patienten geschlossen werden kann. Dabei ist auch die Anfälligkeit des Patienten auf körperliche u. seelische Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, welche mit einer weiteren Operation verbunden sein können. Sei es, weil er infolge fehlerhafter Diagnose die Möglickeit einer Erweiterung nicht erkannte, sei es weil er bei ihm bekannter Erweiterungsmöglichkeit darüber fahrlässigerweise oder vorsätzlich nicht aufklärte. Vgl. dazu auch EISNER 100; OR-WEBER, Art. 398 N 8 f. Die Pflicht zur Aufklärung (auch über bloss evtl. erforderliche Erweiterungen) gehört zur auftragsrechtlichen Pflicht zum sorgfältigen Tätigwerden. Unter dem Begriff Heilversuch versteht man Eingriffe u. Behandlungsweisen, die in einem konkreten Krankheitsfall mit Blick auf die Heilung des Kranken, d.h. therapeutischer Absicht, erfolgen (vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 130 N 7). Im Gegensatz zur Standardbehandlung sind die Auswirkungen u. Folgen der beim Heilversuch angewandten Behandlungsweisen noch nicht genügend abzuschätzen, womit sich der Heilversuch von dieser abgrenzt. Unter dem Begriff Humanexperiment (auch klinisches Experiment) versteht man Eingriffe u. Massnahmen, bei welchen nicht die Heilung des Patienten, sondern das wissenschaftliche Interesse im Vordergrund steht u. deren Auswirkungen mangels genügender Erfahrung noch nicht ausreichend abzuschätzen sind. Juristisch würde auch eine konkludente Zustimmung genügen; allerdings sind kaum Umstände denkbar, unter welchen eine Einwilligung durch schlüssiges Verhalten vorstellbar ist. Vgl. dazu auch oben III 1 b.
176 Wiegand
Die Einwilligung
zulässig, sofern sie im Interesse des Urteilsunfähigen liegen258. Andernfalls wären sie auch bei erteilter Zustimmung durch die gesetzlichen Vertreter unerlaubt259.
c) Das Humanexperiment260
Hier gilt bezüglich Auflärung und Einwilligung das gleiche wie beim Heilversuch.
Handelt es sich beim Humanexperiment um einen schweren Eingriff161, so wirkt die Einwilligung nur rechtfertigend, wenn das Experiment einem sittlichen Wert dient262.
Humanexperimente an Urteilsunfähigen sind in jedem Fall absolut unzulässig. Denn die gesetzlichen Vertreter dürfen in ein solches nicht einwilligen, da dieses mangels Verfolgung eines konkreten therapeutischen Zwecks nicht dem objektiven Wohle des Urteilsunfähigen entspricht. Eine trotzdem erteilte Einwilligung wäre nichtig und würde den Eingriff nicht rechtfertigen263.
d) Die Organtransplantation
aa) Lebender Spender
Bei der Organtransplantation handelt es sich regelmässig um einen schweren Eingriff in die körperliche Integrität des lebenden Spenders. Es gilt für die Einwilligung zur Organentnahme beim lebenden Spender grundsätzlich dasselbe wie bei der Einwilligung zum Humanexperiment; insb. kommt auch die Einwilligung zu einer Organentnahme durch den gesetzli-
is S. dazu ausführlich oben II 6 a cc - ee. Statt aller auch LAUFS/UHLENBRUCK § 130 N 28. i9 Vgl. dazu auch ausführlich oben II 6 a cc - ee. * Zum Begriff s.FN 256. '' D.h. um einen Eingriff, welcher den objektiven Tatbestand der schweren Körperverlet
zung erfüllt. J Dies ergibt sich einmal aus OR 20, nach welchem die Gültigkeit (u. damit die rechtferti
gende Wirkung) der zum Zeitpunkt des Eingriffs erteilten Einwilligung zu beurteilen ist: so A. BUCHER N 517. Es folgt ebenfalls aus strafrechtlichen Grundsätzen, statt vieler TRECHSEL vor StGB 122 N 7.
'-' Zur dogmatischen Begründung s. oben II 6 a cc - ee. Dezidien dazu GIESEN. medizinische Behandlung 150.
Wiegand 177
Die Aufklärungspflicht
chen Vertreter des möglichen Spenders nicht in Betracht. Die aus bloss finanziellen Interessen erteilte Einwilligung zur Organentnahme ist sittenwidrig, demnach nichtig, der gestützt darauf vorgenommene Eingriff rechtswidrig264.
bb) Toter Spender
Hat sich der Verstorbene zu Lebzeiten gegen eine allfällige Organtransplantation ausgesprochen, ist jede Entnahme von Organen unzulässig, da ZGB 28 auch das Recht der Person, über die Verwendung ihres Leichnams zu entscheiden, schützt. Hat der Verstorbene keine Anordnungen getroffen, ist die Organentnahme zulässig, sofern die nächsten Angehörigen des Verstorbenen diese gestatten. Eine ohne Einwilligung vorgenommene Organentnahme würde eine rechtswidrige Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Angehörigen darstellen265.
e) Delegation des Einwilligungsentscheids
Bislang von Lehre und Gerichtspraxis nicht behandelt wurde die Frage, ob die Entscheidung über den Eingriff vom urteilsfähigen Patienten an einen Dritten delegierbar ist266. Wohl verlangt die Wahrung höchstpersönlicher Rechte nicht höchstpersönliches Handeln des Rechtsträgers; so ist es zulässig, die entsprechenden Handlungsbefugnisse auf einen gewillkürten Stellvertreter zu übertragen267. Der Stellvertreter hat dabei jedoch bloss eine fremdnützige Entscheidungszuständigkeit und muss nach den Interessen und dem Willen des Vertretenen entscheiden. Die Delegation der Entscheidbefugnis an den Delegaten ohne Angabe von zu beachtenden Entscheidkri-
264 Die Einwilligung zur Entnahme eines nichtpaarigen Organs oder eines nicht selbst regenerierenden Körperteils ist auch bei ethisch hochstehenden Zielen nichtig, da sittenwidrig. In die Entnahme paariger Organe oder sich selbst regenerierender Körperteile kann eingewilligt werden, wenn damit ein sittlicher Zweck (z.B. Vitalindikation beim Empfänger) verfolgt wird. Dazu ausführlich LAUFS/UHLENBRUCK § 131 N 19 ff. Zur Transplantation s. insb. unten 8. Kap.
2M Vgl. dazu etwa A. BUCHER N 468, 474. Anders aber Art. 41 Abs. 2 GG/BE v. 2.12.1984, wonach die Organentnahme zulässig ist, sofern nichts anderes verfügt wurde.
266 So wenn z.B. eine Frau, bei welcher eine Bluttransfusion letal indiziert ist, erklärt, weder verweigere sie die Einwilligung noch erteile sie diese; ihr Mann möge entscheiden.
267 So BK-BUCHER ZGB 19 N 199.
178 Wiegand
Die Einwilligung
terien verstösst gegen ZGB U26*. Der vom Dritten geäusserte Wille, ob es sich nun um eine Verweigerung oder eine Einwilligung handle, ist deshalb unbeachtlich. Obwohl seitens des Patienten keine explizite Einwilligung zum Eingriff vorliegt, ist seine Erklärung, wonach der Entscheid einem Dritten delegiert werde, als Zustimmung zum Eingriff zu werten. Denn durch die entsprechende Äusserung gibt der Patient kund, dass ihm beides recht sei, der Eingriff wie auch das Unterlassen desselben. Es liegt somit nicht ein Fall der klassischen Unterlassung der Einwilligung vor, welche aufgrund der Vermutung von ZGB 28 II als Verweigerung zu werten wäre.
f) Die sittenwidrige Eingriffseinwilligung
Begehrt der Patient vom Arzt die Vornahme eines nicht indizierten Eingriffs269, ist zunächst festzustellen, dass der Arzt einen Auftrag mit rechtswidrigem oder unsittlichem Auftrag nicht abschliessen darf und muss. Rechtswidrige oder unsittliche Weisungen hat der Mandatar nicht zu befolgen270. Auf der ausservertraglichen Stufe ist alsdann zu prüfen, ob der Arzt, weicherden Eingriff gleichwohl vornimmt, trotz Vorliegens einer «Einwilligung» die Persönlichkeitsrechte des Patienten rechtswidrig verletzt. Dies trifft dann zu, wenn die vom Patienten erteilte Zustimmung zum Eingriff nach OR 20271 infolge Sittenwidrigkeit oder Verstosses gegen objektives
58 Eine derartige Delegation des Entscheids erfolgt in der Regel bloss in Fällen, bei welchen der Patient in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu einer bestimmten Gruppierung oder Person steht. In Fällen eigentlicher Druckversuche durch solche Gruppierungen ist der Patient infolge der massiven Fremdbeeinflussung nicht mehr in der Lage, einen freien Willen zu bilden, weshalb in concreto seine Urteilsfähigkeit zu verneinen ist. Die Möglichkeit einer Delegation entfällt deshalb von vornherein, es ist nach dem hypothetischen Willen des Patienten zu entscheiden.
,9 Sei es infolge unsinniger selbstgestellter Diagnose (Patientin liess eine nichtindizierte Zahnextraktion vornehmen, da sie glaubte, nur so von chronisch starken Kopfschmerzen befreit zu werden; NJW 1978, 1206), sei es aufgrund bestimmter sozio-kultureller Gegebenheiten (z.B. Zirkumzision bei Frauen). Da sich die Zulässigkeit entsprechender Eingriffe letztlich nach dem Kriterium der guten Sitten bestimmt, diese jedoch blosse Rezeption herrschender Moralvorstellungen u. als solche insb. von Kultur u. Religion abhängig sind, ergeben sich in zunehmend multikulturellen Gesellschaften heikle Probleme.
0 Statt aller OR-WEBER, Art. 397 N 7. 1 Der Schutz der Entscheidungsfreiheit gem. ZGB 27 findet hier keine Anwendung, da es
nicht um die Frage geht, inwiefern man sich binden kann; vielmehr geht es darum, ob eine rechtsgeschäftsähnliche Willensäusserung infolge ihres Inhaltes noch rechtswirksam ist oder nicht; vgl. zu dieser Abgrenzung A. BUCHER N 517. N 443; BUCHER OR AT 259 f.
Wiegand 179
Die Aufklärungspflicht
Recht272 rechtsunwirksam ist, so wenn ein schwerer Eingriff ohne sittlichen Zweck273 vorgenommen werden soll274. Diesfalls muss der Arzt, um sich nicht straf- und zivilrechtlich verantwortlich zu machen, den Eingriff unterlassen.
TV. Folgen fehlender oder fehlerhafter Aufklärung
1. Widerrechtlichkeit des Eingriffs
Nach h.L.275 und ständiger Praxis des BGer276 ist ein Eingriff in die körperliche Integrität rechtswidrig, sofern nicht die Einwilligung des Patienten vorliegt. Diese muss auf einer bezüglich Inhalt, Umfang und Aus-mass rechtlich ausreichenden Aufklärung basieren277. Denn erst die hinreichende Aufklärung ermöglicht es dem Patienten, eine freie Entscheidung2™
272 So statt vieler A. BUCHER N 517; gegen die guten Sitten verstösst, was der «Anschauung aller billig u. gerecht denkender Volksgenossen, gemessen an einem durchschnittlichen Massstab» (VON TUHR/PETER 256) zuwiderläuft. Die stete Bezugnahme der h.L. auf die Sittenwidrigkeit ist in diesem Zusammenhang unnötig; denn mit der Einwilligung in z.B. verstümmelnde Eingriffe wird ein vom Strafrecht verbotenes Ziel angestrebt, weshalb die Unwirksamkeit der Einwilligung nach OR 20 bereits infolge Verstosses gegen objektives Recht vorliegt (treffend zur Irrelevanz der Unterscheidung zwischen Sittenwidrigkeit u. Rechtswidrigkeit in diesem Zusammenhang BUCHER OR AT 253).
273 Z.B. eine verstümmelnde Operation. Kosmetische Eingriffe verfolgen in der Regel einen sittlichen Zweck, LAUFS/UHLENBRUCK § 139 N 40. Die Einwilligung in solche Eingriffe wirkt somit rechtfertigend. Zum Begriff der Sittenwidrigkeit vgl. FN 272.
274 Die vom Strafrecht u. Zivilrecht gezogenen Grenzen der rechtfertigenden Einwilligung bestimmen sich nach dem gleichen Kriterium. In beiden Rechtsgebieten wird die Einwilligung unbeachtlich, wenn sie sittenwidrig ist (vgl. z.B. TRECHSEL vor StGB 122 N 7; A. BUCHER N 517).
275 Vgl. statt aller GIESEN, medizinische Behandlung 105: «Grundsätzlich ist die auf einer rechtlich angemessenen ärztlichen Aufklärung basierende Einwilligung des Patienten eine unentbehrliche Voraussetzung allen ärztlichen Handelns...».
276 So im mehrfach zitierten Grundsatzentscheid BGE 117 Ib 197 ff. mit Hinweisen auf weitere BGE.
277 Vgl. oben II 2, 3. 278 Es steht im Belieben des urteilsfähigen Patienten, die Einwilligung zu verweigern, aus
welchen Gründen auch immer (vgl. oben III 2).
180 Wiegand
Die Einwilligung
über die Durchführung einer medizinischen Behandlung zu treffen und damit rechtswirksam in einen Eingriff einzuwilligen279.
Unterlässt der Arzt die Aufklärung, stellt sein Heileingriff somit mangels rechtsgenüglicher Einwilligung einen rechtswidrigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Patienten dar280, ungeachtet einer allfälligen «Zustimmung» zum Eingriff281. Darüber hinaus wird regelmässig der Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt sein282.
Unterbleibt die Aufklärung nicht ganz, ist sie jedoch fehlerhaft2^, ist zu differenzieren. Derjenige Teil des Eingriffs, über welchen genügend aufgeklärt wurde, ist von einer rechtswirksamen Einwilligung gedeckt und somit rechtmässig284. Der infolge falscher oder ungenügender Aufklärung nicht konsentierte, d.h. eigenmächtige Eingriffsteil ist rechtswidrig. Bei der rechtlichen Beurteilung einer Operation kann es sich mithin ergeben, dass eine Teilrechtswidrigkeit vorliegt285. In der Regel wird jedoch auch in Fällen der bloss fehlerhaften oder z.T. fehlenden Aufklärung der Eingriff als ganzer rechtswidrig sein286, da z.B. mangels Kenntnis eines bestimmten Risikos eine wesentliche, die gesamte Operation betreffende Entscheidgrundlage fehlte und mithin die Einwilligung insgesamt rechtsunwirksam ist.
'9 Vgl. statt vieler E. BUCHER, Arzt und Recht 45; LAUFS N 170; MAINARDI-SPEZIAU 81: BGE 117 Ib 200. Der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung setzt begriffsnotwendig Kenntnis des Eingriffs, d.h. Aufklärung, voraus, denn die Einwilligung bedarf eines (bekannten) Objektes. Man kann (juristisch) nicht in etwas einwilligen, was man nicht kennt.
10 U. zwar wird sowohl in die körperliche Integrität wie auch in das Selbstbestimmungsrecht als Teilgehalte des Persönlichkeitsrechts eingegriffen. So die h.L. in der Schweiz u. in Deutschland (vgl. etwa LAUFS, Arztrecht N 234) sowie die ständige Praxis des BGer (vgl. oben I 3).
1 Diese ist ohne vorherige Aufklärung keine Einwilligung im Rechtssinne, abgesehen vom Fall des Patienten, bei welchem infolge umfassender Kenntnis des Eingriffs kein Auf-klärungsbediirfnis besteht.
2 Womit noch nichts über die Strafbarkeit gesagt ist. denn diese setzt noch eine Verschuldensform voraus.
3 In der Praxis werden die Fälle, in denen ein Arzt den Patienten überhaupt nicht aufklärt, heute selten sein. Häufiger wird es vorkommen, dass der Arzt es z.B. versäumt, über ein bestimmtes Risiko aufzuklären.
4 Selbstverständlich immer unter der Voraussetzung, dass überhaupt eine Einwilligung vorliegt.
3 Z.B. beim nichtindizierten Entfernen des Blinddarms anlässlich einer Unterleibsoperation (Gelegenheitsappendektomie). Wurde in die Unterleibsoperation eingewilligt, nicht jedoch in die Blinddarmentfernung, so ist nicht die Operation als ganze, sondern nur die Appendektomie rechtswidrig.
6 So etwa BGE 108 II 61 ff.
Wiegand 181
Die Aufklärungspflicht
2. Schadenersatz und Genugtuung
a) Schadenersatz
aa) Voraussetzungen
Nach der Rsp. des BGer haftet der Arzt, welcher einen Eingriff ohne Einwilligung des genügend aufgeklärten Patienten287 vornimmt, für den gesamten Schaden, der infolge Misslingens der Operation entstanden ist288. Diese Haftung besteht dabei unabhängig davon, ob dem Arzt ein Kunstfehler unterlief oder ob er alle gebotene Sorgfalt anwandte. Im vielzitierten leading case (BGE 117 Ib 197 ff.) hält das BGer trotz der teilweisen Kritik der Lehre an dieser Rsp. mit überzeugender Begründung289 fest.
Der eigenmächtig handelnde Arzt trägt somit das Risiko allfälliger Komplikationen und hat deren wirtschaftliche Folgen auszugleichen290. Der Körperschaden291 bemisst sich dabei nach der Differenz zwischen dem Vermögensstand des Geschädigten nach dem schädigenden Ereignis, d.h. nachdem rechtswidrigen Eingriff, und dem Vermögensstand bei Ausbleiben des Ereignisses292. Zu ersetzen ist dabei sowohl damnum emergens (z.B. Heilungskosten) wie auch lucrum cessans (z.B. Verdienstausfall). Zu beachten ist, dass Anspruch auf Ersatz des Versorgerschadens nach h.M. nur gestützt auf OR 45 III besteht, nicht hingegen aus Vertrag293.
Da die ohne Einwilligung vorgenommene Operation als Ganzes rechtswidrig ist294, muss der Kausalzusammenhang vorhanden sein «zwischen dem als Ganzes genommenen ... Eingriff und dem Schaden des Pati-
287 Ein solcher Eingriff ist rechtswidrig, s. soeben 11. u. 3. 288 So BGE 108 II 59 ff.; 117 Ib 197 ff. Auf dem gleichen Standpunkt stehen auch die deut
sche Gerichtspraxis u. die h.L. (vgl. z.B. GIESEN, medizinische Behandlung 104 f.; LAUFS, Arztrecht N 234; LAUFS/UHLENBRUCK § 106 N 3, § 67 N 2 ff.).
289 Zur ausführlichen Auseinandersetzung damit s. unten IV 3a. 290 So statt vieler LAUFS/UHLENBRUCK § 67 N 2. 291 Körperschaden definiert als die infolge einer Tötung oder Verletzung eines Menschen
entstandene Vermögensverminderung. 292 Statt aller BGE 104 II 199. 291 Für die h.M. BK-BREHM OR 45 N 29; kritisch dazu OR-WIEGAND, Art. 99 N 20. 294 Vgl. BGE 108II63 u. oben IV l. Bei der nichtkonsentierten Gelegenheitsappendektomie
ist die Operation nur teilweise rechtswidrig. Unter dem Begriff des Rechtswidrigkeitsoder Zurechnungszusammenhangs wird in Deutschland (vgl. LAUFS/UHLENBRUCK § 67 N 5 ff. mit weiteren Hinweisen auch auf die Gerichtspraxis) die Auffassung vertreten, dass
182 Wiegand
Schadenersatz und Genugtuung
enten»295. Wenn die Ursache, d.h. der Eingriff, nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch der Erfolg, dh. der Schaden, entfällt, ist die natürliche Kausalität gegeben. Dieser Kausalverlauf ist immer dann adäquat und somit rechtserheblich, wenn er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet erscheint, einen Schaden von der Art des eingetretenen herbeizuführen, so dass sein Eintritt durch die Ursache allgemein als begünstigt erscheint296.
Die letzte Voraussetzung für die Haftung aus Aufklärungspflichtverletzung bildet das Verschulden des Arztes297, welches sich auf das Unterlassen der Aufklärung oder deren fehlerhafte Erteilung beziehen muss. Im Bereich der Haftung aus Aufklärungspflichtverletzung sind insb. aufgrund des objektivierten Fahrlässigkeitsbegriffs298 kaum Fälle denkbar, in welchen dem Arzt wegen der fehlenden oder fehlerhaften Aufklärung keine Sorgfaltswidrigkeit299 vorgeworfen werden kann300. Der Arzt könnte sich nur exkulpieren durch den Nachweis, dass Zufall oder Drittverschulden301
die nichtgehörige Erfüllung bewirkt habe.
(bei Vorliegen eines Aufklärungsfehlers) die «Verwirklichung eines nicht aufklärungs-pflichtigen Eingriffsrisikos... dem Arzt... haftungsrechtlich nicht zuzurechnen» ist (LAUFS/ UHLENBRUCK § 67 N 5). Für das schweizerische Recht wurde die Frage noch nicht erörtert; im Ergebnis wird sie jedoch gleich zu beurteilen sein wie in der deutschen Doktrin. BGE 108 II 59 E. 3 = Pra 1982, 300 f. E. 3. Dazu generell OR-SCHNYDER, Art. 41 OR N 9. Diese Formel gilt im Delikts- wie im Vertragsrecht, vgl. dazu WIEOAND recht 1983, 3. Auch der Arzt hat entsprechend dem üblichen Haftungsmassstab für omnis culpa einzustehen, vgl. z.B. OR-WIEGAND, Art. 99 N 1. Im öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnis wird in der Regel sogar eine verschuldensunabhängige Haftung statuiert sein, vgl. oben 1. Kap. IV 3. Zum Begriff des objektiverten Verschuldens vgl. OR-WIEGAND, Art. 99 N 9. Sorgfaltswidrigkeit hier verstanden als subjektives, definierendes Element auf der Seite des Verschuldens, nicht als Tatbestandsmerkmal der Schlechterfüllung. Anders als in bestimmten Bereichen der Arzthaftung, in welchen Tendenzen zur Subjektivierung der Haftungsmassstäbe bestehen, ist hier am objektivierten Fahrlässigkeitsbegriff festzuhalten. Zur Problematik der Doppeldeutigkeit der Sorgfaltswidrigkeit OR-WIEGAND, Art. 97 N 43 (mit weiteren Hinweisen): «Aus der Objektivierung des Fahrlässigkeitsmassstabes ergeben sich v.a. bei der Schlechterfüllung der auf Dienstleistungen gerichteten Verträge ... erhebliche Konsequenzen. Da die Pflichtverletzung bei diesen Obligationen in einem Verstoss gegen die vertraglich geschuldete und nach Berufsstandards gebotene Sorgfalt besteht, bleibt für eine Exkulpation praktisch kein Raum; denn mit dem Nachweis der Pflichtverletzung ist zugleich bewiesen, dass die von einem durchschnittlichen Schuldner in dieser Situation zu erwartende Sorgfalt nicht aufgewendet wurde.» So auch EISNER 58. Vgl. statt aller OR-WIEGAND, Art. 97 N 42.
Wiegand 183
Die Aufklärungspflicht
Der Grad des Verschuldens hat nur Bedeutung für die Bemessung des Schadenersatzumfanges302.
bb) Der Einwand der hypothetischen Einwilligung und deren Beweis
In BGE 117 Ib 206 hat das BGer unter Bezugnahme auf die Rsp. des deutschen BGH entschieden, dem Arzt stehe der Einwand offen, dass der Patient auch bei hinreichender Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte303. Es bestätigte dabei seine Auffassung304, dass den Arzt die Beweislast für die Behauptung treffe, dass der Patient sich auch bei gehöriger Aufklärung zum Eingriff entschlossen hätte305. Bei der Beurteilung dieser Hypothese soll nicht darauf abgestellt werden, wie ein vernünftiger und besonnener Patient nach erfolgter Aufklärung entschieden hätte, massgebend soll vielmehr sein, «wie sich der in Frage stehende Patient unter den konkreten Umständen verhalten hätte»306. Allerdings ist es nach Auffassung des BGer Sache des Patienten, glaubhaft zu machen oder wenigstens zu behaupten, aus welchen (v.a. persönlichen) Gründen er auch nach gehöriger Aufklärung den Eingriff abgelehnt hätte307. Äussert sich der Patient dazu nicht, so ist nach Ansicht des BGer letztlich dennoch nach objektiviertem Massstab
302 Dies ergibt sich aus der Verweisung von OR 99 III auf das Deliktsrecht, von welcher auch OR 43 erfasst wird (vgl. OR-WIEGAND, Art. 99 N 18).
303 BGE 117 Ib 206 ff. mit Hinweisen auf die Entwicklung der bundesgerichtlichen Rsp. u. ausführlicher Auseinandersetzung mit den in der Lehre vertretenen Auffassungen.
304 Bereits in BGE 108 II64. 305 BGE 1171b 208. 306 So BGE 117 Ib 209. Begründet wird die Bezugnahme auf den konkreten Patienten u.
dessen subjektive Einstellung mit der herausragenden Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts; dieses Abstellen auf den individuell-konkreten Massstab entspricht der hier generell vertretenen Position, vgl. insb. II 2 c cc.
307 Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Behauptungslast im Sinne des Zivilprozessrechts. Zu behaupten sind anspruchsbegründende Tatsachen nur von der beweispflichtigen Partei (WALDER-BOHNER § 28 N 28). Obwohl Kläger, ist der Patient bezüglich der Nichteinwilligung nicht beweispflichtig aufgrund der gesetzlichen Vermutung der Nichteinwilligung bei Eingriffen in die köperliche Integrität gem. ZGB 28 (so auch BUCHER, Diss. 101). Vielmehr ist es am Arzt, diese Vermutung durch den Gegenbeweis der hypothetischen Einwilligung zu beseitigen. Wenn das BGer vom Patienten verlangt, glaubhaft zu machen oder wenigstens zu behaupten, dass er aus persönlichen Gründen nicht eingewilligt hätte, darf dies daher nicht so verstanden werden, dass ihm eine Beweislast auferlegt werde. Hingegen kann der Richter ein diesbezügliches Schweigen des Patienten im Prozess wie jedes Parteiverhalten im Rahmen der Beweiswürdigung für seine Meinungsbildung heranziehen.
184 Wiegand
Schadenersatz und Genugtuung
zu entscheiden; es ist zu prüfen, ob die Ablehnung des Eingriffs «vom Standpunkt eines vernünftigen Patienten aus unverständlich gewesen wäre»308.
Gelingt es dem Arzt zu beweisen, dass der konkrete Patient auch bei umfassender Aufklärung eingewilligt hätte, trifft ihn keine Schadenersatzpflicht309. Scheitert der Beweis, so hat aufgrund der bundesgerichtlichen Beweislastverteilung der Arzt die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen und wird schadenersatzpflichtig.
b) Genugtuung
Neben dem Schadenersatz schuldet der Arzt eine Genugtuung310, sofern die Körperverletzung beim Verletzten zu einer immateriellen Unbill, d.h. zu einer mehr als geringfügigen Beeinträchtigung des Wohlbefindens geführt hat311. Verursachte die Tötung des Patienten bei den Hinterbliebenen immateriellen Schaden, ist ihnen Genugtuung geschuldet312.
Nur Genugtuung ist geschuldet, wenn der eigenmächtig vorgenommene Eingriff erfolgreich war. In dieser Konstellation kommt ein Schadenersatzanspruch mangels Vorliegens eines Schadens nicht in Betracht; der deliktische Genugtuungsanspruch stützt sich dann auf eine direkte, der vertragliche auf eine analoge Anwendung von OR 49313; dieser gewährt im Falle einer rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts einen Genugtuungsanspruch unter der Voraussetzung, dass die «Schwere der Verlet-
308 BGE 1171b 209. 309 Zu diesem Ergebnis gelangt man unabhängig davon, ob die Frage der hypothetischen
Einwilligung als Glied in der Kette des Kausalzusammenhangs oder des Rechtswidrigkeitszusammenhangs eingeordnet wird. Auf diese rein dogmatische Frage, welche auch vom BGer mangels praktischer Auswirkungen nicht zugunsten der einen oder anderen Theorie entschieden wurde, ist deshalb hier nicht näher einzugehen. Zur ausfuhrlichen Auseinandersetzung mit beiden Auffassungen vgl. etwa BGE 117 Ib 207 f.
310 Der Genugtuungsanspruch besteht (auch) auf vertragsrechtlicher Grundlage qua der Verweisung von OR 99 III. Diese erfasst auch die Genugtuungsnorm von OR 47. Vgl. dazu etwa OR-WIEGAND, Art. 99 N 20.
311 Vgl. z.B. OR-SCHNYDER, Art. 47 N 6. 3,2 Hier nun allerdings nicht gestützt auf Vertragsrecht (unter analoger Anwendung von OR
47), sondern direkt gestützt auf Deliktsrecht. 313 Die Verweisung von OR 99 III betrifft auch die Genugtuung gem. OR 49 (vgl. OR-
WIEGAND, Art. 99 Abs. 3 N 21; BUCHER OR AT 349: GAUCH/SCHLUEP N 2798; BGE 116 II 520 f.). Auch dieser Genugtuungsanspruch beruht mithin auf vertraglicher Grundlage (da Schadenersatz i.w.S. auch Genugtuung einschliesst; so BÜCHER OR AT 349).
Wiegand 185
Die Aufklärungspflicht
zung» dies rechtfertigt314. Auch hier muss den Arzt ein Verschulden treffen315.
3. Problematik von Schadenersatz und Genugtuung wegen Verletzung der Aufklärungspflicht
a) Schadenersatz wegen Verletzung der Aufklärungspflicht
Nach der Praxis des BGer wie auch derjenigen des deutschen BGH316
haftet der Arzt, der einen Eingriff ohne Einwilligung des genügend aufgeklärten Patienten vornimmt, für allen infolge Misslingens der Operation entstandenen Schaden, auch wenn ihm kein Kunstfehler vorgeworfen werden kann317. Diese Rsp. wurde von einem Teil der Lehre kritisiert™. Zum einen wird argumentiert, dass der ex ante indizierte eigenmächtige ärztliche Eingriff prinzipiell nicht als Körperverletzung zu qualifizieren sei, sondern bloss als Delikt gegen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten319.
Anderseits wird die Auffassung vertreten, dass die Aufklärungspflicht bloss dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts, nicht aber dem der körperlichen Integrität des Patienten diene320. Folgt man dieser Ansicht, entfällt eine Ersatzpflicht für den beim nichtkonsentierten Eingriff entstandenen Körperschaden, da der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der fehlerhaften Aufklärung und dem Schaden fehlt321.
314 Auch nach der revidierten Fassung von OR 491 muss es sich um eine besonders schwere Verletzung handeln. Je hochwertiger das verletzte Rechtsgut ist, desto schwerer wiegt die Verletzung (vgl. zum Ganzen BK-BREHM, Art. 49 N 19 ff.). Da durch den eigenmächtigen Heileingriff auch bei dessen Gelingen massiv in das Selbstbestimmungsrecht (als privatrechtliche Konkretisierung des Grundrechts der Persönlichen Freiheit) des Menschen über den höchstpersönlichen Bereich der körperlichen Integrität eingegriffen wird, wird der nichtkonsentierte invasive Eingriff in der Regel eine besonders schwere Verletzung darstellten.
315 Entgegen der früheren Fassung von OR 49 ist nicht mehr schweres Verschulden erforderlich, omnis culpa genügt (vgl. OR-SCHNYDER, Art. 49 N 6).
316 Vgl. BGH v. 10.2.1959 in NJW 1959, 825; BGH v. 22.2.1978 in NJW 1978, 1206. 117 Zur schweizerischen Judikatur vgl. IV 2 a aa. 318 Vgl. HONSELL oben 16 f. Für die deutsche Lehre insb. LAUFS, Arztrecht N 174 ff., mNw. 319 So LAUFS, Arztrecht N 174 ff.; EISNER 203 ff. 320 Z.B. LAUFS, Arztrecht N 540 f.; so noch WIECAND 114. 321 M.a.W: Da die Aufklärungspflicht die körperliche Integrität als verletztes Rechtsgut gar
nicht schützt, löst ihre Verletzung keine Schadenersatzpflicht aus (so noch WIECAND 114; HONSELL oben 17 u. ZSR 1990 I 145 f.; EISNER 213 f.).
186 Wiegand
Schadenersatz und Genugtuung
Trotz dieser Kritik in der Lehre hielt das BGer mit überzeugender322
Begründung an seiner Rsp. fest323. Für die Praxis ist infolgedessen jedenfalls von dieser Konzeption auszugehen.
b) Aufklärungspflichtverletzung und Genugtuung
Auf einige dogmatische Besonderheiten der infolge einer Aufklärungspflichtverletzung geschuldeten Genugtuung wurde in der bisherigen Literatur zum Arztrecht nicht eingegangen.
Nach h.L. und der Gerichtspraxis schuldet der Arzt, welcher einen eigenmächtigen, d.h. nicht auf genügend aufgeklärter Einwilligung basierenden Eingriff vornimmt, bei dessen Misslingen neben dem Schadenersatz auch Genugtuung324. Bei genauer Betrachtung handelt es sich dabei um einen Genugtuungsanspruch aus zwei verschiedenen Gründen. Einerseits erleidet der Patient eine moralische Unbill, weil seine körperliche Integrität geschädigt wird (z.B. Invalidität oder chronische Schmerzen nach dem misslungenen Eingriff). Anderseits wird der Patient durch den eigenmächtigen Eingriff in seinem Selbstbestimmungsrecht (über die körperliche Integrität) verletzt, was bei entsprechender Schwere der Beeinträchtigung325 ebenfalls einen Genugtuungsanspruch entstehen lässt.
Gelingt der eigenmächtige Eingriff, ist zwar auch eine Genugtuung geschuldet; diese beruht jedoch nur auf einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
Wie der Schadenersatz lässt sich die Genugtuung infolge der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität wie auch infolge der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts auf ausservertragliche und vertragliche Grundlage abstützen. Da im privatrechtlichen Arzt-Patientenverhältnis in aller Re-
An meiner früher vertretenen gegenteiligen Auffassung halte ich nicht mehr fest. Da allein der Inhaber des Rechtsgutes befugt ist, über den Zweck eines Eingriffs zu entscheiden, kann der von einem Dritten, z.B. dem eigenmächtig handelnden Chirurgen, bestimmte Zweck, nichts an der Widerrechtlichkeit des Eingriffs ändern (so BGE 117 Ib 201). Die Aufklärungspflicht dient sowohl dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts wie auch der körperlichen Integrität, denn beides ist untrennbar miteinander verbunden (so BGE 117 Ib 201). Vgl. dazu umfassend oben I 2. Vgl. oben IV 2 b. Vgl. oben IV 2 b.
Wiegand 187
Die Aufklärungspflicht
gel ein Vertrag vorliegt, wird der Patient seine Ansprüche gestützt auf den Vertrag geltend machen326.
c) Der Aufklärungsschaden
Bislang wurden Folgen fehlender oder ungenügender Aufklärung erörtet. Die Fehlerhaftigkeit der Aufklärung kann jedoch auch darin liegen, dass der Arzt zu vollständig und umfassend aufklärt und damit bei einem empfindlichen Menschen die Gesundheit schwerwiegend beeinträchtigt, bei diesem mithin ein sog. Aufklärungsschaden eintritt. Das BGer äusserte sich zur Voraussetzung des sog. therapeutischen Privilegs wie folgt327: «Die Aufklärung darf keinen für ...(die) Gesundheit schädlichen Angstzustand hervorrufen.»328 Mit diesem Entscheid wurde die in BGE 105 II 284 begonnene Rsp. weitergeführt329, welche dem Arzt relativ leicht das therapeutische Privileg einräumt330. Richtig betrachtet liegt darin eine sich aus dem Postulat der individuell-konkreten Aufklärung notwendigerweise abzuleitenden Begrenzung der Aufklärungspflicht. Da das Selbstbestimmungsrecht nicht seines Inhalts entleert werden soll, muss allerdings eine gewisse Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes durch Offenbarung des Leidens und von Risken eines Eingriffs in Kauf genommen werden. Die Pflicht (und das Recht) zum Unterlassen einer vollumfänglichen Aufklärung hat der Arzt
Abgesehen von der längeren Verjährung (OR 127 statt 60) bietet das Vertragsrecht im Bereich der Hilfspersonenhaftung wesentliche Vorteile für den Patienten (OR 101 statt 55). Theoretisch ist auch die Beweislast bezüglich des Verschuldens im Vertragsrecht für den Patienten günstiger; da im Bereich des objetivierten Fahrlässigkeitsmassstabes das Verschulden jedoch stets gegeben ist, wenn einmal die unsorgfältige Auftragsausführung (d.h. die nicht gehörige Erfüllung) nachgewiesen ist, spielt dies in der Praxis eine geringe Rolle. In der Literatur wird die Möglichkeit des Arztes, unter bestimmten Voraussetzungen die Aufklärung zu unterlassen, unter dem vielfach kritisierten (vgl. GIESEN, medizinische Behandlung 163) Begriff «therapeutisches Privileg» abgehandelt. S. dazu umfassend oben II 3. So BGE 117 Ib 203. Man wirft dem Arzt eine zu umfassende Offenbarung etwa einer deprimierenden Diagnose oder extrem hoher Risiken vor; zu den Grenzen der Aufklärung vgl. umfassend oben II 3 sowie EISNER 183 ff. Kritisch dazu GIESEN, medizinische Behandlung 165 FN 377: «Wenn das Schweizer BGer ... betont, dass die Pflicht des Arztes zur Aufklärung jedoch nicht zur Beunruhigung des Kranken u. dazu da sei, den physischen u. psychischen Zustand des Patienten nachteilig zu beeinflussen oder den Erfolg der Behandlung zu beeinträchtigen, so kann dem im Bereich des Wie noch gefolgt werden, nicht aber im Bereich des Ob einer Aufklärung überhaupt.» Zum ganzen umfassend oben II 3.
188 Wiegand
Schadenersatz und Genugtuung
mithin nur in Ausnahmesituationen, wenn «Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Schädigungsgefahr des konkreten Patienten» vorliegen331.
Bei derartigem Begrenzen oder Unterlassen der Aufklärung handelt es sich nicht um ein Privileg, sondern um eine Rechtspflicht des Arztes. Verletzt der Arzt diese Sorgfaltspflicht und führt dies zu einem Aufklärungsschaden, liegt eine nicht- oder nichtgehörige Erfüllung des Auftrages vor, was bei Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen332 eine Schadenersatzpflicht gem. OR 97 auslösen kann333. Zu beachten ist, dass ein Aufklärungsschaden auch eintreten kann, wenn zuwenig behutsam aufgeklärt wurde.
d) Mangelhafte Aufklärung und Honoraranspruch
Die korrekte Aufklärung des Patienten ist eine auftragsrechtliche Sorgfaltspflicht des Arztes. Die Sorgfalt ist dabei Bestandteil der Leistungspflicht334, denn zentrales Element jedes Mandats ist das sorgfältige Tätigwerden335, verstanden als Einheit. Dazu gehört, soweit ein Auftrag die Pflicht zum ärztlichen Eingriff umfasst, auch die korrekte Aufklärung und das Einholen der Einwilligung. Verletzt der Arzt diese Leistungspflicht, erfüllt er den Vertrag nicht oder nicht gehörig336. Der Patient schuldet deshalb das Honorar nicht oder nicht vollumfänglich337.
331 S. aber EISNER 185, welcher mit eingehender Begründung die Praxis zum therapeutischen Privileg als bereits «von ihrem Ansatzpunkt her verfehlt» betrachtet.
332 Nebst dem Verschulden ist erforderlich der adäquate Kausalzusammenhang; vgl. dazu etwa OR-WIEGAND, Art. 97 N 37.
333 Gem. OR 97. 334 So BUCHER OR BT 231; betr. Sorgfaltswidrigkeit vgl. etwa WEBER ZSR 1988 I 39 ff. 335 U. nicht das blosse Tätigwerden, zu welchem die Sorgfalt bloss als Nebenpflicht hinzu
käme. Diese Begründung würde zu archaischen Ergebnissen führen; so ist es zweifellos eine Hauptpflicht des Chirurgen, den Eingriff nach den Regeln der Kunst, d.h. objektiv sorgfältig vorzunehmen; das blosse Tätigwerden, z.B. das Schneiden, kann nicht die Erfüllung der Hauptpflicht darstellen, zu welchem dann noch die Sorgfalt als Nebenpflicht hinzukommt; zu beachten ist aber, dass infolge der heutigen Interpretation der Leistungs-störungstatbestände (OR 97,197) die Abgrenzung zwischen Haupt- u. Nebenpflicht weitgehend ohne Bedeutung ist, vgl. WIEGAND recht 1984. 15 f.
336 Je nach der Schwere der Sorgfaltswidrigkeit. Nimmt der Arzt einen Eingriff ohne Aufklärung u. Einwilligung vor, so handelt er krass unsorgfältig; er war diesbezüglich untätig, es liegt mithin eine Nichterfüllung vor (vgl. zum Begriff der Nichterfüllung OR-WEBER, Art. 398 N 19). Bei untergeordneten Aufklärungsmängeln mag eine blosse Schlechterfüllung vorliegen.
337 Die Begründung dieses Ergebnisses ist insofern heikel, als die gesetzliche Ordnung des Auftragsrechts keine Norm enthält, welche die Folgen einer wesentlichen Pflichtverlet-
Wiegand 189
Die Aufklärungspflicht
Unbedeutend ist diese Feststellung, wenn der Patient infolge der Nichterfüllung oder nichtgehörigen Erfüllung einen Schaden erleidet. Die Störung des Äquivalenzprinzips lässt sich diesfalls nämlich durch Schadenersatz ausgleichen338. Entsteht dem Patienten hingegen kein ersatzfähiger Schaden, ist die oben erörterte Frage, ob der Honoraranspruch auch bei Nicht- oder Schlechterfüllung bestehe, praxisrelevant339.
V. Die Sicherungsaufklärung
1. Begriff und Grundlage
Unter Sicherungsaufklärung340 versteht man die Gesamtheit aller Informationen, mit welchen der Patient zu einem dem Heilerfolg dienenden und allfälligen Nebenfolgen angepasstem Verhalten veranlasst wird341. Die Sicherungsaufklärung ist Teil der ärztlichen Heilbehandlung und erfolgt
zung für die Gegenleistung regelt. Anders z.B. im Kaufrecht die Wandelung resp. bei untergeordneten Mängeln die Minderung gem. OR 205 ff.; im Werkvertragsrecht entsprechende Rechtsbehelfe gem. OR 368. In analoger Anwendung dieser Normen sowie (im Falle der Nichterfüllung vgl. vorhergehende FN) gem. OR 82 (das entgeltliche Mandat ist ein synallagmatischer Kontrakt) ist das Honorar nur teilweise resp. überhaupt nicht geschuldet. (Vgl. dazu ausführlich BK-FELLMANN OR 394 N 496 ff.). Vgl. BK-FELLMANN OR 394 N 504. Durch die Gewährung des positiven Vertragsinteresses wird der Geschädigte so gestellt, wie wenn der Vertrag richtig erfüllt worden wäre; «eine Minderung des Honorars erübrigt bzw. verbietet sich» (so FELLMANN, loc. cit.). Z.B. im Fall, wo ein Patient nicht darüber aufgeklärt worden war, dass ein bestimmter Eingriff u.U. zu Impotenz führt (vgl. «Der Bund» vom 14.7.1993, 19). In einem solchen Fall ist es möglich, dass kein Schaden im Rechtssinne vorliegt. Die erlittene immaterielle Unbill würde zu einem Genugtuunganspruch, nicht aber zu einem Schadenersatzanspruch führen. Häufig auch therapeutische Aufklärung genannt. Sie wurde vom BGer in BGE 116 II 519, 521 in Anlehnung an die deutsche Doktrin «eingeführt». Sie überschneidet sich in weiten Bereichen mit der Eingriffsaufklärung (dazu sofort im Text). Inwieweit ihr wirklich eigenständige Bedeutung zukommt, erscheint zumindest zweifelhaft. Im folgenden wird diejenige Konzeption zugrundegelegt, von der das BGer in BGE 116 II 519 ff. auszugehen scheint u. die damit für die schweizerische Praxis massgebend ist. Vgl. statt vieler etwa MAINARDI-SPEZIALI 94; s. auch oben I 4 b.
190 Wiegand
Schadenersatz und Genugtuung
durch Mitteilung von Verhaltensregeln342. Sie ist vom Arzt im Rahmen der auftragsrechtlichen Pflicht zum sorgfältigen Tätigwerden im Interesse des Mandanten geschuldet343'344. Die Sicherungsaufklärungspflicht ist klar von der Eingriffsaufklärungspflicht zu unterscheiden. Ihrem Wesen und Inhalt nach entspricht sie den Beratungs- und Informationspflichten, welche bei der Mehrzahl der auftragsrechtlichen Verhältnisse anzutreffen sind345. Ihrem Kern nach ist sie vertraglicher Natur346. Die Eingriffsaufklärungspflicht schafft dagegen erst die Voraussetzung für die Rechtmässigkeit des ärztlichen Eingriffs. Sie dient dem Schutz der körperlichen Integrität und des Selbstbestimmungsrechts347.
2. Gegenstand und Inhalt
a) Gegenstand
Gegenstand der Sicherungsaufklärung ist die Information des Patienten; dieser soll einerseits zu einem dem Behandlungsziel dienenden Verhalten angehalten und anderseits auf mögliche Gefahren aufmerksam gemacht werden.
342 So u. ausführlich zu Wesen u. Natur der Sicherungsaufklärungspflicht MAINARDI-SPEZIALI 101.
343 Dies gilt selbstverständlich auch, wenn die Parteien diesbezüglich beim Vertragsschluss keine Absprachen getroffen haben, was gerade beim Mandat typisch ist (so WIEGAND 86). Diesfalls bestimmt sich Inhalt u. Umfang des Auftrags nämlich gem. der Auslegungsregel von Art. 396 OR nach der Natur des zu besorgenden Geschäfts (WIEGAND. loc. cit.). Zur Natur des ärztlichen Heilauftrages gehört die Sicherungsaufldärung (vgl. statt aller LAUFS, Arztrecht N 163: «Die therapeutische Auflärung oder Sicherungsaufklärung bildet einen wesentlichen Teil des ärztlichen Gesundheitsdienstes.»).
344 Die Sorgfalt ist Teil der geschuldeten Leistung selbst, vgl. dazu OR-WIEGAND. Art. 97 N 31. Ob sie als Haupt- oder Nebenpflicht zu qualifizieren ist. ist grundsätzlich u. v.a. bei den modernen Dienstleistungen problematisch. Ausführlich zur Sorgfalts- u. Treuepflicht bei Dienstleistungen WIEGAND recht 1990, 138 ff.
345 Diese leiten sich von der Interessenwahrnehmungspflicht des Mandataren ab u. sind immer dann von erhöhter Bedeutung, wenn zwischen den Vertragspartnern ein starkes Wissensgefälle vorhanden ist (sog. expert-client-Beziehung. s. oben II 3 a), was im Verhältnis zwischen Arzt u. Patient in besonderem Masse zutrifft.
346 Sie kann daneben auch noch auf die deliktsrechtliche Fürsorgepflicht abgestutzt werden (so RIEGER N 280). , .. , , ,
347 Die beiden Aufklärungsarten unterscheiden sich zudem ganz elementar bezüglich der Folgen, welche sie bei fehlerhafter Aufklärung auslösen.
Wiegand 191
Die Aufklärungspflicht
b) Inhalt
Der Arzt hat den Patienten zu informieren über den erhobenen Befund. Dabei sind die Krankheit oder Anfälligkeit und ihre Auswirkungen zu erläutern. Es ist eine Prognose über die wahrscheinliche Entwicklung des Leidens abzugeben. Ebenfalls im Rahmen der Sicherungsaufklärung ist der Arzt verpflichtet, die Möglichkeit bestimmter Behandlungsmassnahmen darzustellen und bei Indiziertheit zur Vornahme zu raten348. Weiter gehören zur Sicherungsaufklärung (und erst hier unterscheidet sie sich inhaltlich von der Eingriffsaufklärung) Informationen über erforderliche Einschränkungen nach Vornahme eines Eingriffs, Hinweise auf pünktliche und richtige Einnahme von Medikamenten, der Rat zu schonender Lebensweise oder zur Einhaltung einer Diät und dergleichen. Von praktischer Bedeutung im Rahmen der Gefahrenabwehr ist der Hinweis auf mögliche Risiken, die die Benutzung eines Motorfahrzeugs im Anschluss an eine Behandlung oder bei der Einnahme von bestimmten Medikamenten mit sich bringen kann.
3. Umfang
Der Arzt hat dem Patienten soviele Informationen zu erteilen, wie dies zur Erreichung eines dem Heilzweck dienenden Verhaltens und zur Abwendung von Gefahren erforderlich ist. Der Umfang der Aufklärungspflicht geht dabei erheblich weiter als bei der Eingriffsaußlärung^9. Was einem vernünftigen Menschen nach der allgemeinen Lebenserfahrung offensichtlich geläufig ist, braucht jedoch nicht erwähnt zu werden350, es sei denn, der konkrete Patient bedürfe erkennbarerweise auch solcher Hinwei-
Insoweit deckt sich die Sicherungsaufklärung mit der Diagnose- u. Verlaufsaufklärung, sie verfolgt aber ein anderes Ziel. So auch LAUFS, Arztrecht N 166. Der Grund dafür liegt darin, dass die Gefahr, die Gesundheit des Patienten durch belastende Hinweise schwer zu beeinträchtigen, bei der therapeutischen Aufklärung kaum besteht; dies trifft so allerdings nur bezüglich der diversen Verhaltensanweisungen zu. Wie bei der Eingriffsaufklärung hängt auch bei der Sicherungsaufklärung der Umfang mithin vom Erfahrungs- u. Bildungsstand des Patienten ab; da (wie bei der Eingriffsaufklärung, vgl. oben II5 a cc) ein Irrtum über die tatsächlichen Vorkenntnisse des Patienten u. damit über den erforderlichen Umfang der Aufklärung zu Lasten des Arztes geht, wird dieser gut daran tun, auch bei vermeintlich erfahrenen Patienten eine umfassende Sicherungsaufklärung zu erteilen.
192 Wiegand
Beweisfragen der Aufklärung
se. Umgekehrt trifft in besonderen Verhältnissen den Patienten eine Mit-wirkungsobliegenheit35'.
4. Verletzung der Sicherungsaufklärungspflicht
Kommt der Arzt seiner Pflicht zur Sicherungsaufklärung nicht nach, so wenn er z.B. gebotene Verhaltensmassregeln nicht erteilt, liegt ein eigentlicher Behandlungsfehler vor352. Beweisrechtlich gilt denn auch für die fehlende oder fehlerhafte Sicherungsaufklärung dasselbe wie für den klassischen Behandlungsfehler. Die Beweislast für das Vorliegen der Verletzung der Sicherungsaufklärungspflicht als nicht- oder nichtgehörige Erfüllung des Auftrages obliegt dem Patienten353.
VI. Beweisfragen der Aufklärung
1. Beweislast
a) Beweislast und Beweisführungslast
Die Regeln über die Beweislast\<erteilung beantworten die Frage, wer die Folgen der Beweislosigkeit von rechtserheblichen Tatsachen zu tragen hat, d.h. wer den Prozess bei Beweislosigkeit verliert354. Die Beweisfüh-
351 So hat z.B. der Patient, welcher eine Hochgebirgstour plant, von sich aus den Arzt nach allfälligen Folgen der veränderten Druckverhältnisse auf die Wirkungsweise ihm verschriebener Medikamente zu befragen.
352 So statt aller MAINARDI-SPEZIALI 101; GIESEN. medizinische Behandlung 70: LAUFS, Arztrecht N 167. Zwei Bsp. aus der Judikatur: Die falsche Beratung der Mutter wahrend der Frühschwangerschaft über Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik kann einen Anspruch der Eltern gegen den Arzt auf Ersatz von Unterhaltsaufwendungen für das mit Behinderungen geborene Kind begründen. (BGH. Urteil vom 22.11.1983 in NJW 1984. 658 fT; vgl. zur Haftung für fehlerhafte pränatale Diagnostik MAINARDI-SPEZIALI 142 If.). In BGfc 116 II 519 ff. unterliess es die Arztgehilfin, über Risiken einer Dehydration sowie die Erforderlichkeit einer ärztlichen Behandlung aufzuklären.
353 Der Auftraggeber hat den Schaden, die Nicht- oder nichtgehörige Erfüllung, d.h. hier die Sorgfaltswidrigkeit sowie den adäquaten Kausalzusammenhang zu beweisen. Hinsichtlich der Adäquanz genügt der Wahrscheinlichkeitsbeweis. Der Beauftragtchat zu beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft, vgl. dazu WIEGAND 96 ff. u. oben 182 ff.
354 So statt aller etwa KUMMER 137: HABSCHEID N 868 f.
Wiegand 193
Die Aufklärungspflicht
rungslast besagt, wer den Beweis über eine bestimmte rechtserhebliche Tatsache zu führen hat. Dies ist regelmässig die beweisbelastete Partei355.
b) Der Arzt als Beweisbelasteter
aa) Nach h.L. und Gerichtspraxis trifft den Arzt bezüglich sämtlicher rechtserheblicher Tatsachen im Bereich der Eingrijfsaufklärung und der Eingriffseinwilligung die Beweislast und damit auch die Beweisführungslast356. Der zivilrechtliche Grund für diese Beweislastverteilung liegt darin, dass die Nichteinwilligung in Eingriffe in die körperliche Integrität vermutet wird (gem. ZGB 28). Da erst die auf einer genügenden Aufklärung basierende Einwilligung die Rechtswidrigkeit des ärztlichen Eingriffs aus-schliesst, hat der Arzt nicht nur die Einwilligung, sondern auch die Aufklärung zu beweisen357.
Dem Arzt obliegt mithin einmal der Beweis, dass er dem Patienten eine rechtsgenügliche Eingriffsaufklärung erteilt hat358. Begrenzt der Arzt den Aufklärungsinhalt, weil er dem Patienten nicht die volle Aufklärung zumuten kann und darf, trägt der Arzt die Beweislast dafür, dass tatsächlich Gründe vorlagen, welche die Aufklärungsbegrenzung erforderlich machten359. Verzichtet der Patient im Rahmen des Zulässigen360 auf die Aufklärung, trifft den Arzt für das Vorliegen des Verzichts die Beweislast. Weiter hat der Arzt im Streitfall zu beweisen, dass der Patient in den Eingriff eingewilligt hat361. Im Falle einer Operationserweiterung obliegt dem Arzt die Beweislast, dass die Voraussetzungen für die zulässige Abänderung oder Erweiterung des konsentierten Operationsplanes vorlagen362. Wurde der Ein-
>' Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass die mit der Beweislast beschwerte Partei im Falle der Beweislosigkeit den Prozess verliert. Folglich hat (nur) sie ein Interesse, den Beweis zu führen.
56 Es handelt sich im folgenden um einen zusammenfassenden Überblick über die beweisrechtlichen Probleme, die sich im Bereich der Aufklärung u. der Einwilligung ergeben. Im übrigen wird auf die jeweiligen beweisrechtlichen Erörterungen bei den entsprechenden Abschnitten verwiesen.
i7 Vgl. zum Ganzen oben III 1 a. '* Den Arzt trifft dabei die Beweislast, dass die Aufklärung in jeder Hinsicht rechtsgenüglich
war, d.h. die an sie gestellten Anforderungen erfüllte. S. bezüglich Inhalt der Aufklärung II 2, bezüglich der einzuhaltenden Formalitäten II 5, insb. II 5 a dd.
i9 Ausführlich dazu oben II 3 b. ß Eine minimale Aufklärung ist unverzichtbar, s. umfassend oben II 6 b. •' S. dazu grundsätzlich III 1 b sowie auch II 5 c. ,: Zu den Gültigkeitsvoraussetzungen der Operationserweiterung s. oben III 3 a.
194 Wiegand
Beweisfragen der Aufklärung
griff ohne rechtfertigende Einwilligung vorgenommen, weil die zugrundeliegende Aufklärung ungenügend war, steht dem Arzt der Einwand der hypothetischen Einwilligung offen. Die Beweislast und damit die schwierige Beweisführung für die hypothetische Einwilligung obliegt dem Arzt363.
bb) In Anbetracht dieser Beweislastverteilung ist es für den Arzt von zentraler Bedeutung, im Hinblick auf evtl. prozessuale Auseinandersetzungen Beweismittel zu sichern, mit welchen er der ihm obliegenden Beweisführungslast nachkommen kann. Entsprechend der hier vertretenen Position sind die ausführliche Dokumentation des Aufklärungsgesprächs sowie der Vermerk der Einwilligung in der Krankengeschichte die geeignetsten Beweismittel. Wie oben364 ausgeführt, ist dabei Ort und Zeitpunkt der Aufklärung, die Person des Aufklärenden, der Gesprächsgegenstand sowie das Datum der Erstellung des Vermerks zu dokumentieren. Werden Aufklärungsformulare verwendet, entfällt die Dokumentationspflicht bezüglich der dem Patienten auf diese Weise vermittelten allgemeinen Informationen.
Eine sehr detaillierte Dokumentation ist beim Aufklärungsverzicht und bei der Operationserweiterung erforderlich. Höchsten Anforderungen hat die Beweisform im Falle eines Heilversuchs und eines Humanexperiments zu genügen; eine schriftliche Aufklärungs- und Einwilligungsbestätigung des Patienten ist hier zu empfehlen.
c) Der Patient als Beweisbelasteter
Die Sicherungsaußlärung ist Teil der eigentlichen ärztlichen Heilbehandlung. Erfolgt sie mangelhaft, liegt ein Behandlungsfehler vor. wofür der Patient die Beweislast trägt365.
Vgl. dazu ausführlich oben IV 2 a bb. S. II 5 a dd. . . Dies ergibt sich aus der allgemeinen Regel, dass der Gläub.ger die Nicht- oder nichtgehörige Erfüllung des Vertrages zu beweisen hat, will er Schadenersatz beanspruchen; vgl. dazu ausführlich oben V, insb. V 4. Die Zulässigke.t dieser Beweislastverteilung insb. auch unter Berücksichtigung der (allerdings in ihrer allgemeinen Form überhöhen | Parömie «negativa non sunt probanda» ist differenziert zu beurteilen. So kann dem Patienten, welcher behauptet, vom Arzt keinen Hinweis erhalten zu haben, dass Fuhren eines Motorfahrzeugs zu unterlassen, der diesbezügliche Negativbeweis nicht zugemutet werden. In einer solchen Konstellation trifft den Arzt als Bewe.sgegner die Pflicht, bei der Erstellung des Sachverhalts mitzuwirken. Zur Problematik des Beweises negativer Tatsachen vgl. etwa HABSCHEID N 880.
Wiegand 195
Die Aufklärungspflicht
VII. Die Dokumentationspflicht
1. Rechtsgrundlagen der Dokumentationspflicht
Je nach der Rechtsnatur des Behandlungsverhältnisses zwischen Patient und Arzt oder Krankenhaus beurteilt sich die Frage der Dokumentationspflicht des Arztes nach den Normen des Bundesprivatrechts oder des kantonalen öffentlichen Rechts. Das Behandlungsverhältnis zwischen Patient einerseits und freipraktizierendem Arzt oder privatem Krankenhausträger andererseits unterliegt in der Regel dem Vertragsrecht des OR, dasjenige zwischen Patient einerseits und öffentlich-rechtlichem Krankenhausträger und dort besoldeten Ärzten andererseits kantonalem öffentlichen Recht366.
a) Öffentliches Recht
Die meisten Kt. kennen keine ausdrücklichen gesetzlichen Normen über die Dokumentationspflicht an öffentlichen Krankenhäusern. Einige Kt. haben dagegen die Dokumentationspflicht in neueren Erlassen auf Gesetzes- und Verordnungsstufe ausdrücklich geregelt. Im folgenden werden exemplarisch die Normierungen der Kt. Zürich und Bern dargestellt. Regelungen anderer Kt. werden ergänzend herangezogen367.
So hat zwar das zürcherische Gesundheitsgesetz (GG/ZH) von 1962368
weder die Dokumentationspflicht noch die Patientenrechte generell gere-
Vgl. dazu oben KUHN 1. Kap. I u. IV. So das Gesundheitsgesetz/AG v. 10.11.1987 (AGS Bd. 12 S. 553 ff., zit. «GG/AG») u. das Dekret über die Rechte u. Pflichten der Krankenhauspatienten (PatD) v. 21.8.1990 (AGS Bd. 13 S. 283 ff., zit. «PatD/AG»), das Spitalgesetz/BS v. 26. März 1981 (SG 330.100, zit. «SpG/BS») u. die VO dazu (SG 330.110, zit. «SpV/BS»), das Gesundheits-gesetz/LU v. 29. Juni 1981 (SLR Nr. 800, zit. «GG/LU») u. die VO über die kantonalen Heilanstalten (SLR Nr. 820, zit. «HV/LU»), die VO über die Ausübung der medizinischen Berufe/SG v. 10. November 1981 (sSG 312.0, zit. «MBV/SG») u. die VO über die medizinische u. betriebliche Organisation der kantonalen Spitäler, psychiatrischen Kliniken u. Laboratorien (Spitalorganisationsverordnung) (sSG 321.11, zit. «SpV/SG»), das Gesundheitsgesetz/TI v. 18. April 1989 (Legge sulla promozione della salute e il coordinamento sanitario (Legge sanitaria) del 18 aprile 1989, RL 5/185, zit. «GG/TI») u. das Gesundheitsgesetz/VD v. 29. Mai 1985 (loi sur la sante' publique, LSV 5.1, zit. «GG/ VD»). Zürcherisches Gesetz über das Gesundheitswesen (Gesundheitsgesetz) v. 4. November 1962, ZGS 810.1.
196 Wiegand
Die Dokumentationspflicht
gelt. Mit der Teilrevision von 1987 wurde der Regierungsrat in § 42a GG/ ZH aber beauftragt «die Rechte und Pflichten des Patienten in den staatlichen und vom Staat unterstützten Krankenhäusern durch Verordnung» zu regeln369. Die Patientenrecht\>erordnung von 199137° sieht in § 13 unter dem Marginale «Krankengeschichte» ausdrücklich vor: «Über jeden Patienten wird eine Krankengeschichte geführt.»371 Notwendiger Inhalt und Umfang der Krankengeschichte werden nicht ausdrücklich festgelegt. § 14 bis 16 regeln dagegen das Einsichtsrecht einlässlich (s. unten 3).
Das GG/Bern von 1984372 normiert die «Aufzeichnungspflicht» (so das Marginale von Art. 20 GG) bereits auf Gesetzesstufe ausdrücklich: «Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen, Chiropraktoren und Psychotherapeuten haben über ihre Berufstätigkeit fortlaufend Aufzeichnungen zu führen. Die Aufzeichnungen müssen das Wesentliche über ihre Feststellungen und Massnahmen enthalten.» (Art. 20 Abs. 1). Das PatD von 1989373
regelt auf Parlamentsverordnungsstufe in Art. 11 und 12 das Einsichtsrecht (s. unten 3).
b) Vertragsrechtliche Grundlagen
Privatrechtlich ergibt sich die Pflicht des Arztes, eine Heilbehandlung zu dokumentieren, direkt aus OR 400 1. Danach liegt eine Hauptleistung des Beauftragten darin, den Auftraggeber über die Geschäftsführung aktiv und unaufgefordert zu benachrichtigen und ihm (passiv) auf Anfrage Auskunft zu erteilen374. Die Information muss rechtzeitig erfolgen und wahrheitsgetreu und vollständig sein375. So hat namentlich der Arzt dem Patienten Auskunft zu erteilen über Gesundheitszustand, Krankheitsverlauf. Heilungschancen und -risiken einer Therapiemethode, Folgen und Kosten der
369 Ähnlich delegiert § 49 Abs. 2 GG/AG die Kompetenz zum Erlass der PatD/AG an den Grossen Rat, s. oben FN 67.
370 Zürcherische VO über die Rechte u. Pflichten des Patienten in staatlichen u. vom Staat unterstützen Krankenhäusern (Patientenrechtverordnung) v. 28. August 1991. ZGS 813.13 (zit.: PatRVO/ZH). . . „ , , , c^
371 Ähnlich § 16 Abs. 1 Satz 1 SpV/BS,§31 GG/LUu.§51 HV/LU. Art. 9 Abs. 1 MBV/SG u. Art. 62 Abs. 1 SpV/SG (s. oben FN 67).
372 Bernisches Gesundheitsgesetz v. 2. Dezember 1984. BGS 811.01. 373 Bernisches Dekret über die Rechte u. Pflichten der Patientinnen u. Patienten in öffentli
chen Spitälern (PatD) v. 14. Februar 1989. 374 OR-WEBER, Art. 400 N 2. Die Dokumentationspflicht lässt sich im weiteren aut die allge
meine Treue- und Sorgfaltspflicht abstützen. 575 Ebenda N 4.
Wiegand 197
Die Aufklärungspflicht
Krankheit u.a.376 Daraus ergibt sich die Pflicht des Arztes, eine Dokumentation zu erstellen, die es ihm ermöglicht, dieser Aufklärungspflicht nachzukommen377.
2. Gegenstand, Form und Umfang der Dokumentation
a) Insbesondere die Krankengeschichte
Herzstück medizinischer Dokumentation ist die Krankengeschichte. Das BGer geht konkludent von der Pflicht zur Führung einer Krankengeschichte aus378, hat die Frage nach Mindestinhalt, Formerfordernissen und Beweiswert aber bisher ausdrücklich offengelassen379. Andererseits hat das Gericht in einem konkreten Aufklärungsdokumentationsfall die Krankengeschichte in casu als «unter dem Gesichtspunkt der Beweistauglichkeit» ungenügend bezeichnet380. In BGE 113 II430 zitiert das BGer das Zürcher OGer, das davon ausgeht, dass der Arzt eine Krankengeschichte zu führen habe, «die sein Vorgehen und den Krankheitsverlauf» wiedergebe. Etwas präziser hält Art. 20 des GG/BE fest, dass die notwendigen Aufzeichnungen der Medizinalpersonen «fortlaufend» sein müssen und «das Wesentliche über ihre Feststellungen und Massnahmen enthalten» müssen381. Gem. § 31 des GG/LU von 1981382 muss die Krankengeschichte «die Personalien des Patienten, die Diagnose, die Daten der Beratung und der Besuche, die verordneten oder verabreichten Medikamente und andere ärztliche Leistungen» enthalten.
Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass eine sorgfältige Krankengeschichte in chronologischer Ordnung mindestens drei Elemente aufweisen muss: Erstens die Sachverhaltsfeststellungen des Arztes samt Anamnese, Krankheitsverlauf, persönlichem Umfeld des Patienten und differenzierter Diagnose, zweitens die angeordneten Therapieformen (zeitlich und quanti-
376 S. oben I u. II. 377 Davon geht offenbar auch BGE 113 II 430 aus, wenngleich hier nur die Ansicht der
Vorinstanz zitiert wird. 378 S. oben FN 377. 379 Vgl. insb. den jüngsten Entscheid BGE 117 Ib 204 f. 380 BGE 117 1b 205. 381 Art. 20 Abs. 1 Satz 2 GG/BE, s. oben FN 372. 382 S. oben FN 367.
198 Wiegand
Rechtsgrundlagen der Dokumentationspflicht
tativ umschriebene Medikationen, Eingriffe mit Operationsberichten, physikalische oder andere Therapieformen) und drittens Ablauf und Gegenstand der Aufklärung des Patienten383.
Darüberhinaus muss die Krankengeschichte den generellen Anforderungen der auftragsrechtlichen Dokumentationspflicht genügen und insb. rechtzeitig384, wahrheitsgetreu und vollständig erstellt werden385.
Formal umfasst die Krankengeschichte nicht nur den eigentlichen, fortlaufend verfassten Text, sondern auch alle Zusatzdokumentem', wie etwa die Ergebnisse apparativer Untersuchungen (Röntgenbilder387, Laborbefunde, EKG- und EEG-Befunde, Computertomogramme u.a.), Aufzeichnungen über diagnostische, therapeutische und pflegerische Tests und Massnahmen, spezielle Operationsberichte, Angaben von Drittpersonen und persönliche Notizen der Ärzte und des Pflegepersonals. Damit ist freilich noch nicht gesagt, welche Teile davon dem Einsichtsrecht des Patienten oder gar einer Herausgabepflicht unterliegen (s. unten 3).
b) Die Dokumentation der Auflclärungm
Die sorgfältige Aufklärung des Patienten ist wesentliche Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung des Patienten in einen Heileingriff. Demzufolge erstreckt sich die ärztliche Dokumentationspflicht neben den Sachverhaltsfeststellungen und den angeordneten Massnahmen wesentlich auch auf die Frage, ob überhaupt, wer, wann und in welchem Umfang den Patienten über Risiken des Krankheitsverlaufes und über Chancen und Risiken einer geplanten Heilbehandlung aufgeklärt hat.
Das BGer hält in einem jüngsten Entscheid lediglich fest, «dass es unter dem Gesichtspunkt der Beweistauglichkeit nicht (genüge), in der Krankengeschichte nur ganz allgemein zu vermerken, der Patient sei über die geplante Operation und ihre möglichen Komplikationen informiert wor-
183 S. unten b sowie ausführlich oben I - IV. 384 So ist in BGE 113 II430 das Zürcher OGer als Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen.
dass ein sieben Jahre nach dem Eingriff verfasster Operationsbericht «als blosse Parteibehauptung» zu qualifizieren sei.
385 S. oben FN 375. 386 Vgl. etwa die Aufzählung in § 14 PatRVO/ZH. s. oben FN 370. 387 Zu den zahnärztlichen Röntgenbildern vgl. die kantonalen Entscheide in AGVE 1987 -
40-50 u.ZR 1985, 144. 388 Dazu ausführlich oben I, II, insb. II 5 a dd.
Wiegand 199
Die Aufklärungspflicht
den, wie es im vorliegenden Fall geschehen ist»389. Daraus ergibt sich zweierlei: - Einerseits betrachtet das BGer die Aufzeichnungen in der Krankenge
schichte über die Aufklärung des Patienten als wesentliches Beweismittel in einem späteren Kunstfehlerprozess. Das Fehlen einer glaubwürdigen Dokumentation über eine hinreichende Aufklärung des Patienten in der Krankengeschichte bedeutet für den Arzt, der die Beweislast für Durchführung und Inhalt der Aufklärung trägt, ein erhebliches Prozessrisiko; denn nur in ganz seltenen Fällen wird es ihm gelingen (etwa durch Zeugen), den Beweis erfolgter Aufklärung zu erbringen.
- Andererseits stellt das Gericht an diese Aufzeichnungen offensichtlich inhaltliche oder formale Mindestanforderungen, die es aber in casu nicht definiert. Das Gericht lässt ausdrücklich offen, «ob es zweckmässig (sei), den Patienten ein Formular unterschreiben zu lassen, in welchem der genaue Inhalt der Aufklärung und die Einwilligung angegeben» würden390.
3. Das Einsichtsrecht und die Herausgabepflicht
Die Frage, inwieweit der Arzt verpflichtet ist, Feststellungen und Vorgänge zu dokumentieren, ist von der Frage zu trennen, ob und wie weit der Patient oder Dritte Anspruch darauf haben, Einsicht in diese Aufzeichnungen zu nehmen oder gar Dokumente herauszuverlangen. Für die Beantwortung der zweiten Frage sind im Einzelfall die Interessen des Patienten, des Arztes und allfällig beteiligter Dritter abzuwägen. Private und öffentliche Einsichts- und Geheimhaltungsinteressen stehen sich in mannigfaltiger Weise gegenüber.
a) Rechte des Patienten
Im Auftragsrecht fliesst das Einsichtsrecht des Patienten in grundsätzlich alle Unterlagen, die seine Behandlung betreffen, direkt aus der Informationspflicht des Beauftragten, die eine Pflicht des Beauftragten, mithin auch des Arztes darstellt391. OR 400 verpflichtet den Arzt nicht nur, dem
,89 BGE 117 1b 205. ,(,° Ebenda; dazu ausführlich oben II 5. 1,1 S. oben 1 b.
200 Wiegand
Gegenstand, Form und Umfang der Dokumentation
Patienten Einsicht in die Krankengeschichte zu gewähren, sondern auch, ihm bspw. Röntgenbilder und ähnliche Dokumente herauszugeben392.
Denselben Regeln folgen, wenn auch mit Differenzierungen, die kantonalen öffentlich-rechtlichen Normen. So hält die PatRVO/ZH klar fest, dass der Patient «Einsicht in die zur Krankengeschichte gehörenden Unterlagen oder Kopien davon verlangen» kann393. Ausdrücklich eingeschlossen sind Ergebnisse apparativer Untersuchungen, wie Röntgenbilder u.a., Operationsberichte, sowie eine ganze Reihe spezifizierter Dokumente394. Ausdrücklich keine Einsicht hat der Patient dagegen in «Angaben von nicht zum Krankenhaus gehörenden Drittpersonen»395 sowie in die «persönlichen Notizen der Ärzte und des Pflegepersonals»396. Streitfälle entscheidet die Gesundheitsdirektion397. Zudem hält die Verordnung fest, dass der Patient zwar von den einsichtsfähigen Dokumenten (gegen Gebühr398) Kopien verlangen könne399, dass aber die Krankengeschichte Eigentum des Krankenhauses bleibt400 und sich demzufolge die Herausgabepflicht offenbar nur auf Kopien, nicht aber Originaldokumente erstreckt401. Mit der Herausgabe von brauchbaren Kopien scheint aber dem Dokumentationsinteresse des Patienten hinreichend Genüge getan zu sein.
Ähnlich hält das PatD/BE fest, dass Patienten «nach mündlicher Aufklärung Anspruch auf vollständige und verständliche Auskunft über alle Daten, die ermittelt oder erzeugt werden», haben. «Auf Verlangen sind die
392 Vgl. zur Rsp. etwa AGVE 1987 - 40-50 u. ZR 1985, 144 (s. oben FN 387). zur Literatur BK-GAUTSCHI OR 400 N 7b; OTT 44; BK-FELLMANN OR 400 N 138.
393 § 14 Abs. 1 PatRV, s. oben FN 370, ähnlich § 27 Abs. 1 PatD/AG, § 17 Abs. 1 SpV/BS, Art. 22 GG/VD (s. oben FN 367). Art. 6 Abs. 3 GG/TI gibt dem Patienten zusätzlich das Recht auf Berichtigung von Fehlern in Krankengeschichte oder Zusatzdokumenten.
394 § 14 Abs. 1 lit. a - f. So auch Art. 6 Abs. 3 GG/TI (s. oben FN 367). 395 So auch Art. 6 Abs. 4 GG/TI (s. oben FN 367). 396 § 14 Abs. 2. Ähnlich schliessen § 27 Abs. 1 Satz 2 PatD/AG u. Art. 6 Abs. 4 GG/TI (s.
oben FN 367) die persönlichen Aufzeichnungen der Ärzte u. § 17 Abs. 2 SpV/BS auch des Pflegepersonals ausdrücklich vom Einsichtsrecht des Patienten aus.
397 So auch § 17 Abs. 3 SpV/BS (s. oben FN 367), wogegen gem. Abs. 4 in einem nichtstaatlichen Spital vorerst deren Direktion u. dann der Zivilrichter anzurufen sind.
398 § 14 Abs. 4. 399 Im gleichen Sinne § 27 Abs. 3 PatD/AG (s. oben FN 367). 400 § 13 Abs. 1 Satz 2. So auch § 16 SpV/BS (s. oben FN 367), der zusätzlich eine zehnjäh
rige Aufbewahrungspflicht für Krankengeschichten u. Röntgenbilder u. eine zweijährige für Laborbefunde statuiert. § 62 Abs. 2 Satz 2 SpV/SG statuiert sogar eine zwanzigjährige Aufbewahrungspflicht für Krankengeschichten.
401 Dagegen hat der Patient gem. Art. 22 GG/VD (s. oben FN 367) das Recht, sich Röntgenbilder u. andere Dokumente, die einer späteren Behandlung dienen können, aushändigen zu lassen.
Wiegand 201
Die Aufklärungspflicht
Unterlagen zur Einsicht vorzulegen und zu erläutern»402. Das Einsichtsrecht kann eingeschränkt werden bei Aufzeichnungen, die Ärzte »ausschliesslich zu ihrem persönlichen Gebrauch angefertigt haben» oder wenn «besonders schützenswerte Interessen Dritter dies erfordern»403. Aus dem Umstand, dass Kopien gebührenpflichtig sind404, ergibt sich indirekt, dass auch im Kt. Bern ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien, nicht aber auf die Herausgabe von Originalen, aller Dokumente besteht.
Wesentlich restriktiver ist dagegen die SpV/SG von 1980, die festhält: «Der Chefarzt kann Krankengeschichte und andere medizinische Unterlagen ... dem Patienten, seinem gesetzlichen Vertreter oder Dritten zur Einsicht überlassen, soweit sie ein berechtigtes Interesse nachweisen»405.
b) Einsichtsrecht Dritter
Träger von Einsichts- und Herausgaberechten ist grundsätzlich nur der Patient selber. Die auftragsrechtliche Diskretions- und Geheimhaltungspflicht, sowie das öffentlichrechtliche (und strafrechtlich geschützte) Berufsgeheimnis verbieten es dem Arzt, seine Informationen aus dem Auftragsverhältnis mit dem Patienten Dritten ohne Einwilligung des Patienten weiterzugeben406. Dritte haben mithin kein Einsichtsrecht in die Krankengeschichte eines Patienten und kein diesbezügliches Auskunftsrecht.
Auch Angehörige und Ehegatten fallen unter diesen Ausschluss. Wenn der Patient keine Einwilligung erteilt, ist der Arzt nicht berechtigt, ihnen Auskünfte zu erteilen. Wenn der Patient nicht mehr verfügungsfähig ist, genügt allerdings die mutmassliche Einwilligung des Patienten. Dabei sind generell die für die Aufklärung entwickelten Regeln entsprechend anzuwenden407.
Das kantonale öffentliche Recht hat hier verschiedene Differenzierungen vorgenommen. Die PatRVO/ZH hält zwar auch am Grundsatz fest, dass Auskünfte an Dritte nur mit Einverständnis des Patienten erteilt wer-
402 Art. 11 Abs. 1 PatD/BE, s. oben FN 373. 403 Art. 11 Abs. 2. 404 Art. 11 Abs. 3. 405 Art. 62 Abs. 3 SpV/SG (s. oben FN 367). Diese Bestimmung steht zu den zivilrechtlichen
wie zu den verfassungsrechtlichen Regeln, die dem Patienten Einsichtsrechte gewähren, in Widerspruch. Inwieweit sie einer Überprüfung standhalten würde, ist fraglich.
406 S. oben 1. Kap. 12 j . 407 S. oben II 6 a ee; IV 2 a bb.
202 Wiegand
Das Einsichtsrecht und die Herausgabepflicht
den dürfen408. Allerdings wird unabhängig vom Gesundheitszustand des Patienten sein «Einverständnis ... für Auskünfte an die nächsten Angehörigen sowie an den gesetzlichen Vertreter vermutet»409. Als nächste Angehörige gelten zudem auch Personen, die mit dem Patienten in Lebensgemeinschaft stehen, wobei bei übereinstimmender Wohnandresse eine Lebensgemeinschaft angenommen werden darf410.
Etwas zurückhaltender formuliert das PatD/BE, dass «Auskünfte an Angehörige, den Patientinnen und Patienten nahestehende oder weitere Personen ... nur mit ihrer, allenfalls stillschweigenden Zustimmung und in ihrem Interesse gegeben werden» dürfen4". Eine Einwilligungsvermutung für nahe Angehörige wird nicht ausdrücklich statuiert.
c) Datenschutzprobleme
Die auftragsrechtliche Diskretionspflicht sowie das öffentlichrechtliche Berufsgeheimnis verbieten es dem Arzt, Informationen aus dem Auftragsverhältnis mit dem Patienten weiterzugeben. Dies gilt grundsätzlich auch für die Weitergabe von Informationen an statistische Stellen und Wissenschaftler.
Allerdings haben Rsp. und kantonales öffentliches Recht bei überwiegendem öffentlichen Interesse Einschränkungen des Datenschutzanspruchs des Patienten zugelassen.
So hat das Aargauer OGer die Verletzung des Amtsgeheimnisses durch einen Spitalarzt verneint, der gestützt auf eine Krankengeschichte das Datenerfassungsblatt der Vereinigung schweizerischer Krankenhäuser (VES-KA) ausgefüllt und ans Inselspital Bern zur Erfassung weitergeleitet hatte412. Das PatD/AG von 1990 lässt die Verwendung und Bearbeitung von anonymisierten Daten «für wissenschaftliche und Planungszwecke» ausdrücklich auch ohne die Zustimmung des Patienten zu413. Gem. der HAV/ LU von 1985 kann der Chefarzt sogar generell «die Krankengeschichte und andere medizinische Unterlagen zur wissenschaftlichen Auswertung oder für Gutachten freigeben»414. Das Bundesamt für Justiz entschied 1982,
408 § 15 Abs. 1 Satz 1 PatRV, s. oben FN 370. So auch § 46 Abs. 1 HAV/LU (s. oben FN 367). 409 § 15 Abs. 1 Satz 2. So auch § 46 Abs. 1 HAV/LU (s. oben FN 367). 410 § 15 Abs. 2. 411 Art. 12 Abs. 2 PatD/BE, s. oben FN 373. 412 SJZ 1984, 146. 413 § 26 Abs. 2 PatD/AG (s. oben FN 367). 414 § 51 Abs. 3 LU HAV (s. oben FN 367).
Wiegand 203
Die Aufklärungspflicht
dass für die Zulässigkeit der Mitteilung personenbezogener Patientendaten zur Errichtung eines Krebsregisters eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage erforderlich sei415.
Die PatRVo/ZH macht unter dem Auskunftsverbot an Dritte einen ausdrücklichen Vorbehalt für Auskünfte «zum Zwecke der Forschung oder aufgrund besonderer Meldepflichten oder -befugnisse»416 und verleiht dem Chefarzt die Kompetenz, «über die wissenschaftliche Ausweitung der Krankengeschichten» zu entscheiden417. Das PatD/BE macht einen ähnlichen Vorbehalt für «Auskünfte aufgrund besonderer Meldepflichten und Melderechte»418.
Auf Bundesebene sind zudem die Regeln des am 1. Juli 1993 in-kraftgetretenen Datenschutzgesetzes vom 19. Juni 1992419 sowie der Datenschutzverordnung vom 14. Juni 1993420 zu beachten.
4. Folgen unterbliebener oder unvollständiger Dokumentation
Weder das Auftragsrecht noch das kantonale öffentliche Recht knüpfen unmittelbare materielle Rechtsfolgen an das Unterlassen einer ordnungsgemässen Dokumentation. Führt der Arzt keine oder eine mangelhafte Dokumentation über Diagnose, Behandlung und Aufklärung des Patienten, können die rechtlichen Konsequenzen dennoch gravierend sein, denn es ist davon auszugehen, dass der Arzt in allen Bereichen, in denen eine Dokumentationspflicht besteht, im Falle des Unterlassens einer ordnungsgemässen Dokumentation die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen hat.
So hat das BGer in einem jüngsten Entscheid festgestellt, dass in casu der generelle Vermerk in einer Krankengeschichte, der Patient sei über die geplante Operation und die möglichen Komplikationen informiert worden, «unter dem Gesichtspunkt der Beweistauglichkeit nicht (genüge)»421.
415 VPB 1982, 183. 416 § 15 Abs. 3 PatRV, s. oben FN 370. 417 § 13 Abs. 2 Satz 1. 418 Art. 12 Abs. 3 PatD, s. oben FN 373. 419 AS 1993, 1945 ff. 4211 AS 1993, 1963 ff. 421 BGE 117 1b 205, s. oben 2 a.
204 Wiegand
Das Einsichtsrecht und die Herausgabepflicht
Dem Arzt wird mithin der Beweis, dass er den Patienten ordnungsgemäss aufgeklärt hat, misslingen, da die vorliegende Aufklärungsdokumentation ungenügend ist. Allerdings hat er die Möglichkeit, diesen Beweis mit anderen Beweismitteln (z.B. mit Zeugen) zu erbringen, deren Beweis wert im Vergleich zu einer ordnungsgemässen Krankengeschichte allerdings fraglich sein kann.
Wiegand 205
Die Aufklärungspflicht
Anhang 1 Bundesgerichtsentscheide zur ärztlichen Aufklärungspflicht
BGE 1171b 197ff.
Urteil vom 28. Mai 1991 i.S. S. C. gegen Kt. A. Pra 1993,104 ff. (Originaltext deutsch)
Staatshaftung für spitalärztliche Tätigkeit; Aufklärungspflicht des Arztes.
1. Ein zu Heilzwecken vorgenommener ärztlicher Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten ist widerrechtlich, sofern nicht ein Rechtfertigungsgrund -insb. die Einwilligung des ausreichend aufgeklärten Patienten - vorliegt. Da die ärztliche Aufklärungspflicht sowohl dem Schutz der freien Willensbildung des Patienten wie auch dem Schutz seiner körperlichen Integrität dient, besteht im Fall ihrer Verletzung nicht nur eine Ersatzpflicht für immateriellen, sondern auch für anderen Schaden (E. 2).
2. Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht: Allgemeine Grundsätze und Feststellung, dass der Patient im beurteilten Falle nicht ausreichend aufgeklärt worden ist (E. 3 u. 4).
3. Zulassung des Einwandes der hypothetischen Einwilligung des Patienten; Beweislast (E. 5). In casu: Laminektomie; vollständige schlaffe Lähmung beider Beine als Operationsfolge.
BGE 11611519 ff.
Urteil vom 23. Oktober 1990 i.S. B. H. u. J. H. gegen L. Pra 1991,349 ff. (Originaltext deutsch)
Haftpflicht des Arztes, Genugtuung (OR 49).
2. Aufklärung des Patienten als Vertragspflicht des Arztes (E. 3). In casu: Dehydration eines einjährigen Kindes; schwere Hirnschäden und dauernde Pflegebedürftigkeit infolge mangelnder therapeutischer Aufklärung des Kinderarztes.
206 Wiegand
Bundesgerichtsentscheide zur Aufklärung
BGE 1151b 175 ff.
Urteil vom 17. Mai 1989 i.S. S. C. gegen Kt. Zürich Pra 1989, 895 ff. (Originaltext deutsch)
Staatshaftung für spitalärztliche Tätigkeit.
3. Ein besonderer Nachweis über die Aufklärung und Einwilligung des Patienten erübrigt sich, wo dieser oder sein gesetzlicher Vertreter sich schon nach seinen Vorkenntnissen über alle Risiken einer schwierigen Operation im klaren sein muss (E. 3a).
In casu: Dritte Herzoperation an einem dreijährigen Kind; schwere Hirnschädigung, dauernde Pflegebedürftigkeit und Invalidität infolge einer Fehlkanülierung (Verwechslung der Lungenarterie mit dem aufsteigenden Teil der Aorta).
BGE 1141a 350 ff.
Urteil vom 26. Oktober 1988 i.S. X. gegen den Staatsrat des Kt. Genf Pra 1989, 951 ff. (Originaltext französisch)
Persönliche Freiheit; Voraussetzung der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eines Patienten zu einem medizinischen Eingriff.
3. Tragweite der persönlichen Freiheit im Verhältnis Patient-Arzt (E. 6).
5. Bei Urteilsunfähigkeit des Patienten ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters oder, bei Fehlen eines solchen, bei ihm nahestehenden Personen oder Familienangehörigen einzuholen (E. 7b).
In casu: Überprüfung des neuen Genfer Gesetzes über das Verhältnis zwischen Angehörigen der Medizinalberufe und den Patienten vom 21. Dezember 1987 im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle.
BGE 113II429 ff.
Urteil vom 3. November 1987 i.S. A. gegen B. Pra 1988, 71 ff. (Originaltext deutsch)
OR 394 ff. Haftung des Chirurgen.
Wiegand 207
Die Aufklärungspflicht
1. Verschlimmerung einer unfallbedingten Gesichtsentstellung durch eine Operation der plastischen Chirurgie: Ursachen und Folgen, Tat- und Rechtsfragen (E.2).
2 Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Arztes richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Bedeutung von Erfahrungssätzen, Berufsregeln und Gutachten (E 3a).
3. Umstände, unter denen eine Verletzung dieser Pflicht sowie die Haftung des Arztes für die Folgen davon zu bejahen sind (E. 3b).
In casu: Nasenoperation (plastische Chirurgie); Verschlimmerung der Entstellung durch unzweckmässige Bearbeitung des Flügelknorpels und einseitige Abtragung des Dreieckknorpels beim Abraspeln des Nasenrückens. Die Aufklärungspflicht des Arztes wird in diesem Entscheid nur am Rande behandelt.
BGE113 Ib 420 ff.
Urteil vom 8. Dezember 1987 i.S. X. gegen Kt. Zürich Pro 1988,1039 ff. (Originaltext deutsch)
Staatshaftung für spitalärztliche Tätigkeit.
Einwilligung des Patienten als Rechtfertigungsgrund... Beweislast. Umschreibung der Risiken, die von der Einwilligung erfasst werden können (E. 4). Operationsrisiko und ärztliche Aufklärungspflicht im konkreten Fall (E. 5 und 6). Rechtfertigungsbeweis (E. 7).
In casu: Erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität und weitgehende Invalidität infolge Nachoperationen (Entfernung eines grossen Teils der Bauchspeicheldrüse und Teilen des Magens), welche nach endoskopischer Abtragung eines Polypen mit Komplikationen (tiefer Längsriss in der Bauchspeicheldrüse, beinahe vollständiges Abreissen des Pankreaskopfes vom Duodenum, Aufreissen der Arteria gastroduodenalis) notwendig geworden ist. Ausführungen zur Risikoaufklärung.
BGE 108II59 ff.
Urteil vom 12. Januar 1982 i.S. Frau X. gegen Y. Pia 1982. 299 ff. (Originaltext französisch)
Haftung des Chirurgen.
Der Chirurg ist haftbar, wenn er eine Operation vornimmt, ohne den Patienten aufgeklärt und von ihm die Einwilligung erhalten zu haben, obschon dies möglich und erforderlich gewesen wäre. Er ist dann für allen Schaden verantwortlich, der
208 Wiegand
Bundegerichtsentscheide zur Aufklärung
infolge Misslingens der Operation entstanden ist, selbst wenn er keinen Kunstfehler begangen hat. Kann er sich befreien, indem er beweist, dass sein Patient in die Behandlung eingewilligt hätte, selbst wenn er deren genaue Natur und die Risiken gekannt hätte?
In casu: Misslingen einer totalen subkutanen Mammektomie, welche mehrere Eingriffe der Wiederherstellungschirurgie notwendig machte.
BGE 105II285 ff.
Urteil vom 13. November 1980 i.S. B gegen S. Pro 1980, 362 ff. (Originaltext französisch)
Haftung des Chirurgen.
Allgemeine Regeln (E. 1). Aufklärungspflicht (E. 6).
In casu: Darmresektion aufgrund einer (unzutreffenderweise) auf Krebs lautenden Diagnose bei einem Dickdarmtumor. Die Diagnose wurde dem Patienten auf Anraten seiner Ehefrau und seines Hausarztes zurecht nicht mitgeteilt, da ihm der Arzt eine vollständige Aufklärung nicht zumutete.
BGE 99IV 208 ff.
Urteil vom 14. September 1973 i.S. G. gegen E. Pra 1974,292 ff. (Originaltext italienisch)
StGB 123 u. 125, Körperverletzung.
2. Jede ärztliche Behandlung, welche die körperliche Integrität oder die Gesundheit verletzt, erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung. Der Arzt ist indessen schuldlos, wenn er mit der Einwilligung des Patienten oder unter anderen schuld-ausschliessenden Umständen gehandelt hat (E. 3 und 4).
In casu: Injektionen gegen den Willen des Patienten, welcher in einer kantonalen Nervenheilanstalt in Behandlung war.
Wiegand 209
Die Aufklärungspflicht
BGE66II34ff.
Urteil vom 20. Februar 1940 i.S. E. gegen Dr. X. Pra 1940,56 ff. (Originaltext französisch)
Keine Haftung des Arztes für eine Schädigung des Patienten, die nicht auf Unwissenheit, Nachlässigkeit oder Ungeschicklichkeit des Arztes zurückzuführen ist, sondern auf eine beim gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft selbst bei aufmerksamer und gewissenhafter Prüfung nicht erkennbare Ursache.
In casu: Zerstörung einer Sehne am Ringfinger anlässlich einer Warzenentfernung, ohne dass ein Kunstfehler nachgewiesen werden konnte. Das Risiko, dass diese Komplikation eintritt, betrug ein Prozent. Eine Aufklärungspflicht wurde bei diesem «normalen und minimalen» Risiko verneint.
210 Wiegand
Aufklärungsformulare
Anhang 2 Aufklärungsformulare
Die hier wiedergegebenen Formulare wurden vom Direktor der «Klinik für Thorax-, Herz- und Gefässchirurgie des Inselspitals Bern», Herrn Prof. Dr. Ulrich Althaus, zur Verfügung gestellt.
Sie entsprechen im Aufbau und Inhalt den hier aufgestellten Anforderungen beinahe vollkommen. Auch die sprachliche Gestaltung ist «patientengerecht», wenn gleich man wie immer über die Zweckmässigkeit gewisser Bestandteile der Formulare diskutieren kann.
Zur Klarstellung ist auf folgendes hinzuweisen: Die Tatsache, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, muss auch dann in der Krankengeschichte festgehalten werden, wenn der Patient das Aufklärungsformular unterschrieben hat. Die Notiz muss die wesentlichen Punkte des Gesprächs und die Feststellung enthalten, dass der Patient anschliessend die Einwilligung erteilt hat. Der Vermerk in der Krankengeschichte muss sowohl den Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs als auch das genaue Datum der Erstellung des Vermerks festhalten. Er soll möglichst umgehend verfertigt werden, da er sonst an Beweiswert verliert (S. die Hinweise oben VII2 a u. b).
Wiegand 211
Die Aufklärungspflicht
Merkblatt zum ärztlichen Aufklärungsgespräch über chirurgische Eingriffe an den Herzkranzgefässen (Koronare Bypassoperation)
Liebe Patientin, lieber Patient
Bei den bisherigen Untersuchungen wurde bei Ihnen eine Erkrankung der Herzkranzgefässe festgestellt. Um die Durchblutung Ihres Herzmuskels zu verbessern, ist die operative Umleitung des Blutstromes um die verengten Gefässsegmen-te vorgesehen (Bypass-Operation). Es liegt auf der Hand, dass kein Arzt den Erfolg seiner Behandlung garantieren kann und dass gewisse Komplikationen auch bei korrekt durchgeführter Operation auftreten können.
Die allgemeinen Risiken chirurgischer Eingriffe, z.B. Wundinfektionen, Thrombosen (Bildung von Blutgerinnseln), Embolien (Schlagaderverschlüsse durch verschleppte Gerinnsel) sowie Schädigungen von Nerven (z.B. bedingt durch Lagerung oder Druck) sind dank der Fortschritte der Medizin aber seltener geworden. Wir können heute auch mehr als früher dagegen tun.
Während oder bald nach der Operation können Unregelmässigkeiten des Herzschlages auftreten, welche in der Regel auf eine meist nur vorübergehende Schädigung des Herzmuskels zurückzuführen sind. In seltenen Fällen können Durchblutungsstörungen Gehirnschädigungen verursachen.
Probleme können sich frühzeitig nach der Operation ergeben, wenn eine Nahtstelle undicht wird oder Gerinnungsstörungen auftreten. Die Nachblutung kann die erneute Eröffnung des Brustkorbes zur Blutstillung nach der Operation erforderlich machen. Selten muss das Brustbein in den ersten 14 Tagen nochmals stabilisiert werden. Die Ursache für schlechte Heilung kann eine Wundinfektion sein, wobei Wundheilungsstörungen auch an jener Stelle möglich sind, an der die Vene entnommen wurde (z.B. am Bein).
Dank der heute bestehenden grossen Erfahrungen lassen sich die erwähnten Komplikationen weitgehend vermeiden oder beherrschen. Ihr Gewicht ist insgesamt geringer als die Gefahr, die für Sie ohne Operation besteht.
Dieses Blatt soll zu Ihrer Aufklärung dienen und Sie nicht beunruhigen. Bitte fragen Sie uns nach allem, was Ihnen wichtig erscheint. Arzte und Pflegepersonal werden alles tun, um einen normalen Verlauf der Operation und der Nachbehandlungsphase zu gewährleisten.
Der zuständige Arzt und der Operateur werden den Ablauf des geplanten Eingriffes mit Ihnen besprechen und noch offene Fragen gerne beantworten.
Ich habe von diesem Merkblatt Kenntnis genommen und hatte Gelegenheit, Fragen zu stellen, die zu meiner Zufriedenheit beantwortet wurden.
Datum: Unterschrift:
212 Wiegand
Merkblatt zum Aufklärungsgespräch
Merkblatt zum ärztlichen Aufklärungsgespräch betreffend Spiegelung der Brusthöhle (Thorakoskopie)
Liebe Patientin, lieber Patient
zusammen mit Ihrem zuweisenden Arzt wurde bei Ihnen die Indikation zur Spiegelung der Thoraxhöhle (Thorakoskopie) gestellt.
Die Thorakoskopie ist ein elegantes Verfahren, indem sie eine gute Übersicht über die Thoraxhöhle ermöglicht und gleichzeitig, verschiedene Eingriffe erlaubt, ohne dass dazu der Brustkorb operativ eröffnet werden muss (Thorakotomie). In der Regel genügen für die Thorakoskopie 2-3 kleine Inzisionen. Die Vorteile der Thorakoskopie gegenüber der offenen Operation liegen auf der Hand: weniger Schmerzen nach der Operation, raschere Erholung und grössere Beweglichkeit des Armes sowie kürzerer Spitalaufenthalt. Allerdings ist es aufgrund von verschiedenen Faktoren, die erst während der Operation festgestellt werden können, nicht immer möglich, den ursprünglich geplanten Eingriff thorakoskopisch zu Ende zu führen. Deshalb ist es hie und da erforderlich, die geplante Operation offen zu vervollständigen. Diesem Umstand tragen wir Rechnung, indem wir sie vor der Operation eingehend über diese Eventualität informieren werden. Die Thorakoskopie an sich ist eine komplikationsarme Methode, je nach durchgeführtem Eingriffkönnen sich aber gewisse Komplikationen nach der Operation ergeben, über die wir sie je nach Art des durchzuführenden Eingriffs speziell informieren werden. Ebenso ist die Wahl der Anästhesie von der Art dieses Eingriffs abhängig und wird individuell mit Ihnen vor dem Eingriff besprochen.
Praktisch nach jeder Thorakoskopie wird zur guten Entfaltung der Lunge die Luft zwischen Brustwand und Lunge über zwei Schläuche abgeleitet (Thorax-drainage). Diese werden entfernt, wenn sich pro 24h keine Luft und wenig Flüssigkeit mehr entleert. Je nach Eingriff muss dazu die Drainage einige Tage belassen werden. Sie werden darüber informiert werden, wie sie sich trotz dieser Schläuche im Rahmen des Möglichen frei bewegen können.
Dieses Blatt soll zu Ihrer Aufklärung dienen und Sie nicht beunruhigen. Bitte fragen Sie uns nach allem, was Ihnen wichtig scheint. Arzte und Pflegepersonal werden alles tun, um einen normalen Verlauf der Operation und der Nachbehandlungsphase zu gewährleisten. Der zuständige Arzt und der Operateur werden den Ablauf des geplanten Eingriffs mit Ihnen besprechen und noch offene Fragen gerne beantworten.
Ich habe von diesem Merkblatt Kenntnis genommen und hatte Gelegenheit, Fragen zu stellen, die zu meiner Zufriedenheit beantwortet wurden.
Datum: Unterschrift:
Wiegand 213