31 - Nervensystem

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31 31 Nervensystem Astrid Scheschonka, Heinrich Betz, Cord-Michael Becker 31.1 Stoffwechsel des Gehirns – 1024 31.1.1 Energiestoffwechsel des Gehirns – 1024 31.1.2 Blut-Hirn-Schranke und Liquor cerebrospinalis – 1025 31.2 Neuronale Zellen – 1029 31.2.1 Struktur von Nervenzellen – 1029 31.2.2 Membranpotential und Erregungsleitung – 1030 32.2.3 Synapsen: Aufbau und Funktion – 1034 31.3 Chemische Signalübertragung zwischen Neuronen – 1036 31.3.1 Allgemeine Prinzipien – 1036 31.3.2 Glutamat – 1038 31.3.3 Acetylcholin – 1039 31.3.4 Glycin und γ-Aminobutyrat (GABA) – 1040 31.3.5 Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin – 1041 31.3.6 Serotonin – 1042 31.3.7 ATP/Adenosin – 1044 31.3.8 Peptiderge Neurotransmitter – 1044 31.4 Nicht-neuronale Zellen – 1045 31.4.1 Gliazellen und Myelin – 1045 31.4.2 Demyelinisierungen und erbliche periphere Neuropathien – 1047 31.4.3 Besonderheiten des peripheren Nervensystems – 1047 31.5 Neurodegenerative Krankheiten – 1048 31.5.1 Morbus Alzheimer – 1048 31.5.2 Polyglutamin-Krankheiten – 1049 31.5.3 Morbus Parkinson – 1049 31.5.4 Prionkrankheiten – 1050 31.6 Neuronale Stammzellen und neurotrophe Faktoren – 1051 Literatur – 1051

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31 Nervensystem Astrid Scheschonka, Heinrich Betz, Cord-Michael Becker

31.1 Stoffwechsel des Gehirns – 102431.1.1 Energiestoffwechsel des Gehirns – 102431.1.2 Blut-Hirn-Schranke und Liquor cerebrospinalis – 1025

31.2 Neuronale Zellen – 102931.2.1 Struktur von Nervenzellen – 102931.2.2 Membranpotential und Erregungsleitung – 103032.2.3 Synapsen: Aufbau und Funktion – 1034

31.3 Chemische Signalübertragung zwischen Neuronen – 103631.3.1 Allgemeine Prinzipien – 103631.3.2 Glutamat – 103831.3.3 Acetylcholin – 103931.3.4 Glycin und γ-Aminobutyrat (GABA) – 104031.3.5 Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin – 104131.3.6 Serotonin – 104231.3.7 ATP/Adenosin – 104431.3.8 Peptiderge Neurotransmitter – 1044

31.4 Nicht-neuronale Zellen – 1045 31.4.1 Gliazellen und Myelin – 104531.4.2 Demyelinisierungen und erbliche periphere Neuropathien – 104731.4.3 Besonderheiten des peripheren Nervensystems – 1047

31.5 Neurodegenerative Krankheiten – 104831.5.1 Morbus Alzheimer – 104831.5.2 Polyglutamin-Krankheiten – 104931.5.3 Morbus Parkinson – 104931.5.4 Prionkrankheiten – 1050

31.6 Neuronale Stammzellen und neurotrophe Faktoren – 1051

Literatur – 1051

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1024 Kapitel 31 · Nervensystem

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>> Einleitung

Das Nervensystem verarbeitet die von den Sinnesorganen aufgenommenen äußeren Reize, steuert die Motorik und koordiniert viele Vitalfunktionen des Organismus. Die komplexen Leistungen des Gehirns führen zu einem hohen Energiebedarf, der haupt-sächlich durch Glucose gedeckt wird. Das zentrale Nervensystem (ZNS) ist vom Liquor cerebrospinalis umgeben, der durch Abfiltration von Blutplasma gebildet wird. Vor Schwankungen des Stoffwechsels und Schadstoffen wird das Gehirn durch die Blut-Hirn-Schranke geschützt. Vom Gehirn benötigte Substrate passieren die Endothelzellen des Schrankensystems durch Transzytose. Die Erregungsleitung im Nervensystem beruht auf den Funktionen der membranständigen Na+/K+-ATPase und spannungsregulierter Kanäle für Natrium-, Kalium-, Calcium- und Chloridionen. Die neuronale Erregungsleitung wird durch lipidhaltige Myelinscheiden beschleunigt. Neurone kommunizieren vorwiegend über chemische Synapsen, an denen ein Neu-rotransmitter aus der präsynaptischen Nervenendigung freigesetzt wird. Die Bindung des Transmitters an postsynaptische Rezeptoren führt zur Erregung oder Hemmung der nachgeschalteten Nervenzelle oder Muskelfaser. Nach seiner Freisetzung wird der Transmitter wieder in die präsynaptische Nervenendigung und umliegende Gliazellen aufgenommen oder durch enzymatischen Abbau inaktiviert. Die große molekulare Vielfalt der Ionenkanäle und Rezeptoren des Nervensystems trägt zur hohen Spezifität der neuronalen Informationsverarbeitung bei. Störungen von Reizleitung und synaptischer Erregungsüber-tragung können zu Lähmungen, Epilepsie, Depression und Demenz führen. Von besonderer Bedeutung für die Ontogenese des Nervensystems sind Wachstumsfaktoren und Adhäsionsmoleküle auf der Oberfläche von Neuronen und Gliazellen, welche die Verschaltung und das Wachstum von Nervenzellen regulieren.

31.1 Stoffwechsel des Gehirns

31.1.1 Energiestoffwechsel des Gehirns

! Das Gehirn benötigt eine ständige Glucosezufuhr, ver-wertet aber nach längerem Fasten und bei Säuglingen auch Ketonkörper.

Das Gehirn beansprucht einen hohen Anteil am Energie-stoffwechsel des Körpers. Obwohl das Gehirn beim Er-wachsenen mit 1,4 kg nur einen Anteil von 2% am Körper-gewicht besitzt, entspricht seine Durchblutung von 750 ml/min mit 15% einem wesentlich größeren Anteil am 5 l um-fassenden Minutenvolumens des Herzens. Rückschlüsse auf den Stoffwechsel des Gehirns gewinnt man durch Be-stimmung des arteriovenösen Konzentrationsunterschieds der Metaboliten im Blut der Hirngefäße. Um die Substrat-extraktion bei einer Hirnpassage zu ermitteln, wird arteriel-les Blut aus einer Arterie des Arms und venöses Blut der V. jugularis interna entnommen. Wie aus . Tabelle 31.1

hervorgeht, liegt der respiratorische Quotient, das Verhält-nis von abgegebenem Kohlendioxid zu aufgenommenem Sauerstoff, unter Normalbedingungen bei 1.0. Dieser Wert besagt, dass das Gehirn hauptsächlich Kohlenhydrate ver-stoffwechselt (7 Kap. 21.1.4). Weil das zentrale Nerven-system (ZNS) jedoch kaum Glycogen speichert, hängt es von einer kontinuierlichen Glucosezufuhr ab.

Infolge der Abhängigkeit des Gehirns von ständiger Glucosezufuhr führt ein Abfall des Blutglucosespiegels (Hypoglykämie) rasch zu Bewusstlosigkeit, irreversiblen Funktionsausfällen und schließlich zum Tod. Etwa 20% der ATP-Bildung werden für den Erhalt der Ionengradienten an den Membranen benötigt. Daher beeinflussen Änderun-gen der neuronalen Aktivität wiederum den ATP-Gehalt und somit Glucose- und Sauerstoffverbrauch des Gehirns. Die Stoffwechselaktivität des gesamten Gehirns schwankt bei gesunden Menschen trotz regionaler Unterschiede nur wenig und bleibt auch im Schlaf hoch. Im Koma nimmt der Stoffwechsel demgegenüber deutlich ab, während die Glu-coseaufnahme bei einem epileptischen Anfall infolge der erhöhten neuronalen Aktivität massiv gesteigert ist. Die Glucoseaufnahme einzelner Hirnregionen lässt sich in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) mit dem nu-klearmedizinischen Marker 18F-Desoxyglucose (FDG) in Schnittbildern (Tomographien) erfassen.

Bei längerem Fasten stellt sich der Energiestoffwechsel des Gehirns um: Im Hungerzustand können die Ketonkör-per Acetacetat und β-Hydroxybutyrat vom ZNS oxidiert werden und Glucose als Energielieferant weitgehend, aber nicht vollständig ersetzen. Nach 120-stündigem Fasten steigt die Ketonkörperverwertung auf das 20-fache (. Abb. 31.1). Gleichzeitig sinkt die Glucoseaufnahme um die Hälf-te, wobei die aufgenommene Glucose überwiegend als Lactat abgegeben und wieder für die Gluconeogenese ver-

. Tabelle 31.1. Arteriovenöse Differenzen verschiedener Subs-trate nach Hirnpassage (Durchschnittswerte bei 50 ruhenden Probranden im Alter von 18–29 Jahren)

Substrat Blutkonzentration [mmol/l]

Arterivenöse Differenz

Arteriell Venös [mmol/l]

Sauerstoff 8,75 5,75 –3

Kohlendioxyd 21,5 24,4 +2,9

Glucose 5,1 4,6 –0,5

Lactat 1,1 1,27 +0,17

Pyruvat 0,1 0,12 +0,02

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31.1 · Stoffwechsel des Gehirns311025

fügbar wird. Damit verhält sich das Gehirn im Hungerzu-stand ähnlich wie die Muskulatur (7 Kap. 16.2.3). Während der Stillzeit verwendet das Säuglingsgehirn Ketonkörper viel effizienter als das Hirn eines Erwachsenen. Nach der Geburt steigen die Aktivitäten der Ketonkörper verwerten-den Enzyme β-Hydroxybutyrat-Dehydrogenase und Suc-cinyl-CoA-Acetacetyl-CoA-Transferase deutlich an und ermöglichen damit eine optimale Ausnutzung des hohen Fettanteils der Muttermilch. Infolgedessen tolerieren Säug-linge wesentlich geringere Blutglucosekonzentrationen (20–30 mg/dl, entspricht 1,2–1,8 mmol/l) ohne neurologi-sche Ausfälle als Erwachsene. Glucose kann jedoch auch beim Säugling nicht vollständig durch Ketonkörper ersetzt werden. Nach dem Abstillen und der Umstellung des Kleinkindes auf kohlenhydratreiche Nahrung fallen die Ketonkörper metabolisierenden Enzymaktivitäten ab. Da-nach ist das Gehirn wieder überwiegend von Glucose ab-hängig.

! Aminosäuren sind wichtige Substrate des Gehirnstoff-wechsels. Sie spielen im Nervensystem eine bedeuten-de Rolle als Neurotransmitter oder deren Vorläufer.

Glutamat ist nicht nur der wichtigste erregende Neuro-transmitter im ZNS, sondern dient auch als Vorläufer des hemmenden Neurotransmitters γ-Aminobutyrat (GABA). Beide Transmitter werden in den präsynaptischen Vesikeln der Neurone in hohen Konzentrationen (bis zu 100 mmol/l) gespeichert. An Synapsen freigesetztes Glutamat wird gro-ßenteils von Gliazellen aufgenommen und durch Übertra-gung von Ammoniak in Glutamin überführt. Glutamat und Glutamin machen zusammen bis zu 60% der freien

-Aminosäuren des ZNS aus. Im Glutamat-Glutamin-Zyklus wird von Gliazellen freigesetztes Glutamin erneut von Neuronen aufgenommen und durch mitochondriale Glutaminase (7 Kap. 13.5.2) der aktive Neurotransmitter Glutamat regeneriert. Alternativ kann das Kohlenstoffske-lett von Glutamat aus Glucose synthetisiert werden: Pyru-vat liefert durch Carboxylierung zu Oxalacetat oder dehy-drierende Decarboxylierung zu Acetyl-CoA die Produkte, aus denen im Citratzyklus -Ketoglutarat gebildet wird. Transaminierung von -Ketoglutarat führt schließlich zu Glutamat. Auch das an der Synapse freigesetzte GABA un-terliegt einem Stoffwechselzyklus, indem es in den GABA-Shunt (engl. GABA-Nebenweg) eingeht (7 Kap. 31.3.4).

Tyrosin ist der Vorläufer für die Biosynthese der Neu-rotransmitter Dopamin und Noradrenalin sowie des Hor-mons Adrenalin (7 Kap. 26.3.2, 31.3.5), während die Bio-synthese von Serotonin und Melatonin von Tryptophan (7 Kap. 13.6.6, 31.2.6) ausgeht.

31.1.2 Blut-Hirn-Schranke und Liquor cerebrospinalis

! Die Blut-Hirn-Schranke beruht auf der besonderen Architektur der Kapillaren des Gehirns und des Plexus choroideus, in dem der Liquor cerebrospinalis als pro-teinarmes Filtrat des Blutplasmas gebildet wird.

Die Blut-Hirn-Schranke isoliert das ZNS und den umge-benden Liquor cerebrospinalis (engl.: cerebrospinal fluid, CSF) von den übrigen Organen des Körpers. Dadurch trägt sie dazu bei, dass das extrazelluläre Milieu des Gehirns kon-stant gehalten wird. Der proteinarme Liquor füllt Gehirn-ventrikel und Subarachnoidalraum aus. Seine Zusammen-setzung ähnelt derjenigen der interstitiellen Flüssigkeit es Gehirns (. Abb. 31.2). Das Liquorvolumen entspricht mit ca. 150 ml etwa einem Zehntel des Hirnvolumens. Die Blut-Hirn-Schranke stellt keine einheitliche Grenzfläche zwischen Blutplasma und ZNS dar, sondern umfasst zwei unterschiedliche Schrankenfunktionen, die den Stoffaus-tausch zwischen Körper, Gehirn und Liquor regulieren (. Abb. 31.2):4 Der Liquor wird im Plexus choroideus der Hirnventri-

kel aus Blutplasma abfiltriert. Diese Grenzfläche beruht auf der besonderen Architektur des Plexus choroideus und wird als Blut-Liquor-Schranke bezeichnet. Die Liquorsekretion erreicht mit ca. 0,4 ml/min ein Drittel

der Urinbildung und erlaubt einen dreifachen Umsatz des Liquorvolumens pro Tag. Mit der interstitiellen Flüssigkeit des Gehirns tauscht sich der Liquor durch Diffusion aus

4 Der direkte Stoffaustausch zwischen Blutplasma und Hirnparenchym erfolgt über die Hirnkapillaren, die ebenfalls eine charakteristische Architektur aufweisen und die Blut-Hirn-Schranke im engeren Sinne bilden

. Abb. 31.1. Substratverwertung des menschlichen Gehirns bei längerem Hungern. Aus arteriovenösen Differenzen sowie der Durchblutung wurden Glucose- und Ketonkörperaufnahme sowie Lactatabgabe ermittelt

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1026 Kapitel 31 · Nervensystem

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Bei der Neubildung im Plexus choroideus wird Liquor als proteinarmes Filtrat durch eine mehrschichtige Barriere (. Abb. 31.2) aus Blutplasma abgepresst. Der Übertritt von Plasmabestandteilen in den Liquor wird durch ihren hydro-dynamischen Molekülradius und ihre Fettlöslichkeit be-stimmt. Die erste Schicht des Filters wird durch Plexus-kapillaren gebildet, die ein stark fenestriertes Endothel besitzen. Während hier korpuskuläre Blutbestandteile zu-rückgehalten werden, können große Proteine und sogar kleine Viren diese erste Barriere noch passieren. Zusätzlich vermitteln die Endothelzellen durch Transzytose in Vesi-keln einen regen Stofftransport aus dem Blut in das Liquor-filtrat. Eine dichte Basalmembran aus Proteoglykanen und Kollagenfasern, die das Endothel umgibt, wirkt als Pro-teinfilter. Eine erheblich dichtere Barriere stellen jedoch die über Zonulae occludentes miteinander verbundenen

Plexus epithelien dar. Diese Zonulae occludentes bilden an den Kontaktstellen der Zellen gelegene Poren aus und wir-ken als Mikrofilter, die größere Serumproteine wie Immun-globuline (z.B. IgG, IgM) zurückhalten, kleinere Moleküle aber eher passieren lassen. An der Blut-Liquor-Schranke korreliert die Permeabilität von wasserlöslichen Molekülen daher mit dem hydrodynamischen Radius. Lipophile Subs-tanzen diffundieren dagegen durch die Zellmembranen des Endothels. Außerhalb des Plexus choroideus wird die Ven-trikeloberfläche durch Ependymzellen ausgekleidet. Über das Ependym hinweg besteht zwischen Liquorraum und Interstitialflüssigkeit des Hirnparenchyms keine definierte Permeabilitätsbarriere, sondern ein Diffusionsgradient.

Der direkte Stoffaustausch zwischen Plasmaraum und Hirnparenchym erfolgt an der Blut-Hirn-Schranke (im engeren Sinne) über die Hirnkapillaren. Deren Aufbau

. Abb. 31.2. Kompartimente der Blut-Hirn-Schranke. Schema-tische Darstellung der Flüssigkeitskompartimente im Gehirn und ihrer wechselseitigen Beziehungen. Die Neubildung von Liquor erfolgt durch Filtration am Plexus choroideus, ein weiterer Stoffaustausch erfolgt an den Hirnkapillaren. Über die Pacchioni-Granulationen wird der Liquor in die Sinus und damit ins venöse Blut drainiert. Unten: An der Bildung der Blut-Hirn- und der Blut-Liquor-Schranke beteiligte Strukturen. Innerhalb der Ventrikel wird der Extrazellulärraum durch das Ependym vom Liquorraum getrennt, an der Oberfläche von

Gehirn und Rückenmark dagegen durch die Pia mater. Oben links: Blut-Hirn-Schranke mit Querschnitt durch eine Hirnkapillare. Die Endothelzellen bilden eine geschlossene Begrenzung der Kapillare; zwischen Endothelzellen und Perizyten bzw. Astrozyten liegt eine kontinuierliche Basalmembran. Oben rechts: Querschnitt durch die mehrschichtige Blut-Liquor-Schranke mit Endothel der Plexuskapil-laren, Basalmembran und über Zonulae occludentes verbundenen Plexusepithelien. Das Endothel vermittelt einen regen Stofftransport durch Transzytose

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31.1 · Stoffwechsel des Gehirns311027

unterscheidet sich vom Plexusendothel am Ort der Liquor-filtration. Die über Schlussleisten (tight junctions) fest mit-einander verbundenen Endothelzellen der Hirnkapillaren werden von einer kontinuierlichen Basalmembran umge-ben, auf der in dichter Anordnung Perizyten und Ausläufer von Astrozyten sitzen (. Abb. 31.2). Durch diesen Aufbau ist die Permeabilität der Kapillaren des Gehirns im Ver-gleich zu anderen Geweben relativ gering.

Im Gegensatz zur Liquorfiltration am Plexus choro-ideus wird der Stoffaustausch an den Hirnkapillaren durch membranständige Transporter bestimmt. Aminosäuren und Glucose, die entscheidenden Energiequellen des Ge-hirns, passieren die Blut-Hirn-Schranke durch erleichter-ten Transport über Aminosäuretransporter bzw. den Glu-cosetransporter GLUT-1. Ionen und andere Stoffe werden durch Diffusion oder aktiven Transport aufgenommen, während die Transzytose hier keine Rolle spielt. Zahlreiche lipophile Substanzen, darunter das am GABAA-Rezeptor angreifende Beruhigungsmittel Diazepam (Valium®), kön-nen die Blut-Hirn-Schranke leicht überwinden. Andere li-pophile Verbindungen werden jedoch durch Transport-systeme wie das P-Glycoprotein (7 Kap. 6.1.5) wieder in das Kapillarlumen zurücktransportiert und dadurch an der Passage gehindert.

Beim Erwachsenen verhindert die Blut-Hirn-Schranke bei Erhöhung des Plasmaspiegels einen Bilirubindurchtritt. Da die Blut-Hirn-Schranke nach der Geburt noch nicht voll ausgebildet ist, kann bei der persistierenden Hyperbiliru-binämie der Säuglinge Bilirubin in den Kerngebieten des Stammhirns abgelagert werden und zu Hirnschäden führen (Kernikterus, 7 Kap. 20.4.1).

Von seinem Bildungsort in den Hirnventrikeln strömt der im Plexus choroideus abfiltrierte Liquor über den Aquaeduct in den Subarachnoidalraum, der den äußeren Liquorraum darstellt. Durch die über dem Großhirn gele-genen Pacchioni-Granulationen wird der Liquor in die venösen Sinus, entlang des Rückenmarks an den Abgängen der Spinalnerven in venöse Plexus oder Lymphgefäße drai-niert. Entlang seiner ventrikulolumbalen Strömungsrich-tung ändert sich die Zusammensetzung des Liquors, wobei insbesondere der Proteingehalt zunimmt.

! Blut-Hirn-Schranke und Liquor dienen der Konstant-haltung des extrazellulären Milieus im Zentralnerven-system.

In ihrer Gesamtheit ist die Blut-Hirn-Schranke:4 für Gase wie CO2, O2 und NH3 permeabel4 für hydrophile, niedermolekulare Substanzen sowie4 für Elektrolyte wie HCO3

– oder NH4+ und Aminosäu-

ren jedoch kaum durchlässig

Das Gehirn wird durch die Blut-Hirn-Schranke vor Belas-tungen des Organismus, wie z.B. nichtrespiratorischen Stö-rungen des Säure-Basen-Gleichgewichts (7 Kap. 28.8.6) oder Störungen des Elektrolytstoffwechsels (Natrium, Ka-

lium, Chlorid, 7 Kap. 28.4.3, 28.5.2), geschützt. So kann die Kaliumkonzentration von Liquor cerebrospinalis und in-terstitieller Flüssigkeit des Gehirns auch bei Veränderungen des Plasmakaliums weitgehend konstant gehalten werden. Nur bei niedrigen extrazellulären Kaliumkonzentrationen ist die Funktion von Neuronen und Gliazellen gewährleis-tet, da der Kaliumgradient an der Plasmamembran das neu-ronale Transmembranpotential bestimmt. Dennoch kann sich die geringe Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke für Elektrolyte auch nachteilig auswirken, wenn die Plas-maosmolarität (7 Kap. 1.2.3) z.B. infolge einer Hyperhydra-tation (7 Kap. 28.3.3) abfällt. Bei Hyperhydratation bildet sich ein osmotischer Gradient zwischen Blut und Gehirn aus. Da die osmotisch aktiven Substanzen durch die Blut-Hirn-Schranke nur langsam ins Blut übertreten, strömt zum osmotischen Ausgleich Wasser aus dem Extrazellulär-raum in Liquorraum und Gehirn ein. Dadurch entwickelt sich ein Hirnödem mit ansteigendem intrakraniellen Druck, der zum Absinken der Hirndurchblutung und zur Einklemmung lebenswichtiger Strukturen des Stammhirns führen kann.

! Der Hydrogencarbonatpuffer bestimmt den pH-Wert des Liquors.

Die Säure-Basen-Pufferung des Liquor cerebrospinalis er-folgt vorwiegend durch das Kohlendioxid-Hydrogencar-bonat-System (7 Kap. 1.2.6), da Liquor nur wenig Protein und kein Hämoglobin enthält. Aufgrund einer anderen Elektrolytzusammensetzung (. Tabelle 31.2) ist der pK -Wert des Kohlendioxid-Hydrogencarbonat-Systems gegen-über Blut leicht erhöht. Als apolares Gas passiert CO2 die Blut-Hirn-Schranke leichter als Hydrogencarbonationen. Daher teilen sich Änderungen der extrazellulären CO2-Konzentration dem Liquorraum rasch mit, während die Hydrogencarbonatkonzentration im Liquor der Blutkon-zentration nur verzögert und unvollständig folgt. So findet man bei chronischen nichtrespiratorischen Azidosen und Alkalosen, bei denen zunächst der Hydrogencarbonat-spiegel betroffen ist, einen nahezu unveränderten pH-Wert des Liquor. Bei respiratorischen Azidosen und Alkalosen verschiebt sich dagegen das Liquor-pH gleichsinnig zum arteriellen Wert.

! Die Konzentrationen von Aminosäuren sind bis auf Glutamin im Liquor cerebrospinalis gering.

. Tabelle 31.2. Konzentrationsvergleich (mmol/l) der Ionenkon-zentrationen in Liquor cerebrospinalis und Blutplasma

Substanz Liquor Plasma

Na+ 150 145

K+ 21,5 24,4

Ca2+ 5,1 4,6

Cl– 1,1 1,27

HCO3– 0,1 0,12

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Mit Ausnahme von Glutamin, das den gleichen Gehalt wie im Plasma aufweist, erreichen die meisten Aminosäuren im Liquor nur geringe Konzentrationen. So betragen die Liquorkonzentrationen der als Neurotransmitter wir-kenden Aminosäuren Glutamat und Glycin nur 3–10% ihrer Plasmakonzentration. Ein Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma können zu einer freien Perme-abilität von Aminosäuren in die interstitielle Flüssigkeit des Gehirns führen und die synaptische Signalübertra-gung durch Überaktivierung der Neurotransmitter-Re-zeptoren erheblich beeinträchtigen (Exzitotoxizität; 7 Kap. 31.3.2).

! Änderungen der Liquorzusammensetzung haben diagnostische Bedeutung.

Erkrankungen des Nervensystems gehen häufig mit Li quor veränderungen einher. So kommen Schranken -störungen, d.h. Veränderungen der Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke, häufig bei Entzündungen des ZNS vor. Zur Labordiagnostik wird Liquor durch Lumbal-punktion gewonnen und auf folgende Parameter unter-sucht:4 Zellzahl: Während normaler Liquor fast zellfrei ist

(1–4 Zellen/ml), führt z.B. eine bakterielle Meningitis zu Zellvermehrungen auf >1000 Zellen/ml. In der aku-ten Phase handelt es sich überwiegend um Granulo-zyten

4 Glucose: Der Glucosegehalt von Liquor cerebrospinalis liegt bei 60% des Blutglucosespiegels und ist daher nur im Vergleich mit dem Blutwert aussagekräftig. Abnah-men der Liquorglucose sind für bakterielle oder durch Tumoraussaat bedingte Entzündungen der Meningen charakteristisch

4 Lactat: Zusammen mit einem Abfall des Liquorglucose-spiegels weist ein erhöhter Lactatgehalt (>2,1 mmol/l) auf eine bakterielle oder neoplastische Erkrankung hin, z.B. eine tuberkulöse Meningitis

4 Gesamtprotein: Liquor cerebrospinalis ist ein pro-teinarmes Plasmafiltrat, dessen Gesamtproteingehalt (<45 mg/dl) weniger als 1% des Proteingehalts von Plasma beträgt. Da die Blut-Hirn-Schranke größere Proteine zurückhält und Albumin die Hauptprotein-fraktion im Plasma darstellt, lassen sich Störungen der Blut-Hirn-Schranke an erhöhten Albumingehalten im Liquor erkennen. Charakteristisch für Schrankenstö-rungen sind Erhöhungen des Liquor/Serum-Quotien-ten für Albumin (Qalb >8 × 103)

4 Immunglobulin G: Einerseits gelangen Immunglobu-line mit dem Plasmafiltrat in den Liquor, andererseits werden sie bei chronischen Entzündungen des Nerven-systems intrathekal, d.h. im Liquorraum, gebildet. Das Ausmaß der intrathekalen Immunglobulin G-Synthese wird erfasst, indem deren Liquor/Serum-Quotient (QIgG) mit dem Quotienten für Albumin (Qalb) in Be-ziehung gesetzt wird. Aus dem Verhältnis von QIgG und Qalb wird die Größe der lokal synthetisierten Immun-globulin-G-Fraktion ersichtlich, die z.B. bei Neurobor-reliose (Lyme Disease) ein Drittel des Immunglobulin-G-Gehalts von Liquor erreichen kann. Da bei Entzün-dungen eine begrenzte Zahl von Plasmazellklonen gegen spezifische Antigene selektioniert werden, stellen sich in der elektrophoretischen Analyse (isoelektrische Fokussierung) von Immunglobulinen G oligoklonale Banden dar, die jeweils einem spezifischen Antikörper entsprechen. Der Nachweis eines vom Serum abwei-chenden oligoklonalen Bandenmusters im Liquor (. Abb. 31.3) bestätigt eine intrathekale Immunreak-tion, wie sie bei z.B. Multipler Sklerose fast regelmäßig nachgewiesen wird

Pathobiochemie: Das Auftreten von Proteinen, die norma-lerweise in Liquor cerebrospinalis nur in geringer Konzen-tration vorkommen, weist auf eine Schädigung des Gehirns oder seiner Hüllen durch Entzündungen, Tumoren oder degenerative Erkrankungen hin. Zu den differentialdiag-nostisch verwertbaren Markern gehören das karzinoem-bryonale Antigen (CEA) bei Karzinomen und 2-Mikro-globulin bei Lymphomen.

. Abb. 31.3. Oligoklonale Immunglobulin-Banden in Liquor cerebrospinalis. Bei der Liquoruntersuchung durch isoelektrische Fokussierung werden zusätzlich oligoklonale Banden sichtbar, wäh-rend im Serum nur polyklonale Banden gefunden werden. Dieser Befund weist auf eine lokale Synthese von Immunglobulinen im Liquorraum hin und ist für Entzündungen des ZNS typisch. (Aus: Poeck/Hacke, Neurologie)

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In Kürze

Das Gehirn deckt seinen Energiebedarf überwiegend mit Glucose. Ein plötzlicher Abfall des Blutglucosespiegels (Hypoglykämie) kann zu schweren Störungen der Gehirn-funktion führen. Im Säuglingsalter und nach langsamer Adaptation bei Nahrungskarenz kann das Gehirn Keton-körper verwerten. Die Blut-Hirn-Schranke trennt durch ihren besonde-ren Aufbau Gehirn und Blutkreislauf. Deshalb müssen sowohl vom Gehirn benötigte Substanzen als auch Stoffe,

die ausgeschieden werden sollen, durch Transportsysteme der Endothelzellen bewegt werden. Der einer ständigen Neubildung unterliegende Liquor cerebrospinalis wird in den Kapillaren des Plexus choroideus als proteinarmes Filtrat des Blutplasmas abgepresst. Er ähnelt in seiner Zusammensetzung der interstitiellen Flüssig-keit des Gehirns. Änderungen der Liquorzusammensetzung sind von erheblicher Bedeutung für die Diagnostik von Ent-zündungen und von Tumoren des Zentralnervensystems.

31.2 Neuronale Zellen

31.2.1 Struktur von Nervenzellen

Das menschliche Gehirn besitzt etwa 1011 Neurone, deren Verbund die zelluläre Basis für alle Gehirnleistungen schafft. Ein Neuron besteht aus (. Abb. 31.4):4 einem Zellkörper (Soma) mit einer Vielzahl weit ver-

ästelter Fortsätze (Neuriten)4 Dendriten, die dem Erregungsempfang dienen. Sie

leiten ihre Impulse als Potentialschwankungen über-wiegend elektrotonisch, ohne Aktionspotentiale aus-zulösen, zum Soma weiter

4 myelinisierten und nichtmyelinisierten Axonen. Diese leiten Erregungssignale in Form von Aktionspoten-tialen weiter bis zu den Nervenendigungen, wo sie die Freisetzung von Neurotransmittern auslösen

Neurone sind terminal differenzierte, nicht mehr zur Zell-teilung fähige Zellen. Inzwischen steht aber fest, dass auch im erwachsenen Gehirn Vorläuferzellen existieren, aus denen neue Neurone gebildet werden können. Deren Re-

generationsvermögen reicht jedoch nicht aus, um durch Schlaganfall oder Trauma zerstörte Hirnareale zu ersetzen.

Aufgrund ihrer besonderen Morphologie besitzen Neu-rone ein hochspezialisiertes Cytoskelett. Neben neuronen-spezifischen Intermediärfilamenten, den Neurofilamenten (. Tab. 6.6 in Kap. 6.3), finden sich zahlreiche Aktinfila-mente, welche für das Neuritenwachstum essentiell sind. Axone sind besonders reich an Mikrotubuli (7 Kap. 6.3.1), an denen der anterograde Transport von vesikulär verpack-ten Proteinen aus dem Zellkörper zur Nervenendigung und der retrograde Transport von dort durch Endozytose auf-genommenen Molekülen (z.B. Wachstumsfaktoren, Viren) zum Zellkörper erfolgt.

In Kürze

Neurone besitzen spezialisierte Zellfortsätze: Dendriten leiten eingehende Impulse in Form von elektrotoni-schen Potentialschwankungen zum Soma, von wo aus das Axon die Erregungen als Aktionspotentiale weiter-leitet.

. Abb. 31.4. Erregungsfortleitung im Neuron. Das Axon leitet Aktionspotentiale (Pfeile) vom Zellkörper zu den präsynaptischen Nervenendigungen (efferent), während Dendriten erregende und

hemmende Signale von anderen Neuronen empfangen (afferent), welche im Zellkörper aufsummiert werden

31.2 · Neuronale Zellen

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1030 Kapitel 31 · Nervensystem

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31.2.2 Membranpotential und Erregungs-leitung

! Ionengradienten werden durch energieabhängige Transport-ATPasen und Ionenkanäle aufrechterhalten.

Wie alle Körperzellen besitzen auch Nervenzellen ein ne-gatives Membranpotential, das im Ruhezustand bei etwa – 70 mV liegt. Dieses kommt durch das Zusammenwirken der Aktivität der Na+/K+-ATPase (7 Kap. 6.1.5) mit in der Plasmamembran der Nervenzellen lokalisierten sog. »pas-siven« Ionenkanälen zustande. Letztere bilden eine die Membran durchspannende Kanalpore, durch die Ionen ihrem Konzentrationsgefälle entsprechend fließen.

Zunächst entsteht durch die Aktivität der Na+/K+-ATPase ein Konzentrationsgradient von Natrium- und Ka-liumionen, der dazu führt, dass die Kaliumkonzentration in der Zelle wesentlich höher als außerhalb ist. Umgekehrt sind Natriumionen extrazellulär höher konzentriert. Die Aufrechterhaltung dieser Ionengradienten verbraucht bis zu zwei Drittel der gesamten metabolischen Energie eines Neurons. Die neuronale Plasmamembran enthält Kalium-kanäle, die im Ruhezustand für Kaliumionen durchlässig sind und einen Leckstrom vermitteln (leak channels). Daher diffundieren Kaliumionen von innen nach außen. Dagegen werden die nicht diffusiblen negativ geladenen Ionen (Pro-teine, Phosphatester) im Zellinneren zurückgehalten, wo-durch es zu einer negativen Aufladung des Zellinneren ge-genüber der Außenseite kommt. Diese Ladungsdifferenz neutralisiert den Kaliumausstrom, sodass sich ein Gleich-gewichtspotential einstellt, das dem Ruhepotential ent-spricht. Am Ruhepotential gleichen sich also der Kalium-ausstrom, die Pumpaktivität der Na+/K+-ATPase und die Ladungsenergie der intrazellulären Anionen aus.

In Kürze

Das Ruhemembranpotential wird durch die Na+/K+-ATPase und Ionenkanäle aufrechterhalten. Die Kaliumkonzentration ist intrazellulär hoch, extrazellulär niedrig. Die Natriumkonzentration ist intrazellulär niedrig, extrazellulär hoch.

! Die Öffnung von Natrium-Kanälen führt zur Depolarisa-tion und Weiterleitung von Aktionspotentialen.

Jedes Aktionspotential von Nervenzellen beginnt mit einer Abnahme des Membranpotentials (Depolarisation). So-bald das Schwellenpotential für die Aktivierung von span-nungsregulierten Natriumkanälen in der Plasmamembran erreicht wird, kommt es zu einer schnellen Öffnung dieser Kanäle. Der resultierende Natriumeinstrom in die Zelle führt zur weiteren Positivierung des Membranpotentials. Infolge dieser Depolarisation werden mit leichter Verzöge-rung spannungsregulierte Kaliumkanäle geöffnet, welche die Zellmembran durch gesteigerten K+-Ausstrom repola-

risieren und damit das Ruhepotential wieder herstellen. Der Zusammenbruch des Ionengradienten wird durch die Na+/K+-ATPase verhindert.

Eine Besonderheit der Nervenzellmembran ist ihre Fähigkeit, Aktionspotentiale rasch (1–120 m/s) und uni-direktional über Axone fortzuleiten. Diese gerichtete Fort-leitung basiert auf der Inaktivierung der spannungsregu-lierten Ionenkanäle, welche nach der Öffnung kurzfristig refraktär gegenüber einer erneuten Membrandepolarisa-tion sind. Die hohe Leitgeschwindigkeit myelinisierter Nervenfasern beruht auf einem saltatorischen Fortleitungs-mechanismus, bei dem das Aktionspotential von einem Ranvier’schen Schnürring zum nächsten springt. Ionen-kanäle sind Transmembranproteine, welche einen selekti-ven Ionenfluss durch Lipidmembranen vermitteln und in Neuronen das Ruhemembranpotential sowie die Entste-hung und Form von Aktionspotentialen kontrollieren.

Ionenkanäle besitzen eine zentrale Kanalpore, durch die Ionen definierter Größe und Ladung mit ihrer Hydrathülle sehr rasch hindurchfließen können. Die ionenselek tiven Ka-näle werden nach dem hindurchfließenden Ion benannt:4 Natrium-4 Kalium-4 Calcium- und4 Chloridkanäle

Kanalproteine von weniger ausgeprägter Ionenselektivität unterteilt man in:4 Kationen- und4 Anionenkanäle

Viele Ionenkanäle sind in der Lage, die Kanalpore für Ionen reguliert zu öffnen und zu schließen; diesen Vorgang be-zeichnet man als »gating« (. Abb. 31.5). Bei spannungs-regulierten Ionenkanälen wird die Öffnung (oder Schlie-ßung) von Änderungen des Membranpotentials gesteuert. Ligandengesteuerte Ionenkanäle werden dagegen durch Neurotransmitter oder andere extra- oder intrazelluläre Moleküle geöffnet (7 Kapitel 31.3.1).

! Die verschiedenen Ionenkanäle weisen gemeinsame Architekturmerkmale auf.

Die spannungsregulierten Ionenkanäle, welche die Fortlei-tung von Aktionspotentialen in Neuronen und anderen erreg-baren Zellen vermitteln, sind Glycoproteine mit Molekülmas-sen von 250–300 kD. Sie sind aus vier Untereinheiten bzw. Proteindomänen aufgebaut, die je sechs Transmembranseg-mente (S1–S6) besitzen (. Abb. 31.6). Zusätzlich können ak-zessorische Untereinheiten, die nicht an der Ausbildung der Kanalpore beteiligt sind, vorkommen. Charakteristisch für diese Kanalproteine ist ein viermal wiederholtes Motiv mit 6 Transmembransegmenten (6-TM). In jedem dieser Motive liegt zwischen den Segmenten S5 und S6 eine P-Schleife, wel-che die Ionenselek tivität der Kanalpore bestimmt (. Abb. 31.6). Die wichtigs ten Mitglieder dieser Familie sind:

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Spannungsregulierte Kaliumkanäle bestehen aus vier Untereinheiten mit jeweils einem 6-TM-Motiv, die durch nicht-covalente Wechselwirkungen zusammengehalten werden (. Abb. 31.6). Kaliumkanäle kommen als Homo-tetramere mit gleichen oder als Heterotetramere mit unter-schiedlichen Untereinheiten vor. Die einzelnen Unter-einheiten werden von mehr als 10 Genen codiert, die wie-derum durch alternatives Spleißen in verschiedenen Varianten auftreten können. Durch vielfältige Kombinatio-nen dieser Genprodukte entsteht eine Vielzahl von Kalium-kanal-Isoformen.

Im Gegensatz zu den tetrameren Kaliumkanälen beste-hen spannungsregulierte Natrium- und Calciumkanäle aus einer Polypeptidkette mit etwa 2000 Aminosäuren, die sich auf 4 homologe Domänen (D1, D2, D3, D4) mit je ei-nem 6-TM-Motiv verteilen (. Abb. 31.6). Zu dieser Gruppe gehört auch der Spannungssensor des Skelettmuskels, der ein Calciumkanal vom L-Typ ist (7 Kap. 25.4.5).

! Unterschiedliche Segmente der Kanalproteindomänen bilden die Pore und den Spannungssensor.

Verschiedenen strukturellen Elementen der o.g. Motive können besondere Funktionen zugeordnet werden:4 Die Helices S5 und S6 der vier 6-TM-Motive bilden mit

den sie verbindenden Peptidschleifen die Pore des Ionen kanals. Die Peptidschleifen bestehen aus etwa 21 Aminosäuren, die eine beta-Haarnadelstruktur bilden (7 Kap. 3.3.3). Zusammen bilden die vier Haarnadel-strukturen ein beta-Fass (die Pore umgebenden TIM-Barrel, benannt nach dem Enzym Triosephosphat-Iso-merase), durch das nach Aktivierung des Kanals Ionen permeieren können (. Abb. 31.7)

4 Das Segment S4 enthält eine hohe Anzahl positiv ge-ladener Aminosäureseitenketten (Lys, Arg) und dient

. Abb. 31.5. Schematisches Modell eines spannungsregulierten Ionenkanals. Der in der Lipidmembran liegende Spannungssensor aus positiv geladenen Aminosäuren induziert das Öffnen und Schlie-ßen eines den Ionenfluss regulierenden »Tores« (gate). Ein in der Porenregion liegender Selektivitätsfilter ist für die Unterscheidung einzelner Ionen verantwortlich

. Abb. 31.6. Schematische Darstellung der Membrantopologie von spannungsregulierten Ionenkanälen. Oben: Spannungsregu-lierte Kaliumkanäle sind aus vier gleichen oder auch unterschiedli-chen Untereinheiten D1–D4 aufgebaut, die sechs Transmembranseg-mente (S1–S6) besitzen. Zwischen den Transmembranhelices S5 und S6 befindet sich eine in die Membran schleifenförmig eingelagerte Porensequenz (P-Schleife, rot), die den Ionenkanal auskleidet. Natrium- und Calciumkanalproteine bestehen jeweils aus einer sehr langen Polypeptidkette, die vier zu Kaliumkanaluntereinheiten homologe Domänen (D1–D4) umfasst. Unten: Durch Assoziation der vier P-Schleifenregionen wird die zentrale Pore des Ionenkanals gebildet. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist nur eine Schleife gezeigt

31.2 · Neuronale Zellen

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1032 Kapitel 31 · Nervensystem

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zusammen mit den Helices S1–S3 als Spannungssen-sor, der seine Lage bei Änderungen des Membran-potentials wie ein Magnet in einem elektrischen Feld wechselt (. Abb. 31.8). Diese Konformationsänderung führt zur Öffnung des Kanals, wenn die Membran de-polarisiert wird

4 Bei Natrium- und Calciumkanälen dient die cytoso-lische Schleife, die das Segment S6 der Domäne 3 mit dem Segment S1 der Domäne 4 verbindet, der Kanal-inaktivierung. Durch Lagewechsel bei Membrande-polarisation wirken die geladenen Aminosäuren dieser Schleife als Tor und schließen den Kanal durch Blo-ckade der inneren Öffnung der Pore (. Abb. 31.8). Beim Kaliumkanal unterscheidet sich der Mechanismus des

Torschlusses geringfügig, da diese Kanäle aufgrund ihrer Tetramerstruktur eine andere Architektur besit-zen. Hier wirken die cytoplasmatischen N-Termini als Kanalverschluss (sog. ball-and-chain Mechanismus)

! Das S4-Segment von spannungsregulierten Ionenkanä-len ist ein Spannungsmessfühler, dessen Positionsände-rung die von der S5–S6-Schleife gebildete Kanalpore öffnet. Bewegliche intrazelluläre Domänen können den Ionenkanal inaktivieren.

Die Inaktivierung eines Ionenkanals ist kein direktes Rück-versetzen der S4-Domänen in den Ruhezustand, sondern erfolgt über einen inaktivierten, geschlossenen Zustand des Kanalproteins. Dies verhindert seine sofortige Reaktivie-

. Abb. 31.7. Der Selektivitätsfilter des K+ Kanals. Die Abbildung zeigt die zentrale Kristallstruktur eines bakteriellen Kaliumkanalpro-teins, das seine Organisation mit neuronalen Kaliumkanälen teilt. Unten: Die P-Schleifen bilden die Engstelle in der Kanalpore zwischen den S5 und S6 entsprechenden Transmembranhelices. Oben: Vergrö-ßerung der P-Schleifenregion mit gebundenen K+ Ionen. Interaktionen mit Carbonylgruppen des Polypeptidgerüsts vermitteln die Ionense-lektivität und Entfernung der Hydrathülle für durchtretende K+ Ionen

. Abb. 31.8. Modell der Öffnung und Schließung des Natrium-kanals. Oben: Die Transmembranhelix S4 wirkt als Spannungssensor, da sie in jeder dritten Position positiv geladene Aminosäuren enthält (Arginin R und Lysin K), zwischen denen hydrophobe Aminosäuren liegen. Unter dem Einfluss elektrostatischer Kräfte, d.h. bei Membran-depolarisation, ändert Helix S4 deshalb zusammen mit den Helices S1–S3 ihre Position in der Membran. Unten: Die gleichzeitige Positions-änderung aller vier Spannungsfühler öffnet den Kanal. Diese Konfor-mationsänderung leitet die nachfolgende Schließung ein, bei der die intrazelluläre Peptidschleife zwischen den Domänen D3 und D4 mit einem kritischen Phenylalaninrest (F) die Pore okkludiert

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rung, was für die gerichtete Ausbreitung von Aktions-potentialen von entscheidender Bedeutung ist.

Eine wichtige Eigenschaft von Ionenkanälen ist ihre Ionenselektivität. Diese wird durch von geladenen Amino-säureseitenketten gebildeten Ionenbindungsstellen in der Kanalpore erzeugt, welche spezifische Ionen von Bindungs-stelle zu Bindungsstelle weitergeben und so einen elektro-statisch unterstützten Ionenfluss erlauben. Geringfügige Unterschiede in der Position, Größe und Ladung der diese Bindungsstellen bildenden Aminosäuren sind für die Selek-tivität und Richtung des Ionenflusses verantwortlich. So sind bei spannungsregulierten Calcium- und Natriumka-nälen geladene Aminosäurereste in der P-Schleife am Ein-gangsbereich der Kanalpore für die Unterscheidung der fast gleich großen Ca2+ und Na+ Ionen entscheidend. In Kaliumkanälen sind Wechselwirkungen mit den Carbonyl-gruppen des Peptidgerüstes für das Abstreifen der Hydrat-hülle vom K+ Ion und damit die Selektivität der Pore ver-antwortlich (. Abb. 31.7).

Spannungsregulierte Chloridkanäle besitzen 12 Trans-membrandomänen (S1–S12) und weichen damit von die-sem Architekturprinzip ab. Der epitheliale Chloridkanal (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator) ist bei cystischer Fibrose mutiert (7 Kap. 9.2.5).

Die Aktivität von Kanalproteinen wird von Protein-kinasen und -phosphatasen moduliert. Fast alle Ionenka-nalproteine enthalten intrazelluläre Serin-, Threonin- und Tyrosinreste, die phosphoryliert und dephosphoryliert werden können. Dadurch wird die Aktivität von Ionen-kanälen durch Hormone (z.B. über den Insulinrezeptor), Adenylatcyclasen oder Rezeptoren, die ihre Wirkung über G-Proteine entfalten, regulierbar (. Abb. 31.9).

Pathobiochemie: Als Ionenkanalkrankheiten (chan-nelopathies) werden angeborene neurologische Störungen und Krankheiten des Herzens, der endokrinen Drüsen und der Niere bezeichnet, die durch Mutationen von Ionenkan-algenen verursacht werden (. Tabelle 31.3). Zu den neuro-

logischen Ionenkanalkrankheiten gehören erbliche Formen der Epilepsie, Ataxien oder die mit Halbseitenlähmung ein-hergehende familiäre hemiplegische Migräne.

In Kürze

Die Entstehung des Aktionspotentials wird durch die Aktivierung spannungsregulierter Ionenkanäle ge steu-ert, die ein gemeinsames Bauprinzip teilen. Spannungs-regulierte Natriumkanäle leiten die Membran depola ri sa-tion ein, während Kaliumkanäle die Repola risation ver-mitteln. Ionenkanäle können sich in drei verschiedenen Zuständen befinden: geschlossen, geöffnet und inak-tiviert. Die schnelle Inaktivierung ist für die gerichtete Weiterleitung des Aktionspotentials von Bedeutung. Mutationen von Ionenkanälen führen zu Ionen-kanalkrankheiten.

. Tabelle 31.3. Ionenkanalerkrankungen

Ionenkanal Mutiertes Gen Betroffene Untereinheit Krankheit

Na+ SCN1A 1 Epilepsie mit Fieberkrämpfen, Myoklonusepilepsie

Na+ SCN1B 1 Epilepsie mit Fieberkrämpfen

K+ KCNA1 (Kv1.1) Episodische Ataxie

K+ KCNQ1 (Kv7.1) Herzrhythmusstörungen (long QT-Syndrom)

Ca2+ CACNA1A 1A familiäre hemiplegische Migräne, Ataxie (SCA6)

Ca2+ CACNA1S 1S hypokaliämische periodische Paralyse, maligne Hyperthermie

Cl– CLCN1 α Myotonia congenita

Mutationen in den die Untereinheiten von Ionenkanälen kodierenden Genen führen abhängig von deren hauptsächlichen Expressionsorten zu Krankheiten mit unterschiedlichen Symptomen. So können Mutationen der im ZNS exprimierten 1A-Untereinheit des spannungsregu-lierten Calciumkanals eine mit Lähmungen einhergehenden Form der Migräne oder Ataxie auslösen, während Muta tionen der im Skelett-muskel vorkommenden Calciumkanaluntereinheit 1S Muskellähmungen hervorrufen. Vergleichbares gilt für Kalium kanäle: Ist das im ZNS exprimierte Gen KCNA1 mutiert, resultiert eine Ataxie, während Mutationen des im Herzen exprimierte Gens KCNQ1 zu tödlichen Herzrhyth-musstörungen führen können.

. Abb. 31.9. Regulation von Ionenkanälen durch Phosphorylie-rung. Die Proteinkinasen A und C (ss. Kap. 25) regulieren den Ionen-fluss durch die covalente Modifikation von Serin- und Threoninresten, während Phosphoproteinphosphatasen kovalent gebundenes Phos-phat entfernen. H = Hormon; R = Rezeptor; G = G-Protein; PKA = Pro-teinkinase A; PKC = Proteinkinase C; PLC- = Phospholipase C

31.2 · Neuronale Zellen

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1034 Kapitel 31 · Nervensystem

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31.2.3 Synapsen: Aufbau und Funktion

Synapsen sind für die schnelle Erregungsübertragung spe-zialisierte Kontaktstellen zwischen Nervenzellen. Änderun-gen in der Effizienz der synaptischen Erregungsübertra-gung werden als ursächlich für höhere Hirnfunktionen wie z.B. die Gedächtnisbildung angesehen.

Nervenzellen kommunizieren über elektrische Synap-sen, bei denen die Zellen direkt elektrisch gekoppelt sind, oder über chemische Synapsen miteinander. Bei letzteren vermittelt ein chemischer Überträgerstoff (Neurotransmit-ter) die Signalübertragung.

! Elektrische Synapsen sind bidirektional und meistens exzitatorisch.

Elektrische Synapsen werden von gap junctions gebildet, die aus sechs Untereinheiten, den sog. Connexinen beste-hen (7 Kap. 6.1.4). Wichtig sind sie für die rasche Synchro-nisierung von Gruppen von Nervenzellen in Hirnarealen wie den Oliven- und Kleinhirnkernen. Durch die Poren der gap junctions können nicht nur Ionenströme, sondern auch second messenger wie Calcium, cAMP oder Inositol-phosphate sowie Metabolite fließen. Im Gegensatz zu che-mischen Synapsen wirken elektrische Synapsen meist ex-zitatorisch und ohne Richtungsselektivität – sie können Signale in beiden Richtungen von einer Zelle auf die andere übertragen. Die Öffnung von gap junctions wird u.a. vom Spannungsunterschied zwischen zwei Neuronen reguliert. Ist der Spannungsunterschied hoch, sinkt die Durchlässig-keit des Kanals.

! Chemische Synapsen benötigen Neurotransmitter zur Erregungsübertragung.

Chemische Synapsen vermitteln die Erregungsübertra-gung durch spezielle Botenstoffe, die Neurotransmitter. Diese werden aus der Nervenendigung durch ankom-mende Aktionspotentiale freigesetzt. Dort sind sie in spe-ziellen Speicherorganellen, den synaptischen Vesikeln, angereichert (. Abb. 31.10). Die in den synaptischen Spalt freigesetzten Neurotransmitter diffundieren rasch zur postsynaptischen Membran der nachgeschalteten Nervenzelle und binden dort an spezifische Rezeptoren. Dies führt zu einer Änderung des Membranpotentials und kann so einen neuen elektrischen Nervenimpuls aus-lösen.

Anatomisch sind chemische Synapsen durch das prä-synaptische Axonende und die darunter liegende speziali-sierte postsynaptische Membran (. Abb. 31.10) der Ziel-zelle (ein zweites Neuron oder auch eine Muskel- oder Drüsenzelle) charakterisiert. Zwischen beiden liegt der schmale, etwa 20 nm breite synaptische Spalt. Jedes Neu-ron im ZNS ist mit durchschnittlich ca. 104 anderen Neu-ronen über chemische Synapsen verbunden, sodass im er-wachsenen Gehirn ein Netzwerk mit über hunderttausend Milliarden (1014) Synapsen vorliegt.

! Neurotransmitter werden von Neuronen synthetisiert, gespeichert und sezerniert.

Neben Acetylcholin wirken als Neurotransmitter:4 Aminosäuren (Glutamat, Glycin),4 Derivate von Aminosäuren (biogene Amine) oder4 Peptide bzw. Polypeptide

Nach ihrer Biosynthese im Cytosol werden Neurotrans-mitter mittels spezifischer Transportsysteme in die synap-tischen Vesikel aufgenommen. Die . Abbildung 31.11 zeigt den Aufbau eines derartigen Vesikels und die Topologie wichtiger in diesen Vesikeln identifizierter Membranpro-teine. Die vesikulären Neurotransmittertransporter kata-lysieren einen sekundär aktiven Transmitter-Protonen-Antiport. Für die Herstellung des benötigten Protonen-gradienten wird eine V-Typ-ATPase (7 Kap. 6.1.5) benötigt. Meist sind in den synaptischen Vesikeln mehrere Trans-mitter lokalisiert, wie z.B. Acetylcholin oder Noradrenalin zusammen mit Peptidtransmittern (7 Kap. 31.3.8). Auch

. Abb. 31.10. Schematischer Schnitt durch eine chemische Synapse. In der präsynaptischen Nervenendigung finden sich neben Mitochondrien in großer Zahl synaptische Vesikel, die mit einem oder verschiedenen Transmittern gefüllt sind. Einige dieser Vesikel sind an der präsynaptischen Plasmamembran angedockt. Die Depolarisierung der präsynaptischen Nervenendigung führt zur Öffnung spannungs-regulierter Calciumkanäle und löst so die Exozytose der Transmitter aus synaptischen Vesikeln aus. Im synaptischen Spalt werden dadurch schnell hohe Konzentrationen des Transmitters erreicht, der Trans-mitter wird von entsprechenden Rezeptoren in der postsynaptischen Membran gebunden, wodurch die Erregung fortgeleitet wird. An-schließend wird die Vesikelmembran durch Clathrin-vermittelte Endo-zytose (7 Kap. 6.2.4) der Wiederverwendung zugeführt

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ATP wird, häufig in stöchiometrischem Verhältnis zu den Transmittern, durch ein spezifisches Transportsystem in die synaptischen Vesikel aufgenommen. Es moduliert die Transmitterwirkung über spezifische Purinrezeptoren. Pharmakologisch wichtig ist, dass die für die Transmitter-aufnahme benötigten Antiporter durch Medikamente beeinflusst werden können. So sind Phesamicol bzw. Re-serpin Hemmstoffe der Acetylcholin- bzw. katecholamin-Aufnahme in synaptische Vesikel.

Neben diesen Transportsystemen enthält die Membran synaptischer Vesikel weitere Proteine, die für Wechselwir-kungen mit dem Cytoskelett und für die Neurotransmitter-freisetzung wichtig sind. Synapsin immobilisiert Vesikel am Cytoskelett, vor allem durch Bindung an Aktinfilamen-te. Diese Bindung wird durch Calcium-aktivierte Phos-phorylierung von Synapsin aufgehoben und so die Vesikel zur Fusion und Exozytose freigegeben. Mehrere andere Proteine sind für den eigentlichen Sekretionsvorgang ver-antwortlich.

! Die Neurotransmitterfreisetzung aus synaptischen Vesikeln erfolgt an spezialisierten Bereichen der Plas-mamembran, den sog. aktiven Zonen, und erfordert eine Vielzahl interagierender Proteine.

Das Andocken von synaptischen Vesikeln an der präsynap-tischen Plasmamembran wird von SNARE (soluble N-ethyl-

maleimide sensitive fusion protein attachment protein re-ceptors)-Proteinen vermittelt. SNARE-Proteine sind in al-len eukaryotischen Zellen an Membranfusionen beteiligt (7 Kap. 6.2.4). Die synaptischen SNARE-Proteine bilden einen sehr stabilen Andockungskomplex (. Abb. 31.12). Auf der Vesikelseite ist das Protein Synaptobrevin (syn. VAMP) beteiligt, welches die Funktion eines v (vesicular)-SNARE-Proteins (7 Kap. 6.2.4) übernimmt, indem es mit den t (target)-SNARE-Proteinen Syntaxin und SNAP-25 in der präsynaptischen Plasmamembran einen aus vier

-Helices bestehenden Komplex bildet (. Abb. 31.12). Dieser ternäre SNARE-Komplex ist mit regulatorischen Proteinen wie dem kleinen G-Protein Rab3 (ras-related in brain) und dem Calcium-bindenden Vesikelprotein

. Abb. 31.11. Aufbau synaptischer Vesikel. Die Membran synapti-scher Vesikel enthält Proteine für die Aufnahme von Transmittern, eine Protonen-ATPase sowie Calcium- und ATP-Transporter. Synapsin fixiert die Vesikel am Cytoskelett. Synaptobrevin und die GTPase Rab 3 sind für das Andocken an der Plasmamembran notwendig. Synaptotagmin dient als Calciumsensor. Synaptophysin ist ein sehr häufiges Vesikel-membranprotein ungeklärter Funktion

. Abb. 31.12. Der synaptische Vesikel-Andockungskomplex. Oben: Das v-SNARE Synaptobrevin (blau) und die t-SNARE-Proteine Syntaxin (rot) und SNAP-25 (grün) bilden einen sehr stabilen Komplex aus vier α-Helices (sog. tetrahelicales Bündel), der die Vesikelmembran dicht an die Plasmamembran anlagert. Tetanustoxin (TeTX) und ver-schiedene Botulinumtoxine (BoTX-B) hemmen die Neurotransmitter-freisetzung, indem sie die SNARE-Proteine an den angezeigten Posi-tionen spalten. Unten: Der »gedockte« SNARE-Komplex wird durch Synaptotagmin stabilisiert. Bei Erregung der Nervenendigung ein-strömendes Calcium bindet an Synaptotagmin und löst dadurch eine Konformationsänderung aus, welche die exozytotische Membran-fusion einleitet

31.2 · Neuronale Zellen

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1036 Kapitel 31 · Nervensystem

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Synaptotagmin assoziiert, welches bei der Vesikelfusion mit der präsynaptischen Membran als Calciumschalter wirkt. Bei Erregung der Nervenendigung durch ankom-mende Aktionspotentiale werden spannungsregulierte Calciumkanäle geöffnet, sodass es zum Einstrom von extrazellulärem Calcium in die Nervenendigung kommt. Der resultierende Anstieg des intrazellulären Calciums führt zu einer Konformationsänderung des mit dem SNARE-Komplex assoziierten Synaptotagmin, die wiederum die Fusion der gedockten Vesikel mit der Plasmamembran ein-leitet (. Abb. 31.12). Zusammenfassend handelt es sich also bei der Neurotransmitterfreisetzung um einen Spezialfall der SNARE-vermittelten Membranfusion, welcher sich durch eine strikte örtliche und zeitliche Kontrolle des Fusions ereignisses durch Proteine der aktiven Zone und Calcium auszeichnet.

Nach der Fusion der synaptischen Vesikel mit der Plas-mamembran und der dadurch bewirkten Transmitterfrei-setzung wird die synaptische Vesikelmembran mit ihren Membranproteinen durch Clathrin-vermittelte Endozy-tose (7 Kap. 6.2.4) rasch wieder ins Cytoplasma aufgenom-

men und die so entstehenden Vesikel erneut der Wieder-beladung mit Neurotransmittern und der Exozytose unter-worfen. Die synaptischen Vesikel durchlaufen also an der Synapse einen Lebenszyklus (Dauer ca. 30–45 sec; . Abb. 31.10), welcher durch lokale Regulationsmechanismen ihr kontinuierliches recycling erlaubt.

Pathobiochemie: Die Toxine der Sporen bildenden Bakterien Clostridium tetani und Clostridium botuli-num lösen schwere, häufig tödlich verlaufende Erkrankun-gen (Wundstarrkrampf bzw. Botulismus nach Fleischver-giftungen) aus, die auf einer irreversiblen Blockade der Neurotransmitterfreisetzung aus hemmenden bzw. erre-genden Synapsen beruhen. Dementsprechend kommt es zu einer spastischen bzw. schlaffen Lähmung der Musku-latur. Die Toxine dieser Bakterien sind Zinkproteasen, die synaptische SNARE-Proteine hochspezifisch spalten (. Abb. 31.12) und so die Funktion des SNARE-Komplexes blockieren. Heute wird Botulinustoxin rekombinant her-gestellt und zur lokalen Behandlung fokaler Dystonien (Blepharospasmus, Torticollis spasmodicus) und zur kos-metischen Glättung von Hautfalten eingesetzt.

In Kürze

Nervenzellen kommunizieren miteinander über elektri-sche Synapsen, die von gap junctions gebildet werden, oder über chemische Synapsen. Unter dem Einfluss eines Aktionspotentials setzen letztere aus präsynapti-schen Vesikeln einen Neurotransmitter frei. Als Neuro-transmitter wirken Acetylcholin, biogene Amine (z.B. Serotonin, Histamin, Tryptamin), Aminosäuren und Pep-tide, die zunächst über einen Transmitter-Protonen-

Antiport in die Vesikel aufgenommen werden. Das An-docken von Vesikeln an die präsynaptische Membran und die Fusion werden durch SNARE-Proteine vermittelt, wo-bei das Vesikelprotein Synaptotagmin als Calciumschalter wirkt. Die Neurotransmitterfreisetzung wird durch Bakte-rientoxine gehemmt, welche als Zinkproteasen wirken und die synaptischen SNARE-Proteine spalten.

31.3 Chemische Signalübertragung zwischen Neuronen

31.3.1 Allgemeine Prinzipien

! Neurotransmitter lösen sehr schnelle Effekte an Ionen-kanalrezeptoren und langsamere Effekte an metabotro-pen Rezeptoren aus.

Die postsynaptische Membran ist mit Rezeptoren für den sezernierten Transmitter dicht bestückt. Diese Rezeptoren besitzen entweder Ionenkanalfunktion, welche durch die Bin-dung des Transmitters reguliert wird (»ionotrope« Rezep-toren), oder sie aktivieren intrazelluläre Signalkaskaden oder Ionenkanäle über G-Proteine (»metabotrope« Rezeptoren).

! Ionotrope Rezeptoren sind aus homologen Unterein-heiten aufgebaute oligomere Membranproteine.

Ionotrope Rezeptoren (syn. liganden-gesteuerte Ionen-kanäle) sind aus 3–5 Untereinheiten aufgebaut. Sie werden in drei große Familien eingeteilt:

4 Pentamere Rezeptoren der sog. nikotinischen Acetyl-cholin-Rezeptor Superfamilie

4 Tetramere ionotrope Glutamat-Rezeptoren4 Trimere ATP-Rezeptoren der P2X-Familie

Die verschiedenen Rezeptorfamilien unterscheiden sich nicht nur in der Zahl ihrer Untereinheiten, sondern auch in deren Membrantopologie und der Anordnung funktionel-ler Domänen wie der Ligandenbindungstaschen und der Kanalporen (. Abb. 31.13). So wird z.B. der Ionenkanal der pentameren Rezeptoren von den -Helices bildenden zweiten Transmembransegmenten der fünf Unterein heiten gebildet (7 Kap. 25.3.2). In den Glutamatrezeptoren dage-gen stellt das zweite Transmembransegment ähnlich wie in span nungsregulierten Kanälen eine intramembranäre Schleife dar, welche im Tetramer das Kanalinnere ausklei-det und den Selektivitätsfilter bildet. Bei den einfacher aufgebauten P2X-Rezeptoren wird der Ionenkanal mög-licherweise von allen sechs Transmembransegmenten des drei Unterein heiten enthaltenden Rezeptorkomplexes auf-gebaut.

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Die »metabotropen« Neurotransmitter-Rezeptoren sind über heterotrimere G-Proteine an intrazelluläre Si-gnaltransduktionskaskaden wie den cAMP-Weg oder das InsP3/DAG-System gekoppelt. Diese stimulieren z.B. die Proteinkinase A (7 Kap. 25.6.2) bzw. CaM-Kinasen (7 Kap. 25.4.5) und modulieren auf diese Weise die Aktivität von Ionenkanälen der postsynaptischen Membran. Häufig re-gulieren metabotrope Rezeptoren nachgeschaltete Ionen-kanäle auch direkt, meist über G-Protein -Unterein-heiten. Wichtig ist, dass die Neurotransmitter Glutamat, GABA, Acetylcholin, Serotonin und der Cotransmitter ATP sowohl Ionenkanalrezeptoren als auch metabotrope Rezeptoren aktivieren. Dagegen wirken Katecholamine, Endorphine (7 Kap. 31.3.8) und andere Neuropeptide aus-schließlich über G-Protein gekoppelte Rezeptoren.

Die meisten Neurotransmitter-Rezeptoren kommen in Isoformen vor, die sich vielfach in Expressionsmuster und funktionellen Eigenschaften unterscheiden. Diese Iso-formen werden von unterschiedlichen Genen codiert, was

häufig zu hoher Rezeptorheterogenität führt. So sind für den ionotropen GABAA-Rezeptor 17 Untereinheitengene bekannt, welche in unterschiedlichen Kombinationen zu funktionellen Kanälen zusammengesetzt werden können.

! Neurotransmitter werden nach Bindung an den Rezep-tor inaktiviert.

Nach der Freisetzung und Aktivierung postsynaptischer Rezeptoren wird die Neurotransmitterwirkung entweder durch enzymatischen Abbau wie im Falle des Acetylcho-lins oder, häufiger, durch Wiederaufnahme in die prä-synaptische Nervenendigung oder umliegende Gliazellen beendet. Diese Wiederaufnahme wird von Neurotrans-mitter-Transportern vermittelt, welche als Symporter (7 Kap. 6.1.3) die Transmitter Natrium-abhängig durch die präsynaptische Membran ins Cytosol transportieren. Auch die Neurotransmitter-Transporter bilden Großfamilien, die gemeinsame Strukturprinzipien aufweisen. So teilen die Katecholamin-, Serotonin-, GABA- und Glycintransporter

. Abb. 31.13. Schematische Darstellung der Quaternärstruktur Neurotransmitter-gesteuerter Ionenkanäle und der Membranto-pologien der zugehörigen Rezeptoruntereinheiten. Oben: Ionen-kanalrezeptoren vom Typ des nikotinischen Acetylcholinrezeptors sind pentamere Membranproteine, die bis zu vier verschiedene Unter-einheiten enthalten können. Glutamatrezeptoren vom AMPA-, Kainat- und NMDA-Subtyp bestehen aus vier identischen oder unterschied-lichen Untereinheiten. ATP-gesteuerte Ionenkanäle des P2X-Typs sind trimere Transmembranproteine. Unten: Die Untereinheiten von Re-zeptoren der nikotinischen Acetylcholinrezeptorfamilie besitzen vier Transmembransegmente; das zweite Transmembransegment (orange) kleidet den Ionenkanal aus. Glutamatrezeptoruntereinheiten besitzen ebenfalls vier Membrandomänen; hier wird der Kationenkanal ähnlich

wie bei den spannungsregulierten Ionenkanälen von der schleifen-förmig in die postsynaptische Membran eintretenden Domäne M2 (orange) gebildet. Bei den P2X-Rezeptoren ist die Kanalregion noch nicht genau bekannt; wahrscheinlich tragen beide Transmembran-regionen der Untereinheiten (teilweise orange) zur Pore bei. Die Neuro-transmitter-Bindungsstellen (L) werden bei Rezeptoren der Acetyl-cholinrezeptorfamilie (und wahrscheinlich auch P2X-Rezeptoren) von den extrazellulären Domänen zweier benachbarter Untereinheiten gebildet, während bei Glutamatrezeptoren die extrazellulären Domä-nen S1 und S2 einer einzelnen Untereinheit das Glutamatmolekül wie Muschelschalen umschließen. Die cytoplasmatischen Domänen der Rezeptoruntereinheiten sind u.a. für den intrazellulären Transport und die synaptische Verankerung der Rezeptoren wichtig

31.3 · Chemische Signalübertragung zwischen Neuronen

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31eine gemeinsame Transmembrantopologie mit 12 Trans-membrandomänen, welche sich auch bei anderen Meta-bolitentransportern findet.

! Die Wirkung von Transmittern kann durch Hemmstoffe selektiv blockiert werden.

Eine Reihe von Hemmstoffen kann über verschiedene Me-chanismen die Wirkung von Neurotransmittern inhibieren (. Tabelle 31.4). So blockiert z.B. Reserpin die Aufnahme von Noradrenalin in synaptische Vesikel und wird klinisch zur Behandlung des Bluthochdrucks eingesetzt. Synthe-tische Antagonisten von Neurotransmitterrezeptoren be-sitzen zunehmend klinische Bedeutung. So wird z.B. ein Antagonist des Subtyps 3 des Serotoninrezeptors (5-HT3) gegen das Cytostatika-induzierte Erbrechen angewendet. Die Hemmung des Plasmamembran-ständigen Serotonin-transporters durch spezifische Wiederaufnahmehemmer (Imipramin, Fluoxetin) stellt eine klinisch wichtigste The-rapie zur Behandlung von depressiven Erkrankungen dar.

Im Folgenden sind die einzelnen Transmitter, ihre Syn-these, Rezeptoren und deren Effekte dargestellt.

31.3.2 Glutamat

! Glutamat ist der wichtigste exzitatorische Neurotrans-mitter im ZNS. Er wirkt über verschiedene Glutamat-rezeptoren, welche in ionotrope (Ionenkanalproteine) und metabotrope (G-Protein-gekoppelte) Rezeptoren eingeteilt werden.

Ionotrope Glutamatrezeptoren werden aufgrund ihrer Aktivierbarkeit durch synthetische Agonisten, die Gluta-mat oder Aspartat ähneln, in drei Gruppen eingeteilt:4 AMPA- ( -Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4-Isoxazolpro-

pionat)4 Kainat-, und4 NMDA- (für N-Methyl-D-Aspartat) Rezeptoren

Die Bindung von Glutamat an diese Rezeptoren erhöht die Membranpermeabilität für Natrium- und Calciumionen und führt damit zur Erregung der Nervenzellmembran. Iono-trope Glutamatrezeptoren sind tetramere Proteine, die aus vier gleichen oder unterschiedlichen Untereinheiten aufge-baut sind. Agonisten und Antagonisten werden zwischen den extrazellulären Domänen einer Untereinheit gebunden (. Abb. 31.13). Agonistenbindung bewirkt eine konforma-

. Tabelle 31.4. Neurotransmitter

TransmitterBezeichnung der entspre-chenden Neuronen

Vorstufen Vorkommen Inaktivierung Hemmstoffe

Acetylcholincholinerge Neuronen

Acetyl-CoA(aus Citratzyklus)und Cholin

Motorische Endplatte, autono-me Ganglien, Nucleus caudatus

Enzymatische Hydrolyse

Curare (kompetitiv am nikotischen Re-zeptor)Atropin (kompeti-tiv am muskarini-schen Rezeptor)

Dopamin (D), Noradrenalin (N) und Adrenalin (A) dopaminerge bzw. adrenerge Neuronen

Tyrosin D: Corpus striatum, Putamen, Nucleus caudatus

N: Hypothalamus, Substantia nigra

A: Nebennierenmark

Vorwiegend durch Wiederaufnahme (Desaminierung, O-Methylierung)

Reserpin (hemmt Noradrenalin-aufnahme in die Vesikel)

γ-Aminobutyratgabaerge Neuronen

Glutamat (aus -Ketoglutarat)

Purkinje-Zellen des Rücken-marks, Cortex

Wiederaufnahme Pikrotoxin

Glycinglycinerge Neuronen

Serin(aus Glucose)

Rückenmark,Stammhirn

Wiederaufnahme Strychnin

Serotoninserotoninerge Neuronen

Tryptophan Hypothalamus,Nucleus caudatus, Epiphyse

Wiederaufnahme und enzymatische Methylierung oder Desaminierung

Ondansetron

Glutamat -Ketoglutarat(aus Citratzyklus)

Ubiquitär Wiederaufnahme

Endorphine und Enkephalinepeptiderge Neuronen

1. Proopiomelano-cortin

2. Enkephalin-vorläufer

3. Dynorphinvor-läufer

Pars intermedia der Hypophyse Nebennieren

Enzymatische Hydrolyse

Naloxon

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tionelle Umlagerung, welche den von der Schleifenregion des zweiten Membransegments gebildeten Ionen kanal öffnet.

Ionotrope Glutamatrezeptoren, insbesondere vom NMDA-Subtyp, sind an der Gehirnentwicklung, synapti-schen Plastizität und Gedächtnisbildung entscheidend be-teiligt. Während AMPA- (und Kainat-) Rezeptoren allein durch Bindung von Glutamat aktiviert werden, erfordert die Öffnung von NMDA-Rezeptoren zusätzlich eine De polari-sation der postsynaptischen Plasmamembran sowie die gleichzeitige Bindung von Glycin. NMDA-Rezeptoren wir-ken dadurch als Koinzidenz-Detektoren für Glutamataus-schüttung und Nervenzellaktivität, was zusammen mit dem von ihnen vermittelten Einstrom von Calciumionen die Langzeitpotenzierung exzitatorischer Synapsen er möglicht.

Metabotrope Glutamatrezeptoren stimulieren über G-Proteine die Phospholipase C oder inhibieren die Ade-nylatcyclase. Da sie prä- und/oder postsynaptisch lokali-siert sind, können sie unterschiedliche Effekte auf die syn-aptische Erregungsübertragung ausüben. So bewirken z.B. hohe Glutamatkonzentrationen im synaptischen Spalt eine Aktivierung von präsynaptischen Glutamatrezeptoren, die über einen G-Protein-vermittelten Mechanismus den Ein-strom von Calcium durch Calciumkanäle vermindert und so die Ausschüttung von Glutamat unterdrückt. Dagegen verstärkt die Aktivierung postsynaptischer metabotroper Glutamatrezeptoren die ionotrope Glutamatrezeptorant-wort über eine erhöhte InsP3-Synthese, welche zur Frei-setzung von Calcium aus intrazellulären Speichern führt.

Pathobiochemie: Normalerweise ist die Glutamat-konzentration in Liquor cerebrospinalis und im Extrazellu-lärraum des Gehirns niedrig. Bei Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma kann es jedoch zu einer ungeregelten Glut-amatfreisetzung und einem Einstrom von Glutamat aus dem Blutplasma kommen, der durch die Transportsysteme nicht mehr kompensiert werden kann. Die exzessive Sti-mulation von ionotropen Glutamatrezeptoren führt in den betroffenen Neuronen zu einem massiven Calciumein-strom und schließlich zum apoptotischen Zelluntergang. Dieser als Exzitotoxizität bezeichnete Pathomechanismus soll auch zum Nervenzelluntergang bei Epilepsien und neurodegenerativen Krankheiten beitragen.

31.3.3 Acetylcholin

! Acetylcholin ist der einzige Neurotransmitter, der nicht aus Aminosäuren oder deren Derivaten besteht.

Acetylcholin, der Essigsäureester des Aminoalkohols Cho-lin, wirkt als Neurotransmitter4 an der motorischen Endplatte4 in Ganglien des autonomen Nervensystems und4 an cholinergen Synapsen in Gehirn und Rückenmark

Acetylcholin wird aus Cholin und Acetyl-CoA durch das En-zym Cholinacetyltransferase im Cytosol der Nerven endi -

gungen gebildet und anschließend in synaptische Vesikel auf-genom men (. Abb. 31.14). An der neuromuskulären Synapse führt die Freisetzung von Acetylcholin in den synaptischen Spalt (ca. 107 Moleküle pro Impuls) zur Ak ti vierung des niko-tinischen Acetylcholin-Rezeptors, des am besten erforschten Mitglieds der Familie der pentameren Neurotransmitterrezep-toren. Die im Muskel exprimierte Variante dieses Glycopro-teins besteht aus 4 homologen Untereinheiten mit der Stöchio-metrie 2 (. Abb. 31.14). Neuronale nikotinische Acetyl-cholin-Rezeptoren sind da gegen entweder nur aus -Unter-einheiten aufgebaut oder Heteropentamere aus - und -Un-tereinheiten. Jede Untereinheit umfasst eine große N-terminale Region sowie vier Transmembrandomänen (M1–M4). Die Bin-dungsstelle für Acetylcholin liegt an der Kontakt fläche zwi-schen den -Untereinheiten und ihren jeweiligen Nachbarn.

31.3 · Chemische Signalübertragung zwischen Neuronen

. Abb. 31.14. Molekülstruktur des nikotinischen Acetylcholin-rezeptors an der neuromuskulären Endplatte. a Die fünf Unterein-heiten (2α,β,γ,δ) sind pseudosymmetrisch um den zentralen Kationen-kanal angeordnet. Jede Untereinheit besitzt eine lange extra zelluläre Domäne und vier Transmembransegmente M1–M4. Der Ionen kanal entsteht durch Assoziation der fünf M2-Helices (rot). Die α-Unterein-heiten sind für die Bindung von Acetylcholin besonders wichtig. b Abfolge der molekularen Vorgänge zwischen der Depolari sation der präsynaptischen Membran und der postsynaptischen Erregung

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! Nikotinische Acetylcholinrezeptoren sind unselektive Kationenkanäle.

Ebenso wie bei den ionotropen Glutamatrezeptoren befin-det sich der Ionenkanal im Zentrum des Rezeptorproteins (. Abb. 31.14). Die Bindung von Acetylcholin verursacht über einen allosterischen Effekt eine Konformationsände-rung und damit die Öffnung des Kationenkanals. Dieser wird durch Assoziation der fünf M2-Segmente gebildet und erlaubt im geöffneten Zustand den Einstrom einwertiger Kationen ins Cytosol. Aufgrund der Potentialverhältnisse an der postsynaptischen Membran fließen Natriumströme ins Zellinnere, die zu einer Depolarisation, dem exzitato-rischen postsynaptischen Potential, führen.

Im Gehirn und anderen Geweben kommen auch G-Protein-gekoppelte Acetylcholinrezeptoren vor. Da sich diese metabotropen Rezeptoren im Gegensatz zu den ligan-denregulierten Ionenkanälen durch das Fliegenpilzgift Muskarin aktivieren lassen, bezeichnet man sie als mus-karinische Acetylcholinrezeptoren. Sie vermitteln auch die Wirkungen des parasympathischen Nervensystems auf Drüsen und glatte Muskulatur.

Nach der Rezeptorbindung wird Acetylcholin von Acetyl cholinesterase rasch zu Cholin und Acetat hydro-lysiert, sodass der Übertragungsvorgang in Millisekunden beendet ist (. Abb. 31.15). Cholin wird erneut in die Ner-venendigungen aufgenommen und steht damit wieder für die Acetylcholinbiosynthese zur Verfügung.

Acetylcholinesterase ist ein oligomeres Enzym, dessen Isoformen hochkonzentriert im synaptischen Spalt vorlie-gen. An der motorischen Endplatte ist das Enzym über eine Kollagentripelhelix an die Basalmembran gebunden, wäh-rend es an zentralnervösen Synapsen über einen lipophi-len Glycosylphosphatidylinositol(GPI)-Anker in die post-synaptische Membran insertiert ist. Ein katalytischer Serin-rest im aktiven Zentrum der Acetylcholinesterase stellt den Angriffspunkt von reversiblen Acetylcholinesterasehem-mern wie Physostigmin dar. Diese Medikamente werden bei Myasthenia gravis und Demenzen eingesetzt, um die Acetylcholinkonzentration im synaptischen Spalt zu er-höhen und die Übertragungs effizienz zu verbessern. Den katalytischen Serinrest covalent modifizierende Organo-phosphate haben als hochtoxische Insektizide und Kampf-gase Verwendung gefunden.

Pathobiochemie: Myasthenia gravis ist eine Autoim-munkrankheit, bei der sich Antikörper gegen den nikotini-schen Acetylcholinrezeptor der neuromuskulären Synapse bilden. Die motorische Endplatte wird durch diese Immun-reaktion geschädigt und die neuromuskuläre Signalüber-tragung gestört. Dadurch kommt es zu einer belastungsab-hängigen Schwäche der Skelettmuskulatur. Häufig sind die Lidheber des Auges so stark betroffen, dass sich die Lider über das Auge senken und den Blick des Patienten stören. Acetylcholin wird durch Esterasen in der postsynaptischen Membran abgebaut.

31.3.4 Glycin und γ-Aminobutyrat (GABA)

Glycin ist der wesentliche inhibitorische Transmitter im Rückenmark und Stammhirn, während GABA auf fast alle Neurone des Gehirns hemmend wirkt.

GABA ( -Aminobutyrat) wird in einer Pyridoxal-phosphat-abhängigen Reaktion durch Decarboxylierung von Glutamat gebildet. In Nerven- und Gliazellen wird diese Reaktion durch Glutamatdecarboxylase I, in ande-ren Geweben durch Glutamatdecarboxylase II katalysiert (. Abb. 31.16).

! Glycin- und GABAA/C-Rezeptoren sind Neurotransmitter-gesteuerte Chloridkanäle.

GABAA-, GABAC- und Glycinrezeptoren sind Liganden-gesteuerte Anionenkanäle, die zur pentameren Actylcho-linrezeptorfamilie gehören, während der metabotrope GABAB-Rezeptor mit Adenylatcyclase und dem Phospho-inositolstoffwechsel verbunden ist. In adulten Nerven-zellen bewirkt die Aktivierung von Glycin- und GABAA/C-Rezeptoren den Einstrom von Chloridionen ins Cytosol

. Abb. 31.15. Abbau und Wiederaufnahme von Acetylcholin. Die für den Acetylcholinabbau benötigten Acetylcholinesterasen sind membrangebundene, meist oligomere Enzyme. Sie sind je nach Typ der Synapse über eine Kollagentripelhelix oder einen GPI-Anker in der Membran verankert. Cholin wird durch entsprechende Transporter in die präsynaptische Nervenendigung transportiert, durch das Enzym Cholinacetyltransferase mit Acetyl-CoA verestert und dann in synapti-sche Vesikel aufgenommen aus denen Acetylcholin wieder freigesetzt werden kann. Der katalytische Serinrest im Zentrum der Acetylcholin-esterase ist eingezeichnet

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und damit eine Hyperpolarisation der Zellmembran, wel-che die Auslösung eines Aktionspotentials erschwert und die neuronale Aktivität hemmt. Auch diese Rezeptoren exis-tieren in mehreren Isoformen, die in verschiedenen Ge-hirnregionen exprimiert werden und sich pharmakologisch unterscheiden. So kommt die sedierende und angstlösende Wirkung von Benzodiazepinen durch eine selektive Bin-dung an solche GABAA-Rezeptoren zustande, deren -Un-tereinheit eine passende Bindungsstelle aufweist. Auch Al-kohol, Anästhetika und Barbiturate greifen an GABAA-Rezeptoren an und verstärken deren hemmende Wirkung.

Nach der Rezeptorbindung werden Glycin und GABA durch Transporter wieder in die Nervenendigungen aufge-nommen und erneut in synaptischen Vesikeln gespeichert. Ein Teil des aufgenommenen GABA wird durch Trans-aminierung zu Succinatsemialdehyd, welcher zur Dicar-bonsäure dehydriert wird, enzymatisch inaktiviert (. Abb. 31.16). Dadurch wird die intramitochondriale -Ketoglu-taratdehydrogenase-Reaktion (dehydrierende Decarboxy-lierung von -Keto-glutarat zu Succinyl-CoA) umgangen. Dieser sog. GABA-Shunt (Nebenweg) findet sich auch in der Nierenrinde.

Pathobiochemie: Mutationen in Untereinheiten des inhibitorischen Glycin-Rezeptors können zu einer ausge-

prägten Schreckreaktion auf sensorische Reize (Startle-Syndrom; Hyperekplexie), einem erhöhtem Muskeltonus und in schweren Fällen zu Atemstörungen führen. Dagegen sind Mutationen in GABAA-Rezeptoren für unterschied-liche Formen von Epilepsie verantwortlich. Autoantikörper gegen Glutamatdecarboxylase I haben das stiff-person-Syn-drom zur Folge, eine neurologische Krankheit mit stark erhöhtem Muskeltonus infolge einer verminderten GABA-ergen Hemmung.

31.3.5 Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin

! Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin werden aus Tyrosin synthetisiert.

Diese Transmitter sind Zwischenprodukte eines gemein-samen Biosynthesewegs, der von der aromatischen Amino-säure Tyrosin ausgeht. Je nach Enzymausstattung der Nerven endigung findet sich entweder Dopamin als End-produkt oder, bei zusätzlicher Gegenwart der Dopamin- -Hydroxylase, Noradrenalin. Bilden die Neurone außerdem das Enzym Phenylethanolamin-N-methyltransferase, so

. Abb. 31.16. GABA-Shunt. Links: Bildung von -Aminobutyrat aus L-Glutamat durch Decarboxylierung und Abbau zu Succinat. Rechts:

Umwandlung von Glutamat über -Ketoglutarat zu Succinat über die Reaktionen des Citratzyklus

31.3 · Chemische Signalübertragung zwischen Neuronen

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1042 Kapitel 31 · Nervensystem

31

entsteht Adrenalin (7 Kap. 26.3.2). Diese Neurotransmitter wirken auf metabotrope G-Protein-gekoppelte Rezep-toren, welche ebenso wie andere Neurotransmitterrezep-toren eine ausgeprägte Heterogenität aufweisen und sowohl auf Neuronen als auch auf Effektorzellen vorkommen. Für Dopaminrezeptoren sind mindestens 5 verschiedene Sub-typen (D1–D5) bekannt; adrenerge Rezeptoren werden in 7 Kap. 26.3.4 diskutiert.

In den Nervenendigungen werden die Katecholamin-transmitter in speziellen elektronendichten Vesikeln (dense core vesicles) gespeichert. Diese Vesikel enthalten auch die Neuropeptide (7 Kap. 31.3.8), während die Amino-säuretransmitter Glutamat, Glycin und GABA oder Acetyl-cholin in kleinen klaren synaptischen Vesikeln vorliegen. Nach ihrer Freisetzung werden Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin durch Transporter wieder in die Nervenen-digung aufgenommen. Diese Transporter stellen nicht nur Pharmakawirkorte, sondern auch Zielstrukturen von Sucht-giften wie Cocain dar. Ein Teil der wieder aufgenommenen Katecholamine wird in den Mitochondrien durch Mono-aminoxidasen (MAO Typ A und B) und Catechol-O-methyltransferase (COMT) abgebaut (7 Kap. 26.3.5). Ob-wohl diese enzymatische Inaktivierung nur einen Bruchteil ausmacht, reicht die Menge der freigesetzten Metaboliten aus, um Störungen im Stoffwechsel dieser Transmitter zu erkennen (7 Kap. 26.3.4).

! Pathobiochemie: Dopaminmangel infolge eines Ver-lusts von melaninhaltigen Neuronen der Substantia nigra führt zu Morbus Parkinson.

Bei Schüttellähmung, dem Morbus Parkinson, kommt es zu einem Untergang von dopaminergen Neuronen der Subs-tantia nigra. Dadurch ist der Dopamingehalt in den Ziel-gebieten dieser Neurone, dem Putamen und dem Nucleus caudatus, deutlich verringert. Dadurch wird ein für die ex-trapyramidale Motorik wichtiges Gleichgewicht zwischen cholinergen und dopaminergen Neuronen gestört, was als Bewegungsstörung mit Steifigkeit (Rigor) und Zittern (Tre-mor) der Extremitäten und Bewegungsarmut (Akinese) sichtbar wird. Diese Symptomatik lässt sich durch Gabe von Acetylcholinantagonisten oder durch Substitution des fehlenden Transmitters Dopamin mildern. Da aber Dopa-min die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren kann, verab-reicht man die Vorstufe 3,4-Dihydroxy-L-Phenylalanin (L-Dopa), welche aktiv ins ZNS aufgenommen wird.

31.3.6 Serotonin

! Serotonin entsteht durch Decarboxylierung von Trypto-phan.

Serotonin ist das hydroxylierte biogene Amin der essen-tiellen Aminosäure Tryptophan (5-Hydroxytryptamin). Es wird im Zentralnervensystem (Bulbus olfactorius, Dience-

phalon, insbesondere Hypophyse und Mesencephalon) und in den enterochromaffinen Zellen des Magen-Darm-Trakts (zu 90%) synthetisiert. Im Blut wird es in Thrombo-zyten gespeichert und aus diesen freigesetzt (7 Kap. 29.4).

Serotoninbiosynthese: Tryptophan wird über Trans-porter ins Gehirn aufgenommen, die es mit den verzweigt-kettigen Aminosäuren (Valin, Leucin und Isoleucin), Phe-nylalanin und Tyrosin teilt. Anschließend erfolgt wie bei der Dopaminsynthese aus Tyrosin (7 Kap. 26.3.2) zunächst eine Hydroxylierung am Indolring, wodurch 5-Hydroxy-tryptophan entsteht (. Abb. 31.17). Das beteiligte Enzym, die Tryptophanhydroxylase, besitzt eine ungewöhnlich hohe Michaelis-Konstante (7 Kap. 4.4.1), sodass das Trypto-phanangebot die Geschwindigkeit der Serotoninbiosyn-

. Abb. 31.17. Biosynthese und Abbau von Serotonin

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these bestimmt. Anschließend erfolgt eine Pyridoxalphos-phat-abhängige Decarboxylierung zu 5-Hydroxytryptamin. Serotonin wird wie andere Neurotransmitter auch in Vesi-keln in der Nervenendigung gespeichert und nach Stimula-tion in den synaptischen Spalt freigesetzt.

! Serotonin wirkt über metabotrope und ionotrope Rezep toren.

Serotoninrezeptoren finden sich auf Neuronen, Gliazel-len, glatter Muskulatur, Endothel- und Epithelzellen und Thrombozyten. Überwiegend werden G-Protein-gekop-pelte Antworten ausgelöst, die zur Hemmung oder Stimu-lierung der Adenylatcyclase oder zur Stimulierung der Phospholipase C führen (7 Kap. 25.6.3). Pharmakologisch lassen sich diese Rezeptoren in verschiedene Subtyp-Klassen (5HT1, 5HT2, 5HT4) einteilen. Der 5HT3-Rezeptor ist dagegen ein pentamerer Liganden-regulierter Ionen-kanal, welcher eine Depolarisation der Nervenzellmembran verursacht und aus homologen Untereinheiten mit 4 Trans-membransegmenten besteht.

Durch die verschiedenen Rezeptoren werden unter-schiedliche biologische Effekte vermittelt:4 5HT1-Rezeptoren verursachen eine Relaxation der

glatten Muskulatur in Gefäßen und im Gastrointestinal-trakt und eine Kontraktion kranialer Blutgefäße

4 5HT2-Rezeptoren bedingen eine Kontraktion der glat-ten Muskulatur und Plättchenaggregation

4 5HT3-Rezeptoren sind an der Entstehung von Übel-keit, Erbrechen, Schmerzen und Angst beteiligt. 5HT3-Rezeptorantagonisten besitzen deshalb eine wichtige Bedeutung bei der Behandlung von Übelkeit und Er-brechen

Der Abbau von 5-Hydroxytryptamin erfolgt durch die mi-tochondriale Monoaminoxidase-Typ A. Dabei entsteht 5-Hydroxyindolacetaldehyd, dessen Dehydrierung zu 5-Hydroxyindolacetat führt (. Abb. 31.17), das in den Urin ausgeschieden wird (täglich 10–40 mmol).

! Pathobiochemie: Tumoren enterochromaffiner Zellen bilden vermehrt Serotonin.

Carcinoide sind Tumoren der enterochromaffinen Zellen, die meist im Dünndarm auftreten und Serotonin bilden. Die Serotoninkonzentration im Blut ist erhöht und 5-Hydro-xyindolacetat, das Abbauprodukt von 5-Hydroxytrypta-min, wird vermehrt im Urin ausgeschieden. Die Leberme-tastasen dieser Tumoren bilden im Gegensatz zur gesunden Leber große Mengen an Kallikrein. Dieses Enzym setzt aus dem Kininogen des Blutplasmas Kinine (Kallidin und Brady-kinin) frei. Die erhöhten Serotonin- und Bradykininkon-zentrationen im Blut lösen die Symptomatik des Car cinoids (Anfälle mit purpurroter Verfärbung der Haut, Koliken, Diar-rhö und Asthma) aus. Bei Diagnosestellung durch quantita-tive Bestimmung der 5-Hydroxyindolacetat-Konzentration im 24-Stunden-Urin ist darauf zu achten, dass während der

Urinsammlung stark Serotonin-haltige Früchte (Bananen, Walnüsse und Ananas) gemieden werden.

! Melatonin wird aus Serotonin gebildet und ist ein Hor-mon des Gehirns.

Melatonin wird in der Epiphyse (Glandula pinealis), einem endokrinen Organ des Zentralnervensystems, sowie in der Retina synthetisiert. Ausgangspunkt der Biosynthese ist

. Abb. 31.18. Biosynthese und Abbau von Melatonin

31.3 · Chemische Signalübertragung zwischen Neuronen

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1044 Kapitel 31 · Nervensystem

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Serotonin, das N-acetyliert und anschließend an der 5-Hy-droxygruppe O-methyliert wird (. Abb. 31.18).

Die Melatoninsynthese und -sekretion unterliegt einem ausgeprägten 24-Stunden-Rhythmus. Dieser wird über die Lichtwahrnehmung der Retina gesteuert und über supra-chiasmatische Kerne im Hypothalamus und die Formatio reticularis auf die Epiphyse weitergeleitet. Daraus ergibt sich, dass die Plasma-Melatonin-Konzentration tagsüber niedrig ist, am frühen Abend vor dem Einschlafen ansteigt und ein Maximum gegen Mitternacht erreicht. Bei Reisen durch Zeitzonen wird dieser Rhythmus gestört, sodass die vorübergehende Desynchronisierung der Melatoninsekre-tion am Jetlag beteiligt sein könnte. Aus diesem Grund wird Melatonin häufig zur Vorbeugung des Jetlags verwendet. Außer dieser Funktion im Rahmen der Aufrechterhaltung einer circadianen Rhythmik beeinflusst Melatonin neuro-endokrine Funktionen.

31.3.7 ATP/Adenosin

! ATP ist nicht nur das wichtigste Energiespeichermole-kül in der Zelle, sondern dient zusammen mit seinen Metaboliten auch als extrazellulärer Botenstoff insbe-sondere zwischen Neuronen und Gliazellen.

Das energiereiche Nucleotid ATP wird im ZNS zusammen mit den klassischen Neurotransmittern in synaptischen Vesikeln gespeichert und durch Aktionspotentiale als Cotransmitter an der Nervenendigung freigesetzt. Auch Gliazellen können ATP nach Stimulation sezernieren. An Nervenzellen aktiviert ATP entweder ligandengesteuerte Ionenkanäle der sog. P2X-Rezeptorfamilie (. Abb. 31.13), die eine rasche synaptische Erregungsübertragung z. B. bei der Schmerzwahrnehmung vermitteln, oder metabo-trope P2Y-Rezeptoren. Letztere gehören ebenso wie die weit verbreiteten P1-Adenosinrezeptoren zu der Groß-familie der G-Protein gekoppelten Rezeptoren. Adenosin entsteht extrazellulär durch den von Ektonucleotidasen ka-talysierten Abbau von ATP über ADP und AMP, welche teilweise auch als P2Y-Agonisten wirken. Je nach P2Y-Re-zeptorsubtyp können unterschiedliche G-Proteine und damit verschiedene intrazelluläre Signalkaskaden aktiviert werden.

P2X- und P2Y-Rezeptoren sind außer für synaptische Übertragungsvorgänge vor allem für die Aktivierung und Kommunikation zwischen Gliazellen wichtig. So regulieren sie Apoptose und Proliferation der Glia sowie Regenera-tionsvorgänge.

31.3.8 Peptiderge Neurotransmitter

! Endorphine sind Peptide und körpereigene Liganden für Opiatrezeptoren.

Das Schmerzmittel Morphin und andere Opiate wirken auf hochaffine Rezeptoren im Nervensystem. Ausgehend von der Überlegung, dass für diese Opiatrezeptoren auch kör-pereigene Liganden existieren müssen, konnten endogene Morphine, die sog. Endorphine, identifiziert werden. Sie besitzen ebenfalls eine analgetische Wirkung und können die Körpertemperatur erhöhen oder senken. Sie finden sich neben anderen Hirnarealen insbesondere in der Pars inter-media der Hypophyse.

Endorphine entstehen durch proteolytische Spaltung aus dem aus 91 Aminosäuren bestehenden lipotropen Hormon ( -LPH oder -Lipotropin), das seinerseits Teil eines Vorläuferproteins für diverse Hormone, des Proopio-melanocortins (POMC), ist (. Abb. 31.19). Alle Endor-phine ( beginnen mit Position 104 des -LPH/ACTH Proproteins, unterscheiden sich aber in ihrer Länge (10–30 Aminosäuren). Durch weitere Spaltung entstehen Pentapeptide mit opioider Wirkung, die sog. Enkephaline (griech. im Kopf); ähnlich wirken die Dynorphine und Neoendorphine. Alle Peptide mit Opiatwirkung entstehen aus drei verschiedenen, grundsätzlich ähnlich aufgebauten Vorstufenproteinen von jeweils etwa 28 kDa (Proopio-melanocortin, Proenkephalin, Prodynorphin). Die pro-teolytische Prozessierung erfolgt meist an zwei aufeinander folgenden basischen Aminosäureresten (Lysin/Arginin), wobei die Art der gebildeten Peptide durch den spezifischen Proteasenbesatz der Zelle bestimmt wird, in der das Vor-stufen-Gen exprimiert wird.

Die verschiedenen opioiden Peptide aktivieren spe-zifische Opiatrezeptor-Isoformen, welche die Adenylat-cyclase hemmen:4 Dynorphin und die am C-Terminus verlängerten Leu-

Enkephaline den sog. -Rezeptor4 -Endorphin und die Enkephaline den -Rezeptor und4 die Enkephaline den -Rezeptor

Nach der Freisetzung in den synaptischen Spalt und Bin-dung an Rezeptoren werden die opioiden Peptide ebenso wie andere Neuropeptide durch extrazelluläre membran-ständige Peptidasen inaktiviert.

! Neurotransmitter und Neuropeptide können im glei-chen Neuron coexistieren.

In sehr vielen Neuronen kommen klassische Neurotrans-mitter zusammen mit Neuropeptiden (in unterschiedlichen Vesikeln) vor und werden zusammen mit diesen freigesetzt. Dies erlaubt die gleichzeitige Auslösung sehr schneller (im Millisekundenbereich, klassische Neurotransmitter) und langsamerer (im Sekundenbereich, Neuropeptide) Über-tragungsvorgänge.

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Neben den opioiden Peptiden wurden eine Reihe an-derer Peptide, v.a. des Gastrointestinaltrakts, wie Substanz P, Neuropeptid Y, Neurotensin oder Cholecystokinin, im Nervensystem nachgewiesen. Die genauen physiologischen Funktionen dieser Peptidneurotransmitter sind erst ansatz-weise bekannt.

In Kürze

Die Signalübertragung von Neuron zu Neuron kann über elektrische oder chemische Synapsen erfolgen. Die chemische Kommunikation wird über Neurotrans-mitter vermittelt, deren Rezeptoren Ionenkanäle oder G-Protein gekoppelte Rezeptoren sind. Neurotransmitter, die zu den verschiedensten Stoff-gruppen gehören können, werden nach Bindung an diese Rezeptoren über unterschiedliche Mechanismen inaktiviert. Für Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin wur-den bisher noch keine ionotropen Rezeptoren identi-fiziert und für Glycin kein metabotroper Rezeptor. Alle anderen Neurotransmitter können sowohl iono-trope als auch metabotrope Wirkungen haben. Neuro-peptide wirken stets über G-Protein gekoppelte Rezep-toren.

31.4 Nicht-neuronale Zellen

31.4.1 Gliazellen und Myelin

! Gliazellen dienen der elektrischen Isolierung und tro-phischen Unterstützung von Neuronen, wobei myelin-bildende von nicht-myelinisierenden Gliazellen unter-schieden werden.

Neben Neuronen kommen im Nervensystem Zellen mit Stütz- und Ernährungsfunktion vor, die als Gliazellen oder Neuroglia bezeichnet werden. Diese Zellen sind etwa zehn-mal häufiger als Neurone und lassen sich in mehrere Sub-gruppen klassifizieren: Oligodendroglia-Zellen bilden im ZNS und Schwann-Zellen im peripheren Nervensystem die Myelinscheide der Axone. Schwann-Zellen synthetisie-ren außerdem neurotrophe Faktoren, die das Überleben von Neuronen sichern. Astrogliazellen bilden Fortsätze zu den Blutgefäßen aus und tragen zur Versorgung der Neu-rone bei. Als Makrophagen des ZNS dienen die Zellen der Mikroglia der immunologischen Abwehr und wirken an der Beseitigung von Zelltrümmern mit.

! Myelinscheiden sind spezialisierte Membranstrukturen von Gliazellen.

Die Axone von markhaltigen Nerven sind von Myelin-scheiden umgeben, die von den Plasmamembranen der

. Abb. 31.19. Entstehung von Endorphinen. Endorphine entste-hen durch limitierte Proteolyse von Proopiomelanocortin, welche ausser ACTH und β-LPH kleine Peptidhormone inklusive β-Endorphin

und MET-Enkephalin erzeugt. ACTH = adrenocorticotropes Hormon; MSH = Melanozyten-stimulierendes Hormon; CLIP = corticotropin-like peptide; LP = Lipotropin

31.4 · Nicht-neuronale Zellen

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Oligodendrozyten oder Schwann-Zellen gebildet werden (. Abb. 31.20). Im ZNS wickeln sich die Ausläufer eines Oligodendrozyten spiralförmig um bis zu 50 verschiedene Axone. Dabei sind die einzelnen Lagen der Plasmamem-bran so eng gepackt, dass kaum Cytosol in den Fortsätzen verbleibt. Die intrazellulären Oberflächen der Membran-fortsätze verschmelzen deshalb in der Elektronenmikro-skopie zu einer dichten Linie. Auch die extrazellulären Oberflächen der Plasmamembranen treten in engen Kon-takt und bilden die Zwischenraumlinien aus. Die Plas-mamembranen der Myelinscheiden unterscheiden sich von denen anderer Zellen durch ein besonderes Protein-muster.

Die für die Markscheiden des ZNS charakteristischen Proteine werden von Oligodendrozyten synthetisiert:4 Proteolipidprotein (PLP) und seine Spleißvariante

DM20 bestehen überwiegend aus hydrophoben Amino-säuren und weisen 4 Transmembranregionen auf. PLP trägt zur kompakten Axonumwicklung durch Mark-scheiden bei

4 Myelin-assoziiertes und Myelin-Oligodendrozyten- assoziiertes Glycoprotein (MAG und MOG) vermit-teln den Kontakt zwischen Axon und den Blättern der Myelinscheide

Die von Schwann-Zellen produzierte Myelinscheide peri-pherer Nerven unterscheidet sich von der des ZNS durch:4 Protein Null (P0) trägt eine Immunglobulin-ähnliche

extrazelluläre Domäne und macht > 50% des peripheren Myelinproteins aus. P0 wirkt als Adhäsionsmolekül, das die Blätter der Myelinscheide zusammen hält

4 Das periphere Myelinprotein (PMP-22) besitzt 4 Trans-membranregionen und eine Molekülmasse von 22 kD

Mehrere Proteine kommen – wenn auch in unterschied-lichem Ausmaß – sowohl in zentralem als auch in periphe-rem Myelin vor:4 Das basische Myelin-Protein (MBP) macht 30–40%

der Myelinproteine aus und ist auf der cytoplasma-tischen Seite innerhalb der dichten Linie lokalisiert. Immunisierung von Versuchstieren mit MBP führt zur experimentellen allergischen Enzephalomyelitis, einem Tiermodell der multiplen Sklerose

4 Obwohl die 2 ,3 -Cyclonucleotidphosphodiesterase (CNP) der Markscheiden des ZNS und der peripheren Schwann-Zellen eine hohe enzymatische Aktivität be-

. Abb. 31.20. Bildung und Aufbau von Myelinscheiden. Oben: Bildung der Myelinscheiden um das Axon durch Oligodendrozyten im Zentralnervensystem oder Schwann-Zellen im peripheren Nervensys-tem. Mitte: Längsschnitt durch ein Axon mit Ranvier’schen Schnür-ringen. Unten: Organisation des Myelins durch Aneinanderlagerung der extra- und intrazellulären Schichten der Gliaausläufer. Diese wer-den durch Wechselwirkungen zwischen den intra- und extrazellulären Domänen der verschiedenen Myelinproteine dicht gepackt

9

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sitzt, ist ihre Funktion nicht genau bekannt. CNP ist für den Erhalt der Struktur der Ranvierschen Schnürringe erforderlich

Mit Ausnahme des basischen Myelin-Proteins und der 2 ,3 -Cyclonucleotidphosphodiesterase besitzen diese Mye-linproteine eine oder mehrere Transmembrandomänen.

31.4.2 Demyelinisierungen und erbliche periphere Neuropathien

! Störungen der Myelinbildung führen zu schweren neurologischen Krankheiten.

Immunologische und genetische Störungen der Myelinisie-rung führen zu neurologischen Erkrankungen. Bei Mul-tipler Sklerose tritt im ZNS eine progrediente Demyelinisie-rung auf, die schwere Funktionsstörungen der betroffenen Hirnregionen verursacht. Es wird vermutet, dass es sich dabei um eine Autoimmunreaktion gegen Proteine der Myelinscheide handelt. Diese richtet sich wahrscheinlich gegen ein immundominantes Epitop des basischen Myelin-Proteins MBP (Aminosäuren 85–99). Die innerhalb des ZNS ablaufende Antikörperbildung wird durch oligoklo-nale Banden im Liquor ersichtlich (vgl. . Abb. 31.3).

! Mutationen in Genen für Myelinproteine verursachen periphere Neuropathien.

Im Jahr 1886 beschrieben die Ärzte Jean-Martin Charcot und Pierre Marie in Frankreich und Howard Tooth in Eng-land eine Erbkrankheit, die im 1.–3. Lebensjahrzehnt mani-fest wird und durch zunehmende Muskelschwäche bei ab-nehmender Nervenleitgeschwindigkeit charakterisiert ist. Die Muskelschwäche ist in den Beinen stärker ausgebildet als in den Armen. Heute wissen wir, dass die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit zu den hereditären motorischen und sensiblen Neuropathien (HMSN) gehört, die auf Mutationen unterschiedlicher Gene (. Tabelle 31.5) zurück-zuführen sind. Der Schweregrad der angeborenen peri-pheren Neuropathien ist recht unterschiedlich. Im elektro-nenoptischen Bild weisen die Axone von Patienten mit Charcot-Marie-Tooth-Krankheit sehr dünne Myelinschei-den und duplizierte Schwann-Zellfortsätze auf, die wie Zwiebelschalen aussehen. Dieses Bild spricht für eine Stö-

rung der Myelinisierung durch Mutationen von Myelin-proteinen.

Den HMSN, zu denen die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit gehört, liegen verschiedene Mutationen zugrun-de. Für die Krankheitsvariante CMT-1A ist das periphere Myelinprotein PMP-22 verantwortlich, für das sowohl chromosomale Genduplikationen als auch Punktmutatio-nen beschrieben worden sind. Unklar bleibt, wie eine ver-mehrte Bildung von PMP-22 ebenso wie die Reduktion seiner Biosynthese zu ein und demselben Krankheitsbild führen können. Der Variante CMT-1B liegen Mutationen des P0-Gens zugrunde. Bei der selteneren Form CMT-X der Krankheit handelt es sich um eine zum Funktionsverlust führende Mutation von Connexin 32 (7 Kap. 6.1.6), dem einzigen in Schwann-Zellen exprimierten Connexin. Es kommt zum Verlust der für die Ernährung der lamellären Myelinscheiden wichtigen gap-junctions.

In Kürze

Gliazellen nehmen im Nervensystem Stütz- und Er-nährungsfunktionen wahr, bilden das Myelin der Axone und sind ein wichtiger Bestandteil der Blut-Hirn-Schranke. Oligodendroglia- und Schwann-Zellen sind für die Biosynthese und den Strukturerhalt der Myelin-scheiden verantwortlich. Störungen der Myelinisierung führen zu schweren neurologischen Krankheiten.

31.4.3 Besonderheiten des peripheren Nervensystems

! Bei der Regeneration eines peripheren Nerven, z.B. nach Durchschneidung, wirken Neuronen, Schwann-Zellen und Makrophagen zusammen.

Periphere Nerven können im Gegensatz zu den zentralen Nervenbahnen nach einer Verletzung wieder regenerieren. Nach Durchtrennung eines peripheren Nerven (Axotomie) wird ein Genexpressionsprogramm aktiviert, das zu einer vollständigen Regeneration führen kann. Die Regeneration kommt durch die konzertierte Aktion des verletzten Neu-rons, aus dem neue Axone aussprossen, und benachbarter Schwann-Zellen, die dieses Wachstum unterstützen, zu-

. Tabelle 31.5. Gendefekte bei erblichen Neuropathien des peripheren Nervensystems

Neuropathie Gen Protein Mutation

CMT1A PMP22 Peripheres Myelinprotein (22 kD) Genduplikation

CMT1B P0 Protein Null (30 kD) Punktmutationen

CMTX Cx32 Connexin 32 Punktmutationen

HNPP PMP22 Peripheres Myelinprotein (22 kD) Deletion des Gens

31.4 · Nicht-neuronale Zellen

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1048 Kapitel 31 · Nervensystem

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stande. Nach einer Axotomie proliferieren Schwann-Zellen und stellen ihr Syntheseprogramm von Myelinproteinen auf Proteine der extrazellulären Matrix (Laminin, Fibron-ektin) und auf Adhäsionsmoleküle (Integrine) um. Ein-wandernde Monozyten räumen Myelinreste und Zelltrüm-mer durch Phagozytose ab. Zugleich werden neurotrophe Faktoren wie Nervenwachstumsfaktor (NGF, nerve growth factor) und die Neurotrophine (7 Kap. 31.6) exprimiert.

In Kürze

Im Gegensatz zu zentralen Neuronen gelingt periphe-ren Nervenzellen nach Verletzung des Axons eine funk-tionelle Regeneration. Die Regeneration hängt von einer Aktivierung von Schwann-Zellen und Makropha-gen sowie der lokalen Produktion neurotropher Fakto-ren ab.

31.5 Neurodegenerative Krankheiten

! Neurodegenerative Krankheiten werden nach den ursächlichen pathobiochemischen Mechanismen und ihrem neuropathologischen Erscheinungsbild klassi-fiziert.

31.5.1 Morbus Alzheimer

Amyloid und Neurofibrillen: Im Jahr 1906 beschrieb der Neuropathologe Alois Alzheimer erstmals die nach ihm benannte, in der Regel nach dem 60. Lebensjahr auftretende Alzheimersche Krankheit. Diese beginnt schleichend mit kleinen Vergesslichkeiten und schreitet über Jahre hinweg zu einer ausgeprägten räumlichen und zeitlichen Desorien-tierung bis zum Tode fort. In Deutschland sollen etwa 25% der über 85-Jährigen von dieser Krankheit betroffen sein.

Im Gehirn der Patienten treten zwischen den Neuronen Plaques (. Abb. 31.21) auf, die weitgehend aus einem Pep-tid mit 39–43 Aminosäuren bestehen, das als -Amyloid bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um ein proteoly-tisches Fragment eines integralen Membranproteins unbe-kannter Funktion, das als -Amyloidproteinvorläufer ( -amyloid protein precursor, -APP) bezeichnet wird. Das mit einer Transmembrandomäne in der Plasmamembran verankerte Membranprotein -APP gehört zu einer Protein-familie, die im Nervensystem in verschiedenen Isoformen vorkommt. -APP wird durch überwiegend membran-gebundene Proteasen, den in mehreren Varianten existie-renden Sekretasen, proteolytisch prozessiert (. Abb. 31.22). Dabei wird APP entweder von - und - oder - und -Se-kretasen gespalten. Eine Spaltung durch - und -Sekreta-sen führt zu Bruchstücken, die keine Amyloidplaques bil-den, während die - und -Sekretase-spaltung pathologische A -Peptide produziert. Diese aggregieren zu den neuropa-thologisch typischen Plaques, die sich zwischen Synapsen schieben und entzündliche Gewebereaktionen induzieren.

Durch Mutationen im Bereich der proteolytischen Schnittstellen des -APP-Gens kann es zu einer besonders früh einsetzenden erblichen Form des Morbus Alzheimer kommen. Auch Patienten mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) entwickeln meist um das 40. Lebensjahr eine Alzheimersche Krankheit. Da das Gen für -APP auf Chromosom 21 liegt, wird vermutet, dass eine Überproduktion des -APP zum Untergang von Neuronen führt. Mutationen von Presenilin, das Teil der -Sekretase ist, führen zu einer autosomal domi-nanten Form der Alzheimerschen Krankheit. Innovative Therapieansätze zielen auf die Stimulation des -Sekre-tase- oder die Inhibition des -/ -Sekretase-Wegs ab.

Die zweite Auffälligkeit, die sich neuropathologisch bei der Demenz vom Alzheimer-Typ nachweisen lässt, ist die Bildung von pathologischen Neurofibrillen-Bündeln, (neurofibrillary tangles), die hauptsächlich aus dem Protein Tau bestehen.

. Abb. 31.21. Lichtmikroskopische Aufnahme von Alzheimer-Plaques. Die Immundarstellung zeigt Plaques, die aus kompakten kugelförmigen Amyloidablagerungen bestehen (Auf-nahme von I. Blümcke, Institut für Neuropathologie, Universität Erlangen-Nürnberg)

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Tauopathien: Als Bestandteil des Cytoskeletts (7 Kap. 6.3) ist das intrazelluläre Strukturprotein Tau für die Sta-bilisierung von Mikrotubuli in Neuronen verantwortlich. Hyperphosphoryliertes Tau lagert sich in Fibrillenform zu intraneuronalen Aggregaten (sog. tangles oder neurofibril-lären Bündeln) zusammen, die intrazelluläre Transport-prozesse behindern. Unter dem Begriff ›Tauopathien‹ versteht man Erkrankungen des Gehirns, bei denen Muta-tionen des Tau-Proteins nachweisbar sind (z.B. fronto -temporale Demenz mit Parkinsonismus). Umgekehrt wird auch vermutet, dass weitere neurologische Krankheiten, bei denen ebenfalls Tau-Ablagerungen auftreten, auf einen ähnlichen Mechanismus zurückzuführen sind. Zu diesen gehören die Demenz vom Alzheimer Typ, Morbus Pick, corticobasale Degeneration und die progressive supra-nukleäre Blickparese. Die Einteilung nach pathobiochemi-schen Mechanismen bringt mit sich, dass die Alzheimer-sche Krankheit sowohl als Amyloid/Neurofibrillen- als auch als Tau-Störung eingeordnet werden kann.

31.5.2 Polyglutamin-Krankheiten

Das Trinucleotid CAG codiert für die Aminosäure Glu-tamin; Wiederholungen dieses Motivs aus den für Glutamin codierenden Basen CAG werden als Trinucleotid-repeats bezeichnet. Erbliche Verlängerungen von Trinucleotid-re-peats führen zu Polyglutamin-Krankheiten, wobei das mu-tierte Protein intrazelluläre Ablagerungen bildet. Diese stören die Funktion von Nervenzellpopulationen, in denen das betroffene Gen stark exprimiert wird. Dabei korreliert die Länge der Trinucleotid-Repeats mit dem Schweregrad der Erkrankung. Zu den Polyglutamin-Krankheiten ge-

hören Chorea Huntington, spinobulbäre Muskelatrophie, dentato-rubro-pallido-luysianische Atrophie (DRPLA) und spinocerebelläre Ataxien (Typ 1-3, 6, 7, 17). Charakte-ristisch sind intraneuronale Einschlüsse, die durch eine Ubiquitin-Färbung darstellbar sind. Das Auftreten von Ubiquitin in diesen Ablagerungen wird als Versuch des Neurons gedeutet, die pathologischen Proteine über den Ubiquitin-Proteasom-Weg (7 Kap. 9.3.5) abzubauen. Das bei der Huntington-Krankheit veränderte Protein wurde Huntingtin genannt; seine physiologische Funktion ist bisher unbekannt.

31.5.3 Morbus Parkinson

Die Ursache des Untergangs der dopaminergen Neurone der Substantia nigra bei Morbus Parkinson, der in den Ziel-gebieten des Putamens und des Nucleus caudatus zu einer Dopaminverarmung führt, ist bisher nicht geklärt. Charak-teristisch für die degenerierenden Neurone sind die durch Ubiquitin-Färbung darstellbaren Lewy-Körperchen. Diese intrazellulären Einschlüsse, die sich nicht nur bei der Par-kinsonschen Krankheit, sondern auch bei der Lewy-Kör-perchen-Krankheit finden, deuten auf einen gemeinsamen pathobiochemischen Mechanismus hin. Beim Morbus Par-kinson konnte das ubiquitinierte Protein als α-Synuclein identifiziert werden. Familiäre Formen des M. Parkinson sind durch Mutationen in Parkin, einer Ubiquitin-Ligase, und weiteren Genloci verursacht.

Seltenere neurologische Krankheiten wie die Myo-klonus-Epilepsie zeichnen sich durch intraneuronale Ein-schlüsse aus Polyglucosanen aus, die als Lafora-Körper-chen bezeichnet werden. Intra- und extrazelluläre Ablage-

. Abb. 31.22. Proteolytische Prozessierung des β-Amyloidvor-läufer-Proteins (APP). APP ist ein integrales Membranprotein, dessen Funktion nicht bekannt ist. Durch eine als -Sekretase bezeichnete Protease wird APP in eine lösliche Form überführt, die im Plasma nachgewiesen werden kann. APP kann durch zwei weitere Enzyme, die - und -Sekretasen, gespalten werden. Während die - und

-Sekretasen extrazellulär schneiden, liegt die -Sekretase-Schnitt-stelle im Transmembransegment von APP. Nur die kombinierte Spal-tung durch - und -Sekretase führt zur Entstehung der krankheits-erzeugenden A -Peptide, die sich zu extrazellulären Amyloid-Plaques zusammenlagern. (Mit freundlicher Erlaubnis nach O. Haass, LMU München)

31.5 · Neurodegenerative Krankheiten

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1050 Kapitel 31 · Nervensystem

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rungen bei Speicherkrankheiten oder Enzymdefekten werden in den einzelnen Kapiteln besprochen.

31.5.4 Prionkrankheiten

Prion-Proteine können sich in eine krankheitserzeugende Konformation umformen, die extrazelluläre Aggregate bil-det und wichtige Zellfunktionen stört (7 Kap. 3.4.2). Dieser Vorgang führt schließlich zum apoptotischen Zelltod. In gesunden Geweben kommen Prion-Proteine in mono-merer, nicht pathogener Form (PrPc, Prion Protein cellu-lar = zelluläres Prion-Protein) in überwiegend -helicaler Konformation vor. Die Konversion in die krankheitserzeu-gende Konformation PrPSc (Prion Protein Scrapie; patho-gene Form, die zuerst bei an Scrapie erkrankten Tieren ge-funden wurde) ist mit einer Änderung der Sekundärstruk-tur verbunden: PrPSc ist ein oligomeres Protein mit einem hohen Anteil an -Faltblatt-Strukturen, das eine sehr hohe Resistenz gegenüber Proteasen aufweist. PrPSc-Partikel sind infektiös. Diese Infektiösität wird von der protein only-Hypothese dadurch erklärt, dass PrPSc die Fehlfaltung von bisher normalem PrPc in die pathologische Konformation PrPSc induziert (. Abb. 31.23).

Prionkrankheiten treten als sporadische, erbliche oder infektiöse Formen auf. Die Kuru-Krankheit in Neuguinea wurde auf rituelle Handlungen zurückgeführt, bei denen menschliches Gehirn verzehrt wurde. Zu den in der west li-chen Welt auftretenden sporadischen oder als autosomal-do-minante Mutationen des Priongens auftretenden Prion-Er-krankungen gehören die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und die tödliche familiäre Insomnie. Diese Krankheiten führen unweigerlich zum Tode. Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beginnt meist mit Schreckhaftigkeit, Muskelzuckungen und Verwirrtheit und mündet in einen dementiellen Abbau. Neuropatholo-gisch findet sich eine schwammartige Veränderung des Hirn-gewebes, die zu dem Namen »spongiöse Enzephalopathie« geführt hat. Da das fehlgefaltete Prionprotein sehr stabil ist, besteht nach Kontakt mit ZNS-Gewebe von erkrankten Per-sonen die Gefahr der Übertragung durch chirurgische Instrumente, EEG-Tiefenelektroden und Gewebespenden

(Dura mater, Hormonextrakte aus der Hirnanhangsdrüse).Bei Tieren treten spongiöse Enzephalopathien als

Scrapie bei Schafen und als bovine spongiforme Enzepha-lopathie (BSE, Rinderwahnsinn) bei Rindern auf. Durch eine große Zahl von erkrankten Rindern wurde die öffent-liche Aufmerksamkeit in den 90er Jahren auf BSE gelenkt, dessen Übertragbarkeit auf den menschlichen Organismus befürchtet wurde.

In Kürze

Viele neurodegenerative Krankheiten weisen extra- oder intrazelluläre Ablagerungen dysfunktioneller Pro-teine auf. Diese bilden Aggregate und formen5 Amyloid-Plaques5 neurofibrilläre Bündel aus hyperphosphoryliertem

Tau-Protein5 Polyglutamin-Protein-Aggregate5 Lewy-Körperchen aus ubiquitinierten Proteinen5 Lafora-Körperchen aus Polyglucosanen

Bei der Alzheimerschen Krankheit finden sich5 extrazellulär Plaques und5 intrazellulär Neurofibrillen-Bündel

Prion-Krankheiten sind auf unterschiedliche Entstehungs-mechanismen zurückzuführen. Gelangen fehlgefaltete Prionproteine durch Infektion in einen Fremdorganismus, können sie dort die Fehlfaltung der endogenen Proteine induzieren. Außerdem werden humane Prionen-Krankhei ten durch Mutationen des Gens für das Prionproteins verursacht.

. Abb. 31.23. Entstehungsmechanismus von Prion-Aggregaten bei spongiformen Enzephalopathien. a Normales Prion-Protein PrPc wird durch Konformationsänderung zu PrPSc umgewandelt, das un -lösliche Proteinaggregate bildet. Das fehlgefaltete PrPSc stößt wieder-um die Fehlfaltung des normalen PrPc zu PrPSc an und induziert damit neurodegenerative Veränderungen (protein-only-Hypothese). Diese Kaskade kann durch spontane Konformationsänderung, eine Konfor-mationsänderungen begünstigende Mutation oder externe Zufuhr von PrPSc ausgelöst werden. b Monomeres PrPc besitzt eine über-wiegend -helicale Struktur, die sich durch Konformationsänderung in das -Faltblatt-reiche Protein PrPSc wandelt. Wahrscheinlich bil-det PrPSc Trimere, die sich zu sehr stabilen Aggregaten aufschichten (Modellierung von Heike Meisenbach und Heinrich Sticht, Institut für Biochemie, Universität Erlangen-Nürnberg nach Daten von Govaerts C et al. (2004) Proc. Natl. Acad. Sci. USA 101, 8342-8347)

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31.6 Neuronale Stammzellen und neurotrophe Faktoren

Während der Ontogenese entwickeln sich Nervenzellen und nicht-neuronale Zellen des Nervensystems aus ge-meinsamen Stammzellen. Die Ausdifferenzierung dieser pluripotenten Vorläuferzellen in Neurone und Gliazellen wird durch Differenzierungsfaktoren und ortsständige Oberflächenmoleküle gesteuert. Vorläuferzellen persistie-ren auch im adulten ZNS. Therapieversuche bei Schlag-anfall, neurodegenerativen Krankheiten oder multipler Sklerose zielen auf eine verbesserte Regenerationsfähigkeit des ZNS durch Aktivierung dieser Vorläuferzellen oder durch Transplantation von Stammzellen ab.

Entwicklung, Erhaltung und Regeneration von Nerven-zellen und Nervenzellfortsätzen werden von Neurotrophi-nen gefördert. Der Nervenwachstumsfaktor NGF (nerve growth factor) ist ein Protein aus der Familie der Cytokine, das von Viktor Hamburger, Rita Levi-Montalcini und Stanley Cohen aufgrund seiner Bedeutung für das Über-leben von sympathischen Neuronen entdeckt wurde. An-schließend wurden weitere Neurotrophine mit unterschied-licher Zellspezifität identifiziert: BDNF (brain-derived neurotrophic factor), NT-3 (Neurotrophin-3) und NT-4 (Neurotrophin-4). Neurotrophine aktivieren Rezeptor-Tyrosinkinasen.

Weitere das Überleben von Neuronen fördernde Fakto-ren mit unterschiedlichen Wirkmechanismen sind der mit TGF verwandte gliale Faktor GDNF (glial-cell line-derived neurotrophic factor), das Cytokin CNTF (ciliary neurotro-phic factor) und möglicherweise VEGF (vascular endothelial growth factor).

NGF induziert das Auswachsen eines Wachstumkegels an der Spitze eines Axons. Dieser wird durch lösliche (Netrine) und ortsständige (Cadherine) Signale in sein Zielgebiet geleitet (Chemoattraktion). Umgekehrt stoßen außerhalb der Zielregionen sezernierte lösliche Proteine (Semaphorine) und Oberflächenmoleküle (Ephrine) den Wachstumskegel ab (Chemorepulsion). Ähnliche chemo-trope Prozesse steuern die Wanderung von Vorläuferzellen während der Gehirnentwicklung. Zusätzlich sind Plasma-membranproteine wie das neurale Zelladhäsionsmolekül N-CAM (neural cell adhesion molecule) oder die auch in anderen Geweben vorkommenden Integrine (7 Kap. 24.5.3) entscheidend an der Bildung von Nervenbündeln bzw. dem Auswachsen von Neuronen beteiligt.

Die mangelnde Regenerationsfähigkeit zentralnervöser Neurone ist auf die Existenz repulsiver Zelloberflächen-

moleküle (z. B. des Myelin-assoziierten Glycoproteins MAG) auf zentralnervösen Gliazellen, insbesondere Oligo-dendrozyten, zurückzuführen. Derzeit wird deshalb ver-sucht, die neuronale Regeneration bei Querschnittsläh-mung durch Hemmung dieser »Regenerationsinhibitoren« zu verbessern.

In Kürze

Wachstum und Erhalt von Nervenzellen werden durch lösliche neurotrophe Faktoren gesteuert. Die Ausbil-dung und Regeneration von Nervenzellfortsätzen wird durch lösliche und membrangebundene Proteine reguliert, die entweder anziehende (Chemoattraktion) oder abstoßende (Chemorepulsion) Wirkungen haben. Die adulten Gliazellen des ZNS besitzen repulsive Zello-berflächenmoleküle, welche die Regeneration von Nervenzellfortsätzen im ZNS verhindern

Literatur

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Wolf S et al. (1996) Die Blut-Hirn-Schranke: Eine Besonderheit des cere-bralen Mikrozirkulationssystems. Naturwissenschaften 83:302–311

Links im Netz7 www.lehrbuch-medizin.de/biochemie

Literatur