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© VERITAS-Verlag, Linz – DURCHSTARTEN ZUR ZENTRALMATURA. Deutsch AHS / BHS 4. Schritt TEXTINTERPRETATION In der Erzählung „Der Meineid“, die um 1930 erschienen ist, schrieb die Schriftstellerin Mela Hartwig über falsch gemeinte Hilfe. Der arbeitslose Mechaniker Emil Kolbe stiehlt Brot, um einerseits seinen Hunger zu stillen, und andererseits für ein paar Tage ins Gefängnis zu kom- men, damit er nicht länger auf der Straße schlafen muss. Doch sein Vorha- ben misslingt, denn die Verkäuferin hat Mitleid mit ihm und zeigt den Dieb- stahl nicht an. Da er völlig verzweifelt ist und nicht weiß, wo er in nächster Zeit schlafen sollte, erstattet Emil Selbstanzeige. Er wird zwar verhaftet, aber die Verkäuferin behauptet im Zuge der Verhandlung, Emil das Brot ge- schenkt zu haben und schwört sogar einen Meineid. Emil behauptet bis zum Schluss, das Brot gestohlen zu haben. Die Erzählung endet damit, das Kolbe aus der Haft entlassen wird und wieder durch die Straßen zieht. Der Aufbau der Handlung ist für die Leserinnen und Leser durch den chro- nologischen Erzählverlauf problemlos nachvollziehbar. In der Einleitung, die die ersten 17 Zeilen umfasst, wird die Hauptperson Emil Kolbe beschrie- ben und es wird erklärt, in welcher auswegloser Situation er sich befindet. Im Hauptteil, der sich von Zeile 18 bis Zeile 98 erstreckt, schildert die Auto- rin den Diebstahl des Brotes, wie die Verkäuferin darauf reagiert und dass Emil nicht das erreicht, was er sich erhofft hat. Seine Entäuschung führt zur Selbstanzeige und zur zeitweiligen Verhaftung, die aber nicht aufrecht bleibt, denn die Verkäuferin behauptet, dass sie gar nicht bestohlen worden sei. Die Erzählung endet damit, dass Kolbe enthaftet wird und sich wieder in seiner Ausgangssituation befindet, nun friert er aber noch zusätzlich. „Der Meineid“ ist eine Er-Erzählung, bei der der Erzähler nicht in die Hand- lung involviert ist. Er schildert zuerst sehr genau die Gedanken und Gefühle von Emil (z. B. „ging unschlüssig weiter“ (Z. 4), „Es fiel ihm schwerer, als er glaubte“ (Z. 8, 9), im Laufe der Geschichte erfährt die Leserin bzw. der Leser auch viel darüber, was die Verkäuferin denkt und fühlt (z. B. „flüchtete sie erbleichend“ (Z. 46), „Immerhin war sie zufrieden“ (Z. 70). Zusätzlich dazu fügt der Er-Erzähler in einigen wenigen Passagen Kommentare ein (z. B. „sonderbar genug“ (Z. 61, 62), „Die gute Frau“ (Z. 63, 64). Diese Stellen schei- nen fast schon auktorial erzählt zu sein. Die Autorin verwendet einen einfa- chen Wortschatz, einige Begriffe sind zwar veraltet (z. B. „Schuhwerk“ (Z. 4), „der Schutzmann“ (Z. 42, 43), entsprechen aber der Entstehungszeit. Mit- hilfe der kurzen Aussagesätze erhöht Hartwig die Spannung und die immer wieder eingefügten Fragesätze wie „Hatte er denn eine Wahl?“ beziehen die Leserin bzw. den Leser in das Geschehen ein. Wortwiederholungen und Anaphern, wie in den Zeilen 19 und 20 „Ohne sich zu beeilen und wortlos“ und „ohne sich zu beeilen und wortlos“, tragen zur Steigerung des Gesagten bei und zeigen auf, wie verzweifelt die männliche Hauptperson ist. Warum Emil Kolbe diese Handlung setzt, lässt sich aus dem Text gut be- gründen. Seine Motive sind die andauernde Arbeitslosigkeit, seine Obdach- losigkeit und seine Hoffnungslosigkeit, dass sich an seiner Situation in nächster Zeit etwas ändert. Für ihn scheint das Gefängnis ein Zufluchtsort zu sein, der ihm für kurze Zeit seine Probleme vergessen lässt. FASSUNG 1 DEINE ÜBERARBEITUNGS- VORSCHLÄGE

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In der Erzählung „Der Meineid“, die um 1930 erschienen ist, schrieb die Schriftstellerin Mela Hartwig über falsch gemeinte Hilfe.

Der arbeitslose Mechaniker Emil Kolbe stiehlt Brot, um einerseits seinen Hunger zu stillen, und andererseits für ein paar Tage ins Gefängnis zu kom-men, damit er nicht länger auf der Straße schlafen muss. Doch sein Vorha-ben misslingt, denn die Verkäuferin hat Mitleid mit ihm und zeigt den Dieb-stahl nicht an. Da er völlig verzweifelt ist und nicht weiß, wo er in nächster Zeit schlafen sollte, erstattet Emil Selbstanzeige. Er wird zwar verhaftet, aber die Verkäuferin behauptet im Zuge der Verhandlung, Emil das Brot ge-schenkt zu haben und schwört sogar einen Meineid. Emil behauptet bis zum Schluss, das Brot gestohlen zu haben. Die Erzählung endet damit, das Kolbe aus der Haft entlassen wird und wieder durch die Straßen zieht.

Der Aufbau der Handlung ist für die Leserinnen und Leser durch den chro-nologischen Erzählverlauf problemlos nachvollziehbar. In der Einleitung, die die ersten 17 Zeilen umfasst, wird die Hauptperson Emil Kolbe beschrie-ben und es wird erklärt, in welcher auswegloser Situation er sich befindet. Im Hauptteil, der sich von Zeile 18 bis Zeile 98 erstreckt, schildert die Auto-rin den Diebstahl des Brotes, wie die Verkäuferin darauf reagiert und dass Emil nicht das erreicht, was er sich erhofft hat. Seine Entäuschung führt zur Selbstanzeige und zur zeitweiligen Verhaftung, die aber nicht aufrecht bleibt, denn die Verkäuferin behauptet, dass sie gar nicht bestohlen worden sei. Die Erzählung endet damit, dass Kolbe enthaftet wird und sich wieder in seiner Ausgangssituation befindet, nun friert er aber noch zusätzlich.

„Der Meineid“ ist eine Er-Erzählung, bei der der Erzähler nicht in die Hand-lung involviert ist. Er schildert zuerst sehr genau die Gedanken und Gefühle von Emil (z. B. „ging unschlüssig weiter“ (Z. 4), „Es fiel ihm schwerer, als er glaubte“ (Z. 8, 9), im Laufe der Geschichte erfährt die Leserin bzw. der Leser auch viel darüber, was die Verkäuferin denkt und fühlt (z. B. „flüchtete sie erbleichend“ (Z. 46), „Immerhin war sie zufrieden“ (Z. 70). Zusätzlich dazu fügt der Er-Erzähler in einigen wenigen Passagen Kommentare ein (z. B. „sonderbar genug“ (Z. 61, 62), „Die gute Frau“ (Z. 63, 64). Diese Stellen schei-nen fast schon auktorial erzählt zu sein. Die Autorin verwendet einen einfa-chen Wortschatz, einige Begriffe sind zwar veraltet (z. B. „Schuhwerk“ (Z. 4), „der Schutzmann“ (Z. 42, 43), entsprechen aber der Entstehungszeit. Mit-hilfe der kurzen Aussagesätze erhöht Hartwig die Spannung und die immer wieder eingefügten Fragesätze wie „Hatte er denn eine Wahl?“ beziehen die Leserin bzw. den Leser in das Geschehen ein. Wortwiederholungen und Anaphern, wie in den Zeilen 19 und 20 „Ohne sich zu beeilen und wortlos“ und „ohne sich zu beeilen und wortlos“, tragen zur Steigerung des Gesagten bei und zeigen auf, wie verzweifelt die männliche Hauptperson ist.

Warum Emil Kolbe diese Handlung setzt, lässt sich aus dem Text gut be-gründen. Seine Motive sind die andauernde Arbeitslosigkeit, seine Obdach-losigkeit und seine Hoffnungslosigkeit, dass sich an seiner Situation in nächster Zeit etwas ändert. Für ihn scheint das Gefängnis ein Zufluchtsort zu sein, der ihm für kurze Zeit seine Probleme vergessen lässt.

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Die Beweggründe der Verkäuferin sind hingegen nicht so einfach nachvoll-ziehbar. Zu Beginn ist sie fassungslos über den Diebstahl, dann hat sie Mit-leid mit dem Dieb und schließlich möchte sie ihm mit ihrer Falschaussage helfen, und erreicht genau das Gegenteil.

In „Der Meineid“ ist viel Gesellschaftskritik verpackt. Die Hauptperson, die arbeitsfähig und arbeitswillig ist, wird durch die wirtschaftlichen Verhältnis-se dazu gedrängt, eine illegale Lösung für ihre Probleme zu suchen, denn vom Staat erhält er keine finanzielle Unterstützung. Die Verkäuferin hat Mitleid mit dem Mann und symbolisiert deshalb das schlechte Gewissen, dass die Gesellschaft hat, wenn es um soziale Ungerechtigkeiten geht. Die Frau setzt die Handlung deshalb, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, aber mit ihrer vermeintlichen Hilfe verschlimmert sie die Lage von Emil Kolbe noch.

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In der Erzählung „Der Meineid“, die um 1930 erschienen ist, schrieb die Schriftstellerin Mela Hartwig über falsch gemeinte Hilfe.

Der arbeitslose Mechaniker Emil Kolbe stiehlt Brot, um einerseits seinen Hunger zu stillen, und andererseits für ein paar Tage ins Gefängnis zu kom-men, damit er nicht länger auf der Straße schlafen muss. Doch sein Vorha-ben misslingt, denn die Verkäuferin hat Mitleid mit ihm und zeigt den Dieb-stahl nicht an. Da er völlig verzweifelt ist und nicht weiß, wo er in nächster Zeit schlafen sollte, erstattet Emil Selbstanzeige. Er wird zwar verhaftet, aber die Verkäuferin behauptet im Zuge der Verhandlung, Emil das Brot ge-schenkt zu haben und schwört sogar einen Meineid. Emil behauptet bis zum Schluss, das Brot gestohlen zu haben. Die Erzählung endet damit, das Kolbe aus der Haft entlassen wird und wieder durch die Straßen zieht.

Der Aufbau der Handlung ist für die Leserinnen und Leser durch den chro-nologischen Erzählverlauf problemlos nachvollziehbar. In der Einleitung, die die ersten 17 Zeilen umfasst, wird die Hauptperson Emil Kolbe beschrie-ben und es wird erklärt, in welcher auswegloser Situation er sich befindet. Im Hauptteil, der sich von Zeile 18 bis Zeile 98 erstreckt, schildert die Auto-rin den Diebstahl des Brotes, wie die Verkäuferin darauf reagiert und dass Emil nicht das erreicht, was er sich erhofft hat. Seine Entäuschung führt zur Selbstanzeige und zur zeitweiligen Verhaftung, die aber nicht aufrecht bleibt, denn die Verkäuferin behauptet, dass sie gar nicht bestohlen worden sei. Die Erzählung endet damit, dass Kolbe enthaftet wird und sich wieder in seiner Ausgangssituation befindet, nun friert er aber noch zusätzlich. „Der Meineid“ ist eine Er-Erzählung, bei der der Erzähler nicht in die Hand-lung involviert ist. Er schildert zuerst sehr genau die Gedanken und Gefühle von Emil (z. B. „ging unschlüssig weiter“ (Z. 4), „Es fiel ihm schwerer, als er glaubte“ (Z. 8, 9), im Laufe der Geschichte erfährt die Leserin bzw. der Leser auch viel darüber, was die Verkäuferin denkt und fühlt (z. B. „flüchtete sie erbleichend“ (Z. 46), „Immerhin war sie zufrieden“ (Z. 70). Zusätzlich dazu fügt der Er-Erzähler in einigen wenigen Passagen Kommentare ein (z. B. „sonderbar genug“ (Z. 61, 62), „Die gute Frau“ (Z. 63, 64). Diese Stellen schei-nen fast schon auktorial erzählt zu sein. Die Autorin verwendet einen einfa-chen Wortschatz, einige Begriffe sind zwar veraltet (z. B. „Schuhwerk“ (Z. 4), „der Schutzmann“ (Z. 42, 43), entsprechen aber der Entstehungszeit. Mithil-fe der kurzen Aussagesätze erhöht Hartwig die Spannung und die immer wieder eingefügten Fragesätze wie „Hatte er denn eine Wahl?“ beziehen die Leserin bzw. den Leser in das Geschehen ein. Wortwiederholungen und Anaphern, wie in den Zeilen 19 und 20 „Ohne sich zu beeilen und wortlos“ und „ohne sich zu beeilen und wortlos“, tragen zur Steigerung des Gesagten bei und zeigen auf, wie verzweifelt die männliche Hauptperson ist.

Warum Emil Kolbe diese Handlung setzt, lässt sich aus dem Text gut be-gründen. Seine Motive sind die andauernde Arbeitslosigkeit, seine Obdach-losigkeit und seine Hoffnungslosigkeit, dass sich an seiner Situation in nächster Zeit etwas ändert. Für ihn scheint das Gefängnis ein Zufluchtsort zu sein, der ihm für kurze Zeit seine Probleme vergessen lässt. Die Beweg-gründe der Verkäuferin sind hingegen nicht so einfach nachvollziehbar. Zu

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Beginn ist sie fassungslos über den Diebstahl, dann hat sie Mitleid mit dem Dieb und schließlich möchte sie ihm mit ihrer Falschaussage helfen, und erreicht genau das Gegenteil.

In „Der Meineid“ ist viel Gesellschaftskritik verpackt. Die Hauptperson, die arbeitsfähig und arbeitswillig ist, wird durch die wirtschaftlichen Verhältnis-se dazu gedrängt, eine illegale Lösung für ihre Probleme zu suchen, denn vom Staat erhält er keine finanzielle Unterstützung. Die Verkäuferin hat Mitleid mit dem Mann und symbolisiert deshalb das schlechte Gewissen, dass die Gesellschaft hat, wenn es um soziale Ungerechtigkeiten geht. Die Frau setzt die Handlung deshalb, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, aber mit ihrer vermeintlichen Hilfe verschlimmert sie die Lage von Emil Kol-be noch.

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In der Erzählung „Der Meineid“, die um 1930 erschienen ist, schrieb die Schriftstellerin Mela Hartwig über falsch gemeinte Hilfe und zu welchen drastischen Schritten verzweifelte Menschen getrieben werden können.

Der arbeitslose Mechaniker Emil Kolbe stiehlt Brot, um einerseits seinen Hunger zu stillen, und andererseits für ein paar Tage ins Gefängnis zu kom-men, damit er nicht länger auf der Straße schlafen muss. Doch sein Vorha-ben misslingt, denn die Verkäuferin hat Mitleid mit ihm und zeigt den Dieb-stahl nicht an. Da er völlig verzweifelt ist und nicht weiß, wo er in nächster Zeit schlafen sollte, erstattet Emil Selbstanzeige. Er wird zwar verhaftet, aber die Verkäuferin behauptet im Zuge der Verhandlung, Emil das Brot ge-schenkt zu haben und schwört sogar einen Meineid. Emil behauptet bis zum Schluss, das Brot gestohlen zu haben. Die Erzählung endet damit, das Kolbe aus der Haft entlassen wird und wieder durch die Straßen zieht.

Der Aufbau der Handlung ist für die Leserinnen und Leser durch den chro-nologischen Erzählverlauf problemlos nachvollziehbar. In der Einleitung, die die ersten 17 Zeilen umfasst, wird die Hauptperson Emil Kolbe beschrie-ben und es wird erklärt, in welcher auswegloser Situation er sich befindet. Im Hauptteil, der sich von Zeile 18 bis Zeile 98 erstreckt, schildert die Auto-rin den Diebstahl des Brotes, wie die Verkäuferin darauf reagiert und dass Emil nicht das erreicht, was er sich erhofft hat. Seine Entäuschung führt zur Selbstanzeige und zur zeitweiligen Verhaftung, die aber nicht aufrecht bleibt, denn die Verkäuferin behauptet, dass sie gar nicht bestohlen worden sei. Die Erzählung endet damit, dass Kolbe enthaftet wird und sich wieder in seiner Ausgangssituation befindet, nun friert er aber noch zusätzlich. „Der Meineid“ ist eine Er-Erzählung, bei der der Erzähler nicht in die Hand-lung involviert ist. Er schildert zuerst sehr genau die Gedanken und Gefühle von Emil (z. B. „ging unschlüssig weiter“ (Z. 4), „Es fiel ihm schwerer, als er geglaubt hatte“ (Z. 8, 9), im Laufe der Geschichte erfährt die Leserin bzw. der Leser auch viel darüber, was die Verkäuferin denkt und fühlt (z. B. „flüchtete sie erbleichend“ (Z. 46), „Immerhin war sie zufrieden“ (Z. 69). Zusätzlich dazu fügt der Er-Erzähler in einigen wenigen Passagen Kommentare ein (z. B. „sonderbar genug“ (Z. 61, 62), „Die gute Frau“ (Z. 63, 64). Diese Stellen scheinen fast schon auktorial erzählt zu sein. Die Autorin verwendet einen einfachen Wortschatz, einige Begriffe sind zwar veraltet (z. B. „Schuhzeug“ (Z. 4), „der Schutzmann“ (Z. 42, 43), entspre-chen aber der Entstehungszeit. Mithilfe der kurzen Aussagesätze erhöht Hartwig die Spannung und die immer wieder eingefügten Fragesätze wie „Hatte er denn eine Wahl?“ (Z. 11) beziehen die Leserin bzw. den Leser in das Geschehen ein. Wortwiederholungen und Anaphern, wie in den Zeilen 19 und 20 „Ohne sich zu beeilen und wortlos“ und „ohne sich zu beeilen und wortlos“, tragen zur Steigerung des Gesagten bei und zeigen auf, wie ver-zweifelt die männliche Hauptperson ist.

Warum Emil Kolbe diese Handlung setzt, lässt sich aus dem Text gut be-gründen. Seine Motive sind die andauernde Arbeitslosigkeit, seine Obdach-losigkeit und seine Hoffnungslosigkeit, dass sich an seiner Situation in nächster Zeit etwas ändert. Für ihn scheint das Gefängnis ein Zufluchtsort

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zu sein, der ihm für kurze Zeit seine Probleme vergessen lässt. Die Beweg-gründe der Verkäuferin sind hingegen nicht so einfach nachvollziehbar. Zu Beginn ist sie fassungslos über den Diebstahl, dann hat sie Mitleid mit dem Dieb und schließlich möchte sie ihm mit ihrer Falschaussage helfen, und erreicht genau das Gegenteil.

In „Der Meineid“ ist viel Gesellschaftskritik verpackt. Die Hauptperson, die arbeitsfähig und arbeitswillig ist, wird durch die wirtschaftlichen Verhältnis-se dazu gedrängt, eine illegale Lösung für ihre Probleme zu suchen, denn vom Staat erhält er keine finanzielle Unterstützung. Die Verkäuferin hat Mitleid mit dem Mann und symbolisiert deshalb das schlechte Gewissen, dass die Gesellschaft hat, wenn es um soziale Ungerechtigkeiten geht. Die Frau setzt die Handlung deshalb, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, aber mit ihrer vermeintlichen Hilfe verschlimmert sie die Lage von Emil Kol-be noch. Schon viel früher sollte gesellschaftliche Solitarität eine Rolle spie-len, nicht erst, wenn die Lage, so wie im Fall Kolbe, fast aussichtslos ist.

(656 Wörter)

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