400 Jahre Logarithmen

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OVERFLOW / 400 JAHRE LOGARITHMEN } 400 Jahre Logarithmen Ein berühmtes mathematisches Gedicht und eine informatische Replik Otto Spaniol Das Jahr 2014 verdient es, das ,,Jahr der Jubiläen“ genannt zu werden. Im Verlauf des Jahres haben wir (die Liste ist unvollständig): – 28. Januar 2014: 1200. Todestag von Karl dem Großen – 1. August 2014: 100 Jahre ,,Beginn des Ersten Weltkriegs“ – 1. September 2014: 75 Jahre ,,Beginn des Zweiten Weltkriegs“ – 9. November 2014: 25 Jahre ,,Fall der Berliner Mauer“ Mathematik und Informatik beteiligen sich an diesem ,,Festival der Jubiläen“ mit ,,400 Jahre Logarithmen“. Im Gegensatz zu den anderen ge- nannten Jubiläumsdaten konnte ich keinen exakten Tag für dieses Ereignis ausmachen. Es steht aber fest, dass John Napier (1550–1617) im Jahr 1614 eine erste Logarithmentafel herausbrachte, de- ren Berechnungsgrundlagen allerdings von den später gebräuchlichen Briggs’schen Logarithmen abwichen. Briggs übertrieb es übrigens etwas mit seinen Lobhudeleien auf die Napier-Logarithmen. Er schrieb z. B. an Erzbischof Ussher: ,,Napier hat sowohl meinen Geist als auch meine Hände in Arbeit versetzt durch seine neuen und bewundernswerten Logarithmen. Ich hoffe, ihn im Laufe dieses Som- mers zu treffen, so es Gott gefällt. Denn nie habe ich ein Buch gesehen, das mir besser gefiel oder mich mehr in Staunen versetzte.“ Schon die Inder sollen so etwas wie Logarith- men im zweiten Jahrhundert vor Christus genutzt haben. Aber Napier war halt der erste, der die Sache in der sogenannten neueren Zeit bekannt gemacht Abb. 1 John Napier (1550–1617) hat. Und das im ,,zarten Alter“ von 64 Jahren. Keine drei Jahre später war er bereits an den Folgen der Gicht(!) gestorben. Woran man erkennen mag, dass das Wetter in seinem Wohnort Edinburgh bereits damals nicht besser war als heute. DOI 10.1007/s00287-014-0775-7 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Otto Spaniol RWTH Aachen E-Mail: [email protected] (im GI Informatik-Spektrum auch unter zwei Pseudonymen aktiv)

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OVERFLOW / 400 JAHRE LOGARITHMEN }

400 Jahre LogarithmenEin berühmtes mathematisches Gedicht und eine informatische Replik

Otto Spaniol

Das Jahr 2014 verdient es, das ,,Jahr der Jubiläen“genannt zu werden. Im Verlauf des Jahres haben wir(die Liste ist unvollständig):

– 28. Januar 2014: 1200. Todestag von Karl demGroßen

– 1. August 2014: 100 Jahre ,,Beginn des ErstenWeltkriegs“

– 1. September 2014: 75 Jahre ,,Beginn des ZweitenWeltkriegs“

– 9. November 2014: 25 Jahre ,,Fall der BerlinerMauer“

Mathematik und Informatik beteiligen sich andiesem ,,Festival der Jubiläen“ mit ,,400 JahreLogarithmen“. Im Gegensatz zu den anderen ge-nannten Jubiläumsdaten konnte ich keinen exaktenTag für dieses Ereignis ausmachen. Es steht aberfest, dass John Napier (1550–1617) im Jahr 1614eine erste Logarithmentafel herausbrachte, de-ren Berechnungsgrundlagen allerdings von denspäter gebräuchlichen Briggs’schen Logarithmenabwichen. Briggs übertrieb es übrigens etwas mitseinen Lobhudeleien auf die Napier-Logarithmen.Er schrieb z. B. an Erzbischof Ussher: ,,Napier hatsowohl meinen Geist als auch meine Hände in Arbeitversetzt durch seine neuen und bewundernswertenLogarithmen. Ich hoffe, ihn im Laufe dieses Som-mers zu treffen, so es Gott gefällt. Denn nie habe ichein Buch gesehen, das mir besser gefiel oder michmehr in Staunen versetzte.“

Schon die Inder sollen so etwas wie Logarith-men im zweiten Jahrhundert vor Christus genutzthaben. Aber Napier war halt der erste, der die Sachein der sogenannten neueren Zeit bekannt gemacht

Abb. 1 John Napier (1550–1617)

hat. Und das im ,,zarten Alter“ von 64 Jahren. Keinedrei Jahre später war er bereits an den Folgen derGicht(!) gestorben. Woran man erkennen mag, dassdas Wetter in seinem Wohnort Edinburgh bereitsdamals nicht besser war als heute.

DOI 10.1007/s00287-014-0775-7© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Otto SpaniolRWTH AachenE-Mail: [email protected](im GI Informatik-Spektrum auchunter zwei Pseudonymen aktiv)

{ 400 JAHRE LOGARITHMEN

Abb. 2 Logarithmentafeln aus der ,,Descriptio“ von John Napier. Quelle: http://wwwmath.sci.kun.nl/math/werkgroepen/gmfw/bronnen/napiertabellen.html

Mit einiger Sicherheit wird ,,400 Jahre Infor-matik“ in der Presse nicht annähernd so intensivgewürdigt werden wie etwa ,,100 Jahre Erster Welt-krieg“. Dabei haben Logarithmen eine gewaltigeBedeutung, obwohl unsere Schüler heutzutage leidernur noch selten mit dem Rechenschieber umzu-gehen lernen. Ihr Einfluss auf Mathematik undInformatik war und ist jedenfalls enorm, z. B. in derKomplexitätstheorie, für beinahe alle technischenAnwendungen etc.

Es gibt ein wunderschönes Gedicht über Loga-rithmen von Prof. Dr. Hubert Cremer. Er war der

erste Rechenzentrumsleiter der RWTH Aachen undhat in seiner Freizeit eine Vielzahl von Gedichtengeschrieben, die unter dem Titel ,,Carmina Ma-thematica und andere poetische Jugendsünden“veröffentlicht wurden und leider längst vergriffensind. Mein Exemplar stammt aus dem Jahr 1962 undwurde herausgegeben von der ,,Fachschaft für Ma-thematiker, Physiker und Lehramtskandidaten derRWTH Aachen“ und gedruckt von der längst nichtmehr existierenden ,,Verlags- und BuchdruckereiJohannes Volk in 51 Aachen“. Das Gedicht heißt,,Zahlenliebe“ und geht so:

Zahlenliebe (von Hubert Cremer;aus “Carmina Mathematica“)

Die 2 und ihr Logarithmus,die liebten einander so sehr.Ein rationales Verhältnisschien ihnen das höchste Begehr.

Sie gingen zum strengen Gelehrten.Der sprach: ,,Ja, was fällt Euch denn ein!Ein rationales Verhältniszwischen Euch kann nimmermehr sein.

Du bist so ein Transzendentervom Zahlenproletariat.Sie ist im Primzahlenstaatedie Beste, denn sie nur ist grad.“

Da rang sie verzweifelt die Hände,er aber fasste sich schnell:,,Ist’s rational auch nicht möglich,so geht es zumindest reell!“

Das stammt also von Prof. Hubert Cremer (1897–1983), der Mathematiker war zu einer Zeit, diedeutlich vor der Einrichtung der ersten Informa-tikstudiengänge lag und wo selbst das Kunstwort,,Informatik“ noch nicht existierte. Er kam 1946 imRahmen eines Lehrauftrags an die RWTH Aachen.1949 wurde er auf den Lehrstuhl C für Mathema-tik berufen und zum Direktor des MathematischenInstituts ernannt. 1966 wurde er emeritiert.

Auf seine Initiative hin wurde 1956/57 das ersteRechenzentrum heutigen Typs des Landes Nord-rhein-Westfalen an der RWTH Aachen gegründet,dessen Leitung er bis 1965 innehatte. 1958 setzte sichCremer für die Beschaffung der Z 22 der Zuse KGein. Das war der erste serienmäßig hergestellte Röh-renrechner und das siebte Modell, das Konrad Zusekonstruierte. Die Anlage war bis Ende 1966 in Betrieb.

Und jetzt zur ,,informatischen Replik“ auf die,,Zahlenliebe“.

Zwar bin ich selbst auch (gewesener) Mathema-tiker, aber ich gehöre – obwohl inzwischen ebenfallsnicht mehr im aktiven Dienst – einer jüngeren Ge-neration als Hubert Cremer an, den ich leider niepersönlich kennen gelernt habe. Man möge mirdaher verzeihen, dass mir eine Ungereimtheit amGedicht auffiel, die Anlass zu folgender Replik gibt:

Informatik erleichtert die Zahlenliebe(von Otto Spaniol)

Wenn man es genau bedenkt,ist Mathe nun doch arg beschränkt.Sie glaubt, die Logarithmuszahlsei zur Zahl selbst nicht rationalim Verhältnis jedenfalls.Der Informatiker kriegt da ’nen Halsauch wenn der gute olle Napiernur Transzendente bracht’ zu Pápieran Logarithmen, die da warenbekannt schon vor vierhundert Jahren.

Napier verstand (man fasst es schwer)nicht, dass die neue Welt binärsein könnt’ oder oktal.Nicht unbedingt nur dezimal.Sonst hätte er gewiss bemerkt,dass binäres Rechnen stärktdie Rechentechnik – ja, mein Guter –vor allem mal für die Computer.Doch: Sechzehnhundertúndvierzéhn,da tat noch kein Computer steh’nmit Ausnahme des Abakus’und ähnlich unbrauchbarem Stuss.

Hubert Cremer wiederumwar Chef von ’nem Rechénzentrúm.Der hätte wissen können (müssen?)dass (man könnt’ sich glatt verpissen)der Logarithmus (Basis 2)von Zwei durchaus ganzzahlig sei.Und damit – das ist trivial –ist das Verhältnis rational (!)der Zwei zu ihrem Logarithmus,wobei die Basis 2 gleich mit muss.

Moral (wie üblich zweigeteilt):

1. Hätte der Mathematiker an den Binärlogarithmusgedacht, wäre die Welt um ein wunderbaresGedicht ärmer.

2. Gäbe es die Mathematik nicht, dann hätte auchdie Informatik ein Gedicht weniger.