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5.1.15.1 Perioperatives Management von Patienten mit Herzschrittmacher oder implantiertem Defibrillator R. WINIKER-SEEBERGER, C. STICHERLING, M. SEEBERGER Da der Anteil älterer Menschen in den westlichen Ländern steigt, sehen wir in der chirurgischen Population immer häufiger Patienten, die mit einem implantierten kar- dialen elektronischen Therapiegerät be- handelt sind. Bei diesen Geräten kann es sich um einen Herzschrittmacher (PM, Pacemaker) oder einen Defibrillator (ICD, Implantable Cardioverter Defibrillator) handeln oder um ein Resynchronisations- therapie-Gerät (CRT, Cardiac Resynchroni- zation Therapy device) mit oder ohne ICD- Funktion. Als Sammelbegriff für diese Ge- räte wird auch im deutschen Sprachge- brauch oftmals die englische Abkürzung CIED (Cardiac Implantable Electronic Devi- ce) gebraucht, die wir in dieser Übersichts- arbeit ebenfalls verwenden werden. Fallbeispiel: Die diensthabende Chirurgin meldet Ihnen eine 85-jährige Patientin für eine notfallmäßige laparoskopische Chole- cystektomie an. Vor 10 Jahren wurde der Patientin wegen eines AV-Blocks III ein Schrittmacher implantiert. Der kar- diopulmonale Zustand der Patientin ist stabil. Im EKG findet sich ein durchge- hendes ventrikuläres Pacing. Die Chi- rurgin fragt Sie, ob präoperativ eine Umprogrammierung des Schrittma- chers nötig sei. Wie beantworten Sie die Frage der Chi- rurgin? Was klären Sie ab, um diese Fra- ge beantworten zu können? Und wie genau behandeln Sie die Patientin vor, während und nach dem Eingriff? (Die Antworten zu diesen Fragen fin- den Sie am Ende des Textes.) 1 Problemstellung Die sichere Funktion eines Schrittmachers oder eines implantierten Defibrillators kann bei Operationen durch die Diather- mie („Kautern“) gestört werden. Weitere mögliche Störquellen für ein CIED sind die Magnetresonanztomographie, die Litho- tripsie, eine Elektrokrampftherapie oder eine Nervenstimulation. Für die adäquate Funktion eines CIED in diesen Situationen und damit für die Patientensicherheit ist es wichtig, dass die Anästhesistin Indikation und Funktionsprinzipien des Gerätes ebenso kennt wie deren mögliche Störung durch operative oder diagnostische Ver- fahren. Bei Bedarf muss die Anästhesistin eine Umprogrammierung des Gerätes ver- anlassen oder einen Magneten für die Dau- er der Operation über das Gerät legen. Bis vor wenigen Jahren wurde ein CIED vor einem operativen Eingriff fast immer um- programmiert, um den Ausfall einer benö- tigten Schrittmacherfunktion oder eine nicht indizierte Defibrillation zu verhin- Patienten m. Begleiterkrankungen Allgemeiner Teil 5.1.15.1 Eckart • Jaeger • Möllhoff – Anästhesiologie – 64. Erg.-Lfg. 9/19 1 5 Begleiterkrankungen

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5.1.15.1 Perioperatives Management vonPatienten mit Herzschrittmacher oderimplantiertem Defibrillator

R. WINIKER-SEEBERGER, C. STICHERLING, M. SEEBERGER

Da der Anteil älterer Menschen in denwestlichen Ländern steigt, sehen wir in derchirurgischen Population immer häufigerPatienten, die mit einem implantierten kar-dialen elektronischen Therapiegerät be-handelt sind. Bei diesen Geräten kann essich um einen Herzschrittmacher (PM,Pacemaker) oder einen Defibrillator (ICD,Implantable Cardioverter Defibrillator)handeln oder um ein Resynchronisations-therapie-Gerät (CRT, Cardiac Resynchroni-zation Therapy device) mit oder ohne ICD-Funktion. Als Sammelbegriff für diese Ge-räte wird auch im deutschen Sprachge-brauch oftmals die englische AbkürzungCIED (Cardiac Implantable Electronic Devi-ce) gebraucht, die wir in dieser Übersichts-arbeit ebenfalls verwenden werden.

Fallbeispiel:

Die diensthabende Chirurgin meldetIhnen eine 85-jährige Patientin für einenotfallmäßige laparoskopische Chole-cystektomie an. Vor 10 Jahren wurdeder Patientin wegen eines AV-Blocks IIIein Schrittmacher implantiert. Der kar-diopulmonale Zustand der Patientin iststabil. Im EKG findet sich ein durchge-hendes ventrikuläres Pacing. Die Chi-rurgin fragt Sie, ob präoperativ eineUmprogrammierung des Schrittma-chers nötig sei.

Wie beantworten Sie die Frage der Chi-rurgin? Was klären Sie ab, um diese Fra-ge beantworten zu können? Und wiegenau behandeln Sie die Patientin vor,während und nach dem Eingriff?

(Die Antworten zu diesen Fragen fin-den Sie am Ende des Textes.)

1 Problemstellung

Die sichere Funktion eines Schrittmachersoder eines implantierten Defibrillatorskann bei Operationen durch die Diather-mie („Kautern“) gestört werden. Weiteremögliche Störquellen für ein CIED sind dieMagnetresonanztomographie, die Litho-tripsie, eine Elektrokrampftherapie odereine Nervenstimulation. Für die adäquateFunktion eines CIED in diesen Situationenund damit für die Patientensicherheit ist eswichtig, dass die Anästhesistin Indikationund Funktionsprinzipien des Gerätesebenso kennt wie deren mögliche Störungdurch operative oder diagnostische Ver-fahren. Bei Bedarf muss die Anästhesistineine Umprogrammierung des Gerätes ver-anlassen oder einen Magneten für die Dau-er der Operation über das Gerät legen.

Bis vor wenigen Jahren wurde ein CIED voreinem operativen Eingriff fast immer um-programmiert, um den Ausfall einer benö-tigten Schrittmacherfunktion oder einenicht indizierte Defibrillation zu verhin-

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dern. Eine Umprogrammierung beinhaltetaber auch Gefahren, wenn beispielsweisedie potenziell lebensrettende Defibrillator-Funktion nach dem Eingriff nicht umge-hend reaktiviert wird oder der Schrittma-cher in einem asynchronen Stimulations-Modus verbleibt. Außerdem ist eine Um-programmierung mit einem beträchtli-chen Aufwand verbunden, kann zu Verzö-gerungen im operativen Ablauf führenoder die Verlegung in ein größeres Spitalmit kardiologischem Bereitschaftsdiensterfordern. Durch ein besseres Verständnisder möglichen Problematik ist in den letz-ten Jahren klar geworden, dass die Umpro-grammierung eines CIED vor einer Operati-on nur bei einer Minderheit der Patientennotwendig ist (Crossley et al. 2011, Healeyet al. 2012).

Merke: Die Umprogrammierung einesimplantierten Schrittmachers oder De-fibrillators vor einer Operation ist nurbei einer Minderheit der Patienten er-forderlich.

Diese Übersichtsarbeit legt die Funktions-prinzipien sowie mögliche Funktionsbe-einträchtigungen der CIEDs bei operativenoder diagnostischen Prozeduren dar. Ba-sierend darauf werden praktische Empfeh-lungen abgegeben, wie die Sicherheit derPatienten mit PM, ICD oder CRT bei chirur-gischen oder diagnostischen Prozedurenmit kleinstmöglichem Aufwand sicherge-stellt werden kann.

2 Arten von CIED

2.1 Herzschrittmacher (Pacemaker,PM)

Schrittmacher kommen bei Bradykardienunterschiedlicher Ätiologie zum Einsatz.Die Schrittmacher-Einlage erfolgt häufigwegen einer symptomatischen Bradykar-die infolge eines Sick-Sinus-Syndroms odereines AV-Blocks. Die Schrittmacher-Impul-se gewährleisten in diesen Situationeneine normokarde Herzfrequenz und da-durch eine adäquate Herzfunktion.

Beim klassischen permanenten Schrittma-cher wird ein Schrittmacheraggregat sub-kutan unterhalb des Schlüsselbeins plat-ziert. Mittels transvenöser Elektroden wirddas Aggregat mit dem rechten Vorhofund/oder Ventrikel verbunden; über siewird der Herzrhythmus registriert und beiBedarf eine elektrische Stimulation desHerzens durchgeführt.

2.1.1 Schrittmacher-Systeme

Es gibt drei unterschiedliche Schrittma-cher-Systeme: Einkammer-, Zweikammer-und Dreikammersysteme. Bei einem Ein-kammer-Schrittmacher wird eine einzelneElektrode im rechten Vorhof oder rechtenVentrikel angebracht (Abb. 1a). Ein Zwei-kammer-Schrittmacher verfügt über zweiElektroden, wobei eine Elektrode im rech-ten Vorhof und die andere im rechten Ven-trikel implantiert wird (Abb. 1b). Zusätzlichgibt es noch ein Dreikammer-System, denbiventrikulären Schrittmacher. Dieses Sys-tem wird nicht primär zur antibradykardenStimulation, sondern zur Behandlung derHerzinsuffizienz implantiert; hierbei wirdeine dritte Elektrode über den rechten Vor-

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Abb. 1: Thorax-Röntgenbe-funde von CIEDa: Einkammer-Defibrillator(p.a.-Aufnahme; ICD-Elektro-de an der distalen Schockcoil identifizierbar)

b: Zweikammer-Schrittma-chersystem (DDD; p.a.-Auf-nahme)

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c: CRT-Schrittmacher (p.a.-Aufnahme)

d: kabelloser Schrittmacher(p.a.-Aufnahme)

hof und den Koronarvenensinus in einerepikardialen Vene über dem linken Ventri-kel platziert (Abb. 1c).

Ein ganz neuer Typ von Einkammerschritt-machern sind die seit 2016 zugelassenenminiaturisierten kabellosen Schrittmacher(Abb. 1d, 1e und 2) (Reynolds et al. 2016).Diese Schrittmacher benötigen keine Son-

den, sondern werden mittels Kathetertech-nik transvenös von femoral direkt im Apexdes rechten Ventrikels implantiert. Da die-se Patienten keine Narben an typischer Lo-kalisation aufweisen und der Schrittma-cher auch nicht palpabel ist, fehlen in derklinischen Untersuchung Hinweise auf dasmögliche Vorhandensein eines CIED.

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e: kabelloser Schrittmacher(laterale Aufnahme)

Merke: Auch bei Fehlen einer Narbeund fehlendem Palpationsbefund sub-klavikulär kann ein Patient einenSchrittmacher in sich tragen.

Abb. 2: Klassischer Schrittmacher neben minia-turisiertem Schrittmacher (© Medtronic GmbH.Verwendung mit freundlicher Genehmigung)

2.1.2 Funktionsarten

Schrittmacher können unterschiedlicheFunktionsarten aufweisen, die mittelseines maximal 5-stelligen Buchstaben-codes beschrieben werden; häufig werdenallerdings nur die ersten 3 respektive 4Stellen angegeben (s. Tab. 1 und 2).

Der an erster Stelle angegebene Buchstabebezieht sich auf den Ort der Stimulation.Diese kann entweder nur im Vorhof (A =Atrium), nur im Ventrikel (V) oder sowohlim Vorhof als auch im Ventrikel erfolgen (D= Dual).

Gleichermaßen wird an zweiter Stelle derOrt des Sensing angezeigt. Auch Sensingkann entweder nur im Vorhof (A), nur imVentrikel (V) oder an beiden Orten erfolgen(D).

Der dritte Buchstabe beschreibt die Reakti-on des Schrittmachers auf ein Sensing. Iminhibierenden Modus (I) wird bei Detektioneines herzeigenen Signals ein Schrittma-

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Tab. 1: Funktionsarten von permanenten Herzschrittmachern (revidierter NASPE/BPEC-Code) (Bern-stein et al. 2002)

Position I Position II Position III Position IV Position V

Ort des Pacing Ort desSensing

Antwort aufSensing

Frequenz-anpassung

Mehrstellen-Stimulation

0 = keiner 0 = keiner 0 = keine 0 = nein 0 = nein

A = Atrium A = Atrium I = inhibiert R = ja A = Atrium

V = Ventrikel V = Ventrikel T = getriggert V = Ventrikel

D = A+V D = A+V D = I+T D = A+V

D = Dual, R = Rate responsiveness

Tab. 2: Beispiele für Funktionscodes vonSchrittmachern

VVI Pacing im Ventrikel (V)Sensing im Ventrikel (V)die Erkennung eines herzeige-nen Signals führt zu einer Unter-drückung der Schrittmachersti-mulation (I)

DDD Pacing im Vorhof und Ventrikel(D)Sensing im Vorhof und Ventrikel(D)bei herzeigener Aktivität in Vor-hof oder Kammer wird die dorti-ge Schrittmacher-Stimulation in-hibiert, der Ventrikel wird miteiner programmierten Verzöge-rungszeit nach Vorhofstimulationoder im Falle eines AV-Blocksnach detektierter eigener Vor-hofaktion stimuliert (D)

DDDR wie vorbeschrieben; zusätzlichbesteht eine Frequenzadaptation(R)

cher-Impuls unterdrückt. Im getriggertenModus (T) führt ein im Atrium erkanntesherzeigenes Signal zu einer Impulsabgabeim Ventrikel. Auch hier gibt es eine kombi-nierte Funktionsart (D); hierbei inhibiertein herzeigenes Signal in Vorhof oder Kam-mer an diesem Ort die Stimulation durch

den Schrittmacher, und zusätzlich führteine im Vorhof detektierte herzeigene Er-regung bei vorliegendem AV-Block mit de-finierter Verzögerung zur Stimulation desVentrikels.

An vierter Stelle wird angegeben, ob beimSchrittmacher eine Frequenzanpassungprogrammiert wurde. Diese Programmie-rung ermöglicht bei körperlicher Anstren-gung eine Erhöhung der Stimulationsfre-quenz. Eine Frequenzsteigerung kanndurch Sensoren für das Atemminutenvolu-men, für Bewegung des Schrittmachers beikörperlicher Aktivität oder durch einen QT-Sensor ausgelöst werden.

Selten wird an fünfter Stelle zusätzlich an-gezeigt, dass eine Mehrstellenstimulationvorhanden ist. In diesem Falle werdenSchrittmacher-Impulse an mehreren Stel-len abgegeben, beispielsweise an mehre-ren Orten im rechten Vorhof oder sowohlim rechten als auch im linken Vorhof (A).Ebenso können die Schrittmacher-Impulsean mehreren Orten des rechten Ventrikelsoder sowohl im rechten als auch linkenVentrikel erfolgen (V). Die Dualfunktiongibt hier an, dass die Schrittmacher-Impul-se an mehreren Stellen im Vorhof und imVentrikel abgegeben werden (D).

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