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nr. 114 9 / 10 / 2009 zeitung für den studiofilm im arthouse alba arthouse commercio arthouse movie 1+2 arthouse nord-süd arthouse le paris arthouse piccadilly riff raff uto e w s i e n o v m Studiofilm-Vorpremieren Arthouse Le Paris, Zürich-Stadelhofen Sieben Tage die Woche um 12.15 Uhr www.lunchkino.ch departures Der überraschende Gewinner des Oscars für den besten fremdsprachigen Film 2009. Ein Cellospieler beschliesst, nachdem sein Orchester aufgelöst wurde, mit seiner Ehe- frau in seine alte Heimat zurückzuziehen und dort von vorne zu beginnen. Er meldet sich auf eine Jobanzeige, doch unter dem Titel «Departures» verbirgt sich nicht etwa eine Reiseagentur … Humorvoll und tief bewegend – Yojiro Takitas Grosserfolg aus Japan ist eine meisterhafte melancholische Komödie über die Macht der Liebe, die Kraft der Musik und das Glück der letzten Stunde. © 2008 Departures Film Partners Regie: Yojiro Takita, Verleih: Rialto Film.

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Studiofilm-VorpremierenA r t h o u s e L e P a r i s , Z ü r i c h - S t a d e l h o f e nS i e b e n Ta g e d i e W o c h e u m 1 2 . 1 5 U h rw w w . l u n c h k i n o . c h

departuresDer überraschende Gewinner des Oscars für den besten fremdsprachigen Film 2009.Ein Cellospieler beschliesst, nachdem sein Orchester aufgelöst wurde, mit seiner Ehe-frau in seine alte Heimat zurückzuziehen und dort von vorne zu beginnen. Er meldetsich auf eine Jobanzeige, doch unter dem Titel «Departures» verbirgt sich nicht etwaeine Reiseagentur … Humorvoll und tief bewegend – Yojiro Takitas Grosserfolg ausJapan ist eine meisterhafte melancholische Komödie über die Macht der Liebe, die Kraftder Musik und das Glück der letzten Stunde. ©

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Regie: Yojiro Takita, Verleih: Rialto Film.

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Nachdem Michael Haneke die letzten Jahre in Frankreich lebte und inseinen Filmen – ausser im US-Remake von «Funny Games» – der fran-zösischen Gesellschaft die Reverenz erwies, kehrt er mit seinem neus-ten Werk nun in den deutschen Sprachraum zurück. DAS WEISSE BANDspielt am Vorabend des Ersten Weltkrieges in einem Dorf in Nord-deutschland. Man ist protestantisch,die Hierarchien sind klar. Das Sagenhaben der Pastor, der Baron und derArzt. Frauen, Kinder, Bauern und Gesin-de müssen gehorchen. Dann gibt es danoch den Lehrer. Er ist unabhängig,denkt eigenständig – aus seiner Sichtrollt Haneke seine Dorfgeschichte auf.Ein noch junger Mann ist der Lehrer, alsin Eichwald seltsame Dinge geschehen.Erst stolpert das Pferd des Arztes übereinen Draht. Dann wird der behinderteSohn der Hebamme angegriffen, geht

das weisse bandeine Scheune in Flammen auf und am Tag des Erntedankfestes ver-schwindet der Sohn des Barons und wird tags darauf schwer verletztgefunden. Derweil die Polizei im Dunkeln tappt, hegt der Lehrer einenVerdacht, den öffentlich zu äussern der Pastor ihm dringend abrät. Ingravitätischem Schwarz/Weiss hat Haneke DAS WEISSE BAND gedreht;

sein Film erinnert in seiner Mysterio-sität unvermittelt an die Dramen Henri-Georges Clouzots. Tatsächlich ist DASWEISSE BAND, wie eine schwedischeZeitung pointiert formuliert, ein «teufli-sches Kunstwerk»: spannend wie einThriller, fantastisch gut gespielt, uner-hört schön, zugleich Schwindel erre-gend abgründig.

Regie: Michael Haneke.Mit: Christian Friedel, Ulrich Tukur,Burghart Klaussner, Rainer Bock.Verleih: Filmcoopi.

Fünf Jahre ist es her, seit Theo Angelopoulos mit dem wunderschönen«Eleni – Die Erde weint» seinen letzten grossen Film vorstellte. Mit THEDUST OF TIME setzt der 74-jährige Altmeister die darin begonnene tur-bulente Liebesgeschichte um die schöne Eleni und den von ihr gelieb-ten Musiker Spyros fort. THE DUST OF TIME setzt ein in den frühen 50erJahren, mit der flüchtigen BegegnungElenis und Spyros am Tage von StalinsTod. «Wir bezahlen sie teuer, diese kur-zen Momente des Glücks», schreibtEleni ihrem Geliebten Jahre später ineinem nie abgeschickten Brief aus demsibirischen Lager. Angelopoulos indesschreibt die Geschichten der beiden Lie-benden und des mit ihnen befreunde-ten Juden Jakob weiter fort. Er erzähltvon den nach der Flucht in den Westenin den USA verbrachten 1970er Jahren.Er erzählt von Liebe und in Aufruhr

geratenen Gefühlen und schildert schliesslich die Wiederbegegnung derdrei Freunde am letzten Tag des letzten Jahrhunderts in Berlin. Dabeigesellen sich zur Geschichte der drei Freunde, diejenige ihrer Nach-kommen, Söhne und Töchter und Enkel, der Anbruch einer neuen Zeit.Sanft lässt Angelopoulos die verschiedenen Ebenen seines Filmes in-

einandergleiten. Setzt Vergangenheitneben Gegenwart, fügt Traum, Erinne-rung und Wirklichkeit zum geschmeidi-gen Ganzen. Ein Meisterwerk ist THEDUST OF TIME. Elegantes Kino, in demsich Michel Piccoli, Bruno Ganz, IrèneJacob und Willem Dafoe bei einem ver-schworenen Stelldichein in Bestformpräsentieren.

Regie: Theo Angelopoulos.Mit: Irène Jacob, Willem Dafoe,Michel Piccoli, Bruno Ganz.Verleih: Filmcoopi.

the dust of time – i skoni tou chronou

PEPPERMINTA hat die derzeit vielleicht renommierteste SchweizerKünstlerin Pipilotti Rist ihren ersten langen Kinospielfilm betitelt. Soerfrischend wie dessen Namen ist das Verhalten seiner Protagonistin.Gespielt von Ewelina Guzik, ist sie eine typische Pipilotti-Rist-Figur:phantasievoll, leidenschaftlich, aufmüpfig und unbeschreiblich weib-lich. Sie hat von ihrer Grossmutter einFarblabor geerbt und wurde von dieserin die Kunst der Farbhypnose einge-weiht. Nach Grossmutters Tod trägtPepperminta deren Andenken in einerSilberkugel mit sich herum. Eines Tagesbricht sie auf, um Omas letzten Wunschin die Tat umzusetzen und den Men-schen zu zeigen, dass ihre täglichenKümmernisse völlig überflüssig sind.Um ihre Mission zu erfüllen, brauchtPepperminta Gleichgesinnte. Erst lachtsie sich den hypochondrischen Werwen,

dann die Tulpenpflegerin Edna an. Im Sauseschritt stürmt das Trio dieVorlesung des Herrn Professor Schwarz zu Weiss und löst einen orgias-tischen Tumult aus. Kunterbunt ist PEPPERMINTA. Deren Titelheldinhüpft, tanzt, turnt über die Leinwand und Pierre Mennels grandios ent-fesselte Kamera tanzt – bald hautnah dran, bald en distance – mit ihr

mit. Märchenhaft, beschwingt, verspielt– ja gar ein wenig toll, verrückt, abge-hoben ist dieser Film. Eben keingewöhnlicher Kinofilm, sondern ein imGeist von Rists famoser Kunst gebore-ner, lebensfreudiger Aufruf für einemenschlichere Welt bzw. wider bravenBierernst und erstickende Biederkeit.

Regie: Pipilotti Rist.Mit: Ewelina Guzik, Sven Pippig,Sabine Timoteo.Verleih: Frenetic Films.

peppermintaKurz vor Weihnachten stellt Ray fest, dass es ihr spielsüchtiger Gattediesmal definitiv weiter als bloss in den lokalen Bingo-Club geschaffthat. Zusammen mit ihm verschwunden sind sämtliche Ersparnisse –und damit die Aussicht, dem anstrengenden Dasein im Trailer inabsehbarer Zeit zu entkommen. Einzig das familieneigene Auto findetdie Protagonistin in FROZEN RIVER wie-der – und zwar just in dem Moment, indem die junge Mohawk Lila diesesstehlen will. Die erste Begegnung derbeiden Frauen verläuft entsprechendharsch – ist gleichwohl aber der Anfangeiner Freundschaft. Denn Ray brauchtGeld, und Lila weiss offensichtlich, wieman sich solches – illegal – beschafft:Von der Kehrseite des American Dreamerzählt Courtney Hunt in ihrem Regie-debüt. Von zwei Frauen, die um sichund ihre Kinder durchzubringen in die

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Eindrückliche Dokumentarfilme wie «Ricardo, Miriam y Fidel», «WarPhotographer», «The Giant Buddhas» hat Christian Frei gedreht und warnicht selten damit der Zeit ein Stück voraus. Das ist er nun auch mit sei-nem neusten Werk, SPACE TOURISTS, einer Dokumentation über Men-schen, die Millionen ausgeben, um für ein paar Tage von weit oben aufdie Erde hinunter zu schauen. Es ist einFilm aber auch über Menschen, die ihrLeben lang tüfteln, um überhaupt abzu-heben, und wieder andere, die alles vomHimmel Fallende als ein GeschenkGottes betrachten. Im WeltraumbahnhofBaikonur, in Russland, Frankreich undRumänien hat Frei gedreht. Er hat einemkünftigen Weltraumtourist beim Vorbe-reitungstraining zugeschaut, sich vonder ersten Weltraumtouristin AnoushehAnsari von ihrer Reise in der Sojus 9erzählen lassen und von ihr Bilder vom

Sommer 1969. In Vietnam tobt der Krieg. Neil Armstrong fliegt zum Mond.Und auf einer Farm in Bethel findet das Woodstock Music & Art Festivalstatt. Rund um diesen legendären Event spielt TAKING WOODSTOCK, derneue Film von Ang Lee, dem man so grossartige Werke wie «BrokebackMountain», «Sense and Sensibility» und «Crouching Tiger, HiddenDragon» verdankt. Im Zentrum steht eingewisser Elliot Teichberg, der im Som-mer 69 ein Kulturfest organisiert, umdas Motel der Familie vor dem Bankrottzu bewahren. Als einem grossen Open-Air-Festival in der Nachbarschaft dieBewilligung entzogen wird, wittert Elliotseine Chance. Bald sind die Verträgegemacht. In der Folge stürmt ein Batail-lon schriller Künstler und Organisatorendas Kaff und sorgt für helle Aufregung.Als dann auch noch unzählige Hippiesund Musikfans auftauchen, ist das Cha-

os perfekt. TAKING WOODSTOCK folgt der Autobiographie von ElliotTiber, wie sich Teichberg heute nennt. Einfühlsam und mit sicheremGespür für Humor erzählt Lee vom Zusammenprall der konservativenGesellschaft und den dem Motto Love, Peace & Happiness nachlebendenHippies. Er präsentiert in der Rolle Elliots den Hollywood-Neuling Demetri

Martin, diesem zur Seite angeseheneSchauspieler wie Liev Schreiber undEmile Hirsch. Der wahre Star von TAKINGWOODSTOCK aber ist Imelda Staunton,die Elliots furiose Mama mit solcherGrandezza spielt, dass neben ihr sämtli-che Künstler und Hippies schon fastblass wirken.

Regie: Ang Lee.Mit: Demetri Martin, Emile Hirsch,Imelda Staunton.Verleih: Ascot Elite.

taking woodstock

Alltag im All zur Verfügung gestellt gekriegt. Er hat SPACE TOURISTSangereichert mit prächtigen Weltall-Aufnahmen, bizarr anmutenden Aus-zügen aus einer russischen Kurzdoku über Weltraum-Ernährung. Und erhat ihn unterlegt mit jazzigen Sounds von Jan Garbarek, EdwardArtemyev und Steve Kuhn. Das Tüpfchen auf dem i seiner faszinierenden

Space-Doku aber sind Bilder, die Frei aufden Fersen des norwegischen Fotojour-nalisten Jonas Bendiksen in der kasachi-schen Steppe einfing. Hier nämlich ver-anstalten Weltraumschrottsammler beijedem Sojus-Start eine wahre Jagd aufvom Himmel fallende Raketenteile. Siebasteln daraus Kochtöpfe, Werkzeuge –oder eben auch schon mal eine hübschfuturistisch anmutende Jurte.

Regie: Christian Frei.Dokumentarfilm.Verleih: Look Now!

space tourists

peppermintaKurz vor Weihnachten stellt Ray fest, dass es ihr spielsüchtiger Gattediesmal definitiv weiter als bloss in den lokalen Bingo-Club geschaffthat. Zusammen mit ihm verschwunden sind sämtliche Ersparnisse –und damit die Aussicht, dem anstrengenden Dasein im Trailer inabsehbarer Zeit zu entkommen. Einzig das familieneigene Auto findetdie Protagonistin in FROZEN RIVER wie-der – und zwar just in dem Moment, indem die junge Mohawk Lila diesesstehlen will. Die erste Begegnung derbeiden Frauen verläuft entsprechendharsch – ist gleichwohl aber der Anfangeiner Freundschaft. Denn Ray brauchtGeld, und Lila weiss offensichtlich, wieman sich solches – illegal – beschafft:Von der Kehrseite des American Dreamerzählt Courtney Hunt in ihrem Regie-debüt. Von zwei Frauen, die um sichund ihre Kinder durchzubringen in die

Kriminalität rutschen: Quer über den im Winter tief zugefrorenenGrenzfluss führen Ray und Lila Einwanderungswillige von Kanada nachAmerika. Aus Stoff, aus dem Hollywood Rührstücke fertigt, ist FROZENRIVER gedreht – ist in Tat und Wahrheit aber ein grossartiger Inde-pendent-Streifen. Gerade mal knapp 500’000 Dollar hat er gekostet.

Hunts Blick auf die sozialen Verhält-nisse ist klar und in der Hauptrollebrilliert eine phänomenale MelissaLeo. Sich in der Tradition starker,unabhängiger US-Frauenfilme wie«Gas, Food, Lodging» und «SunshineCleaning» bewegend ist FROZEN RIVERein kleines Juwel, das seine zweiOscarnominierungen mehr als verdienthat.

Regie: Courtney Hunt.Mit: Melissa Leo, Misty Upham.Verleih: Xenix Filmdistribution.

frozen river

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«Signers Koffer», «Hans im Glück», «Hardcore Chambermusic»: PeterLiechti ist einer der innovativsten, aber auch mutigsten Filmemacherder Schweiz. Sein bisher schönster, konsequentester – man könnteauch sagen: meisterhaftester – Film ist sein neuster: THE SOUND OFINSECTS, die, wie Liechti es formuliert, «Inszenierung eines literari-schen Textes». Zu Grunde liegt LiechtisFilm ein vom Japaner Shimada Masahikoverfasster, tagebuchartiger Monologeines Mannes, der in der Abgeschie-denheit eines Waldes durch Verzichtauf Nahrung freiwillig aus dem Lebenscheidet. Geschrieben hat Masahikodiesen nach einer Begebenheit, diesich vor einigen Jahren in Japan wirklichzutrug. THE SOUND OF INSECTS nunallerdings spielt nicht in Japan, sondernin den Voralpen; fast möchte man be-haupten: in der Schweiz. In eleganter

An der Berlinale 2009 war die Freude gross, als die PeruanerinClaudia Llosa, eine Verwandte des bekannten Schriftstellers gleichenNamens, für ihren zweiten Spielfilm, LA TETA ASUSTADA, den Golde-nen Bären überreicht erhielt. Ausgezeichnet wurde damit eine vielver-sprechende junge Filmschaffende, die eine eigene Sprache pflegt undeine starke Geschichte vorlegt. IhrSpielfilm ist in einem Armenviertel vonPerus Hauptstadt Lima angesiedelt, indem Menschen leben, die aus denAnden in die Stadt am Pazifik gezogensind. Hierhin kamen sie vor allem auchin den 1980er Jahren, als in den Ber-gen der Sendero Luminoso wütete.Hier versprachen sie sich ein sichere-res und weniger entbehrungsreichesLeben. In LA TETA ASUSTADA erzähltClaudia Llosa von Fausta, einer jun-gen, attraktiven, aber sehr schüchter-

nen Frau, die sozusagen mit der «Milch des Schreckens» gestillt imBewusstsein ihrer eher traurigen Familiengeschichte aufwuchs. Heutelebt sie mit der Familie ihres Onkels in Lima und arbeitet in der Villaeiner Musikerin als Hausmädchen. Fausta muss mit der Vergangenheitfertig werden und einen eigenen Weg im Leben finden. Claudia Llosa

blickt auf packende Weise ins LebenFaustas, zeichnet zwei Welten, die ineiner lateinamerikanischen Grossstadtwie Lima nebeneinander existieren,und beschreibt die Selbstfindung derFrau. Ein zutiefst beeindruckenderFilm, der auch die Kraft eines jungenFilmschaffens ausstrahlt.

Regie: Claudia Llosa.Mit: Magaly Solier, Susi Sánchez,Efraín Solís, Marino Ballón.Verleih: Trigon-Film.

la teta asustada

Auslassung rückt Liechtis Film nicht dem Protagonisten auf den Leib,sondern lässt einzig mit dessen Stimme arbeitend das ungeheuerlicheGeschehen in der Vorstellung des Zuschauers passieren. Über die Lein-wand zieht derweil ein vom Regisseur assoziativ geordneter Reigenvon Bildern, Tönen und Geräuschen. Aufnahmen aus der Umgebung

des «Tatorts», die sich mit Rushes ausLiechtis Film-Schaffen sowie der experi-mentellen Musik Norbert Möslangs zueinem dichten Teppich verweben. Aufdass THE SOUNDS OF INSECTS vonletzten Dingen berichtend zur grossarti-gen Ode an das Leben wird.

Regie: Peter Liechti.Mit der Stimme von Alexander Tschernek.Verleih: Look Now!

Hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr ist die Geburtenrate heute inder Schweiz. Dementsprechend häufig wird derzeit in den Medien dar-über berichtet, immer wieder thematisiert werden dabei Für und Wideroperativer und natürlicher Geburten. Just hier hakt GEBURT, der neusteFilm aus dem Hause Langjahr, topaktuell ein. Er wurde in Co-Regiegedreht von Erich Langjahr und seinerLebens- und Arbeitspartnerin SilviaHaselbeck. Er zeigt als sorgfältige Lang-zeitstudie die menschliche Geburt alsdas, was sie eigentlich ist: nämlich dienatürlichste Sache der Welt. Für dasKind ein – zu Beginn des Filmes inprächtigen Aufnahmen von Grotten undHöhlen sinnig gespiegelter – Übergangvon der Dunkelheit ins Licht, vomLeben im Wasser zum Leben an derLuft. Für die Mutter ein erstes, nichtschmerzloses, aber befreiendes Loslas-

sen. Der beglückende Abschluss einer Lebensphase, in welcher ihr Kör-per im Dienste des in ihm heranwachsenden Wesens stehend grösser,schwerer, aber auch kräftiger wurde. Ohne jeden Kommentar folgtGEBURT den Begegnungen der Protagonistinnen mit Ärzten undHebammen sowie auch ihren Geburtsvorbereitungen und schildert

höchst eindrücklich, was Gebären undMutter-Werden für eine Frau bedeuten.Er kontert die Hektik der heutigen Zeitmit der Kunst des verweilenden Hin-schauens und lässt seine Zuschauerzweimal teilhaben an einem derunzweifelhaft schönsten Momente imLeben eines Menschen.

Regie: Silvia Haselbeck, Erich Langjahr.Dokumentarfilm.Verleih: Langjahr Film.

geburt

the sound of insects

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Ingmar Bergman hat Lars von Trier sein neues Leinwandwerk gewidmet.Das trifft die Sache sehr gut, ist ANTICHRIST doch ein Psychodrama,grossartiger geht es nicht. Seinen Anfang nimmt ANTICHRIST mit einerLiebesszene, so sinnlich wie sie das Kino nur selten sah. Da lieben sichunter der Dusche zu den melancholischen Klängen eines Liedes vonGeorg Friedrich Händel ein Mann undeine Frau. Bildschön und in Zeitlupezeigt von Trier den Akt: Lust und Eksta-se. Er zeigt nebenbei noch etwas ande-res: Ein Mobile, einen Teddy, ein Kind.Schneeflocken, die durch ein Fensterwirbeln. Einen Stuhl und einen stürzen-den Körper. Abgrundtief ist die Trauerder Mutter ums tote Kind. Doch ihr Gat-te und Vater, von Beruf Therapeut, will,dass sie die Trauer zulässt, deren ver-schiedenen Phasen durchlebt. Tatsäch-lich beginnen die beiden eine Therapie.

antichristIn Kapiteln: – «Trauer», «Schuld», «Verzweiflung» – entwickelt sich dieGeschichte von ANTICHRIST. Irgendwann ziehen die Frau und der Mannin eine Hütte im tiefen Wald. Sie spielen grossartig: Charlotte Gains-bourg die Frau, Willem Dafoe den Mann. Beinahe schon hat man ver-gessen, dass im Titel ANTICHRIST das Frauensymbol aufblitzt. Doch

plötzlich kommt es, und es kommtunerwartet heftig, wie oft in den Filmenvon Lars von Trier. Und so, wie dasPublikum in Cannes – wo ANTICHRISTzum Skandal wurde – ist man hin undweg von den urwüchsigen Monsternund Gestalten, die Lars von Trier nunzum Leben erweckt. Welch ein Ereignis,dieser ANTICHRIST!

Regie: Lars von Trier.Mit: Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe.Verleih: Ascot Elite.

Am liebsten würde Giulia ihren 50sten einfach überspringen. DochFreunde haben ein Essen arrangiert und so ist die Heldin von GIULIASVERSCHWINDEN zum Filmanfang auf dm Weg zu ihrer eigenen Geburts-tagsparty. Im Bus schnappt sie die Bemerkung einer älteren Dame auf,die behauptet, Alter mache unsichtbar. Als Giulia wenig später beimBlick ins Fenster feststellt, dass ihr Spie-gelbild verschwunden ist, steigt siepanikartig aus und geht auf Shopping-tour. Dabei begegnet sie einem char-manten Hamburger, der sie auf ein Glaseinlädt. Derweil Giulia und John nunplaudernd die Zeit vergessen, zwei Girlsbeim Ladendiebstahl ertappt werdenund in einem Altersheim ein 80sterGeburtstag eskaliert, diskutieren GiuliasFreunde wartend angeregt Freuden undTücken des Alterns. Christoph Schaubhat seinen neusten Film nach einem

giulias verschwindenDrehbuch des Schweizer Kultautors Martin Suter gedreht. Er stellt mitGIULIAS VERSCHWINDEN, ähnlich wie mit «Happy New Year», einenherrlich beschwingten Zürichfilm vor. Gut gelaunt lotet dessen Ensem-ble angeführt von Corinna Harfouch und Bruno Ganz die Unwägbarkei-ten des Lebens von der Jugend bis ins Seniorenalter aus – wobei sich

Sunnyi Melles in der Rolle einer alters-losen Megäre köstlich amüsiert. Herzer-wärmend witzig wie seit «Herbstzeit-lose» kein anderer Schweizerfilm istGIULIAS VERSCHWINDEN. Er wurde amdiesjährigen Festival von Locarno zu-recht mit dem Publikumspreis ausge-zeichnet und dürfte Jung und Alt glei-chermassen begeistern.

Regie: Christoph Schaub.Mit: Corinna Harfouch, Bruno Ganz,Sunnyi Melles.Verleih: Columbus Film.

Eigentlich ist Tom Architekt. Bisher allerdings hat er in seinem Berufnoch nicht Fuss gefasst und so verdient der sympatische Protagonistvon (500) DAYS OF SUMMER seine Brötchen als Texter von Grusskarten.Was seinem Naturell durchaus entspricht. Denn Tom ist ein rettungs-loser Romantiker, der das Leben gern sonnig sieht und an die grosseLiebe glaubt. Diese meint er gefundenzu haben, als er das erste Mal SummerFinn begegnet, der so bildhübschen wietemperamentvollen neuen Assistentinseines Chefs. Leider nun aber ist Sum-mer das pure Gegenteil von Tom. EinePragmatikerin, die das Leben lieberlocker angeht, als dass sie sich bindet.Nun aber ziehen sich Gegensätzebekanntlich an und so kommen sich diebeiden – goldig in ihrem Zusammen-spiel: Zooey Deschanel und JosephGorodon-Levitt – dennoch näher. Nach

500 Tagen allerdings möchte Summer die Karten neu aufmischen undnun steht Tom da und weiss nicht ein und weiss nicht aus. Munter vorund zurück hüpft Regisseur Marc Webb auf der Zeitachse und blättertin seinem fulminanten Spielfilmerstling gekonnt die Hochs und Tiefseiner Romanze auf. Er erzählt von zärtlicher Annäherung, ersten Küssen,

heiteren Spielen, aber auch von Streit,Verletzungen und nicht wahrgenomme-nen Warnsignalen. Er tut dies aus derSicht des Mannes, mit Witz und vielEinfühlungsvermögen und spielt dabeivirtuos mit den Intarsien der romanti-schen Filmeskunst. So dass er mit(500) DAYS OF SUMMER eine erfri-schend andere Boy-Meets-Girl-Storyvorstellt.

Regie: Marc Webb.Mit: Joseph Gordon-Levitt,Zooey Deschanel. Verleih: Fox-Warner.

(500) days of summer

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Ernst Aebi ist ein Mensch, dem alles zu gelingen scheint. Er hat eine Lehre, aber auch die Matura gemacht,Wirtschaft studiert und gilt als arrivierter Maler. Er hat seine vier Kinder zum Teil alleine grossgezogen und1976, als keiner davon träumte, begann er in New York Fabriken in Lofts umzubauen und verdiente damitnicht wenig Geld. Das Tollste aber ist, wie Aebi Ende 80er Jahre das sandverwehte, ausgetrocknete, maus-arme Sahara-Kaff Arouane zum Blühen brachte. Basierend auf Interviews mit Aebi, dessen Freunden undAngehörigen sowie aus einem reichenFundus von Fotos, Filmen und Bildernschöpfend hat Martina Egi BARFUSSNACH TIMBUKTU gedreht. Es ist das Por-trät eines Mannes, der vielleicht leichterals andere durchs Leben geht, manchmalaber auch einfach Glück hatte. Zum Bei-spiel, als er auf dem Weg nach Arouaneüberfallen wurde und zwei Tage und eineNacht lang barfuss nach Timbuktu lief.

Regie: Martina Egi. Dokumentarfilm.Verleih: Filmcoopi.

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Auch wenn sich Jara gerne als cooler Heavy-Metal-Kerl sieht, ist der Pro-tagonist von GIGANTE bloss ein grosser, herzensguter Junge. Den Tagverbringt er mit Kreuzworträtseln, Gamen und DVDs gucken. Nachtsjobbt er als Wachmann in einem Supermarkt am Rande von Monte-video. Am Monitor überwacht er die Putzfrauen und so kommt es, dasser seiner grossen Liebe am Bildschirmbegegnet: Julia. Sie ist eine der Arbei-terinnen, die mit endloser Geduld dieBöden des Supermarktes aufnehmen.Zwar ist Jara stark wie ein Bär, aber sei-ne Angebetete anzusprechen traut ersich nicht. So stellt der schüchterneNachtwächter seiner Julia heimlich nach:folgt ihr an den Strand, ins Internet-Café, ins Kino, ja sogar zu einem Datemit einem anderen Mann. Als Juliaplötzlich entlassen wird, muss Jara dieletzte Chance beim Schopf packen und

natürlich setzt er alle Hebel (und gar seine Fäuste) in Bewegung, um dieKündigung zu verhindern… Das Spielfilmdebüt des argentinischen Fil-memachers Adrián Biniez erzählt behutsam und mit viel Schalk dieseungewöhnliche Liebesgeschichte um einen unsichtbaren Verehrer miteinem riesigen Herz. In knappen Dialogen und mit pfiffigen Einfällen

schildert GIGANTE, der an der Berlinale2009 als «Bestes Spielfilmdebüt» miteinem silbernen Bären ausgezeichnetwurde, wie die Liebe Jaras Leben aufden Kopf stellt. Eine berührende Bezie-hungskomödie, die mit einem tollpat-schigen Hauptdarsteller, den man ein-fach mögen muss, von dem einengrossen, ja gigantischen Gefühl erzählt.

Regie: Adrián Biniez.Mit: Horacio Camandule, Leonor Svarcas.Verleih: Xenix Filmdistribution.

barfuss nach timbuktu

Michael Moore ist nicht nur ein höchst angesehener Gesellschaftskritiker, sondern auch einer der bestenDokumentarfilmemacher der Welt. Mit CAPITALISM: A LOVE STORY kehrt der Regisseur von Filmen wie«Bowling For Columbine» und «Fahrenheit 9 /11» zu dem Thema zurück, mit dem er vor zwanzig Jahren mit«Roger & Me» seine Karriere startete. Welche Auswirkungen, fragt er, haben das desaströse Verhalten vonGrossunternehmen und ihr unbändiges Profitstreben auf das Leben der Menschen? Im Vorfeld der Premie-re von CAPITALISM: A LOVE STORY anden Filmfestspielen von Venedig hatMoore gewitzelt, er habe für einmal einen«Liebes-» bzw. eben «Vampirfilm» ge-dreht. Tatsächlich beinhaltet dieser alles,was dazu gehört: Begierde, Leidenschaft,Romantik. Mit einem kleinen Unter-schied: Die Hauptakteure weiden sichnicht am Blut ihrer Opfer, sondern anderen Geld. Und wie Moore lakonischmeint, bekommen sie nie genug davon.

Regie: Michael Moore. Dokumentarfilm.Verleih: Ascot Elite.

capitalism: a love story