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Herford SAMSTAG 23. DEZEMBER 2017 HE2 Im Flüchtlingscamp Kutupalong in der Region Cox’s Bazar leben rund 300.000 Rohingya. Cap Anamur verteilt im Lager Pakete für neuangekommene Flüchtlinge und engagiert sich im medizinischen Bereich. FOTOS: JÜRGEN ESCHER Sandsäcke bilden eine Treppe, denn der Monsun spült allen Untergrund weg. Im Flüchtlingslager ist Hilfe nötig. Nur Hilfsorgani- sationen sind seine Hoffnung. Ein Volk, das niemand haben will. Die Rohingya sind eine Minderheit, die in ihrer Heimat verfolgt wird und anderswo unerwünscht ist. Der Herforder Fotograf Jürgen Escher war im Krisengebiet Von Jürgen Escher (Fotos) und Thomas Hagen (Text) ¥ Dhaka/Herford. Ein ganzes Volk ist zum Spielball in einer tödlichen Partie geworden: die Rohingya. Im seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwi- schen der Regierungsarmee und Rohingya-Rebellen im Bundesstaat Rakhine in Bur- ma mussten tausende Men- schen der muslimischen Min- derheit ihr Leben lassen, hun- derttausende sind mittellos auf der Flucht – und nun im Nach- barstaat Bangladesch gelan- det. Auch dort sind die Ro- hingya nicht gewollt, aber sie werden geduldet. Der Herforder Fotograf Jürgen Escher war jetzt im Kri- sengebiet für die Hilfsorgani- sation Cap Anamur – Deut- sche Notärzte e.V. mit seiner Kamera unterwegs und hat be- wegende Bilder und Eindrü- cke mitgebracht. Schon vor zehn Jahren war Escher in Bangladesch, hat damals die Ethnie der Rohingyas be- sucht. Sein Eindruck von der ak- tuellen Situation: „Schon da- mals wurden die Muslime unterdrückt, jetzt sind sie vom Militär in Myanmar zu Staa- tenlosen erklärt und damit zum Freiwild für außer Kontrolle geratene Militärs geworden. Die Lage ist aus den Fugen ge- raten“, sagt Escher, der seit vielen Jahren das fotografi- sche Auge der deutschen Hilfsorganisation Cap Ana- mur ist. Er erzählt die Geschichte einer Bauernfamilie. Rafiq (30) und Samada Bagum (21) leb- ten als Bauern mit ihren drei Kindern im Dorf Shikali in Myanmar. An einem schönen Sommertag fiel eine 80-köp- fige Armee-Einheit über die Bewohner her. Die Militärs plünderten, brandschatzten, vergewaltigten und töteten in einer Gewaltorgie einen Großteil der Dorfbevölke- rung. Schwägerin Tauba Be- guin (20) wurde vergewaltigt, ihr Mann Nur Alam getötet, ebenso ihre beiden Schwes- tern. Die traumatisierte Fa- milie flüchtete Hals über Kopf übers Meer ins benachbarte Bangladesch unter ein müh- selig zusammengeflicktes Zeltdach ins nun weltweit größte Flüchtlingslager Kutu- palong. 300.000 Rohingya leben auf einer zuvor bewaldeten Flä- che. Ohne gepflasterte Stra- ßen, mit provisorischen Brun- nen und unter unzumutbaren hygienischen Verhältnissen. „Es grenzt an ein Wunder, dass dort noch keine Seuchen aus- gebrochen sind“, sagt Foto- graf Escher. Da das Lager im Grenzgebiet liegt, gibt es kaum Straßen, was die Versorgung extrem schwierig macht. Die einheimischen Mitarbeiter von Cap Anamur leisten vor Ort eine unschätzbar wichtige Arbeit, versorgen Neuan- kömmlinge mit Zeltplanen, Kochgeschirr und Hygienear- tikeln. Trotzdem ist die Si- tuation unmenschlich. Aber: „Die Menschen haben ihre Zuversicht bewahrt, das ist be- eindruckend“, sagt Escher. Bangladesch Ein Kind spielt vor der Notunterkunft. Im Flücht- lingslager Balukhali 1 in der Region Cox’s Bazar leben rund 100.000 Rohingya. Hilfe von Cap Anamur ´ Seit 38 Jahren be- steht die Hilfsorgani- sation und hilft Men- schen in Katastrophen- und Kriegsgebieten. ´ Jürgen Escher be- schreibt das Motto: „Es ist wichtig, etwas an den Strukturen im Land zu ändern – und das nicht nur in Kri- senzeiten.“ Das macht Cap Anamur mit Spendengeldern und beschafft Baumateria- lien, baut Hospitäler, schickt Hilfsgüter. ´ Weitere Informatio- nen zu der Organisa- tion und zu Hilfspro- jekten gibt es online. www.cap-anamur.org Bauer Rafiq (Mitte hinten) mit seiner Frau Samada Be- gum (links) und Schwägerin Tauba Beguin (rechts) und Kindern. Wenigstens die Versorgung mit Trinkwasser ist sichergestellt. Die Organisation Cap Anamur sorgt für die Grund- ausstattung mit Decken, Zeltplanen und Haushaltsgegenständen. Ein Halb- wüchsiger trägt Baumaterial.

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HerfordSAMSTAG23. DEZEMBER 2017 HE2

Im Flüchtlingscamp Kutupalong in der Region Cox’s Bazar leben rund 300.000 Rohingya. Cap Anamur verteilt im Lager Pakete für neuangekommene Flüchtlinge und engagiert sich im medizinischen Bereich. FOTOS: JÜRGEN ESCHER

Sandsäcke bilden eine Treppe, dennder Monsun spült allen Untergrund weg.

ImFlüchtlingslager ist Hilfe nötig.

Nur Hilfsorgani-sationen sind seine Hoffnung.

Ein Volk, das niemand haben will. Die Rohingya sind eine Minderheit, die in ihrer Heimat verfolgtwird und anderswo unerwünscht ist. Der Herforder Fotograf Jürgen Escher war im Krisengebiet

Von Jürgen Escher (Fotos)und Thomas Hagen (Text)

¥ Dhaka/Herford. Ein ganzesVolk ist zum Spielball in einertödlichen Partie geworden: dieRohingya. Im seit Jahrzehntenschwelenden Konflikt zwi-schen der Regierungsarmeeund Rohingya-Rebellen imBundesstaat Rakhine in Bur-ma mussten tausende Men-schen der muslimischen Min-derheit ihr Leben lassen, hun-derttausende sindmittellos aufder Flucht – und nun imNach-barstaat Bangladesch gelan-det. Auch dort sind die Ro-hingya nicht gewollt, aber siewerden geduldet.Der Herforder Fotograf

Jürgen Escher war jetzt im Kri-sengebiet für die Hilfsorgani-sation Cap Anamur – Deut-sche Notärzte e.V. mit seinerKamera unterwegs und hat be-wegende Bilder und Eindrü-cke mitgebracht. Schon vorzehn Jahren war Escher inBangladesch, hat damals dieEthnie der Rohingyas be-sucht.Sein Eindruck von der ak-

tuellen Situation: „Schon da-mals wurden die Muslimeunterdrückt, jetzt sind sie vomMilitär in Myanmar zu Staa-tenlosenerklärtunddamitzumFreiwild für außer Kontrollegeratene Militärs geworden.Die Lage ist aus den Fugen ge-

raten“, sagt Escher, der seitvielen Jahren das fotografi-sche Auge der deutschenHilfsorganisation Cap Ana-mur ist.Er erzählt die Geschichte

einerBauernfamilie. Rafiq (30)und Samada Bagum (21) leb-ten als Bauern mit ihren dreiKindern im Dorf Shikali inMyanmar. An einem schönenSommertag fiel eine 80-köp-fige Armee-Einheit über dieBewohner her. Die Militärsplünderten, brandschatzten,vergewaltigten und töteten ineiner Gewaltorgie einenGroßteil der Dorfbevölke-

rung. Schwägerin Tauba Be-guin (20) wurde vergewaltigt,ihr Mann Nur Alam getötet,ebenso ihre beiden Schwes-tern. Die traumatisierte Fa-milie flüchtete Hals über Kopfübers Meer ins benachbarteBangladesch unter ein müh-selig zusammengeflicktesZeltdach ins nun weltweitgrößte Flüchtlingslager Kutu-palong.300.000 Rohingya leben auf

einer zuvor bewaldeten Flä-che. Ohne gepflasterte Stra-ßen, mit provisorischen Brun-nen und unter unzumutbarenhygienischen Verhältnissen.

„Es grenzt an einWunder, dassdort noch keine Seuchen aus-gebrochen sind“, sagt Foto-graf Escher. Da das Lager imGrenzgebiet liegt, gibt es kaumStraßen, was die Versorgungextrem schwierig macht. DieeinheimischenMitarbeiter vonCap Anamur leisten vor Orteine unschätzbar wichtigeArbeit, versorgen Neuan-kömmlinge mit Zeltplanen,Kochgeschirr und Hygienear-tikeln. Trotzdem ist die Si-tuation unmenschlich. Aber:„Die Menschen haben ihreZuversicht bewahrt, das ist be-eindruckend“, sagt Escher.

Bangladesch

Ein Kind spielt vor der Notunterkunft. Im Flücht-lingslager Balukhali 1 in der Region Cox’s Bazar leben rund 100.000 Rohingya.

Hilfe vonCap Anamur´ Seit 38 Jahren be-steht die Hilfsorgani-sation und hilft Men-schen in Katastrophen-und Kriegsgebieten.´ Jürgen Escher be-schreibt das Motto: „Esist wichtig, etwas anden Strukturen imLand zu ändern – unddas nicht nur in Kri-senzeiten.“ Das machtCap Anamur mitSpendengeldern undbeschafft Baumateria-lien, baut Hospitäler,schickt Hilfsgüter.´ Weitere Informatio-nen zu der Organisa-tion und zu Hilfspro-jekten gibt es online.www.cap-anamur.org

BauerRafiq (Mitte hinten)mit seiner Frau SamadaBe-gum (links) und Schwägerin Tauba Beguin (rechts) und Kindern.

Wenigstens die Versorgung mitTrinkwasser ist sichergestellt.

Die Organisation Cap Anamur sorgt für die Grund-ausstattung mit Decken, Zeltplanen und Haushaltsgegenständen.

Ein Halb-wüchsiger trägt Baumaterial.