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7 Atome, Moleküle und Festkörper 7.4 Bindungen und Moleküle 7.4.1 Wechselwirkung und Bindungsenergie Atome haben die Tendenz, sich zu größeren Syste- men wie Molekülen oder Festkörpern zu verbinden. Diese größeren Systeme bildet sich “spontan” durch die Wechselwirkung zwischen den Molekülen, und die Moleküle selber sind ebenfalls durch eine Anord- nung minimaler Energie bestimmt. Man kann somit die Struktur bestimmen, indem man die Abstand- sabhängigkeit der Wechselwirkungsenergie berech- net und deren Minimum als Funktion des Abstandes bestimmt. Abstand neutrale Bestandteile getrennt in Ruhe Gesamtenergie Bindungsenergie Gleichgesichts- abstand Abbildung 7.37: Definition der Bindungsenergie. Bestimmt man die Gesamtenergie eines stabilen Mo- leküls als Funktion der interatomaren Abstände, so existiert bei einem endlichen Abstand ein Minimum. Dieser Abstand ist der Gleichgewichtsabstand, wel- cher die Struktur des Moleküls definiert und seine Energie bestimmt die Bindungsenergie. Die Energie, die man benötigt, um ein Molekül in Atome zu zerlegen, wird als Bindungsenergie bezeichnet. Bindungsenergien werden meist in der Einheit eV pro Molekül oder kJ pro Mol angegeben. Dabei ent- spricht 1eV/Molekül 1 eV Molekül = 1, 6 · 10 -19 J Molekül = 1, 6 · 10 -19 J Molekül · ·6 · 10 23 Molek¨ ul Mol = 96 kJ Mol . Für die Berechnung der Energie benötigt man ei- ne quantenmechanische Beschreibung. Allerdings beschreibt man nie ein vollständiges Modell des Systems, sondern man geht aus von der Born- Oppenheimer Näherung. Diese Näherung behandelt nur die Elektronen rein quantenmechanisch, wäh- rend die Position der Kerne als klassische Größen behandelt werden. Die Grundlage dafür ist, dass bei gleichem Impuls die Kerne sich um mindestens drei Größenordnungen langsamer bewegen als die Elek- tronen, bei schwereren Atomen bis zu 5 Größenord- nungen. Außerdem vernachlässigt man in erster Nä- herung die Wechselwirkung zwischen den Elektro- nen und behandelt sie als unabhängige Teilchen. Für die Wechselwirkung mit den Kernen ist dann in er- ster Linie der mittlere Aufenthaltsort relevant. Die Elektronen bewegen sich in einem Potenzial, wel- ches durch die Coulomb-Wechselwirkung mit den Kernen und den übrigen Elektronen gegeben ist. Die quantenmechanische Beschreibung benötigt in der Born-Oppenheimer Näherung nur eine Zustands- funktion für die Elektronen, in denen die Positionen der Kerne als klassische Parameter auftauchen. Um die Bewegung der Kerne zu diskutieren, kann man anschließend die gemittelte Gesamtenergie für un- terschiedliche Kern-Konfigurationen berechnen. In diesem Potenzial folgt die Bewegung der Kerne ei- nem Satz von harmonischen Oszillatoren. 7.4.2 Bindungstypen Anziehende Wechselwirkungen zwischen Atomen, welche zu einer stabilen Anordnung führen, können sich auf qualitativ sehr unterschiedliche Weise be- merkbar machen. Eine erste Klassifizierung unter- scheidet vier Arten von Wechselwirkungen. • kovalente Bindung • van der Waals Bindung • Wasserstoffbrücken • Coulomb-Wechselwirkung Grob vereinfacht kann man sich vorstellen, dass im Fall der van der Waals Bindung die neutralen Be- standteile (z.B. Argon im Festkörper oder Lipidmo- leküle in einer Membran) sich gerade berühren und 267

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

7.4 Bindungen und Moleküle

7.4.1 Wechselwirkung und Bindungsenergie

Atome haben die Tendenz, sich zu größeren Syste-men wie Molekülen oder Festkörpern zu verbinden.Diese größeren Systeme bildet sich “spontan” durchdie Wechselwirkung zwischen den Molekülen, unddie Moleküle selber sind ebenfalls durch eine Anord-nung minimaler Energie bestimmt. Man kann somitdie Struktur bestimmen, indem man die Abstand-sabhängigkeit der Wechselwirkungsenergie berech-net und deren Minimum als Funktion des Abstandesbestimmt.

Abstand

neutrale Bestandteile

getrenntin Ruhe

Ges

amte

nerg

ie

Bindungsenergie

Gleichgesichts-abstand

Abbildung 7.37: Definition der Bindungsenergie.

Bestimmt man die Gesamtenergie eines stabilen Mo-leküls als Funktion der interatomaren Abstände, soexistiert bei einem endlichen Abstand ein Minimum.Dieser Abstand ist der Gleichgewichtsabstand, wel-cher die Struktur des Moleküls definiert und seineEnergie bestimmt die Bindungsenergie.

Die Energie, die man benötigt, um ein Molekülin Atome zu zerlegen, wird als Bindungsenergiebezeichnet.

Bindungsenergien werden meist in der Einheit eVpro Molekül oder kJ pro Mol angegeben. Dabei ent-spricht 1eV/Molekül

1eV

Molekül= 1,6 ·10�19 J

Molekül

= 1,6 ·10�19 JMolekül

·

·6 ·1023 MolekulMol

= 96kJ

Mol.

Für die Berechnung der Energie benötigt man ei-ne quantenmechanische Beschreibung. Allerdingsbeschreibt man nie ein vollständiges Modell desSystems, sondern man geht aus von der Born-Oppenheimer Näherung. Diese Näherung behandeltnur die Elektronen rein quantenmechanisch, wäh-rend die Position der Kerne als klassische Größenbehandelt werden. Die Grundlage dafür ist, dass beigleichem Impuls die Kerne sich um mindestens dreiGrößenordnungen langsamer bewegen als die Elek-tronen, bei schwereren Atomen bis zu 5 Größenord-nungen. Außerdem vernachlässigt man in erster Nä-herung die Wechselwirkung zwischen den Elektro-nen und behandelt sie als unabhängige Teilchen. Fürdie Wechselwirkung mit den Kernen ist dann in er-ster Linie der mittlere Aufenthaltsort relevant. DieElektronen bewegen sich in einem Potenzial, wel-ches durch die Coulomb-Wechselwirkung mit denKernen und den übrigen Elektronen gegeben ist.

Die quantenmechanische Beschreibung benötigt inder Born-Oppenheimer Näherung nur eine Zustands-funktion für die Elektronen, in denen die Positionender Kerne als klassische Parameter auftauchen. Umdie Bewegung der Kerne zu diskutieren, kann mananschließend die gemittelte Gesamtenergie für un-terschiedliche Kern-Konfigurationen berechnen. Indiesem Potenzial folgt die Bewegung der Kerne ei-nem Satz von harmonischen Oszillatoren.

7.4.2 Bindungstypen

Anziehende Wechselwirkungen zwischen Atomen,welche zu einer stabilen Anordnung führen, könnensich auf qualitativ sehr unterschiedliche Weise be-merkbar machen. Eine erste Klassifizierung unter-scheidet vier Arten von Wechselwirkungen.

• kovalente Bindung

• van der Waals Bindung

• Wasserstoffbrücken

• Coulomb-Wechselwirkung

Grob vereinfacht kann man sich vorstellen, dass imFall der van der Waals Bindung die neutralen Be-standteile (z.B. Argon im Festkörper oder Lipidmo-leküle in einer Membran) sich gerade berühren und

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Typ Beispiel Bindungs-energie in

kJ/Mol

Konstitu-enten

kovalent Diamant 710 Cvan derWaals

CH4 10 CH4

Wasserstoff-brücken

H2O 50 H2O

Coulomb NaCl 780 Na+,Cl�

Tabelle 7.1: Einige Eigenschaften der wichtigstenBindungstypen

C

C

C

C

C

Abbildung 7.38: Schematischer Vergleich der Elek-tronendichteverteilung bei kovalen-ten Bindungen (links) und van derWaals Bindungen (rechts).

durch schwache Kräfte aneinander gehalten werden.Im Fall der kovalenten Bindung existiert ein ver-stärkter Überlapp zwischen den Elektronen der ein-zelnen Atome, welcher zu einer starken, gerichte-ten Bindung führt. Die kovalente Bindung hält dieAtome innerhalb der Moleküle zusammen, die vander Waals Bindung und die Wasserstoffbrücken wir-ken zwischen den Molekülen und sind verantwort-lich für die Kondensation der Moleküle zu Flüssig-keiten und Festkörpern, sowie für die Bildung vonsupramolekularen Strukturen, wie z.B. Zellmembra-nen oder molekularen Aggregaten.

Die Coulomb-Wechselwirkung spielt eine wichtigeRolle in wässrigen Lösungen, nicht nur bei gelade-nen Molekülen (Ionen), sondern auch bei der Wech-selwirkung zwischen Teil-Ladungen, d.h. polarisier-ten Molekülen.

7.4.3 Das Wasserstoffmolekül

Wir betrachten zunächst nur die Kräfte, welche beider Wechselwirkung zwischen zwei Atomen auftre-

ten. Das einfachste System, bei dem sich mehre-re neutrale Teilchen zu einer bestimmten Strukturzusammenfinden, ist das Wasserstoffmolekül. Mitklassischer Mechanik allein ist es schwierig einzuse-hen, wie zwischen zwei neutralen Teilchen eine bin-dende Wechselwirkung zustande kommen soll. Umdies zu verstehen, muss das System also quantenme-chanisch analysiert werden.

�A�B

S = h�A|�Bi Ort

|�|

A B

Abbildung 7.39: Überlapp der Atomorbitale im H2-Molekül.

Ausgangspunkt sind zwei Wasserstoffatome A undB, deren Elektronenhüllen sich zum Teil überla-gern. Die Wellenfunktionen der beiden Elektronenseien YA und YB. Sind die beiden Atome räum-lich gut getrennt, so kann die Zustandsfunktion desGesamtsystems in guter Näherung als das ProduktYA(1)YB(2) der beiden einzelnen Funktionen ge-schrieben werden; hier sind die Koordinaten (Ortund Spin) der beiden Elektronen zu den Indices (1,2) zusammengefasst. Dies berücksichtigt nicht dasPauliprinzip, nach dem der Zustand der beiden Elek-tronen unter Vertauschung ihrer Koordinaten anti-symmetrisch sein müsste.

Den Hamiltonoperator des Systems sei H . Er ent-hält neben der kinetischen Energie die Coulomb-Wechselwirkung mit beiden Atomkernen. Eine voll-ständige Analyse des molekularen Hamiltonopera-tors ist sehr aufwändig. Für ein qualitatives Ver-ständnis genügt jedoch eine relativ einfache Be-schreibung. Dafür wird die Eigenfunktion Y desgesamten Hamiltonoperators benötigt, wobei nichtdie explizite Darstellung des Hamiltonoperators ver-wendet wird, sondern lediglich die (unbekannten)Matrixelemente in der Basis der Grundzustands-Eigenfunktionen der einzelnen Atome.

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7.4.4 Zustandsenergie

Als Ansatz für die Berechnung der EigenfunktionY eines einzelnen Elektrons im Molekül verwendetman eine Linearkombination der beiden atomarenZustände:

Y = cAYA + cBYB.

Die beiden Basisfunktionen sind für endliche Ab-stände nicht orthogonal, sondern besitzen ein end-liches Überlappintegral

S = hYA|YBi.

S ist ein Maß für die Stärke der Wechselwirkungzwischen den beiden Atomen: je näher die Atomezusammen liegen, desto größer ist der Überlapp zwi-schen den beiden Orbitalen. Aufgrund der Normie-rung ist S 1. Die Energie E des Zustandes Y ist

E =hY|H |Yi

hY|Yi

=c2

AHAA + c2BHBB +2cAcBHAB

c2A + c2

B +2cAcBS, (7.3)

wobei die Koeffizienten cA, cB und die Matrixele-mente HAB = HBA als reell angenommen wurden.Die Matrixelemente sind

Hxy = hYx|H |Yyi.

Das Überlappintegral S wurde ebenfalls als reell an-genommen.

Erweitern von Gleichung (7.3) mit dem Nenner derrechten Seite ergibt

E (c2A + c2

B +2cAcBS)

= c2AHAA + c2

BHBB +2cAcBHAB.

Diese Gleichung erlaubt es, die Energie zu mini-mieren und so den Eigenzustand zu finden. Ableitennach cA ergibt

∂cA= cA(HAA �E )+ cB(HAB �E S) = 0.

Die Ableitung nach cB ergibt entsprechend

∂cB= cA(HAB �E S)+ cB(HBB �E ) = 0.

Da die beiden Atome identisch sind, muss HAA =HBB sein. Damit können die beiden Gleichungen inMatrixschreibweise geschrieben werden:

HAA �E HAB �E SHAB �E S HAA �E

◆✓

cAcB

=

00

.

Damit dieses Gleichungssystem lösbar ist, muss dieDeterminante

(HAA �E )2 � (HAB �E S)2 = 0

verschwinden. Dies ergibt eine Gleichung für dieEnergie

E 2(1�S2)�2E (HAA +HABS)

+H 2AA �H 2

AB = 0.

Die Lösungen dieser quadratischen Gleichung sind

E =(HAA � HABS) ±

p

(HAA � HABS)2 � (H2AA � H2

AB)(1 � S2)

1 � S2

=(HAA � HABS) ±

p

H2AA + H2

ABS2 � 2HAAHABS � H2AA + H2

AB + H2AAS2 � H2

ABS2

1 � S2

=(HAA � HABS) ± (HAB � HAAS)

1 � S2

=(HAA ⌥ HAB)(1 ± S)

1 � S2

oder

Es,a =HAA ⌥HAB

1⌥S.

7.4.5 Molekülorbitale

Die zugehörigen Eigenfunktionen sind

Ys =YA +YB

p

2(1+S)

Ya =YA �YB

p

2(1�S),

d.h. die symmetrische und antisymmetrische Linear-kombination der beiden Atomorbitale.

Die Energie Es des symmetrischen Zustandes ist ge-genüber der Energie HAA der Atomorbitale um einenBetrag abgesenkt, der vom Wechselwirkungsterm

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EA

EA

EB

Es

Energie

Abbildung 7.40: Energie der Orbitale im H2-Molekül.

HAB und dem Überlappintegral S abhängt. Die Ener-gie Ea des antisymmetrischen Zustandes liegt dage-gen höher, um einen Betrag der von den gleichen Pa-rametern abhängt.

Die Wechselwirkung zwischen den beiden Atomenführt also zu einer Aufspaltung der Energiezustände,die ohne Wechselwirkung entartet sind. Das symme-trische Molekülorbital Ys liegt energetisch unterhalbder Atomorbitale, die antisymmetrische Linearkom-bination Yas oberhalb. Wie im Atom kann jedes die-ser Molekülorbitale mit maximal zwei Elektronenmit entgegengesetztem Spin besetzt werden. Offen-sichtlich weist das neutrale Wasserstoffmolekül, beidem das tiefer liegende Orbital Ys von zwei Elektro-nen besetzt wird, die stabilste Konfiguration auf.

�A

�B

�s

�as

Abbildung 7.41: Molekülorbitale im H2-Molekül.

Beim symmetrischen Molekülorbital Ys werden diebeiden Atomorbitale mit dem gleichen Vorzeichenaddiert. Es entsteht deshalb zwischen den beidenAtomen eine positive Interferenz und die Elektro-nendichte steigt in diesem Gebiet. Das antibinden-de Orbital Ya hingegen weist zwischen den beidenKernen eine Knotenebene auf; in dieser Ebene ver-schwindet die Elektronendichte. Treten mehr als 2Atome in Wechselwirkung, so ergeben sich weitere

Aufspaltungen.

7.4.6 Kovalente Bindung

74 pm Bindungslänge

H HAbstand zu kurz

H H

Abstand zu lang

H H

Kern-Kern Abstand in a0 = 0.53 Å

Ener

gie

in R

y (1

3.6

eV)

Abbildung 7.42: Energie der Molekülorbitale imH2-Molekül als Funktion des Ab-standes.

Das Überlappintegral und damit die Stärke derWechselwirkung nimmt mit abnehmendem Abstandzu. Die Energie des antisymmetrische Orbitals liegtfür alle Abstände über der Energie der Atomorbitale.Bringt man das Molekül in diesen Zustand, so kannes immer Energie gewinnen, indem seine Kerne sichvoneinander entfernen - es fliegt somit auseinander.Man nennt dieses Orbital deshalb antibindend.

Im Gegensatz dazu liegt die Energie des symmetri-schen Molekülorbitals für einen großen Abstandsbe-reich unterhalb der Energie der freien Atome. Be-findet sich das Atom in diesem Zustand, so müssteEnergie aufgebracht werden, um die Atome vonein-ander zu trennen; sie bleiben deshalb aneinander ge-bunden. Erst wenn der Abstand unter den Gleich-gewichtswert fällt, führt die Abstoßung zwischenden Kernen (und ev. zwischen den geschlossenenSchalen) zu einer zusätzlichen abstoßenden Wech-selwirkung, so dass die Gesamtenergie wieder an-steigt. Das Energieminimum entspricht dem Gleich-gewichtsabstand.

Insgesamt kann das System seine Energie erniedri-gen, wenn jedes der beiden Atome ein Elektron zur

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Bindung beiträgt. Solche Bindungen werden als ko-valente Bindungen bezeichnet. Innerhalb von Mole-külen werden die Atome durch kovalente Bindun-gen zusammengehalten. Sind es mehr als 2 Elektro-nen (z.B. bei gefüllten Schalen, wie den Edelgasen),so müssen auch antibindende Orbitale belegt wer-den. Dadurch erhöht sich die Gesamtenergie und ei-ne Bindung findet nicht statt.

Kovalente Bindungen sind für alle Moleküle diewichtigste Wechselwirkung. Bei den meisten Mole-külen arrangieren sich die Atome so, dass sie ihreElektronen so teilen, dass jedes Atom lokal die Kon-figuration eines Edelgasatoms annimmt. Dies bedeu-tet z.B. beim Kohlenstoff, welcher vier Elektronen inder äußersten Schale besitzt, dass er bevorzugt viereinfache Bindungen eingeht und dadurch auf insge-samt 8 Elektronen kommt. Sauerstoff benötigt noch2 Elektronen, Wasserstoff eines.

7.4.7 Polare Bindungen

A

B

�s

Ort

Ort�a

Energie

Abbildung 7.43: Energie und Form der Molekülor-bitale in einem polaren Molekül.

Die obige Diskussion ging aus von der Annahme,dass es sich um zwei identische Atome handelt. Ko-valente Bindungen können aber auch bei ungleichenPartnern entstehen. In diesem Fall sind auch die Ko-effizienten cA und cB der Atomorbitale bei der Kom-bination zu Molekülorbitalen

Ys = cAYA + cBYB

(und analog für Ya) nicht mehr vom gleichen Be-trag, wie Abb. 7.43 zeigt. Das tiefer liegende Orbi-tal ist dominiert durch das energetisch tiefer liegende

Atomorbital. Ist nur das bindende Orbital besetzt, istdementsprechend die Elektronendichte ist auf die-sem Atom konzentriert. Beim antibindenden Orbi-tal ist der größte Teil der Elektronendichte auf demenergetisch höher liegenden Atom, wie in Abb. 7.43gezeigt.

Abbildung 7.44: Ladungsverteilung im Wassermo-lekül: negative Ladungsdichte istblau, positive grün.

Abb. 7.44 zeigt als Beispiel die Ladungsverteilung ineinem Wassermolekül. In der O-H Bindung werdendie Bindungselektronen näher zum Sauerstoff ver-schoben. Dieser erhält dadurch eine partiell negativeLadung, die Wasserstoffatome eine positive Partial-ladung.

Abbildung 7.45: Verlauf der Elektronegativität imPeriodensystem.

Elektronegativität ist ein relatives Maß für die Kraft,mit der ein Atom ein gemeinsames Elektron an sichbindet. Sie ist für kleine Atome auf der rechten Sei-te des Periodensystems am höchsten, während großeAtome mit nur wenigen Elektronen in der äußerstenSchale diese leichter abgeben. Je nach Energieun-terschied kann dieser Transfer vollständig sein. Diesentspricht dem Fall der ionischen Bindung.

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7.4.8 Van der Waals Bindung

Atome oder Moleküle können aber auch eine bin-dende Wechselwirkung eingehen, bei der keineElektronen transferiert werden. Dies geschieht im-mer dann, wenn die Bausteine schon gefüllte Elek-tronenschalen aufweisen, sodass keine Elektronenzur Verfügung stehen, welche geteilt werden könn-ten und dadurch eine Bindung erzeugen könnten.Diese Art der Wechselwirkungen tritt auch in rea-len (van der Waals-) Gasen auf und wird als van derWaals Wechselwirkung, London-Wechselwirkungoder induzierte Dipol-Dipol Wechselwirkung be-zeichnet. Sie kann so verstanden werden, dass diebeiden Atome gegenseitig Dipole induzieren, wel-che sich anziehen. Allerdings handelt es sich nichtum statische Dipole. In einem klassischen Bild (dasnotwendigerweise unvollständig ist) müssten dieAtome oszillierende Dipolmomente besitzen. Wenndiese in Phase oszillieren, stellt sich insgesamt eineanziehende Wechselwirkung ein.

R

~x1 ~x2

Abbildung 7.46: Schwingung benachbarter Atome.

Um zu verstehen, wie die van der Waals Wechselwir-kung zustande kommt, kann man ein einfaches elek-trostatisches Modell betrachten. Zwei Atome beste-hen aus jeweils einem Kern und einer Elektronenhül-le, die sich gegenüber dem Kern verschieben kann.Die elektrostatische Anziehung zwischen Kern undElektronenhülle stellt eine rücktreibende Kraft dar,welche zu einer oszillatorischen Bewegung führt.Die Oszillationsfrequenz entspricht einer optischenResonanz mit Frequenz w0. Der Abstand zwischenden beiden Atomen sei R und die Auslenkungen derElektronenhülle aus der Ruhelage seien x1 und x2. Inguter Näherung können die Positionen der Kerne alskonstant betrachtet werden.

7.4.9 Wechselwirkung

Die anziehende Wechselwirkung zwischen den bei-den Systemen entsteht, wenn man zusätzlich dieCoulomb-Wechselwirkungen zwischen Kern undElektronenhülle des ersten Systems mit den Kom-ponenten des zweiten Systems berücksichtigt:

q2

4pe0

1R

+1

R� x1 + x2� 1

R� x1� 1

R+ x2.

Hier ist die Ladung des Kerns +q und diejenigeder Elektronenhülle –q. Die beiden ersten (positiven)Terme stellen die Abstoßung zwischen den Kernenund zwischen den Elektronen dar, die beiden nega-tiven Terme die Anziehung zwischen der Elektro-nenhülle des einen Atoms und dem Kern des andernAtoms. Offenbar sind alle vier Terme von der Grö-ßenordnung

q2

4pe0R.

Um zu verstehen, ob die abstoßende oder anziehen-de Wechselwirkung dominiert, entwickelt man die-sen Ausdruck für kleine Auslenkungen, x1,x2 ⌧ R.Dazu verwendet man sinnvollerweise eine dimensi-onslose Reihe:

q2

4pe0R

1+1

1� x1R + x2

R� 1

1� x1R

� 11+ x2

R

.

In erster Ordnung, d.h. für 1/(1 + e) ⇡ 1 � e , ver-schwindet der Ausdruck in der Klammer. In zweiterOrdnung, d.h. mit

11+ e

⇡ 1� e + e

2

erhält man

H1 ⇡ q2

4pe0R1

R2

(x1 � x2)2 � x2

1 � x22⇤

= � q2

2pe0

x1x2

R3 . (7.4)

Offenbar ist der Kopplungsterm proportional zumProdukt x1x2 der beiden Auslenkungen. Er ist ne-gative, d.h. anziehend, wenn die beiden Auslenkun-gen das gleiche Vorzeichen haben, d.h. wenn beideElektronenhüllen in die gleiche Richtung verscho-ben sind.

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

7.4.10 Eigenmoden

Der gesamte Hamiltonoperator ist die Summe

H = H0 +H1

des ungestörten Systems H0 und des Kopplungs-terms H1. Die Eigenwerte dieses Operators, d.h. dieEnergien des Systems, erhält man durch Verwen-dung von symmetrieangepassten Koordinaten

xs =1p2(x1 + x2) xa =

1p2(x1 � x2),

wobei s und a für symmetrische und antisymmetri-sche Linearkombination stehen. In diesen Koordina-ten sind

x1 =1p2(xs + xa) x2 =

1p2(xs � xa).

In dieser Form besteht der Hamiltonoperator auszwei unabhängigen Termen, welche jeweils einenharmonischen Oszillator darstellen. Der eine ent-hält die Variablen xs und ps, der andere xa und pa.Beim symmetrischen Term ist die Kraftkonstante re-duziert, beim antisymmetrischen erhöht. Die beidenTerme besitzen deshalb unterschiedliche Frequen-zen. Das System spaltet somit auf, wie bei gekop-pelten klassischen Pendeln. Die beiden Eigenmodenhaben die Frequenzen

w =

s

Cm

1± q2

2pe0R3C

.

Mit Hilfe der Taylor-Reihe

p1± x = 1± x

2� x2

8+ . . .

erhalten wir für x = q2/(2pe0R3C) in zweiter Ord-nung die Näherung

w ⇡ w0

"

1± 12

q2

2pe0R3C� 1

8

q2

2pe0R3C

◆2#

.

Offenbar sind die Frequenzen der beiden Eigenmo-den leicht verschoben. Die Verschiebung erster Ord-nung ist für die beiden Frequenzen entgegengesetzt,die Verschiebung zweiter Ordnung ist für beide zukleineren Frequenzen.

Ener

gie

�0

R → ∞

Aufspaltung

1. Ordnung 2. Ordnung

Verschiebung

Abbildung 7.47: Energieverschiebung durch dieKopplung.

7.4.11 Das Lennard-Jones Potenzial

Die bindende Wechselwirkung kommt dadurch zu-stande, dass der Zustand niedrigster Energie, also derSchwingungsgrundzustand, nicht die Energie 0 be-sitzt, sondern hw/2 (pro Freiheitsgrad). Die Energiedes Gesamtsystems ist somit

h2(ws +wa) = hw0

"

1� 18

q2

2pe0R3C

◆2#

.

Diese ist etwas geringer als die Grundzustandsener-gie hw0 der beiden getrennten Atome, zwar um denBeitrag zweiter Ordnung

DU = �hw018

q2

2pe0R3C

◆2

= � AR6 . (7.5)

Da diese Energie mit abnehmendem Abstand im Be-trag zunimmt, stellt dies einen bindenden Beitragzur gesamten Energie des Systems dar. Die anzie-hende Wechselwirkung ist indirekt proportional zursechsten Potenz des Abstandes. Da es sich um eineÄnderung der Nullpunktenergie handelt, sollte die-ser induzierte Dipol nicht als schwingender Dipolverstanden werden. Offensichtlich verschwindet dieWechselwirkung im statischen Grenzfall (w0 ! 0),wie auch im klassischen Grenzfall (h ! 0).

Die Wechselwirkung (7.5) ergibt mit abnehmendemAbstand eine immer stärkere Bindung µ R�6. Es exi-stieren jedoch auch abstoßende Kräfte, welche beigeringen Abständen dominieren. Ein wichtiger Bei-trag kommt dazu, wenn sich die Elektronendichte-verteilungen zweier Atome mit gefüllten Elektro-nenschalen überlappen: dann muss auf Grund desPauli-Prinzips eines der beiden Elektronenpaare inein höher gelegenes Orbital ausweichen. Weil dafüreine hohe Energie aufgebracht werden muss, ent-spricht dies einer starken abstoßenden Wechselwir-

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

kung. Empirisch hat man für Edelgase ein Potenzi-al gefunden, das etwa mit R�12 von der Distanz Rabhängt. Das gesamte Potenzial für die Wechselwir-kung zwischen zwei Atomen mit gefüllten Orbitalenkann damit geschrieben werden als

U(R) = 4e

s

R

⌘12�

s

R

⌘6�

.

-1

0

1

R/�

U

�⇣ �

R

⌘6

⇣ �

R

⌘12

1,21,0 1,4 1,6 1,8

Abbildung 7.48: Abstandsabhängigkeit der Energi-en im Lennard-Jones Potenzial.

Dieses Potenzial ist als Lennard-Jones Potenzial be-kannt. Die genaue Form sollte nicht als Naturgesetzbetrachtet werden. Sie bildet jedoch die folgendenwichtigen Punkte ab:

• Bei großen Abständen ist die Energie propor-tional to R�6.

• Bei kurzen Distanzen ist das Potenzial stark ab-stoßend.

• Der Parameter s bestimmt die Distanz, bei derdas Potenzial zwischen anziehend und absto-ßend wechselt, während e die Stärke der Wech-selwirkung skaliert. Beide Parameter können inder Gasphase gemessen werden.

Diese Potenzial beschreibt qualitativ korrekt dieWechselwirkung zwischen Edelgas-Atomen undapolaren Molekülen. Typische Bindungsenergienliegen im Bereich 0,01 .. 0.1 eV und typische Gleich-gewichtsabstände bei ~4 Å. Damit sind sie deutlichschwächer als z.B. die kovalente Bindung. Die vander Waals Wechselwirkung spielt jedoch eine wich-tige Rolle bei der Kondensation von Molekülen zu

Flüssigkeiten oder Festkörpern, oder auch als anzie-hende Wechselwirkung zwischen biologischen Mo-lekülen.

7.4.12 Metallische und ionische Bindung

Van der Waals Ionisch

Metallisch Kovalent

18+ 18+ 18+ 18+18- 18- 18- 18-

18+ 18+ 18+ 18+18- 18- 18- 18-

17+ 19+ 17+ 19+18- 18- 18- 18-

19+ 17+ 19+ 17+18- 18- 18- 18-

19+ 19+ 19+ 19+18- 18- 18- 18-

19+ 19+ 19+ 19+18- 18- 18- 18-

6+ 6+ 6+ 6+

6+ 6+ 6+ 6+

Abbildung 7.49: Schematische Darstellung vonAtomrümpfen und Valenzelektro-nen für unterschiedliche Bindungs-typen. Die Zahlen beziehen sichauf Ar, KCl, Na und Diamant.

In Metallen sind die Valenzelektronen weitgehenddelokalisiert und können sich frei durch den gesam-ten Kristall bewegen. Typische Metalle zeigen des-halb eine hohe elektrische Leitfähigkeit. Die Bin-dung kann im Wesentlichen so verstanden werden,dass die Delokalisierung der Elektronen ihre kineti-sche Energie erniedrigt. Die Bindung ist, im Gegen-satz zur kovalenten Bindung, nicht gerichtet, so dassdie Metalle häufig in dichtester Kugelpackung kri-stallisieren.

Die metallische Bindung ist schwächer als die ko-valente oder ionische Bindung. Alkalimetalle habendeshalb einen relativ niedrigen Schmelz- und Siede-punkt, da hier lediglich die metallische Bindung eineRolle spielt. Bei den Übergangsmetallen hingegentragen auch die nur teilweise gefüllten d-Orbitale zurBindung bei. Deren Beitrag ist eher kovalenter Naturund ergibt deshalb eine sehr viel stärkere Bindungund dementsprechend höhere Schmelzpunkte.

Die hier diskutierte Klassifizierung von Bindungsty-pen ist hilfreich. Wirkliche Materialien lassen sich

274

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

aber selten exakt einer dieser Kategorien zuordnen.Stattdessen tragen im allgemeinen unterschiedlicheBindungsarten bei, wie das Beispiel der Übergangs-metalle zeigt: hier spielen kovalente wie auch metal-lische Bindung eine Rolle.

Δ (Elektronegativität)

% io

nisc

her C

hara

kter

Abbildung 7.50: Elektronegativität und ionischerCharakter.

Auch zwischen kovalenter und ionischer Bindungfindet man alle Übergangsformen. So kann man beibinären Verbindungen einen kontinuierlichen Über-gang von kovalenter zu ionischer Bindung beobach-ten (siehe Abb. 7.50). Der relevante Parameter ist dieDifferenz der Elektronegativitäten der beiden Part-ner. Elemente wie z.B. Si, Ge sind naturgemäß nichtionisch gebunden, aber Alkalihalogenide sind prak-tisch ideale ionische Verbindungen. Als Beispiel istRbF 96% ionisch.

7.4.13 Wasserstoffbrücken

Wasserstoffatome gehen in bestimmten Verbindun-gen eine besondere Art von Bindungen ein. Mit sei-nem einzelnen Elektron kann es nicht nur mit einemPartner eine kovalente Bindung eingehen. Statt des-sen geht es eine sehr stark polare Bindung ein, beider das Elektron größtenteils an den stärker elek-tronegativen Partner (F, O oder N) abgegeben wird,während das verbleibende Proton sich gleichzeitigan ein weiteres Atom bindet, welches ein freies Elek-tronenpaar ausweist.

Diese Art der Bindung wird als Wasserstoffbrückebezeichnet. Wasserstoffkerne (=Protonen) können

OrtPotenzial

Abbildung 7.51: Typische Form des Potenzialsfür ein Wasserstoffatom in einerWasserstoffbrücke.

solche Bindungen leichter eingehen als andere Ker-ne, da ihr geringes Gewicht sie beweglicher machtund da sie keine Rumpfelektronen besitzen.

kovalent

H-Brücken

Abbildung 7.52: Wasserstoffbrücken in Eis.

H-Brücken sind sehr wichtig für die besondereStruktur von Eis oder die hohe Verdampfungswär-me von Wasser. Die Wasserstoffbrücken führen da-zu, dass ein Sauerstoff tetraedrisch von vier Was-serstoffatomen umgeben ist, wobei zwei der Bin-dungen lang sind (=H-Brücken), zwei kurz (=kova-lent). Die Wasserstoffatome befinden sich in einem(meist asymmetrischen) Doppelminimumpotenzialund können leicht von einem zum anderen Sau-erstoff wechseln. Wasserstoffbrücken werden danngebildet, wenn der Wasserstoff an einen Sauerstoffoder einen Stickstoff gebunden ist und sich ein wei-teres Sauerstoff oder Stickstoffatom mit einem freienElektronenpaar in der Nähe befindet.

7.4.14 Bedeutung von H-Brücken

Die Wasserstoffbrücken sind für die hohen Schmelz-und Siedepunkte von Wasser verantwortlich: Bei ei-nem Molekulargewicht von 18 siedet Wasser bei+100�C. Als Vergleich kann man Neon betrachten,

275

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

welches ein Atomgewicht von 20 aufweist und bei�246�C verdampft.

Thymin Adenin

Cytosin Guanin

Abbildung 7.53: Wasserstoffbrücken in DNA Mole-külen.

Wasserstoffbrücken spielen aber auch in der Bio-logie eine große Rolle. So werden z.B. die bei-den Stränge des DNS-Moleküls durch Wasserstoff-brücken zusammengehalten. Wie in Abb. 7.53 ge-zeigt, kann das Basenpaar Guanin/Cytosin 3 Wasser-stoffbrücken bilden, das Basenpaar Adenin/Thyminnur zwei. Dies ist ein wesentlicher Grund für dieAusbildung der Paare. Auch bei der Proteinfaltungspielen Wasserstoffbrücken eine wichtige Rolle.

Wasserstoffbrücken sind stark orientiert: die Bin-dungsenergie ist maximal wenn die drei beteilig-ten Atome (z.B. N-H-O) auf einer Linie sind, d.h.wenn der Bindungswinkel beim Wasserstoff ⇡ 180�

beträgt. Dies ist wichtig für die Wechselwirkungvon Molekülen, z.B. zwischen Substrat und Enzymoder zwischen Antigen und Antikörper, welche nachden “Schlüssel-Schloss” Prinzip funktioniert, wie in

Seitenketten

Seitenketten

Substrat

H-BrückenEnzym

Abbildung 7.54: Gerichtete H-Brücken in der mole-kularen Erkennung.

Abb. 7.54 gezeigt.

7.5 Kristalline Festkörper

In kristallinen Festkörpern werden Atome nicht nurdurch kovalente Wechselwirkungen zusammenge-halten, sondern auch durch ionische oder metalle-ne Bindungen. Der wichtigste Unterschied zu Mo-lekülen liegt jedoch darin, dass die Struktur einesKristalls nicht nur durch die Paar-Wechselwirkungbestimmt wird, sondern durch die Minimierung derGesamtenergie des Systems. Wir müssen deshalbnicht nur einzelne Paare betrachten, sondern auchdas Gesamtsystem. Zum Glück findet man, dasssich die Eigenschaften des Gitters in vielen Fällenauf die Paarwechselwirkungen zurückführen lassen.Dies gilt insbesondere bei der van der Waals und beider ionischen Bindung.

Viele Festkörper besitzen im Zustand niedrigsterEnergie eine Translationssymmetrie: verschiebt manalle Bestandteile um bestimmte Vektoren (die soge-nannten Gittervektoren), so wird jedes Atom auf einidentisches Atom abgebildet. Aus dieser Symmetrieergeben sich wichtige Eigenschaften und sie erleich-tert die theoretische Behandlung sehr stark.

Bei Metallen kann man die Gitterenergie nicht inPaarwechselwirkungen zerlegen. Sie werden des-halb hier nicht diskutiert. Ebenfalls nicht diskutiertwerden hier kovalent gebundene Kristalle. DerenGitterenergie ist vom Betrag her vergleichbar mit

276

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

derjenigen von ionischen Kristallen. Während die io-nischen Kristalle möglichst dicht gepackt sind, fin-det man bei kovalenten Kristallen offenere Struk-turen, damit die ausgeprägte Richtungsabhängigkeitder kovalenten Bindung befriedigt werden kann.

7.5.1 Van der Waals

Die Gitterenergie erhält man, indem man über al-le möglichen Paarwechselwirkungen summiert. ImFalle der van der Waals Moleküle fällt die Stärke derWechselwirkung

Ui j(R) = 4e

s

R

⌘12�

s

R

⌘6�

mit der sechsten Potenz des Abstandes ab, sodassfast nur die Wechselwirkung zwischen nächstenNachbarn eine Rolle spielt.

a

Abbildung 7.55: Nächste Nachbarn im fcc Gitter.

Wir betrachten als Beispiel die in Abb. 7.55 ge-zeigte fcc Struktur. Hier bilden die Atome ein kubi-sches Gitter, wobei sich zusätzlich im Zentrum jederWürfelfläche ein weiteres Atom befindet. Damit be-sitzt jedes Atom 12 nächste Nachbarn im Abstanda/

p2 (4 in jeder der drei rot markierten Ebenen

von Abb. 7.55). Von der Stelle (0,0,0) aus sind diesdie Positionen (±1/2,±1/2,0), (±1/2,0,±1/2),(0,±1/2,±1/2). In der zweiten Schale mit Ab-stand a befinden sich 6 Nachbarn an den Positionen(±100) , (0,±1,0), (0,0,±1).

Für die Berechnung der Gitterenergie schreiben wirfür Ri j = pi ja, so dass pi j den Abstand in Einheitendes Abstandes R zwischen nächsten Nachbarn dar-stellt. Für die nächsten Nachbarn ist damit die anzie-hende Wechselwirkungsenergie µ 12/R6 und für die

zweitnächsten Nachbarn µ 6/(p

2R)6 = 6/(8R)6.Eine Summierung über alle Paarwechselwirkungenergibt für diese Struktur

Âj

1R6

i j=

1R6 Â

j

1p6

i j

=1

R6

12+68

+2427

+1216

+8

216

+48

343+

6512

+ . . .

=1

R6 14,45.

Analog erhält man

Âj

1R12

i j=

1R12 12,13.

Bei der abstoßenden Wechselwirkung spielen so-mit praktisch nur die nächsten Nachbarn eine Rol-le, während bei der anziehenden Wechselwirkungauch etwas entferntere Schalen eine Rolle spielen.Die Gesamtenergie wird damit

U(R) =12 Â

i jUi j(Ri j)

= 2Ne

12,13⇣

s

R

⌘12�14,45

s

R

⌘6�

,

wobei N die Anzahl der Gitteratome darstellt.

1.5 2 2.51.0

2

4

6

-4

-2

0R/m

Gitterenergie/2N¡

Abbildung 7.56: Gitterenergie als Funktion des Ab-standes.

Die Gitterenergie verhält sich als Funktion des Ab-standes zwischen nächsten Nachbarn qualitativ iden-tisch zur Paar-Wechselwirkung. Allerdings sind die

277

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

Achsen durch die Gittersumme umskaliert und dasMinimum leicht verschoben worden.

Den Gleichgewichtsabstand R0 erhält man aus derMinimierung der Gitterenergie bezüglich des Ab-standes:

dUdR

R0

= 0

= �2Ne

12 ·12,13s

12

R13 �6 ·14,45s

6

R7

.

Somit muss der Ausdruck in eckigen Klammern ver-schwinden:

145,56s

6 = 86,7R60.

Dies entspricht einem Gleichgewichtsabstand R0 =1,09s . Da sich der Parameter s aus Messungen inder Gasphase bestimmen lässt, kann diese Vorhersa-ge experimentell überprüft werden. Tatsächlich lie-gen die Gitterkonstanten für alle Edelgase im Be-reich von 1.09 .. 1.14 s .

Indem man diesen Gleichgewichtsabstand in das Po-tenzial einsetzt, erhält man die Bindungsenergie U =�8,6Ne . Die Energieskala e kann man wiederumaus Messdaten der Gasphase entnehmen, aber auchaus Messungen am Festkörper, z.B. über die Kom-pressibilität

k = � 1V

∂V∂ p

.

Dabei ändert sich die Energie bei einer Volumenän-derung um

dU = �pdV.

Daraus folgt

∂ p∂V

= �∂

2U∂V 2

und

1k

= V∂

2U∂V 2 .

Bei dieser Rechnung ist die Nullpunktenergie derBewegung der Atome noch nicht berücksichtigt,welche insbesondere bei den leichten Atomen einesignifikante Reduktion der Bindungsenergie von biszu 28% ergeben.

7.5.2 Ionische Bindung

Im Falle der ionischen Bindung gehen wir aus vonder Paarwechselwirkung

Ui j = le�pi jR/r +1

4pe0

qiq j

pi jR.

Der erste Term ist positiv und wirkt somit absto-ßend, während der zweite Term je nach Vorzeichender Ladungen positive und negative Beiträge ent-hält. Da der Abstoßungsterm exponentiell mit derDistanz abfällt kann er für alle Paare außer den näch-sten Nachbarn vernachlässigt werden. Dieser Teilder Gittersumme wird damit für das i-te Ion

Ui = zle�R/r ,

wobei z die Zahl der nächsten Nachbarn beschreibt.

Beim Coulomb Term schreiben wir die Summe als

UC = � 14pe0

ae2

R,

wobei die Madelung-Konstante1

a = �Âj

qiq j

pi j

eine Summe über alle Atome des Gitters darstellt.qi, j sind jetzt die Ladungen in Einheiten der Ele-mentarladung. Die Summe hängt nur von den rela-tiven Koordinaten pi j ab und kann deshalb für einenbestimmten Gittertyp berechnet werden, unabhängigdavon, durch welche Atome dieses Gitter gebildetwird. Unterschiedliche Substanzen, welche im glei-chen Gittertyp kristallisieren, besitzen somit die glei-che Madelung-Konstante. Die Unterschiede in derGitterenergie sind (in dieser Näherung) lediglich aufdie unterschiedlichen Abstände R zurückzuführen.

Im eindimensionalen Fall kann die Madelung-Konstante relativ einfach berechnet werden. Wirsummieren über eine alternierende Kette mit kon-stantem Abstand und erhalten

a = 2(1� 12

+13

� 14

. . .).

1Nach Erwin Madelung (1881 - 1972).

278

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

+ - + - + -

a=R

Abbildung 7.57: Berechnung der Madelung-Kon-stanten für einen eindimensionalenKristall.

Für die Berechnung der Summe kann man die Rei-henentwicklung

ln(1+ x) = x� x2

2+

x3

3� x4

4+ . . .

verwenden und erhält

a = 2 ln2

In drei Dimensionen ist die analytische Berechnungder Summe im Allgemeinen sehr schwierig.

Abbildung 7.58: Struktur von Kochsalz.

Wir betrachten als Beispiel zunächst das Natrium-chlorid. Wir können entweder ein Na+ oder ein Cl�-Ion als Referenz benutzen und wählen Na+. JedesNa+ Ion ist von 6 Cl� Ionen in oktaedrischer An-ordnung umgeben, wobei der Abstand die Hälfte derGitterkonstante beträgt.

Die erste Schale steuert somit einen Beitrag 6 zurMadelung-Konstante bei. Die zweitnächsten Nach-barn sind wieder Na+ Ionen: 12 sitzen im

p2-fachen

Abstand. Bis zu dieser Koordinationshülle gerech-net ist die Madelung-Konstante deshalb 6-12/

p2 ⇡

�2,49. Die nächsten beiden Hüllen bestehen aus 8Cl� Ionen im Abstand

p3 und 6 Na Ionen im Ab-

stand 2. Die Konvergenz ist offenbar sehr langsam.

Schale ±pij # Nachbarn Yi1pij

1 +1 6 62 - 2 12 -2.493 + 3 8 2.134 -2 6 -0.875 + 5 24 9.876 - 6 24 0.077 - 8 12 -4.178 +3 30 5.83

Abbildung 7.59: Beiträge der Schalen zur Made-lung-Konstanten.

1.8

1.75

1.7

1.65

1.6

1.7476

# Ionenpaare10000 20000

Abbildung 7.60: Konvergenz bei der Berechnungder Madelung-Konstanten.

Eine etwas bessere Konvergenz erhält man durchAufsummieren über die Beiträge von entgegenge-setzten Ionenpaaren. Auch hier muss man jedochüber viele Tausend Ionenpaare summieren, bis dieSchwankungen gering werden. Generell sind die Ab-weichungen bei der Berechnung von Energien endli-cher Kristalle physikalisch leicht interpretierbar: sieentsprechen der Energie von Oberflächenladungen.

Für unterschiedliche Gittertypen erhält man die Wer-te

NaCl ZnS CsCl CaF2

1,7476 1,6381 1,7627 5,0388.

7.6 Elektronen im Festkörper

Metalle zeichnen sich dadurch aus, dass Elektro-nen in diesen Materialien eine sehr hohe Beweg-lichkeit besitzen. Sie sind somit nicht an einzelne

279

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

Atomrümpfe gebunden. Dies kann man mit Hilfe derQuantenmechanik verstehen. Ein erstes Modell istjedoch etwas älter als die Quantenmechanik.

7.6.1 Das klassische Drude-Modell

Die klassische Theorie entstand drei Jahre nachder Entdeckung des Elektrons durch J.J. Thomson(1897). Im 19. JH hatte die kinetische Gastheorieeine befriedigende Erklärung für viele bekannte Ef-fekte im Bereich der Thermodynamik geliefert. Diesmag ein Motiv gewesen sein dafür, dass P. Drudedie Elektronen in einem Metall als Gas modellier-te2. Seine Annahme war, dass die äußersten Elektro-nen jedes Atoms sich im Metall praktisch frei bewe-gen können. Zu diesen Leitungselektronen tragen dieAtome, welche das Gitter bilden normalerweise einoder zwei Elektronen bei. Diese Elektronen sind imgesamten Kristall frei beweglich, wobei die positivgeladenen Atomrümpfe ein Potenzial bilden.

+ + + + +

+ + + + +

+ + + + +

Atomrümpfe:- klein- statisch-

--

-

Valenzelektronen:- ballistische Bewegung- kurze Stöße

Abbildung 7.61: Das Drude-Modell des freien Elek-tronengases.

Nach Drude verhalten sich diese Elektronen ähnlichwie ungeladene Teilchen in einem klassischen Gas:

• Die Atomrümpfe sind klein und statisch.

• Die Elektronen sollen eine freie Weglänge zwi-schen Stößen haben, welche vielen Gitterkon-stanten entspricht.

• Zwischen den Stößen ist die Bewegung frei,d.h. unabhängig von den anderen Elektronen(unabhängige Elektronen) und von den Atom-rümpfen (freie Elektronen). Sind äußere Feldervorhanden, so beeinflussen diese die Bewegungwie in der Mechanik diskutiert.

2P. Drude, Annalen der Physik 1, 566 und 3, 369 (1900).

• Stöße finden im Drude-Modell vor allem mitden Ionenrümpfen statt; Stöße zwischen Elek-tronen sind sehr selten. Die Stöße werden alskurz angenommen und die Geschwindigkeit derElektronen nach dem Stoß ist unabhängig vonder Geschwindigkeit vor dem Stoß, sondernwird durch die Temperatur des Kristalls be-stimmt.

Mit Hilfe dieses einfachen klassischen Modells kön-nen unterschiedliche Aspekte der Phänomenolo-gie von Metallen erklärt werden. Beispiele dafürsind die Herleitung der qualitativen Aspekte desOhm’schen Gesetzes, oder die Beziehung zwischenelektrischer und thermischer Leitfähigkeit. Wir dis-kutieren diese Resultate jedoch nicht im Rahmen desklassischen Modells, sondern erst nach der Einfüh-rung des quantenmechanischen Modells.

Element Z n (1022/cm3) r (Å)Li (78 K) 1 4.70 1.72Na (5K) 1 2.65 2.08K (5K) 1 1.40 2.57Be 2 24.7 0.99Mg 2 8.61 1.41Al 3 18.1 1.1Ga 3 15.4 1.16

Abbildung 7.62: Dichte des Elektronengases für ver-schiedene Elemente.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Elek-tronengas eines Metalls und einem echten Gas istdie Dichte: Im Vergleich zu einem echten Gas istdie Dichte des Elektronengases um rund einen Fak-tor 1000 größer: Pro Leitungselektron steht lediglichein Volumen zur Verfügung das etwa einem Atom-volumen entspricht. Für ein Atom mit Radius 2 Åerhält man ein Volumen von ca. 3 ·10�29m3, entspre-chend einer Teilchendichte von 3 ·1028m�3. Dies isteine typische Größenordnung (ca. 1�20 ·1028m�3).

Die positiv geladenen Atomrümpfe sind relativ kleinund füllen lediglich einen kleinen Teil des Raumes.Bei Natrium umfasst das Volumen der Atomrümp-fe rund 15 % des gesamten Festkörpervolumens; beiEdelmetallen wie Ag, Au steigt der Anteil. Sie sindaber sehr viel schwerer als die Elektronen und blei-ben unbeweglich auf ihren Plätzen.

280

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

Behandelt man das Elektronengas rein klassisch, ge-langt man aber an Grenzen, ab denen ein wirklichesVerständnis nur mit Hilfe der Quantenmechanik er-reicht werden kann. Zu den qualitativen Unterschie-den zwischen den Voraussagen der klassischen undder quantenmechanischen Theorie gehört die Be-rechnung der Stöße, die ein Elektron bei der Durch-querung des Kristalls erleidet. Im klassischen Bildwürde man eine große Anzahl Stöße mit den Gittera-tomen erwarten. Experimentell findet man, dass dieDistanz, über die sich die Elektronen frei bewegenkönnen, von der Qualität des Kristalls abhängt, so-wie von der Temperatur. Während in gewöhnlichenMetallen bei Raumtemperatur (z.B. Kupferdrähte)die Elektronen nach wenigen Gitterperioden gestreutwerden und sich deshalb insgesamt diffusionsartigbewegen, kann bei tiefen Temperaturen und gutenKristallen die mittlere freie Weglänge größer als dieKristalldimension werden. Aus experimentellen Da-ten ist bekannt, dass die freie Weglänge bis zu ei-nem Zentimeter betragen kann. In diesem Fall be-wegt sich somit das Elektron ohne Streuung durchrund 108 atomare Lagen; offenbar breiten sie sichdann ballistisch aus, also ohne Streuung im Kristall.

Weitere experimentelle Befunde, die mit demDrude-Modell nicht erklärt werden konnten, wa-ren die Temperaturabhängigkeit der elektrischenund thermischen Leitfähigkeit. Außerdem sollten ineinem idealen Gas die Elektronen einen Beitrag3/2RT zur spezifischen Wärme liefern; der experi-mentell beobachtete Beitrag ist um rund 2 Größen-ordnungen kleiner.

Ein besonders wichtiger Punkt ist eine Aussagedarüber, welche Festkörper metallischen Charakterhaben (hohe elektrische Leitfähigkeit) und welcheHalbleiter oder Isolatoren sind. Ein klassisches Mo-dell, welches (teilweise) erklären kann, welche Ele-mente metallischen Charakter haben, wurde 1927durch Herzfeld vorgeschlagen3. Ein wirkliches Ver-ständnis ist jedoch nur im Rahmen einer quantenme-chanischen Behandlung möglich.

3Phys. Rev. 29, 701-705

7.6.2 Das Sommerfeld-Modell

Die wichtigsten Beschränkungen des Drude Modellskönnen dadurch überwunden werden, dass man dieElektronen als quantenmechanische Teilchen, d.h.als Teilchen mit Wellencharakter behandelt. Ein ent-sprechendes Modell wurde 1928 von Sommerfeldvorgeschlagen, kurz nach der Entdeckung des Pauli-Prinzips. Damit gelang es, die wichtigsten Inkonsi-stenzen des Drude-Modells aufzulösen.

Ein Festkörper umfasst rund 1020 miteinander wech-selwirkende Teilchen. Natürlich ist die exakte Be-handlung eines solchen Systems nicht möglich. Wirmüssen deshalb zunächst einige drastische Vereinfa-chungen durchführen: wir lassen Wechselwirkungenzwischen den Elektronen wie auch von Kernen zuElektronen vorläufig vollständig weg und betrach-ten zunächst nur freie und unabhängige Elektronen.Ihre Zustände sind somit auch nur Einelektronen-Zustände, die wir auch als Orbitale bezeichnen.

Ort x

Ener

gie

E Metall

VakuumVakuum

Abbildung 7.63: Potenzial für Elektronen imSommerfeld-Modell.

Damit brauchen wir lediglich freie Elektronen in ei-nem (unendlich ausgedehnten) Kristall zu betrach-ten. Die Ränder des Kristalls sind Potenzialwände.Als Eigenzustände solcher freier Elektronen kannman bekanntlich ebene Wellen verwenden; diesesind allerdings im gesamten Raum nicht normier-bar. Man kann zu normierbaren Funktionen gelan-gen, indem man periodische Randbedingungen ein-führt. Die entsprechende Periode, welche groß ge-gen die Gitterkonstante sein sollte, kann anschlie-ßend gegen Unendlich geführt werden.

Die Atomrümpfe bilden ein Hintergrundpotenzial.Sie bestehen aus den Kernen plus den stark gebun-denen Elektronen in den gefüllten Schalten. Je nachMetall sind diese Rümpfe relativ klein und weit von-

281

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

einander entfernt, oder sie berühren sich und bildenteilweise kovalente Bindungen.

Das Sommerfeld’sche Modell der freien Elektronenpasst am besten auf die Alkalimetalle. Hier entspre-chen die Atomrümpfe den abgeschlossenen Schalenmit Edelgaskonfiguration, das eine Valenzelektronim s-Orbital ist das freie Elektron, welches ein Lei-tungsband mit s-Charakter bildet.

Abbildung 7.64: Aufbau des Planeten Jupiter.

Wasserstoff, das leichteste und häufigste Elementdes Universums, gehört zur gleichen Gruppe des Pe-riodensystems wie die Alkaliatome. Gemäß theoreti-schen Vorhersagen sollte es bei hohen Drücken me-tallisch werden. Man geht deshalb davon aus, dassder Jupiter zu einem großen Teil aus metallischemWasserstoff besteht. Versuche, auf der Erde Was-serstoff in die metallische Form zu bringen, habenjedoch bisher keine eindeutigen Resultate geliefert.Theoretische Vorhersagen gehen davon aus, dass da-für Drücke im Bereich von 500 GPa (5 · 106 atm)notwendig sind. Solche Drücke im Labor zu erzeu-gen ist schwierig. Es gibt jedoch Hinweise, dass aufdem Jupiter, welcher zu einem wesentlichen Teilaus Wasserstoff besteht, der Druck auf Grund derSchwerkraft hoch genug ist, um metallischen Was-serstoff zu erzeugen.

7.6.3 Das Teilchen im Potenzialtopf

Um die quantenmechanischen Zustandsfunktionender Elektronen im Kristall zu bestimmen, rekapi-tulieren wir zunächst das Problem eines Teilchens

in einem eindimensionalen Potenzialtopf. Man führtzunächst Randbedingungen ein, welche in erster Li-nie dazu dienen, die Zustände zu normieren und dieZustandsdichte zu berechnen.

x

V

0 L1

4

9

h=2L

h=L

h=2L/3

Abbildung 7.65: Eindimensionaler Potentialtopf.

Das Potenzial verschwindet auf der Strecke [0,L]und ist unendlich hoch außerhalb. Der Hamiltonope-rator dieses Systems beinhaltet im Bereich [0,L] le-diglich die kinetische Energie

H =p2

2m= � h2

2md2

dx2 .

Die Eigenfunktionen dieses Operators sind die ebe-nen Wellen

Yk = eikx

oder

Yk = a sinkx+b coskx

und die Eigenwerte sind

Ek =h2k2

2m=

p2

2m.

Der Hamiltonoperator ist nur gültig für 0 < x < L.

Wir berücksichtigen das Potenzial über die Randbe-dingung und verlangen, dass Y(0) = Y(L) = 0. Da-mit erhalten wir als Lösungen

Yn = A sin⇣

np

xL

und

En =h2

2m

⇣np

L

⌘2.

282

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

Wenn sich mehrere Elektronen in diesem Potenzialbefinden und wir deren elektrostatische Wechselwir-kung zunächst vernachlässigen, so kann gemäß demAusschließungsprinzip von Pauli jeder dieser Zu-stände mit zwei Elektronen mit entgegen gesetztemSpin besetzt werden. Das Gesamtsystem ist demnachim Grundzustand wenn die niedrigsten N/2 Zustän-de mit jeweils 2 Elektronen besetzt sind.

7.6.4 Drei Raumdimensionen

In Kristallen entspricht der Potenzialtopf der Rand-bedingung, dass die Elektronen sich innerhalb desKristalls befinden müssen. Wir berücksichtigen dieswiederum über periodische Randbedingungen

Y(x,y,z) = Y(x+L,y,z) = Y(x,y+L,z)= Y(x,y,z+L),

wobei L groß gegenüber einer Einheitszelle sein soll.

Im dreidimensionalen Raum lautet der Hamilton-operator für ein freies Elektron

H = � h2

2m

d2

dx2 +d2

dy2 +d2

dz2

.

Elektronen in einem Potenzialtopf mit KantenlängeL haben dann die Zustände

Yn = Asin✓

2p

Lnxx

sin✓

2p

Lnyy

sin✓

2p

Lnzz

und Energien

En =h2k2

2m=

h2

2m�

k2x + k2

y + k2z�

=h2

2m

2p

L

◆2�

n2x +n2

y +n2z�

. (7.6)

Der Impuls der Elektronen ist somit

~p =1

Lh

0

@

nxnynz

1

A . (7.7)

Da wir uns hier in einem endlichen Bereich (mit Vo-lumen L3) befinden, sind diese Zustände normierbarund die möglichen Werte des Impulses diskret. DieEnergie steigt proportional zum Quadrat des Impul-ses.

7.6.5 Fermi-Energie

Wir untersuchen nun die Frage, welche dieser Zu-stände besetzt sind.

2ʌ/L

k

E

EFZustände leer

N Zustände besetzt

Fermi Energie

Abbildung 7.66: Links: Zustände im k-Raum;rechts: Besetzung der Zustände beiT = 0.

Da wir periodische Randbedingungen angenommenhaben, ist der Impulsraum diskret, mit Einheitszel-len der Seitenlänge 2p/L. Das Volumen pro Zustandbeträgt somit im k-Raum (2p/L)3.

Am absoluten Nullpunkt besetzen N Elektronen dieN/2 energetisch niedrigsten Zustände. Da die Ener-gie (im Rahmen dieses Modells) nur vom Betrag desImpulses abhängt, bilden diese Zustände im Impuls-raum eine Kugel, deren Radius wir mit kF bezeich-nen. Das Volumen dieser Kugel beträgt k3

F4p/3. DieAnzahl der Zustände in dieser Kugel, d.h. die Zahlder besetzten Zustände, muss der Zahl der Elektro-nen entsprechen. Da Elektronen einen Spin ½ be-sitzen, unterliegen sie der Fermi-Dirac Statistik undjeder räumliche Zustand kann maximal von 2 Elek-tronen mit entgegengesetztem Spin besetzt sein. DieZahl der Zustände innerhalb der Fermikugel erhältman, indem ihr Volumen durch das Volumen pro Zu-stand dividiert. Die Zahl N der Elektronen ist danndas doppelte:

N = 24p

3 k3F

� 2p

L

�3 =V k3

F3p

2 . (7.8)

Bei N Elektronen muss damit der Radius der Kugel

kF =3

r

3p

2NV

sein. Die entsprechende Energie beträgt

EF =h2

2m

3p

2NV

23

(7.9)

283

Page 18: 7.4 Bindungen und Moleküle Für die Berechnung der Energie ... · 7 Atome, Moleküle und Festkörper 7.4.4 Zustandsenergie Als Ansatz für die Berechnung der Eigenfunktion Y eines

7 Atome, Moleküle und Festkörper

und wird als Fermi-Energie bezeichnet. Die Fermi-Energie ist somit die Energie der Elektronen imhöchsten besetzten Einelektronenzustand. In derFermi Energie tritt die Anzahl Elektronen und dasVolumen nicht mehr unabhängig auf, sondern siehängt lediglich von der Dichte N/V der Elektronenab. Damit muss die Fermienergie mit der Dichte derElektronen zunehmen.

Abbildung 7.67: Beispiele von Fermi-Energien.

Abb. 7.67 zeigt, dass die experimentellen Werte diesbestätigen. Typische Größenordnungen für die Elek-tronenzahldichte liegen bei 1029 m�3, für die Fermi-energie bei 10 eV.

Häufig parametrisiert man die Fermi-Energie auchüber die Temperatur:

kBTF = EF .

Typische Werte für die Fermi-Temperatur liegen bei105 K, also bei Temperaturen weit oberhalb desSchmelzpunktes. Somit ist T ⌧ TF immer eine sehrgute Näherung.

Wenn wir den Impuls der Elektronen in eineGeschwindigkeit umrechnen, erhalten wir für dieGeschwindigkeit der Elektronen an der Fermi-Oberfläche

vF =hkF

m=

hm

3

r

3p

2NV

.

Typische Werte liegen im Bereich von 106 m/s, alsobei 0.003 c. Allerdings sollte man dies nicht mit ei-nem entsprechend schnellen Massentransport asso-ziieren.

Insgesamt ist die kinetische Energie der Leitungs-elektronen deutlich niedriger, als die entsprechendekinetische Energie in einem isolierten Atom. DieseAbsenkung der kinetischen Energie ist im Wesentli-chen für die metallische Bindung verantwortlich.

7.6.6 Die Fermi-Dirac Verteilung

Die Fermi-Energie bezeichnet die höchste Energieeines besetzten Zustandes im Grundzustand des Sy-stems, also bei der Temperatur T = 0 K. Bei end-licher Temperatur ändert sich die Besetzungswahr-scheinlichkeit. Sie ist gegeben durch die Fermi-Dirac Statistik, welche für Fermionen gilt, also fürTeilchen, welche dem Pauli-Prinzip unterliegen. Siekann geschrieben werden als

f Ni =

1e(ei�µ)/kBT +1

.

Hier ist ei die Energie des Zustandes und

µ =∂U∂N

das chemische Potenzial, also die Energieänderung,welche durch Hinzufügen eines Elektrons zustan-de kommt. Der Term +1 im Nenner stellt sicher,dass die Funktion nicht größer als 1 wird, dass alsokein Zustand mehr als einmal besetzt werden kann.Die Bose-Einstein Statistik, welche die Besetzungs-wahrscheinlichkeit für Bosonen beschreibt, unter-scheidet sich durch ein Minus an dieser Stelle. Indiesem Fall kann die Besetzungswahrscheinlichkeitsehr groß werden. Bei tiefen Temperaturen konden-sieren Bosonen deshalb alle in den Grundzustand.Solche Phänomene sind für kollektive Quantenphä-nomene verantwortlich, wie z.B. Supraleitung, Su-prafluidität oder Bose-Einstein Kondensation.

Da die Fermi-Temperatur sehr viel höher ist als dieRaumtemperatur und für niedrige Temperaturen µ ⇡kBTF , gilt meistens T ⌧ µkB. Wir betrachten die fol-genden Grenzfälle:

a) ei ! 0 : Die Exponentialfunktion geht gegen nullund f N

i ! 1.

b) ei � µ: Die Exponentialfunktion wird groß ge-gen 1 und f N

i ! e�(ei�µ)/kBT . In diesem Bereich nä-hert sich die Fermi-Dirac Verteilung der Boltzmann-Verteilung an und fällt exponentiell gegen Null ab.

Bei der Temperatur 0 K beschreibt sie einen abrup-ten Übergang von der 1 nach 0 an der Fermikante.Bei höheren Temperaturen wird Population aus derNähe der Fermikante in energetisch höhere Zustände

284

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

kBT = µ

kBT = µ/10

�i/µEnergie

f iBe

setzun

gswah

rsch

einlichk

eit

0,0 0,5 1,00,0

0,5

1,0fN

i =1

e(�i�µ)/kBT + 1kBT =

µ

100

Abbildung 7.68: Fermi-Dirac Besetzungswahr-scheinlichkeit bei verschiedenenTemperaturen.

verschoben, wie in Abb. 7.68 gezeigt. Die Breite die-ses Übergangsbereiches ist von der GrößenordnungkBT . Das Zentrum des Übergang wird durch das che-mische Potenzial µ bestimmt, welches am absolutenNullpunkt der Fermienergie entspricht.

7.6.7 Leitfähigkeit

Die Fähigkeit, elektrischen Strom zu leiten, gehörtzu den charakteristischen Eigenschaften der Metal-le. Sowohl die klassische Drude-Theorie wie auchdie quantenmechanische Theorie bieten einen An-satz für die Erklärung dieses Phänomens. Wir disku-tieren hier einen halbklassische Beschreibung, d.h.wir verwenden klassische Bewegungsgleichungen,berücksichtigen aber die Fermi-Dirac Verteilung.

Elektrischer Strom wird durch die freien Elektronengetragen. Deren Reaktion auf das angelegte elek-trische Feld bestimmt deshalb die Beziehung zwi-schen Strom und Spannung, welche im Rahmen die-ser Theorie mit dem Ohm’schen Gesetz überein-stimmt. Die meisten freien Elektronen bewegen sichmit einer relativ hohen Geschwindigkeit; die Fer-migeschwindigkeit liegt bei rund 106 m/s. Da dieVerteilung der Geschwindigkeiten ohne ein äußeresFeld isotrop ist, findet jedoch netto kein Ladungs-transport statt.

Perfekte Metalle können prinzipiell Strom leitenauch wenn kein elektrisches Feld anliegt. Reale Me-

talle weisen jedoch immer einen endlichen Wider-stand auf – mit Ausnahme der Supraleiter, welchenicht als normale Metalle beschrieben werden kön-nen und in einem späteren Kapitel noch behandeltwerden.

Werden äußere Felder an ein Metall angelegt, sobewirken diese auf die Elektronen eine zusätzlicheKraft

~F = md~vdt

= hd~kdt

= �e~E. (7.10)

Das Resultat ist somit eine lineare Zunahme des Im-pulses:

~k(t)�~k(0) = �e~Et/h.

Diese Beschleunigung hält an bis die Elektroneneinen Stoß ausführen. Bei einem Stoß wird kineti-sche Energie vom Elektron auf das Gitter übertragen.Im Rahmen dieses Modells wird dabei angenom-men, dass die Geschwindigkeit des Elektrons ther-malisiert wird, d.h. sie kehrt zur Fermi-Dirac Ver-teilung zurück. Wenn die Thermalisierung im Mitteleine Zeit t beansprucht, erreichen die Elektronen imMittel einen Impuls, der sich um

d

~k = �e~Et

hvom thermischen Gleichgewicht unterscheidet. DieFermikugel im k-Raum wird somit um diesen Betraggegenüber dem Ursprung verschoben.

E

Fermikugel bei E=0

kF

Fermikugel bei E>0

kx

ky

Abbildung 7.69: Verschobene Fermikugel im elek-trischen Feld.

Da die Geschwindigkeit der Elektronen direkt pro-portional zum k-Vektor ist,

~v =h~km

= �e~Et

m,

285

Page 20: 7.4 Bindungen und Moleküle Für die Berechnung der Energie ... · 7 Atome, Moleküle und Festkörper 7.4.4 Zustandsenergie Als Ansatz für die Berechnung der Eigenfunktion Y eines

7 Atome, Moleküle und Festkörper

können wir daraus die Stromdichte berechnen:

~j = n(�e)~v = ne2t

~E/m.

Hier stellt n die Anzahl Leitungselektronen pro Vo-lumeneinheit dar. Der Strom ist somit proportionalzur Feldstärke, wie im Ohm’schen Gesetz. Die Pro-portionalitätskonstante ist die spezifische elektrischeLeitfähigkeit

s = ne2 t

m; [s ] =

1Wm

. (7.11)

7.7 Bänder

7.7.1 Probleme des Modells freierElektronen

Im Modell der freien Elektronen werden Wechsel-wirkungen zwischen Valenzelektronen und Atom-rümpfen vollständig vernachlässigt. Dies ist auch inden meisten Fällen eine gute Näherung. Sie hat al-lerdings auch ihre Grenzen. Die wichtigsten Diskre-panzen zwischen der Näherung der freien Elektro-nen und der experimentellen Wirklichkeit sind:

Metalle

Halbmetalle1022

1020

1018

1016

1014

Ladungsträgerdichtecm

3

Ge (rein)

BiGraphit

SbAs

K, NaCu

Halbleiter

Abbildung 7.70: Größenordnung der Ladungsträger-dichten.

• Elektrische Leitfähigkeit. Experimentell beob-achtet man vor allem drei Klassen von Materialien,die sich qualitativ unterscheiden: Metalle, Halblei-ter, und Isolatoren. Bei Isolatoren ist die elektrischeLeitfähigkeit sehr klein, der spezifische Widerstand

beträgt typischerweise mehr als 1012 Wm. Die unter-schiedliche Leitfähigkeit verschiedener Materialienkann direkt auf die Ladungsträgerdichte zurückge-führt werden. Diese variiert zwischen Isolatoren undMetallen um mehr als 10 Größenordnungen. DasModell der freien Elektronen sagt voraus, dass dieZustandsdichte mit der Wurzel aus der Energie zu-nimmt,

dN(E )

dE=

p2V m3/2

p

2h3

pE .

Dies gibt keinen Hinweis darauf, dass die Zahl frei-er Elektronen in einem Material 10 Größenordnun-gen höher liegt, als in einem anderen oder darüber,weshalb ein Teil der Elektronen frei ist, andere abergebunden.

Metalle

Temperatur

log(Leitfäh

igkeit)

Halbleiter

Abbildung 7.71: Temperaturabhängigkeit der Leit-fähigkeit von Metallen und Halb-leitern.

Halbleiter verhalten sich am absoluten Nullpunktwie Isolatoren, doch ihre Leitfähigkeit nimmt mitsteigender Temperatur zu. Bei Metallen ist die Leit-fähigkeit bei allen Temperaturen hoch, nimmt abermit steigender Temperatur ab. Offenbar ist die Som-merfeld’sche Theorie nur auf Metalle anwendbar.

• Hall-Widerstand: Gemäß dem Modell der freienElektronen sollte der Hall-Koeffizient RH = �1/nesein, unabhängig von Temperatur, Magnetfeld etc.In vielen Metallen findet man jedoch Abweichun-gen, welche von Temperatur und Magnetfeldstärkeabhängen. Teilweise unterscheiden sich berechneteund experimentelle Werte um Faktoren im Bereich1-10.

• Anisotropie: Die elektrische Leitfähigkeit ist in ei-nigen Metallen von der Richtung abhängig. Dies ist

286

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

Hal

l-Wid

erst

and

log (Magnetfeld)

Abbildung 7.72: Magnetfeldabhängigkeit des Hall-Widerstandes in Aluminium.

im Rahmen des Modell freier Elektronen nicht er-klärbar, da dort keine bevorzugten Richtungen exi-stieren: Die Fermikugel ist isotrop.

7.7.2 Das periodische Potenzial

Alle diese Unterschiede können letztlich auf dieWechselwirkung der Elektronen mit dem periodi-schen Potenzial U(~r) erklärt werden, welches dieAtomrümpfe (Kerne plus stark gebundene Elektro-nen) erzeugen. Diese bricht die vollständige Trans-lationssymmetrie, so dass der Impuls der Elektronenkeine Erhaltungsgröße mehr ist.

Wie üblich beschränken wir uns auf ideale Kristalle.Hier ist das effektive Potenzial periodisch,

U(~r +~T ) = U(~r),

wenn ~T ein Vektor des Gitters ist.

Wir diskutieren den Effekt dieses Potenzials in stö-rungstheoretischer Näherung und machen die übli-chen idealisierenden Annahmen (keine Kristallfeh-ler, Fremdatome etc.). Wir verwenden weiterhin dieNäherung, dass die Elektronen unabhängig vonein-ander betrachtet werden können, d.h. wir berechnennur Zustandsfunktionen und Energien für einzelneElektronen. Die Wechselwirkung mit den übrigenElektronen erfolgt nur über ein effektives Potenzial.

Durch die Berücksichtigung des periodischen Poten-zials schlagen wir eine Brücke zwischen zwei Extre-men: Das eine Extrem ist das System freier Elek-tronen. Hier ist der Hamiltonoperator eine Funkti-on des Impulsoperators und die Eigenfunktionen desHamiltonoperators dementsprechend die Eigenfunk-tionen des Impulsoperators. Das andere Extrem ist

lokalisierteElektronen

eikx

freie Elektronen

H = p2

2m Metalle : quasi-freie Elektronen

Abbildung 7.73: Freie, gestörte und lokalisierteElektronen.

dasjenige isolierter Atome. Hier dominiert die poten-zielle Energie über die kinetische und die Eigenfunk-tionen des Hamiltonoperators sind deshalb lokali-siert. Ein wirklicher Kristall befindet sich zwischendiesen beiden Extremen: Die kinetische Energie för-dert die Delokalisierung, die potenzielle Energie derAtomrümpfe eine Lokalisierung. Da die beiden Ope-ratoren für Potenzial (d.h. der Ortsoperator) und ki-netische Energie (d.h. Impulsoperator) nicht mitein-ander vertauschen, [Hkin,V ] 6= 0, sind die Eigen-funktionen weder durch diejenigen des freien Elek-trons, noch durch diejenigen der vollständig gebun-denen Elektronen gegeben.

Die wirkliche Situation liegt also zwischen diesenbeiden Extremen. Man nähert sich dieser Situationentweder vom Modell der freien Elektronen, was indiesem Kapitel geschehen soll, oder von der Seiteder lokalisierten Elektronen, was z.B. bei der „star-ken Lokalisierung“ gemacht wird, also bei Systemenmit relativ stark gebundenen Elektronen. Geht manvon dieser Seite aus, so kann man die Zustände desBandes durch Linearkombination aus Atomorbita-len erzeugen (LCAO-Methode), ähnlich wie in Kap.7.4.5 für Molekülorbitale diskutiert.

7.7.3 Eigenfunktionen im periodischenPotenzial

Unter Berücksichtigung des periodischen Potenzialssind die Eigenfunktionen nicht mehr die harmoni-schen ebenen Wellen. Die allgemeine Form, welchediese besitzen, wird durch ein Theorem von FelixBloch bestimmt: Die Zustandsfunktion Y~k(~r) kannals Produkt

Y~k(~r) = u~k(~r)ei~k·~r

287

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

geschrieben werden, wobei u~k(~r) die gleiche Peri-odizität hat wie das Potenzial,

u~k(~r +~T ) = u~k(~r),

und ~T einen Gittervektor darstellt. Diese wird miteiner ebenen Welle ei~k·~r multipliziert.

Abbildung 7.74: Blochfunktion und ihre Bestandtei-le.

Abb. 7.74 zeigt ein Beispiel einer Blochfunktion:oben die ebene Welle, in der Mitte die periodischeFunktion, und unten das Produkt.

Die Funktion u~k(~r), welche die ebene Welle modu-liert, stellt die Korrektur gegenüber den freien Elek-tronen dar, wo diese Funktion als konstant angenom-men wurde. Sie stellt die Lösung einer Schrödinger-gleichung für eine primitive Einheitszelle dar. Wiebei Atomen existiert eine unendliche Reihe solcherLösungen, welche mit einem Index bezeichnet wer-den kann, der in der Folge ein elektronisches Bandkennzeichnen wird. Der Wellenvektor~k kann immerso gewählt werden, dass die Wellenlänge l größerist als zwei Gitterkonstanten, l > 2a. Eine äquiva-lente Formulierung des Bloch’schen Theorems ist

Y~k(~r +~T ) = ei~k·~T Y~k(~r),

d.h. bei einer Translation um einen Gittervektor än-dert sich der Zustand nur um einen Faktor mit Betrageins.

7.7.4 Zonenrand

Eine Näherungslösung für den Fall eines endlichenPotenzials lässt sich finden, wenn das Potenzial kleinist im Vergleich zur kinetischen Energie des Elek-trons an der Zonengrenze, d.h. bei~k = ~G/2: U ⌧ lk.Wir schreiben für die Energie der freien Elektronen

lk =h2k2

2m.

Die Diagonalelemente der Koeffizientenmatrix wer-den dann proportional zu ... 9 , 1 , 1 , 9 , .... , sodassdie Außerdiagonalelemente U nur die beiden mittle-ren Elemente effizient koppeln, nämlich die zu denWellenvektoren~k = ±~G/2 an der Zonengrenze ge-hörenden Zustände. Wir betrachten deshalb nur nochdiese beiden Zustände.

Die beiden relevanten Gleichungen sind dann

(lk �E )C(~G/2)+U C(�~G/2) = 0(lk�G �E )C(�~G/2)+U C(~G/2) = 0.

Für eine Lösung muss die Determinante verschwin-den. An der Zonengrenze gilt lk = lk�G = l und

(l �E )2 = U2

oder

E = l ±U =h2k2

2m±U.

Die Energien sind also um 2U aufgespalten.

Wenn wir nicht nur die Zustände direkt an der Zo-nengrenze betrachten, sondern in der Nähe, erhaltenwir aus der Eigenwertgleichung

(lk �E )C(~k)+U C(~k � ~G) = 0(lk�G �E )C(~k � ~G)+U C(~k) = 0.

Die Säkulargleichung wird dann

0 = (lk �E )(lk�G �E )�U2

= E 2 �E (lk�G +lk)+lklk�G �U2.

Diese Gleichung hat die beiden Lösungen

E =lk�G +lk

2± 1

2

q

(lk�G �lk)2 +4U2.

288

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

Lücke= 2U

k

E

freie Elektro

nen

π/a

λzweites Band

erstes Band

Abbildung 7.75: Bandaufspaltung an der Zonen-grenze.

An der Zonengrenze, wo lk�G = lk, wird die Ener-gie der Eigenzustände um den Betrag U der potenzi-ellen Energie nach unten, respektive nach oben ver-schoben - die Aufspaltung beträgt somit 2U . Wei-ter von der Zonengrenze entfernt nähern sie sich dieEnergien quadratisch mit dem Abstand den unge-störten Zuständen an. In der Nähe der Zonengrenzekann man die Näherung

E (±) = E1(±)+h2 (dk)2

2m

1± 2l

U

benutzen, mit

dk = k � 12

G

für die Differenz zwischen dem Wellenvektor undder Zonengrenze. E1 stellt die Energie an der Zonen-grenze dar.

7.7.5 Bandstruktur

0 k

E

0 D(E)

E

Abbildung 7.76: Dispersion und Zustandsdichte fürfreie Elektronen.

Im Modell freier Elektronen hatten wir gesehen, dassdie Zustandsdichte mit der Wurzel aus der Energiezunimmt. Dies ist im periodischen Potenzial offen-bar nicht mehr der Fall.

0 D(E)

E

Bandlücke

0 k

E

Abbildung 7.77: Dispersion und Zustandsdichte fürElektronen in Bändern.

An der Zonengrenze werden die beiden Bänder auf-gespalten, es entsteht ein Bereich der Energieachse,welcher keine Zustände enthält. Man spricht von ei-ner Energielücke oder Bandlücke (engl. band gap).Im einfachsten Fall enthält jedes der beiden Bänder2N Zustände, wobei N die Anzahl Atome pro Ein-heitszelle darstellt und der Faktor 2 von der Spin-Entartung herrührt.

0 k

E

π/a

n=1 2N Zustände

n=2

Abbildung 7.78: In einem Band finden maximal 2NElektronen Platz.

Falls pro Einheitszelle ein Atom jeweils ein Elektronin dieses Band abgibt, so ist es genau halb gefüllt(n = 1 in Abb. 7.78). In diesem Bereich ist die Nä-herung freier Elektronen recht gut, weil die Fermio-berfläche relativ weit vom Zonenrand entfernt ist.

Umfasst die Einheitszelle ein zweiwertiges oderzwei einwertige Atome, so ist das erste Band genaugefüllt. Die Fermi-Energie fällt dann gerade in eine

289

Page 24: 7.4 Bindungen und Moleküle Für die Berechnung der Energie ... · 7 Atome, Moleküle und Festkörper 7.4.4 Zustandsenergie Als Ansatz für die Berechnung der Eigenfunktion Y eines

7 Atome, Moleküle und Festkörper

Energielücke. In einem solchen Fall gilt die Theorieder Leitfähigkeit, welche für die freien Elektronendiskutiert wurde, nicht mehr. Dort hatten wir gese-hen, dass das externe Feld zu einer Änderung desElektronenimpulses führt. Dies ist aber nur möglichwenn entsprechende unbesetzte Impulszustände zurVerfügung stehen. In der Energielücke ist dies nichtmöglich.

Halbmetall0

E

Metall

EF

Isolator Halbleiter

Abbildung 7.79: Bandlücke und Besetzung für Me-tall, Isolator, Halbleiter und Halb-metall.

Daraus folgt die qualitative Unterscheidung der Ma-terialien in Metalle und Isolatoren: Bei Metallen istdie Fermioberfläche etwa in der Mitte des Bandes.Die Elektronen in der Nähe der Fermioberfläche sindin diesem Fall weit von der Zonengrenzen entferntund spüren deshalb den Einfluss des periodischenPotenzials kaum. Ein elektrisches Feld kann damitrelativ ungestört die Fermikugel verschieben und esfließt ein Strom.

Anders die Situation bei einem Isolator: Hier ist dieFermioberfläche zwischen zwei Bändern. Die Elek-tronen spüren deshalb das periodische Potenzial ma-ximal, sie werden aufgrund der Bragg Bedingungdaran reflektiert. Das Modell freier Elektronen isthier deshalb nicht anwendbar. Dies kann man auchso verstehen, dass in der Nähe der Fermioberflächekeine Impulszustände verfügbar sind, so dass äuße-re Felder den Impuls der Elektronen nicht verändernkönnen.

7.8 Halbleiter

7.8.1 Grundlagen

Bei Halbleitern und Isolatoren befindet sich die Fer-mienergie in der Mitte zwischen zwei Bändern.Halbleiter unterscheiden sich von Isolatoren da-durch, dass der Abstand zwischen den Bändern re-lativ klein ist, so dass freie Ladungsträger einerseitsdurch thermische Anregung, andererseits durch Ver-unreinigungen in der Nähe der Bandkante erzeugtwerden können. Daraus folgt, dass ein Isolator oderein Halbleiter, also Materialien bei denen die Fermi-energie in eine Bandlücke fällt, immer eine geradeAnzahl Elektronen in der primitiven Elementarzellehaben muss. Dies ist aber keine hinreichende Bedin-gung, da unterschiedliche Bänder nicht immer durcheine Energielücke voneinander getrennt sind.

Energie / eV0 1 2 3 4 5 6

Zust

ands

dich

te D

(E)

s-Band

d-Band

D(EF)

EF

Abbildung 7.80: Überlappende Bänder.

Überlappen mehrere Bänder, so können sie teilwei-se gefüllt sein und das Material kann elektrischenStrom leiten.

Halbleiter sind Kristalle mit einer Bandlücke, d.h.ein Band ist vollständig gefüllt und das nächsthö-here ist leer. Das untere Band wird als Valenzbandbezeichnet, das obere als Leitungsband. Am absolu-ten Nullpunkt sind Halbleiter deshalb Isolatoren, d.h.sie leiten keinen Strom. Wir beschreiben die Halb-leiter im Folgenden mit Hilfe des Modells quasi-freier Elektronen, also Einelektronenzuständen, wel-che in unterschiedliche Bänder aufgespalten sind.Diese sind durch Bandlücken getrennt.

290

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

Leitungsband

Valenzband

ThermischeAnregung

E

Eg

Abbildung 7.81: Thermische Anregung über dieBandlücke.

Abbildung 7.82: Struktur von GaAs.

Wie bereits diskutiert, müssen Halbleiter (wie Iso-latoren) immer eine gerade Anzahl Elektronen proElementarzelle besitzen. Diese Bedingung ist z.B.bei den Elementen der vierten Gruppe (C, Si, Ge,...) erfüllt. Diese sind typische Beispiele für elemen-tare Halbleiter. Ebenso ist die Bedingung erfüllt fürVerbindungen der Gruppen III und V des Perioden-systems wie GaAs, AlAs, GaN, oder InP, Verbindun-gen der Gruppen II und VI wie ZnS, CdTe. Die Bin-dung in diesen Materialien hat einen stark kovalen-ten Charakter.

Tetrazen

Abbildung 7.83: Tetrazen als organischer Halbleiter.

Auch organische Materialien können Halbleiterei-genschaften aufweisen. Abb. 7.83 zeigt als ein Bei-spiel Tetrazen. Diese Materialien werden erst seit

wenigen Jahren untersucht, haben aber schon eineerhebliche Bedeutung, z.B. in der Form von orga-nischen Leuchtdioden (OLEDs), welche für Bild-schirme oder Beleuchtungen verwendet werden. Ge-genüber den klassischen Flüssigkristallbildschirmenbieten sie höheren Kontrast und geringeren Strom-verbrauch.

7.8.2 Ladungsträgerstatistik

Halbleiter haben die gleiche Bandstruktur wie Iso-latoren. Da die Bandlücke aber nur eine endlicheBreite hat, können bei endlichen Temperaturen ein-zelne Elektronen aus dem Valenzband ins Leitungs-band angeregt werden. Dabei entstehen beweglicheLadungsträger, und zwar sowohl im Leitungsband,wo die Elektronen sich bewegen können, wie auchim Valenzband, wo Zustände frei werden, so dass be-nachbarte Elektronen unter dem Einfluss eines elek-trischen Feldes ihren Impuls ändern können.

Die Anzahl der Elektronen, welche durch thermischeAnregung ins Leitungsband gelangen, ist gegebendurch die Zustandsdichte D(e) und die Besetzungs-wahrscheinlichkeit f (e):

Nc =

•Z

0

de D(e) f (e)

=

•Z

0

de D(e)1

e(e�µ)/kBT +1.

Ist die thermische Energie klein im Vergleich mit derBandlücke, kBT ⌧ e � µ-, sind praktisch nur Zu-stände im Bereich des Leitungsbandminimums be-setzt und die Gesamtzahl der Ladungsträger wirdproportional zum Boltzmannfaktor e�Eg/2kBT , wobeiEg die Bandlücke darstellt und wir angenommen ha-ben, dass das Ferminiveau in der Mitte der Band-lücke liegt. Eine etwas genauere Rechnung ergibteinen zusätzlichen Faktor T 3/2,

Nc µ T 3/2e�Eg/2kBT .

Die Dichte der Ladungsträger nimmt deshalb mit zu-nehmender Temperatur exponentiell zu. Je kleiner

291

Page 26: 7.4 Bindungen und Moleküle Für die Berechnung der Energie ... · 7 Atome, Moleküle und Festkörper 7.4.4 Zustandsenergie Als Ansatz für die Berechnung der Eigenfunktion Y eines

7 Atome, Moleküle und FestkörperE

lekt

rone

nkon

zent

ratio

n / c

m-3

Ele

ktro

nenk

onze

ntra

tion

/ cm

-3

Temperatur / K Temperatur / K

Eg = 0.67 eV Eg = 1.14 eV

Ge Si

Abbildung 7.84: Temperaturabhängige Ladungsträ-gerdichte für Si und Ge.

die Bandlücke, desto rascher die Zunahme. Bei Ger-manium ist die Bandlücke kleiner als bei Silizium,deshalb ist die Zunahme rascher und die Leitfähig-keit bei Raumtemperatur um rund drei Größenord-nungen höher als bei Silizium. Beträgt die Band-lücke z.B. 4 eV so ist die Anregungswahrscheinlich-keit 10�35, d.h. praktisch null. Für eine Bandlückevon 0.25 eV hingegen beträgt der Boltzmannfaktorbei Raumtemperatur rund 1%, so dass die Ladungs-trägerdichte schon fast den Wert eines Metalls errei-chen kann.

Abbildung 7.85: Bandlücken der wichtigsten Halb-leitermaterialien.

Wie in Abb. 7.85 gezeigt, liegen die Bandlücken derwichtigsten Halbleitermaterialien im Bereich vonrund einem eV. Diamant hat eine wesentlich größereLücke und man findet deshalb erst bei Temperatu-ren von mehreren hundert Grad eine wesentliche Ei-genleitfähigkeit. Die Bandlücke hängt auch von der

Temperatur ab, sie nimmt bei zunehmender Tempe-ratur ab. Dies ist u.a. eine Folge der Ausdehnung desKristalls und der dadurch abnehmenden Bindungs-stärke zwischen den Atomen.

7.8.3 Dotierung

Während bei Metallen die Leitfähigkeit abnimmtwenn das Material verunreinigt wird, ist bei Halblei-tern das Gegenteil der Fall. Auch kleine Verunreini-gungen können die Leitfähigkeit dramatisch verän-dern. Dabei werden Fremdatome eingebracht, wel-che mehr oder weniger Elektronen enthalten als dasWirtsmaterial. Bei Silizium oder Germanium kannman z.B. Stickstoff oder Phosphor (5 Elektronenin der äußeren Schalte) verwenden, um zusätzlicheElektronen einzubringen. Man spricht dann von n-Dotierung. Verwendet man Bor (3 Elektronen), sofehlt ein Elektron. Dies entspricht einem freien Platzim Valenzband. Dieses verhält sich wie ein Ladungs-träger mit positiver Ladung. Man spricht deshalb vonp-Dotierung.

HALL COEFFICIENT OF ANTIMONY-DOPED GERMANIUM 73

I/Absolute Temperature ( FICJ. 1. Hall coefficient of antimony-doped germanium

(n-type) as a function of l/T.

slope of the corresponding resistivity curve. Some of the resistivity curves of this concentration range have an intermediate slope which decreases rapidly with increasing impurity concentration.

(iii) High concentration range

Only a few samples could be obtained with

FIG. 2. Resistivity of antimony-doped germanium (n-type) as a function of l/T.

No > 1017/cm3. Up to lOl*jcm5 bothp-type and n- type samples show a small Hall maximum and a rise of the resistivity near SOoK, but otherwise the samples show temperature-independent values of R and p down to 1~3°K.

No change of sign of the Hall coeflicient has ever been observed at the onset or in the tempera- ture range of impurity conduction. There is no reason to believe that such a sign change should occur for a random distribution of impurities.(rs) It should be pointed out, however, that the sudden drop of the Hall curves of the samples -7 to -15 at temperature below the Hall maximum can be ascribed to the conduction band carriers alone.(5) They carry a smaller and smaller fraction of the total current as the temperature is lowered. The Hall coefficient of impurity conduction must be

Spez

. Wid

erst

and

/ Ωcm

100/T [1/K]0 0.2 0.4 0.6 0.8

10-3

100

103

106

109

intrinsisch 1

25781012151718202122232425262729

0,530,931,62,33,05,28,51324354555547484120130270950

Konz.[1015cm-3]Pr

obe

Abbildung 7.86: Einfluss von Dotierung und Tem-peratur auf den spezifischen Wider-stand.

Abb. 7.86 zeigt die Ladungsträgerdichte von Ger-manium, das mit Antimon dotiert wurde4. Je höherdie Konzentration der Verunreinigungen, desto hö-her die Ladungsträgerdichte. Bei einer Variation der

4H. Fritzsche, J. Phys. Chem. Solids, 6, 69 (1958).

292

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

Dichte der Verunreinigungen um 3 Größenordnun-gen variiert der Widerstand um mehr als 10 Größen-ordnungen. Diese großen Unterschiede findet manallerdings nur bei niedrigen Temperaturen. Für höhe-re Temperaturen steigt die Leitfähigkeit in allen Fäl-len auf den gleichen Grenzwert an - man nennt die-sen den “intrinsischen” Wert, also die Leitfähigkeit,die das Material ohne Verunreinigungen aufweist.

7.8.4 Absorption von Licht

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass die Leit-fähigkeit durch einfallendes Licht wesentlich ge-steigert werden kann. Diesen Effekt, den man alsPhoto-Leitfähigkeit bezeichnet, deutet darauf hin,dass Ladungsträger nicht nur thermisch erzeugt wer-den, sondern auch durch Energiezufuhr über die Ab-sorption von Photonen. Diese müssen eine Energieaufweisen, die mindestens so groß ist wie die Band-lücke. Für die Bandlücken der Halbleiter benötigtman deshalb Photonen mit einer Wellenlänge imSichtbaren oder nahen Infraroten, also ca. 500 nmbis 2 µm. Bei Silizium z.B. muss die Wellenlänge desLichtes kleiner als 1.1 µm sein. Diese Eigenschaften,die Photovoltaik und die Photoleitfähigkeit, habenheute eine große technische Bedeutung, indem Halb-leiter als Solarzellen und Detektoren für Licht zumEinsatz kommen, z.B. als Photodioden und CCD’s inKameras. Umgekehrt können Halbleiter auch Lichterzeugen; dies wird in LED’s und Laserdioden be-nutzt.

direkte Halbleiter indirekte HalbleiterE

k

E

Eg

Leitungsband

Valenzband

0k

E

Eg

0

Abbildung 7.87: Lichtabsorption bei direkten undindirekten Halbleitern.

Bei der Anregung vom Valenzband ins Leitungs-band muss der Impuls des Systems erhalten bleiben.

Die Wellenlänge von optischem Licht ist sehr vielgrößer als eine typische Gitterkonstante; der Impulsp

n

= hk = h/l eines optischen Photons ist deshalbklein im Vergleich zu einem typischen Impuls einesElektrons pe = h/a. Die Absorption eines Photonsändert deshalb den Impuls des Elektrons kaum, erbleibt praktisch konstant. Das Elektron wechselt des-halb bei der Absorption auf einen Zustand gleicherWellenzahl; man nennt dies einen vertikalen Über-gang.

Bei Energien am Rande der Bandlücke ist dies abernicht immer möglich. So ist es möglich, dass dasMinimum des Leitungsbandes bei einem Wert k 6= 0auftritt, wie in Abb. 7.87 in der rechten Hälfte dar-gestellt. Photonen mit dieser Energie können somitnur dann absorbiert werden, wenn die Impulsände-rung des Elektrons durch das System kompensiertwerden kann. Dies geschieht normalerweise durchdie Erzeugung eines Phonons (einer quantisiertenAnregung einer Gitterschwingung) mit dem richti-gen Impuls, respektive durch die Vernichtung einesPhonons mit entgegengesetztem Impuls, falls diesePhononen genügend angeregt sind. Da die Energieder Phononen sehr viel kleiner ist als die Photonen-energie, brauchen wir diese bei der Energieerhaltungnicht zu berücksichtigen.

indirekter HLdirekter HL

Eghi > Eg hi > Eg

Abbildung 7.88: Lichtabsorption und Relaxation beidirekten und indirekten Halblei-tern.

Natürlich können Absorptionsprozesse nicht nur ander Bandkante stattfinden, sondern auch bei höhe-ren Photonen-Energien. Dabei wird ein Loch im In-nern des Valenzbandes erzeugt, zusammen mit ei-nem Elektron im Innern des Leitungsbandes. Dieauf diese Weise erzeugten Ladungsträger streuen anPhononen und relaxieren auf diese Weise rasch zumEnergieminimum ihrer Bänder (Abb. 7.88).

293

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

Energie ℏω des Photons

Abso

rptio

n

��g

tran

spar

ent

Energie ℏω des Photons

Abso

rptio

n

indirekter Übergang

direkter Übergang

Abbildung 7.89: Absorptionswahrscheinlichkeit beidirekten und indirekten Halblei-tern.

Aus der Wahrscheinlichkeit für solche Absorptions-prozesse erhält man ein Absorptionsspektrum. Wiein Abb. 7.89 gezeigt, ist die Absorptionskante bei ei-nem direkten Halbleiter schärfer als bei einem indi-rekten.

7.8.5 Lichtemission

Der Umkehrprozess der Absorption ist die Emissi-on von Licht. Dabei geht ein Elektron aus dem Lei-tungsband ins Valenzband über und strahlt die Ener-giedifferenz in der Form eines Photons ab. Auchhier muss die Erhaltung von Energie und Impuls ge-währleistet sein. Bei einem Übergang von Bandkan-te zu Bandkante wird somit ein Photon mit Energiehw = Eg frei. Bei der Emission ist diese Bedingungjedoch schwieriger zu erfüllen als bei der Absorp-tion: Ein Elektron aus dem Leitungsband muss miteinem Loch im Valenzband rekombinieren, welchejeweils den gleichen Impuls besitzen. Dies ist beidirekten Halbleitern unproblematisch, bei indirektenHalbleitern jedoch nicht, da dort die freien Zustän-de (= besetzten Lochzustände) nicht bei der gleichenWellenzahl auftreten. Der Unterschied zwischen di-rekten und indirekten Halbleitern spielt deshalb fürdie optischen Eigenschaften eine zentrale Rolle.

Silizium, z.B. ist ein indirekter Halbleiter. Das ent-artete Valenzband hat sein Maximum im Zentrumder Brillouin-Zone, während das Leitungsband-Minimum relativ weit vom Zentrum entfernt ist,nämlich ca. 80 % der Brillouin-Zone in Richtung100. Aus Symmetriegründen existieren 6 äquivalen-te Richtungen entlang der 6 Koordinatenachsen. Un-ter typischen Bedingungen ist die Dichte von Elek-

Si

indirekter HLdirekter HL

GaAs

Ener

gie

in e

V

[111] [000] [100]

Ener

gie

(eV)

Abbildung 7.90: Bandstruktur von Si und GaAs.

tronen im Leitungsband in der Näher des Leitungs-bandminimums am größten. Bei einem senkrech-ten Übergang ins Valenzband würden diese Elektro-nen aber nur besetzte Zustände antreffen. Dadurchist in Si die Emission von Licht stark erschwert. Siwird deshalb z.B. nicht für den Bau von Leuchtdi-oden oder Halbleiterlasern verwendet. Ein typischerdirekter Halbleiter, welcher hauptsächlich für opto-elektronische Komponenten wie z.B. Halbleiterlaserverwendet wird, ist GaAs.

Erst seit kurzem kann man auch eine Modifikati-on von Si herstellen, welche leuchtet. Während mansich über den Mechanismus noch nicht ganz einigist, scheint es dafür nötig zu sein, dass das Materialauf so kleinen Skalen strukturiert ist, dass die übli-che Beschreibung des Materials als unendlich ausge-dehnter Kristall, die wir hier verwenden, nicht mehrgültig sind.

7.9 Supraleitung

7.9.1 Entdeckung

In normalen Metallen findet man, dass der elektri-sche Widerstand bei tiefen Temperaturen abnimmt,bis er einen Grenzwert erreicht, der durch Kristall-fehler bestimmt ist. Wie immer war diese Aussagedas Resultat eines Modells und wie jedes Modellhat auch dieses seine Grenzen. Experimentelle Testsdieser Aussage in einem Bereich nahe des absolu-

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

ten Nullpunkts waren erstmals ab 1908 möglich, alses Kammerlingh Onnes in Leiden gelang, ein Kühl-mittel zu erzeugen, welches sehr tiefe Temperaturenerlaubt, nämlich flüssiges Helium, das bei Normal-druck einen Siedepunkt von 4 K besitzt. Er benutz-te dieses Kältemittel bald um die elektrische Leitfä-higkeit bei tiefen Temperaturen zu messen. Im Jahre1911 fand er ein merkwürdiges Verhalten, das sichvon der oben genannten Erwartung qualitativ unter-scheidet.

Temperatur T (K)

Wid

erst

and

Abbildung 7.91: Spezifischer Widerstand vonQuecksilber als Funktion derTemperatur.

Der elektrische Widerstand von Quecksilber nahmzunächst linear mit der Temperatur ab, bis er bei4.2 K plötzlich auf einen sehr kleinen Wert sprang.Genauere Messungen zeigten, dass dieser Wert in-nerhalb der experimentellen Fehlergrenzen mit Nullübereinstimmt. Das heißt, dass es z.B. möglich ist, ineiner geschlossenen Leiterspule einen Strom fließenzu lassen ohne, dass dieser abklingt.

Ein vergleichbares Phänomen findet man auch beiden Fließeigenschaften von flüssigem Helium 4: Un-terhalb einer Temperatur von 2,17 K verschwindetdie Viskosität. Man nennt diesen Zustand Supraflui-dität.

Abbildung 7.92: Anwendungen: supraleitender Ma-gnet für die Kernresonanz (links)und Hochgeschwindigkeitszug(rechts).

7.9.2 Leitfähigkeit

Die Supraleitung benutzt man z.B. für die Erzeu-gung starker Magnetfelder: Man wickelt einen Drahtzu einer Spule und regt darin einen Strom an. Da-durch können permanente Magnetfelder von mehre-ren Tesla erzeugt werden, wie man sie z.B. in derKernspinresonanz oder in der Kernspintomographiebenötigt. Supraleitende Magneten werden auch ineinem japanischen Hochgeschwindigkeitszug einge-setzt.

0

0.5

Freq

uenz

/ H

z

0 5 10

Zeit / Stunden

Drift: -1,68 Hz / Tag

Abbildung 7.93: Abschwächung des Magnetfeldeseines supraleitenden Magneten alsFunktion der Zeit.

Während der Widerstand eines supraleitenden Ma-terials nicht direkt messbar ist, kann man ihn in ei-nem Magneten indirekt messen: das Magnetfeld istnicht exakt konstant, sondern es schwächt sich lang-

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

sam ab. Abb. 7.93 zeigt eine typische Messung überKernspinresonanz: Die Resonanzfrequenz der Kern-spins sinkt um etwa 1,68 Hz/Tag. Bei einer absolutenFrequenz von 360 MHz sinkt das Magnetfeld alsomit einer Rate

1B

dBdt

=1,68

3,6 ·1081

Tag=

4,67 ·10�9

Tag=

1,7 ·10�7

Jahr,

d.h. die Zerfallszeit beträgt etwa 17 Millionen Jahre.

7.9.3 Diamagnetismus

Diese Klasse von Materialien wird als Supraleiterund der Zustand als Supraleitung bezeichnet. Da-mit charakterisiert man zunächst die elektrischenEigenschaften dieser Materialien. Sie besitzen aberauch sehr charakteristische magnetische Eigenschaf-ten. Der wichtigste ist, dass sie sich wie perfekteDiamagneten verhalten, d.h., dass das Magnetfeld inihrem Inneren verschwindet.

H

MHc

Abbildung 7.94: Magnetisierung als Funktion desäußeren Feldes.

Dies ist bekannt als Meißner-Ochsenfeld Effekt5.Die Magnetisierung M des Materials beträgt dann

M = �H ! c = �1.

Der Diamagnetismus eines Supraleiters ist damit umetwa 5 Größenordnungen stärker als der eines nor-malen diamagnetischen Materials (z.B. Wasser: c =�7 ·10�6).

Ein perfekter Diamagnet erzeugt eine Magnetisie-rung, die das externe Feld innerhalb des Magnetenvollständig kompensiert. Die Magnetfeldlinien wer-den deshalb aus dem Material ausgestoßen. Dies ge-schieht, indem am Rand des supraleitenden Bereichsein Strom fließt, dessen Magnetfeld gerade das äuße-re Magnetfeld kompensiert.

5entdeckt 1933 durch Walther Meißner (1882 - 1974) und Ro-bert Ochsenfeld (1901 - 1993)

Magnetfeld wird ausgestoßen

Abbildung 7.95: Meissner-Effekt: Ein Supraleiter istein perfekter Diamagnet.

Magnet schwebt über Supraleiter normal leitend

supraleitend

Abbildung 7.96: Der Meissner-Effekt lässt denMagneten über dem Supraleiterschweben.

Oberhalb der kritischen Temperatur ist das Mate-rial normalleitend und praktisch nichtmagnetisch.Das Feld eines externen Magneten durchdringt des-halb das Material. Kühlt man das Material unter dieSprungtemperatur, so wird es zu einem perfektenDiamagneten. Man kann dies z.B. dadurch sichtbarmachen, dass ein kleiner Permanentmagnet über ei-nem Stück Supraleiter schwebt, welcher mit flüssi-gem Stickstoff gekühlt wird.

Im Raum zwischen dem Magneten und dem su-praleitenden Material werden sie deshalb konzen-triert und das System kann seine Energie ernied-rigen, indem der Supraleiter über dem Magnetenschwebt. Dies ist nicht einfach eine Folge der ver-lustlosen Leitung von elektrischem Strom. Ein per-fekter Leiter würde zwar durch Eddy-Ströme einerÄnderung des Magnetfeldes in seinem Innern wider-

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stehen. Dies bedeutet, dass das Magnetfeld in seinemInnern zeitlich unveränderlich sein muss, d~B/dt =0. Damit müsste aber das vorher vorhandene Felderhalten bleiben, während es beim Meißner-Effektausgestoßen wird, so dass ~B = 0.

7.9.4 Kritische Temperatur und kritischesFeld

Dies funktioniert allerdings nur bei Magnetfeldernunterhalb einer gewissen Stärke. Überschreitet dieStärke des äußeren Feldes das kritische Feld Hc, sobricht der perfekte Diamagnetismus wie auch die Su-praleitung zusammen. Supraleitung tritt somit nurbei genügend tiefen Temperaturen und genügendschwachem Magnetfeld auf.

Stoff TC/K

Al 1.19Be 0.026Hg 4.15Zn 0.9Wo 0.012Pb 7.2V3Si 17.1Nb3Sn 18.0Nb3Al8Ge0.2 20.7YBa2Cu3O6+x 90HgBa2CuO4+b 133CsRb2C60 31

kritische Temperaturen

TemperaturTc

Hc

Mag

netfe

ld

normalleitend

supralleitend

Abbildung 7.97: Zustandsdiagramm und kritischeTemperatur einiger Supraleiter.

Zwischen der normal leitenden Phase und der supra-leitenden Phase liegt ein Phasenübergang, der vomMagnetfeld und der Temperatur (und, in Abb. 7.97nicht eingezeichnet, der Stromdichte) abhängt. Ei-ne etwas genauere Betrachtung zeigt, dass der Über-gang vom supraleitenden in den normalleitenden Zu-stand auch von der Form des Körpers abhängt. Soist bei der in Abb. 7.95 gezeigten Kugel die Feld-stärke an der Kugeloberfläche teilweise höher alsim ungestörten Feld. Das Feld beginnt deshalb anden entsprechenden Stellen schon unterhalb der kri-tischen Feldstärke einzudringen. Dies ist nicht derFall, wenn die Probe eine dünne Schicht ist, die par-allel zu den Feldlinien angeordnet ist. Die kritische

Temperatur, unterhalb der ein Material supraleitendwird, kann von mK bis zu 133 K variieren. Abb. 7.97listet sie für einige Materialien.

Temperatur / K

kriti

sche

s Fel

d H

c(T) /

G

Abbildung 7.98: Temperaturabhängigkeit des kriti-schen Feldes bei Typ I Supraleiter.

Der Betrag des kritischen Feldes hängt ebenfallsvom Material ab, variiert aber auch mit der Tem-peratur. Beim Überschreiten des kritischen Feldesbricht auch der Meißner-Effekt zusammen. Beimkritischen Feld sinkt die Magnetisierung abrupt aufNull, d.h. das Feld dringt in das Material ein.

7.9.5 Typ II Supraleiter

äußeres Magnetfeld / Gauß

A: BleiB: Blei + 2.8%InC: Blei + 8.3%InD: Blei + 20.4%In

-µ0M

/ G

auß

Abbildung 7.99: Magnetisierung als Funktion derTemperatur für Blei mit unter-schiedlicher Dotierung.

Dies ist aber nur bei so genannten weichen Su-praleitern oder Supraleitern der ersten Art der Fall.Dementsprechend existieren Supraleiter der zweitenArt. Diese Materialien verhalten sich unterhalb deskritischen Feldes Hc1 wie die Supraleiter der 1. Art.Beim kritischen Feld dringen die Feldlinien eben-

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7 Atome, Moleküle und Festkörper

falls in das Material ein, aber die Magnetisierungsinkt nicht auf Null.

Temperatur

Mag

netfe

ld

Meissner-Zustandρ = 0, B = 0

Tc

gemischter Zustandρ = 0, B ≠ 0HC1(T)

HC2(T)

Abbildung 7.100: Unterschiedliche Phasen bei ei-nem Typ II Supraleiter.

Diese teilweise supraleitende Eigenschaft bleibt biszu einem zweiten kritischen Feld Hc2 erhalten. DasMaterial bleibt auch bis zu diesem kritischen Feldsupraleitend. Dieses zweite kritische Feld kann ummehrere Größenordnungen oberhalb des ersten kriti-schen Feldes liegen.

Dieses kritische Feld ist dasjenige, das für techni-sche Anwendungen wichtig ist.

Temperatur / K

Kriti

sche

s Fel

d H

C2 /

T

PbMo5.1S6

Nb3(Al0.7Ge0.3)

Nb3GeNb3SnNbTi

Abbildung 7.101: Temperaturabhängigkeit des obe-ren kritischen Feldes bei Typ IISupraleiter.

Für Typ 2 Supraleiter liegt das obere kritische Feldim Bereich von bis zu 50 Tesla. Im Bereich zwischenden beiden kritischen Feldern findet ein teilweisesEindringen des Magnetfeldes in den Supraleiter statt.

Diese teilweise Durchdringung erfolgt durch einzel-ne Flussquanten. Wie in Abb. 7.102 gezeigt, ord-

Abbildung 7.102: Hexagonales Gitter aus Flus-squanten.

nen sich diese in der Form eines Gitters an, welchesdurch kleine ferromagnetische Teilchen sichtbar ge-macht werden kann. Heute kann man sie auch durchRaster-Kraftmikroskopie sichtbar machen.

Typ II Supraleiter sind größtenteils Legierungen,während Typ I Supraleiter eher Elemente sind. Esist möglich, Typ I Supraleiter durch die Zugabe ge-ringer Anteile an legierenden Elementen zu Typ IISupraleitern zu machen.

Die meisten Supraleiter sind Metalle, aber seit eini-gen Jahren gibt es auch organische Supraleiter, al-so Polymere, die unterhalb einer bestimmten Tem-peratur supraleitend werden. Die wichtigste Ausnah-me aber sind die 1986 entdeckten Hochtemperatur-Supraleiter6: Hier handelt es sich um keramischeMaterialien, die oberhalb der kritischen TemperaturIsolatoren sind.

Einheitszelle von YBa2Cu3O7

Abbildung 7.103: Typische Struktur eines Hoch-temperatur-Supraleiters.

6Karl Alexander Müller und Johannes Georg Bednorz, Nobel-preis 1987

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Diese Klasse von Materialien hat eine ziemlich ein-heitliche Struktur: es handelt sich um schichtförmigeMaterialien, bei denen Ebenen von CuO Schichtensich mit anderen Schichten abwechseln.

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