88 100

12
15 th ISC hängig vom Einsatzfall deutlich. Ein Fahrzeuggetriebe wird unter anderen Randbe- dingungen beansprucht, als ein Industriegetriebe. Bei ersterem treten ständig Dreh- zahlwechsel auf, wie das Geschwindigkeitsprofil einer Autobahnfahrt verdeutlicht (Bild 1), wogegen das Industriegetriebe häufig in einem konstanten Drehzahlbereich betrieben wird. Bild 1: Gemessenes Geschwindigkeitsprofil einer Autobahnfahrt /1/ Figure 1: Measured speed profile /1/ Das Dichtsystem Radial-Wellendichtung besteht aus dem Dichtring (RWDR) nach DIN 3760 /2/ und DIN 3761 /3/, der Wellenoberfläche und dem abzudichtenden Fluid. Diese Komponenten bilden ein komplexes tribologisches System. Bei stillstehender Welle besteht zwischen der Dichtlippe des Dichtrings und der Wellenoberfläche ein enger Kontakt. Der Elastomerwerkstoff passt sich den Rauheitserhebungen der Wel- le an und verschließt mögliche Leckagekanäle. Das System ist dicht, auch bei über- fluteter Dichtstelle. Im dynamischen Betrieb, mit rotierender Welle, ist die Trennung von Elastomer-Dichtkante und Wellenoberfläche wesentlich. Bei funktionierenden Systemen wird dies mittels eines hydrodynamisch gebildeten Schmierfilms in der Kontaktzone erreicht. Innerhalb des Schmierfilms bilden sich Druckzonen die der Radialkraft des Dichtrings entgegenwirken und so die Dichtkante etwas von der Wel- lenoberfläche abheben. Die Einflussparameter auf eine Radial-Wellendichtung sind zahlreich. Als direkte Pa- rameter wirken sich Elastomerwerkstoff, Schmierstoff und Wellenoberfläche auf das System aus. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Zusammensetzungen und Füllstoffe unterscheiden sich die Elastomercompounds hinsichtlich Funktion und Verschleiß- verhalten erheblich. Sie sind in direktem Kontakt mit den abzudichtenden Schmier- stoffen und müssen chemisch beständig sein. Die Viskosität des Schmierstoffs und dessen Benetzungsfähigkeit mit Dichtkante und Wellenoberfläche sind entscheidend

Transcript of 88 100

��    15th ISC

hängig vom Einsatzfall deutlich. Ein Fahrzeuggetriebe wird unter anderen Randbe-dingungen beansprucht, als ein Industriegetriebe. Bei ersterem treten ständig Dreh-zahlwechsel auf, wie das Geschwindigkeitsprofil einer Autobahnfahrt verdeutlicht (Bild 1), wogegen das Industriegetriebe häufig in einem konstanten Drehzahlbereich betrieben wird.

Bild 1: Gemessenes Geschwindigkeitsprofil einer Autobahnfahrt /1/ Figure 1: Measured speed profile /1/

Das Dichtsystem Radial-Wellendichtung besteht aus dem Dichtring (RWDR) nach DIN 3760 /2/ und DIN 3761 /3/, der Wellenoberfläche und dem abzudichtenden Fluid. Diese Komponenten bilden ein komplexes tribologisches System. Bei stillstehender Welle besteht zwischen der Dichtlippe des Dichtrings und der Wellenoberfläche ein enger Kontakt. Der Elastomerwerkstoff passt sich den Rauheitserhebungen der Wel-le an und verschließt mögliche Leckagekanäle. Das System ist dicht, auch bei über-fluteter Dichtstelle. Im dynamischen Betrieb, mit rotierender Welle, ist die Trennung von Elastomer-Dichtkante und Wellenoberfläche wesentlich. Bei funktionierenden Systemen wird dies mittels eines hydrodynamisch gebildeten Schmierfilms in der Kontaktzone erreicht. Innerhalb des Schmierfilms bilden sich Druckzonen die der Radialkraft des Dichtrings entgegenwirken und so die Dichtkante etwas von der Wel-lenoberfläche abheben.

Die Einflussparameter auf eine Radial-Wellendichtung sind zahlreich. Als direkte Pa-rameter wirken sich Elastomerwerkstoff, Schmierstoff und Wellenoberfläche auf das System aus. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Zusammensetzungen und Füllstoffe unterscheiden sich die Elastomercompounds hinsichtlich Funktion und Verschleiß-verhalten erheblich. Sie sind in direktem Kontakt mit den abzudichtenden Schmier-stoffen und müssen chemisch beständig sein. Die Viskosität des Schmierstoffs und dessen Benetzungsfähigkeit mit Dichtkante und Wellenoberfläche sind entscheidend

für die Schmierung der Kontaktzone. Oftmals sind die Additiv-Pakete eines Schmier-stoffs für eine Radialwellendichtung schädlich. So kann sich z.B. ein Friction Modifier, der für den Metall-Metall Kontakt ausgelegt ist, bei bestimmten Betriebsbedingungen negativ auf das Dichtsystem auswirken. Eine große Bedeutung kommt auch der Wel-lenoberfläche zu. Diese wird meist vom Anwender selbst definiert und gefertigt. Ab-hängig von der Wellenrauheit erfolgt die Konditionierung der Dichtkante. Hierbei ent-stehen durch einen Initialverschleiß Strukturen auf der Dichtkante, die wesentlich für den dynamischen Dichtmechanismus sind. Die zuverlässige Funktion von Radial-Wellendichtungen ist auch von den Betriebs- und Umgebungsbedingungen des Ag-gregates abhängig. Hierbei spielt die Drehzahlcharakteristik der abzudichtenden Welle eine Rolle. Sind eher hohe Drehzahlen zu erwarten oder dreht sich die Welle häufig mit niedriger Drehzahl. Dies wirkt sich auf den Schmierzustand der Dichtzone aus. Dauerhafter Überdruck im Aggregat oder auch einzelne Druckspitzen belasten das Dichtsystem zusätzlich. Nicht zuletzt ist die Lebensdauer einer Radial-Wellendichtung wesentlich durch die Temperatur an der Dichtkante bestimmt.

Die große Anzahl an Einflussparametern ist mit der Grund, dass es zum jetzigen Zeitpunkt keine Möglichkeit gibt, Radial-Wellendichtringe rechnerisch auszulegen und so deren Dichtfunktion vorherzubestimmen. Aufbauend auf Vorgaben der Dicht-ringhersteller und eigenen Erfahrungswerten, werden die Dichtsysteme von den Ag-gregatherstellern gestaltet. Aufgrund der oft unterschiedlichen Einsatzbedingungen ist ein Vergleich mit bekannten Systemen nur bedingt möglich und bringt gewisse Unsicherheiten mit sich. An Versuchsläufen führt deshalb meist kein Weg vorbei.

3 Radial-Wellendichtungen – Schädigungsmechanismen

Verschiedene Schädigungsmechanismen treten beim Betrieb einer Radial-Wellendichtung auf. Diese stören die Funktion und führen letztlich zum Ausfall des Dichtsystems, dessen Lebensdauer von der Art und dem Umfang der Schädigung bestimmt wird.

Bei chemischer Unverträglichkeit zwischen Material des Dichtrings und dem abzu-dichten Schmierstoff tritt eine Schädigung von Radial-Wellendichtungen auf. Der Elastomerwerkstoff verändert sich und quillt oder schrumpft dabei. Aufgrund dessen wird die Leistungsfähigkeit der Dichtsysteme erheblich verringert. Ein sehr deutliches Indiz auf chemische Schädigung ist eine Bläschenbildung nahe der Dichtkante. Die notwendigen Untersuchungen zur chemischen Verträglichkeit werden von den Schmierstoffherstellern, meist gemeinsam mit Dichtungsherstellern, bei der Entwick-lung neuer Schmierstoff-Formulierungen durchgeführt und betreffen die Anwender der Systeme in der Regel nicht. Statische Einlagerungstests geben erste Hinweise auf die Verträglichkeit von Schmierstoff und Elastomer, reichen aber nicht aus /4/.

A 0�    ��

�0    15th ISC

Moderne Schmierstoffe mit vergleichsweise hohem Additivanteil erfordern dynami-sche Dichtheitsuntersuchungen /5/.

Die Temperatur an der Dichtkante ist im Wesentlichen bestimmt durch die Höhe der Gleitgeschwindigkeiten zwischen Dichtkante und Wellenoberfläche und dem dort vorherrschenden Schmierzustand. Aufgrund der Fluid- oder Festkörperreibung ent-steht in der Kontaktzone Reibungswärme. Diese bewirkt eine starke Temperaturer-höhung im Dichtkantenbereich, was durch eine hohe Ölsumpftemperatur und zusätz-lichen Wärmeeintrag von anderen Maschinenelementen noch verstärkt wird. Ein Wärmestau in der Dichtzone wird von einer ungünstigen Gestaltung der Umgebung und eines zu geringen Ölaustauschs vor dem RWDR begünstigt. Die hohe Tempera-tur bewirkt eine thermische Schädigung der Dichtkante, die sich unterschiedlich aus-wirken kann. Der Elastomerwerkstoff altert schneller, verhärtet und an der Dichtkante bilden sich Risse, so dass die Abdichtfunktion nicht mehr erfüllt wird. Ein weiterer Effekt der auftreten kann, ist eine Relaxation des Materials, so dass der Radialkraft-anteil des Elastomers verringert wird. Ist die Temperatur in der Kontaktzone für den eingesetzten Schmierstoff zu hoch, wird dieser geschädigt und es kann zu Ölkohle-bildung an der Dichtkante kommen (Bild 2). Die tatsächliche thermische Belastung der Dichtkante kann nur in dynamischen Untersuchungen ermittelt werden.

Bild 2: Dichtkante eines RWDR mit starker Ölkohleablagerung Figure 2: Sealing Edge with Oil Carbon

Ein weiterer Schädigungsmechanismus ist Verschleiß, der sowohl am Dichtring als auch an der Wellenoberfläche verschiedenartig auftreten kann. Abrasiver Verschleiß stellt im Kontakt zwischen Dichtkante und Wellenoberfläche die häufigste Verschlei-ßerscheinung dar. Dieser tritt verstärkt auf, wenn das System bei Bedingungen be-trieben wird, die zu Mischreibung im Dichtspalt führen. Der Festkörperkontakt zwi-schen Dichtkante und Wellenoberfläche bewirkt einen Materialabtrag an der Dicht-kante und vereinzelt auch an der Wellenoberfläche. Mischreibung tritt bei geringen Relativgeschwindigkeiten zwischen Dichtkante und Wellenoberfläche sowie bei

Überdruck im Aggregat auf und lässt sich in Versuchen vergleichsweise einfach ab-bilden. Bei verstärkter Schmutzbelastung des Dichtsystems lagern sich harte Partikel in der Dichtkante ein und verursachen einen starken Wellenverschleiß. Weitere Ver-schleißerscheinungen, die teils zu starker Beschädigung der Dichtpartner führen sind Erosions- und Kavitationsverschleiß sowie elektrochemische Effekte.

Die hier dargestellten Hauptschädigungsmechanismen geben einen Teil der auftre-tenden Ausfallerscheinungen wieder und zeigen, dass Radialwellendichtungen auf unterschiedlichste Weise versagen können. Die Schädigungsmechanismen treten meist kombiniert auf und beeinflussen sich gegenseitig. Ein Versuchskollektiv muss die Betriebszustände eines Aggregats in geeigneter Weise wiedergeben und die Schädigungsmechanismen zueinander gewichten, so dass aus den Versuchen die richtigen Schlüsse gezogen werden können.

4 Lastkollektive im Einsatz

Bei Untersuchungen von Radial-Wellendichtungen kann zwischen verschiedenen Versuchen unterschieden werden. Es werden Komponententests, Aggregattest am Prüfstand und bei manchen Anwendungen auch Tests unter Realbedingungen durchgeführt. Bei diesen Untersuchungen werden die Dichtsysteme mit sehr unter-schiedlichen Lastkollektiven getestet, deren Anforderungen sich abhängig von den Fragestellungen unterscheiden. Dichtungs- und Schmierstoffhersteller benötigen ein einziges, möglichst allgemeingültiges Lastkollektiv, das Aussagen bei der Kompo-nentenentwicklung liefert. Hierbei werden die Dichtsysteme in spezieller Prüfstand-umgebung untersucht. Grundlegende Erkenntnisse über die Funktion der Dichtsys-teme können so erarbeitet werden. Eine gleichbleibende Prüfstandumgebung und ein universelles Lastkollektiv das nicht verändert wird haben den Vorteil, unterschied-lichste Systeme direkt miteinander vergleichen zu können. Aggregathersteller benö-tigen belastbare Erkenntnisse zur Funktion der eingesetzten Dichtsysteme in sehr unterschiedlichen Anwendungen, so dass je nach Einsatzfall ein anderer Aufbau des Lastkollektivs notwendig ist. Werden die kompletten Aggregate am Prüfstand getes-tet, steht die Gesamtfunktion und die Einzelfunktion mehrerer Komponenten im Blickpunkt, so dass die eingesetzten Lastkollektive meist nicht für ein Bauteil opti-miert werden.

Aufgrund der vielen Anwendungsgebiete und der großen Unterschiede bei den Einsatzbedingungen, gibt es nicht ein einzelnes Lastkollektiv, das generell für Unter-suchungen von RWDR eingesetzt werden kann. Sehr viele unterschiedliche Kollekti-ve sind im Einsatz, in manchen Unternehmen ist die Vorgehensweise in Form von Werksnormen festgelegt. Meist sind diese Lastkollektive Betriebsinterna und werden nicht nach außen gegeben, so dass es vergleichsweise wenige Veröffentlichungen zu diesem Themengebiet gibt.

A 0�    �1

��    15th ISC

DIN 3761 /3/ macht Angaben zu Funktionsprüfungen von Radial-Wellendichtringen für Kraftfahrzeuge. Es wird ein 24 Stunden Kollektiv vorgeschlagen, das zehnmal durchfahren wird, so dass sich eine Gesamtversuchszeit von 240 Stunden ergibt. Diese Laufzeit hat sich als Standard für viele Untersuchungen von RWDR etabliert, ist in manchen Fällen aber nicht ausreichend (z.B. /7/). Zwei Temperaturstufen, ab-hängig vom Material des Dichtringes, werden vorgegeben. Für die Versuche ist die maximale Drehzahl des späteren Anwendungsfalls zu wählen, auch eine Stillstand-zeit mit Abkühlung auf Raumtemperatur ist vorzusehen. Ein Drehrichtungswechsel ist nicht geplant. Dieser sollte bei gesondert vereinbarten Drehzahlkollektiven möglich sein, wie es beispielsweise in /6/ beschrieben ist. Zwei Lastkollektive zur Funktions-untersuchung von RWDR, wie sie bei der Volkswagen AG eingesetzt werden, sind in /6/ und /7/ dargestellt. Im Vergleich zum DIN-Kollektiv ist eine weitere Temperatur- und Drehzahlstufe vorgesehen. Diese Kollektive sind im Wesentlichen auf eine hohe thermische Belastung der Dichtsysteme ausgelegt.

5 Untersuchungen unterschiedlicher Lastkollektive

Innerhalb des Forschungsprojektes „Oberflächentopographie“ /8/, finanziert vom BMWi über die AiF, erfolgten Untersuchungen zu unterschiedlichen Lastkollektiven. Diese Untersuchungen werden seit Projektabschluss am Institut weitergeführt. Ziel-setzung der Forschungsarbeiten sind Erkenntnisse, wie ein Lastkollektiv zur Unter-suchung von Radial-Wellendichtungen aufgebaut sein muss, um den Einsatzfall in der Praxis repräsentativ am Prüfstand nachzubilden. Im Praxiseinsatz kommt es oft-mals zu sehr dynamischen Änderungen der Betriebszustände, die Drehzahl kann sehr häufig wechseln (Bild 1), so dass sich kein stationärer Schmierzustand in der Dichtzone ausbilden kann. Es stellt sich hier die Frage, ob diese häufigen Verände-rungen das Dichtsystem stärker belasten, als ein Betrieb mit meist konstanten Dreh-zahlen. Vorrangig wurden bei den Untersuchungen die thermische Schädigung und abrasiver Verschleiß untersucht.

Ausgehend vom Stand der Technik und den bekannten Lastkollektiven wurden ver-schiedene Drehzahl-Temperatur-Kollektive erarbeitet. Basis war eine Versuchslauf-zeit von 240 Stunden. Diese Kollektive wurden über Prüfstandversuche verglichen. Als Dichtsysteme kamen Radialwellendichtringe aus FPM- und NBR-Werkstoff zum Einsatz, die Versuchswellen (Ø80 mm) waren im Einstich geschliffen und das Abzu-dichtende Fluid war ein mineralisches SAE80 Getriebeöl. Beispielhaft sind drei der untersuchten Kollektive in der nachfolgenden Tabelle dargestellt.

Das Temperatur-Drehzahl-Kollektiv IMA_01 zeigt im Vergleich zum bekannten DIN-Kollektiv für RWDR häufiger Drehzahländerungen. Alle sechs Minuten ist ein Wech-sel vorgesehen, von der Stillstandphase zu einer Drehzahl von 500 min.-1, bis zu ei-ner Drehzahl von 6500 min.-1. Dieser 18-Minuten Zyklus wird während der

240 Stunden Versuchslauf kontinuierlich wiederholt. Das Kollektiv IMA_03 hat we-sentlich kürzere Zyklen und einen größeren Anteil mit hoher Drehzahl.

Kollektiv Drehzahl [min-1]Drehzahlän-

derun-gen/24h

Drehrichtungs-umkehr Temperatur Laufstrecke

[km/24h]

IMA_01 500, 6500, 0 Wechsel alle 6 min. 240 Nein 2 Stufen 844

IMA_03500, 3500, 6500,

Wechsel alle 9s/18s + 0

6720 Nein konstant 1230

IMA_05 6500, 0 53 Wechsel zum Ende des 24 h

Zykluskonstant 2328

Bei Drehzahlen von 500 min.-1 läuft das Dichtsystem unter Mischreibung. In der Kon-taktzone von Dichtkante und Wellenoberfläche besteht Festkörperkontakt und das Dichtsystem verschleißt abrasiv. Im Drehzahlbereich von 6500 min.-1 sind Dichtkante und Wellenoberfläche durch einen tragenden Schmierfilm getrennt. Der Festkörper-kontaktanteil ist minimiert und die Dichtkante wird thermisch belastet. Aufgrund der häufigen Drehzahlwechsel finden kontinuierlich Zustandsänderungen in der Kontakt-zone statt.

IMA_01 IMA_03 IMA_05

Bild 3: Dichtkanten nach 240 Stunden VersuchslaufFigure 3: Sealing Edge after 240-hour test run

Die Dichtkanten aus den Läufen IMA_01 und IMA_03, wie in Bild 3 dargestellt, wei-sen ein charakteristisches Verschleißbild auf. Während der Mischreibungsphasen entstand abrasiver Verschleiß, der allerdings nicht zu einem Ausfall der Dichtsyste-me führte. Die dargestellte Dichtkante des Laufs IMA_05 ist von einer dicken, rissi-gen Ölkohleschicht bedeckt. Bei einer solch massiven Beschädigung funktioniert der Dichtmechanismus einer Radial-Wellendichtung nicht mehr, was nach kurzer Be-triebszeit zu einem Ausfall des Dichtsystems führt. Das Lastkollektiv IMA_05 bewirkt aufgrund der hohen Drehzahl eine starke thermische Belastung der untersuchten Dichtsysteme.

A 0�    ��

��    15th ISC

Eine Fragestellung der Untersuchungen war, ob über ein Lastkollektiv das wenige Drehzahl- und Temperaturänderungen beinhaltet, der reale Betrieb einer Radial-Wellendichtung mit häufigen Zustandsänderungen, hinreichend genau überprüft werden kann. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Häufigkeit der Zu-standsänderungen auf den abrasiven Verschleiß der Dichtkante nicht merklich aus-wirkt. Hierbei kommt es nur auf die Gesamtzeit an, die das Dichtsystem im Mischrei-bungszustand läuft, so dass kurze Einzelabschnitte zu einem längeren Gesamtab-schnitt zusammengefasst werden können. Nur bedingt möglich ist eine Zusammen-fassung von einzelnen Drehzahlspitzen, wenn das Dichtsystem nahe am Grenzbe-reich der zulässigen Temperatur betrieben wird. Da sich die Temperatur aufgrund der Wärmeableitung aus der Dichtzone vergleichsweise langsam erhöht, ist die Temperaturbelastung bei vielen kurzzeitigen Drehzahlspitzen geringer, als dies bei einem längeren Betrieb unter diesen Bedingungen der Fall wäre. So kann es zu ei-nem unzulässigen Temperaturanstieg kommen, der im Realbetrieb so nie aufgetre-ten wäre. Es besteht in diesem Fall die Gefahr, dass die thermische Schädigung zu stark gewichtet wird und das Dichtsystem im Versuch ein anderes Ausfallverhalten zeigt als im Aggregat.

6 Gestaltung eines Lastkollektivs

Untersuchungen von Radial-Wellendichtungen mit Drehzahl-Temperatur-Kollektiven sollen in möglichst kurzer Zeit Aussagen zur Funktion eines Dichtsystems liefern. Zur Gestaltung müssen die spezifischen Betriebsbedingungen des konkreten Einsatzfalls bewertet werden, um diesen zweckmäßig abzubilden. Dies erfolgt über eine geeigne-te Gewichtung der Schädigungsmechanismen innerhalb des Lastkollektivs. Abrasiver Verschleiß und die Temperaturbelastung können in Prüfstandversuchen sehr gezielt beeinflusst werden. Es empfiehlt sich deshalb, ein Lastkollektiv wie in Bild 4 darge-stellt zu gestalten. Innerhalb eines Zeitabschnitts (t1) werden die Temperaturbelas-tung und in einem zweiten Abschnitt (t2) die Betriebszustände unter Mischreibung abgebildet. Eine Stillstandzeit (t3) mit Abkühlung auf Raumtemperatur schließt den Gesamtzyklus ab, der zwischen sechs und 24 Stunden dauern sollte. Die Zeitinter-valle der einzelnen Zustände sind aufgrund der Bewertung der Betriebsbedingungen festzulegen und können dabei auch auf tx = 0 gesetzt werden.

Die am häufigsten auftretende Belastung des Dichtsystems ist die Temperatur. Diese wird im Zeitabschnitt t1 des Lastkollektivs realisiert. Mit einer Ölsumpftemperatur, die etwas über der üblichen Temperatur des Aggregates liegt, und einer Drehzahl aus dem oberen Bereich des Anwendungsspektrums, wird die thermische Belastung ver-schärft abgebildet. Zusätzlich können hier noch kurzzeitige Drehzahl und Tempera-turspitzen des Anwendungsfalles integriert und mit getestet werden. Wird das Dicht-system in der Anwendung bereits am oberen Limit des zulässigen Temperaturbe-reichs betrieben, sind Überhöhungen im Prüflauf zu vermeiden.

Bei Betriebszuständen mit geringen Gleitgeschwindigkeiten und eventuell zusätzli-chem Systemüberdruck ist davon auszugehen, dass im Dichtspalt ein Mischrei-bungszustand vorherrscht. Dieser wird innerhalb des Lastkollektivs über die Zeit-spanne t2 berücksichtigt. Bei Unklarheit kann der Schmierzustand mit Hilfe der Güm-belzahl rechnerisch abgeschätzt werden /9/. Auch kurzzeitige Stillstandzeiten des Aggregats, ohne wesentliche Temperaturveränderungen, und darauffolgende An-fahrvorgänge, werden mit diesem Zeitabschnitt im Kollektiv abgedeckt.

Bild 4: Aufbau eines Lastkollektivs Figure 4: Load Cycle Design

Längere Stillstandzeiten mit Abkühlung des Aggregates werden gesondert über den Abschnitt t3 berücksichtigt. Das Elastomer legt sich an die Wellenoberfläche an und wird entlastet, da die Schubspannung durch die Rotationsbewegung der Welle nicht vorhanden ist. Die statische Dichtheit kann in diesen Zeiten überprüft werden. Des Öfteren konnte beobachtet werden, dass Ausfälle des Dichtsystems nach solchen Stillstandphasen aufgetreten sind.

Zusätzliche Gesichtspunkte die Anwendungsspezifisch mit betrachtet werden sollten sind Drehrichtungswechsel, Systemüberdruck oder Druckspitzen, Schmutzbelastung und zeitweise Mangelschmierung an der Dichtstelle.

7 Zusammenfassung

Die Funktion einer Radial-Wellendichtung wird, vor allem bei Serienprodukten, mit-tels Versuchsläufen überprüft. Das Zusammenspiel der einzelnen Systemparameter Dichtring, Welle und Schmierstoff muss gegeben sein, um eine zuverlässige Funkti-

A 0�    �5

��    15th ISC

on bei den vorherrschenden Betriebsbedingungen zu gewährleisten. Über Lastkollek-tive sollen die Betriebsbedingungen im Versuch simuliert werden. Zugleich soll eine Raffung der Betriebsbelastungen erfolgen, so dass innerhalb vergleichsweiser kurzer Versuchszeiten eine Aussage über deutlich längere Betriebszeiten getroffen werden kann.

Verschiedenartig aufgebaute Lastkollektive wurden über Versuchsläufe miteinander verglichen, um so grundlegende Erkenntnisse zur Gestaltung eines Lastkollektivs zu erhalten. Die Hauptschädigungsmechanismen abrasiver Verschleiß und thermische Belastung des Dichtsystems können über das Drehzahl-Temperatur-Kollektiv direkt beeinflusst werden. Hierzu wird die Gestaltung eines aussagefähigen Lastkollektivs vorgestellt. Wesentlich ist bei allen Untersuchungen eine dem Anwendungsfall ent-sprechende Gewichtung der auftretenden Belastungen. Werden diese nicht geeignet abgebildet kann dies zur Folge haben, dass andere Schädigungsmechanismen auf-treten, woraus ein abweichendes Ausfallverhalten der untersuchten Dichtsysteme resultiert. Die Untersuchungsergebnisse würden in diesem Fall die zu untersuchende Anwendung nicht repräsentieren, was falsche Schlüsse und Maßnahmen zur Folge hätte.

Die Gestaltung eines Lastkollektives für Untersuchungen von RWDR hat wesentli-chen Einfluss auf die Versuchsergebnisse und sollte für jeden Anwendungsfall über-prüft werden.

8 Literatur /1/ Schiberna, P.: Geschwindigkeitsvorgabe für Fahrsimulation mittels Verkehrs-

simulation, Dissertation 1998, Universität Stuttgart, Institutsbericht Nr. 75. /2/ DIN 3760 Radial-Wellendichtringe 9/1996 /3/ DIN 3761 Radial-Wellendichtringe für Kraftfahrzeuge 1/1984 /4/ Braun, R., Leitner, H.: Verträglichkeit von Radialwellendichtringen mit Mineral-

öl basierenden Schmierstoffen, 14. ISC in Stuttgart, Okt. 10-11, 2006 /5/ Simmering im Ölbad, S. 18-19, Simrit Insight, 01-2008 /6/ Sonnenmann, R.: Abdichten von hartgedrehten Hinterachseingangswellen,

Dichtungstechnik, Heft 1 Mai 2006 /7/ Hamdard, K., Sonnenmann, R.: Life-time-Aspekte, Dicht!, 01/2008 /8/ Schmuker, S., Haas, W.: Einfluss der Wellenlaufflächen-Topographie auf das

Dichtsystem der Radialwellendichtung, Abschlussbericht, FKM Heft 297, Frankfurt am Main, 2007

/9/ Müller, H.K.: Abdichtung bewegter Maschinenelemente. Medienverlag Ursula Müller, Waiblingen, 1990

Ganzheitlicher Ansatz zur Charakterisierung der Topologie vonDichtungslaufflächen

Dipl.-Ing. Pat.-Ing. Gert Baitinger, Prof. Dr.-Ing. habil. Werner Haas Institut für Maschinenelemente (IMA) der Universität Stuttgart, Germany

1 Einleitung

Drehende Wellen werden üblicherweise mit Radialwellendichtringen (RWDR) abge-dichtet. Der RWDR ist eine Komponente eines tribologischen Systems bestehend aus dem abzudichtenden Fluid, der Dichtungslauffläche und dem Dichtring. Alle Sys-tempartner bestimmen die Dichtgüte, Reibung sowie Verschleiß und damit Qualität, Lebensdauer und Zuverlässigkeit eines Dichtsystems. Funktioniert einer der Sys-tempartner nicht richtig, kann es zum kompletten Ausfall des Dichtsystems kommen. Die Oberflächentextur der Dichtungslauffläche hat im Dichtsystem eine besondere Bedeutung. Von der Dichtungslauffläche wird Förderneutralität verlangt. Befindet sich aber eine förderfähige Textur (umgangssprachlich auch Drall genannt) auf der Dich-tungslauffläche, so fördert diese drehrichtungsabhängig. Dies kann zum Ausfall des Dichtsystems führen. Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass eine feine und gerichtete Textur großen Einfluss auf die Förderwirkung der Dichtungslauffläche hat /1/. In der Regel werden mit dem Standard-Herstellverfahren für Dichtungslauf-flächen – Schleifen im Einstich mit langer Ausfunkzeit – drallfreie und damit dich-tungstechnisch gute Oberflächen hergestellt. Aber selbst hier treten bei falsch einge-stelltem Schleifprozess förderaktive Mikrostrukturen auf, zudem ist es ein teures und aufwändiges Verfahren. Kostengünstige und immer mehr eingesetzte Herstellverfah-ren, zu dem beispielsweise Hartdrehen zählt, erzeugen fast immer Mikrostrukturen. Nur mangelt es an geeigneten Auswerteverfahren, um solch eine förderfähige Ober-flächentextur zu beschreiben.

A 05    ��

��    15th ISC

2 Drallmessung heute

Nach DIN 3760 / DIN 3761 /2, 3/ soll eine Dichtungslauffläche Rautiefen im Bereich von Rz = 1 – 5 µm aufweisen und drall- und beschädigungsfrei sein. Die in der Norm vorgegebenen Angaben zur Oberfläche sind auf das Standard-Herstellverfahren – Schleifen im Einstich mit langer Ausfunkzeit – angepasst. Die Oberflächengüte der Dichtungslauffläche wird durch die Vorgabe eines Fertigungsverfahrens mit einfach zu messenden Oberflächenkennwerten festgelegt. Drall wird nicht explizit betrachtet. In der Dichtungstechnik wird Drall als eine „förderfähige Oberflächentextur“ definiert. Diese abstrakte Definition gibt das komplexe Thema wieder. Man kann unter dem

Begriff beispielsweise eine grobe Drehwendel, eine feine Mikrostruktur oder eine Überlagerung beider verste-hen. Momentan verbreitete Messme-thoden konzentrieren sich auf Teilas-pekte des Dralls oder erlauben nur eine qualitative Abschätzung. Eine bekannte Art Drall zu messen ist die Fadenmethode. Hierbei wird ein Fa-den um eine exakt waagerecht ausge-richtete Welle gelegt (Bild 1). Bewegt sich der Faden bei rotierender Welle in axialer Richtung, geht man von Drall auf der Wellenoberfläche aus. Diese Messmethode liefert Anhalts-punkte über förderaktive Strukturen und ist deshalb nur für eine qualitative Abschätzung nutzbar. Eine weitere Art

der Drallmessung ist die CARMEN-Methode (Computer Aided Roughness Measure-ment and Evaluation) /4/. Hierbei werden mit einem Tastschnittgerät 73, jeweils um 5° versetzte Rauheitsschriebe am Umfang der Welle angefertigt (Bild 2). Durch ma-thematische Korrelation der Messschriebe miteinander können Drallkennwerte be-rechnet werden. Diese Messmethode erlaubt es umlaufenden Wellendrall zu erfas-sen und wird immer weiter verfeinert. So existiert seit neuestem eine veränderte Art der Messung, welches die Messzeit drastisch verkürzen soll /5/. Nachteilig ist, dass kurze, feine und gerichtete Mikrostrukturen nicht erfasst werden können. Diese ha-ben aber die größte Wirkung auf das Förderverhalten /1/.

Bild 1: Fadenmethode Figure 1: Hairline method

Bis 2009 wird voraussichtlich die neue ISO-Norm 25178 /6/ offiziell veröffentlicht sein. In dieser neu erarbeiteten ISO-Norm werden 3D-Kennwerte zur Oberflächen-beschreibung definiert. Neben der dreidimensionalen Portierung bekannter Oberflä-

chenkennwerte wie Ra oder Rz, werden auch neue Kennwerte eingeführt. Interes-sant im Zusammenhang mit der Beschreibung gerichteter Mikrostrukturen ist die Texturvorzugsrichtung Std (Bild 3). Es wird mittels einer Fourier-Frequenzanalyse der Vorzugswinkel der Oberflächentextur berechnet. Hinsichtlich der Eignung dieses Kennwertes zur Beschreibung dichtungstechnischer Oberflächen sind aber noch kei-ne Untersuchungen bekannt.

Bild 2: CARMEN MethodeFigure 2: CARMEN Method

Bild 3: Winkelspektrum und Bestimmung der Texturvorzugsrichtung am Beispiel einer gehonten Oberfläche

Figure 3: Angular spectrum and texture direction of a honed surface

Ein geeignetes Verfahren zur quantitativen Beschreibung feiner und gerichteter Mik-rostrukturen existiert noch nicht. Es muss eine neue Herangehensweise gefunden werden, welche die Oberflächentextur im Ganzen erfasst und gezielt hinsichtlich der dichtungstechnisch wirksamen Strukturen analysiert.

A 05 99