Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die...

13
FHS TRANSLATION INTO ENGLISH TRINITY TERM 2017

Transcript of Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die...

Page 1: Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die Zahlungen. Zum stillen Erschrecken der Frau versäumte es das Regime nicht,

FHS TRANSLATION INTO ENGLISH

TRINITY TERM 2017

Page 2: Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die Zahlungen. Zum stillen Erschrecken der Frau versäumte es das Regime nicht,
Page 3: Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die Zahlungen. Zum stillen Erschrecken der Frau versäumte es das Regime nicht,
Page 4: Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die Zahlungen. Zum stillen Erschrecken der Frau versäumte es das Regime nicht,

Gracie Irlam handigte mir einen Schlüssel aus. Third floor, sagte sie, und mit einem

Hochziehen der Brauen quer durch das kleine Vestibül weisend, fugte sie noch hinzu: The

lift’s over there. Der Aufzug war so schmal, daß ich nur mit knapper Not mit meinem Koffer

in ihn hineinpaßte, und der Boden war so dünn, daß er schon unter dem Gewicht eines

einzigen Fahrgasts spürbar nachgab. Ich habe ihn später kaum mehr benutzt, obwohl ich

langere Zeit brauchte, bis ich mich in dem Gewirr von Zimmer-, Toiletten- und Feuertüren,

von blinden Korridoren, Notausgängen, Treppenabsätzen und Stiegen nicht jedesmal verlief.

Das Zimmer selbst, das ich an diesem Morgan bezog und erst im nächstem Frühjahr wieder

verließ, hatte einen großblumigen Teppich und eine Veilchentapete und war mobiliert mit

einem Kleiderkasten, einem Waschtichchen und einer eisernen Bettstatt, die mit einer

Candlewickdecke überzogen war. Durch das Fenster sah man hinab auf allerhand

halbverfallene Anbauten mit Schieferdächern und einen Hinterhof, in dem sich den ganzen

Herbst hindurch die Ratten tummelten, bis ein paar Wochen vor Weihnachten mehrmals

hintereinander ein kleiner Rattenfänger namens Renfield mit einem verbeulten Eimerchen

voller Rattengift kam, das er mit einem an einen kurzen Stecken gebundenen Suppenlöffel in

verschiedene Ecken, Winkel, Abflußrinnen und Rohre gab, was die Anzahl der Ratten auf ein

paar Monate beträchtlich herabminderte. Blickte man aber nicht in den Hof hinunter, sondern

über diesen hinweg, so sah man ein Stück jenseits eines schwarzen Kanals das

hundertfenstrige aufgelassene Lagerhaus der Great Northern Railway, in dem in der Nacht

manchmal unstete Lichter herumhuschten.

W. G. SEBALD

Page 5: Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die Zahlungen. Zum stillen Erschrecken der Frau versäumte es das Regime nicht,

Eine Geschichte? Etwas Festes, Greifbares, wie ein Topf mit zwei Henkeln, zum Anfassen

und zum Daraus-Trinken?

Eine Vision vielleicht, falls Sie verstehen, was ich meine. Obwohl der Garten nie wirklicher

war als dieses Jahr. Seit wir ihn kennen, das sind allerdings erst drei Jahre, hat er nie zeigen

dürfen, was in ihm steckt. Nun stellt Sich heraus, daß es nicht mehr und nicht weniger war als

der Traum, ein grüner, wuchernder, wilder, üppiger Garten zu sein. Das Urbild eines Gartens.

Der Garten überhaupt. Ich muß sagen, das rührt uns. Wir tauschen beifällige Bemerkungen

über sein Wachstum und verstehen im stillen, daß er seine Üppigkeit übertreibt; daß er jetzt

nicht anders kann, als zu übertreiben, denn wie sollte er die seltene Gelegenheit nicht gierig

ausnützen, aus den Abfällen, aus den immer noch reichlichen Regenabfällen der fern und nah

niedergehenden Unwetter Gewinn zu ziehen?

Dem eenen sin Ul is dem annern sin Nachtigall.

Was ein Ul ist? Das Kind saß zu meinen Füßen und schnitzte verbissen an einem Stückchen

Borke, das zuerst ein Schiff werden wollte, später ein Dolch, dann etwas aus der Umgebung

eines Regenschirms. Nun aber, wenn nicht alles trog, ein Ul. Dabei würde sich herausstellen,

was dieses verflixte Ding von einem Ul eigentlich war. Obwohl man, das mußt du zugeben,

mit so einem stumpfen Messer nicht schnitzen kann. Als 0b nicht erwiesen wäre, daß man

Sich mit einem stumpfen Messer viel öfter schneidet als mit einem schönen scharfen! — Ich

aber, geübt im Überhören versteckter Vorwürfe, legte mich in den Liegestuhl zurück und las

weiter, was immer man gegen ein stumpfes Schnitzmesser vorbringen mochte.

CHRISTA WOLF

Page 6: Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die Zahlungen. Zum stillen Erschrecken der Frau versäumte es das Regime nicht,

Auf dem Waldfriedhof an der Wuhlheide in Oberschöneweide wurde in der letzten

Septemberwoche eine achtundsiebzigjährige Frau beigesetzt, die, nicht gewillt, an den

politischen Parteiungen, Kämpfen und Verbrechen ihrer Zeit teilzuhaben, auf eine so

eigentümliche Weise in ein halbes Jahrhundert deutscher Gechichte verstrickt war, dag sie,

von ihren Bekannten als bedauernswert und schamlos zugleich angesehen, in den letzten

Lebensjahren ihre Wohnung kaum zu verlassen gewagt hatte. Diese Frau heiratete im Jahre

1918 einen aus dem Krieg zurückkommenden Maurer, der ein halbes Jahr später in den

Berliner Märzkämpfen erschossen wurde. Er hinterließ seiner Frau ein noch ungeborenes

Kind und das Mitgliedsbuch der Kommunistischen Partei Deutschlands.

Ein Arbeitskollege und Genosse des Toten riet der verzweifelten, mittellosen Frau, eine

Kriegerwitwenrente zu beantragen und der Behörde anzugeben, ihr Ehemann sei als

unbeteiligter Passant von der verirrten Kugel einer der kämpfenden Parteien getroffen

worden. Ihr Anspruch wurde anerkannt, und die Weimarer Reublik zahlte ihr monatlich

einige Mark. Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die Zahlungen. Zum stillen

Erschrecken der Frau versäumte es das Regime nicht, gelegentlich in dem

Propagandamaterial des Nazistaates, für das man den traditionellen Namen Zeitung

beibehalten hatte, ihres toten Ehermanns zu gedenken als eins Opfers der Roten und

Märzverbrecher. Die Ehrenrente wurde erhöht, und die Witwc, um ihr Lebcn fürchtend,

wagtc nicht, Einspruch zu erheben.

CHRISTOPH HEIN

Page 7: Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die Zahlungen. Zum stillen Erschrecken der Frau versäumte es das Regime nicht,

Meine Damen und Herren,

vom Ich möchte ich sprechen, von seinem Aufenthalt in der Dichtung, also von den

Angelegenheiten des Menschen in der Dichtung, sofern er vorgeht mit einem Ich oder seinem

Ich oder sich hinter dem Ich verbirgt. Und einige werden wohl meinen: wie könnte man sich

hinter dem Ich verbergen, das ist doch am wenigsten verborgen und so eindeutig — Ich —

das brächten wir ja selber auch noch fertig, von uns geradeheraus zu reden, ohne Verstellung.

»Ich sage Ihnen« — wenn ich das zu einem einzelnen sage, so scheint es doch ziemlich klar

zu sein, welches Ich sich da rührt und was mit dem Satz gemeint ist, in dem das Ich auftritt,

wer da also etwas sagt. Aber schon wenn Sie hier allein heroben stehen und sagen zu vielen

unten »lch sage Ihnen«: so verändert sich das Ich unversehens, es entgleitet dem Sprecher, es

wird formal und rhetorisch. Der es ausspricht, ist gar nicht mehr so sicher, ob er fur dieses in

den Mund genommene »Ich« Verbindlichkeit beanspruchen kann, ob er es decken kann.

Denn wie soll er den Beweis antreten für »Ich«, wenn sein Mund sich nur mehr bewegt, die

Laute hervorbringt, aber seine banalste Identität ihm von niemand mehr garantiert wird; man

hört unten nur ein abgelesenes Ich und empfängt es schon so genau nicht mehr. Wenn Sie

also, ein paar Hundert Menschen, obwohl einzelne sonst, aber jetzt eben eine Masse, ein

»Ich« auffangen, das himmelfern ist — und für himmelfern genügen schon zehn Meter, und

für himmelfern genügt noch mehr das physische Verschwinden des Sprechenden oder seine

Unsichtbarkeit, wenn er sich zum Beispiel über den Rundfunk, über ein Mikrophon,

verlautbart.

INGEBORG BACHMANN

Page 8: Web viewEine Geschichte? Etwas Festes, ... Das dritte deutsche Reich übernahm ungebeten die Zahlungen. Zum stillen Erschrecken der Frau versäumte es das Regime nicht,

Gustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem fünfzigsten Geburtstag amtlich

sein Name lautete, hatte an einem Frühlingsnachmittag des Jahres 19.., das unserem

Kontinent monatelang eine so gefahrdrohende Miene zeigte, von seiner Wohnung in der

Prinzregentenstraße zu München aus allein einen weiteren Spaziergang unternommen.

Überreizt von der schwierigen und gefährlichen, eben jetzt eine höchste Behutsamkeit,

Umsicht, Eindringlichkeit und Genauigkeit des Willens erfordernden Arbeit der

Vormittagsstunden, hatte der Schriftsteller dem Fortschwingen des produzierenden

Triebwerkes in seinem Innern, jenem »motus animi continuus«, worin nach Cicero das

Wesen der Beredsamkeit besteht, auch nach der Mittagsmahlzeit nicht Einhalt zu tun

vermocht und den entlastenden Schlummer nicht gefunden, der ihrn, bei zunehmender

Abnutzbarkeit seiner Kräfte, einmal untertags so nötig war. So hatte er bald nach dem Tee

das Freie gesucht, in der Hoffnung, daß Luft und Bewegung ihn wiederherstellen und ihm zu

einem ersprießlichen Abend verhelfen würden.

Es war Anfang Mai und, nach naßkalten Wochen, ein falscher Hochsommer eingefallen. Der

Englische Garten, obgleich nur erst zart belaubt, war dumpfig wie im August und in der Nähe

der Stadt voller Wagen und Spaziergänger gewesen. Beim Aumeister, wohin stillere und

stillere Wege ihn geführt, hatte Aschenbach eine kleine Weile den volkstümlich belebten

Wirtsgarten überblickt, an dessen Rand einige Droschken und Equipagen hielten, hatte von

dort bei sinkender Sonne seinen Heimweg außerhalb des Parks über die offene Flur

genommen und erwartete, da er sich müde fühlte und über Föhring Gewitter drohte, am

Nördlichen Friedhof die Tram, die ihn in gerader Linie zur Stadt zurückbringen sollte.

THOMAS MANN