Aawa Aktuell Nr. 74 - November 2013

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    Konfetti fr Madame

    zeit.de, 10.November2013

    Im Iran gelten die heiligen Krieger des Volkes als der grte Gegner des Regimes. Der Fhrer derBewegung ist verschollen seiner Frau wird gehuldigt. Gehrt den Volksmudschahedin die Zukunft?Erkundungen in Berlin und Paris

    VON ULRICH LADURNER UND SAHAR SARRESHTEHDARI

    Das iranische Regime hat viele Gegner, einerbehauptet, der grte zu sein: dieVolksmudschahedin, also die "heiligen Krieger desVolkes". Mohammed Moschiri, ein im deutschenExil lebender iranischer Sympathisant, behauptetvon ihnen: "Die Volksmudschahedin haben einProgramm, sie haben Strukturen, sie habenAnhnger, und sie haben eine Geschichte." Wenndas Regime in Teheran eines Tages falle, dannknnten sie die Regierung bernehmen, sagt er.Sie seien darauf vorbereitet.

    Was sind das fr Leute?

    Berlin Brandenburger Tor Herbst 2013

    Ein windiger Oktobertag. Rund 40 Menschenhaben sich hier versammelt. Sie schwingen grn-wei-rote Fahnen, in deren Mitte eine goldener Lwe abgebildet ist.Die Demonstranten tragen gelbe Westen, um den Hals ein Schild mit der Aufschrift "Hungerstreik", auf Deutsch undauf Farsi. Auf vielen Plakaten ist ein Mann mit Schnauzbart abgebildet: Massud Radschawi, Ikone derVolksmudschahedin. Seine Anhnger verehren ihn wie einen Heiligen. Dabei sind ihm die meisten noch nie begegnet.Er gilt seit rund 25 Jahren als verschollen im Irak. Massud Radschawi ist mit ziemlicher Sicherheit tot. DieVolksmudschahedin glauben trotzdem, dass der Fhrer eines Tages wieder erscheint und die Bewegung anfhren wird.

    Autoritt durch Abwesenheit. Das ist ein zentrales Motiv in der Kultur iranischer Schiiten. Sie glauben, dass ihrMessias, der zwlfte Imam, im Verborgenen lebt und mit seiner Rckkehr die Welt erlsen wird. Dieses religise Motiv

    kommt auch in der Verehrung Radschawis zum Vorschein. Das wrden die Volksmudschahedin freilich nie sagen, siebezeichnen sich als skulare Kraft. Fr das Regime in Teheran sind sie "schlimmer als Unglubige". Wohl auch, weil sieeinem Menschen wie Radschawi geradezu gttlichen Status zusprechen.

    P U B L I K A T I O N D E S V E R E I N S A A W A E . V .

    Fortsetzung auf Seite 2

    http://www.zeit.de/2013/45/iran-volksmudschahedin

    Auf der Weste sind Massud Radschawi und Ehefrau Maryam F hrerin der Volksmudschahedin abgebildet | Ulrich Ladurner

    http://www.zeit.de/2013/45/iran-volksmudschahedinhttp://www.zeit.de/2013/45/iran-volksmudschahedinhttp://www.zeit.de/2013/45/iran-volksmudschahedin
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    Brandenburger Tor sind die Bilder der in Aschraf Ermordetenaufgestellt, die meisten von ihnen Mnner. "Ich wrde freinen freien Iran sterben. Ich kmpfe bis auf den letztenTropfen Blut. Ich opfere mich fr die Zukunft des Irans", sosprechen die Demonstranten in Berlin. Das hat mit demmetaphorischen, emotionalen, zur bertreibung neigendenpersischen Sprachgebrauch zu tun, doch inmitten der Fotosder Getteten bekommen solche Worte eine anderen Klang.

    Paris-Nord Juni 2012

    Maryam Radschawi ist die unbestrittene Fhrerin derVolksmudschahedin jedenfalls so lange, bis ihr Mann

    wieder erscheint. Die Volksmudschahedin haben zumKongress in Paris-Nord geladen. Zehntausende sollenkommen. Wir treffen zunchst auf eine groe Anzahl vonDeutschrussen, die in Scharen zu der riesigenVeranstaltungshalle des Kongresszentrums pilgern. Einfranzsischer Sicherheitsmann staunt: "Was haben Russendenn mit den Iranern zu tun?" Die Antwort lautet: "Nichts!"

    Die Volksmudschahedin umgibt oft etwas merkwrdigSchillerndes, Schattenhaftes, Verwirrendes. Tatschlich sindZehntausende dem Aufruf nach Paris gefolgt. Allein 850

    Busse sollen aus Deutschland gekommen sein. Die Halle 5des Kongresszentrums bietet 80.000 Menschen Platz. Als dieVeranstaltung beginnt, ist die Halle dicht gefllt. In einerGesellschaft, die den Wert einer Sache nach dem Grad derAufmerksamkeit misst, ist das ein groer Erfolg. NebenHunderten Deutschrussen reihen sich Polen, Englnder,Spanier halb Europa scheint hier versammelt zu sein. DieFahrt nach Paris habe sie 20 Euro gekostet, sagen sie, plusbernachtung. Das sei nun einmal sehr, sehr attraktiv.Besonders fr jemanden, der noch nie in seinem Leben inParis gewesen sei. Den Nachmittag bei den Iranern, den

    nimmt man halt in Kauf.

    "Sind Iranerrrr hier? Wirklich, echte Iranerrr?", fragt ein

    Deutschrusse mit einer vom Alkohol schon schweren Zunge.Nun, es sind Flaggen zu sehen: iranische, syrische, kurdische.Und gewiss gibt es viele unter den Zehntausenden, die ausaufrichtigem Engagement gekommen sind. Es existieren guteGrnde, eine iranische Oppositionsgruppe zu untersttzen.Gleichwohl, ein genauerer Blick auf die Groveranstaltungfrdert einiges zutage.

    Auf der rechten Seite der Bhne ist eine Art Schreinaufgebaut. Eine meterhohe Bildtafel mit den Toten derVolksmudschahedin, geschmckt mit Blumenkrnzen undbrennenden Kerzen. Daneben stehen in makellos weie

    Die Volksmudschahedin kmpften bereits in densechziger Jahren gegen die Diktatur des Schahs.Whrend der Revolution des Jahres 1979 schlossen sieein Zweckbndnis mit den Anhngern des AjatollahChomeini. Doch kaum war der Schah gestrzt, entbranntezwischen den Volksmudschahedin und den Mullahs einMachtkampf, der von beiden Seiten mit brutaler Hrtegefhrt wurde. Tausende starben.

    Im Jahr 1985 marschierte Radschawi mit seinenKmpfern in den Irak ein. Saddam Hussein fhrte damalsseit fnf Jahren Krieg gegen den Iran. Dass dieVolksmudschahedin nicht an der Seite des Iraksgekmpft htten, glauben ihnen ihre Landsleute nicht.Und wegen der Zusammenarbeit mit Saddam landetendie Volksmudschahedin auf der Terrorliste der EU und derUSA. "Wir haben nie Zivilisten angegriffen und niemalsauerhalb des Irans Aktionen verbt", sagt DschawadDabiran, Pressesprecher der Volksmudschahedin."Auerdem sind alle unsere Anhnger 2003 entwaffnetworden." Inzwischen wurden sie von der Terrorliste wiedergestrichen.

    Den Demonstranten in Berlin geht es um das Schicksalihrer 3000 Kameraden, die immer noch im Irak leben.Sohreh hat im Iran als Anwltin gearbeitet, sie wohnt seitzwlf Jahren in Deutschland und sagt: "Wir brauchen Hilfeund Untersttzung. Warum interessiert sich niemand fruns? Wie viele sollen denn noch sterben?" Ihre FreundinMitra sei am 1. September zusammen mit weiteren 51Iranern im Camp Aschraf gettet worden. IrakischeTruppen seien in das Lager eingefallen und htten dasMassaker angerichtet. Und sie htten sieben Bewohnerverschleppt. Die Angriffe auf Camp Aschraf dienten nach

    Ansicht der Volksmudschahedin der Abschreckung: Sehther, das geschieht mit allen, die sich der Organisationanschlieen! ber die Zahl der Anhnger im Iran lassensich allerdings keine Angaben machen. In Deutschlandleben vielleicht 900.

    Aus dem Camp Aschraf wurde der Groteil derVolksmudschahedin unter Vermittlung der Amerikaner voreiniger Zeit in ein neues Lager im Irak verbracht, es heitCamp Liberty, ausgerechnet; auch dort sehen sich dieKmpfer von der irakischen Armee bedroht.

    "Das Wichtigste ist jetzt, dass die sieben Geiselnfreikommen", sagt Sohreh. Sie hat Angst, die irakischeRegierung liefere ihre Freundin an den Iran aus. Am

    Fortsetzung von Seite 1: Konfetti

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    Anzge gekleidete junge Mnner und Frauen und halten dieiranische Flagge. Ihre Gesichter sind ernst.

    "Sind Sie Iraner?" "Nein, Franzose!" "Warum halten Sie

    hier Totenwache?" "Man bezahlt mich." "Wer bezahltSie?" "Das wei ich nicht!"

    Seltsam. Wo kommt das Geld fr diese gigantischeVeranstaltung her? Und wo sind blo die Iraner? In denersten Reihen, wenige Meter von der Bhne, stehen sie zuDutzenden. Sie halten Plakate von den Fhrern derBewegung hoch. Alles wartet auf Frau Radschawi, die inwenigen Minuten kommen wird. Die Musik schwillt an.Konfettiregen geht auf das Publikum nieder.

    Maryam Radschawi schreitet langsam die Reihen ab,umringt von hartgesichtigen Leibwchtern. Sie lchelt nachlinks und nach rechts, sie nickt in alle Richtungen undbahnt sich Hnde schttelnd den Weg zur Bhne. Nocheinmal brandet der Applaus auf, dann setzt Radschawi,hinter einem glsernen Pult stehend, zur Rede an.

    Die Inszenierung wirkt. In den franzsischenAbendnachrichten landet die Veranstaltung derVolksmudschahedin ganz vorne. ffentlicheAufmerksamkeit ist das Hauptziel dieser gewaltigenKulissenschieberei in Paris-Nord. Dazu dient auch derAufmarsch einer ganzen Reihe von Prominenten: Derehemalige EU-Kommissar Gnter Verheugen (SPD) und dielangjhrige Bundestagsprsidenten Rita Sssmuth sind da.Sie hlt eine Rede, in der sie sich fr die Menschen inAschraf einsetzt.

    Berlin Oktober 2013

    Wir treffen Rita Sssmuth in Berlin. Sie ist emprt ber den jngsten berfall, ihr Mitgefhl gilt den Geiseln und den imCamp Liberty Verbliebenen. Sie setzt sich fr derenVerlagerung in sichere Drittlnder ein, 46 sind mittlerweilein Deutschland angekommen. Gibt Deutschland damitTerroristen Asyl? Sssmuth schttelt den Kopf. "Das sindkeine Terroristen, das sind keine gefhrlichen Menschen.Ich behaupte nicht, alles ber sie zu wissen. Trotzdembleibt dieser humanitre Schutz das sind ja allesMenschen mit elementaren Menschenrechten."

    Es besteht kein Zweifel daran, dass die Bewohner desCamps aus ihrer Not gerettet werden mssen. Es handeltsich gem der Genfer Konvention um "geschtztePersonen". Wer sich fr sie einsetzt, muss die Politik ihrerOrganisation nicht untersttzen. Beides muss manauseinanderhalten. Besonders dann, wenn dieVolksmudschahedin mit ihrem Kampf fr die Bewohner des

    Camps die eigenen Ziele befrdern wollen.

    Am Brandenburger Tor flehen die Anhnger derVolksmudschahedin um Aufmerksamkeit. Denn die

    brauchen sie, um ihren sieben entfhrten Kampfgenossenim Irak zu helfen. Auf der anderen Seite des Tors hungernFlchtlinge, die um Asyl in Deutschland bitten. ber ihrKollabieren berichten Medien ausfhrlich. DieVolksmudschahedin hingegen bleiben unbeobachtet.Parwin, eine der Demonstrantinnen, ist darber erbost. "Dieanderen, die da drben, sind vom iranischen Regimegeschickt worden, um uns an die Seite zu drngen!"

    So geht es in ihr zu, in der Gedankenwelt derVolksmudschahedin.

    irakische Regierung, die fr die Sicherheit derVolksmodjahedin verantwortlich sei, dazu auf, den Vorfallzu klren.

    Auch die USA und Frankreich forderten eine unabhngigeUntersuchung. Die USA und die EU haben ber lange Jahred ie Volksmodjahed in auf de r L i s te de rTerroristenorganisationen gefhrt.

    Am 2. September besuchte eine UN-Untersuchungsgruppedas Camp Aschraf . Der Leiter der Gruppe, Gyrgy Busztinsagte, gerichtet an die irakische Regierung, solange dieCampbewohner nicht in Sicherheit gebracht worden seien,mssten alle Manahmen zu ihrem Schutz ergriffenwerden. In einer Erklrung der Gruppe heit es, die Opferseien durch Schsse in den Kopf oder auf die obereKrperpartie gettet worden. Bei manchen seien die Hnde

    gebunden gewesen. Manche Gebude seien beschdigtund ein Gebude sei ausgebrannt. Bei der Durchsuchungder Gebude habe man Sprengstoff gefunden.

    Am 7. September forderte die irakische Regierung dieverbliebenen Mitglieder der Volksmodjahedin auf, dasCamp unverzglich zu verlassen. Diese Aufforderung sei einRecht der irakischen Regierung, sagte der Sprecher derRegierung, Ali Mussa. Dies sei ein Befehl, der befolgtwerden msse.

    Medienberichten zufolge habe die Volksmodjahedininzwischen Camp Aschraf vollstndig gerumt.

    Aus: Iran-Report 10/13 Seiten 22/23

    Fortsetzung von Seite 4: 52 Tote

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    Auszug aus dem Iran-Report 10/13 d

    er Heinrich Bll Stiftung

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    Bei Auseinandersetzungen mit Mitgliedern der Volksmodjahedin auf Camp Aschraf im Irak am 1. September sind 52Personen ums Leben gekommen und zahlreiche verletzt worden. Ein Sprecher der Volksmodjahedin warf den irakischenBehrden vor, durch einen Militrangriff auf das Lager ein Massaker angerichtet zu haben. Der Befehl zu dem Angriff seidurch den iranfreundlichen Ministerprsidenten Nuri al-Maliki erteilt worden, sagte Schahriar Kia.

    Der fr das Lager verantwortliche Behrdenvertreter bestritt den Angriff. Es habe keinen Angriff von auen gegeben. Ervermute, dass es infolge eines Feuerausbruchs zu dem Vorfall gekommen sei. Demgegenber erklrte die Polizei, dieCamp-Bewohner seien aufgebracht gewesen, nachdem fnf Mrsergranaten auf das Lager niedergegangen seien. Es seidaraufhin zu Auseinandersetzungen gekommen und zum Schusswechsel, bei dem zwei irakische Soldaten gettet unddrei verletzt worden seien. Ein Krankenhaus im nahe gelegenen Baakuba besttigte die Zahl der verletzten und gettetenSoldaten.

    Von den Mitgliedern der Volksmodjahedin sei aber niemand eingeliefert worden, hie es.

    Camp Aschraf war ursprnglich ein militrischer Sttzpunkt nahe der iranischen Grenze, den der einstige irakischePrsident Saddam Hussein der oppositionellen Volksmodjahedin zur Verfgung gestellt hatte. Die Gruppe war in denachtziger Jahren whrend des iranisch-irakischen Kriegs nach Irak umgesiedelt, um von dort aus gemeinsam gegen dasRegime im Iran bewaffnet zu kmpfen. Nach dem Sturz von Saddam Hussein erhielten die rund 3000 Volksmodjahedinvon der amerikanischen Besatzung Schutz. Nach Abzug der Amerikaner forderte die irakische Regierung die Modjahedinauf, das Land zu verlassen. Einer Abmachung mit dem UN-Flchtlingsrat zufolge sollten die Volksmodjahedin nach undnach als Flchtlinge in anderen Lndern aufgenommen werden. Zu diesem Zweck wurden sie ins Camp Liberty nahe der

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    www.aawa-association.de

    Publikation des Vereins AAWA e.V.Verantwortlich:Dipl.-Ing. Ali-A. RastgouPostfach 90 31 73D-51124 Kln

    E-mail: [email protected]

    .

    Hauptstadt Bagdad verlegt. Etwa hundert Mitglieder sind jedoch inCamp Aschraf geblieben. Die Volksmodjahedin werfen derirakischen Regierung vor, ihre Mitglieder zugunsten Irans opfern zuwollen.

    Das Massaker und die Ttung der Mitglieder derVolksmodschahedin wurden von der iranischen Revolutionsgardebegr t. Die Ttung von siebzig Mitgliedern der Volksmodjahedinsei eine Beruhigung fr die Menschen in Iran und fr jeneHinterbliebenen, deren Angehrige von den Volkjsmodjahedingettet wurden, hie es in einer Erklrung der Pasdaran vom 1.

    September.Die UNO uerte ihr Bedauern ber den Vorfall und forderte die

    Fortsetzung auf Seite 3

    52 TOTE BEI ANGRIFF AUF CAMP

    ASCHRAF IM IRAK

    Boell.de, Oktober 2013

    http://www.boell.de/sites/default/files/iran_report_10_2013.pdf

    http://www.boell.de/sites/default/files/iran_report_10_2013.pdfhttp://www.boell.de/sites/default/files/iran_report_10_2013.pdfhttp://www.boell.de/sites/default/files/iran_report_10_2013.pdf