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1.1. Gegenstand und Aufgabe der Arbeits- und Organisationspsychologie
1.1.1. Allgemeines
Die ABO-Psychologie ist ein Teilgebiet der Wirtschaftspsychologie; letztere lässt sich
wie folgt untergliedern:
Definition der ABO-Psychologie (nach Greif, 1995): Die ABO-Psychologie dient der
Beschreibung, Erklärung und Vorhersage von Erleben und Verhalten im
Arbeitskontext sowie in der Gestaltung von menschlicher Arbeit und Organisation.
Nerdinger et. al nennen 4 zentrale Themenfelder der ABO-Psychologie:
1) Arbeit 3) Personal
2) Organisation 4) Markt bzw. Kunden
Definition von Arbeit (nach Nerdinger et al., 2008): Arbeit ist eine planmäßige,
menschliche Tätigkeit, die auf Erreichung wirtschaftlicher oder organisationaler
Ziele ausgerichtet ist und den Einsatz körperlicher und/oder geistiger Kräfte
erfordert. Sie erfolgt in der Regel arbeitsteilig und unter Nutzung von
Werkzeugen!
Definition von Organisation (nach Nerdinger et al., 2008): Organisationen sind
soziale Systeme, die bestimmte Ziele verfolgen (z.B. Selbsterhalt, Wertschöpfung
etc.). Da die Erreichung dieser Ziele arbeitsteilig erfolgt, weisen Organisationen
Strukturen bzw. Regelwerke auf, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder
aufeinander abgestimmt und auf die Ziele ausgerichtet werden.
Aktuelle Herausforderungen der ABO-Psychologie: Demographischer Wandel;
Ausbildungsniveau, globale Vernetzung und Technisierung von Arbeit stärker als je
1. Geschichte der ABO-Psychologie
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zuvor; Angebot von Erwerbsarbeit nimmt in vielen Bereichen ab; schnellere
Veränderungen der Arbeitsbedingungen (=> Stichwort: lebenslanges Lernen)
1.1.2. ABO-Psychologie im Studium und im Beruf
Eine Absolventenbefragung der DGPs (2003) zeigt: Die ABO-Psychologie ist nach
der klinischen Psychologie das Teilgebiet der Psychologie, für das unter Studenten am
meisten Interesse besteht.
Interessenschwerpunkt ABO: rund 39%
Interessenschwerpunkt Klinische: rund 70%
Ein beachtlicher Anteil der Psychologie-Absolventen arbeitet im Bereich der
Wirtschaftspsychologie (14,5%). Ein größerer Anteil arbeitet lediglich in der
Psychotherapie (22,3%) und in der klinischen Psychologie (17,2%).
Da freiberufliche Psychologen und solche, die in der Aus-, Fort- und
Weiterbildung tätig sind, in der zitierten Statistik gesondert geführt werden, ist
davon auszugehen, dass der Anteil an Psychologen im ABO-Sektor sogar noch
größer als 14,5% ist!
Darüber hinaus ist der ABO-Sektor aufgrund der aktuellen Herausforderungen
(s.o.) stark im Wachsen begriffen!
Die häufigsten Tätigkeitsfelder von ABO-Psychologen:
1) Weiterbildung und Training: 51%
2) Personalauswahl: 43%
3) Organisationsentwicklung: 38%
4) Personalentwicklung: 30% 3
1.1.3. „Telefonbuch-Infos“
Wichtige Berufsvereinigungen:
Fachgruppe A&O-Psychologie (seit 1985) der Deutschen Gesellschaft für
Psychologie (DGPs)
Sektion Wirtschaftspsychologie (seit 1948) des Berufsverbands Deutscher
PsychologInnen (BDP)
European Association of Work & Organizational Psychology (EAWOP)
Academy of Management (seit 1936): eine übergreifende Berufsorganisation der
Organisationspsychologie; u.a. Hrsg. wichtiger Zeitschriften
Wichtige Zeitschriften:
Deutschsprachige Zeitschriften:
1. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie
2. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft
3. Zeitschrift für Personalpsychologie
Englischsprachige Zeitschriften:
1. Academy of Management Journal
2. European Journal of Work and Organizational Psychology
3. Journal of Management
4. Journal of Applied Psychology
Wichtige Handbücher:
Anderson et al. (2001): Handbook of Industrial, Work and Organizational
Psychology (Vol. I + II)
Rogelberg (2002): Handbook of research methods in industrial and organizational
psychology
Schuler (2004): Enzyklopädie der Psychologie. Bände Organisationspsychologie I
und II
3
1.2. Historischer Überblick über die Entwicklung der ABO-Psychologie
1.2.0. Allgemeines
Entwicklungsaufgaben eines Faches:
1) Entdeckung des Aufgabenfeldes
2) Entwicklung exemplarischer Lösungen
3) Expansion unter Abgrenzung und Zusammenarbeit mit angrenzenden Gebieten
4) Verbandsorganisation
5) Fachzeitschriften
6) Fachtagungen
7) Ausbau einer systematischen Aus- und Weiterbildung mit Zertifikaten
Pioniere und Vorläufer der ABO-Psychologie:
Adam Smith (1876): beschreibt in „Wealth of Nations” die Prinzipien der
Arbeitsteilung und der Marktwirtschaft (die „unsichtbare Hand”)
Walter Dill Scott (1903): beschäftigte sich als einer der ersten mit
Marktpsychologie („Psychology of Advertising in Theory and Practice“) und
bemühte sich um eine wissenschaftlich fundierte Personalauslese bzw.
Eignungsdiagnostik.
William Stern (1903): führte die Unterscheidung zwischen „Psychotechnik“ und
„Psychognostik“ ein und gilt als einer der Begründer der angewandten
Psychologie (= „Psychotechnik“).
Frederick Taylor (1911): „Principles of Scientific Management“ (s.u.)
Hugo Münsterberg (1912): gilt als Nestor der angewandten Psychologie und kann
aufgrund seines Werks „Psychologie und Wirtschaftsleben“ als Begründer der
Wirtschaftspsychologie angesehen werden.
Walter Moede (1920): „industrielle Psychotechnik”
Max Weber (1925): befasste sich mit den Strukturen und Regeln einer idealen
Bürokratie
1.2.1. Taylor(ismus) und Ford(ismus)
Frederick Taylor, seines Zeichens Ingenieur, veröffentlichte 1911 sein Werk „The
Principles of Scientific Management“ („Die Prinzipien wissenschaftlicher
Betriebsführung“). Ziel der darin dargelegten Überlegungen war es, industrielle
Arbeitsabläufe auf Basis ingenieurswissenschaftlicher Analysen zu optimieren.
Grundgedanke: Mit Hilfe wissenschaftlicher Zeit- und Bewegungsstudien lässt
sich ermitteln, wie eine bestimmte Arbeit (z.B. Feilen) am besten, sprich:
ökonomischsten, durchzuführen ist (the „one best way“).
Zu diesem Zweck werden zunächst 10 bis 15 Personen ausgewählt, die in der
zu analysierenden Tätigkeit besonders geschickt sind.
Anschließend werden diese Personen genauestens beobachtet, wobei es darum
geht, a) die von ihnen ausgeführte Tätigkeit in möglichst kleine
Bewegungselemente bzw. Einzeloperationen zu unterteilen und b) die Zeit zu
messen, die sie für diese Einzeloperationen benötigen.
Auf Basis der so gesammelten Daten lässt sich schließlich ermitteln, wie sich
die untersuchte Arbeit am schnellsten ausführen lässt (Ausschaltung unnötiger
Bewegungen etc.).
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Prinzipien des Taylorismus:
1) Zergliederung der Arbeitsaufgaben in einzelne Arbeitselemente, die anschließend
analysiert und mithilfe von Zeit- und Bewegungsstudien rationalisiert werden
(extreme Arbeitsteilung und Partialisierung minimale Qualifikation der
Arbeiter, maximale Effizienz)
2) Auswahl und Schulung von Arbeitskräften, die am besten für eine Tätigkeit
geeignet sind.
3) Trennung von Kopf- und Handarbeit: Das Management übernimmt die Planung
und Überwachung der Aufgaben, die Arbeiter deren praktische Ausführung
4) Leistungsbezogenes Lohnsystem zur Motivierung der Arbeiter
5) Einvernehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, insofern die
Rationalisierung höhere Löhne für die Beschäftigten und höhere Gewinne für die
Unternehmer bringt.
Probleme des Taylorismus:
1) Monotone Tätigkeiten => Langeweile und Demotivation
2) Geringer Handlungsspielraum der Arbeitenden
3) Geringe Innovationskraft
4) Hoher Koordinations- und Überwachungsbedarf
5) Ausbeutung der Arbeiter?!
Taylor betonte in diesem Zusammenhang immer wieder, dass es bei seiner
Methode nicht darum gehe, das Maximalquantum eines Arbeiters
herauszufinden, sondern darum, eine angemessene Tagesleistung zu
bestimmen, die ohne seelischen oder körperlichen Schaden von jedem erreicht
werden könne!
Sogar Lenin war vom Taylorismus begeistert, so dass dieser auch in den
sowjetischen Ländern (z.B. der DDR) fester Bestandteil der Betriebskultur
war!
Eine radikale Weiterentwicklung des Taylorismus ist der auf Henry Ford
zurückgehende „Fordismus“; er umfasst u.a. folgende Maßnahmen:
Weitgehende Mechanisierung der Arbeitsprozesse (Einsatz des Fließbands)
Montageband als Tempomacher => Verzicht auf Überwachungsbürokratie
Eignungsuntersuchungen zur Personalauswahl
Verbot von Gewerkschaften im Betrieb
Hohe Löhne und niedrige Preise zur Förderung kaufkräftiger Nachfrage
1.2.2. Die Hawthorne-Studien und die „Human-Relations-Bewegung“
Die Hawthorne-Studien (Mayo, Roethlisberger & Dickson) wurden zwischen 1927
und 1932 in den Hawthorne-Werken durchgeführt. Ziel der Studien war es,
herauszufinden, durch welche Arbeitsbedingungen die Produktivität erhöht werden
kann.
Variiert wurden u.a. die Anzahl und Dauer der Pausen, die Gesamtarbeitszeit (bis
16:00; 16:30 und 17:00 Uhr) und die Beleuchtung. Als AV wurde die
Produktivität erhoben.
Ergebnis: Die Produktivität erhöhte sich bei fast jeder Veränderung, sogar bei
deren Rücknahme!
Interpretationen:
a) Teamarbeit führt zu größerer Zufriedenheit und höherer Leistung!
b) Freundliche Arbeitsatmosphäre und unterstützende Führung erhöhen
Arbeitszufriedenheit und –motivation.
c) Die spezielle Untersuchungssituation ist für die Ergebnisse verantwortlich; es
handelt sich bei diesen somit um ein Untersuchungsartefakt („Hawthorne-
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Effekt“: Schon die Teilnahme an einer Untersuchung hat Einfluss auf das
Verhalten der Untersuchungsteilnehmer)
Kritik: In den 70er Jahren ergaben Recherchen, dass die Hawthorne-Studien
schwerwiegende methodische Mängel aufwiesen.
Austausch „kooperationsunwilliger Arbeiterinnen“
Arbeit unter privilegierten Bedingungen (z.B. erhielten die Probanden höhere
Löhne)
Einmischungen des Versuchsleiters (Rüge wegen Schwatzhaftigkeit; Androhung
der Rückkehr auf alten Arbeitsplatz falls Leistungssteigerung ausbleibt)
Arbeiterinnen erhielten regelmäßige Leistungsrückmeldung.
Fazit: Was bleibt vom Mythos Hawthorne?
Die Hawthorne-Studien erlauben es nicht, die Produktivitätssteigerung auf
spezifische Ursachen zurückzuführen.
Aus den Ergebnissen der Hawthorne-Studien zu schließen, dass
experimentalpsychologische Untersuchungen zum Scheitern verurteilt sind, ist
jedoch verfehlt!
Stattdessen zeigen die Hawthorne-Studien durchaus, dass soziale Faktoren in
irgendeiner Form wirksam sind, weshalb neben dem Kriterium der Effizienz
(Taylorismus) auch Faktoren wie das Betriebsklima und die Arbeitszufriedenheit
berücksichtigt werden sollten!
Rezeption: Die Ergebnisse der Hawthorne-Studien waren ein Grund für das
Aufkommen der „Human-Relations-Bewegung“ in den 40er/50er Jahren. Dabei
handelt es sich um eine Art Gegenbewegung zum Taylorismus.
Hauptthese der Human-Relations-Bewegung: Die Qualität der
zwischenmenschlichen Beziehungen („human relations“) in einem Betrieb hat
entscheidenden Einfluss auf die Produktivität der Arbeiter; diese wollen neben
ihren finanziellen Bedürfnissen nämlich auch soziale Bedürfnisse (wie das nach
Achtung und Anerkennung) erfüllt wissen!
Die wichtigste Aufgabe der Vorgesetzten besteht daher darin, die
zwischenmenschlichen Beziehungen in einem Betrieb zu pflegen und für eine
gute Arbeitsatmosphäre zu sorgen!
Zentrale Forschungsthemen: Gruppendynamik, Führungsstile, Betriebsklima etc.
Kurt Lewin (ab 1939): hatte ein demokratisches und humanistisches
Selbstverständnis und zeigte u.a., das ein demokratischer Führungsstil
autoritären und Laissez-faire-Stilen überlegen ist!
Das Tavistock Institute (ab 1949): führte Untersuchungen zur Gruppenarbeit
im Kohlebergbau durch; letztere begründeten den soziotechnischen
Systemansatz und ebneten den Weg für teilautonome Arbeitsgruppen!
1.2.3. Humanisierung der Arbeit
Maslow (1954) und McGregor (1960): betonten das Bedürfnis nach
Selbstverwirklichung in der Arbeit
Maslow: s.u.
McGregor: Aufgabe des Managements ist es, geeignete Rahmenbedingungen zur
Selbststeuerung der Arbeitnehmer zu schaffen; statt eines autoritären
Betriebsklimas und engmaschiger Kontrolle gilt es also, den Arbeitnehmern
möglichst viel Freiheit und Eigenverantwortung zu übertragen.
Herzberg et al. (1959): stellte die Zwei-Faktoren-Theorie der Arbeitszufriedenheit
auf und rückte dabei die Arbeitsinhalte ins Zentrum (s.u.)!
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Hackman & Oldham (1975): Bedeutsamkeit, Vollständigkeit, Anforderungsvielfalt,
Autonomie und Feedback als wesentliche Bestandteile intrinsisch motivierter Arbeit!
Hacker; Ulich; Volpert u.a. (ab 1978): Handlungstheorie betont Vollständigkeit
und Persönlichkeitsförderlichkeit von Arbeit!
Arbeitsgestaltungsmaßnahmen zur Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens:
Job Rotation; Job Enrichment (qualitative Erweiterung); Job Enlargement
(quantitative Erweiterung); teilautonome Gruppenarbeit usw.
1.2.4. Professionalisierung und Differenzierung
Seit den 80er Jahren wächst der Bedarf an ABO-Psychologen; dem entspricht eine
zunehmende Etablierung und Professionalisierung der ABO-Psychologie sowohl in
Unternehmen als auch an der Universität.
Ausgelöst wurde diese Entwicklung v.a. durch Entwicklungen in der Arbeitswelt:
Von Massenproduktion zu kundenorientierter Fertigung
Zunehmende Technisierung von Arbeit
Globalisierung der Wirtschaft
Erprobung neuer Arbeitsformen (v.a. Gruppenarbeit)
Aktueller Forschungstrend: Interindividuelle Unterschiede in den arbeitsbezogenen
Bedürfnissen rücken stärker in den Vordergrund.
1.2.5. Forschungsphasen orientiert an Menschenbildern
1.3. Theorien der ABO-Psychologie
1.3.1. Allgemeines
Auch wenn – oder gerade weil die ABO-Psychologie ein Anwendungsfach ist, basiert
sie auf theoretischen Modellen und Annahmen. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben
besteht dementsprechend in der Überprüfung und Weiterentwicklung dieser Theorien.
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Funktionen einer Theorie:
Präzise Beschreibung eines Forschungsgegenstandes
Abstraktionsgrad hängt von der angestrebten Generalisierbarkeit ab
Erklärung der Existenz, Entstehung oder Veränderung des
Forschungsgegenstandes möglichst in Form von Ursache-Wirkungs-
Zusammenhängen
Vorhersage von zukünftigen Entwicklungen und Effekten
Steuerung von Interventionen
Hauptkriterium für die Qualität einer Theorie ist ihre hinreichende empirische
Bewährung!
Folgende Arten von Theorien spielen in der ABO-Psychologie eine Rolle:
Klassische Theorien (Taylor, Weber)
Lerntheorien
Motivationstheorien
Führungstheorien
Handlungstheorie
Entscheidungstheorien
1.3.2. Klassische Theorien: Taylor, Weber
Taylor(ismus): Maßnahmen des Managements haben sich an empirischen
Untersuchungen zu orientieren („Scientific Management“): s.o.
Max Weber (1922) beschreibt in einem seiner Werke die ideale Bürokratie; er liefert
damit die erste explizite Organisationstheorie.
Die moderne Bürokratie ist nach Weber allen anderen Formen der Verwaltung
überlegen; sie zeichnet sich durch Präzision, Sachlichkeit, Unpersönlichkeit und
Berechenbarkeit aus. Ihre wichtigsten Charakteristika sind:
Eine streng hierarchische, pyramidenförmige Struktur
- Entlastung der Mitglieder durch Verantwortungsverschiebung und
Spezialisierung (=Arbeitsteilung)
- Leichte Ersetzbarkeit der einzelnen Mitglieder
- Kontrolle von Machtmissbrauch (Jeder Vorgesetzte hat nur eine kleine
Kontrollspanne
- Problem: Starrheit (aufgrund langer Dienstwege)
Entscheidungsprozesse sind durch explizite Regeln festgelegt
Aktenmäßigkeit (alles wird schriftlich festgehalten: a) zu Kontrollzwecken, b)
zur Sicherstellung der Kontinuität beim Wechsel von Amtsinhabern)
Unpersönlichkeit der Beziehungen
Die Entstehung der modernen Bürokratie ist nach Weber Teil der in allen
Lebensbereichen voranschreitenden Rationalisierung.
1.3.3. Lerntheorien
Klassisches Konditionieren: Die wiederholte Kopplung eines neutralen Reizes mit
einem unbedingten Reiz führt zu einer bedingten Reaktion auf den ursprünglich
neutralen Reiz!
Operantes Konditionieren: Verhaltensmodifikation durch den Einsatz von
Verstärkern und/oder Bestrafungen.
Die Wirkung des operanten Konditionierens hängt ab von:
a) dem Verstärkungsplan (kontinuierlich vs. intermittierend)
b) dem zeitlichen Abstand zwischen Verhalten und Belohnung bzw. Bestrafung
c) der (Nicht-)Belohnung konkurrierender Verhaltensweisen
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Modelllernen (Bandura, 1963): Lernprozesse, die auf der Beobachtung und
Nachahmung anderer Personen beruhen
Die Nachahmungswahrscheinlichkeit steigt, wenn…
a) das Modell eigene Bedürfnisse befriedigt (z.B. Ähnlichkeit)
b) das Modell gelobt bzw. belohnt wird (stellvertretende Verstärkung)
c) das Modell den Nachahmenden lobt (externe Verstärkung)
d) sich der Nachahmende selbst lobt (Selbstverstärkung)
Soziale Lerntheorie (Vgl. Kapitel „Arbeitsmotivation“)
Lernende Organisation (von Chris Argyris): Führen Maßnahmen einer Organisation
nicht zum erwünschten Ergebnis („Soll-Ist-Vergleich“) bestehen 2 Möglichkeiten:
Entweder es kommt zu einer Verhaltensänderung im Rahmen des bisherigen
Repertoires, z.B. indem eine Werbekampagne intensiviert wird („Single Loop“) oder
das Repertoire selbst wird erweitert, z.B. indem die Werte, Strategien oder Ziele des
Unternehmens überdacht werden („Double Loop“).
„Double
Loop“
„Single
Loop“
1.3.4. Motivationstheorien (siehe: Kapitel „Arbeitsmotivation“)
Theorie der Bedürfnishierarchie: Maslow (1954)
2-Faktoren-Theorie: Herzberg et al. (1959)
VIE-Theorie: Vroom (1964)
Zielsetzungstheorie („Goal setting“): Locke & Latham (1990)
1.3.5. Führungstheorien
Dispositionale Theorien der Führung
Kontingenztheorie der Führung
Transaktionale und transformationale Führung
Leader-Member-Exchange-Theorie: Graen & Uhl-Bien (1995)
Entscheidungsmodell der Führung: Vroom et al. (2000)
Management by Objectives (MBO-Theorie)
„Führung von unten”
Repertoire der
Organisation
Handlung
Soll-Ist-Vergleich
Ende
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1.3.6. Handlungstheorie
Miller, Galanter & Pribram (1960): Personen reagieren nicht nur auf externe Reize
(Behaviorismus), sondern verfolgen aktiv persönliche Ziele.
Der Prozess der Zielerreichung lässt sich dabei als Regelkreis (T-O-T-E)
beschreiben:
Im ersten Schritt erfolgt ein Vergleich zwischen der Soll- und Ist-Situation
(Test 1) Daran anschließend erfolgt ein Umwelteingriff, der dazu dient, Soll- und Ist-
Zustand einander anzugleichen (Operate 1).
Es folgt eine Rückmeldung über das erzielte Veränderungsresultat (Test 2).
Diese Test- und Operate-Einheiten wiederholen sich so lange, bis das
gewünschte Resultat erreicht wird (Exit).
1.3.7. Entscheidungstheorien
Entscheidungstheorien gehen davon aus, dass Entscheidungsprozesse den Kern einer
Organisation ausmachen!
Zu unterscheiden ist zwischen normativen und deskriptiven Entscheidungstheorien:
Normative Entscheidungstheorien beruhen auf dem Erwartungs × Wert-Ansatz;
sie gehen also davon aus, dass Entscheidungen aufgrund rationaler Überlegungen
getroffen werden.
Beispiel: „Subjective Expected Utility“(SEU) von Edwards
Deskriptive Entscheidungstheorien gehen davon aus, dass der Mensch nur
begrenzte kognitive Kapazitäten hat; seine Entscheidungen gründen daher nur z.T.
auf rationalen Überlegungen („bounded radtionality“); mindestens genauso
wichtig sind z.B. Heuristiken usw.
Beispiel: „Prospect theory“ (Tversky und Kahneman)
1.4. Methodische Forschungsansätze der ABO-Psychologie
1.4.1. Untersuchungsplanung
Die verschiedenen Methoden der (ABO-)Psychologie lassen sich anhand folgender 3
Dimensionen klassifizieren:
1) Ort: Labor vs. Feld
2) Strategie: unsystematisches Vorgehen vs. systematisches Vorgehen vs.
quasiexperimentelles Vorgehen vs. experimentelles Vorgehen
3) Aktivität des Forschers: Introspektion vs. Befragung vs. Beobachtung
Da jedes Forschungsdesign jeweils spezifische Vor- und Nachteile hat, ist es wichtig,
verschiedene Designs zu integrieren:
Qualitative und quantitative Untersuchungen:
Qualitative (Fall-)Studien: dienen der Hypothesengenerierung
- Definition der Untersuchungsfrage
- Auswahl der Fälle (kleines Sample!)
- Entwicklung der Untersuchungsinstrumente
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- Flexible und breite Datensammlung
- Datenanalyse innerhalb und zwischen den Fällen
- Entwicklung von Hypothesen und iterativer (sukzessiver) Abgleich mit den
Daten
- Vergleich mit bestehender Literatur
- Fazit
Quantitative Studien: dienen der Hypothesenüberprüfung
- Definition der Untersuchungsfrage
- Studium der bestehenden Literatur
- Entwicklung der (theoretischen und statistischen) Hypothesen
- Möglichst große Stichprobe
- Auswahl der Untersuchungsinstrumente
- Standardisierte Datensammlung
- Datenanalyse und Test der Hypothesen
- Fazit
Labor- und Feldstudien:
Feldstudien haben folgende Vor- und Nachteile:
+ hohe externe (=ökologische) Validität
+ hohe Akzeptanz bei Praktikern
- Keine Kontrolle des Kontexts (=> geringe interne Validität)
- Vorwiegend deskriptiv, Kausalaussagen schwierig
- Geringe Innovation
Laborstudien haben folgende Vor- und Nachteile:
+ Kontrolle der Kontextbedingungen (=> hohe interne Validität)
+ Kausalaussagen sind i.d.R. möglich
+ hohe Innovation
- Externe (=ökologische) Validität (=Generalisierbarkeit) ist fraglich
- Niedrige Akzeptanz bei Praktikern / Anzweiflung der Praxisrelevanz
Korrelatives und experimentelles Vorgehen:
Am besten sind experimentelle Feldstudien; am schlechtesten korrelative
Laborstudien!
Im Kontext der ABO-Psychologie sieht sich die Wissenschaft häufig in einem
Interessenkonflikt mit der Wirtschaft!
Problematisch wird’s, wenn…
Nur ein Ergebnis akzeptiert wird
Nachfolgende Maßnahmen auf jeden Fall, d.h. unabhängig von den
wissenschaftlichen Befunden, durchgeführt werden
Von vorneherein klar ist, dass keines der möglichen Ergebnisse Konsequenzen
haben wird!
1.4.2. Datengewinnung
Methoden der Datengewinnung:
Interviews
Fragebögen
Beobachtungen
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Testverfahren
Simulationen
Nicht-reaktive Verfahren (Archivdaten, Protokolldateien etc.)
Sekundäranalysen (z.B. Metaanalyse)
Gütekriterien von Tests:
Objektivität: Unabhängigkeit der Ergebnisse vom Untersucher
Durchführungsobjektivität
Auswertungsobjektivität
Interpretationsobjektivität
Reliabilität: Genauigkeit, mit der etwas gemessen wird (= Anteil der wahren
Varianz an der beobachteten Varianz)
Re-Test-Reliabilität
Split-Half-Reliabilität
Paralleltest-Reliabilität
Interne Konsistenz (z.B. Cronbachs Alpha)
(Interne und externe) Validität:
Inhaltliche Validität: Wie genau ist das Verfahren in Bezug auf den zu
messenden Inhalt?
Konstruktvalidität: Wie genau ist das Verfahren in Bezug auf das zu messende
Konstrukt (z.B. Intelligenz)?
- Konvergente und diskriminante Konstruktvalidität
Kriteriumsvalidität: Korrelation des Testergebnisses mit einem
Außenkriterium
- Prädiktive vs. konkurrente Kriteriumsvalidität
Soziale Akzeptanz
1.4.3. Bewertung der Ergebnisse
Untersuchungsartefakte:
Messfehler (bei UV und/oder AV)
Mangelnde Konstruktvalidität
Varianzeinschränkung der Variablen (Decken- und Bodeneffekte)
Effekte von Drittvariablen (z.B. parallele Ereignisse, Selbstselektion, Regression
zur Mitte etc.)
Reaktivität („Hawthorne Effekt“)
Inadäquate Kontrollgruppen (Imitations-, Kompensations- u.a. Effekte)
„Single source“ und „Common method”-Artefakte
Die Dokumentation der Ergebnisse: hat sich an den Standards der DGPs oder APA
zu orientieren.
Klare Fragestellung
Klare Darstellung der Methoden (zwecks Wiederholbarkeit)
Vollständige Ergebnisdarstellung (u.a. für Metaanalysen)
Neben den p-Werten sollten auch Effektstärken (Cohens d oder r) angegeben
werden.
- Kleiner Effekt: ab d = 0,2 oder r = 0,1
- Mittlerer Effekt: ab d = 0,5 oder r = 0,3
- Großer Effekt: ab d = 0,8 oder r = 0,5
Schlüssiges Fazit
Bewertung der Ergebnisse:
Wichtig sind Implementierungskontrollen; dazu zählen z.B.:
Pilotstudien
Expertenurteile
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Manipulation checks / Suspicion checks / offene Fragen
Prüfung der Datenqualität
Berücksichtigung von Metanalysen
Bei einer Metaanalyse sind die Beobachtungseinheiten keine einzelnen Personen,
Gruppen oder Organisationen, sondern ganze Untersuchungen; berechnet werden
Einzeleffektstärken und deren Heterogenität; Hauptziel ist, die Einzelergebnisse
auf diese Weise zu einer Gesamteffektstärke mit Konfidenzintervall zu integrieren.
Fazit: Bei psychologischen Untersuchungen sollte folgendes beachtet werden:
Theoriegeleitetes Vorgehen
Gründliche Untersuchungsplanung vorab; evtl. gestützt auf explorative
(qualitative) Untersuchungen oder Pilotstudien
Eher große Stichproben und wenige Variablen als kleine Stichproben und viele
Variablen
Der Königsweg ist das Experiment
Kombination aus Labor- und Feldstudien
Adäquate Kontrollgruppen
Wichtig ist eine genaue Dokumentation des Vorgehens und der Ergebnisse
Dabei sollten, zusätzlich zu den Ergebnissen der Signifikanztests,
Effektstärken angegeben werden!
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2.1. Zur Bedeutung von Arbeit und Arbeitslosigkeit
2.1.1. Definition und Bedeutung von Arbeit
3 Definitionen von Arbeit:
1) Nerdinger et al. (2008): Arbeit ist eine planmäßige menschliche Tätigkeit, die auf
die Erreichung wirtschaftlicher oder organisationaler Ziele ausgerichtet ist, den
Einsatz geistiger und/oder körperlicher Kräfte erfordert und i.d.R. unter Einsatz
von Werkzeugen erfolgt (s.o.).
2) Semmer & Udris (2003): Arbeit ist eine zielgerichtete menschliche Tätigkeit, bei
der es um die Erfüllung selbst- oder fremdgesetzter Aufgaben geht und die in
materieller oder ideeller Form gesellschaftlich bewertet wird. Sie dient sowohl
der Transformation und Aneignung der Umwelt als auch der Realisierung und
Weiterentwicklung individueller und kollektiver Bedürfnisse, Ansprüche und
Kompetenzen.
3) Hacker (1986): Arbeit ist eine bewusste und zielgerichtete Tätigkeit, die
ausgerichtet ist auf die Verwirklichung eines Ziels im Sinne eines
vorweggenommenen Resultats (=Produkt), das vor dem Handeln ideell gegeben
war. Arbeit ist willensmäßig auf das bewusste Ziel hin reguliert. Bei der
Herstellung des Produkts formt sich zugleich die Persönlichkeit. Jede
Arbeitstätigkeit ist in ihren wesentlichen Merkmalen gesellschaftlich bestimmt.
Im Rahmen der „Meaning of Working“-Studie (MOW) von 1987 wurden 15.000
Personen aus 8 verschiedenen Ländern (Belgien, Deutschland, Großbritannien, Israel,
Japan, Jugoslawien, Niederlande und USA) dazu befragt, welche Bedeutung Arbeit in
ihrem Leben hat.
Methodik:
Zentralitätsfrage: Die Pbn sollen durch die Vergabe von insgesamt 100
Punkten angeben, wie wichtig ihnen die folgenden 5 Lebensbereiche sind: „my
leisure“, „my community“ (Parteien, Ehrenämter etc.), „my work“, „my
religion“, „my family“
Lottofrage: Was würden Sie tun, wenn Sie im Lotto gewonnen hätten?
- Mit der Arbeit aufhören
- Weiterarbeiten wie bisher
- Weiterarbeiten, aber unter anderen Bedingungen
Ergebnisse:
40% gaben an, dass ihnen Familie am wichtigsten sei, bei 27% stand die Arbeit
an erster Stelle
86% würden auch nach einem Lottogewinn weiterarbeiten
- Akademiker antworteten dabei eher mit „ja“; Arbeiter eher mit „nein“
- Deutsche antworteten eher mit „nein“; Japaner eher mit „ja“
Eine andere Methode, die Bedeutung von Arbeit zu erfassen, stammt von Schuler und
Moser (1993); gefragt wird dabei nach dem „involvement“, man versteht darunter die
Identifikation einer Person mit Arbeit im Allgemein und dem jeweiligen Beruf im
Speziellen.
Es werden demnach zwei Arten von „Involvement“ unterschieden:
a) Unter „Work Involvement“ (bzw. „Employment Commitment“?!) versteht
man den relativ stabilen Stellenwert von Arbeit im Allgemeinen.
b) „Job Involvement“ meint die Identifikation mit der aktuellen Arbeitstätigkeit,
bzw. dem jeweiligen Beruf einer Person sowie die damit einhergehende
Anstrengungsbereitschaft
2. Arbeit und Arbeitslosigkeit
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- z.B.: „Für mich vergehen die ersten Arbeitsstunden wie im Flug.“
Commitment: meint die Bindung an die Institution bzw. Organisation, für die
man arbeitet.
Zur Wertigkeit von Arbeit:
Gegenwärtig lässt sich folgender Wertwandel beobachten (Inglehart, 1989):
Während Arbeit früher v.a. als Pflichterfüllung und notwendiges Übel angesehen
wurde, gilt sie heute zunehmend als Möglichkeit zur Selbstentfaltung und
persönlichen Erfüllung.
Rosenstiel & Nerdinger (2000) unterscheiden im Zusammenhang mit Arbeit
folgende Wertetypen:
1) Karriereorientierung: Personen mit einer Karriereorientierung streben nach
einer leitenden Position in der Wirtschaft oder Verwaltung, weil sie a) etwas
bewegen wollen und b) viel Geld verdienen wollen. Sie sind bereit, dafür mehr
als 40 h in der Woche zu arbeiten.
2) Freizeitorientierung: Personen mit einer Freizeitorientierung geht es um eine
sichere Position mit geregelter Arbeitszeit. Sie sind weniger ehrgeizig und
legen ihren Schwerpunkt nicht auf die Arbeit, sondern auf ihre Freizeit!
3) Alternatives Engagement: Idealisten, denen es v.a. darauf ankommt, für eine
„gute Sache“ zu arbeiten; Bezahlung und Ansehen sind ihnen weniger wichtig.
Bewertungsaspekte von Arbeit: Bei der Bewertung von Arbeit spielen folgende
Aspekte eine Rolle:
1) Arbeitsinhalt (Ganzheitlichkeit, Abwechslungsreichtum etc.)
2) Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Arbeitstempo, Belastungen wie Lärm oder Hitze
etc.)
3) Organisationale Rahmenbedingungen (Sicherheit des Arbeitsplatzes,
Karrieremöglichkeiten)
4) Soziale Bedingungen (Kontaktmöglichkeiten, Betriebsklima)
5) Finanzielle Bedingungen (Lohn, Prämien, Sozialleistungen etc.)
Psychosoziale Funktionen von Arbeit (nach Jahoda und Warr; in den 80ern):
1) Existenzsicherung: Arbeit ist a) notwendig, um den eigenen Lebensunterhalt zu
sichern und b) eine gesellschaftliche Verpflichtung
2) Aktivität und Kompetenz: Durch Arbeit erwirbt der Einzelne Fähigkeiten und
Kenntnisse und entwickelt darüber hinaus ein Gefühl von Handlungskompetenz.
3) Zeitstrukturierung: Arbeit strukturiert nicht nur die Tages-, Wochen- und
Jahresplanung einer Person, sondern auch deren Lebensplanung (Erreichung von
Karrierezielen usw.)
4) Kooperation und soziale Kontakte: Am Arbeitsplatz werden nicht nur Kontakte
geknüpft (Entwicklung eines sozialen Netzwerks), sondern damit einhergehend
auch soziale Kompetenzen (z.B. Kooperationsfähigkeit) erworben!
5) Soziale Anerkennung: Die Arbeit einer Person trägt wesentlich zu deren sozialem
Status bei; darüber hinaus gibt Arbeit dem Einzelnen das Gefühl, etwas zum Erhalt
der Gesellschaft beizutragen.
6) Persönliche Identität: Die berufliche Rolle einer Person ist ein zentraler
Bestandteil des Selbstbildes und enorm wichtig für das Selbstwertgefühl. Darüber
hinaus gilt Arbeit zunehmend als Ort der Persönlichkeitsentfaltung!
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2.1.2. Definition und Verbreitung von Arbeitslosigkeit
Geschichtliches: Das Phänomen der Arbeitslosigkeit ist uralt (Vgl. die Bibel oder die
Bauprojekte von Perikles) – den Begriff der „Arbeitslosigkeit“ gibt es dagegen erst
seit ca. 130 Jahren; davor zählten Arbeitslose einfach nur zum „Heer der Armen“.
Ab 1877: wurden unter dt. Gewerkschaftsmitgliedern erste Umfragen
durchgeführt, um das Ausmaß der Arbeitslosigkeit abschätzen zu können.
Ab 1880: wurden in deutschen Städten erstmals Arbeitsvermittlungsstellen
eingerichtet.
Ab 1882: wurden vom Staat erstmals Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen initiiert
(Einrichtung sog. Arbeiterkolonien)
Erst seit 1927: gibt es in Deutschland eine staatliche Arbeitslosenunterstützung!
Definition: Die ILO („International Labour Organisation”) unterscheidet 3 Arten
von Erwerbslosigkeit („unemployment“)
1) „without work“
2) „currently available for work“
3) „seeking work“
Zur Verbreitung von Arbeitslosigkeit…
in der Welt: Die höchsten Arbeitslosenquoten (z.T. mehr als 50%) finden sich in
Afrika, die niedrigsten Arbeitslosenquoten (< 5%) haben u.a. die USA, China,
Japan, Norwegen und Schweden.
in Deutschland: unterliegt die Arbeitslosigkeit erheblichen Schwankungen; die
Zahl der von Arbeitslosigkeit Betroffenen pro Jahr ist dementsprechend deutlich
höher als die Arbeitslosenquote. Phasen von Erwerbslosigkeit sind mittlerweile ein
normaler Bestandteil der Erwerbsbiographie.
Aktuelle Arbeitslosenquote in Deutschland (April 2009): 8,6% (=ca. 3,5 Mio.)
- West-Deutschland: 7,2% (am niedrigsten in Süddeutschland)
- Ost-Deutschland: 13,9%
Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland:
- In den 60ern: Vollbeschäftigung
- 70er und 80er Jahre: Rezession durch Ölpreiskrise
- Seit 1989: Anpassungsprobleme der ostdeutschen Wirtschaft
- Ab 2006: Abnahme der Arbeitslosenquote
- Seit 2009 (Weltwirtschaftskrise): Erneute Zunahme der Arbeitslosigkeit
2.1.3. Folgen von Arbeitslosigkeit
„Die Arbeitslosen von Marienthal“ (1933): Marie Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel
führten Ende der 20er / Anfang der 30er Jahre in Marienthal, einem Fabrikdorf bei
Wien, einen soziographischen Versuch zu den Langzeitfolgen von Arbeitslosigkeit
durch. Aufgrund seiner methodischen Vielseitigkeit gilt der Versuch dabei bis heute
als richtungsweisend (ein Meilenstein der empirischen Sozialforschung)!
Ausgangssituation: Die Flachsspinnerei von Marienthal setzte 1926 ihre
Belegschaft auf die Hälfte herunter. Dementsprechend waren von den rund 3.000
Einwohnern mit einem Schlag ca. 1.500 arbeitslos!
Forschungsmethoden:
Reaktive Methoden:
- Teilnehmende Beobachtung: Hausbesuche, Hausinventare, Lebens-
beschreibungen
- Aktionsforschung (Kleideraktion „Winterhilfe“, ärztliche Sprechstunden,
Erziehungsberatung, Zeichenkurse für Frauen, Turnkurse für Mädchen):
diente einerseits dazu, Zugang zu den Menschen zu bekommen und sie für
16
das Forschungsprojekt zu gewinnen, andererseits um durch teilnehmende
Beobachtung an Infos zu kommen.
- Mündliche Befragungen: biographische Interviews
- Schriftliche Befragungen: Schulaufsätze (z.B. zu dem Thema „Was
wünsche ich mir zu Weihnachten“), Mahlzeiteninventare, Zeitbudget-
Tagebücher
Non-reaktive Methoden:
- Auswertung amtlicher Statistiken und Dokumente (Wahlstatistik,
Bevölkerungsstatistik, Beschwerden bei der Industriellen
Bezirkskommission)
- Dokumentenanalyse (Abonnentenzahl in der Bibliothek, Mitgliederzahlen
in Parteien und Vereinen, Geschäftsbücher der Unternehmen,
Katatserblätter, die für jede betroffene Familie angelegt wurden)
- Verdeckte Beobachtung (Gehgeschwindigkeit, Gesprächsthemen und
Beschäftigung in Gaststätten und im Arbeiterheim, Qualität des Schulbrots)
Ergebnisse: Langzeitarbeitslosigkeit hat eine paradoxe Wirkung; sie führt nicht
zu Revolte oder aktiver Nutzung der neu gewonnenen Freizeit, sondern zu
passiver Resignation.
Die Leihbücherei wurde weniger als vorher genutzt
Die politischen Aktivität ging zurück
Das Engagement bei der Arbeitssuche nahm mit der Dauer der Arbeitslosigkeit
stark ab
Langsamer Schritt / häufige Pausen beim Gehen
Die Kinder der Arbeitslosen hatten weniger deutliche Vorstellungen bezüglich
ihrer beruflichen Zukunft und wussten nicht, was sie sich zu Weihnachten
wünschen sollten.
Interpretation: Die Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit sind darauf
zurückzuführen, dass die manifesten und latenten Funktionen von Arbeit (s.u.)
nicht ersetzt werden können.
Aktuell geht es in der psychologischen Arbeitslosigkeitsforschung v.a. um folgende
Fragen: Wie stark ist der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und psychischer
Gesundheit?
Durch welche Faktoren wird der Zusammenhang beeinflusst (Moderatoranalysen)?
Wie ist der Zusammenhang zu interpretieren (Kausalverhältnis zwischen
Arbeitslosigkeit und psychischer Gesundheit)?
Auf welchen Wirkmechanismen beruht der Zusammenhang (Erklärungsmodelle
und deren empirische Überprüfung)?
Kurz- und Langzeitfolgen von Arbeitslosigkeit:
Stufentheorie nach Eisenberg und Lazersfeld (1938): Die Reaktion auf- und der
Umgang mit Arbeitslosigkeit ändern sich in Abhängigkeit von deren Dauer.
1. Stufe: Schock
2. Stufe: Optimismus
3. Stufe: steigender Pessimismus
4. Stufe: Resignation, Fatalismus
Kurzzeitfolgen:
Marienthalstudie: Bei vorher starken Arbeitsbelastungen (z.B. Lärm, Stress
etc.) bessert sich die Gesundheit zunächst!
Mohr (1987, 2001): Entlastungseffekte können auftreten a) bei geringer
finanzieller Belastung, b) bei unbefriedigenden Arbeitsbedingungen vor der
Arbeitslosigkeit sowie c) bei Bestehen einer Alternativrolle.
17
Langzeitfolgen für die Betroffenen selbst: Psychisches Unwohlsein (u.a. geringeres Selbstwertgefühlt sowie geringere
externale Kontrollüberzeugungen)
Psychosomatische Symptome (u.a. Alkoholismus, Drogenmissbrauch, Angst)
Ungünstigeres Gesundheitsverhalten hinsichtlich Rauchen, Beruhigungsmittel,
Sport, Zähneputzen, Vorsorgeuntersuchungen, Therapieabbrüchen und
Rückfallquoten
Soziale Isolation
Neuaufnahmen in Psychiatrie
Langzeitarbeitslose weisen eine um 20-30% erhöhte Sterblichkeitsrate auf
(Herzversagen, Suizid)
Langzeitfolgen für das Umfeld:
Familie:
- Partner von Arbeitslosen klagen über eine verminderte Beziehungsqualität
und eine Zunahme der eigenen psychischen Belastung
- Kinder von Arbeitslosen haben häufig Konzentrationsstörungen,
Depressionssymptome und schlechtere Noten.
Verbliebene Mitarbeiter im Unternehmen: erhöhte Fehlzeiten, Zynismus,
Beanspruchungssymptome
Gesellschaft: Risikoscheu, Konjunkturschwäche, politische Radikalisierung
Eine Metaanalyse zum Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und psychischer
Belastung von Paul, Zempel & Moser (2007) ergab folgende Ergebnisse:
Arbeitslose (34%) sind rund doppelt so häufig von psychischen Problemen
betroffen wie Erwerbstätige (16%)!
Arbeitslosigkeit – psychische Belastung allgemein: d = 0,56
Arbeitslosigkeit – Depression: d = 0,55
Arbeitslosigkeit – subj. Wohlbefinden: d = 0,51
Arbeitslosigkeit – Angst: d = 0,4
Arbeitslosigkeit – Selbstwert: d = 0,38
Moderatoren, die den Zusammenhang beeinflussen:
Geschlecht: Männer werden durch Arbeitslosigkeit stärker belastet als Frauen!
Sozioökonomischer Status: Menschen mit geringer Schulbildung leiden
stärker unter Erwerbslosigkeit!
Dauer: Das Befinden von Langzeitarbeitslosen ist deutlich schlechter!
Soziale Unterstützung: Die Effekte von Erwerbslosigkeit sind umso stärker, je
niedriger die soziale Unterstützung der Betroffenen ist!
Employment Commitment / Work Involvement: Je stärker die innere Bindung
an eine Erwerbstätigkeit ist, desto größer die Effekte von Erwerbslosigkeit!
Persönlichkeitsfaktoren: Eine hohe emotionale Stabilität, ein hohes
Selbstwertgefühl und Extraversion verringern die negativen Wirkungen von
Erwerbslosigkeit!
Alter: kein gesicherter Effekt, tendenziell kurviliniear
Partnerschaftsstatus: kein Effekt; evtl. gegenseitige Aufhebung von Stützung
und Schwächung!
Moderatoren aus Einzelstudien:
Starke Religiosität => geringere Betroffenheit
Anderweitige Aktivitäten (Arbeiten im Haus und Garten, Weiterbildungen,
Hobbies, Erziehung der Kinder etc.) => geringere Betroffenheit
In reicheren, egalitäreren und kollektivistischeren Ländern => geringere
Betroffenheit
18
Problem: Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und psychischer Belastung
kann unterschiedlich erklärt bzw. interpretiert werden.
Folgende Erklärungen/Interpretationen sind denkbar:
1. Psychisch belastete oder gestörte Menschen werden leichter arbeitslos
(„Selection“-Hypothese)!
2. Psychisch belastete oder gestörte Menschen bleiben länger arbeitslos, so dass
es zu einer statistischen Häufung von psychischen Störungen bei Arbeitslosen
kommt („Selection“-Hypothese).
3. Eine dritte Variable, wie z.B. körperliche Gesundheit oder Sucht, ist sowohl
für Arbeitslosigkeit als auch für den schlechten psychischen
Gesundheitszustand verantwortlich!
4. Arbeitslosigkeit führt zu psychischen Belastungen oder Störungen
(„Causation“-Hypothese)!
Studien:
Eine Metaanalyse von Murphy & Athanasou (1999) über 16
Längsschnittstudien, bei denen als Kriterium die psychische Gesundheit
(General Health Questionaire) erhoben wurde, spricht für die
Kausalitätshypothese!
- Effekt des Arbeitsplatzverlustes: d = -.36
- Effekt des Wiedereinstiegs in die Erwerbstätigkeit: d = .54
- Keine Moderation durch Geschlecht, Beruf oder kulturellen Hintergrund
Eine Metaanalyse von Paul et al. (2007) zeigt, dass Selektionseffekte deutlich
geringer ausfallen als Kausalitätseffekte.
- Kausalitätseffekte sind Längsschnitteffekte (z.B. die Verschlechterung der
psychischen Befindlichkeit nach dem Verlust des Arbeitsplatzes bzw.
deren Verbesserung nach Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit)
- Selektionseffekte entsprechen dagegen den bei einem
Querschnittsvergleich gefundenen Unterschieden zwischen zukünftigen
Arbeitslosen und zukünftigen Erwerbstätigen. Sie sind am deutlichsten,
wenn Erwerbstätige verglichen werden (d = 0,23) und am geringsten, wenn
Schüler miteinander verglichen werden (d = 0,08).
Fabrikschließungsstudien haben den Vorteil, dass Selektions- oder
Drittvariableneffekte bei Fabrikschließungen so gut wie nicht ins Gewicht
fallen; dass von einer Fabrikschließung Betroffene nur unwesentlich
schwächer leiden als andere Arbeitslose, spricht somit ebenfalls für die
Kausalitätshypothese!
2.1.4. Erklärungsmodelle bzw. Wirkmechanismen
Der Kausalzusammenhang zwischen Erwerbslosigkeit und psychischer Gesundheit
kann seinerseits wiederum auf unterschiedliche Weise erklärt werden:
1) Erlernte Hilflosigkeit durch vergebliche Stellensuche
2) Wegfall der latenten und manifesten Funktionen von Arbeit (Jahoda)
3) Vitaminmodell (Warr)
4) Handlungsrestriktionstheorie (Fryer & Payne)
5) Inkonsistenz (Paul und Moser, 2008)
Jahoda (1983) führt die Folgen von Arbeitslosigkeit darauf zurück, dass mit der
Erwerbstätigkeit auch deren verschiedene Funktionen wegfallen
(=Deprivationstheorie). Sie unterscheidet dabei zwischen der manifesten Funktion
der Existenzsicherung (Geld) und 5 latenten Funktionen (Zeitstrukturierung;
Sozialkontakte außerhalb der Familie; kollektive, über individuelle Anliegen
hinausgehende Ziele; Status und Aktivität).
19
Um Jahodas Theorie empirisch zu überprüfen, haben Paul und Batinic
a) verschiedene Bevölkerungsgruppen (nämlich Erwerbstätige, Studierende,
Hausfrauen, Rentner und Arbeitslose) bezüglich der besagten Variablen verglichen
und b) untersucht, inwiefern die Ausprägung dieser Variablen jeweils mit der
psychischen Belastung der Befragten zusammenhängt.
a) Vergleich der Bevölkerungsgruppen:
- Erwerbstätige > Studierende, Hausfrauen, Arbeitslose, Rentner
Aktivität: d = 1,07
Zeitstruktur: d = 1,02
kollektive Ziele: d = 0,65
- Erwerbstätige > Hausfrauen, Rentner, Arbeitslose
Sozialkontakt: d = 0,66
- Erwerbstätige, Studierende, Hausfrauen, Rentner > Arbeitslose
Status: d = 0,84
Geld: d = 0,58
b) Der Zusammenhang mit psychischen Belastungssymptomen:
- Die Variablen Status (-.49), Geld (-.45) und Sozialkontakt (-.27) hängen
am stärksten mit dem psychischen Befinden zusammen.
- Die Zeitstruktur (-.13), kollektive Zielsetzungen (-.16) und Aktivität
(-.18) haben dagegen einen recht geringen Einfluss auf das psychische
Befinden.
- Erwerbstätige weisen eine bessere psychische Gesundheit auf als
Arbeitslose: d = 0,58; vergleicht man sie aber mit Nichterwerbstätigen
ohne Arbeitslose, findet sich so gut wie kein Effekt (d = 0,11) – dieser
Befund spricht klar gegen Jahodas Theorie (s.u.)!
Kritik an Jahodas Theorie:
Empirisch:
- Was den Zusammenhang zwischen den latenten Funktionen von Arbeit und
der psychischen Gesundheit betrifft, gehen die Effekte zwar in die
erwartete Richtung, sie sind aber nicht sehr stark. Jahodas Theorie kann
insofern nur einen Teil des schlechten Befindens Arbeitsloser erklären!
- Der finanzielle Aspekt scheint wichtiger zu sein als die latenten
Funktionen!
- Bezüglich der von Jahoda genannten Variablen unterscheiden sich
Erwerbstätige von Nichterwerbstätigen generell – bezüglich der
psychischen Gesundheit jedoch nur von Arbeitslosen!
- Längsschnittstudien fehlen bisher!
Theoretisch:
- Die 5 latenten Funktionen stützen sich weniger auf empirische Befunde als
auf ein bestimmtes Menschenbild: Der Mensch wird als passives Wesen
betrachtet, das keine selbstgesteckten Ziele hat und daher ganz auf die
latenten Funktionen von Arbeit angewiesen ist!
- Der Deprivationstheorie zufolge müsste jede Arbeit besser als keine Arbeit
sein, was de facto nicht so ist!
20
Das Vitaminmodell von Warr (1987, 2007) geht davon aus, dass die psychische
Gesundheit einer Person nicht so sehr von der Frage abhängt, ob sie erwerbstätig ist
oder nicht, sondern von 9 Kontextfaktoren. Wie die Vitamine die physische
Gesundheit beeinflussen, beeinflussen diese die psychische Gesundheit und wie bei
Vitaminen kommt es nicht nur auf das Vorhandensein der Faktoren, sondern auch auf
deren Dosierung an.
Das Vitaminmodell trifft keine pauschale Unterscheidung zwischen
Erwerbslosigkeit und Erwerbstätigkeit, sondern geht davon aus, dass die
psychische Gesundheit Erwerbsloser und Erwerbstätiger von denselben
Umweltfaktoren abhängt.
Je nach Ausprägung dieser Faktoren, kann zwischen „guter“ und „schlechter“
Arbeit sowie zwischen „guter“ und „schlechter“ Arbeitslosigkeit unterschieden
werden!
Die 9 Kontextfaktoren sind:
1. Die Möglichkeit, Kontrolle auszuüben
2. Die Möglichkeit, eigene Fertigkeiten zu gebrauchen
3. Externe Zielvorgaben, die aktivierend und motivierend wirken
4. Vielfalt und Abwechslung (Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen)
5. Klarheit der Umgebung (= Vorhersagbarkeit und Durchschaubarkeit von
Ereignissen)
6. Sozialkontakte
7. Geld (Verfügbarkeit ausreichender finanzieller Ressourcen)
8. Physische Sicherheit
9. Soziale Stellung und Ansehen (=> Selbstachtung)
Die ersten 6 Faktoren können in zu hohen Dosen schädlich für die Psyche sein
(wie die Vitamine A und D für die Physis), die letzten 3 Faktoren können auch in
hoher Dosis nicht schaden (wie die Vitamine C und E)!
Die „Handlungsrestriktions-“ bzw. „Agency Restriction-“ Theorie von Fryer &
Payne (1986) geht im Gegensatz zur Deprivationstheorie Jahodas davon aus, dass der
Mensch ein aktives, intrinsisch motiviertes Wesen ist, das unter normalen
Bedingungen selbständig plant und tätig wird.
Die Probleme Arbeitsloser sind dementsprechend v.a. auf folgende 3 Gründe
zurückzuführen:
1. Materielle Verarmung
2. Unvorhersagbarkeit der Zukunft
3. Mangel an sozialer Macht
Gemeinsam ist diesen Faktoren, dass sie zu einer Einschränkung des
Handlungsspielraums führen: sie erschweren es, vorhandene Handlungspläne zu
verwirklichen und erhöhen die Wahrscheinlichkeit zu scheitern. Die Folge sind
psychische Probleme!
Die Inkongruenz-Hypothese von Paul & Moser (2006) führt die psychischen
Probleme bei Arbeitslosigkeit auf das Gefühl der Inkongruenz zurück. Letzteres
entsteht dadurch, dass bei Arbeitslosen arbeitsbezogene Werte und die Lebensrealität
auseinanderklaffen.
Die Inkongruenz-Hypothese wird von der Empirie bestätigt:
1. Sowohl Arbeitslose als auch Erwerbstätige halten Arbeit für einen wichtigen
Wert; bezüglich ihres „employment commitments“ bestehen somit kaum
Unterschiede.
A,D
C,E
21
2. Inkongruente sind generell stärker belastet als Kongruente; für inkongruente
Arbeitslose ist die Belastung jedoch noch größer als für inkongruente
Erwerbstätige!
Erwerbstätige Arbeitslose
Hohe Wertschätzung
von Arbeit
Kongruenz
=> Wohlbefinden
Inkongruenz
=> Leiden
Geringe Wertschätzung
von Arbeit
Inkongruenz
=> Leiden
Kongruenz
=> Wohlbefinden
3. Die Wertschätzung der Arbeit („employment commitment“ bzw. „work
involvement“) vermag im Längsschnitt die Veränderung der psychischen
Gesundheit abhängig vom Erwerbsstatuswechsel vorherzusagen (=> Kausaler
Effekt!)
2.1.5. Interventionen bei Arbeitslosigkeit
Qualifikation und Training: Umschulungen, Weiterbildungen, Stärkung von
Kontrollerleben, „Social Scills“, Selbstmanagement etc.
Beispiel: Selbstwirksamkeitstraining bei Arbeitsplatzsuche von Eden &
Aviram (1993)
Ziel: „Selbstwirksamkeit“ ist die Überzeugung, über ausreichende physische,
intellektuelle oder emotionale Ressourcen zu verfügen, um Erfolg zu haben
bzw. etwas erreichen zu können (Beispielitem: „Wenn ich mir etwas
vornehme, bin ich mir sicher, dass ich es auch umsetzen kann“). Sie ist hoch
korreliert mit dem Selbstvertrauen einer Person und hat großen Einfluss auf
deren Ausdauer und Anstrengungsbereitschaft.
Ablauf: Da die Selbstwirksamkeit negativ mit der Dauer der Arbeitslosigkeit
korreliert, haben Eden und Aviram ein Selbstwirksamkeitstraining speziell für
Arbeitsuchende entwickelt:
- Darbietung von Videosequenzen, in denen gelingende Elemente der
Arbeitsplatzsuche dargestellt sind
- Diskussion des gezeigten Verhaltens
- Rollenspiele (Aktivität)
- Feedback durch die anderen Teilnehmer und den Seminarleiter (verbale
Bekräftigung)
- Zusammenfassung am Ende jeder Sitzung
Bewertung: Personen, die an dem Training teilgenommen haben, weisen
danach in der Tat eine höhere Selbstwirksamkeit auf und zeigen eine
intensivere Arbeitsplatzsuche als vorher. Darüber hinaus finden Personen, die
vor dem Training eine geringe Selbstwirksamkeit hatten, danach häufiger
einen Job!
- Aber: Unerfüllte Hoffnung kann einen negativen Effekt haben. Daher sind
die Vermittlung einer realistischen Einschätzung und die Ermutigung zu
Aktivität empfehlenswerter!
Verbesserung der Akzeptanz von Arbeitslosen bei Arbeitgebern: Probezeiten,
befristete Arbeitsverträge, Zeit- bzw. Leiharbeit.
Unter Zeit- bzw. Leiharbeit versteht man ein Arbeitsverhältnis, bei dem der
Arbeitsnehmer in einem Unternehmen arbeitet, ohne dort angestellt zu sein.
Stattdessen wird er dem betreffenden Unternehmen von einem
Zeitarbeitsunternehmen vorübergehend „überlassen“. Die rechtliche Grundlage
dessen bildet das „Arbeitnehmerüberlassungsgesetz“.
22
Das Dreiecksgefüge der Zeitarbeit:
Vor- und Nachteile der Zeitarbeit:
Aus Sicht der Einsatzbetriebe: flexibler Einsatz bei Personalausfall oder
-engpässen; Ersparnisse bei der Rekrutierung (es braucht kein
Bewerbungsverfahren etc.)
Aus Sicht der Zeitarbeitnehmer: Beendigung der Arbeitslosigkeit,
Arbeitserfahrung; dafür aber: höhere Belastung durch häufigen Wechsel und
Schlechterstellung gegenüber Normalbeschäftigten (geringerer Lohn, geringere
Beschäftigungsstabilität, beschränkte Qualifizierungsmöglichkeiten, höhere
Geschlechtersegregation, Gefährdung der beruflichen Identität usw.)
- Eine Befragung des Weltverbandes der Zeitarbeitsunternehmen (CIETT)
zeigt: 67% der Zeitarbeitnehmer in der EU entscheiden sich für Zeitarbeit,
weil sie keine andere Wahl hatten oder vorher arbeitslos waren.
- In Deutschland war die Hälfte aller Zeitarbeitnehmer vorher arbeitslos und
erhofft sich auf diese Weise einen Wiedereinstieg => Schätzungen zufolge
werden 30% der Zeitarbeitnehmer im ersten halben Jahr von einem
Einsatzunternehmen übernommen.
Determinanten der Übernahme (Galais, 2003):
Soziodemografische Aspekte (Alter, Geschlecht) und der Grad der
Qualifikation (Schuldbildung, Berufsausbildung, Arbeitserfahrung) haben
keinen Einfluss auf die Übernahmewahrscheinlichkeit!
Soziale Fertigkeiten sind der wichtigste Prädiktor für die Übernahme durch
ein Einsatzunternehmen.
Selbstreflexive Misserfolgsverarbeitung reduziert die Übernahme-
wahrscheinlichkeit!
Outplacement: Unter Outplacement bzw. Außenvermittlung versteht man eine von
Unternehmen finanzierte Dienstleistung für ausscheidende Mitarbeiter, die als
professionelle Hilfe zur beruflichen Neuorientierung angeboten wird.
Vorgehen:
1. Der Vorgesetzte, der dafür ein speziell trainiert wurde, führt ein
„Trennungsgespräch“ mit dem betroffenen Mitarbeiter und leitet ihn an einen
Outplacement-Berater weiter.
2. Letzterer bietet dem Betroffenen zunächst professionelle Hilfe bei der
emotionalen Bewältigung der Entlassung („Wie sage ich es meinem Partner?“
etc. etc.), um auf diese Weise eine emotionale Überreaktion zu vermeiden.
3. Anschließend unterstützt er den Betroffenen bei der Arbeitsplatzsuche.
- Ermittlung von Stärken und Schwächen und Formulierung von
Karrierezielen (Was kann ich? Was will ich? Was braucht der Markt?)
- Konkrete Bewerbungshilfen
- Ressourcenbereitstellung
23
Umverteilungskonzepte: zielen darauf ab, die Arbeit, die aufgrund des technischen
Fortschritts usw. zunehmend knapper wird, möglichst gerecht zu verteilen.
Lebenszeitarbeitskonto (z.B. Hewlett-Packard): Ein Teil der vertraglich zu
leistenden Arbeitsstunden wird nicht ausbezahlt, sondern als Freizeitguthaben
angelegt.
Reduzierung der Wochenarbeitszeit => 4-Tage-Woche (z.B. VW)
Stafettenmodell / Altersteilzeit: Gestaffelter Einstieg und Ausstieg aus dem
Arbeitsleben (z.B. VW)
Rotierende Erwerbslosigkeit (z.B. Dänemark)
Steuerliche Vergünstigungen für die Reduzierung von Arbeitszeit zugunsten der
Schaffung neuer Stellen (z.B. Frankreich)
Grundeinkommen / Bürgergeld
Erwerbsarbeit wird v.a. aufgrund der fortschreitenden Technisierung
zunehmend knapper (würde das technische Potenzial voll ausgeschöpft, läge
die Arbeitslosenquote laut Schätzungen schon jetzt bei 38%!); die Folgen
dieser Entwicklung können durch ein Grundeinkommen für alle Bürger
(„Bürgergeld“) abgefedert werden.
Vorteile dieses Konzepts:
- Da das Bürgergeld im Gegensatz zur Sozialhilfe unterschiedslos allen
Bürgern zuerkannt werden würde, würde der Verwaltungsaufwand enorm
sinken.
- Die materielle Absicherung und Unabhängigkeit aller wäre gewährleistet
(konsequente Umverteilung)
- Arbeit wäre nicht mehr extrinsisch, sondern intrinsisch motiviert!
- Die Wertschätzung anderer Lebenstätigkeiten (z.B. Ehrenamt,
Familienarbeit etc.) würde zunehmen!
- Das technische Potenzial der Automatisierung könnte voll ausgeschöpft
werden!
Abmilderung der negativen Effekte auf die psychische Gesundheit durch:
a) Verhaltenstherapeutische Programme zur Erlernung konstruktiver Gedanken
usw.
b) Entstigmatisierung von Erwerbslosigkeit
Förderung beruflicher Selbständigkeit
24
3.1. Allgemeines
3.1.1. Begriffe:
Belastung (=Ursache) und Beanspruchung (=Folge):
„Belastung“: Als „psychische Belastungen“ werden im Bereich beruflicher Arbeit
alle von außen auf den Menschen einwirkenden (=objektiven!) Faktoren
bezeichnet, die zu seiner „Beanspruchung“ beitragen.
Belastungsfaktoren sind dementsprechend nicht nur extreme einmalige
Ereignisse, sondern auch „daily hassles“
Beispiele für Belastungsfaktoren: Tragen schwerer Lasten, Lärm, Giftstoffe,
Kälte, Hitze, Schmutz, Nachtarbeit, Zeitdruck, Mobbing etc.
„Beanspruchung“: „Beanspruchungen“ werden durch Belastungen ausgelöst.
Man versteht darunter die im Menschen auftretenden Änderungen seiner
Organfunktion (physisch), seiner psychischen Leistungsfunktion (mental) und
seines Befindenszustandes (emotional) bei der Ausführung von Arbeitstätigkeiten.
Kurz: Beanspruchungen sind die Folge von Belastungen und äußern sich auf
physischer, mentaler und emotionaler Ebene.
Beispiele für Beanspruchungen: Ermüdung (s.u.), Konzentrationsprobleme,
Gereiztheit etc.
Beanspruchungsfolgen zeigen sich…
a) In den Arbeitsergebnissen und der Leistung
b) In kurz-, mittel- und langfristigen Veränderungen der emotionalen und
motivationalen Befindlichkeit sowie der körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit.
Stress: ist ein subjektiver Zustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark
aversive, zeitlich nahe und lang andauernde Situation nicht vermieden werden kann –
und zwar weder durch persönliche Beeinflussung der Situation, noch durch den
Einsatz von Ressourcen!
Der Begriff „Stress“ ist nicht so klar umrissen wie die Begriffe „Belastung“ und
„Beanspruchung“: er wird sowohl für belastende Umweltfaktoren (Stressoren) als
auch für deren psychischen und physischen Auswirkungen (Stressreaktionen)
verwendet.
Begriffsvielfalt:
3. Arbeitsbelastung und -beanspruchung
„Strain“ = „Druck“, „Spannung“, „Beanspruchung“
„Eustress“ = positiver Stress
25
„Ermüdung“: Reversible Leistungsminderung eines Organs (lokale Ermüdung)
oder des Gesamtorganismus (zentrale Ermüdung) als Folge von Tätigkeit!
Kennzeichen:
Physische Kennzeichen: Pulsbeschleunigung, flache Atmung
Psychische Kennzeichen: Abnahme der Konzentration, Denkstörungen,
Müdigkeitsgefühle (letztere treten meist verspätet ein!)
Beachte: Leistungsminderung aufgrund biologischer Tagesrhythmik wird nicht als
„Ermüdung“ bezeichnet, da es sich dabei nicht um die Folge einer Tätigkeit
handelt!
Intervention: Erholung; Pausen, wobei häufige kurze Pausen besser sind als seltene
lange und regelmäßige besser als frei gewählte!
Bei kurzen Pausen kommt es zwar zu mehr Ermüdungswellen, dafür fallen
diese aber nicht so groß aus; die durchschnittliche Ermüdung liegt daher unter
der bei wenigen langen Pausen!
„Monotonie“: Zustand herabgesetzter psychophysischer Aktiviertheit durch Zwang
zu ständiger Aufmerksamkeit in einem eingeschränkten Beobachtungsfeld bei
gleichzeitiger Reizarmut!
Abgrenzung gegenüber verwandten Konzepten:
Ermüdung: Bei Ermüdung dominiert ein erschöpfungsartiges
Ermüdungsgefühl, bei Monotonie ist das Ermüdungsgefühl eher von
Schläfrigkeit, Dösen und Apathie geprägt. Hinzu kommt, dass der
Monotoniezustand nach einem Wechsel der Tätigkeit sofort verfliegt!
Langeweile: wird durch das Gefühl bestimmt, nichts zu tun zu haben;
Monotonie dagegen durch das Gefühl, immer das Gleiche tun zu müssen!
Sättigung: kommt durch den Zwang zustande, sich gegen den eigenen
Arbeitswillen bestimmten Arbeitssituationen fügen zu müssen (so wie ich
grad!); Auswirkungen sind Spannungen im emotionalen Bereich (Gereiztheit,
sozial unangepasstes Verhalten etc.) sowie ein erhöhtes Unfallrisiko!
Inhaltliche Gleichförmigkeit der Tätigkeit begünstigt Monotonie, zeitliche
Gleichförmigkeit kann dagegen entlasten (Fließband)
Gefahren / Folgen von Monotonie: Leistungsstörungen, Fehlhandlungen,
Ermüdung durch „Ankämpfen“ gegen Monotonie, fehlende
Persönlichkeitsförderlichkeit
Mögliche Interventionen:
Planmäßiger Tätigkeitswechsel
Aufgabenerweiterung
Gruppenarbeit
3.1.2. Verschiedene Beanspruchungsfolgen
Physiologisch-somatische Ebene:
Kurzfristig: Mittel- bis langfristig:
Ansteigen der Herzfrequenz Infarkt/Koronarerkrankungen
Steigerung des Blutdrucks Bluthochdruck
Erhöhte Atemfrequenz Magen-/Darmerkrankungen
Schweißausbrüche Rheumatische Erkrankungen
Muskelschmerzen Infektionen
Durchfall Hautallergien
26
Ebene des Erlebens:
Kurzfristig: Mittel- bis langfristig:
Misserfolgsgefühl, Frustration Depression
Monotonie Angst, Ängstlichkeit
Sättigung Permanente Erschöpfung
Ermüdung Unzufriedenheit
Ärger, Gereiztheit Schmerzen,
körperliches Unwohlsein
Verhaltensebene:
Kurzfristig:
Mittel- bis langfristig:
Leistungsschwankungen Chronischer Leistungsabfall
Konzentrationsmängel Nikoton-, Alkohol-, Drogen-
missbrauch
Fehler in Arbeitsausführung Gehäufte Fehlzeiten/Arztbesuche
Verschlechterung der Feinmotorik Soziale Isolierung
Erhöhte Reizbarkeit/Unfreundlichkeit Konflikte/Mobbing
Beispiel für kognitive Auswirkungen von Stress: Eine Untersuchung mit
militärischen Führungskräften hat gezeigt: Während bei geringem Stress
Intelligenz und Leistung korreliert sind, hat die Intelligenz unter hohem Stress
keinen nennenswerten Einfluss auf die Leistung!
3.2. Stressmodelle
3.2.1. Reizorientierte Stressmodelle
Reizorientierte Stressmodelle basieren auf dem klassischen S-R-Modell; der Fokus
liegt dabei auf den Reizen, die Stress auslösen (=Stressoren, Belastungsfaktoren);
anhand ihrer wird versucht, das Konstrukt „Stress“ näher zu bestimmen.
Stress wird somit vorwiegend als unabhängige Variable bzw. im Sinne von
„Belastung“ verstanden.
Forschung: Es werden verschiedene Stressoren auf ihre Wirkung hin untersucht mit
dem Ziel, von der Art der Stressoren auf die psychische Belastung der Betroffenen
schließen zu können.
Stressoren bzw. Belastungsfaktoren können sowohl bestimmte Umwelteinflüsse
(Lärm etc.) als auch kritische Lebensereignisse (z.B. Scheidung,
Arbeitsplatzwechsel etc.) sein.
Ausgewählte Ergebnisse:
Holmes & Rahe untersuchten den Stresswert (1-100) verschiedener
Lebensereignisse; den höchsten Stresswert (100) hat nach ihrer Untersuchung
der Tod des Ehepartners, recht weit oben steht auch „Heirat“ (50); einen eher
27
geringen Stresswert haben dagegen z.B. geringfügige Gesetzesübertretungen
(11) oder Weihnachten (12)
Forsa Studie der DAK zu beruflichen Belastungsfaktoren bei Angestellten,
Beamten und Selbständigen:
- Die in allen Gruppen am häufigsten beklagten Belastungsfaktoren sind
Zeit- bzw. Termindruck (45%), und zu viel Arbeit (35%); der insgesamt
am wenigsten verbreitete Belastungsfaktor ist Unterforderung am
Arbeitsplatz (12%);
- Probleme mit Kollegen kommen bei Beamten (31%) deutlich häufiger vor
als in den beiden andern Gruppen; dafür haben sie selten Angst vor dem
Verlust des Arbeitsplatzes (3%). Probleme mit Vorgesetzten sind bei
Selbständigen selten (7%)
Kritik am reizorientierten Ansatz:
Die subjektive Wahrnehmung und Bewertung von Stressoren bleibt
unberücksichtigt!
Der Tatsache, dass Stressreaktionen interindividuell verschieden sind, wird zu
wenig Gewicht beigemessen!
Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Stressoren bleiben unberücksichtigt!
Die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Stressoren (z.B. Heirat und Tod des
Ehepartners) ist fraglich!
Rückkopplungsprozesse (Coping etc.) und sich verändernde Stressoren bleiben
unberücksichtigt!
3.2.2. Reaktionsorientierte Stressmodelle (Selye)
Reaktionsorientierte Stressmodelle gehen genau umgekehrt vor, indem sie versuchen,
Stress, unabhängig vom jeweiligen Auslöser, über die Reaktionen des Organismus
zu bestimmen.
„Stress“ wird hier also vorwiegend als abhängige Variable bzw. im Sinne von
„Beanspruchung“ verstanden!
Der Vater des reaktionsorientierten Ansatzes (und der Stressforschung insgesamt) ist
Hans Selye. Er geht davon aus, dass der Organismus auf alle Stressoren in gleicher
Weise reagiert, nämlich mit dem „Allgemeinen Adaptionssyndrom“. Es handelt sich
dabei um eine unspezifische Reaktion, die dazu dient, den Organismus an die
Anforderungen einer Stresssituation anzupassen.
Das Allgemeine Adaptionssyndrom umfasst nach Selye 3 Stadien:
1) Die Alarmreaktion: besteht aus Schock (=Störung des Gleichgewichts:
verminderter Blutdruck, geringere Muskelkraft etc.) und Gegenschock
(Wiederherstellung des Gleichgewichts durch Aktivierung des Sympathikus,
Freisetzung von Adrenalin usw.)
2) Widerstand: In der Phase des Widerstands pendelt sich das physiologische
Gleichgewicht auf einem anderen Niveau wieder ein. Dadurch ist die Resistenz
gegenüber dem auslösenden Stressor zwar über längere Zeit erhöht;
gleichzeitig aber der Widerstand gegenüber anderen Stressoren herabgesetzt
(Schwächung des Immunsystems)
3) Erschöpfung: tritt ein, wenn der Stress so lange anhält, bis der Widerstand
(erhöhte Hormonausschüttung usw.) nicht mehr aufrecht erhalten werden
kann!
Körperliche Reaktionen bei Stress:
Nebennieren schütten Adrenalin aus, das u.a. für eine Erhöhung des
Blutdrucks, eine Steigerung der Herzfrequenz und eine Erhöhung des
Blutzuckers führt!
28
Blutgefäße in Haut, Skelettmuskeln, Gehirn und viszeralem System ziehen sich
zusammen!
Blutgefäße in den äußeren Genitalien erweitern sich!
Erhöhte Schweißabsonderung!
Erweiterung der Pupillen und Entspannung der Ziliarmuskeln, um Weitsicht zu
ermöglichen.
Verringerung der Verdauungsaktivität
Anspannung der Schließmuskeln!
Kritik am reaktionsorientierten Ansatz:
Rein biologischer Ansatz; kognitive bzw. psychische Verarbeitungsprozesse
bleiben dementsprechend unberücksichtigt – mit der Folge, dass das Konzept
wenig Ansatzpunkte für Präventionsmaßnahmen gibt!
Sofern das AAS als unspezifische Reaktion verstanden wird, bleiben
interindividuelle Unterschiede in der Stressreaktion unberücksichtigt!
Prozess der Stressauslösung wird nicht eindeutig spezifiziert!
Reaktionsmaße häufig nicht oder nur wenig korreliert!
Reaktionsmaße unterliegen komplexer Dynamik!
Belastungen werden ausschließlich negativ definiert!
3.2.3. Transaktionales Stressmodell (Lazarus)
Das transaktionale Stressmodell von Lazarus ist ein kognitives Modell: Es betrachtet
die Entstehung von Stress als einen komplexen Interaktions- bzw.
Transaktionsprozess zwischen Situation und Individuum.
Ob bei einer Person Stress entsteht oder nicht, hängt laut Modell nämlich davon
ab, wie die betreffende Person die Situation bewertet und welche
Bewältigungsmöglichkeiten ihr zur Verfügung stehen.
Die Beurteilung einer Situation hängt dabei nach Lazarus von 3
Bewertungsprozessen („Appraisals“) ab:
1) „Primary Appraisal“: Im ersten Schritt wird eine Anforderungssituation danach
beurteilt, ob sie günstig, irrelevant oder bedrohlich („stressful“) für einen ist.
Als „stressful“ werden Situationen wahrgenommen, die a) eine Bedrohung
darstellen, b) einen Verlust oder eine Schädigung mit sich bringen können oder
c) eine Herausforderung sind.
2) „Secondary Appraisal“: Wird die Situation als bedrohlich eingestuft, folgt eine
Einschätzung der eigenen Bewältigungsressourcen („Coping Resources“) und
–möglichkeiten („Coping options“).
Coping-Ressourcen können sowohl Merkmale der Situation als auch
Merkmale der Person sein. Bei ersteren spricht man von situationsbezogenen
(externen) Ressourcen, bei letzteren von personenbezogenen (internen)
Ressourcen.
a) Situationsbezogene Ressourcen sind z.B.: Handlungsspielraum
(Kontrollmöglichkeiten); soziale Unterstützung (direkte oder indirekte
Hilfe durch Kollegen, Partner etc.); Arbeitsplatzbedingungen (zur
Verfügung stehende Zeit; finanzielle Mittel; Beleuchtung etc.)…
b) Personenbezogene Ressourcen sind z.B.: Gesundheit; soziale Fertigkeiten;
berufliche Qualifikation; Selbstvertrauen, Optimismus
Unter Coping-Optionen versteht man Möglichkeiten, mit einer
Anforderungssituation umzugehen. Unterschieden werden kann dabei
zwischen problembezogenen (=instrumentellen) und emotionsbezogenen
(=palliativen) Bewältigungsstrategien bzw. Coping-Stilen.
29
a) Problembezogene Coping-Strategien: zeichnen sich dadurch aus, dass die
Bedrohung bzw. das Problem aktiv angegangen wird.
- Z.B.: Ändern der Arbeitsstrategie; Erwerb neuer Kompetenzen; offenes
Aussprechen und Austragen von Konflikten etc.
b) Emotionsbezogene Coping-Strategien: dienen weniger der
Problembewältigung als vielmehr der Emotionsregulation; sie vermögen
zwar kurzfristig Entlastung zu bringen, sind aber langfristig eher
dysfunktional!
- Z.B.: Entspannung; Ablenkung; Bagatellisierung; Einnahme von
Psychopharmaka, Alkohol- und Nikotinkonsum etc.
3) „Reappraisal“: Abschließend wird geprüft, ob das Coping erfolgreich war und
die Anforderungssituation bewältigt wurde oder nicht! Ist letzteres der Fall,
reagiert die Person mit Stress und die 3 Bewertungsschritte werden von Neuem
durchlaufen.
Coping-Strategien bringen immer auch Kosten mit sich! Das gilt v.a. für
emotionsbezogene Coping-Strategien (s.o.), die zwar kurzfristig wirksam-, langfristig
aber meist dysfunktional sind!
Beispiel: Studenten, die dazu tendieren, Dinge eher aufzuschieben, haben zwar zu
Beginn des Semesters weniger Stress als Nichtaufschieber, dafür aber am Ende des
Semesters bedeutend mehr!
3.2.4. Handlungstheoretischer Ansatz (Hacker)
Die Handlungstheorie beschreibt menschliche Tätigkeit nicht als reaktives Verhalten
(S-R-Modelle), sondern betont deren Zielgerichtetheit.
Die Grundlage der Handlungstheorie bildet das sog. TOTE-Modell (s.o.), das,
sofern es kognitive Aspekte berücksichtigt, eine Erweiterung und Alternative zum
klassischen S-R-Modell darstellt.
Nach Hacker sind Handlungen hierarchisch-sequentiell organisiert.
Sequentielle Struktur: Eine vollständige Handlung setzt ein Ziel voraus.
Ausgehend von diesem Ziel wird ein Plan entworfen. Nach der Ausführung des
Plans wird kontrolliert, ob das Ziel erreicht wurde; ist dem nicht so, beginnt der
Regelkreis von Neuem!
Ziel (das Auto soll wieder fahren)
Plan (die Reifen müssen gewechselt werden)
- Handlungspläne sind hierarchisch strukturiert (s.u.): Um die Reifen zu
wechseln, muss zunächst das Werkzeug bereit gelegt werden, dazu muss
zunächst der Kofferraum geöffnet werden usw.
Ausführung des Plans
Kontrolle der Zielerreichung
Hierarchische Struktur: Eine vollständige Handlung umfasst mehrere Unter-
und Teilziele, denen wiederum bestimmte Handlungen entsprechen; dabei gilt,
dass die Ziele und Operationen auf einer untergeordneten Ebene durch die jeweils
übergeordnete Ebene generiert, organisiert und gesteuert werden.
Beispiel (s.o.): Um die Reifen zu wechseln, muss zunächst das Werkzeug
bereitgestellt werden (1. Unterziel), dazu muss der Kofferraum geöffnet und
das Werkzeug herausgeholt werden (Unterziel 2) usw.
Darüber hinaus geht Hacker davon aus, dass die Handlungsregulation auf qualitativ
verschiedenen Niveaus erfolgt (3 Regulationsebenen).
1) Auf der sensumotorische Regulationsebene (bewusstseinsfern): werden
Bewegungsroutinen organisiert.
Z.B. das Öffnen des Kofferraums, das Tippen von Buchstaben etc.
30
2) Auf der perzeptiv-begrifflichen Ebene (bewusstseinsfähig): sind
Wahrnehmungs- und Wissensschemata angesiedelt, anhand derer bekannte
Situationen klassifiziert und beurteilt und entsprechende Handlungsschemata
initiiert werden.
Z.B.: Wenn der Reifen platzt, muss er gewechselt werden, wobei so und so
vorzugehen ist (Handlungschema); bei Rot muss der Wagen angehalten
werden usw.
3) Auf der intellektuellen Ebene (bewusstseinspflichtig): sind komplexere Prozesse
angesiedelt, die eine aktive Zuwendung der Aufmerksamkeit erfordern; dazu
zählen z.B. die Analyse von Anforderungssituationen, die Repräsentation
übergeordneter Ziele, der Entwurf von Problemlösungen, das Treffen von
Entscheidungen (bei verschiedenen Handlungsalternativen), Innovationen etc.
Belastungen bei Arbeitstätigkeiten werden von der Handlungstheorie auf folgende
Ursachen zurückgeführt:
Störungen der Handlungsregulation durch…
1) Regulations-Hindernisse: z.B. Unterbrechungen während der Arbeit oder
Behinderungen des Arbeitsprozesses (z.B. durch fehlende Infos, unzureichende
Mittel etc.) usw.
2) Regulations-Unsicherheit: z.B. Unklarheit über die Mittel zur Zielerreichung,
Fehlen von Feedback, Rollenkonflikte und -ambiguität usw.
3) Regulations-Überforderung: z.B. Zeitdruck, zu hohe Komplexität der
Aufgabe, Überlastung des Arbeitsgedächtnisses usw.
„Unvollständigkeit“ bzw. Fragmentierung von Arbeitshandlungen (=
mangelnder Handlungsspielraum).
Handlungsspielraum: Ziele können auf unterschiedliche Weise erreicht
werden; der Handlungsspielraum ist die Summe der sich daraus ergebenden
Freiheitsgrade; man versteht darunter die Möglichkeit, eine Situation zu
kontrollieren und gemäß der eigenen Interessen zu beeinflussen (Wahl des
Verfahrens, die Wahl der Arbeitsmittel, zeitliche Organisation etc.)
Schlussfolgerung: Um Belastungen zu vermeiden, sollte auf eine
„ganzheitliche“ bzw. „vollständige“ Aufgabengestaltung geachtet werden, d.h.
den Mitarbeitern sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich selbständig Ziele
zu setzen, ihnen sollte ein hinreichender Handlungsspielraum gewährt werden
und sie sollten Feedback erhalten!
31
3.2.5. Job Demand-Control-Modell (Karasek)
Nach dem Job Demand-Control- bzw. Anforderungs-Kontroll-Modell von Karasek
hängt arbeitsbedingter Stress von 2 Faktoren ab: den Anforderungen einer
Arbeitsaufgabe und der Ausmaß der Autonomie bei der Erledigung dieser Aufgabe
(=Entscheidungs- bzw. Handlungsspielraum).
Zusammenhänge:
Eine Erweiterung des Job Demand-Control-Modells ist das Job Demand-Control-
Support-Modell; letzteres berücksichtigt neben der Arbeitsautonomie und den
Arbeitsanforderungen auch das Ausmaß an sozialer Unterstützung.
Die höchste Belastung ergibt sich danach aus hohen Anforderungen, geringer
Autonomie und geringer sozialer Unterstützung!
Bezüglich des Zusammenhangs der verschiedenen Faktoren, lassen sich 2 Hypothesen
unterscheiden.
1) Die sog. „Pufferhypothese“: geht von einem multiplikativen Zusammenhang
aus.
Anforderungs-Kontroll-Modell: Der Zusammenhang zwischen den
Anforderungen und der Stressreaktion wird durch den Faktor der Autonomie
beeinflusst; mangelnde Autonomie wirkt somit nur dann stressinduzierend,
wenn zugleich hohe Anforderungen vorliegen.
Anforderungs-Kontroll-Unterstützungs-Modell: Der Zusammenhang zwischen
Anforderungen und Stressreaktion wird durch die Faktoren Autonomie und
soziale Unterstützung beeinflusst.
2) Die „Stresshypothese“: geht von einem additiven Zusammenhang zw. den
Faktoren aus, deren stressinduzierende Wirkung somit unabhängig voneinander
ist.
Anforderungs-Kontroll-Modell: Mangelnde Autonomie wirkt unabhängig von
den Anforderungen stressinduzierend.
Anforderungs-Kontroll-Unterstützungsmodell: Mangelnde Autonomie und
Unterstützung wirken unabhängig von den Anforderungen stressinduzierend.
Die höchste Belastung („high strain“)
resultiert aus hohen Anforderungen und
niedriger Autonomie – die geringste
Belastung ist bei hoher Autonomie und
geringen Anforderungen zu beobachten.
Tatsächlich zeigen Leute, deren
Arbeitsanforderungen hoch sind und
deren Autonomie gering ist, die
meisten Beanspruchungssymptome!
32
3.3. Sonstiges
3.3.1. Verschiedene Stressoren
Belastungen, die auf die Arbeitsaufgabe selbst zurückzuführen sind:
Unterforderung Überforderung
Qualitativ Monotonie
(wenig Abwechslung;
Nicht-Nutzung von Fähig-
keiten)
Unklarheit der An-
forderungen;
zu komplexe An-
forderungen
Quantitativ Langeweile Zeitdruck; Akkordlohn
Anmerkung: In den Folien wird Monotonie als quantitative- und Langeweile als
qualitative Unterforderung bezeichnet – diese Zuordnung ist jedoch vor dem
Hintergrund der Begriffsdefinitionen (s.o.) unlogisch!
Sonstige Stressoren:
3.3.2. Interventionsmöglichkeiten
Interventionsmaßnahmen zur Reduktion von arbeitsbedingtem Stress setzen auf
unterschiedlichen Ebenen an. Grundsätzlich wird dabei zwischen verhältnis- und
verhaltensbezogenen Maßnahmen unterschieden; erstere zielen auf eine
Veränderung der Arbeitsbedingungen (Ebene des Betriebs), letztere auf einen
besseren Umgang mit Stress (Ebene des Individuums)!
Verhältnisbezogenen Maßnahmen geht es um eine bessere Arbeitsgestaltung; sie
setzen dabei entweder an den objektiven Stressoren oder den externen Ressourcen
an; erstere gilt es, zu reduzieren, letztere zu gilt es, auszubauen.
Abbau von Stressoren: z.B. durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen
(Lärmschutz, Pausen usw.), job enlargement, job rotation etc.
Aufbau externer Ressourcen (Handlungsspielraum, Unterstützung usw.): z.B.
durch job enrichment oder teilautonome Arbeitsgruppen etc.
33
Verhaltensbezogene Maßnahmen setzen auf der Ebene des einzelnen
Mitarbeiters an; ihr Ziel ist, einen besseren Umgang mit Stress sowie
gesundheitszuträgliches Verhalten zu fördern.
Vermeidung von Stresssituationen: Trainings zum Zeitmanagement,
Kommunikations- und Konflikttrainings etc.
Aufbau interner Ressourcen für einen besseren Umgang mit Stress: kognitiv-
verhaltenstherapeutische Verfahren (Stressimpfungstraining,
Selbstsicherheitstraining etc.); Verfahren zur Spannungsreduktion (z.B.
progressive Muskelrelaxation, autogenes Training); Mediationstrainings usw.
Vermeidung dysfunktionaler Coping-Strategien: Alkoholpräventions-
programme, Antiraucherprogramme; Ernährungsprogramme; Sport,
Gymnastik, Rückenschule etc.
Das Stressimpfungstraining nach Meichenbaum: basiert auf dem transaktionalen
Stressmodell von Lazarus und zielt darauf ab, die Widerstandsfähigkeit gegenüber
Stress zu steigern. Zu diesem Zweck wird auf Techniken der kognitiven
Verhaltenstherapie zurückgegriffen.
Das Training umfasst 3 Stufen bzw. Phasen:
1) Informationsphase: Vermittlung des transaktionalen Stressmodells und
individuelle Problemanalyse anhand von Selbstbeobachtungsbögen, Interviews
und Fragebögen
2) Lern- und Übungsphase: Einübung effektiver und neuer
Bewältigungsstrategien
- Erkennen kognitiver Fehler und irrationaler Denkmuster
- Entspannungstechniken (z.B. PMR)
- Relativieren von Stresssituationen durch sozialen Vergleich
- Selbstinstruktionstraining zur Emotionskontrolle („Ich bleibe ruhig und
bewahre einen kühlen Kopf!“)
3) Anwendungsphase: Transfer des gelernten auf relevante Alltagssituationen,
durch Vorstellungsübungen, Rollenspiele und In-vivo-Expositionen
34
4.1. Allgemeines
4.1.1. Begriffsklärung
Unterschieden werden muss zwischen dem Anreiz einer Situation, den überdauernden
Motiven einer Person und deren situationsspezifischer Motivation.
Motive: sind individuell verschiedene Wertungsdispositionen bzw. Beweggründe
des Handelns.
Wichtige Motive sind z.B.: das Leistungsmotiv, das Machtmotiv und das
Anschlussmotiv; sie sind bei den verschiedenen Menschen unterschiedlich
ausgeprägt.
Anreize: sind Merkmale einer Situation, durch die Motive angeregt werden
können.
Eine Leistungssituation hat beispielsweise einen hohen Anreiz für Personen
mit hohem Leistungsmotiv. Je nachdem, ob die Person eher erfolgs- oder eher
misserfolgsorientiert ist, wirkt der Anreiz dabei entweder positiv (=>
Annäherung) oder negativ (=> Vermeidung)
Motivation: ist die momentane Ausrichtung auf ein Handlungsziel; sie hängt ab
von individuellen Merkmalen der Person, den Motiven der Person und den
Merkmalen bzw. Anreizen der jeweiligen Situation.
Definition von „Arbeitsmotivation“ (nach Donovan): „A set of energetic forces that
originates both within and beyond the individual’s being to initiate work-related
behavior, and to determine its form, direction, intensity and duration.”
4.1.2. Die wichtigsten Theorien zur Arbeitsmotivation
Bezüglich der Arbeitsmotivation muss zwischen inhaltsorientierten und
prozessorientierten Modellen bzw. Theorien unterschieden werden.
Inhaltsorientierte Modelle fragen nach den Motiven, die menschlichem
Arbeitsverhalten zugrundeliegen: „Warum?!“
Maslows Bedürfnispyramide
Higgins Unterscheidung zwischen Annäherungs- und Vermeidungsmotivation
McClellands Motivtheorie
Das Job Charcteristics Model von Hackman & Oldham
Prozessorientierte Modelle fragen nach den psychologischen Prozessen, die der
Ausführung von Handlungen zugrundeliegen: „Wie?“
Wert-Erwartungs-Modelle
Zielsetzungstheorie
Selbstbestimmungstheorie
Equity Theory
Bewertung:
Prozessorientierte Modelle haben mehrere Vorteile:
1) Sind sie näher am tatsächlichen Verhalten dran!
2) Können sie erklären, warum sich ein starkes Motiv manchmal nicht durchsetzt!
3) Wirken sie der beobachtbaren Tendenz entgegen, für alles ein Motiv zu
„erfinden“ (Sicherheitsbedürfnis usw. usw.)
ABER: Das Konstrukt der „Valenz“, das in prozessorientierten Modellen eine
zentrale Rolle spielt, ist letztlich nur inhaltlich zu bestimmen!
4. Arbeitsmotivation
35
4.2. Inhaltsorientierte Modelle
4.2.1. Maslows Bedürfnispyramide (40er, 50er Jahre)
Maslows Bedürfnispyramide besteht aus 5 hierarchisch angeordneten Stufen, denen
jeweils spezifische Bedürfnisse entsprechen.
1) Auf der untersten Ebene sind physiologische Bedürfnisse wie Nahrung, Schlaf
und Sexualität angesiedelt; ihre Befriedigung ist Voraussetzung für körperliches
Wohlbefinden.
2) Die zweite Stufe bildet das Bedürfnis nach Sicherheit; dazu zählen beispielsweise
das Bedürfnis nach Recht und Ordnung und das Bedürfnis nach einem gesicherten
Einkommen.
3) Auf der dritten Stufe sind soziale Bedürfnisse angesiedelt, also z.B. die
Bedürfnisse nach Geselligkeit, Partnerschaft, Liebe und Kommunikation.
4) Die vierte Stufe bilden Individualbedürfnisse. Maslow versteht darunter v.a. das
Bedürfnis nach Achtung und Anerkennung; letzteres äußert sich z.B. im Streben
nach Wohlstand, Macht und Wertschätzung.
5) Die höchste Stufe ist das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung: es äußert sich
z.B. in dem Streben nach Wissen, Güte oder Individualität.
Nach Maslow werden Bedürfnisse höherer Ordnung erst dann wirksam, wenn die
darunterliegenden Bedürfnisse hinreichend gestillt sind. Darüber hinaus unterscheidet
er zwischen Defizit- und Wachstumsbedürfnissen.
Zu den Defizitbedürfnissen gehören die Bedürfnisse der 3 unteren Stufen: also
das Bedürfnis nach körperlichem Wohlbefinden, nach Sicherheit und nach
Sozialkontakt! Ihre Befriedigung ist eine notwendige Voraussetzung für ein
zufriedenes Leben!
Zu den Wachstumsbedürfnissen zählt Maslow das Bedürfnis nach Anerkennung
und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Kennzeichnend für
Wachstumsbedürfnisse ist, dass sie im Gegensatz zu Wachstumsbedürfnissen
unstillbar sind!
4.2.2. Prevention- vs. Promotion Focus (Higgins)
Higgins unterscheidet zwischen 2 regulatorischen Foki: dem Prevention Fokus
(=Annäherung) und dem Promotion Fokus (=Vermeidung).
Der Prevention Fokus ist auf die Vermeidung von Fehlern und Misserfolgen
gerichtet und dementsprechend risikoavers; von ihm betroffene Personen gehen
also ungern Risiken ein und neigen zu Vermeidungsverhalten.
Der Promotion Fokus ist dagegen auf das Erreichen positiv bestimmter Ziele
gerichtet und dementsprechend risikoaffin; d.h.: von ihm betroffene Personen
nehmen Risiken bewusst in Kauf und neigen zu Annäherungsverhalten.
Higgins Unterscheidung zwischen Prevention- und Promotion Fokus weist zahlreiche
Parallelen zum Konzept der Erfolgs- und Misserfolgsorientierung auf.
36
4.2.3. Motivtheorie von McClelland (60er Jahre)
McClelland unterscheidet 3 Grundmotive:
1) das Leistungsmotiv
2) das Machtmotiv und
3) das Anschlussmotiv
Diese Motive sind nach McClelland zwar evolutionsbiologisch bedingt und insofern
universell, ihre spezifische Ausprägung ist ihm zufolge jedoch v.a. auf die individuelle
Lerngeschichte einer Person zurückzuführen.
Bewertung: McClellands Modell erlaubt es, in Abhängigkeit von
Motivkonstellationen spezifische Vorhersagen für den Arbeitskontext zu treffen, die
sich empirisch gut bewährt haben!
So konnte z.B. gezeigt werden, dass erfolgreiche Top-Manager durch ein hohes
sozialisiertes Machtmotiv und ein geringes Anschlussmotiv gekennzeichnet sind!
4.2.4. Job-Characteristics Modell von Hackman & Oldham (70er Jahre)
Das Job-Characteristics-Modell von Hackman & Oldham versucht aufzuzeigen, von
welchen Merkmalen einer Arbeitstätigkeit das psychische Befinden und
Arbeitsverhalten derer abhängt, die die betreffende Tätigkeit ausführen.
Unterschieden wird dementsprechend zwischen Merkmalen der Arbeit, den
psychischen Zuständen der Arbeitenden und den Konsequenzen, die sich aus
beidem für die Arbeit ergeben.
Damit Arbeit zufrieden macht und intrinsisch motiviert ist, müssen nach
Hackman und Oldham 3 psychologische Grundbedingungen erfüllt sein:
1) Die Tätigkeit muss als bedeutsam bzw. sinnvoll erlebt werden.
2) Die Arbeitenden müssen sich für die Ergebnisse ihrer Tätigkeit
verantwortlich fühlen.
3) Die Arbeitenden müssen die Resultate ihrer Tätigkeit kennen und deren
Qualität einschätzen können.
Diese psychologischen Grundbedingungen sind ihrerseits von folgenden
Aufgabenmerkmalen abhängig:
1) Die erlebte Sinnhaftigkeit einer Arbeit hängt von deren Variabilität,
Ganzheitlichkeit und Bedeutsamkeit ab, wobei diese drei Faktoren in einem
kompensatorischen Verhältnis zueinander stehen.
37
2) Ob man sich für eine Arbeitstätigkeit verantwortlich fühlt, hängt davon ab,
wie autonom man bei ihrer Ausführung ist. (s.o.: Handlungsspielraum)
3) Die Kenntnis der Arbeitsresultate hängt davon ab, wie direkt und umfassend
das Feedback ist, das man während und nach der Arbeit erhält.
Die wichtigsten Konsequenzen, die sich aus den genannten Zusammenhängen für
die Arbeit ergeben, sind eine hohe Arbeitszufriedenheit und eine hohe
intrinsische Motivation. Hinzu kommt, dass sich die Qualität der Arbeitsleistung
verbessert, eine geringere Fluktuation (Arbeitsplatzwechsel) stattfindet und der
Absentismus weniger wird.
Wie stark der durch die psychischen Grundbedingungen vermittelte
Zusammenhang zwischen den Arbeitsmerkmalen und den genannten
Konsequenzen ist, hängt von dem Bedürfnis nach persönlicher Entfaltung ab
(=Moderatorvariable).
Je stärker dieses ausgeprägt ist, desto wahrscheinlicher führen die
Aufgabenmerkmale zu den psychischen Zuständen und die Zustände zu den
Folgen.
Das Motivationspotenzial lässt sich auf Basis des Job-Characteristics-Modells
wie folgt berechnen:
Kritische Würdigung des JC-Modells:
Empirische Befunde:
Da die multiplikative Verknüpfung der Faktoren Verhältnisskalenniveau
voraussetzt, lässt sich das JC-Modell nur schwer prüfen.
Wird von einer additiven Verknüpfung der UVs ausgegangen, zeigen sich
meist höhere Korrelationen mit den Kriterien!
- Bei additiver Verknüpfung der Faktoren zeigt sich durchweg ein hoher
Zusammenhang mit der Arbeitszufriedenheit: r = .74 (allerdings liegt hier
möglicherweise eine Überschätzung aufgrund des „common method bias“
vor)
- Die gefundenen Zusammenhänge mit anderen Kriterien, wie der Leistung
(r =.27) fallen unterschiedlich aus.
- 80 % der Längsschnittstudien zeigen eine Steigerung der
Arbeitszufriedenheit, rund 60% eine Steigerung der Leistung!
Die intrinsische Motivation als zentrales Kriterium wurde nur selten erhoben!
Die vermittelnde Wirkung der kritischen psychologischen Zustände ist
empirisch nicht eindeutig belegt!
Die postulierte Kausalrichtung bedarf einer genaueren Überprüfung!
Vorteile:
Das JC-Modell ist eine nützliche Heuristik für die Arbeitsanalyse und
–gestaltung!
Das JC-Modell liefert eine theoretische Grundlage für zahlreiche
Interventionsmaßnahmen: z.B. Job enrichment, Job enlargement, Job
rotation, Gruppenarbeit oder partizipatives Management
Motivationspotenzial = 𝑉𝑎𝑟𝑖𝑎𝑏𝑖𝑙𝑖𝑡 ä𝑡×𝐺𝑎𝑛𝑧 ℎ𝑒𝑖𝑡𝑙𝑖𝑐 ℎ𝑘𝑒𝑖𝑡×𝐵𝑒𝑑𝑒𝑢𝑡𝑠𝑎𝑚𝑘𝑒𝑖𝑡
3 × Autonomie × Feedback
38
4.3. Prozessorientierte Modelle
4.3.1. Die VIE-Theorie von Victor Vroom (60er Jahre)
Vrooms VIE-Theorie ist eine Motivationstheorie, sie versucht sowohl die Wahl von
Handlungszielen (Intentionsbildung) als auch die damit einhergehende Motivation
und Anstrengungsbereitschaft zu erklären.
Dabei geht sie davon aus, dass diese Wahl von 3 Faktoren abhängt:
1) Der Erwartung bzw. Wahrscheinlichkeit, das betreffende Ziel zu erreichen.
2) Den Instrumentalitäten des Ziels, womit die positiven und negativen Folgen
gemeint sind, die sich aus einer Zielerreichung ergeben
3) Den Valenzen bzw. subjektiven Gewichtungen dieser Folgen!
Die VIE (=Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungs)-Theorie ist somit eine Erweiterung
der klassischen Erwartungs-Wert-Theorien. Die entscheidende Neuerung besteht
darin, dass zwischen dem direkten Handlungsergebnis (Ergebnis erster Ordnung)
und dessen Folgen (Ergebnissen zweiter Ordnung) unterschieden wird, wobei der
Zusammenhang zwischen beidem als „Instrumentalität“ bezeichnet wird und positiv
bzw. negativ sein kann.
Der Unterscheidung zwischen Ergebnissen erster und zweiter Ordnung entspricht
die Unterscheidung zwischen Valenzen erster und zweiter Ordnung: Die Valenz
erster Ordnung bezieht sich dabei auf das direkte Handlungsergebnis, die Valenzen
zweiter Ordnung auf dessen Folgen.
Dabei gilt, dass sich die Valenz erster Ordnung aus der Summe der Produkte
der Valenzen zweiter Ordnung und den zugehörigen Instrumentalitäten
ergeben! V = Valenz des Handlungsziels (Valenz erster Ordnung)
Ii = Instrumentalität der Folge i
V`i = Valenz (=Gewicht) der Folge i
Die Motivation bzw. Handlungsintention für ein bestimmtes Ziel ergibt sich
aus dem Produkt der Erwartung und der Valenz erster Ordnung.
Graphische Veranschaulichung:
Beispiel: Eine Beförderung (Ergebnis erster Ordnung) bringt unterschiedliche
Folgen mit sich: einerseits ist sie mit einem höheren Gehalt und einem besseren
Status verknüpft, andererseits mit weniger Freizeit und mehr Stress. Je nachdem
wie diese Folgen im Einzelnen gewichtet werden (Valenzen zweiter Ordnung),
wird die Beförderung als erstrebenswertes oder weniger erstrebenswertes Ziel
betrachtet (Valenz erster Ordnung); wird die so ermittelte Valenz der Beförderung
mit der Wahrscheinlichkeit multipliziert, die Beförderung auch zu erreichen, erhält
man ein Maß für die Motivation bzw. Handlungsintention.
V = (𝐼𝑘𝑖=1 i × V`i)
39
Kritische Würdigung der VIE-Theorie:
Die mathematische Formulierung des Modells ermöglicht eine präzise empirische
Überprüfung – ABER: Die Theorieüberprüfung ist methodisch äußerst
anspruchsvoll (Verhältnisskalen wegen multiplikativer Verknüpfung, Within
Subject-Designs aufgrund individueller Unterschiede in den Valenzen etc.)!
Eine multiplikative Verknüpfung der Faktoren führt nicht immer zur besten
Vorhersage, die Annahme eines additiven oder nichtlinearen multiplikativen
Zusammenhangs ist also oft besser!
Eine Metaanalyse ergibt folgende Zusammenhänge:
- Verhaltensintention: r = .34
- Anstrengung: r = .23
- Leistung: r = .19
Bei korrekter Operationalisierung (within-subject-design) sind die
metaanalytisch ermittelten Zusammenhänge jedoch höher:
- Anstrengung: r = .59
- Verhaltensintention: r = .49
Das zugrundeliegende Menschenbild (= „homo oeconomicus“), das den
Menschen als ein rational kalkulierendes und ausschließlich auf den eigenen
Vorteil bedachtes Wesen beschreibt, ist fragwürdig!
4.3.2. Die Zielsetzungstheorie von Locke & Latham (90er Jahre)
Die Zielsetzungstheorie von Locke & Latham befasst sich mit der Frage, wie Ziele die
Leistung beeinflussen und durch welche Faktoren der Zusammenhang zwischen
beidem vermittelt und moderiert wird.
Während der Auswahl von Handlungszielen (VIE-Theorie) motivationale Prozesse
zugrunde liegen, basiert deren Umsetzung auf volitionalen (=willentlichen)
Prozessen!
Locke und Latham gehen von folgenden 2 Hypothesen aus:
1) Schwierige, herausfordernde Ziele führen zu besseren Leistungen als mittlere
oder leicht zu erreichende Ziele!
„Schwierigkeit“ meint dabei, dass die geforderte Leistung in realistischem
Maß über den bisher gezeigten Leistungen in vergleichbaren Aufgaben liegen
sollte.
2) Präzise, spezifische Ziele führen zu besseren Leistungen als allgemeine, vage
Ziele (im Sinne von „Geben Sie Ihr Bestes!“)
Der Zusammenhang zwischen herausfordernden, spezifischen Zielen und der Leistung
wird dabei über verschiedene Mediatoren bzw. Wirkmechanismen vermittelt, deren
Wirkung ihrerseits durch moderierende Größen beeinflusst wird.
Die Mediatoren bzw. Wirkmechanismen:
1. Aufmerksamkeit (=> Handlungsrichtung): Durch herausfordernde, spezifi-
sche Ziele wird die Aufmerksamkeit auf Informationen ausgerichtet, die für die
Zielerreichung relevant sind, während irrelevante Infos ausgeblendet werden.
2. Ausdauer (=> Handlungsdauer): Herausfordernde, spezifische Ziele erhöhen
die Ausdauer!
3. Anstrengung (=> Handlungsintensität): Herausfordernde, spezifische Ziele
führen zu mehr Anstrengung!
4. Aufgabenspezifische Strategien: Für weniger komplexe Aufgaben liegen
meist schon Handlungsstrategien und Pläne vor, für komplexe Aufgaben
müssen diese dagegen meist erst entwickelt werden. Der damit verbundene
Zeitaufwand erklärt, warum in solchen Fällen herausfordernde Ziele keine
größere Leistung bewirken.
40
Die Moderatoren: bestimmen, wie eng der Zusammenhang zwischen Zielen und
Leistung ist.
1. Akzeptanz/Zielbindung: Je stärker sich Mitarbeiter an ihre Ziele gebunden
fühlen, desto enger ist der Zusammenhang zwischen Zielen und Leistung.
- Erreicht werden kann eine hohe Zielbindung z.B. durch Partizipation!
2. Selbstwirksamkeit: Je höher die Selbstwirksamkeit ist, desto stärker der
Zusammenhang!
3. Feedback: Rückmeldung in Bezug auf die Zielerreichung verstärkt den
Zusammenhang zwischen Zielen und Leistung!
4. Aufgabenkomplexität: Je höher die Komplexität, desto schwächer der
Zusammenhang zwischen Zielen und Leistung. Schließlich hängt die Leistung
bei komplexen Aufgaben nicht nur vom Willen, sondern auch von der Qualität
der Pläne und Strategien ab (s.o.).
Graphische Veranschaulichung:
Die SMART-Formel von Rubin ist eine Art Erweiterung der Zielsetzungstheorie: Ihr
zufolge ist die Leistung dann am besten, wenn Ziele…
Specific
Measurable
Attainable
Relevant
Time-bound …sind!
Kritische Würdigung:
Die Zielsetzungstheorie ist empirisch gut bestätigt – und zwar sowohl in Labor- als
auch in Feldstudien!
Eine Feldstudie mit Lkw-Fahrern zeigte z.B., dass diese ihre Lkws bei
herausfordernder und spezifischer Zielsetzung mit rund 90% des zulässigen
Ladegewichts wesentlich effizienter beladen als bei unspezifischer Zielsetzung
(„Do your best!“), bei der lediglich 60% des Maximalgewichts eingeladen
wurden.
Der große Vorteil der Zielsetzungstheorie besteht in ihrer praktischen
Anwendbarkeit: Schließlich lässt sich aus ihr eine Vielzahl von
Handlungsempfehlungen ableiten, u.a. für Führung (Management by Objectives),
Mitarbeitergespräche, Selbstmanagement oder die Gestaltung von
Belohnungssystemen
Noch offen sind u.a.:
Die Auswirkung auf die Qualität der Arbeit!
Der Einfluss von multiplen Zielen!
Der Prozess der Revision von Zielen während der Arbeit!
41
4.3.3. Selbstbestimmungstheorie und Cognitive Evaluation Theory von Deci & Ryan
Die Selbstbestimmungstheorie ist eine allgemeine Motivations- und
Persönlichkeitstheorie, die von 3 Grundmotiven bzw. -bedürfnissen ausgeht, die allen
Menschen eigen sind und die die Grundlage aller intrinsisch motivierten Handlungen
bilden:
1) Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung bzw. Autonomie
2) Das Bedürfnis nach Kompetenz
3) Das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit
Die Cognitive Evaluation Theory ist eine Subtheorie der Selbstbestimmungstheorie.
Sie basiert auf dem Korrumpierungseffekt von Belohnung:
Laborstudie: Kinder spielen ein Mathespiel, nachdem es vorübergehend
belohnt wurde, weniger häufig als vor der Belohnungsphase. Ihre intrinsische
Motivation scheint also durch die Belohnung vermindert worden zu sein.
Interpretation: Externe Anreize (wie z.B. Bezahlung) stehen dem Bedürfnis
nach Selbstbestimmung entgegen und haben insofern eine negative Wirkung
auf die intrinsische Motivation!
Schlussfolgerung: Intrinsische Motivation setzt die Befriedigung der genannten
Grundbedürfnisse voraus!
Einen positiven Einfluss auf die intrinsische Motivation haben
dementsprechend:
a) Positives Feedback (=> Bedürfnis nach Kompetenz)
b) Entscheidungsfreiräume (=> Bedürfnis nach Selbstbestimmung)
c) Selbstbestimmung
Einen negativen Einfluss auf die intrinisische Motivation haben dagegen:
a) Negatives Feedback ( Kompetenz) ?!
b) Leistungsabhängige Belohnungen ( Selbstbestimmung) ?!
c) Drohungen ( Selbstbestimmung)
d) Fristen ( Selbstbestimmung) ?!
e) Wettbewerb ( soziale Eingebundenheit) ?!
Kritische Würdigung:
Die empirischen Befunde sind durchwachsen!
Eine Metaanalyse zeigt entgegen der Theorie nur geringe Effekte von
Belohnungen auf freiwillige Weiterbeschäftigung (-.04) und sogar positive
Effekte auf die Einstellung zur Tätigkeit (+.14)
Bestätigt wird das Modell vorwiegend durch kurzfristige Laborstudien mit
Kindern und geringen Belohnungen!
Bei Erwachsenen in längerfristigen Arbeitskontexten wird bei
leistungsabhängiger Bezahlung eine höhere intrinsische Motivation berichtet!
- Ergo: Leistungsabhängige Anreize können die intrinische Motivation
auch steigern (vermutlich aufgrund des Informationsaspektes)!
Fazit: Das Modell ist v.a. für Tätigkeiten relevant, die anfangs ein hohes
intrinsisches Motivationspotenzial haben; ob negatives Feedback,
leistungsabhängige Belohnungen, Fristen und Wettbewerb tatsächlich einen
negativen Einfluss auf die intrinsische Motivation haben, ist äußerst fraglich!
42
4.3.4. Equity Theory von Adams (60er Jahre)
In der Regel wird zwischen 3 Formen erlebter (Un-)Gerechtigkeit unterschieden:
1) Verteilungsgerechtigkeit (=distributive Gerechtigkeit): ist die wahrgenommene
Fairness bei der Verteilung von Ressourcen (wie Geld, Status oder Macht)!
2) Verfahrensgerechtigkeit (=prozedurale Gerechtigkeit): ist die wahrgenommene
Fairness des Verfahren, das der Verteilung von Ressourcen zugrundeliegt.
3) Interaktionale bzw. interpersonale Gerechtigkeit: bezieht sich auf die Art und
Weise, wie sich Entscheider gegenüber Ressourcenempfängern verhalten (z.B. das
Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern)
Dass die empfundene Gerechtigkeit einen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit, die
Leistung und das Verhalten von Mitarbeitern hat, wird durch eine Metaanalyse von
Colquitt et al. eindeutig belegt: Der stärkste (korrigierte) Zusammenhang besteht dabei
zur Arbeitszufriedenheit.
Arbeitszufriedenheit:
Verteilungsgerechtigkeit: ρ = .56
Verfahrensgerechtigkeit: ρ = .40
Interaktionale Gerechtigkleit: ρ = .35
Negatives Verhalten (Diebstahl etc.):
Verfahrensgerechtigkeit: ρ = -.38
Interaktionale Gerechtigkeit: ρ = -.35
Verteilungsgerechtigkeit: ρ = -.30
Leistung:
Verfahrensgerechtigkeit: ρ = .36
Verteilungsgerechtigkeit: ρ = .15
Interaktionale Gerechtigkeit: ρ = .03
„Equity Theory“: Eine ausformulierte psychologische Theorie liegt bislang nur zur
Verteilungsgerechtigkeit vor; es handelt sich dabei um die Equity (=Beitrags-)
Theorie von Adams.
Die wahrgenommene Verteilungsgerechtigkeit hängt davon ab, ob das Verhältnis
der eigenen Erträge (Lohn) zum erbrachten Einsatz dem entsprechenden
Verhältnis bei Vergleichspersonen entspricht oder davon abweicht.
Kurz: Bekommen andere für dieselbe Leistung denselben Lohn oder nicht?!
Formel:
Dabei sind folgende Vergleichsresultate denkbar:
1) Konsonanz: liegt vor, wenn das Verhältnis von Lohn und Leistung bzw.
Ergebnis und Beitrag bei der Vergleichsperson dasselbe ist wie bei einem
selbst.
- In diesem Fall kommt es zu keinen Veränderungen, d.h.: man verbleibt in
der Organisation und hält das Leistungsniveau. Sind der eigene Lohn und
Einsatz niedrig, ist man jedoch i.d.R. nicht zufrieden, sondern wartet auf
eine attraktivere Stelle.
43
2) Dissonanz: liegt vor, wenn das Verhältnis von Lohn und Einsatz bei der
Vergleichsperson ein anderes ist als bei einem selbst. Man ist dann entweder
überbezahlt oder unterbezahlt.
- Überbezahlung führt zu Schuldgefühlen: bei Zeitlohn steigt die Quantität
und/oder Qualität; bei Stücklohn steigt die Qualität und die Quantität sinkt!
- Unterbezahlung führt zu Unzufriedenheit: bei Zeitlohn sinkt die Qualität
und/oder Quantität; bei Stücklohn sinkt die Qualität und die Quantität
steigt!
Strategien zur Wiederherstellung von Equity:
Man ändert seine Beiträge (sprich: man steigert und reduziert den eigenen
Einsatz).
Man ändert seine Ergebnisse (z.B. indem man sich mehr Stunden aufschreibt
als man tatsächlich gearbeitet hat oder was mitgehen lässt).
Man verzerrt seine Beiträge oder Ergebnisse kognitiv („Ich mache ja auch
mehr bzw. weniger als xy“).
Man geht aus dem Feld (kündigt).
Man wirkt auf die Vergleichsperson ein, damit diese ihre Beiträge oder
Ergebnisse ändert.
Man wechselt die Vergleichsperson.
Kritische Würdigung der Equity Theory:
Empirische Evidenz:
- Personen zeigen mehr „Toleranz“ gegenüber Überbezahlung als gegenüber
Unterbezahlung!
- Vermittelnde Variablen (z.B. die Wahrnehmung von Input und Output,
Wahl der Vergleichsgruppe etc.) wurden bislang zu wenig berücksichtigt!
- Die Wahl des Vergleichsstandards und der Umgang mit multiplen
Standards (z.B. beim Vergleich mit dem Chef) sind unklar!
Praktische Relevanz (für die Gestaltung von Arbeit):
- Motivationale Prozesse werden stark vereinfacht
- Modell macht kaum spezifische Aussagen
- Weiterführende Ansätze (s.u.) zur prozeduralen Fairness und sozialen
Kontrakten sind jedoch vielversprechend: sie liefern u.a. eine Erklärung für
Organizational Citizenship Behaviour (OCB) und destruktives Verhalten
Weiterführende Ansätze:
Greenberg untersuchte in einer experimentellen Feldstudie die Auswirkung
interaktionaler Gerechtigkeit auf das Verhalten der Belegschaft. Untersucht
wurden 3 Fabriken eines Unternehmens. In 2 dieser Unternehmen mussten die
Löhne aufgrund wirtschaftlicher Engpässe für 10 Wochen gekürzt werden.
Während diese Maßnahme in der einen Fabrik adäquat begründet und mit den
Mitarbeitern diskutiert wurde, wurde sie der Belegschaft in der anderen Fabrik
lediglich mitgeteilt (inadäquate Begründung). Als AV wurde in allen 3 Fabriken
die Diebstahlsrate („Materialschwund“) erhoben – und zwar vor, während und
nach der Lohnkürzungsphase.
Ergebnis: In beiden Lohnkürzungs-Fabriken nahm die Diebstahlrate
signifikant zu; in der Fabrik, in der die Lohnkürzung nicht adäquat begründet
wurde, nahm sie jedoch deutlich stärker zu als in der anderen.
Interpretation: Wird die Interaktion zwischen Manager und Mitarbeitern als
gerecht empfunden, wird vermutlich auch das Verfahren als gerechter
empfunden. Die negativen Folgen einer ungerechten Verteilung können auf
diese Weise erheblich abgeschwächt werden.
44
Die wahrgenommene Verfahrensgerechtigkeit in Organisationen hängt von
verschiedenen Faktoren ab:
a) Besteht die Möglichkeit zu Mitsprache und Mitbestimmung?!
b) Besteht die Möglichkeit, Urteilsfehler zu korrigieren, sprich: können von
höherer Stelle getroffene Entscheidungen diskutiert und gegebenenfalls wieder
rückgängig gemacht werden?!
c) Werden die Verfahrensregeln bei allen Personen in gleicher Weise
angewendet?!
d) Werden Entscheidungen auf Basis genauer Informationen getroffen?!
Es lassen sich 3 Zuteilungsregeln von Belohnungen unterscheiden:
1. Equity (= Beitrag): Die Belohnungen bzw. Ergebnisse werden so verteilt,
dass sie den erbrachten Beiträgen entsprechen!
- Ziel dieser Verteilungsregel ist die Maximierung der Gruppenproduktivität!
- Eingesetzt werden sollte sie bei Aufgaben, zu deren Erledigung nur ein
geringes Maß an Kooperation erforderlich ist!
2. Need (=Bedürfnis): Die Belohnungen bzw. Ergebnisse werden nach
Bedürfnissen verteilt.
- Wird angewendet, wenn sich die Person, die die Belohnungen zuteilt, für
das Wohlergehen des Empfängers verantwortlich fühlt, erfolgreich ist oder
sich als kompetent ansieht.
3. Equality (=Gleichheit): Alle Teilnehmer erhalten die gleichen Belohnungen
bzw. Ergebnisse.
- Ziel dieser Verteilungsregel ist die Maximierung von Harmonie und die
Minimierung von Konflikten innerhalb einer Gruppe!
- Eingesetzt werden sollte sie, wenn die Erledigung der Aufgabe ein hohes
Maß an Kooperation erfordert und es nur schwer ist, die einzelnen Beiträge
und Bedürfnisse der Empfänger zu ermitteln.
45
5.1. Allgemeines
5.1.1. Begriffsklärung:
Definition: Arbeitszufriedenheit wird i.d.R. definiert als Einstellung zur Arbeit bzw.
einzelnen Aspekten der Arbeit, wobei „Einstellung“ in diesem Zusammenhang
sowohl emotionale, kognitive als auch konative Komponenten umfasst.
Weitere Definitionen sind:
AZ als affektive Bewertungsreaktion
AZ als Bedürfnisbefriedigung
AZ als (aufgehobene) Ist-Soll-Differenz
AZ als Entsprechung einer Erwartungshaltung
Operationale Definitionen von AZ
Einbettung des Konzepts: Die Arbeitszufriedenheit ist ein Teilaspekt der
Lebenszufriedenheit und umfasst ihrerseits wiederum verschiedene Teilaspekte: z.B.
die Zufriedenheit mit der Bezahlung, der Aufgabe, den Kollegen, den Vorgesetzten
usw.
Wird AZ als Entsprechung einer Erwartungshaltung definiert, lassen sich folgende
Formen von Arbeitszufriedenheit bzw. -unzufriedenheit unterscheiden:
Wird die Arbeitssituation den Erwartungen gerecht, gibt es zwei Möglichkeiten:
Entweder das Anspruchsniveau wird angehoben oder beibehalten.
In ersterem Fall spricht man von progressiver Arbeitszufriedenheit,
in letzterem von stabilisierter Arbeitszufriedenheit.
Wird die Arbeitssituation den Erwartungen nicht gerecht, bestehen folgende
Möglichkeiten:
Wird das Anspruchsniveau heruntergesetzt, spricht man von resignativer
Arbeitszufriedenheit.
Wird das Anspruchsniveau beibehalten, aber die Situationswahrnehmung
verfälscht (indem man sich die Lage schön redet), spricht man von Pseudo-
Arbeitszufriedenheit.
Wird das Anspruchsniveau aufrechterhalten, aber nichts unternommen, um die
Lage zu verbessern, spricht man von fixierter Arbeitsunzufriedenheit!
Wird das Anspruchsniveau aufrechterhalten und gleichzeitig versucht, die
Lage zu verbessern, spricht man von konstruktiver Arbeitsunzufriedenheit!
Umfragen zeigen, dass im deutschsprachigen Raum 70 bis 90% der Arbeitnehmer
zufrieden sind mit ihrer Arbeit.
Dieser Anteil ist erstaunlich hoch, es spricht jedoch vieles dafür, dass die
Zufriedenheit systematisch überschätzt wird.
Zweifel an der Anonymität der Befragung
Relativ global formulierte Items
Dissonanzreduktion (=Bestreben, ein positives Selbstbild aufrecht zu erhalten)
Konvention: „Wie geht’s?“ –„Gut!“
Vorausgegangene Senkung des Anspruchsniveaus (= resignative
Arbeitszufriedenheit)
5. Arbeitszufriedenheit
46
5.1.2. Korrelate von Arbeitszufriedenheit
Wohl am intensivsten wurde der Zusammenhang zwischen AZ u. Leistung untersucht.
Eine Metanalyse von Judge et al. über 312 Stichproben ergab dabei einen
korrigierten Zusammenhang von ρ = .30!
Das ist zwar nicht überwältigend, aber auch nicht zu vernachlässigen!
Was die Richtung des Zusammenhangs betrifft, sind die Befunde uneinheitlich:
1) Modell 1: Arbeitszufriedenheit führt zu höherer Leistung!
2) Modell 2: Bessere Leistungen führen zu höherer Arbeitszufriedenheit!
3) Modell 3: Arbeitszufriedenheit und Leistung beeinflussen sich wechselseitig!
4) Modell 4: Der Zusammenhang zwischen AZ und Leistung ist auf Drittvari-
ablen zurückzuführen, sprich: auf Variablen, die sowohl die Zufriedenheit, als
auch die Leistung beeinflussen.
- Empirisch belegte Drittvariablen sind u.a.: Selbstwert, Organizational
Commitment, Job Involvement, Vertrauen in die Unternehmensführung
und Partizipation an Entscheidungen!
5) Modell 5: Der Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Leistung
wird durch Moderatorvariablen vermittelt.
- Einzelfallweise belegte Moderatoren sind u.a.: eine leistungsabhängige
Bezahlung, ein hohes Leistungsmotiv, die Komplexität der Arbeit, der
Selbstwert und die Attribution von Erfolg.
6) Modell 6: Es besteht gar kein Zusammenhang zwischen AZ und Leistung!
7) Modell 7: Arbeitszufriedenheit hat Einfluss auf den Affekt eines Mitarbeiters,
der wiederum Einfluss auf dessen „In-Role-“ und „Extra-Role-Behaviour“ hat!
Judge et al. gehen auf Basis ihrer Metaanalyse von einem wechselseitigen
Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Leistung aus; wobei sie
jeweils unterschiedliche Mediatoren und Moderatoren vermuten.
Dass sich die Leistung positiv auf die Zufriedenheit auswirkt, hängt mit dem
erreichten Erfolg sowie dem Gefühl der Selbstwirksamkeit und dem positiven
Affekt zusammen, der sich daraus ergibt. Moderiert wird der Zusammenhang
durch die Leistungs-Belohnungs-Kontingenz, die Komplexität der
Arbeitsaufgabe, das Leistungsmotiv und das Work Commitment.
Die positive Wirkung der Zufriedenheit auf die Leistung lässt sich durch die
positive Stimmung und die Verhaltensintentionen erklären, die mit hoher
Zufriedenheit einhergehen sowie durch die Tatsache, dass Unzufriedenheit
häufig zu Leistungsverweigerung führt. Moderiert wird der Zusammenhang
durch die Persönlichkeit bzw. das Selbstkonzept des Betroffenen, die erlebte
Autonomie, Leistungsnormen und die kognitive Zugänglichkeit der
Zufriedenheit.
47
Sonstige Korrelate:
Arbeitszufriedenheit korreliert negativ mit…
Fluktuation : r= -.40
Destruktivem Verhalten: r = -.28 bis -.51
Absentismus: r = -.09
Positive Korrelationen finden sich dagegen mit…
Commitment: r = .60
Organizational Citizenship Behaviour: r = .31 bis r = .54
- „Organizational Citizenship Behaviour” ist ein Konstrukt zur Erklärung
extraproduktiven Verhaltens. Man versteht darunter freiwilliges
(=selbstbestimmtes) Verhalten, das sich positiv auf die Funktionsfähigkeit
der Organisation auswirkt und im Rahmen des formalen Anreizsystems
nicht direkt oder explizit berücksichtigt wird.
5.2. Einflussfaktoren
5.2.1. Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg
Die Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg geht davon aus, dass Arbeitszufriedenheit
und Arbeitsunzufriedenheit jeweils von unterschiedlichen Faktoren abhängen:
Während die Arbeitszufriedenheit von sog. „Kontentfaktoren“ bzw. „Motivatoren“
abhängt, ist die Arbeitsunzufriedenheit von sog. „Kontext-“ bzw. „Hygienefaktoren“
abhängig.
Kontext- bzw. Hygienefaktoren beziehen sich auf das Arbeitsumfeld und sind
somit extrinsisch, d.h. außerhalb der eigentlichen Tätigkeit liegend. Sind sie nicht
hinreichend erfüllt, führen sie zu Unzufriedenheit. Ist die Ausprägung der
Kontextfaktoren positiv, resultiert daraus jedoch nicht Zufriedenheit, sondern ein
neutraler Erlebniszustand, den Herzberg als „Nicht-Unzufriedenheit“ bezeichnet.
Skala: Hohe Unzufriedenheit___________________Keine (Un-)zufriedenheit
Beispiele für Hygienefaktoren:
- Firmenpolitik und –Verwaltung
- Kompetenz der Vorgesetzten
- Beziehung zu Untergebenen, Kollegen und Vorgesetzten
- Arbeitsbedingungen
- Gehalt
- Status
- Einfluss des Berufes auf das Privatleben
- Sicherheit des Arbeitsplatzes
Kontentfaktoren bzw. Motivatoren beziehen sich auf die Arbeitstätigkeit selbst
und sind somit intrinsisch. Sind sie in ausreichendem Maß gegeben, führen sie zu
Zufriedenheit, sind sie nicht erfüllt, resultiert daraus jedoch keine Unzufriedenheit,
sondern wiederum ein neutraler Zustand, den Herzberg als „Nicht-Zufriedenheit“
bezeichnet.
Skala: Keine (Un-)zufriedenheit______________________hohe Zufriedenheit
Beispiele für Motivatoren:
- Erfolgserlebnisse
- Anerkennung
- Arbeitsinhalt
- Übertragene Verantwortung
- Fortschritt
- Das Gefühl, sich in der Arbeit entfalten zu können
48
Die Zwei-Faktoren-Theorie basiert auf der sog. „Pittsburgh-Studie“, im Rahmen
derer 203 Pbn rückblickend von Ereignissen berichten sollten, bei denen sie entweder
hoch zufrieden oder hoch unzufrieden mit ihrer Arbeit waren.
Aus den Aussagen der Pbn wurden anschließend die genannten Faktoren
extrahiert.
Kritische Würdigung der Zwei-Faktoren-Theorie:
Die Erhebungsmethode, mittels derer die Faktoren gewonnen wurden, ist
umstritten.
Mögliche Artefakte sind: Gedächtniseffekte; Attributionsmechanismen;
Hygienefaktoren z.T. doppeldeutig (Gehalt oder Status können z.B. subjektiv
als Anerkennung interpretiert werden) etc.
Die Theorie konnte in ihren differentiellen Vorhersagen nur unzureichend
bestätigt werden.
Die Theorie unterschätzt den Einfluss sozialer Beziehungen auf die
Arbeitszufriedenheit
Aber: Sehr einflussreiche Theorie, die erstmals die Bedeutung des Inhalts der
Arbeitstätigkeit betonte (intrinsischer Aspekt) und damit u.a. das Fundament für
das „Job Enrichment“ legte!
5.2.2. Korrelationen
Die Arbeitszufriedenheit hängt einerseits von Merkmalen der Arbeit, andererseits von
Merkmalen der Person ab.
Persönlichkeitsvariablen, die einen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit haben,
sind u.a.:
Eine positive Affektivität (ρ = .50)
Der Locus of Control (external vs. internal)
Extraversion
Merkmale der Arbeit, die einen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit haben, sind
u.a.:
„Perceived Organizational Support“ (s.u.): r = .62
Organisationale Bedingungen:
- Das Management: r = .42
- Kollegen: r = .30
- Aussicht auf Beförderung: r = .28
- Bezahlung: .17 < r < .28
Aufgabencharakteristika (nach dem Job Characteristics Modell): .20 < r < .39
Rollenkonflikte: zwischen -.40 und -.20
Konflikte Arbeit – Familie:
- r = -.40 bei Männern
- r = -.02 bei Frauen
Stress und Beanspruchung
Empfundene Gerechtigkeit (s.u.)
Fazit: Den größten Einfluss hat der Vorgesetzte/das Management bzw. die
wahrgenommene Unterstützung durch das Unternehmen („Perceived
Organizational Support“)
49
Das Konzept der Arbeitszufriedenheit wird mittlerweile zunehmend durch das
Konzept des „Perceived Organizational Support“ (POS) ergänzt. Dazu zählt zum
einen die wahrgenommene Würdigung der Beiträge der Mitarbeiter, zum anderen die
wahrgenommene Sorge um das Wohlergehen der Mitarbeiter.
Die wahrgenommene Unterstützung durch die Organisation (POS) hängt von der
Fairness des betreffenden Unternehmens, der Unterstützung durch Vorgesetzte
sowie der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen ab und bringt nicht nur positive
Effekte für die Mitarbeiter, sondern auch für das betreffende Unternehmen.
Eine Metanalyse zum POS ergab folgende Zusammenhänge:
Erfasst wird die wahrgenommene Unterstützung durch das Unternehmen über
einen standardisierten Fragebogen, der 8 Items umfasst, wobei die Pbn anhand
einer 7-stufigen Skala ihre Zustimmung bzw. Ablehnung zum Ausdruck bringen.
Beispielitems: „Die Organisation würde Beschwerden von mir ignorieren.“;
„Die Organisation kümmert sich um mein Wohlergehen.“
5.2.3. Ergänzung: Aspekte von Lohngerechtigkeit
Anforderungsgerechtigkeit: Der Lohn muss den Anforderungen am jeweiligen
Arbeitsplatz entsprechen und den Arbeitswert wiedergeben.
Leistungsgerechtigkeit: Der Lohn muss die persönlichen Leistungen angemessen
berücksichtigen.
Soziale Gerechtigkeit: Aspekte wie Alter, Konstitution, Familienstand u. ä. müssen
berücksichtigt werden, um den Bedürfnissen der unterschiedlichen Menschen gerecht
zu werden.
Marktgerechtigkeit: Der aktuelle Wert einer Arbeitskraft muss den jeweiligen
Marktbedingungen angepasst sein.
Distributive Gerechtigkeit (s.o.): Das Verhältnis von Eigenleistung (Input) und
Gehalt (Output) muss gleich verteilt sein.
Prozedurale Gerechtigkeit (s.o.): Die Art, wie es zu gehaltsrelevanten
Entscheidungen kommt, muss gerecht (= Transparenz, Partizipation etc.) sein.
50
6.1. Allgemeines
6.1.1. Begriffsbestimmung
Definition: Im Rahmen der psychologischen Arbeitsanalyse werden Arbeits-
tätigkeiten und ihre Bedingungen sowie die Wirkungen der Arbeitsbedingungen und
-anforderungen auf das Individuum analysiert und bewertet. Zu diesem Zweck
werden in systematischer Form Informationen über die Tätigkeit eines arbeitenden
Individuums erfasst und anhand bestimmter Kriterien beurteilt.
Auf folgende Komponenten einer Arbeitstätigkeit kann sich die Analyse dabei
beziehen:
1. Arbeitsaufgaben (Inhalte und Abläufe)
2. Aufgabenbezogene Verhaltensweisen und Anforderungen (z.B. Denk- und
Entscheidungserfordernisse; Handlungsspielräume etc.)
3. Arbeitsmittel (Interaktion mit Maschinen, Materialien und Werkzeugen)
4. Arbeitsprodukte und Leistungskennzahlen (Produktivitätsraten, Fehlerraten,
AU-Tage etc.)
5. Arbeitsumgebung (z.B. Arbeitszeit, gefordertes Arbeitstempo, Belastungs-
faktoren usw.)
6. Soziale Bedingungen (z.B. Kontaktmöglichkeiten, Betriebsklima)
7. Die zur Ausführung einer Aufgabe erforderlichen Leistungsvoraussetzungen
(z.B. Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen) und Anforderungen (z.B.
widersprüchliche Anforderungen bei Dienstleistungsunternehmen: Kunde vs.
Organisation).
- Schnittstelle zur Anforderungsanalyse (s.u.).
Die Arbeitsanalyse und –bewertung verfolgt zwei übergeordnete Ziele: Zum einen
geht es um eine Rationalisierung der Arbeitsprozesse, zum anderen um eine
Förderung der Human- und Sozialverträglichkeit von Arbeit!
Nerdinger et al. nennen 4 Funktionen bzw. Ziele:
1. Erhaltung und Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes
- Erforschung von Unfallursachen; Identifikation von Belastungsfaktoren...
- Erhöhung der Sicherheit und Persönlichkeitsförderlichkeit von Arbeit!
2. Optimierung der Arbeitsgestaltung und –organisation
- Ermittlung von Faktoren, die den Arbeitsprozess beeinträchtigen
(Wartezeiten, schlechte Beleuchtung, suboptimale Ausstattung,…);
Identifikation fehlerhafter Arbeitsprozesse und überflüssiger
Arbeitsleistungen usw.
- Standardisierung von Arbeitsabläufen; Festlegung von Vorschriften;
Einrichtung zweckmäßiger Kommunikationssysteme usw.
3. Bestimmung von personalen Fördermaßnahmen
- Analyse von Trainingsbedarf und –inhalten
- Gestaltung von Aus- und Fortbildungen
4. Bestimmung von Eignungsanforderungen
- Berufsberatung, Umschulung und Rehabilitation; Personalauswahl und
–platzierung (Gestaltung von Assessments-Centern)
5. Vergleiche von Arbeitstätigkeiten
- Evaluation von Arbeitsgestaltungsmaßnahmen
- Berufsforschung (Analyse und Klassifikation von Berufen)
- Entwicklung gerechter Entlohnungssysteme
6. Arbeitsanalyse und -bewertung
Rationalisierung
Menschen-
förderlichkeit
Rationalisierung
Menschen-
förderlichkeit
51
Die Arbeitsanalyse und –bewertung steht somit in engem Zusammenhang zu den
Themen „Arbeitsgestaltung“, „Gesundheitsförderung“, „Personalauswahl“
(Anforderungsanalyse) und „Personalentwicklung“.
Eine eindeutige Abgrenzung zur Anforderungsanalyse ist schwierig: Während die
Arbeitsanalyse darauf abzielt, Schwachstellen zu identifizieren, auf deren Basis die
Gestaltung und Optimierung von Arbeitstätigkeiten erfolgen kann, geht es in der
Anforderungsanalyse darum, Leistungsvoraussetzungen und Merkmale von
Personen für bestimmte Berufe und Positionen zu bestimmen.
6.1.2. Bewertungsebenen und -kriterien
Hacker und Richter unterscheiden 4 (hierarchisch angeordnete) Bewertungsebenen:
1) Ausführbarkeit: Sind die Voraussetzungen für ein zuverlässiges,
forderungsgerechtes und langfristiges (!) Ausführen der Tätigkeit gegeben?!
In Abhängigkeit vom Auftrag, den Arbeitsmitteln und Arbeitsbedingungen
wird zw. folgenden Unterkategorien unterschieden :
a) Uneingeschränkte Ausführbarkeit
b) Bedingte bzw. eingeschränkte Ausführbarkeit
c) Zuverlässige Ausführbarkeit nicht gegeben
Kriterien, die zur Klassifikation herangezogen werden können, sind u.a.:
- Bewegungsstudien
- Sinnesphysiologische Normwerte (Beleuchtung, Lärmpegel, Haltung,
Anstrengung etc.)
2) Schädigungslosigkeit: Sind körperliche und psychische Gesundheitsschäden
ausgeschlossen?!
Unterkategorien:
a) Gesundheitsschäden ausgeschlossen
b) Gesundheitsschäden möglich
c) Gesundheitsschäden wahrscheinlich
Kriterien, die zur Klassifikation herangezogen werden können, sind u.a.:
- Erkrankungs- und Unfallstatistiken
- Morbiditätsrate
3) Beeinträchtigungsfreiheit: Kann die Tätigkeit ohne Beeinträchtigungen
durchgeführt werden (wobei zu Beeinträchtigungen auch geringe und kurzfristige
Fehlbeanspruchungen ohne gesundheitliche Konsequenzen gezählt werden)?!
Unterkategorien:
a) Ohne bzw. mit zumutbaren Beeinträchtigungen
b) Bedingt zumutbare Beeinträchtigungen
c) Nicht zumutbare Beeinträchtigungen (=funktionelle Störungen)
Kriterien:
- Psychophysiologische Kennwerte (z.B. EKG oder EEG)
- Maße der Befindensbeeinträchtigung (z.B. Ausmaß der Gereiztheit oder
psychosomatischer Beschwerden)
4) Persönlichkeitsförderlichkeit: Wird durch die Tätigkeit eine Weiterentwicklung
von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen ermöglicht?!
Unterkategorien:
- Weiterentwicklung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen
- Erhaltung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen
- Rückbildung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen
Kriterien:
- Zeitanteil für selbständige oder schöpferische Verrichtungen
- Ausmaß der zur Tätigkeitsausübung erforderlichen Lernaktivitäten
52
Rohmert unterscheidet ebenfalls 4 Bewertungsebenen:
1) Ausführbarkeit: Übersteigt die Arbeit die körperlichen Kräfte des Arbeitenden?
Ist die Arbeit kurzfristig(!) ausführbar?
Im Unterschied zu Hackers Konzept wird hier nicht die langfristige, sondern
die kurzfristige Ausführbarkeit von Arbeitstätigkeiten geprüft und beurteilt!
Untersucht wird dieses Kriterium weniger von der ABO-Psychologie als von
der Arbeitswissenschaft und Ingenieurpsychologie!
2) Erträglichkeit: Kann die Arbeit langfristig ausgeführt werden, ohne
gesundheitliche Schäden davonzutragen?
Das Kriterium der „Erträglichkeit“ entspricht der „Schädigungslosigkeit“ in
Hackers Modell.
Thema der Arbeitswissenschaft, Arbeitsmedizin und ABO-Psychologie
3) Zumutbarkeit: Ist die Arbeit aus subjektiver und gesellschaftlich-normativer
Perspektive langfristig zumutbar?
Für dieses Kriterium gibt es in Hackers Modell keine Entsprechung.
Untersucht wird die Zumutbarkeit in den Gesellschaftswissenschaften und der
angewandten Ethik!
4) Zufriedenheit: Führt die Tätigkeit langfristig zu Arbeitszufriedenheit?!
Mit den Kriterium der Persönlichkeitsförderlichkeit und
Beeinträchtigungsfreiheit vergleichbar.
Auch Ulich unterscheidet 4 Bewertungsebenen:
1) Schädigungsfreiheit: Freiheit von objektiv feststellbaren und
behandlungsbedürftigen psychischen und physischen Schädigungen
Entspricht Hackers Kategorie der „Schädigungslosigkeit“
2) Beeinträchtigungslosigkeit: Psychosoziales und psychosomatisches
Wohlbefinden
Entspricht Hackers Kategorie der „Beeinträchtigungsfreiheit“
3) Zumutbarkeit: Akzeptanz der Arbeitsbedingungen (von gesellschaftlichen
Normen und Werten abhängig)
Entspricht Rohmerts Kategorie der „Zumutbarkeit“
4) Persönlichkeitsförderlichkeit: Wird durch die Arbeit die Persönlichkeit
gefördert?
Entspricht Hackers Kategorie der „Persönlichkeitsförderlichkeit“
53
7.1. Allgemeines
7.1.1. Zuordnungsformen von Personen (P) zu Arbeitsplätzen (A)
Beratungssituation: In der Beratungssituation steht eine Person zwei oder mehreren
möglichen Berufslaufbahnen gegenüber und muss sich entscheiden. Aufgabe des
Beraters ist es, bei dieser Entscheidung zu helfen. Im Vordergrund steht dabei der
Nutzen für die betreffende Einzelperson.
Beratung:
Personalauswahl (Selektion): Bei der Personalauswahl geht es darum, einen von
mehreren Bewerbern für ein Stellenangebot auszuwählen. Im Vordergrund steht dabei
der Nutzen für die betreffende Organisation.
Selektion:
Die Selektion eines Bewerbers erfolgt aufgrund dreier Kriterien:
1. Qualifikatorische Passung: Wie geeignet ist die Person für die Stelle?!
2. Bedürfnisbezogene Passung: Wie geeignet ist die Stelle für die Person?!
3. Potenzialbezogene Passung: Wie geeignet ist die Person auf lange Sicht für
die Organisation (Lernfähigkeit, soziale Kompetenz, Selbstvertrauen etc.)?!
Platzierung / Klassifikation: Bei Platzierungs- bzw. Klassifikationsfragen stehen für
mehrere Personen verschiedene Alternativen zur Auswahl; die Institution entscheidet
dabei, wem welche Alternative zugewiesen wird. Erfolgt diese Entscheidung aufgrund
mehrerer Kriterien bzw. Prädiktoren, spricht man von Klassifikation, bei nur einem
Prädiktor von Platzierung.
Platzierung / Klassifikation Klassifikation + Selektion
Folgende Klassifikationsstrategien lassen sich unterscheiden:
1. Klassifikation nach der zu erwartetenden Leistung: Die Stelle bekommt
der, der von allen Kandidaten am besten dafür qualifiziert ist.
- Problem: Ist einer für alle zu vergebenden Stellen der am besten
qualifizierte Kandidat, müsste man ihm alle Stellen und den anderen keine
geben (was faktisch nicht geht).
2. Klassifikation aufgrund der individuellen Qualifikation: Jeder Kandidat
bekommt die Stelle, für die er persönlich am besten qualifiziert ist (ungeachtet
dessen, dass andere vielleicht noch besser qualifiziert sind und dass die
Anforderungen der Stelle die Qualifikation des dafür ausgewählten Kandidaten
eventuell übersteigen).
3. Klassifikation gemäß der Anforderungen der zu vergebenden Stellen: Ein
Kandidat bekommt die Stelle, deren Mindestanforderungen er aufgrund seiner
Qualifikation erfüllt!
7. Personalauswahl
54
7.1.2. Allgemeines zur Eignungsdiagnostik
Der trimodale Ansatz der Eignungsdiagnostik (von Schuler):
Schuler unterscheidet zwischen 3 eignungsdiagnostischen Vorgehensweisen bzw.
Verfahren:
1. Biographieorientierte Verfahren: basieren auf der Annahme, dass zukünftige
Ergebnisse durch bereits erzielte Ergebnisse vorhergesagt werden können.
- Analyse der bisherigen beruflichen Laufbahn; Einholen von Referenzen;
Auswertung von Arbeitszeugnissen; biographische Fragebögen etc.
2. Simulationsorientierte Verfahren: basieren auf der Annahme, dass
zukünftiges Verhalten durch aktuelles Verhalten vorhergesagt werden kann;
die Aufgaben, die die Bewerber erfüllen müssen, sind dabei so gewählt, dass
sie möglichst nah an der Praxis sind (Simulation der späteren Arbeitstätigkeit)
- Präsentationsübungen, Postkorbaufgaben, Gruppendiskussionen etc.
3. Eigenschafts- bzw. konstruktorientierte Verfahren: basieren auf der
Annahme, dass beruflicher Erfolg durch überdauernde Eigenschaften (wie
Intelligenz, Extraversion etc.) vorhergesagt werden kann.
- Intelligenztests, Persönlichkeitstests usw.
Den verschiedenen Verfahren entsprechen je eigene Kriterien für beruflichen
Erfolg: nämlich Ergebnis-, Verhaltens- und Eigenschaftskriterien!
Die Konstruktvalidität der Verfahren hängt davon ab, inwiefern sie diese
Kriterien tatsächlich erfassen!
Die Kriteriumsvalidität hängt davon ab, ob die Kriterien tatsächlich
beruflichen Erfolg vorhersagen.
Die Eignungsdiagnostik umfasst vor diesem Hintergrund 3 Bereiche:
1. Die Anforderungsanalyse: dient dazu, die Anforderungen eines Berufes bzw.
einer bestimmten Position zu bestimmen. Sie bildet die Grundlage für alles
Weitere!
2. Das Aufstellen von Berufserfolgskriterien: Auf Basis der Anforderungen gilt
es konkrete Kriterien für beruflichen Erfolg zu formulieren: Welche
Ergebnisse muss der Kandidat erzielt haben? Welches Verhalten muss er an
den Tag legen? Über welche Eigenschaften muss er verfügen?
3. Die Entwicklung bzw. Auswahl eignungsdiagnostischer Verfahren: basiert
ebenfalls auf der Anforderungsanalyse.
Kriterien des Berufserfolgs:
Beurteilung durch Vorgesetzte, Kollegen, Kunden oder einen selbst
Objektive Leistungsergebnisse (Zeugnisse, Produkte, Arbeitsproben,
Veröffentlichungen etc.)
Preise und Auszeichnungen
Leistung auf Gruppenebene
Leistung auf Ebene der Organisation (Umsatz, Marktposition etc.)
Karrieremaße (Position / Alter)
Gehalt
Aufträge / Nachfrage
Qualitätsmaße (z.B. Fehlerzahl)
Physische und psychische Gesundheit
Fluktuation
Fehlzeiten
Arbeitszufriedenheit
Kompetenzentwicklung
Die Eignungsdiagnostik/Personalauswahl umfasst 4 Schritte: 1) Anforderungsanalyse;
2) Bewerberansprache; 3) Auswahlverfahren; 4) Eignungsdiagnostische Entscheidung
55
7.2. Anforderungsanalyse und Bewerberansprache
7.2.1. Anforderungsanalyse
Das Ziel einer Anforderungsanalyse ist die Identifikation von Prädiktoren (bzw.
Eignungsvoraussetzungen) für eine erfolgreiche Tätigkeit in einem bestimmten Beruf.
Drei Arten von Anforderungen bzw. Prädiktoren lassen sich dabei unterscheiden:
1. Tätigkeitsspezifische Anforderungen: beziehen sich auf Fähigkeiten,
Fertigkeiten und Kenntnisse der Person
2. Tätigkeitsübergreifende Anforderungen: beziehen sich auf generell
erfolgsrelevante Eigenschaften (z.B. soziale Kompetenz, Selbstvertrauen)
sowie das Entwicklungspotenzial (z.B. Lernfähigkeit) einer Person
3. Befriedigungspotenzial einer Tätigkeit: hängt von den Interessen,
Bedürfnissen, Motiven und Werthaltungen der Person ab
Diesen Faktoren entsprechen die 3 bereits erwähnten Formen von Passung: die
qualifikatorische-, die potenzialbezogene und die bedürfnisbezogene Passung!
Es lassen sich 3 Ansätze bzw. Methoden der Anforderungsanalyse unterscheiden:
1) Erfahrungsgeleitet-intuitive Methode: Experten (z.B. im Arbeitsamt oder in der
Chefetage eines Unternehmens) beurteilen auf der Basis ihrer Erfahrung die
Passung zwischen den Anforderungen der Stelle und den Merkmalen der Person.
Eine systematische, geschweige denn empirische Analyse der Anforderungen oder
Personenmerkmale findet dabei nicht statt.
Beispiel: Die „Methode der kritischen Ereignisse“ dient dazu, durch die
Befragung von „Experten“ (=Stelleninhabern, Vorgesetzten, Kunden etc.) ein
Anforderungsprofil zu erstellen; die Experten werden zu diesem Zweck
gebeten, ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen besonders effektive und
ineffektive Arbeitsweisen zu beschreiben; dabei sollen sie neben dem
Verhalten selbst auch dessen Hintergrundbedingungen und Konsequenzen
beschreiben.
2) Personenbezogen-empirische Methode: Es werden Korrelationen zwischen
Personenmerkmalen (Traits, Interessen etc.) und bestimmten Kriterien für
beruflichen Erfolg (z.B. Beurteilungen von Vorgesetzten) berechnet und
ausgehend davon aussagekräftige Prädiktoren für beruflichen Erfolg ausgewählt.
3) Arbeitsplatzanalytisch-empirische Methode: Im ersten Schritt werden mit Hilfe
einer systematischen und standardisierten Arbeitsanalyse (s.o.) die spezifischen
Eigenschaften einer Tätigkeit ermittelt (Quellen: Stelleninhaber, Vorgesetzte oder
externe Experten). Im zweiten Schritt werden die so ermittelten
Tätigkeitseigenschaften durch Experten in Personenmerkmale „übersetzt“.
Die systematische Arbeitsanalyse kann z.B. anhand des Fragebogens zur
Arbeitsanalyse (FAA) erfolgen; dieser umfasst 221 Items und erhebt
Informationen zu 4 Bereichen:
a) Informationsaufnahme und –verarbeitung (z.B. die verschiedenen
Formen des Gedächtnisses usw.)
b) Arbeitsausführung (z.B. Grad und Art der körperlichen Belastung;
Anforderungen an die Psychomotorik usw.)
c) Arbeitsrelevante Beziehungen
d) Umgebungseinflüsse und besondere Arbeitsbedingungen
56
7.2.2. Bewerberansprache
Offene Stellen können entweder intern oder extern besetzt werden und auch die
Ansprache von Bewerbern kann intern oder extern erfolgen.
Interne Bewerberansprache:
Ausschreibungen am „schwarzen Brett“ oder im Intranet
Hauszeitungen/Rundschreiben
Direkte Ansprache von infrage kommenden Mitarbeitern
Führungskräfte vertraulich nach interessanten und interessierten Kandidaten
fragen
Mitarbeiter nach Freunden, Bekannten oder ehemaligen Kollegen fragen
Teilzeitbeschäftigten eine Vertragsaufstockung anbieten
Übernahme von Zeitarbeitnehmern oder Azubis
Externe Bewerberansprache:
Stellenanzeigen
Direktansprache („Head Hunting“)
Personalmarketing an Schulen und Hochschulen (z.B.
Firmenkontaktgespräche, Unternehmenspräsentationen, Referenten, Praktika
und Ferienjobs, Diplomarbeiten, AC-Trainings, Kooperation mit studentischen
Vereinen, Kontakte zu Dozenten etc.)
Broschüren und Imageanzeigen
Internet: Rekrutierungsportale und Unternehmenshomepage
7.3. Auswahlverfahren
7.3.1. Gütekriterien von Auswahlverfahren
Gütekriterien, auf die bei der Auswahl von Auswahlverfahren geachtet werden muss:
1) Objektivität
Durchführungsobjektivität
Auswertungsobjektivität
Interpretationsobjektivität
2) Reliabilität
Paralleltestreliabilität
Retest-Reliabilität
Split-Half-Reliabilität
Interne Konsistenz (Interkorrelation der Items einer Skala)
3) Validität
Inhaltsvalidität: Wie gut wird der interessierende Gegenstandsbereich (z.B.
Intelligenz) durch den Test erfasst? Erfolgt durch Expertenrating (Maß ist die
Übereistimmung der Experten)
Konstruktvalidität: Misst der Test tatsächlich das Konstrukt, das er messen
soll?
Kriteriumsvalidität: Korrelation der Messergebnisse mit einem Außenkriterium
(z.B. beruflichem Erfolg)
4) Akzeptanz (soziale Validität)
5) Ökonomischer Nutzen (Kosten-Nutzen-Relation): Verhältnis von Aufwand und
Nutzen
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Prädiktive Validität von Auswahlverfahren (Korrelation mit Vorgesetztenurteil):
Validität einzelner Prädiktoren (nach der Größe geordnet):
Arbeitsproben: r = .54 (an erster Stelle)
Allgemeine kognitive Fähigkeitstests: r = .51
Strukturiertes Einstellungsgespräch: r = .51
Fachkenntnistest: r = .48
Probezeit: r = .44
Integritätstests: r = .41
Unstrukturiertes Einstellungsgespräch: r = .38
Assessment Center: r = .37
Biographische Daten: r = .35
Gewissenhaftigkeitstests: r = .31
Interessen: r = .10
Graphologie: r = .02 (an letzter Stelle)
Die multiple Korrelation:
Allg. kognitive Fähigkeitstests + Integritätstests: r = .65 (am höchsten)
Allg. kognitive Fähigkeitstests + Arbeitsproben: r = .63
Allg. kognitive Fähigkeitstests + Strukt. EinGesp.: r = .63
Allg. kogn. Fähigkeitstests + Gewissenhaftigkeit: r = .60
Allg. kogn. Fähigkeitstests + Graphologie: r = .51 (kein Zuwachs!)
7.3.2. Eigenschaftsorientiertes Verfahren
Kognitive Fähigkeitstests:
Intelligenztests: z.B. der Intelligenz-Struktur-Test (IST) oder das Leistungs-Prüf-
System (LPS)
Definitionen von Intelligenz:
- Binet: „Gut urteilen, gut verstehen, gut denken“ sind die wesentlichen
Bestandteile von Intelligenz
- Schuler & Höft: Intelligenz als die Qualität und Geschwindigkeit der
Lösung neuartiger Aufgaben
- Boring: „Intelligenz ist das, was Intelligenztests messen.“
Metaanalyse zum Zusammenhang zwischen IQ und Berufserfolg:
- Zusammenhang zur Arbeitsleistung (r = .33) höher als der zum
Einkommen (r = .25)
Konzentrationstests: z.B. der Aufmerksamkeits-Belastungs-Test (d2-Test)
Wissens- und Verständnistests: z.B. der Mechanisch-technische Verständnistest
(WTVT) oder der differentielle Wissenstest (DWT)
Persönlichkeitstests: z.B. der NEO-FFI (Fünf-Faktoren-Inventar):
Neurotizismus (hoch: gespannt, ängstlich, nervös, launisch, empfindlich, instabil
vs. niedrig: stabil, ruhig, zufrieden)
Neurotizismus korreliert negativ mit der Arbeitsleistung (r = -.15); besonders
mit Teamarbeit ( r = -.22) und Berufszufriedenheit (r = -.29)
Extraversion (hoch: gesprächig, bestimmt, aktiv, energisch, offen vs. niedrig: still,
scheu, reserviert, zurückgezogen)
Extraversion korreliert positiv mit der Arbeitsleistung (r = .15); besonders mit
der Ausbildungsleistung (r = .28)
Am besten ist Extraversion bei Personen, die im Management arbeiten
(r = .21); bei Spezialisten ist Extraversion dagegen negativ mit Berufserfolg
korreliert (r = -.11)
58
Offenheit (hoch: breit interessiert, einfallsreich, originell, wissbegierig,
intellektuell, künstlerisch, geistreich vs. niedrig: einseitig interessiert, gewöhnlich,
einfach, unintelligent)
Offenheit korreliert schwach positiv mit beruflichem Erfolg (r = .07), dafür
aber hoch positiv mit der Ausbildungsleistung (r = .33)
Verträglichkeit (hoch: mitfühlend, nett, herzlich, großzügig, kooperativ usw. vs.
niedrig: kalt, unfreundlich, streitsüchtig undankbar etc.)
Verträglichkeit korreliert positiv mit beruflichem Erfolg (r = .11), v.a. mit
Teamarbeit (r = .34)
Gewissenhaftigkeit (hoch: organisiert, sorgfältig, verantwortlich, zuverlässig,
effektiv, genau usw. vs. niedrig: unordentlich, unzuverlässig, vergesslich etc.)
Gewissenhaftigkeit korreliert am stärksten mit beruflichem Erfolg (r = .24),
v.a. mit der Beurteilung durch Vorgesetzte (r = .31) – und zwar für alle
Berufsgruppen!
Integritätstests: z.B. das „Inventar Berufsbezogener Einstellungen und Selbst-
einschätzungen“ (IBES)
Das „Inventar berufsbezogener Einstellungen und Selbsteinschätzungen“ besteht
aus zwei Teilen: einem einstellungsorientierten- und einem
eigenschaftsorientiertem Teil. Sie umfassen folgende Skalen:
Einstellungsorientierter Teil:
a) Skala: Misstrauen (z.B.: „Wenn man Kollegen bei der Arbeit unterstützt,
wird man meistens nur ausgenutzt.“)
b) Skala: Ansichten über die Verbreitung normverletzenden Verhaltens (z.B.:
„So ziemlich jeder hat schon mal einen kleinen Diebstahl oder Betrug
begangen, wenn die Gelegenheit günstig war.“)
c) Skala: Rationalisierungen abweichenden Verhaltens
d) Skala: Verhaltensabsichten / Phantasien über abweichendes Verhalten
Eigenschaftsorientierter Teil:
a) Skala: Gelassenheit
b) Skala: Zuverlässigkeit
c) Skala: Suche nach Stimulation („sensation seeking“)
d) Skala: Manipulation / Berechnung
e) Skala: Konfliktvermeidung
Integrität korreliert negativ mit kontraproduktivem Verhalten (bis zu -.39),
zugegebenem Diebstahl (-.42), Arbeitsunfällen (-.52) und Sachschäden (-.69) und
hoch positiv mit der anhand von Vorgesetztenratings gemessenen Arbeitsleistung
(r = .41)
Ebenfalls recht hohe Korrelationen finden sich zu emotionaler Stabilität,
Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit!
7.3.3. Simulationsorientierte Verfahren
Arbeitsproben: gehören zu den besten Auswahlverfahren im Bereich der
Personaldiagnostik; ihre prognostische Validität liegt bei r = .54
Gruppendiskussionen (ggf. mit Rollenvergabe); andere Gruppenaufgaben
(kompetitiver und/oder kooperativer Art); dyadische Rollenspiele (z.B. Simulation
eines Kundengesprächs); Vorträge und Präsentationen (s.u.); Wirtschaftsübungen
(Postkorbübungen, Fallstudien); motorische Arbeitsproben; Selbstvorstellungen
etc.
In einer Postkorbübung erhalten die Bewerber eine Auswahl an Briefen, Emails,
Telefonnotizen etc. Ihre Aufgabe ist es, dieses Material unter Zuhilfenahme eines
59
Organigramms und anhand eines fiktiven Terminkalenders zu organisieren und zu
bearbeiten. Dabei kommt es darauf an,…
die Dringlichkeit von Problemen einzuschätzen
Prioritäten zu setzen
Terminüberschneidungen zu erkennen
Zusammenhänge zwischen Sachverhalten zu erkennen
die Delegierbarkeit von Aufgaben zu beurteilen
unter Zeitdruck und bei unvollständigem Informationsstand Entscheidungen zu
treffen
Analyse und Entscheidung zu integrieren
Probezeit: prognostische Validität liegt bei r = .44!
Assessment-Center-Verfahren: bestehen aus einer Kombination verschiedener
verhaltensorientierter Simulationsübungen (Arbeitsproben), wobei letztere z.T. durch
Tests und Interviews ergänzt werden. Die prädiktive Validität solcher Verfahren liegt
bei r = .37 (was zufriedenstellend ist); die Konstruktvalidität und Reliabilität fallen
dagegen eher gering aus.
Haupteinsatzgebiet: Auswahl und Entwicklung von Führungskräften
Ablauf:
Gruppe von ca. 10 Teilnehmern
Dauer: 1 – 5 Tage
Schwerpunkte: Realitätsbezug und Sozialverhalten
Die Beurteiler (=Assessoren) sind Führungskräfte
Am Ende: verhaltensbezogene Rückmeldung
Bewertung: relativ teuer, aber hohe Akzeptanz (= soziale Validität)
Beispiel: Überprüfung der Dimension „Systematisches Denken und Handeln“
Konkretisierung der Dimension: Bewerber erkennt Zusammenhänge zwischen
mehreren Sachverhalten; geht strukturiert vor; berücksichtigt alle vorhandenen
Infos; hält Zeiten ein; setzt Prioritäten, schiebt Entscheidungen nicht auf
andere ab; bedenkt die Konsequenzen seiner Entscheidungen/schätzt Risiken
ab
Erfassung der Dimension anhand von 5 Übungen:
a) Kurpräsentation: Kandidat spricht nach kurzer Vorbereitungszeit (30
Min) 3 Min über ein vorgegebenes Thema
b) Simulation einer Unternehmenskonferenz: Gruppenübung zu einer
komplexen Planungsaufgabe
c) Präsentation: Längere Vorbereitungszeit (1-3 h) und Redezeit (ca. 10
Min)
d) Postkorbübung (s.o.): Bearbeitung mehrerer Schriftstücke, die sich in
Dringlichkeit, Komplexität und Bedeutsamkeit unterscheiden.
e) Fallstudie: Erarbeitung und Begründung von Lösungsvorschlägen für ein
konkretes Problem (z.B. Konflikt zwischen Mitarbeitern)
Sekundärfunktionen des AC:
Assessoren (=Führungskräfte) erhalten einen Überblick über die Qualifikation
des Nachwuchses
Beobachtungsgabe der Assessoren (=Führungskräfte) wird geschult, was ihnen
auch im Alltag zugutekommt.
Assessment-Center unterstreichen die Bedeutung von Personalauswahl und
–entwicklung in einem Unternehmen
AC liefern Anhaltspunkte in Bezug auf Defizite im Unternehmen
AC fördern die Entwicklung eines Konsenses bezüglich der Anforderungen
und Leistungskriterien einer bestimmten Position
60
7.3.4. Biographieorientierte Verfahren
Bewerbungsunterlagen: enthalten Lebenslauf, Motivationsschreiben, Zeugnisse,
Referenzen, Bescheinigungen etc.
Ihre Beurteilung erfolgt anhand folgender Kriterien, wobei deren Gewichtung
durch die Praktiker oft intuitiv, widersprüchlich und wenig transparent ist:
Formale Aspekte (Vollständigkeit, Übersichtlichkeit etc.)
Übereinstimmung von Lebenslauf und Belegen
Stil der Ansprache und Selbstdarstellung
Bewerbungsmotive
Schul- und Studienleistungen
Berufliche Qualifikation
Bisherige Tätigkeiten / erreichte Position
Plausibilität früherer Stellenwechsel
Ergänzende, anforderungsspezifische Aspekte (z.B. Mobilität,
Berufserfahrung…)
Arbeitszeugnisse
…müssen folgende Anforderungen erfüllen:
- Schriftlichkeit
- Zeugniswahrheit
- Vollständigkeit (Tätigkeitsbeschreibung, Leistungsbeurteilung, Sozial-
verhalten, Persönlichkeitsmerkmale)
- Wohlwollen
- Individualität (keine Schablone)
Probleme:
- Zeugniscodes sollten nicht verwendet werden, sind aber trotzdem die Regel
- Unsicherheit beim Verfassen und bei der Interpretation
- Mildetendenzen (z.B. exzessiver Gebrauch von Superlativen)
Referenzen weisen erhebliche methodische Probleme auf (Mildetendenzen; oft
selbst verfasst usw.); die prognostische Validität aktiv eingeholter Referenzen ist
dementsprechend relativ gering (r = .26)
Biographische Fragebögen: sind standardisierte Fragebögen zur retrospektiven
Erhebung biographischer Merkmale, die sich für den Erfolg in einem bestimmten
Beruf/einer bestimmten Position als relevant bzw. vorhersagekräftig erwiesen haben.
Da für unterschiedliche Berufe unterschiedliche Merkmale relevant sind, sind
biographische Fragebögen kaum verallgemeinerbar, sondern sollten
berufsspezifisch sein.
Bei empirisch fundierten Fragebögen werden die einzelnen Items entsprechend
ihrer prognostischen Validität gewichtet!
Einstellungsinterviews: sind in der Praxis sehr weit verbreitet, obwohl sie, zumindest
in ihrer traditionellen Form, nur eine geringe prognostische Validität besitzen (r liegt
zwischen .05 und .38)!
Gründe für die mangelnde Validität:
Durchführung und Interpretation stark intuitiv und wenig transparent!
Mangelnder Anforderungsbezug der Fragen
Beanspruchung des Interviewers durch die Gesprächsführung
Unzureichende Dokumentation und Verarbeitung der aufgenommenen Infos
Urteilsfehler (Primacy-/Recency-Effekt, Halo-Effekt; Überbewertung
negativer Infos etc.) und subjektive Verzerrungen (emotionale Einflüsse usw.)
führen zu einer geringen Beurteiler-Übereinstimmung
61
Verbesserungsmöglichkeiten:
Anforderungsbezogene Gestaltung
Strukturierte bzw. (teil-)standardisierte Durchführung
Verwendung verschiedener Fragetypen
Verwendung geprüfter und (verhaltens-)verankerter Skalen
Trennung von Informationssammlung und Entscheidung
Gewichtungs- und Entscheidungsprozedur nach psychometrischen Prinzipien
Evtl. zwei Interviewer
Verfahrensspezifisches Training der bzw. des Interviewers
Das multimodale Interview ist ein teilstandardisiertes Interviewverfahren, das in
8 Teile untergliedert ist und dem Interviewer eindeutige Kriterien für die
Bewertung der Antworten an die Hand gibt:
1. Gesprächsbeginn: kurzes, informelles „Warm-up“; Skizzierung des
Verfahrensablaufs
2. Selbstvorstellung des Bewerbers: Bewerber stellt seinen persönlichen und
beruflichen Hintergrund dar
3. Freie Fragen: Interviewer stellt offene, ihn interessierende Fragen, um einen
summarischen Eindruck zu gewinnen.
4. Berufswahl und Handlungswissen: Interviewer stellt offene Fragen zur
Berufswahl und dem Handlungswissen des Kandidaten um einen
summarischen Eindruck zu gewinnen.
5. Biographiebezogene Fragen: Interviewer stellt vorgegebene Fragen zur
Biographie des Kandidaten und bewertet dessen Antworten anhand einer
verhaltensverankerten Skala (1-, 3 und 5 Punkte)
- Beispiel: „In welchem Fall haben sie einen Kollegen oder eine Kollegin
unterstützt, ein Problem zu lösen?“
6. Realistische Tätigkeitsinformation: Interviewer informiert den Kandidaten
über den Arbeitsplatz und das Unternehmen
7. Situative Fragen: Interviewer befragt den Kandidaten dazu, wie er sich in
bestimmten Situationen verhalten würde und bewertet die Antworten anhand
einer verhaltensverankerten Skala (1-, 3- und 5 Punkte)
- Beispiel: „Sie müssen einen Mitarbeiter, dessen Leistung stark
nachgelassen hat, über eine Gehaltskürzung informieren. Wie gehen sie
vor?“
8. Gesprächsabschluss: Fragen des Bewerbers, Zusammenfassung, weitere
Vereinbarungen
Am wichtigsten!
62
7.3.5. E-Assessment
Vorteile:
Ökonomisch: Zeitersparnis, geringere Reise-, Raum- und Personalkosten; globale
Präsenz => höhere Bewerberzahlen
Flexibel: Möglichkeit adaptiven Testens; Einfügung von Multimedia-Elementen;
Unabhängigkeit der Teilnahme von Ort und Zeit
Standardisierung: computergestützte Auswertung, keine subjektiven
Verzerrungen
Zusätzliche Infos: Dokumentation von Korrekturen und Abläufen wie z.B.
Response-Zeiten usw.
Hohe Akzeptanz: zumindest bei jüngeren Teilnehmern Imagevorteil durch
modernes Medium
Nachteile:
Mangelnde Durchführungskontrolle: Unterstützung der Kandidaten durch andere
kann nicht ausgeschlossen werden; Störungen durch technische Probleme,
Tageszeit etc.
Hard- und Softwareprobleme
Schutz von Testverfahren: Mögliche „Lösungen“ im Internet
Übungseffekte: unterschiedliche Ausgangsbedingungen für Bewerber mit
unterschiedlicher Computererfahrung
Datenschutz
63
8.1. Allgemeines
8.1.1. Begriffsklärung
Definition: Unter Personalentwicklung sind alle geplanten(!) Maßnahmen zur
Wiederherstellung, Erhaltung oder Erweiterung der individuellen(!) beruflichen
Handlungskompetenz!
Dazu zählen Maßnahmen, die auf die Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und
Einstellungen zielen ebenso wie Maßnahmen, die der Persönlichkeits- oder
Gesundheitsförderung dienen.
Veranlasser und Nutznießer von Personalentwicklungsmaßnahmen ist immer die
Organisation!
Begriffsabgrenzungen:
Personalentwicklungsmaßnahmen sind Trainingsmaßnahmen; da Veranlasser und
Nutznießer von Trainings variieren können, ist das Trainingskonzept jedoch
umfassender als das der Personalentwicklung,
Nutznießer
Veranlasser
* Out-Placement-Maßnahmen: sind Bewerbungstrainings für
Mitarbeiter, die entlassen werden sollen (s.o.)!
Sofern nur geplante Maßnahmen zur Personalentwicklung gezählt werden, ist der
Begriff von dem der „Sozialisation“ zu unterscheiden.
Sofern die Maßnahmen der Personalentwicklung sich auf die individuelle
Handlungskompetenz der Mitarbeiter beziehen, ist der Begriff von der
„Organisationsentwicklung“ zu unterscheiden.
Themen der PE: Am häufigsten beziehen sich PE-Maßnahmen auf EDV-Kenntnisse
im kaufmännischen Bereich (63%); ebenfalls weit verbreitet sind Verkaufstrainings
(52%); kaufmännisch-betriebswirtschaftliche Themen (48%) und technische/
betriebliche Anwendungen (48%)
Grundlagen der Personalentwicklung:
Lerntheorien (operantes Konditionieren, Modelllernen, Feedback etc.)
Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik: Erfassung des Entwicklungsstandes
und des –potenzials; Einfluss von Intelligenz und Persönlichkeitseigenschaften auf
den Lernerfolg etc.
Pädagogische Psychologie (Didaktik, Lehrmethoden etc.)
Bedeutsamkeit der Personalentwicklung:
Jährliche Ausgaben deutscher Unternehmen für Personalentwicklung: ca. 25
Milliarden Euro!
51% der ABO-Psychologen arbeiten im Bereich Weiterbildung und Training; 30%
in der Personalentwicklung!
Organisation Andere
Organisation Personalentwicklung Out-Placement-
Maßnahme
Andere Berufliche
Rehabilitation
(Veranlasser:
Berufsgenossenschaft)
z.B. Trainigs für
Arbeitslose
(Veranlasser: Arbeits-
amt)
8. Personalentwicklung
64
8.1.2. Prozessmodell der Personalentwicklung
Die Planung, Entwicklung und Durchführung von PE-Maßnahmen erfolgt in 7
Schritten:
Die Bedarfsanalyse: ist nichts anderes als ein Soll-Ist-Vergleich. Erfassung des Soll-Zustandes: Organisationsanalyse:
- Bestimmung aktueller und zukünftiger organisatorischer Ziele
- Aufstellen von Effizienzkriterien (Quantität, Qualität, Sicherheit,
Energiekosten, Absentismus etc.)
- Ziele der Mitarbeiter
Aufgabenanalyse: - Aufgaben- und Anforderungsanalyse
Erfassung des Ist-Zustandes: Personenanalyse:
- Verfahren der Eignungsdiagnostik (Arbeitsproben, ACs, Tests)
- Leistungs- und Potenzialbeurteilung durch Vorgesetzte
- Selbst- und Kollegeneinschätzung beruflicher Kompetenzen Soll-Ist-Vergleich
Ziele der Personalentwicklung:
1) Wissensvermittlung (Fakten, Prozesse, Regeln)
2) Verhaltensmodifikation (Vermittlung von Fertigkeiten)
3) Motivation, Interessen, Einstellungen
4) Persönlichkeitsentwicklung (Sozialkompetenz, Selbstvertrauen usw.)
5) Stressprävention und Gesundheitsförderung
Mögliche Vermittlungsformen: Traditionelle Unterrichtsformen (Vortrag, Gruppenarbeit etc.) Selbststudium (Bücher, DVDs etc.) Erlebnispädagogik Computergestütztes Training On-the-job
65
Wichtige Verfahren der Personalentwicklung: Persönlichkeits- und erlebnisorientierte Verfahren
Z.B.: Persönlichkeitstrainings, Sensitivitätstrainings, gruppendynamische
Ansätze
Verhaltensorientierte Maßnahmen
Z.B.: Verhaltensmodellierung, simulationsorientierte Verfahren, Fallstudien,
Planspiele, Rollenspiele etc.
Kommunikationszentrierte Verfahren
Z.B.: Stärkung der Präsentations-, Moderations-, Unterweisungs-,
Gesprächsführungs- oder Inspirationskompetenz
Selbstmanagementorientierte Verfahren
Zuweisung von entwicklungsförderlichen Aufgaben
Coaching und Mentoring
8.2. Verfahren der Personalentwicklung
8.2.1. Persönlichkeits- und erlebnisorientierte Verfahren
Zu den persönlichkeits- und erlebnisorientierten Verfahren gehören Persönlichkeits-
trainings, Sensitivitätstrainings und gruppendynamische Ansätze. Gemeinsam ist
diesen Verfahren, dass es sich dabei um Selbsterfahrungskurse handelt. Ziele: Verbesserte Selbst- und Fremdwahrnehmung, Klärung der eigenen
Vergangenheit, verbessertes Sozial- und Führungsverhalten, Selbstverwirklichung
usw.
Problematisch: Die Methoden haben oft kein hinreichendes theoretisches
Fundament und sind z.T. ethisch bedenklich, da sie bewusst auf eine Manipulation
der Teilnehmer abzielen! Verschleierung: Es werden keine Vorab-Infos über die Inhalte und Ziele der
Maßnahmen gegeben. Weckung von Allmachtsphantasien: Es wird die Botschaft vermittelt, jeder sei
Herr seines Schicksals! Nicht diskutierbare Regeln: Die Regeln werden apodiktisch vorgegeben und
stehen nicht zur Diskussion. Präsentation überraschender, nachträglicher Interpretationen: z.B. wird den
Teilnehmern nach dem Joggen gesagt, je langsamer sie gewesen seien, desto
größer seien ihre Widerstände gegenüber Veränderungen. Isolation: Trainings finden meist an abgeschiedenen und den Teilnehmern
unbekannten Orten statt. Kommunikationsverbot: Teilnehmer dürfen außerhalb der Übungen nicht über das
Seminar sprechen. Intime Beichten: Teilnehmer werden zu intimen Selbstoffenbarungen vor der
Gruppe animiert. Gedankenstopp: Teilnehmer werden angehalten, negative Gedanken zu
unterbinden.
Bewertung: Bei Praktikern und Teilnehmern sehr beliebt! Gruppendynamische Trainings führen in über 80% der Studien zu Veränderungen
des Selbstkonzepts und des Sozialverhaltens; allerdings gehen diese
Veränderungen oft auch in die negative Richtung (Senkung des Selbstwertgefühls,
Unsicherheit etc.) Ob ein Transfer in den Beruf stattfindet, ist ungeklärt!
66
Mitarbeiter werden weniger zwecks Förderung zu solchen Psychotrainings entsandt,
sondern vielmehr als Belohnung! Hinzu kommt, dass das Unternehmen dem betroffenen Mitarbeiter damit
unterschwellig vermittelt, dass er sich Autoritäten (den Seminarleitern) zu fügen
hat!
8.2.2. Verhaltensorientierte Methoden
Verhaltensorientierte Verfahren dienen dazu, konkrete Verhaltensweisen einzuüben;
z.B. einen guten Umgang mit Beschwerden von Mitarbeitern oder effektive
Kundengespräche.
Verhaltensmodellierung („Behaviour Modeling“): dient dazu, Verhaltensweisen
anhand von Modellen einzuüben (=Modelllernen). Verhaltensmodellierende Maßnahmen sind dann besonders effektiv, wenn
folgende Bedingungen erfüllt sind: Nutzung eines vertrauenswürdigen, positiven Verhaltensmodells Verwendung positiver und negativer Modelle zwecks Kontrastierung Training findet vor Publikum statt – aber: Zahl der Beobachter ≤ 2 Aufzeichnung des Übungsverhaltens – und Rückmeldung anhand des
Videoprotokolls Angstfreie Übungsatmosphäre (z.B. durch Entspannungsübungen) Verstärkung durch Lob Komplexes Verhalten nicht in Gesamtheit, sondern in Schritten einüben Selbstwirksamkeitserwartung der Anwendung in der Praxis wecken Gruppengespräch, wie Verhalten in der Praxis umgesetzt werden kann Verstärkung des neuen Verhaltens auch im beruflichen Alltag
Die Vier-Stufen-Methode ist der Methode der Verhaltensmodellierung sehr
ähnlich; sie wird angewendet, wenn es um das Anlernen manueller, relativ
gleichbleibender Tätigkeiten geht: 1. Vorbereitung der lernenden Person durch den Trainer (Einführung, Ziele
nennen, Motivieren, Vorkenntnisse ermitteln) 2. Beschreibung und Vorführung des Verhaltens durch die unterweisende Person 3. Ausführung durch die lernende Person (nachmachen – und evtl. erläutern
lassen) 4. Abschluss (bis zur Selbständigkeit üben lassen; Lernerfolg bestätigen,
Rückzug des Unterweisenden)
Simulationsorientierte Verfahren (Rollenspiele, Planspiele und Fallstudien)
zeichnen sich durch eine hohe Praxis- und Realitätsnähe aus. Rollenspiele: Merkmale: - simulationsorientiertes Verfahren
- Mind. 2 Personen übernehmen best. Rollen (z.B. Kunde und
Verkäufer)
- Teilstrukturierte Aufgabe: Vorgabe einer bestimmten
Situation; danach: Eigendynamik
- Feedback anhand von Videoaufzeichnung und aufgrund
vorher festgelegter Kriterien
- Sozialer Vergleich und Als-ob-Situation motivieren Lerneffekte: - Übernahme fremder Rollen erhöht Fähigkeit zur Perspektiv-
übernahme
- Schon allein die Beobachtung des eigenen Verhaltens auf
Video kann zu einer Änderung des Verhaltens führen
67
- Konstruktives, videogestütztes Feedback stützt Änderung
alter Verhaltensweisen und stabilisiert neue!
- Durch Beobachtung der anderen Teilnehmer wird das eigene
Verhaltensrepertoire erweitert Planspiele: sind (meist computergestützte) Simulationen von Märkten,
Unternehmen etc.; die Befunde zur Wirksamkeit sind gemischt.
Probleme:
- Ungeeignet für Neulinge, da hohes Maß an Vorwissen vorausgesetzt wird.
- Konsequenzen von Verhaltensweisen und Entscheidungen sind z.T. nicht
überblickbar
Anwendung: Durch mehrmaliges „spielen“ von Planspielen mit Rückmeldung
kann vorhandenes Wissen stabilisiert und dessen Anwendung trainiert werden!
Fallstudien: Teilnehmer erhalten die detaillierte Beschreibung eines realen
Beratungsfalles einer Organisation; ihre Aufgabe ist es, zunächst für sich alleine
die Krisenursache zu klären und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Im zweiten
Schritt wird in Kleingruppen diskutiert – im letzten Schritt die Ergebnisse der
Kleingruppen zusammengeführt und in der Gesamtgruppe unter Leitung eines
Experten diskutiert.
Lernziele: Problemanalyse und Entscheidungsfindung
Wege:
- Aktivierung des eigenen Vorwissens
- Kennenlernen der Vorgehensweise der anderen Teilnehmer
- Diskussion der Analyse- und Lösungsvorschläge
- Rückmeldung durch Experten
Zusammenfassende Wirksamkeitsstudien stehen noch aus.
Kritik: Fehlende Realitätsnähe (normalerweise viel größerer Zeitdruck);
Förderung konventioneller (statt innovativer) Lösungen
8.2.3. Kommunikationszentrierte Maßnahmen
Präsentationstraining: Wissensvermittlung in Bezug auf die Vorbereitung, den rhetorischen Aufbau, den
Einsatz von Humor und die Rahmung einer Präsentation Kennenlernen und Einübung verschiedener Visualisierungsformen (Folien,
Flipchart, Pinnwand usw.) Optimierung des persönlichen Auftretens in Bezug auf Aussprache, Gestik,
Mimik, Körperhaltung, Blickkontakt, Stimmmodulation, Vermeidung von
Füllseln, Einsatz von Pausen etc. Einübung der Bewältigung schwieriger Situationen (z.B. Lampenfieber, kritische
Fragen, Störungen etc.)
Moderationstraining (z.B. erfolgreiche Moderation eines Arbeitsgruppentreffens): Infos zur Rolle eines Moderators (Allparteilichkeit, effiziente Gesprächsführung
etc.) Vermittlung von Gruppenarbeitsmethoden zum Sammeln, Bewerten und
Auswählen von Problemen und Lösungsvorschlägen sowie Einübung der
Methoden in Rollenspielen Sensibilisierung für gruppendynamische Prozesse (Teamentwicklung,
Rollenbildung, Gruppenklima etc.) Einübung der Bewältigung schwieriger Situationen (Konflikte zwischen
Gruppenteilnehmern, dominierendes Verhalten Einzelner etc.)
68
Stärkung der Unterweisungskompetenz: Unterweisungen (z.B. wenn der Meister dem Lehrling was erklärt) folgen meist
der 4-Stufen-Methode (s.o.) Semmer et al. nennen 10 Merkmale, die eine gute Unterweisung ausmachen:
1. Anknüpfung am Vorwissen des Lernenden 2. Explizite Erklärung neuer Konzepte, Begriffe und Regeln 3. Verdeutlichung der neuen Konzepte an Beispielen 4. Klar erkennbare Gliederung (roter Faden) 5. Verwendung von Modellen, Werkstücken, Abbildungen und Skizzen, um das
Lernmaterial auf möglichst vielfältige Weise zu kodieren (bildhaft, akustisch,
haptisch etc.) 6. Wiederholungen und Zusammenfassungen 7. Einsatz von Aufgaben zum Ausprobieren und Üben 8. Feedback bezüglich des Lernfortschritts 9. Hinweise auf Fehler und Möglichkeiten ihrer Vermeidung 10. Erläuterung von Fehlerbewältigungsstrategien
Stärkung der Inspirationskompetenz (Kommunikation und Vermittlung von
Visionen, charismatische Führung): Visionen beziehen sich auf organisationale Veränderungsprozesse; um die
Mitarbeiter für sie zu begeistern, sollte auf Folgendes geachtet werden: Erzeugen eines positiven und anschaulichen Bildes des zukünftigen Zustandes. Um die Identifikation mit der Vision zu erleichtern, sollte dieses Bild jedoch
zugleich in der Schwebe bleiben (Verwendung von Metaphern!); hinzu
kommt, dass die Vision den Wertvorstellungen der Mitarbeiter entsprechen
sollte. Ziel ist es, einen Aha-Effekt bei den Mitarbeitern hervorzurufen, ein Wir-
Gefühl zu beschwören und Wirksamkeitserwartungen zu stärken. Körpersprachliche Unterstützung des Vortrags etc.
8.2.4. Selbstmanagementorientierte Maßnahmen
Unter Selbstmanagement versteht man die zielgerichtete Beeinflussung des eigenen
Verhaltens. Durch Selbstmanagementtrainings sollen Personen dazu befähigt werden,
für sich zielführende Handlungsweisen zu identifizieren sowie deren Ausführung zu
üben und zu festigen. Beispiele: Verminderung der persönlichen Fehlzeiten, Steigerung der eigenen
Verkaufszahlen, Verbesserung des Zeitmanagements etc. Theoretische Basis: Sozialkognitive Lerntheorie (von Bandura);
Zielsetzungstheorie (von Locke und Latham)
Ablauf selbstmanagementorientierter Maßnahmen: 1) Änderungsmotivation aufbauen 2) Selbstbeobachtung Identifikation von problematischen Verhaltensweisen sowie deren
Ausgangsbedingungen und Konsequenzen (z.B. anhand von
Selbstbeobachtungstagebüchern) 3) Zielsetzung Festlegung kurz-, mittel- und langfristiger Ziele, die möglichst spezifisch,
verhaltensbezogen und realistisch sein sollten 4) Selbstverstärkung und Stimuluskontrolle Vermeidung riskanter Situationen, Selbstbelohnung zielführenden Verhaltens
etc.
69
5) Selbstverträge in Anwesenheit Dritter In Selbstverträgen werden die Ziele sowie die Konsequenzen bei deren
Erreichung und Verfehlung festgelegt; sie dienen der Verfestigung und der
Transfersicherung des Trainings 6) Rückfallprävention Strategien bei Rückfällen etc.
Beispiel (typische Zeitmanagementprobleme): Aufschieben Zu wenig Planung Unfähigkeit, Nein zu sagen Ablenkungen und Unterbrechungen Zu wenig Delegation Schlechte Ordnung am Arbeitsplatz Zu wenig Pausen Unklare Ziele und Prioritäten Unterschätzung der Aufgabendauer
...
8.2.5. Zuweisung entwicklungsförderlicher Aufgaben
Bei der Zuweisung entwicklungsförderlicher Aufgaben geht es um folgende Ziele: Erwerb impliziten Wissens durch „learning by doing“ („tacit knowledge”) Aufbau und Gestaltung von Arbeitsbeziehungen (Teamwork, delegieren etc.) Aneignung von Werten und Arbeitshaltungen Einsichten über die eigene Person gewinnen (Stärken, Schwächen, Vorlieben etc.)
Entwicklungsförderliche Aufgabenmerkmale sind: Klare Anforderungen und Fristsetzungen Soziale Sichtbarkeit der Ergebnisse Eindeutige Kriterien für Erfolg und Misserfolg Hohe Erwartungen wichtiger anderer Verantwortung Gestaltungsspielraum Organisationaler und gesellschaftlicher Nutzen Anknüpfung an vorhandene Fähigkeiten
Beispiele: Auslandsentsendungen, Übernahme von Personalverantwortung, Aufbau
neuer Geschäftsbereiche etc.
8.2.6. Coaching
Coaching ist ein individuell unterstützender Beratungsprozess; eingesetzt wird das
Verfahren bei einem breiten Spektrum persönlicher und privater Probleme. Coaching-Ziele: Erlernen des Umgangs mit neuen Rollen (z.B. Vorbereitung auf den nahenden
Ruhestand etc.) Vorbereitung auf neue Aufgaben (z.B. bei einer Beförderung) Verbesserung der sozialen Kompetenzen Verbesserung der (Selbst-)Mangementfähigkeiten
Ablauf: Zielgruppe sind in der Regel Führungskräfte Unterschieden werden kann zwischen Individual- und Gruppencoaching (letzteres
wird eher im Rahmen der Organisationsentwicklung angewendet)
70
Durchgeführt werden kann ein Coaching von einem organisationsexternen Coach,
einen organisationsinternen Coach oder einen Vorgesetzten. Dauer: i.d.R. 6-9 Monate (10-15 Sitzungen zu je 1,5 bis 2 Stunden) Ablauf: Bestandsaufnahme, Zielvereinbarung; Feedback
Wirksamkeit: Wirksamkeitsstudien zum Coaching weisen vielfach methodische Mängel auf;
insgesamt zeigen sie jedoch, dass sich gecoachte Führungskräfte eher entlastet
fühlen, neue Sichtweisen entwickeln, eine erhöhte Reflexions-, Kommunikations-
und Führungskompetenz aufweisen und effektiver handeln. Der Erfolg eines Coachings hängt u.a. ab von: Der Art der Zielformulierung Der Qualifikation des Coaches Dem Engagement des Coaches Der Authentizität des Coaches Dem angepassten (=situationsgemäßen) Einsatz verschiedener Techniken
(Feedback, Konfrontation, Klärung dysfunktionaler Denkmuster; Pacing,
Rollenspiele, Verhaltenstrainings etc.)
8.2.7. Mentoring
Unter Mentoring versteht man die intensive Austauschbeziehung zwischen einem
Senior (=Mentor) und einem Junior (Protégé; Mentee) in einer Organisation! Auch Peer-Mentoring gibt’s – es ist jedoch selten. Neben natürlich gewachsenen Mentoring-Beziehungen, gibt es mittlerweile in
vielen Unternehmen formale Mentoring-Programme. Weibliche Nachwuchskräfte werden in formalen Mentoring-Programmen
häufiger Kollegen statt Vorgesetzten zugeordnet; bei männlichen
Nachwuchskräften ist es umgekehrt! => Mies!
Kennzeichen einer Mentoring-Beziehung: Funktionen des Mentors: Karrierebezogene Funktion: der Mentor unterstützt den Protégé in seinem
beruflichen Aufstieg. Psychosoziale Funktion: der Mentor hört dem Protégé zu, gibt ihm
Ratschläge, unterstützt ihn bei persönlichen Problemen, zeigt ihm seine
Stärken und Schwächen auf, motiviert ihn usw. Funktion als Rollenmodell: der Mentor dient dem Protégé als Rollenmodell
Funktionen des Protégés: Der Protégé nimmt dem Mentor Aufgaben ab ist ihm gegenüber loyal versorgt ihn mit Infos aus der Organisation
Mentoring vs. Coaching: Mentoring ist langfristiger, weniger direktiv, stärker emotional getönt und
umfassender (es geht nicht nur um Karriere-, sondern um Biographieförderung).
71
8.3. Evaluation von Personalentwicklungsmaßnahmen
Mögliche Messzeitpunkte: Vor der Maßnahme: Erwartungen der Teilnehmer, Vorkenntnisse etc. Während der Maßnahme: Einschätzung einzelner Schritte, laufende Messung des
Lernfortschritts, Feedback bei Trainings „on the job“ etc. Direkt nach der Maßnahme: Feedbackrunden, Selbsteinschätzung des Gelernten,
Wissenstests etc. Follow-up (z.B. 3 Monate später): Mitarbeiterbefragung; Leistungsmaße;
Wissenstests; Beförderungen etc.
Die Evaluation von PE-Maßnahmen setzt an verschiedenen Ebenen an (Kirkpatrick);
die Wirkungen auf den einzelnen Ebenen sind dabei relativ unabhängig voneinander;
außer zwischen den Ebenen kann auch auf der zeitlichen Ebene zwischen kurz-,
mittel- und langfristigen Effekten differenziert werden 1) Reaktion: Subjektive Bewertungen Einstellungen und Gefühle zum Training 2) Lernen: Aufnahme, Verarbeitung und Bewältigung der Lerninhalte 3) Verhalten: Umsetzung des Gelernten im Arbeitskontext / Leistung 4) Resultate: Erreichung organisationaler Ziele (Qualität und Quantität der Leistung;
Fehler; Unfälle; Beförderungen; Produktivitätssteigerungen etc.
Analyse von Trainingstransfers:
Evaluationsergebnisse: Die durchschnittliche Effektstärke von Maßnahmen zur Leistungssteigerung liegt
bei d = .44 Am effektivsten sind Trainings (=PE-Maßnahmen): d = .78! Es folgen: Zielsetzung (d = .75); soziotechnische Maßnahmen (d = .62);
finanzielle Anreize (d = .57); Arbeitsgestaltungsmaßnahmen (d = .42);
Feedback; flexible Arbeitszeiten, Supervision und an letzter Stelle
Management by Objectives (d = .12) Auf der Reaktions-, Lern- und Verhaltensebene sind sensumotorisch orientierte
PE-Maßnahmen am effektivsten, gefolgt von kognitiv orientierten Maßnahmen.
Was die Ergebnisse (sprich: die Erreichung organisationaler Ziele) betrifft, sind
interpersonale Maßnahmen am besten. Den größten Einfluss haben PE-Maßnahmen auf das Wissen der Teilnehmer; es
folgen: das Verhalten, Ergebnisse und Einstellungen.
72
Zur Evaluation von PE-Maßnahmen gehört auch eine monetäre Nutzenanalyse, die
sich wie folgt berechnet:
73
9.1. Allgemeines
9.1.1. Verschiedene Arten der Leistungsbeurteilung
Es lassen sich 3 Formen der Leistungsbeurteilung unterscheiden:
1) Mitarbeiterbeurteilung: Bei der Mitarbeiterbeurteilung wird primär der
Mitarbeiter als Person, und erst in zweiter Linie seine Leistung beurteilt. D.h.: im
Vordergrund stehen seine Qualifikationen, sein Fachwissen, seine berufliche
Erfahrung, seine Motivation etc.
Beurteilungszeitraum: mittelfristig zurückblickend
Beurteilungsmaßstab: sind die globalen Ziele der Organisation bzw. der
Beitrag, den der betreffende Mitarbeiter zu deren Erreichung geleistet hat.
Anwendungsbeispiele: Arbeitszeugnisse, Potenzialbeurteilungen etc.
2) Berufliche Leistungsbeurteilung: Bei der beruflichen Leistungsbeurteilung wird
die Leistung beurteilt, die eine Person im Rahmen ihrer Berufslaufbahn erbracht
hat; die beurteilte Leistung ist somit weder aufgaben- noch
organisationsspezifisch, sondern bezieht sich auf die Gesamtbiographie.
Beurteilungszeitraum: langfristig zurückblickend
Beurteilungsmaßstab: Normen der betreffenden Profession und
Entwicklungsziele der Person
Anwendungsbeispiele: Berufungsverfahren von Profs; Laufbahnforschung
3) Tätigkeitsbezogene Leistungsbeurteilung: bezieht sich auf die Leistung bei der
Erledigung bestimmter Aufgaben bzw. auf die Leistungen, die eine Person in
einem bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Organisation erbracht hat.
Beurteilungszeitraum: eher kurzfristig zurückblickend
Beurteilungsmaßstab: sind die Ziele der Organisation bzw. der durch die
Person geleistete Beitrag zu deren Erreichung
Ziel: Optimierung d. Unternehmenserfolgs d. Leistungsanreize und Selektion
Anwendungsbeispiele: Mitarbeitergespräch, Feedbackrunden etc.
Ziele und Funktionen der Leistungsbeurteilung:
Übergeordnete Funktionen:
Interpersoneller Vergleich (Grundlage für personelle Entscheidungen...)
Intrapersoneller Vergleich (Feedback-Funktion, operantes Lernen,
Feststellung individuellen PE-Bedarfs…)
Organisationserhaltung (Personalplanung, Erhaltung der Autoritätsstruktur…)
Dokumentation (Evaluation von PE-Maßnahmen…)
Konkrete Ziele:
Leistungsbeurteilungen bilden die Grundlage für personelle Entscheidungen:
Beförderungen, Versetzungen, Kündigungen etc.
Leistungsbeurteilungen bilden die Grundlage für die Festlegung des Gehalts
Leistungsbeurteilungen ermöglichen die Planung und Gestaltung von
Personalentwicklungsmaßnahmen und können für die Evaluation von
Personalauswahl- und Personalentwicklungsmaßnahmen herangezogen werden
Leistungsbeurteilungen sind Teil der Verhaltenssteuerung und zielen somit
auf eine Leistungsverbesserung (kein passiver Messvorgang, sondern aktive
Führung und Gestaltung!)
Leistungsbeurteilungen dienen der Motivation und Sozialisation (indem sie
u.a. die Anforderungen deutlich machen)
Leistungsbeurteilungen haben eine Signalfunktion, indem sie die Bedeutung
des Leistungsprinzips innerhalb der Organisation betonen
9. Leistungsbeurteilung und Feedback
74
9.1.2. Tätigkeitsbezogene Leistung
Ergebnisbezogene Definition von Leistung: Tätigkeitsbezogene Arbeitsleistung ist
die Gesamtheit der Ergebnisse des Tätigwerdens einer Person im
Beurteilungszeitraum – bewertet aus Sicht der Organisation. Dabei lassen sich 4 Ergebnisdimensionen unterscheiden:
1. Produktivität: verstanden als die Summe aus Effektivität (Grad der
Zielerreichung) und Effizienz (Verhältnis der erreichten Ziele zum Ausmaß der
dafür eingesetzten Ressourcen) 2. Kundenzufriedenheit: wobei unter Kunden sowohl interne als auch externe
Leistungsempfänger zu verstehen sind 3. Rückzugs- und kontraproduktives Verhalten: dazu zählen Absentismus,
Kündigung, die Schädigung von Organisationsmitgliedern (z.B. durch
Mobbing oder sexuelle Belästigung) und die Schädigung der Organisation
(z.B. durch Diebstahl, Sabotage, Unfälle oder Störfälle) 4. Rechtliche und leumundliche Beanstandungsfreiheit der Organisation:
damit ist das Einhalten von Gesetzen (z.B. Steuer- und Zollgesetzen) und
sozialen Erwartungen (z.B. durch Verzicht auf legale, aber in der
Öffentlichkeit nicht tolerierte Umweltverschmutzung) gemeint. Zuordnungsproblem: Eine Definition, die Leistung an den Arbeitsergebnissen
festmacht, hat das Problem, dass die Ergebnisse nicht nur vom individuellen
Arbeitsverhalten abhängen, sondern auch von organisationsinternen und –externen
situativen und strukturellen Gegebenheiten, die der Arbeitende de facto nicht zu
verantworten hat.
Verhaltensbezogene Definition von Leistung: Tätigkeitsbezogene Arbeitsleistung ist
die Summe der Erwartungswerte des Arbeitsverhaltens eines Beschäftigten in Bezug
auf die von der Organisation gewünschten Konsequenzen im Beurteilungszeitraum! Experten (sprich: Stelleninhaber, Vorgesetzte, Personalfachleute etc.) legen
erfolgskritische Verhaltensweisen fest und schätzen ein, welchen Beitrag sie zur
Erreichung der organisationalen Ziele leisten (positiver Erwartungswert der
Verhaltensweisen). Die Leistung des Beurteilten entspricht dann der Summe der
positiven Erwartungswerte der von ihm gezeigten Verhaltensweisen. Beispiel: Für den Verkauf von Versicherungspolicen ist seriöse Kleidung eine
erfolgskritische Verhaltensweise.
Fazit: Aufgrund des Zuordnungsproblems wird die Arbeitsleistung einer Person nicht
über die tatsächlichen Arbeitsergebnisse definiert, sondern darüber, in welchem
Ausmaß die betreffende Person Verhaltensweisen zeigt, die nach Ansicht von
Experten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu positiven Ergebnissen für die Organisation
führen.
Unterschieden werden kann zwischen der aufgabenbezogenen Leistung („In-role
behaviour“) und umfeldbezogener Leistung („Extra-role behaviour“) Die aufgabenbezogene Leistung bezieht sich auf die durch die Stelle formal
vorgegebenen Aufgaben einer Person (Produktion von Gütern, Dienstleistungen
Führung und Koordination) Sie ist abhängig von den Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten einer
Person sowie von ihrer Erfahrung.
Die umfeldbezogene Leistung betrifft Aspekte, die über die formalen
Verpflichtungen hinausgehen, also z.B. die Hilfsbereitschaft gegenüber Kollegen,
die Unterstützung des Unternehmens, Eigeninitiative, Anstrengung, Ausdauer etc. Sie ist abhängig von der Persönlichkeit und Motivation der Person sowie ihrer
Erfahrung!
75
Strukturmodell von Leistung nach Campbell:
8.2. Leistungsmessung
8.2.1. Allgemeines
Leistung ist ein Konstrukt, das sich als solches nur indirekt über Kriterien
(=Leistungsmaße bzw. –indikatoren) erfassen lässt. Da ein Indikator dazu i.d.R.
nicht ausreicht, sollten immer mehrere Indikatoren erhoben werden! Die Kriteriumsrelevanz eines Indikators: ist das Ausmaß, in dem der Indikator
(z.B. Fachwissen) einen wichtigen Aspekt des Konstrukts erfasst. Die Kriteriumsdefizienz: ist der Anteil eines Konstrukts, der durch einen Indikator
nicht aufgeklärt bzw. abgedeckt wird. So umfasst die Arbeitsleistung z.B. mehr als
nur Fachwissen. Die Kriteriumskontamination (=Verunreinigung) eines Indikators: kommt durch
Aspekte des Indikators zustande, die nichts zum Kriterium beitragen. So gehört
zum Fachwissen z.B. auch die Kenntnis früherer Produkte und Arbeitsverfahren,
die heute nicht mehr aktuell sind, weshalb ihre Kenntnis nichts mehr zur Leistung
beiträgt.
76
In Bezug auf die Arbeitsleistung kann zwischen 3 Arten von Kriterien unterschieden
werden: 1) Ergebnisbezogene Leistungskriterien Beispiele: Umsatz / Output; Terminüberschreitungen; Nachfrage; Preise und
Auszeichnungen, Anzahl an Patenten / Publikationen; Aktienwert etc. Vorteile: - sind plausibel, klar umrissen, „objektiv“ und leicht überprüfbar
- fördern Kosten-Nutzen-Denken
- bieten Verhaltensspielraum (schließlich ist es egal, wie die
Ergebnisse erzielt wurden)
- sind empfohlen, wenn erfolgskritisches Verhalten schwer
beobachtbar ist Nachteile: - Zurechnungsproblem (s.o.)
- können als unfair erlebt werden
- bringen die Gefahr kontraproduktiven Wettbewerbs mit sich
- enthalten keine Hinweise auf förderliches Verhalten (geringer
Informationsgehalt)
- werden dann erhoben, wenn es meistens schon zu spät für
Korrekturen ist
- Reliabilitätsproblem bei seltenen Ereignissen (z.B. bei Preisen
oder Super-Deals etc.) 2) Verhaltensbezogene Kriterien Beispiele: XY „hilft Kollegen“; „hält Termine ein“; „hat ein seriöses
Auftreten“; „führt keine Privatgespräche in Gegenwart von Kunden“ etc. Vorteile: - Zuordnungsproblem ist gering
- sind eindeutig und transparent
- haben einen hohen Informationsgehalt für die Beurteilten
- erlauben ursachenbezogenes Feedback
- ermöglichen Selbstkontrolle und Steuerung durch Vorgesetzte Nachteile: - werden mitunter als einengend erlebt
- sind anfällig für Beschönigungstendenzen
- aufwändig
- relevantes Verhalten gegebenenfalls unbeobachtbar 3) Eigenschafts- und personenbezogene Kriterien Beispiele: Belastbarkeit, Kontaktfreude, Teamfähigkeit, Gewissenhaftigkeit,
Motivation, Fachwissen, Leistungsbereitschaft, Karrieremaße (Alter/Position) Vorteile: - Erlauben Vergleiche zwischen verschiedenen Berufen/Positionen
- Erlauben Prognosen für zukünftiges Verhalten
- Geringer Entwicklungsaufwand
- Sind empfohlen, wenn die Ziele einer Tätigkeit nur sehr allgemein,
aber nicht operational definierbar sind Nachteile: - Nicht direkt erfassbar
- Großer Interpretationsspielraum
- Anfällig für subjektive Verzerrungen und Beschönigungen
- Geringe Transparenz
- Geringe Akzeptanz
- Wenig veränderbar und daher kaum für Feedback geeignet
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Die Leistungsmessung kann absolut (in Bezug auf objektive Leistungskriterien) oder
relativ (in Bezug auf die anderen Mitarbeiter) erfolgen. Die Vorteile einer relativen Leistungsmessung sind: Geringe Kosten Herausfilterung gemeinsamer Störeinflüsse (die betrieblichen Bedingungen
etc. sind für alle Mitarbeiter gleich) Eine übertrieben gute Beurteilung aller Mitarbeiter ist nicht möglich
Die Nachteile einer relativen Leistungsmessung sind: Teammitglieder sind nur bedingt vergleichbar (unterschiedliche Aufgaben und
Funktionen etc.) Wettbewerb wirkt sich ggf. negativ auf die Kooperationsbereitschaft aus Anreize für Mobbing, Sabotage und rücksichtsloses Verhalten Gefahr von leistungsmindernden Absprachen zwischen den Mitarbeitern Mögliche Demotivation von schwächeren Mitarbeitern durch stark
unterschiedliche Leistungspotenziale
Mögliche Quellen einer Leistungsbeurteilung: Objektive Daten: z.B. Produktionsdaten Externe Quellen: z.B. Kunden oder Lieferanten (Direkte) Vorgesetzte: Reihung, Verhaltensbeobachtung Gleichgestellte (Peers): z.B. gegenseitiges Feedback in Teams Mitarbeiter („Upward feedback“): Verhaltensfeedback für Führungskräfte Man selbst
360°-Feedback: ist ein multiperspektivisches Beurteilungsverfahren, das v.a. bei
der Beurteilung von Führungskräften eingesetzt wird; meist anhand von
standardisierten Fragebögen werden das Selbsturteil sowie Urteile von Mitarbeitern
(Untergebenen), Kollegen (Peers), Vorgesetzten und Kunden eingeholt und
miteinander verglichen. Ziel des Verfahrens ist es, durch den Vergleich von Selbst- und
Fremdbeurteilungen Reflexionsprozesse und gegebenenfalls eine Veränderung des
Führungsverhaltens anzustoßen. Die Multiperspektivität des Verfahrens führt dabei zu größerer Objektivität!
8.2.2. Verschiedene Beurteilungsverfahren und Leistungsmaße
Die freie Eindrucksschilderung: ist ein Verfahren, bei dem Eindrücke aus der
direkten Zusammenarbeit und Beobachtung eines Mitarbeiters gesammelt und
verschriftlicht werden. Die gesammelten Eindrücke können sich dabei sowohl auf
Eigenschaften als auch auf Verhaltensweisen beziehen. Welche Urteilsaspekte
berücksichtigt werden, liegt im Ermessen des Beurteilers; eine Skalierung gibt es
nicht. Probleme: stark anfällig für subjektive Verzerrungen; geringe Urteiler-
Übereinstimmung und Retest-Reliabiltät
78
Kennzeichnungs- und Auswahlverfahren: Bei dieser Art von Verfahren bekommen
Mitarbeiter oder Vorgesetzte eine Aussagenliste vorgelegt, anhand derer sie die zu
beurteilende Person charakterisieren sollen. Dabei muss unterschieden werden zwischen gemischten Aussagenlisten mit freier
Wahl und gruppierten Aussagenlisten mit Wahlzwang. Bei ersteren sind die Aussagen auf der Liste ungeordnet; Aufgabe des
Ausfüllenden ist es, die Aussagen anzukreuzen, die auf die zu beurteilende
Person zutreffen (…kommt häufig zu spät, …reagiert empfindlich auf Kritik,
…ist sehr gewissenhaft etc.) Bei gemischten Aussagenlisten mit Wahlzwang werden die Aussagen
paarweise oder im Tripel vorgegeben und der Auszufüllende muss sich für
einer der so gruppierten Aussagen entscheiden. Problem: Werden aufgrund geringer Akzeptanz in der Praxis eher selten
verwendet
Rangordnungsverfahren: Hierbei hat die beurteilende Person die Aufgabe, die
Gesamtheit der zu beurteilenden Personen in eine Rangordnung zu bringen. Letzteres kann entweder durch Bildung direkter Rangreihen, Rangbildung mit
Quotenvorgabe oder sukzessive Dominanzpaarvergleiche geschehen. Direkte Rangreihenbildung: Die zu beurteilenden Personen werden anhand
eines Kriteriums („Leistung“) in eine Rangreihe gebracht. Rangbildung mit Quotenvorgabe: Die einzelnen Personen werden anhand
vorgegebener Quoten (10% - 20% - 40% - 20% - 10%) einer von mehreren
Leistungsstufen zugeordnet; die Personen, die zu den besten 10% gehören,
werden der ersten-, diejenigen, die zu den darauffolgenden 20% gehören, der
zweiten Leistungsstufe zugeordnet usw.
Indirekte Rangbildung anhand von Dominanzpaarvergleichen: Jede Person
wird mit jeder verglichen und aus der so erhaltenen Häufigkeitstabelle
Skalenwerte berechnet.
Einstufungsverfahren (Ratings): Hierbei erfolgt die Beurteilung einer Person anhand
von Ratingskalen (z.B. von 1 bis 7). Werden diese graphisch dargeboten, spricht man
von graphischen Skalen. Verhaltensbeobachtungsskalen geben die Verhaltensweisen wieder, die im
Rahmen einer Arbeitsanalyse als erfolgskritisch identifiziert wurden Bei einem Kellner sollen z.B. folgende Items anhand einer 6-stufigen Skala
(von „fast nie“ bis „fast immer“) geratet werden: „nimmt neue Bestellungen
zügig auf“; „hält die Aschenbecher sauber“ usw. Bei verhaltensverankerten Einstufungsskalen werden den einzelnen
Skalenausprägungen Verhaltensweisen als Anker zugeordnet. Ein quotiertes Rating liegt vor, wenn die zu beurteilenden Personen bezüglich
diverser Items (z.B. „beantwortet Anfragen sehr zügig“) dahingehend beurteilt
werden sollen, ob sie zu den besten 10%, den darauffolgenden 20% etc. gehören
(s.o.).
Zielorientierte Beurteilungsverfahren: Hierbei wird die Leistung einer Person
anhand objektiver Leistungsmaße (Stückzahlen, Fehlzeiten, Unfälle, Beförderungen
etc.) beurteilt.
79
8.2.3. Durchführung und Nutzen von Leistungsbeurteilungen
Drei Anlässe bzw. Formen von Leistungsbeurteilungen lassen sich unterscheiden: 1) Tägliche Rückmeldung („day-to-day-feedback”): dient der (kurzfristigen)
Verhaltenssteuerung und dem Lernen der Mitarbeiter; erfolgt im Rahmen
informeller Gespräche am Arbeitsplatz; basiert i.d.R. auf frei gesammelten
Eindrücken. 2) Die Regelbeurteilung: dient der mittel- und langfristigen Verhaltenssteuerung und
Zielsetzung; bildet die Grundlage für die individuelle Gehaltsfindung und
Beförderungsentscheidungen; erfolgt in regelmäßigen Abständen (meist jährlich)
in Form eines Mitarbeitergesprächs (mit dem Vorgesetzten); basiert auf
standardisierten Beurteilungsinstrumenten (s.o.); die Beurteilungsergebnisse gehen
in die Personalakte ein. 3) Die Potenzialbeurteilung: dient dazu die langfristige Entwicklungsfähigkeit einer
Person einzuschätzen und ist somit im Ggs. zu den anderen
Leistungsbeurteilungen auf die Zukunft bezogen; erfolgt meist im Rahmen der
Eignungsdiagnose; basiert z.B. auf einem Assessment-Center
Funktionen von Mitarbeitergesprächen (zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter): Leistungs- und ggf. Potenzialbeurteilung Zielsetzung Austausch von Sachinfos Beziehungsklärung und Konfliktmanagement Förderung
Das Ausmaß der Rückmeldung wirkt sich positiv auf folgende Faktoren aus
(Korrelationen sind nach Größe geordnet): Erlebte Bedeutsamkeit der Arbeit: r = .57 Erlebte Verantwortlichkeit: r = .56 Zufriedenheit mit persönlicher Entwicklung: r = .56 Arbeitszufriedenheit: r = .43 Intrinsische Arbeitsmotivation: r = .34 Absentismus: r = -.19 Leistung: r = .09
8.2.4. Güte von Leistungsbeurteilungen
Urteilsverzerrungen: Die Urteile von Personen können durch verschiedene
Störfaktoren verzerrt werden. Informationsverarbeitung:
Milde- und Strengetendenz (= Mittelwertstendenzen)
Tendenz zur Mitte (= Streuungstendenz)
Halo-Effekt (= Korrelationstendenz)
Primacy-/Recency-Effekt
Motivation / Emotion:
Mildere Urteile bei positiver Stimmung
Vermeidung von Konflikten
Die Beurteilung der Mitarbeiter ist indirekt auch eine Beurteilung des
Managements und damit der eigenen Person
80
Strategisches:
Wegloben problematischer Mitarbeiter
Halten von guten Mitarbeitern
Einbezug leistungsfremder Gesichtspunkte: „Wer braucht eine gute
Beurteilung?“ statt: „Wer hat sich eine gute Beurteilung verdient?“
Differentielles:
Sympathie
Differenzierungsfähigkeit in Wahrnehmung und Sprache (=> Tendenz zur
Mitte=)
Implizite Persönlichkeitstheorien (=> Halo-Effekt)
Selbstbild
Objektive Gründe für Verzerrungen:
Beobachtungshäufigkeit
Beobachtungsrepräsentativität
Maßnahmen zur Reduktion von Urteilstendenzen: Vorgabe eindeutiger und verhaltensbezogener Kriterien Genaue Kenntnis der Tätigkeitsanforderungen Repräsentativität der Beobachtungen Beurteilertrainings (Infos zu Urteilsfehlern, Beobachtungsschulung, Entwicklung
eines gemeinsamen Maßstabes)
Einsatz mehrerer Beurteiler
Mehrere Urteilsquellen (360°-Feedback)
Akzeptanzbedingungen für Beurteilungsverfahren: Kurze Beurteilungsintervalle Existenz eines formalen Beurteilungssystems (wie z.B. bei Mercedes Benz) Partizipation der Betroffenen während der Entwicklung und Einführung des
Beurteilungssystems Beurteilungsdimensionen werden als relevant angesehen (hohe
Augenscheinvalidität) Hohe Sach- und Gesprächsführungskompetenz der Beurteiler (z.B. Kritik nicht
gehäuft und nicht eigenschaftsbezogen)
Gelegenheit für die Beurteilten, Einwände zu äußern
Auf empfundene Schwächen des Beurteilungssystems wird mit Veränderung
reagiert
Einige Gütemaße (berechnet für ein standardisiertes unternehmensweites Verfahren
von Mercedes Benz): Stabilität (=Retest-Reliabilität) on Vorgesetztenurteilen: r = .81 Interrater-Reliabilität Für Vorgesetzte: r =.52 Für Gleichgestellte: r = .42 Für Mitarbeiter: r = .31 bis r = .36
Validität ist… am höchsten, wenn die Beurteilung durch Vorgesetzte und Kollegen erfolgt:
r = .62 deutlich geringer, wenn sich die Beurteilung auf verhaltensbezogene und
objektive Kriterien bezieht: r = .39
deutlich geringer, wenn die Beurteilung durch Kollegen und den Beurteilten
selbst (r = .36) oder Vorgesetzte und den Beurteilten selbst (r = .34) erfolgt.
81
9.1. Wie immer: Allgemeines
9.1.1. Begriffsklärung
Definition: „Führung“ ist ein Sammelbegriff für alle Interaktionsprozesse, in denen
Personen absichtlich sozialen Einfluss auf andere Personen nehmen, um die
Erfüllung gemeinsamer Aufgaben im Kontext einer strukturierten Arbeitssituation
sicherzustellen. Kurz: Führung als bewusste und zielbezogene Einflussnahme auf Menschen
Da die Führung eines Unternehmens auf verschiedenen Ebenen stattfindet, kann
zwischen 3 Formen von Führung unterschieden werden (wobei der Unterschied
zwischen diesen Formen im Ausmaß der Personalisierung liegt) 1) Personale Führung (bezieht sich auf einzelne Mitarbeiter)
2) Personalmanagement (bezieht sich auf den Mitarbeiterstab im Ganzen)
3) Unternehmensführung (bezieht sich auf das Gesamt-Unternehmen)
French und Raven unterscheiden 6 Machtquellen bzw. Formen der Machtausübung: 1) Belohnungsmacht Z.B. durch Zuweisung finanzieller Mittel, Verteilung von Lob und
Wertschätzung etc. 2) Bestrafungsmacht z.B. durch Androhung von Sanktionen etc.
3) Legitimierte Macht durch vertragliche Regelung
4) Identifikationsmacht durch Attraktivität bzw. Vorbild- und Modellwirkung
5) Expertenmacht durch Fachkompetenz und Wissensvorsprung bedingt
6) Informationsmacht durch Besitz strategisch wichtiger Infos bedingt
Was tun Führungskräfte?! Auswahl wichtiger Aufgaben: Organisation nach außen repräsentieren Mitarbeiter anleiten und motivieren Personalbeschaffung, -auswahl, -einsatz und -entwicklung
Delegieren von Aufgaben und Autorität Verwaltungs- und Büroarbeit
Ressourcenkontrolle
Kommunizieren und Informieren; Beeinflussen und Überzeugen; Planen und
Organisieren; Koordinieren etc.
Empirische Befunde: 40-80% der Tätigkeit von Führungskräften ist kommunikativer Art; die Inhalte
der Kommunikation sind dabei nicht nur aufgabenbezogen, sondern beziehen
sich nicht selten auf Netzwerkbildung und Sicherung der eigenen Position
Die Arbeitstätigkeit von Führungskräften ist oft fragmentiert: ca. 50 bis 200
Episoden pro Tag; dabei sind die einzelnen Episoden oft nicht selbstbestimmt,
sondern durch externe Störungen oder unvorhergesehene Kontakte bedingt.
Es steht nur wenig Zeit für Reflexion und die langfristige Planung von
Tätigkeitszielen zur Verfügung! Häufig muss auf informelle, gerüchteartige
Infos zurückgegriffen werden.
9. Führung
82
Fragen, die sich eine Führungskraft stellen muss: Was gehört zu meinen Führungsaufgaben? Was kann ich delegieren? Was mache ich selbst? Wer neidet mir die Position? Auf wen kann ich mich verlassen? Wie viel Nähe lasse ich zu? Wie viel Distanz baue ich auf? Wie viel Rückendeckung habe ich durch meine Vorgesetzten? Wie fördere ich Leistung und Engagement? …
9.1.2. Führungserfolg und Führungsergebnisse
Der Führungsprozess: Ein Rahmenmodell:
Die Führungsergebnisse und der Führungserfolg hängen von dem
Führungsverhalten und dispositionellen Merkmalen der Führungskraft ab.
Dabei gilt jedoch zweierlei:
1. Wird der Zusammenhang zumindest teilweise durch Moderatorvariablen
vermittelt. Sprich: Ob ein bestimmtes Verhalten bzw. bestimmte Merkmale
zu guten Ergebnissen führen, hängt u.a. von Merkmalen der Aufgabe und
der zu führenden Gruppe ab, dem situativen Kontext und vielem mehr.
2. Wirken die Führungsergebnisse und der Führungserfolg auf die Merkmale
und das Verhalten der Führungskraft, sowie auf die besagten
Moderatorvariablen zurück (Wechselwirkung).
Führungsergebnisse und Indikatoren für Führungserfolg:
Führungsergebnisse: 1. Zielerreichungsgrad (Effektivität und Effizienz) 2. Leistungseinstellung der Gruppe 3. Arbeitszufriedenheit 4. Teamklima 5. Akzeptanz des Führenden durch die Geführten 6. Aufrechterhaltung der Position des Führenden
Indikatoren für Führungserfolg: 1. Leistungsbeurteilungen
2. Erreichte Position bzw. Zahl der
Beförderungen
3. Gehaltshöhe
4. Ansehen
5. Zufriedenheit
Wichtig: Der Führungserfolg (gemessen an der Karrieregeschwindigkeit, dem
Gehalt etc.) und die Führungsergebnisse (gemessen an den erreichten Zielen)
müssen nicht identisch sein!
Sprich: Erfolgreiche Führungskräfte müssen nicht zwangsläufig die besten
Ergebnisse bringen!
83
Die Messung von Führungsverhalten erfolgt anhand von Fremd- und
Selbstbeurteilungen oder Mischformen aus beidem.
Fremdbeurteilung:
Fragebögen: z.B. der „Frageborgen zur Vorgesetzten-Verhaltens-
Beschreibung“ (FVVB)
Beobachtungssysteme: z.B. das „Leader Observation System“ (LOS)
Selbstbeurteilung:
Fragebögen: z.B. der „Leader Opinion Questionaire“ (LOQ) oder die „Least
Preferred Coworker”-Skala (LPC)
Mischung aus Fremd- und Selbstbeurteilung: 360°-Feedback (s.o.)
9.2. Führungsmodelle
9.2.1. Dispositionelle Ansätze
Dispositionelle Ansätze gehen davon aus, dass der Führungserfolg von Merkmalen
der Führungskraft abhängt. Die Merkmale, die dabei zur Vorhersage herangezogen werden, variieren
zwischen den verschiedenen Autoren z.T. enorm: Häufig genannte Merkmale sind:
- Soziale Kompetenz / Geselligkeit („Sociability“)
- Durchsetzungsvermögen („Assertiveness“)
- Selbstvertrauen („Self confidence“)
- Originalität
- Emotionale Stabilität
- Leistungsmotivation („Achievement Motivation“)
- Sozialisiertes Machtmotiv
- …
Empirische Befunde:
Eine Metaanalyse von Judge et al. erbrachte die folgenden korrigierten
Zusammenhänge zwischen Merkmalen der Führungskraft und Führungserfolg: Offenheit: ρ = .37 Extraversion: ρ = .31 Gewissenhaftigkeit: ρ = .28 Intelligenz: ρ = .27 Emo. Stabilität: ρ = .24 Verträglichkeit: ρ = .08
Die Wahl zum Führer hängt laut einer anderen Metaanalyse von folgenden
Faktoren ab: Intelligenz: r = .50 Extraversion: r = .26 Verträglichkeit: r = .24 Dominanz: r = .13
84
Wie die Merkmale des Führers sich auf die Führungsergebnisse auswirken, hängt
nicht zuletzt von den Merkmalen der zu führenden Personen ab. Setzt man den Selbstwert und die Intelligenz der Geführten zur
Persuasionswirkung eines Führers in Bezug, ergibt sich ein quadratischer
Zusammenhang, sprich: die Persuasionswirkung ist bei durchschnittlicher
Ausprägung des Selbstwerts und der Intelligenz am höchsten und lässt mit
zunehmender Abweichung von diesem Mittelwert nach. Am schwersten zu
überzeugen sind dementsprechend extrem schlaue Leute mit hohem Selbstwert
sowie deren Gegenteil: also Leute mit sehr niedriger Intelligenz und
entsprechend geringem Selbstwert! Personen mit starkem Bedürfnis nach personaler Führung („schwache
Menschen“) erleben eine Führungsperson eher als charismatisch und reagieren
positiver darauf (Arbeitszufriedenheit, Commitment) als Leute mit geringem
Bedürfnis nach personaler Führung. Aber: Auch Personen, die wenig auf
Sicherheit des Arbeitsplatzes und Stabilität bedacht sind (also vermeintlich
„starke Menschen“) reagieren positiv auf charismatische Führung! Weitere Moderatorvariablen ergeben sich aus der Art der Aufgabe bzw. der Art
der betrachteten Führungsergebnisse. So konnte z.B. gezeigt werden, dass sich eine hohe Durchsetzungsfähigkeit
(„Assertiveness“) zwar positiv auf den instrumentellen Nutzen der
Führungstätigkeit auswirkt, dafür aber einen negativen Effekt auf den sozialen
Nutzen von Führung hat.
Schematheorie der Führung (von Lord & Mahler): Die Frage, ob jemand als guter
Führer angesehen wird, hängt von dem Führungsschema ab, dass der Beurteilung
zugrunde gelegt wird. Ergo: Eine Führungsperson wird umso mehr akzeptiert, je eher
sie in ihren Merkmalen und Verhaltensweisen den Vorstellungen bzw. dem aktivierten
Führungsschema der Geführten entspricht! Führungsschemata sind dabei nicht zuletzt kulturabhängig. Eine Studie, die das
eindrücklich nachweist, ist die sog. GLOBE-Studie („Global Leadership and
Organizational Behaviour Effectiveness”).
Im Rahmen der GLOBE-Studie wurden Manager aus 61 Ländern u.a. dazu befragt,
wie Führung aus ihrer Sicht ist (Praktiken) und wie sie sein sollte (Werte). Ein
zentrales Anliegen der Studie war es, herauszufinden, inwiefern die
Unternehmenskultur und der Führungsstil von der jeweiligen Landeskultur abhängen. Die GLOBE-Studie unterscheidet folgende 9 Kulturdimensionen:
1. Machtdistanz (Akzeptanz ungleicher Machtverteilung) 2. Unsicherheitsvermeidung (Abhängigkeit von Normen, Regeln und Standards
zur Vermeidung von Unsicherheit) 3. Humanorientierung (Bedeutsamkeit und Verstärkung humanen Verhaltens) 4. Gruppen-/ und Familien-Kollektivismus (Stolz, Loyalität und Kohäsion in
Familien und/oder Organisationen) 5. Institutioneller Kollektivismus (Bedeutung und Verstärkung von kollektivem
Handeln und gerechter Ressourcenverteilung) 6. Konfliktorientierung/Selbstdurchsetzung (Bedeutung und Verstärkung
bestimmten, konfrontativ-aggressiven Beziehungsverhaltens) 7. Geschlechtergleichheit 8. Zukunftsorientierung (Investitionen in die Zukunft, Planungsaktivitäten,
Gratifikationsaufschub) 9. Leistungsorientierung
85
Ergebnisse:
Zwar gibt es Merkmale von Führung, die weltweit ähnlich beurteilt werden, es
gibt aber auch kulturelle Unterschiede. Ergo: Führungstheorien bzw.
–schemata unterliegen landes- und unternehmenskulturellen Einflüssen!
Ob ein bestimmter Führungsstil effektiv ist, hängt nicht zuletzt vom
gesellschaftlich-kulturellen Kontext ab!
Praktiken und Werte gehen in fast allen Bereichen auseinander (einzige
Ausnahme: Geschlechtergleichheit)
Deutsche Führungskultur zeichnet sich durch eine verhältnismäßig hohe
Leistungs- und Zukunftsorientierung aus! Gleichzeitig weist sie aber auch ein
überdurchschnittlich hohes Maß an Unsicherheitsvermeidung auf (was auf
Kosten von Innovation und Experimentierfreudigkeit geht). Was die
Humanorientierung betrifft, ist Deutschland auf einem der letzten Plätze!
Kritische Würdigung des dispositionellen Ansatzes: Vorteile: Persönlichkeitsmerkmale und Intelligenz leisten in der Tat einen wenn auch
unterschiedlich hohen Beitrag zur Vorhersage von Führungserfolg! Der Ansatz ist äußerst plausibel und weist einen hohen Allgemeinheitsgrad
auf! Nachteile: Das Modell ist monokausal und statisch! Der Zusammenhang zwischen Dispositionen und bestimmten
Verhaltensweisen (als Mediatoren des Führungserfolgs) ist bisher noch kaum
untersucht worden.
9.2.2. Verhaltensorientierte Ansätze: Führungsstile
Definition: Unter einem Führungsstil versteht man ein zeitlich überdauerndes und in
Bezug auf bestimmte Situationen konsistentes Führungsverhalten von Vorgesetzten
gegenüber Mitarbeitern. Der große Vorteil gegenüber eigenschaftsorientierten Ansätzen: Führungsstile
lassen sich trainieren (meist geschieht das anhand von Fallbeispielen)
A) Mitarbeiter- vs. Aufgabenorientierung
Bezüglich des Führungsstils lässt sich zw. Mitarbeiterorientierung (=Consideration)
und Aufgabenorientierung (=Initiating structure) unterscheiden. Ein mitarbeiterorientierter Führungsstil: zeichnet sich durch Rücksichtnahme
und Fürsorge gegenüber den Mitarbeitern aus; auf einengende Vorgaben und
Autoritätsbekundungen wird weitgehend verzichtet! Ein aufgabenorientierter Führungsstil: zeichnet sich dagegen durch ein hohes
Maß an Kontrolle, Strukturierung und Aktivierung aus; im Vordergrund stehen
nicht soziale Ziele, sondern die Erreichung der organisationalen Ziele.
Bezüglich des Zusammenhangs zwischen diesen beiden Führungsstile gibt es
unterschiedliche Theorien: Die Michigan-Schule (Likert et al.) betrachtet Mitarbeiterorientierung und
Aufgabenorientierung als zwei Pole ein und derselben Dimension. Nach diesem
Modell schließen die beiden Führungsstile einander also mehr oder minder aus. Die Ohio-Schule (Blake, Mouton u. a.) fasst „Consideration“ und „Initiating
Structure“ dagegen als zwei unterschiedliche, weitgehend unabhängige Faktoren
auf, die einander keineswegs ausschließen. Das Ohio-Modell hat sich letztlich durchgesetzt!
86
Das Verhaltensgitter („Managerial Grid“) von Blake & Mouton unterscheidet
anhand der beiden Dimensionen „Mitarbeiterorientierung“ und
„Aufgabenorientierung“ verschiedene Führungsstile. Die beiden Dimensionen bzw. Achsen sind zu diesem Zweck in jeweils 9 Stufen
unterteilt, so dass sich insgesamt 9*9=81 verschiedene Verhaltensmuster ergeben.
Als relevant werden jedoch lediglich die folgenden 5 Führungsstile betrachtet: 1. „Teammanagement“ (= „Führungsstil 9/9“): gilt als das beste
Führungsverhalten; es ist sowohl durch ein hohes Maß an
Mitarbeiterorientierung (9) als auch durch ein hohes Maß an
Aufgabenorientierung (9) gekennzeichnet.
- Effekt: Ziele werden als gemeinsame Ziele angesehen, das Team
kooperiert und legt eine hohe Leistung an den Tag.
2. „Galcéhandschuh-Management“ (= „Führungsstil 1/9“): ist durch ein
hohes Maß an Mitarbeiterorientierung (9), dafür aber eine geringe
Aufgabenorientierung (1) gekennzeichnet.
- Effekt: gutes Arbeitsklima, aber geringe Effektivität und Effizienz bei der
Erreichung der Ziele
3. „Laissez-Faire-Stil“ (= „Führungsstil 1/1“): gilt als der ungünstigste
Führungsstil; Führungskraft zeigt weder besonderen Einsatz für die
Mitarbeiter, noch für die Ziele der Organisation
4. „Befehl-Gehorsam-Management“ (= „Führungsstil 9/1“): Planung und
Festlegung der Arbeitsbedingungen ohne Beachtung der Mitarbeiter
5. „Organisationsmanagement“ (= „Führungsstil 5/5): Kompromisslösung
- Effekt: Mitarbeiter sind zwar motiviert, laufen aber nicht zu Höchstform auf.
Der bekannteste Fragebogen zur Erfassung des Führungsstils ist der „Leader-
Behaviour-Description-Questionnaire” (LBDQ), der in der deutschen Fassung
„Fragebogen zur Vorgesetztenverhaltensbeschreibung“ (FVVB) heißt. Der FVVB umfasst 32 Items, die anhand einer 5-stufigen Skala (1 = „immer“; 5 =
„fast nie“) von Mitarbeitern beantwortet werden. Die 32 Items lassen sich ihrerseits 4 bzw. 5 Dimensionen zuordnen:
1. Freundliche Zuwendung
- Beispielitem: „Er ist freundlich und man hat leicht Zugang zu ihm.“
2. Mitbestimmung
- Beispielitem: „Er entscheidet und handelt, ohne es vorher mit seinen
Mitarbeitern abzusprechen.“
3. Mitreißende Aktivität
- Beispielitem: „Er regt seine Mitarbeiter zu Selbständigkeit an.“
4. Kontrolle
- Beispielitem: „Er gibt seinen Mitarbeitern Aufgaben, ohne ihnen zu sagen,
wie sie sie ausführen sollen.“
- Führungsstil 9/9 ist optimal; alle
Formen im Bereich 5/5; 5/9 und 9/5
erstrebenswert!
87
5. Kombination aus freundlicher Zuwendung und mitreißender Aktivität:
- Beispiel: „Er ist am pers. Wohlergehen seiner Mitarbeiter interessiert.“
Reanalysen haben gezeigt, dass die 4 genannten Dimensionen ihrerseits zu 2
Faktoren zusammengefasst werden können (2-Faktoren-Lösung), die zusammen
ca. 80% der Gesamtvarianz aufklären. Diese beiden Faktoren sind:
a) Mitarbeiterorientierung (= Freundlichkeit + Mitbestimmung) b) Aufgabenorientierung (= Aktivität + Kontrolle)
Judge et al. haben in einer Metaanalyse die Effekte der beiden Dimensionen
„Consideration“ und „Initiating Structure“ untersucht und sind dabei zu folgenden
Ergebnissen gekommen: Eine hohe Mitarbeiterorientierung trägt insgesamt gesehen mehr zum
Führungserfolg bei als eine hohe Aufgabenorientierung (ρ = .48 vs. ρ = .29).
Wie erwartet, korreliert die Mitarbeiterorientierung dabei besonders eng mit der
Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter (ρ = .46) – diese Korrelation ist mehr als
doppelt so hoch wie die zwischen Aufgabenorientierung und Arbeitszufriedenheit
(ρ = .22)
Noch eklatanter ist der Unterschied, was die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit
der Führung betrifft (ρ = .78 vs. ρ = .33)
Der Zusammenhang zw. Leistung und Aufgabenorientierung (ρ = .30) ist nur
unwesentlich stärker als der zwischen Mitarbeiterorientierung und Leistung (ρ =
.28)
Die Validität der Mitarbeiterorientierung (im Schnitt ca. 0,5) ist bei fast allen
einschlägigen Fragebögen höher als die der Aufgabenorientierung (im Schnitt ca.
0,35); einzige Ausnahme ist der „Leader Opinion Questionnaire“ (LOQ), wo es
umgekehrt ist.
Wie hoch Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung miteinander korrelieren, hängt
vom verwendeten Fragebogen ab; im Schnitt besteht eine schwach positive
Korrelation (r = .17); legt man den LBDQ zugrunde, fällt sie jedoch deutlich höher
aus (r = .44), beim LOQ und SBDQ ist sie dagegen schwach negativ (r = -.08)
In Wirtschaftsunternehmen ist mitarbeiterorientierte Führung etwas weniger
verbreitet als im öffentlichen Sektor!
Consideration und Initiating Structure korrelieren mit bestimmten
Persönlichkeitseigenschaften:
Consideration korreliert erwartungsgemäß mit Offenheit (r = .18) und
Verträglichkeit (r = .14).
Initiating Structure korreliert dagegen negativ mit Verträglichkeit (r = -.15),
dafür aber positiv mit Gewissenhaftigkeit (r = .26) und Extraversion (r = .20).
88
B) Transaktionale Führung, transformationale Führung und „Laissez-Faire“
Transaktionale Führung: ist ein rationaler Austauschprozess, der auf dem Prinzip d.
Verstärkung beruht. Die Hauptaufgabe des Führenden besteht darin, die Mitarbeiter
durch entsprechende Anreize (Gehalt, Lob, Bestrafung etc.) für die eigenen Ziele zu
gewinnen und darauf zu achten, dass sie seinen Erwartungen gerecht werden.
Transaktionale Führung beruht demnach auf folgenden Prinzipien:
1. Leistungsabhängige Belohnung („contingent reward“): Für bestimmte,
genau festgelegte Leistungen des Mitarbeiters bietet die Führungskraft eine
festgelegte Gegenleistung (Entgelt, Lob, Aufstieg etc.).
2. „Management durch Ausnahmen“ („Management by Exception“): Wenn
Probleme bzw. „Ausnahmen“ auftreten, greift der Führende korrigierend ein.
Dabei werden die Probleme von ihm entweder aktiv gesucht und antizipiert
(aktive Form) – oder der Führende greift erst dann ein, wenn sie von selbst zu
Tage treten (passive Form = Laissez-faire)
Probleme:
Die Leistung der Mitarbeiter bleibt im Rahmen der an sie gestellten
Erwartungen und geht nicht darüber hinaus!
Je selbständiger und flexibler gearbeitet werden soll, desto unangemessener ist
ein Führungsverhalten, das ausschließlich auf Kontrolle u. Belohnung beruht.
Transformationale (charismatische) Führung: versucht, den Mitarbeitern Sinn in
ihrer Arbeit zu vermitteln, um auf diese Weise ihre Arbeitseinstellung und
Leistungsbereitschaft zu transformieren. Die Hauptaufgabe des Führenden besteht
somit darin, die Mitarbeiter für seine Ziele bzw. Visionen zu begeistern – und zwar so,
dass ihre Leistungen über die formalen Erwartungen hinausgehen.
Transformationale Führung basiert auf 4 Prinzipien:
1. Charisma („idealized influence“): Der Führende verfügt über
Ausstrahlungskraft, weckt Vertrauen bei den Mitarbeitern, ist Vorbild und
Identifikationsfigur und spornt zum Nacheifern an.
- „XY macht mich stolz darauf, mit ihm/ihr zu tun zu haben.“
2. Inspiration („inspirational motivation“): Der Führende vermittelt seinen
Mitarbeitern eine ansprechende und inspirierende Vision, lässt sie den Sinn in
ihrer Arbeit erkennen und überzeugt sie von ihren eigenen Möglichkeiten und
Fähigkeiten.
- „XY spricht mit Begeisterung über das, was erreicht werden soll.“
3. Geistige Anregung („intellectual stimulation“): der Führende stellt
Gegebenes in Frage, ist risikobereit und regt auch die Mitarbeiter zu
eigenständigem und kreativem Denken an.
- „XY bringt mich dazu, Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln zu
betrachten.“
4. Individuelle Hinwendung („indvidualized consideration“): der Führende
schenkt jedem Einzelnen genügend Aufmerksamkeit, geht auf persönliche
Bedürfnisse ein, ist bei Bedarf Coach und leitet an.
- „XY hilft mir, meine Stärken auszubauen.“
Kennzeichen charismatischen Führungsverhaltens:
Ziele werden an die Utopie bzw. Vision einer besseren Zukunft geknüpft
Entwicklung herausfordernder Leistungserwartungen
Es wird mit emotionalen Appellen gearbeitet
Stärkung der Selbstwirksamkeit der Geführten
Betonung kollektiver Identitäten und kollektiver Wirksamkeit
Die propagierten Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen werden aktiv
vorgelebt
89
Motivationale Mechanismen: Aufrechterhaltung und Stärkung des Selbstwertgefühls, der Selbstwirksamkeit,
Würde und Hoffnung der Geführten
Persönliche Identifikation mit dem Führenden
Soziale Identifikation (mit dem Kollektiv)
Anregung von intensiven Emotionen
Internalisierung von Werten und Zielen
Selbst-Konsistenz (sofern die Ziele des Führenden von den Geführten als ihre
eigenen übernommen werden)
Trainierbarkeit transformationaler Führung:
Eintägiges Gruppentraining (mit 20 Bankmanagern) zu „intellectual
stimulation“ und eine Einzelsitzung mit Trainer führten bei den Mitarbeitern
zu höherem Commitment, höherer erlebter „intellectual stimulation“ und
besseren Leistungen (Vertragsabschlüsse) im Vergleich zu einer
Kontrollgruppe!
Ein 1,5-tägiges Training zu „inspirierender Kommunikation“ (Prinzipien,
Rollenspiele, Video-Feedback) führte zu einer signifikanten Verbesserung des
Verhaltens (Ratings von Videoaufnahmen durch trainierte Beurteiler)
„Laissez-Faire“ (auch als „Nonleadership“ bezeichnet) ist die schlechteste Form von
Führung; sie ist durch Verantwortungsverweigerung, Verschleppung von
Entscheidungen und Verzicht auf Einflussnahme gekennzeichnet.
Der „Multifactor Leadership Questionnaire“ (MLQ) ist ein Fremd-
beurteilungsverfahren (Geführte beurteilen Führenden), mit Hilfe dessen folgende 3
Führungsstile erfasst werden: a) transaktionaler-, b) transformationaler-, c) „Laissez-
faire“-Stil
Der Fragebogen umfasst 10 Skalen:
1. Charisma: „XY vermag mich durch ihre Persönlichkeit zu beeindrucken und
zu faszinieren.“
2. Idealized Influence attributed: „XY macht mich stolz darauf, mit ihr zu tun
zu haben.“
3. Indealized Influence Behaviour: „XY berücksichtigt die moralischen und
ethischen Konsequenzen von Entscheidungen.“
4. Inspirational Motivation: „XY spricht mit Begeisterung über das, was
erreicht werden soll.“
5. Intellectual Stimulation: „XY bringt mich dazu, Probleme aus verschiedenen
Blickwinkeln zu betrachten.“
6. Individualized Consideration: „XY erkennt meine individuellen Bedürfnisse,
Fähigkeiten und Ziele.“
7. Contengent Reward: „XY macht deutlich, wer für bestimmte Leistungen
verantwortlich ist.“
8. Management by Exception – active: „XY verfolgt alle Fehler konsequent.“
9. Management by Exception – passive: „XY wartet bis etwas schiefgegangen
ist, bevor sie etwas unternimmt.“
10. Laizzez-Faire (umkodiert): „XY trifft schnell und ohne zu Zögern ihre
Entscheidungen.“
Judge et al. haben in einer Metaanalyse die Effekte der 3 genannten Führungsstile
untersucht und sind dabei zu folgenden Ergebnissen gekommen: Leistungskontingente Belohnung wirkt sich stärker die Berufszufriedenheit
der Mitarbeiter aus als ein transformationaler Führungsstil: ρ = .64 zu ρ = .58!
Transformational
Transaktional
Laissez-Faire
90
Auch der Führungserfolg („Leader job performance“) ist bei
leistungskontingenter Belohnung größer als bei einem tranformationalen
Führungsstil: ρ = .45 zu ρ = .27! Dafür führt ein transformationaler Führungsstiel jedoch zu einer höheren
Zufriedenheit mit dem Führenden (ρ = .77 zu ρ =.55) und zu höherer
Führungseffektivität (ρ = .64 zu ρ = .55)! Bedacht werden muss, dass sich ein transformationaler Führungsstil und
kontingente Belohnung nicht ausschließen. Im Gegenteil: die beiden Faktoren
korrelieren äußerst hoch miteinander: r = .80! In der Wirtschaft ist kontingente Belohnung verbreiteter als ein
transformationaler Führungsstil – auf der Uni, beim Militär und im
öffentlichen Sektor ist es umgekehrt! Die verschiedenen Führungsstile korrelieren mit bestimmten
Persönlichkeitseigenschaften:
Der transformationale Führungsstil hängt dabei am stärksten mit der
Persönlichkeit zusammen (R² = .09); MBE-aktiv am schwächsten (R² = .01);
bei kontingenter Belohnung und Laissez-Faire liegt der
Determinationskoeffizient R² jeweils bei 0,3!
Einzelzusammenhänge:
- Der transformationale Führungsstil korreliert positiv mit Extraversion
(ρ=.24); Offenheit (ρ=.15); Freundlichkeit (ρ=.14) und Gewissenhaftigkeit
(ρ=.02) und negativ mit Neurotizismus (ρ= -.17).
- Kontingente Belohnung korreliert positiv mit Freundlichkeit (ρ=.17) und
Extraversion (ρ=.14) und negativ mit Neurotizismus (ρ = -.10)
- Ein Laissez-Faire-Stil korreliert negativ mit Freundlichkeit (ρ = -.12),
Gewissenhaftigkeit (ρ = -.11) und Extraversion (ρ = -.09)
- MBE-aktiv korreliert negativ mit Freundlichkeit (ρ = -.11)
Vermittelnde Variablen:
Der transaktionale Führungsstil hängt direkt mit der Leistung der Geführten
und der Innovativität der Gruppe zusammen.
Der transformationale Führungsstil wirkt sich über das „Organizational
Citizenship Behaviour“ (OVB) auf die Leistung der Geführten aus – und über
die Anregung von Debatten auf deren Innovativität!
9.2.3. Kontingenz-Ansätze
A) Das Kontingenzmodell der Führung nach Fiedler
Das Kontingenzmodell der Führung geht davon aus, dass der Führungserfolg, definiert
als die Gruppenleistung, sowohl vom Führungsstil (Aufgaben- vs.
mitarbeiterorientiert) als auch von Merkmalen der Situation abhängig ist; maximal ist
der Erfolg, wenn beides (Führungsstil und Situation) aufeinander abgestimmt sind.
Der Führungsstil wird über die „Least-preferred-Coworker“-Skala (von
Fiedler) erfasst; dabei soll der Vorgesetzte seinen schlechtesten Mitarbeiter
anhand von 18 bipolaren Adjektiven beurteilen.
Beurteilt er ihn noch relativ positiv (positive LPC-Werte), ist er
mitarbeiterorientiert. Beurteilt er ihn dagegen sehr negativ, ist er
aufgabenorientiert.
Die Führungssituation wird anhand von 3 Dimensionen beschrieben:
1. Führer-Mitarbeiter-Beziehung (gut vs. schlecht)
2. Aufgabenstruktur (strukturiert vs. unstrukturiert)
3. Positionsmacht des Vorgesetzten (hoch vs. niedrig)
91
Aus der Kombination dieser Dimensionen ergeben sich 8 verschiedene
Führungssituationen:
1. Bei guter Beziehung, starker Aufgabenstrukturierung und viel Positionsmacht
(z.B. Arbeitsgruppe in der Produktion) ist ein aufgabenorientierter Führungsstil
am erfolgreichsten.
2. Bei guter Beziehung, starker Aufgabenstrukturierung und wenig
Positionsmacht (z.B. Basketballteam) gilt dasselbe (=> Aufgabenorientierung)
3. Bei guter Beziehung, geringer Aufgabenstrukturierung und viel Positionsmacht
(z.B. militärischer Planungsstab) ebenfalls (=> Aufgabenorientierung)
4. Anders ist es bei guter Beziehung, geringer Aufgabenstrukturierung und wenig
Positionsmacht (z.B. in einem Forschungsteam) – hier ist ein
mitarbeiterorientierter Führungsstil am erfolgversprechendsten!
5. Bei schlechter Beziehung, starker Aufgabenstrukturierung und viel
Positionsmacht empfiehlt sich ebenfalls ein mitarbeiterorientierter
Führungsstil.
6. Dasselbe gilt bei schlechter Beziehung, starker Aufgabenstrukturierung und
wenig Positionsmacht (=> Mitarbeiterorientierung).
7. Bei schlechter Beziehung, geringer Aufgabenstrukturierung und viel
Positionsmacht sind der mitarbeiter- und der aufgabenorientierte Führungsstil
in etwa gleich erfolgreich.
8. Bei schlechter Beziehung, geringer Aufgabenstrukturierung und wenig
Positionsmacht ist dagegen ein aufgabenorientierter Führungsstil am
erfolgversprechendsten.
Zusammenfassung:
Bei guter Beziehung ist, außer bei geringer Aufgabenstrukturierung und wenig
Positionsmacht, immer der aufgabenorientierte Führungsstil der bessere.
Bei schlechter Beziehung ist dagegen meist der mitarbeiterorientierte
Führungsstil erfolgreicher. Die einzigen Ausnahmen bilden Situationen mit
schwacher Aufgabenstrukturierung und viel bzw. wenig Positionsmacht. In
ersterem Fall sind die beiden Führungsstile äquivalent, in letzterem ist ein
aufgabenorientierter Führungsstil effektiver.
Interventionsmöglichkeiten:
A) Den eigenen Führungsstil kennen- und flexibilisieren lernen (= Anpassung des
Führungsstils an die Situation)!
B) Die Situation so gestalten, dass sie zum Führungsstil passt (= Anpassung der
Situation an den Führungsstil)!
Kritische Würdigung:
Nachteile:
Atheoretische Konzeption
Unreliable und wenig valide Messung des Führungsstils (LPC)
Ablösung des Michigan-Modells vom Ohio-State-Modell, sofern Aufgaben-
und Personenorientierung nicht als unabhängige Faktoren, sondern als zwei
Pole derselben Dimension betrachtet werden!
Willkürliche Auswahl der 3 Situationsparameter
Situationsparameter sind nicht unabhängig voneinander
Einseitiges Erfolgskriterium (=Gruppenleistung)
Fiedlers Befunde konnten bisher kaum repliziert werden!
Vorteil:
Historischer Verdienst, sofern Fiedler erstmals die Bedeutung von situativen
Moderatoren betont hat!
92
B) Entscheidungsstil-Modell von Vroom & Yetton
Das Entscheidungsstil- bzw. Vroom-Yetton-Modell gibt vor, in welchen Situationen
welcher Entscheidungsstil zulässig bzw. besonders effektiv ist. Zu diesem Zweck wird
je nach Grad der Mitarbeiter-Partizipation zwischen 5 Entscheidungsstilen und 13
verschiedenen Entscheidungssituationen bzw. Problemtypen unterschieden. Letztere
ergeben sich dabei aus der Kombination von 7 dichotomen Merkmalen.
Die 5 Entscheidungsstile sind:
A I: Autoritäre Alleinentscheidung des Vorgesetzten auf Grundlage der
verfügbaren Informationen. Die Mitarbeiter werden weder nach Informationen,
noch nach ihrer Meinung gefragt.
A II: Autoritäre Alleinentscheidung des Vorgesetzten, die sich jedoch auf
Informationen von Mitarbeitern stützt.
C I (Konsultative Entscheidung, Typ I): Entscheidung erfolgt nach vorheriger
Beratung mit einzelnen Mitarbeitern, wobei diese nicht nur nach
Informationen, sondern auch nach ihrer Meinung und Lösungsvorschlägen
gefragt werden.
C II: (Konsultative Entscheidung, Typ II): Entscheidung erfolgt nach einer
Gruppenbesprechung, im Rahmen derer nicht nur Infos, sondern auch
Meinungen und Lösungsvorschläge ausgetauscht werden.
G II (Gruppenentscheidung): Der Vorgesetzte moderiert zwar den Prozess
der Entscheidungsfindung – getroffen wird die Entscheidung aber
gemeinschaftlich, d.h.: von der gesamten Gruppe!
Welcher Entscheidungsstil angebracht ist, hängt von den folgenden
7 Situationsmerkmalen ab:
1. Ist die Qualität der Entscheidung wichtig?
2. Sind genügend Informationen vorhanden, um eine fundierte Entscheidung zu
treffen?
3. Ist das Problem strukturiert?
4. Ist die Akzeptanz der Mitarbeiter bedeutsam für die Umsetzung der
Entscheidung?
5. Würde eine Alleinentscheidung des Vorgesetzten akzeptiert werden?
6. Werden die Organisationsziele, die durch die Entscheidung erreicht werden
sollen, von den Mitarbeitern akzeptiert?
7. Werden potenzielle Lösungen zu Konflikten zwischen Mitarbeitern führen.
In Abhängigkeit von der Ausprägung dieser Merkmale ergeben sich
13 verschiedene Problemtypen bzw. Entscheidungssituationen (Ent-
scheidungsbaum), in denen jeweils unterschiedliche Entscheidungsstile zulässig
sind und für die immer ein Entscheidungsstil am effektivsten ist (Modell A).
Für wenig bedeutsame Entscheidungen, die auch dann akzeptiert werden, wenn
sie alleine getroffen werden bzw. deren Akzeptanz für die Ausführung nicht
wichtig ist, ist z.B. der Stil A I am effektivsten.
Empirische Befunde:
Vorgesetzte entscheiden v.a. dann partizipativ, wenn…
a) die Qualität der Entscheidung wichtig ist!
b) die Entscheidung eine hohe Akzeptanz bzw. ein hohes Commitment erfordert!
c) ihnen wichtige Informationen fehlen!
Frauen führen generell partizipativer als Männer!
Je höher die Managementebene, desto partizipativer der Entscheidungsstil!
Das Vroom-Yetton-Modell ist empirisch gut bewährt:
Die Wahl eines zulässigen Entscheidungsstils führt zu einer signifikanten
Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit!
93
Stimmt die Führungskraft mit dem Vroom-Yetton-Modell überein, ist der
Anteil produktiver Arbeit signifikant größer als bei Nichtübereinstimmung;
dasselbe gilt für Arbeitszufriedenheit und Zufriedenheit mit der Führungskraft!
Kritische Würdigung:
Nachteile:
Modell stellt hohe Anforderungen an die Führungskraft, sofern diese zu einer
validen Beurteilung der Entscheidungssituation in der Lage sein muss.
Autoritäre Ideologie
Vorteil:
Empirisch gut belegt!
C) Der Reifegradansatz von Hersey & Blanchard
Dem Reifegradansatz zufolge muss der Führungsstil an den Reifegrad der geführten
Mitarbeiter angepasst werden. Es wird daher zwischen 4 Führungsstilen (S1-S4)
unterschiedenen, denen auf Seiten der Mitarbeiter jeweils ein spezifischer Reifegrad
(R1-R4) entspricht.
Die beiden Dimensionen, anhand derer die Führungsstile unterschieden werden, sind
zum einen dirigierendes-, zum anderen sekundierendes Verhalten; ersteres dient der
Anleitung und ist insofern eher aufgabenorientiert; letzteres dient der Unterstützung
und ist insofern eher mitarbeiterorientiert.
R1 S1 („Dirigieren“): Sind die Mitarbeiter unfähig und unmotiviert oder
unsicher (R 1 = geringer Reifegrad), ist es notwendig, genaue Instruktionen zu
geben und deren Ausführung zu überwachen; der Führende sollte also ein hohes
Maß an Anleitung und ein geringes Maß an Unterstützung an den Tag legen (S1
= dirigierendes Führungsverhalten).
R2 S2 („Trainieren“): Sind die Mitarbeiter unfähig, aber motiviert oder
zuversichtlich (R 2 = geringe bis mäßige Reife), ist dagegen sowohl ein hohes
Maß an Anleitung, als auch ein hohes Maß an Unterstützung erforderlich; d.h.:
Entscheidungen sollten erläutert werden und die Mitarbeiter sollten Gelegenheit
bekommen, nachzufragen (S2 = trainierendes Führungsverhalten).
R3 S3 („Partizipieren“): Sind die Mitarbeiter fähig, aber unmotiviert oder
unsicher (R 3 = mäßige bis hohe Reife), sollte die Unterstützung hoch und die
Anleitung gering sein; d.h.: der Führende sollte die Mitarbeiter an der
Entscheidungsfindung teilhaben lassen (S3 = partizipatives Führungsverhalten).
R4 S4 („Delegieren“): Sind die Mitarbeiter fähig und motiviert oder
zuversichtlich (R4 = hoher Reifegrad), kann sowohl die Unterstützung als auch die
Anleitung auf ein Minimum beschränkt werden; den betreffenden Mitarbeitern
kann also die Verantwortung für Entscheidungen und deren Implementierung
übertragen werden ( S4 = delegierendes Führungsverhalten)
94
9.2.4. Theorie der Führungssubstitute
Die Theorie der Führungssubstitute geht davon aus, dass Führung durch strukturelle
Gegebenheiten ersetzt, neutralisiert oder verstärkt werden kann.
Differenzierung:
Strukturelle Merkmale, die das Führungsverhalten ersetzen, weil sie dieselbe
Wirkung haben, werden als Substitute bezeichnet (ist z.B. bei professioneller
Orientierung und Kontrolle der Fall).
Strukturelle Merkmale, die das Führungsverhalten neutralisieren, weil sie
dessen Wirkung entgegenstehen, werden als Neutralisierer bezeichnet (ist
z.B. bei sabotierenden Gruppennormen und Feedback der Fall).
Strukturelle Merkmale, die die Wirkung des Führungsverhaltens verstärken,
werden als Verstärker bezeichnet (ist z.B. bei unterstützenden
Gruppennormen und Feedback)
Strukturelle Merkmale, deren Auswirkung durch Führung verstärkt wird,
werden als Supplements bezeichnet.
Merkmale, die einen Einfluss auf die Wirksamkeit von Führung haben:
A) Merkmale der Geführten:
- „Fähigkeit, Erfahrung, Übung und Wissen“ können eine
aufgabenorientierte Führung ersetzen, nicht aber das Prinzip der
Verstärkung oder eine beziehungsorientierte Führung!
- „Das Bedürfnis nach Unabhängigkeit“ kann den Einfluss von
Vorgesetzten extrem reduzieren und steht damit sämtlichen Formen von
Führung im Wege (=Neutralisierer)!
- Eine „professionelle Orientierung“ der Mitarbeiter (v.a. bei Experten weit
verbreitet) kann beispielsweise die Kontrolle durch einen Vorgesetzten
vollständig ersetzen (=Substitut)!
- „Gleichgültigkeit gegenüber Belohnungen durch die Organisation“ behindert ebenfalls sämtliche Formen von Führung (=Neutralisierer).
B) Merkmale der Aufgabe:
- „Eindeutige und routinemäßige Aufgaben“ ersetzen eine
aufgabenorientierte Führung (Substitut)!
- „Aufgabeninhärente Leistungsrückmeldung“ ersetzt eine positive
Verstärkung durch den Vorgesetzten (Substitut).
- „Intrinsisch befriedigende Aufgaben“ ersetzen eine beziehungsorientierte
Führung und Belohnungen durch den Vorgesetzten (Substitut).
C) Merkmale der Arbeitsgruppe bzw. Organisation:
- „Stark formalisierte Ziele und Zuständigkeitsbereiche“ ersetzen eine
aufgabenorientierte Führung (Substitut).
- Dasselbe gilt für „inflexible Rahmenbedingungen“ (rigide Regeln und
Verfahren).
- Eine hohe „Kohäsion der Arbeitsgruppe“ kann die Führung durch einen
Vorgesetzten entweder ersetzen (Substitut), sie verstärken (Verstärker)
oder ihr im Wege stehen (Neutralisierer).
Ein Fragebogen, mit dem die genannten strukturellen Merkmale erfasst werden
können, ist die „Substitutes for Leadership“-Skala. Sie umfasst 13 Skalen (s.o.:
z.B. „Fähigkeit, Erfahrung, Übung und Wissen“) und 41 Items.
Beispielitem: „Ich habe genug Übung und Fachwissen, um mit den meisten
Situationen, die mir im Rahmen meines Jobs begegnen, adäquat umzugehen.“
95
Überwindung ineffektiver Führung: Eine ineffektive Führung kann nach dem
Modell 2 Ursachen haben: Entweder das Führungsverhalten ist inadäquat oder die
strukturellen Merkmale sind ungünstig.
Je nachdem, was von beidem der Fall ist und wie die jeweiligen
Rahmenbedingungen sind, gibt es folgende Lösungsmöglichkeiten:
1. Ersetzen des Führers (wenn möglich und aufgrund problematischer
Eigenschaften begründet)
2. Training des Führers (wenn möglich und aufgrund problematischer
Verhaltensweisen begründet)
3. Schaffung von Substituten (wenn das Problem im Verhalten und den
Eigenschaften des Führers begründet liegt)
4. Eliminierung von Neutralisierern + Schaffung von Verstärkern
9.2.5. Leader-Member-Exchange-Theorie (LMX-Theorie)
Die Leader-Member-Exchange-Theorie bzw. Theorie der Führungsdyaden basiert im
Wesentlichen auf 2 Annahmen:
Da das Verhalten einer Führungskraft nicht für alle Mitarbeiter gleich ist, lassen
sich keine generalisierten Aussagen über die Beziehung zwischen der
Führungskraft und den Mitarbeitern treffen. Stattdessen müssen die dyadischen
Beziehungen zu den einzelnen Mitarbeitern ins Auge gefasst werden.
Dabei gilt: Je enger bzw. partnerschaftlicher diese dyadischen Beziehungen sind,
desto besser ist die Leistung, die Arbeitszufriedenheit und das Commitment der
betroffenen Mitarbeiter.
Die Leader-Member-Exchange-Theorie hat im Laufe ihrer Entwicklung mehrere
Entwicklungsstadien durchlaufen:
Stadium 1: Die Vertical-Dyad-Linkage-Theorie (VDL) ist eine Vorläufertheorie
der LMX-Theorie; sie besagt, dass die Beziehung einer Führungskraft zu ihren
Mitarbeitern nicht über alle Mitarbeiter generalisiert werden kann, sondern von
Mitarbeiter zu Mitarbeiter variiert. Kurz: FK bauen zu ihren MA unterschiedliche
Beziehungen auf!
Nur so lässt es sich z.B. erklären, dass unterschiedliche Mitarbeiter dieselbe
Führungskraft z.T. ganz unterschiedlich beschreiben.
Stadium 2: Die LMX-Theorie besagt, dass die Art der dyadischen Beziehungen
Konsequenzen für die Organisation hat. Genauer: Je enger die dyadischen
Beziehungen zwischen einer Führungskraft und den einzelnen Mitarbeitern sind,
desto besser ist deren jeweilige Leistung.
Stadium 3: Der Begriff „Leadership Making“ stellt eine Weiterentwicklung der
LMX-Theorie dar; er verweist auf die Tatsache, dass sich dyadische Beziehungen
über die Zeit hinweg entwickeln. Die Führungskraft muss sich daher aktiv darum
bemühen, im Lauf der Zeit zu möglichst jedem Mitarbeiter eine „reife“
(=förderliche) Beziehung aufzubauen.
Stadium 4: Der Begriff „Team Making“ stellt eine weitere Ergänzung zur LMX-
Theorie dar; er verweist auf den Umstand, dass die dyadischen Beziehungen
zwischen der Führungskraft und ihren Mitarbeitern jeweils im Kontext der anderen
Beziehungen stehen und insofern nicht unabhängig voneinander betrachtet werden
können. Ins Auge gefasst werden müssen vielmehr Kollektive als Ansammlungen
von Dyaden.
96
Der Begriff „Leadership Making“ verweist auf die zeitliche Entwicklung
dyadischer „Leader-Member“-Beziehungen; dabei wird zwischen 3 Stadien
unterschieden: im ersten sind sich die Führungskraft und der Mitarbeiter noch
„fremd“, im zweiten Stadium lässt sich ihr Beziehung als „Bekanntschaft“ und im
dritten als „reife Partnerschaft“ beschreiben.
„Leader-Member-Exchange“: Während der Austausch zwischen FK und MA im
ersten Stadium noch gering ist, nimmt er in den beiden folgenden Stadien
sukzessive zu.
Zeitspanne der Reziprozität: Dasselbe gilt für die Zeitspanne der Reziprozität.
Einfluss: Auch der wechselseitige Einfluss ist im Anfangsstadium am geringsten
und in der „reifen Partnerschaft“ am größten.
Führungsstil: Der Führungsstil wandelt sich von einem rein transaktionalen Stil
über eine Mischung aus transaktionalen und transformationalen Stilelementen hin
zu einem transformationalen Stil.
Der LMX 7 ist ein Fragebogen zur Erfassung der Beziehungsstufe bzw. des „Leader-
Member-Exchange“; er umfasst 7 Items, die anhand einer 5-stufigen Skala zu
beantworten sind, und liegt in zwei Versionen vor, nämlich einer für Vorgesetzte und
einer für Mitarbeiter.
Beispielitems:
„Do you know, where you stand with your leader?” – “Does your member
usually know, where he or she stands with you?”
“How well does your leader recognize your potential?” – “How well do you
recognize the potential of your member?”
Korrelationen:
Hohe LMX-Werte korrelieren positiv mit…
- Zufriedenheit mit der Führung: r = .62
- Arbeitszufriedenheit: r = .46
- Leistungseinschätzung durch Vorgesetzten: r = .41
- Commitment: r =. 35
- Rollenklarheit: r = .34
- Leistungseinschätzung durch Kollegen: r = .28
Hohe LMX-Werte korrelieren negativ mit…
- Kündigungsabsicht: r = -.28
- Rollenkonflikten: r = -.26
Kritik:
LMX 7 misst weniger die Interaktion zwischen FK und MA, als vielmehr das
Ergebnis dieser Interaktion!
Die Konstruktvalidität von LMX ist problematisch:
a) Dass hohe LMX-Werte mit guten Leistungen zusammenhängen, muss
nicht auf eine gute Beziehung zwischen FK und MA zurückgeführt
werden, sondern kann auch daran liegen, dass sich die MA für das starke
Engagement des Vorgesetzten einfach revanchieren möchten; ihr erhöhter
Arbeitseifer wäre demnach eine Folge von Gerechtigkeitserwägungen!
b) Bei besonders hohen LMX-Werten sind kontraproduktive Abhängigkeiten
wahrscheinlich, unter denen insbesondere die Innovationskraft im Team
leidet. Der Zusammenhang zwischen LMX und Leistung ist insofern wohl
eher kurviliniear als linear!
97
9.2.6. Führen durch Ziele („Management by Objectives“)
„Führen durch Ziele“ („Management by objectives“) ist eine transaktionale
Führungsmethode, die sich auf der Zielsetzungstheorie von Locke & Latham stützt
Letztere geht davon aus, dass die Leistung der Mitarbeiter dann am größten ist, wenn
ihnen spezifische und herausfordernde Ziele gesetzt werden (s.o.).
Beim „Management by Objectives“ wird davon ausgegangen, dass die
Zufriedenheit, Motivation und Leistung der Mitarbeiter v.a. von den folgenden 3
Größen abhängen:
1. Der Zielsetzung
2. Dem Feedback
3. Der Partizipation (bei der Zielvereinbarung)
Den Kern der MbO-Methode bilden dementsprechend Zielvereinbarungsgespräche
und eine regelmäßige Leistungsrückmeldung.
Die Ziele sollten dabei folgende Bedingungen erfüllen: Sie müssen…
…sein!
Von Hertel gibt’s einen Kurzfragebogen zur Erfassung der Qualität des MbO:
Beispielitems:
„Bei der Vereinbarung meiner Aufgaben und Ziele bin ich aktiv beteiligt.“
„Meine gegenwärtigen Ziele sind mit völlig klar.“
„Manche der vereinbarten Ziele stehen im Widerspruch zueinander.“
„Meine Ziele werden regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst.“
Verbreitung: In Deutschland arbeiten etwa 84% der Unternehmen mit
Zielvereinbarungen, um so die Mitarbeitermotivation zu erhöhen (häufigstes Ziel), die
Erreichung der Unternehmensziele zu fördern und/oder die Qualität zu sichern.
Die am häufigsten genannten Probleme mit MbO sind:
Die Festlegung des Anspruchsniveaus
Die Feststellung des Zielerreichungsgrades
Die Koppelung der Ziele an Entgelt.
Empirische Bestätigung:
Feedback hat in Bezug auf Zufriedenheit, Motivation und Leistung eine
Effektstärke von d = .30; die Korrelation der Zielsetzung mit diesen Größen
beträgt r = .23
Feedback und Ziele haben eine gemeinsame Effektstärke von d = .63!
98
9.2.7. Sonstige Ansätze
Symbolische Führung umfasst alle Aspekte von Führung, denen eine tiefere
Bedeutung beigemessen werden kann. Ziel symbolischer Führung ist es, mit diesen
Aspekten (z.B. Kleidung, Ritualen etc.) bewusst umzugehen und sie gezielt zur
Beeinflussung der Mitarbeiter zu nutzen.
Ein Akt symbolischer Führung ist es z.B.,
dass das Büro des Chefs immer in der obersten Etage liegt.
dass der Chef besonders auf seine Ausdrucksweise achtet.
dass der Chef seiner Sekretärin jedes Jahr einen Blumenstrauß zum Geburtstag
schenkt.
dass der Chef die bislang übliche automatische Arbeitszeiterfassung ersatzlos
streicht.
dass der Chef seine Mitarbeiter nicht schriftlich, sondern persönlich über
Kursänderungen informiert.
eine „Corporate Identity“ (z.B. durch Leitsätze, Firmenlogos, Sponsoring,
Zeremonien etc.) zu schaffen.
Gefahren:
Negative Wirkung bei bemerkter Beeinflussungsabsicht (Reaktanz)
Mehrdeutigkeit symbolischen Führungsverhaltens
Entwicklung von Leitbildern:
Erwartete Effekte eines Leitbildes:
Schaffen Vertrauen und Sinn
Erhöhen Identifikation
Verbessern interne Koordination
Geben Orientierung
Betonen Besonderheit
Anforderungen an ein Leitbild:
Mitarbeiterbeteiligung
Realisierbarkeit
Anschaulichkeit
Widerspruchsfreiheit
Gegenwärtigkeit
Erarbeitung, Handhabung und Weiterentwicklung von Leitbildern:
Beauftragung durch den Vorstand
Beteiligung möglichst vieler Organisationsmitglieder (z.B. durch eine
Mitarbeiterbefragung)
Entwicklung von Vorfassungen, die diskutiert und modifiziert werden
Graphische Gestaltung (Logos, Poster, Broschüren, Intranet)
Verabschiedung durch den Vorstand und Betriebsrat
Feierliche Einführung und Bekanntmachung
Schulung von Führungskräften und Multiplikatoren
Wiederkehrende Aktionen (Intranet, Aushänge etc.)
Anpassung aller Verfahren (Personalmanagement usw.)
Klare Reaktion auf Fehlverhalten und Verstöße
Qualitätszirkel zur Weiterentwicklung
99
Führung von unten: Nicht nur die Führenden beeinflussen die Untergebenen,
sondern auch die Untergebenen die Führenden - z.B. durch sachliche Argumentation,
Bildung von Koalitionen, Schmeichelei, Deals, die Einschaltung übergeordneter
Instanzen etc. etc.
Führung von unten nimmt gegenwärtig aus folgenden Gründen zu:
Aufgrund steigender Qualifikation und Spezialisierung sind MA ihren
Vorgesetzten häufig überlegen.
Dezentrale Arbeitseinheiten und flache Hierarchien stärken den Einfluss der
Mitarbeiter
Wertewandel: Unabhängigkeit, Gleichberechtigung, Überzeugung statt
Gehorsam etc.
Durch strukturelle Maßnahmen wird Führung von unten zumindest teilweise
institutionalisiert:
Vorschlagswesen
Flache Hierarchien
Investieren in Weiterbildungen
Betriebsräte
9.2.8. Zusammenfassung: Was trägt bei zu guter Führung?
Intelligenz, Extraversion, Verträglichkeit, emotionale Stabilität und Offenheit
(eigenschaftsorientierter Ansatz)
Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung schließen einander nicht aus
(verhaltensorientierte Ansätze)
Berücksichtigung von Partizipation (situative Ansätze)
Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse der Mitarbeiter (LMX,
transaktionale Führung)
Visions- und Inspirationskraft, Begeisterungsfähigkeit, Vorbildwirkung
(transformationale Führung)
Vereinbarungen eindeutiger und herausfordernder Ziele inklusive Leistungsfeedback
(MbO)
Berücksichtigung des organisationalen Kontextes (Substitute der Führung,
systemische Ansätze)
100
10.1. Allgemeines
10.1.1. Begriffsklärung:
Definitionen: Unter sozialer Interaktion versteht man die wissentliche oder
unabsichtliche Einwirkung verschiedener Personen aufeinander; Kommunikation ist
dagegen als Übermittlung oder Austausch von Informationen definiert.
Kommunikation bildet demnach eine Teilmenge der Interaktion.
Das Sender-Empfänger-Modell ist das wohl bekannteste Kommunikationsmodell:
Es geht davon aus, dass im Rahmen von Kommunikation Informationen von einem
Sender auf einen Empfänger übertragen werden.
Graphische Veranschaulichung:
Zu diesem Zweck müssen die betreffenden Informationen von Sender zunächst
enkodiert, d.h. in kommunizierbare Botschaften transformiert werden.
Übermittelt werden Botschaften über sog. Kanäle bzw. Medien (z.B. verbal –
nonverbal; schriftlich – mündlich usw.).
Um verstanden zu werden, müssen (sprachliche und nichtsprachliche)
Botschaften vom Empfänger zunächst dekodiert werden.
Da der Kommunikationsprozess i.d.R. nicht einseitig ist, sind Empfänger und
Sender über eine Feedbackschleife verbunden.
Sprechakttheoretische Erweiterungen:
Nach Schulz von Thun enthält jede Nachricht vier Botschaften bzw. „Seiten“:
1) den Sachinhalt
2) einen Appell
3) eine Selbstoffenbarung und
5) eine Beziehungsbotschaft
Neubergers TALK-Modell unterscheidet ebenfalls zwischen 4 Aspekten:
- T atsachen (es ist…)
- A usdruck (ich bin…)
- L enkung (du sollst…)
- K lima (wir sind…)
Damit Kommunikation gelingt, müssen sowohl auf Sender- als auch auf
Empfängerseite bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Sender:
- Beziehungsebene: Wertschätzung
- Sachebene: Verständlichkeit durch einfache, strukturierte und
empfängerorientierte Formulierungen
- Selbstoffenbarung: selektive Authentizität, Ich-Botschaften
- Appellebene: Vermeidung von versteckten, paradoxen oder unklaren
Appellen
10. Kommunikation in Organisationen
101
Empfänger:
- Aktives Zuhören: Empathie, Betrachtung aller vier Facetten, gezieltes
Rückfragen
- Konstruktives Feedback
- Metakommunikation
Kommunikation in Organisationen:
dient nicht zuletzt der Reduktion von Unsicherheit und Mehrdeutigkeit.
Zu unterscheiden ist dabei zwischen formeller Kommunikation (die losgelöst von
Individuen ist und i.d.R. zwischen verschiedenen Hierarchieebenen abläuft) und
spontaner, informeller Kommunikation (die auf gleicher Ebene abläuft).
Die beiden Formen unterscheiden sich u.a. bezüglich ihres Kontexts (formale
Kommunikation findet in offiziellen Räumen statt), ihrer Richtung (vertikal vs.
horizontal), ihrer Verbindlichkeit, Sorgfalt (Alltagssprache vs. formeller Ton)
und Zuordenbarkeit (informelle Kommunikation lässt sich häufig keiner
eindeutigen Quelle zuordnen, z.B. bei Gerüchten).
Je nach Grad der Zentralisierung lassen sich drei (formale)
Kommunikationsstrukturen in Unternehmen unterscheiden:
1. Das „Rad“ ist dadurch
gekennzeichnet, dass alle
Mitarbeiter über eine Stelle
(i.d.R. den Vorgesetzten)
kommunizieren.
2. Die „Kette“ ist dadurch
gekennzeichnet, dass die
Kommunikation hier-
archisch strukturiert ist; in
ihrer Reinform ist diese
Struktur so angelegt, dass
nur Mitarbeiter auf
benachbarten Hierarchie-
ebenen miteinander kom-
munizieren können.
3. Die „Totale“ ist eine
dezentralisierte Kommuni-
kationsstruktur, die da-
durch gekennzeichnet ist,
dass jeder mit jedem
kommuniziert.
Welche Kommunikationsstruktur am effektivsten ist, hängt von der
Aufgabenschwierigkeit ab:
Je komplexer die zu bewältigenden Aufgaben sind, desto besser sind
dezentralisierte Kommunikationsstrukturen (die „Totale“).
Bei einfach zu bewältigenden Aufgaben ist es dagegen umgekehrt: hier sind
zentralisierte Kommunikationsformen (das „Rad“ oder die „Kette“) am
effektivsten!
102
10.1.2. Medienwahl
Zur Übermittlung von Informationen stehen verschiedene Kommunikationsmedien
(Telefon, Emails, Briefe, schwarzes Brett, Face-to-Face-Gespräche etc.) zur
Verfügung:
Die verschiedenen Kommunikationsmedien lassen sich dabei anhand folgender
Eigenschaften unterscheiden:
Geschwindigkeit (synchrone- vs. asynchrone Medien)
Kodevielfalt
Dokumentation (schriftliche- vs. mündliche Medien)
Technikabhängigkeit
Formalitätsgrad
Breitenwirkung („many-to-many“; „one-to-many”; „one-to-one”)
Besonderheiten
Die Theorie der medialen Reichhaltigkeit (von Trevino et al.) geht davon aus, dass
sich verschiedene Medien v.a. im Hinblick auf ihre „Reichhaltigkeit“ unterscheiden.
Letztere sollte somit das zentrale Kriterium bei der Auswahl von Medien sein.
Ein Medium ist umso reichhaltiger, je…
schneller eine Rückmeldung erfolgen kann
mehr Kanäle zur Verfügung stehen
vielfältiger die verwendbaren Kodes sind (Intonation, Gestik, Mimik etc.)
stärker sich die Kommunikation individuell prägen lässt!
Anhand ihrer Reichhaltigkeit lassen sich die wichtigsten, in Organisationen
verwendeten Medien in die folgende Reihenfolge bringen:
Implikationen für die Medienwahl:
Je höher die Interdependenz, desto häufiger sollte kommuniziert werden.
Je komplexer ein Thema oder eine Aufgabe bzw. je größer die kulturelle oder
berufsbezogene Heterogenität ist, desto reichhaltiger sollte das gewählte
Medium sein.
Umgekehrt gilt: Je einheitlicher die Ansichten und je klarer die Ziele, desto
einfacher kann das Medium sein.
Wenn reichhaltige Medien nicht erforderlich sind, sollte das am leichtesten
verfügbare Medium gewählt werden.
Verbleibende Wahlmöglichkeiten hängen von persönliche Vorlieben ab.
Emails:
sind geeignet…: - f. d. Weitergabe von Namen, Adressen, Daten, Abbildungen
Listen usw.
- für einfache Fragen und einfache Antworten (z.B.
Terminvereinbarungen)
- zum Protokollieren mündlicher Vereinbarungen
- bei schwieriger, sprachlicher Verständigung (z.B. in einer
Fremdsprache, bei rechtlichen Fragen etc.)
- nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, jemanden
telefonisch zu erreichen
- bei mehreren Empfängern
sind ungeeignet…: - bei persönlichen Konflikten
- dringenden Nachrichten
103
Problem der Kommunikationsüberflutung:
Eine deutsche Führungskraft bekommt durchschnittlich zwischen 150 und 200
Emails pro Tag (ohne Spam!) – ihre Bearbeitung dauert mindestens 2 h!
Selbst Angestellte in verantwortungsvoller Position haben im Schnitt nicht mehr
als 11 Minuten am Stück, um sich einer bestimmten Aufgabe zu widmen (Gründe
für Unterbrechungen: Emails, Anrufe, Instant Messenger-Nachrichten von
Kollegen etc.); bis sie ihre Gedanken wieder gesammelt haben, dauert es 8
Minuten (so dass nur 3 Minuten für eine effektive Auseinandersetzung bleiben)
Unterbrechungen haben massive Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit. Sie
wirken sich stärker auf die Punktzahl in einem IQ-Test aus als der Konsum von
Marihuana!
10.2. Soziale Konflikte
10.2.1. Begriffsklärung
Definition: Soziale Konflikte sind Interaktionen zwischen Akteuren, die dadurch
zustande kommen, dass mindestens ein Akteur sich durch den jeweils anderen
beeinträchtigt sieht.
Folgende Konflikttypen lassen sich unterscheiden:
1. Bewertungskonflikte: basieren darauf, dass die Bedeutsamkeit eines Ziels von
den Konfliktparteien unterschiedlich bewertet wird.
2. Beurteilungskonflikte: basieren darauf, dass sich die Konfliktparteien darüber
uneinig sind, wie ein bestimmtes Ziel am besten zu realisieren ist.
3. Verteilungskonflikte: beziehen sich auf die Verteilung knapper Güter (z.B.
Geld, Anerkennung etc.)
4. Beziehungskonflikte: basieren darauf, dass sich eine Partei durch eine andere
Partei herabgesetzt oder zurückgewiesen fühlt.
Folgen von Konflikten:
Konflikte korrelieren negativ mit Zufriedenheit.
Der Einfluss, den Beziehungskonflikte auf die Zufriedenheit haben (r = -54),
ist dabei deutlich stärker als der von Aufgabenkonflikten (r = -.32).
Konflikte korrelieren negativ mit der Leistung, allerdings ist dieser
Zusammenhang a) nicht so stark wie der zur Zufriedenheit und b) bei Aufgaben-
und Beziehungskonflikten in etwa gleich ausgeprägt.
Aufgabenkonflikte und Leistung: r = -.23 (mögliche Moderatoren sind dabei:
die Aufgabenkomplexität, die Art der Interdependenz (kooperativ vs.
kompetitiv) und das generelle Teamklima (offen vs. verschlossen)
Beziehungskonflikte und Leistung: r = -.22
10.2.2. Mechanismen der Konflikteskalation
Friedrich Glasl unterscheidet 9 Stufen der Konflikteskalation und ordnet sie 3
Ebenen zu.
Die 3 Konfliktebenen: Während auf der ersten Ebene, die die ersten 3 Stufen
umfasst, noch beide Parteien gewinnen können („win-win“-Situation), hat sich
der Konflikt auf der zweiten Ebene bereits so zugespitzt, dass er nur beendet
werden kann, wenn eine der beiden Parteien verliert („win-lose“-Situation); auf
der letzten Ebene, die die letzten 3 Stufen umfasst, verlieren beide Parteien („lose-
lose“-Situation).
104
Die 9 Eskalationsstufen:
1. „Verhärtung“: Auf der ersten Stufe bestehen noch keine eindeutigen Lager
und die Beteiligten haben noch die Überzeugung, die Spannungen durch
gemeinsame Gespräche lösen zu können; die Positionen verhärten sich
allerdings zunehmend.
2. „Polarisation und Debatte“: Auf der zweiten Stufe schreitet die Polarisation
im Denken, Fühlen und Wollen weiter voran; die Übereinstimmungen werden
weniger (Schwarz-Weiß-Sicht), die verbalen Auseinandersetzungen härter und
es bilden sich eindeutige Lager.
3. „Taten statt Worte“: Die Empathie geht verloren und die Kommunikation wird
abgebrochen – stattdessen versucht man, den Gegner vor vollendete Tatsachen
zu stellen.
4. „Sorge um Image und Bildung von Koalitionen“: Die Parteien werben um
Anhänger; zu diesem Zweck werten sie sich selbst auf – und die jeweils andere
Partei massiv ab (Denunziation). Es geht nicht mehr nur darum, den Konflikt
zu gewinnen, sondern zunehmend darum, dass die Gegenpartei verliert.
5. „Gesichtsverlust“: Auf der fünften Stufe kommt es zu einer Ideologisierung
des Konflikts, es erfolgen öffentliche und direkte Angriffe, die auf den
Gesichtsverlust des Gegners zielen; gemeint ist damit der Verlust der
moralischen Glaubwürdigkeit.
6. „Drohstrategien“: Es werden Drohungen und Ultimaten ausgesprochen, die
den Konflikt beenden sollen, aber letztlich nur zu dessen Beschleunigung
beitragen.
7. „Begrenzte Vernichtungsschläge“: Es wird gezielt versucht, dem Gegner
Schaden zuzufügen; dabei wird eigener Schaden, sofern er nur kleiner ist als
der der Gegenseite, bereits als Gewinn angesehen.
8. „Zersplitterung“: Ziel ist die Zerstörung des Gegners und die Begrenzung des
eigenen Schadens.
9. „Gemeinsam in den Abgrund“: Ab hier wird für eine Vernichtung des
Gegners auch der eigene Untergang in Kauf genommen; es wird also keine
Rücksicht mehr auf eigene Verluste genommen!
Wichtige Eskalationsmechanismen:
Kontrahenten entwickeln gegensätzliche selbstwertdienliche Ansichten, wie und
wann der Konflikt begonnen hat, sprich: die Schuld wird dem Anderen
zugeschrieben!
Zunehmende Projektion eigener Probleme auf den Gegner
Ausweitung des Konflikts durch zusätzliche Streitpunkte
Zunehmende Verflechtung der Streitpunkte
Ausweitung des Konflikts durch Einbeziehung Außenstehender
Drohungen sind als Bremse intendiert – wirken aber meist eskalierend!
„win-win“
„win-lose“
„lose-lose“
105
10.2.3. Gemischtes zum Konfliktmanagement
Unter Konfliktmanagement werden sowohl präventive als auch intervenierende
(=korrigierende bzw. schlichtende) Maßnahmen verstanden.
Präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Konflikten:
Schaffung gemeinsamer Aufgaben und Ziele
Training und Belohnung kooperativer Verhaltensweisen
Vermeidung unnötiger Abhängigkeiten und Koordinationszwänge
Klare Zuständigkeitsverteilung
Partizipation aller Beteiligten
Erhöhung von Handlungsspielräumen
Angleichung potenzieller Konfliktparteien durch regelmäßigen Kontakt, Selektion
und gleichberechtigte Information
Konfliktdiagnose:
Gegenstand: Um welche Angelegenheiten geht es? Kennen die Beteiligten die
Belange der Gegenseite?
Verlauf: Kritische Ereignisse? Wendepunkte? Intensivierung?
Parteien: Wer ist involviert? Kernpersonen? Koalitionen? Intedependenz der
Parteien?
Beziehungen und Kontext: Formelle und informelle Beziehungen der Parteien?
Organisationaler Kontext?
Einstellungen der Beteiligten zum Konflikt?
Präventive Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Eskalation:
Nicht persönlich werden, sondern auf der Sachebene bleiben!
Auf persönliche Schuldzuweisungen verzichten!
Keine Gewalt gegen Personen oder Dinge!
Verzicht auf Drohungen und Vergeltungsaktionen!
Im Gespräch miteinander bleiben!
Das eigene Bild vom Gegner immer wieder überprüfen!
Schritte der Konfliktmoderation:
1. Mit den Leitungspersonen den eigenen Auftrag klären
2. Kontakt stiften: Hoffnungen und Befürchtungen abklären (siehe AEN)
3. Rollen und Vorgehen erläutern
4. Sichtweisen der Beteiligten erhellen
5. Kreative Lösungen entwickeln
6. Ausklang mit möglichst konkreten Ergebnissen sowie einer Würdigung des
Engagements der Beteiligten / Umsetzung sichern durch Transferhilfen,
Frühwarnsysteme, Krisenpläne
Mögliche Verhandlungsstrategien bei Verteilungskonflikten:
Vergrößerung des knappen Gutes
Handel komplementärer Prioritäten (tit for tat)
Neue Güter in Verhandlungsmasse
Eine Partei bekommt das Gewünschte und übernimmt dafür die Kosten der
anderen Partei
Herausarbeiten und Befriedigen der Hintergrundbedürfnisse
106
11.1. Einführung
11.1.1. Allgemeines
Definition: Von eine „Gruppe“ spricht man, wenn eine Mehrzahl von Personen über
längere Zeit in direktem Kontakt zueinander steht, durch Rollendifferenzierung und
gemeinsame Normen gekennzeichnet ist und die Mitglieder durch ein „Wir-Gefühl“
(Kohäsion) miteinander verbunden sind.
Im Kontext von Organisationen spricht man von Arbeitsgruppen oder Teams.
Arbeitsgruppen sind durch gemeinsame Aufgaben gekennzeichnet und leisten
einen spezifischen Beitrag zu den Zielen der Organisation.
Teams sind tendenziell kleiner, interdependenter, funktionsdifferenzierter,
intensiver interagierend und kohäsiver.
Zur Entwicklung von Gruppen:
Die Theorie der Gruppenentwicklung von Tuckman geht davon aus, dass sich
die Entwicklung von Gruppen in 5 Entwicklungsstadien unterteilen lässt:
1. „Forming“: Phase des gegenseitigen Kennenlernens
2. „Storming“: Entwicklung einer Gruppenstruktur und Rollendifferenzierung
3. „Norming“: Entwicklung von Gruppenzielen und –normen
4. „Performing“: Ausführung der Gruppenaufgaben
5. „Adjourning“: Gruppenauflösung nach Zielerreichung oder Scheitern
Eine andere Einteilung geht von 4 Phasen aus, in deren Abfolge sich die
Befindlichkeit der Gruppe folgendermaßen verändert:
1. Orientierung: moderates Wohlbefinden
2. Klärung: Unbehagen
3. Arbeit: Wohlbefinden mit leichten Schwankungen
4. Abschied: Wohlbefinden
Die Effektivität einer Gruppe hängt u.a. mit der Dauer der Zusammenarbeit
zusammen. Sie nimmt bis zum 3. Jahr der Zusammenarbeit kontinuierlich, um
danach wieder kontinuierlich abzunehmen;
Am geringsten ist sie dementsprechend unmittelbar zu Beginn der
Zusammenarbeit und, wenn die Gruppe schon 5 oder mehr Jahre
zusammenarbeitet.
Zur Kohäsion von Gruppen:
Die Kohäsion von Gruppen hängt ab von:
Der gegenseitigen Sympathie
Dem Prestige der Gruppe
Der Instrumentalität der Gruppe zum Erreichen von Zielen
Eine hohe Kohäsion korreliert mit:
Zufriedenheit
Der Einhaltung von Normen (Konformismus)
Geringen Fehlzeiten und geringer Fluktuation
Abwertung und Stereotypisierung der Außengruppe
Der Gruppenleistung
11. Gruppenarbeit
107
Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Kohäsion und Gruppenleistung ist
folgendes zu beachten:
Der Einfluss der Leistung auf die Kohäsion ist stärker als der Einfluss der
Kohäsion auf die Leistung!
Der Zusammenhang zwischen Kohäsion und Leistung ist stärker, wenn die
Kohäsion auf aufgabenbezogenem Commitment und nicht auf sozio-
emotionalen Aspekten (wie Sympathie oder Prestige) beruht!
Ein weiterer Moderator, der den Zusammenhang zwischen Kohäsion und
Leistung beeinflussen, ist die Zielakzeptanz innerhalb der Gruppe: Bei
geringer Akzeptanz der Gruppenziele ist der Zusammenhang zwischen
Kohäsion und Gruppenleistung nämlich nicht positiv, sondern negativ.
Unabhängig von der Kohäsion, wird die Gruppenleistung auch durch eine
partizipative Führung gesteigert.
11.1.2. Mögliche Vor- und Nachteile von Gruppenarbeit:
Mögliche Vorteile von Gruppenarbeit:
1) Komplexe Probleme können besser gelöst werden (Synergieeffekte)
2) Gemeinsame Entscheidungen werden besser akzeptiert
3) Soziale Unterstützung und Kooperation
4) Erhöhung der Arbeitszufriedenheit
5) Reduktion von Stress
6) Prozessgewinne
Social faciliation (bei einfachen Aufgaben)
Motivationsgewinne (durch Wettbewerb oder Kooperation)
Vorteile bei der Informationsverarbeitung (transaktionales Gedächtnis)
Mögliche Nachteile von Gruppenarbeit:
1) Hohe soziale Anforderungen an die Mitarbeiter zusätzlich zur fachlichen
Qualifikation
2) Konflikte innerhalb der Gruppe
3) Zusätzliche Zeit und Energie für Sozialisation, Koordination und Gruppendynamik
4) Gruppen lassen sich schwerer führen als Einzelpersonen
5) Prozessverluste
Motivationsverluste (z.B. durch soziales Faulenzen)
Informationsverarbeitungsprobleme (z.B. durch Groupthink)
Koordinationsverluste
108
11.2. Prozessgewinne und –verluste bei Gruppenarbeit
11.2.1. Prozessgewinne
Social Faciliation: Wenn andere anwesend sind und die individuelle Leistung
beurteilt werden kann, schneidet man bei leichten Aufgaben besser-, bei schwierigen
Aufgaben dagegen schlechter ab!
Mögliche Erklärungen für den „Social Faciliation“-Effekt:
Zajonc (1965): Die Gegenwart anderer führt zu einem erhöhten Triebniveau
(Arousal), durch das die Ausführung dominanter Reaktionen (= einfache und
geübte Verhaltensweisen) erleichtert wird.
Cottrell et al. (1968): Die Gegenwart anderer führt zu einem erhöhten Arousal,
weil sie mit der Erwartung einhergeht, von den anderen bewertet zu werden;
die Folge des erhöhten Arousals ist (s.o.) eine Erleichterung bzw. Erhöhung
dominanter Reaktionen.
Sanders (1981): Die Gegenwart anderer führt zu einem Ablenkungskonflikt,
der einerseits mit einem erhöhten Arousal einhergeht und auf diese Weise zu
einer Erleichterung dominanter Reaktionen führt, andererseits aber die
Aufmerksamkeit für die Aufgabe selbst reduziert, weshalb komplexere
Aufgaben, die nicht-dominante Reaktionen erfordern, bei Anwesenheit anderer
schlechter gelöst werden können (soziale Hemmung).
Empirische Belege:
Verlangt eine Aufgabe gut gelerntes Verhalten tritt bei Anwesenheit anderer
der Effekt der sozialen Erleichterung ein. Bei einem beobachtenden Publikum
fällt die Leistungsverbesserung dabei stärker aus als bei zufälligem Publikum.
Verlangt eine Aufgabe Transferverhalten, tritt bei Anwesenheit anderer der
Effekt der sozialen Hemmung ein. Auch dieser ist bei einem beobachtenden
Publikum stärker als bei einem zufälligen Publikum.
Motivationsgewinne in Gruppen:
1) Soziale Kompensation: Leistungsstärkere Gruppenmitglieder strengen sich mehr
an, um die Defizite schwächerer Mitglieder auszugleichen (das ist allerdings nur
der Fall, wenn den stärkeren Mitgliedern die Gruppenziele wichtig sind)
2) Sozialer Wettbewerb: Bei einem relativ homogenen Leistungsniveau strengen
sich die einzelnen Gruppenmitglieder mehr an, um die anderen Gruppenmitglieder
zu übertreffen!
3) Der Köhler-Effekt: äußert sich darin, dass sich schwächere Mitglieder mehr
anstrengen, um nicht für ein schlechtes Gruppenergebnis verantwortlich zu sein;
tritt v.a. bei milder Leistungsdiskrepanz und Identifizierbarkeit der
Einzelergebnisse ein!
Informationsverarbeitungsvorteile:
1) Modelllernen: Gruppenarbeit ermöglicht es, von anderen zu lernen!
2) Transaktives Gedächtnis: Gruppenarbeit ermöglicht eine effektivere, da auf
mehrere Personen verteilte, Enkodierung, Speicherung und Abrufung von
Wissens- und Gedächtnisinhalten sowie eine Nutzung unterschiedlicher
Wissensbestände, Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Enkodierung: Gemeinsame Bedeutungsverleihung, Hervorhebung etc.
Speicherung: Koordination, wer sich welche Inhalte merkt
Abruf: Wissen darüber, wer in der Gruppe über welches Wissen verfügt
109
11.2.2. Prozessverluste I: Motivationsverluste
Motivationsverluste: Soziales Faulenzen; Free-Rider-Effekt; Sucker-Effekt
Drei Effekte werden unterschieden:
1. Soziales Faulenzen („Social loafing“): Wenn die eigene Leistung nicht
identifiziert und beurteilt werden kann, strengt sich der Einzelne weniger an
und erbringt dementsprechend schlechtere Leistungen.
* Gilt nur für einfache Aufgaben; bei schwierigen Aufgaben ist das Gegenteil
der Fall; sprich: die Leistungen gehen (wohl aufgrund fehlender
Bewertungsangst) nach oben (s.u.)!
2. Trittbrettfahren („Free-Rider-Effekt“): Wenn der eigene Beitrag zum
Gruppenergebnis nicht wichtig erscheint, strengt man sich absichtlich weniger
an.
3. Trotteleffekt („Sucker-Effekt“): Hat man den Eindruck, von den anderen
Gruppenmitgliedern ausgenutzt zu werden, strengt man sich absichtlich
weniger an.
Ob und in welchem Ausmaß die genannten Effekte auftreten, hängt von
verschiedenen Moderatorvariablen ab:
Bedeutsamkeit der Aufgabe: Soziales Faulenzen ist am stärksten, wenn der
Aufgabe keine große Bedeutsamkeit beigemessen wird (d = .90); wird der
Aufgabe dagegen eine hohe Bedeutsamkeit beigemessen, bleibt soziales
Faulenzen i.d.R. aus.
Komplexität der Aufgabe: Soziales Faulenzen tritt lediglich bei einfachen
Aufgaben auf; bei komplexen und schwierigen Aufgaben kann dagegen sogar
ein gegenteiliger Effekt eintreten; sprich: die Leistungen der Einzelnen können
nach oben gehen (vermutlich weil in der Gruppe der Leistungsdruck wegfällt!)
Erwartung bezüglich der Mitarbeiterleistung: Am stärksten ist der Effekt,
wenn eine moderate Leistung von den MA erwartet wird, am zweitstärksten,
wenn eine hohe Mitarbeiterleistung erwartet wird; ist die erwartete Leistung
der Mitarbeiter gering, bleibt soziales Faulenzen aus.
Einzigartigkeit des eigenen Beitrags: Der „Social loafing“-Effekt tritt nur auf,
wenn der eigene Beitrag zum Gruppenergebnis nicht einzigartig (= „unique“)
ist.
Bewertbarkeit der Gruppenleistung: Besteht die Möglichkeit, das
Gruppenergebnis zu bewerten, tritt kein Social Loafing auf!
Beziehung der Gruppenmitglieder: Sind die Gruppenmitglieder Freunde oder
Teamkollegen, kommt es nicht zu sozialem Faulenzen.
Geschlecht: Bei Männern fällt der Effekt stärker aus als bei Frauen!
Kultureller Hintergrund: Im westlichen Kulturkreis ist die Tendenz zu
sozialem Faulenzen ausgeprägter als in der östlichen Welt.
Studiendesign: In Laboruntersuchungen fällt der Effekt stärker aus als in
Feldstudien.
110
11.2.3. Prozessverluste II: Informationsverarbeitungspathologien
Informationsverarbeitungsprobleme: Normalerweise sollte man denken, dass in
Gruppen bessere Entscheidungen getroffen werden (mehr Infos, mehr Perspektiven,
mehr Kritikpotenzial) und ihre Umsetzung aufgrund einer höheren Motivation
(Identifikation etc.) wahrscheinlicher ist; tatsächlich treten aber häufig gegenteilige
Effekte ein: nämlich „Groupthink“ und suboptimale Entscheidungen!
„Groupthink“ liegt vor, wenn durch die Geschlossenheit und Solidarität einer
Gruppe eine rationale Problemlösung verhindert wird. Anstatt ihre eigene Meinung in
die Gruppe zu tragen, passen die einzelnen Gruppenmitglieder ihre Meinung an die
vermutete Mehrheitsmeinung an (übermäßiges Streben nach Einmütigkeit); auf diese
Weise werden schlechte Entscheidungen getroffen!
Beispiele: Schweinebucht-Invasion; Vietnamkrieg; Challenger-Unglück
Das Groupthink-Modell von Schultz-Hardt unterscheidet zwischen
Randbedingungen, Symptomen und Konsequenzen von Groupthink.
Randbedingungen, die die Wahrscheinlichkeit für „Goupthink“ erhöhen
(sofern sie zu einem übermäßigen Streben nach Einmütigkeit führen), sind:
a) Eine hohe Gruppenkohäsion
b) Strukturelle Mängel
- Abschottung
- direktive Führung
- soziale und ideologische Homogenität
- keine klar geregelten Entscheidungsprozeduren
c) Provokativer Kontext (Stress, Druck von außen etc.)
Symptome von „Groupthink“ (die durch ein übermäßiges Streben nach
Einmütigkeit bedingt sind), sind:
a) Selbstüberschätzung
- Illusion der Unverwundbarkeit
- Glaube, hohe moralische Standards zu vertreten
b) Engstirnigkeit
- Kollektive Rationalisierung
- Stereotypisierung von Outgroups
c) Uniformitätsdruck
- Illusion der Einstimmigkeit
- Selbstzensur
- Druck auf Abweichler
Die Konsequenzen von „Groupthink“ sind Fehler im Entscheidungsprozess:
- Unvollständige Generierung von Alternativen
- Unvollständige Reflexion der Ziele
- Unterschätzung der Risiken der bevorzugten Alternative
- Fehlende Neubewertung anfänglich verworfener Alternativen
- Unzureichende und verzerrte Informationssuche
- Auf Selbstbestätigung ausgerichtete Informationsverarbeitung
Empirische Überprüfung des Modells:
111
Strategien, um Groupthink zu vermeiden:
Zurückhaltung des Führenden: der Führende sollte v.a. keine Lösungswege
vorab favorisieren!
Offenheit für andere Meinungen: der Führende sollte die Mitglieder zum
Äußern von Kritik und alternativen Lösungsvorschlägen animieren!
Minderheitenschutz: Minderheiten muss die Möglichkeit eingeräumt werden,
vor Abschluss des Entscheidungsprozesses noch einmal ihre Meinung
darzustellen.
Heterogene Gruppen: Gruppen sollten möglichst heterogen zusammengesetzt
sein!
Vermeidung von Verantwortungsdiffusion: Alle Mitglieder sind
gleichermaßen für die Entscheidung verantwortlich!
Bildung von Subgruppen: die die verschiedenen Alternativen durchspielen.
Schaffung von Kontrollinstanzen: Einer sollte den „Advocatus Diaboli“
spielen und für die favorisierte Alternative ein Worst-Case-Szenario
entwickeln!
Beachtung der Gruppendynamik
Offenheit für Entscheidungsrevision
Kontakt nach außen: Die Gruppenmitglieder sollten die Probleme auch mit
Personen außerhalb der Gruppe diskutieren!
Suboptimale Entscheidungen bei „Hidden Profiles“:
In einer Gruppendiskussion muss zwischen geteilten- und ungeteilten
Informationen unterschieden werden. Erstere sind allen Gruppenmitglieder schon
vor der Diskussion bekannt; letztere sind dagegen nur einzelnen
Gruppenmitgliedern bekannt (=Spezialwissen).
Ein „hidden Profile“ liegt vor, wenn für die richtige Entscheidung ungeteilte
Informationen ausgetauscht werden müssen, da die beste Alternative aufgrund
der individuellen Informationen der einzelnen Mitglieder nicht erkennbar ist.
- Beispiel: Für Alternative A sprechen insgesamt 7, für Alternative B
lediglich 4 Argumente; die einzelnen Gruppenmitglieder kennen jedoch
immer nur 2 der 7 Argumente für A, dafür aber alle 4 Argumente für B.
Ein manifestes Profil liegt vor, wenn die einzelnen Gruppenmitglieder auf
Basis ihrer individuellen Infos zu demselben Ergebnis kommen würden wie sie
auf Basis aller Infos kommen müssten. Ein Austausch der ungeteilten
Informationen ist in diesem Fall also nicht unbedingt notwendig.
- Beispiel: Für Alternative A sprechen insgesamt 7, für Alternative B
lediglich 4 Argumente, die einzelnen Gruppenmitgliedern kennen zwar
immer nur 4 der 7 Argumente für A; aber auch für B nur jeweils 3 von 4!
Liegt ein „hidden Profile“ vor, wählen Gruppen in 87% der Fälle die Alternative,
die durch die geteilten Informationen nahegelegt wird – auch wenn es sich dabei
um die schlechteste Alternative handelt; bei manifesten Profilen, entscheiden sich
Gruppen dagegen in 89% für die beste Alternative.
Geteilte Infos haben einen Sammlungsvorteil, sprich: sie werden in der
Diskussion häufiger genannt und machen damit einen höheren Anteil des
Gesprächs aus!
Geteilte Infos beeinflussen die Präferenzen aller Mitglieder, während
ungeteilte Infos nur in die Präferenz je einzelner Mitglieder eingehen. Die
Folge ist dieselbe: Geteilte Infos spielen im Gespräch eine größere Rolle!
- Anfangspräferenzen erlauben eine gute Vorhersage der Entscheidung!
- Anfänglicher Präferenzaustausch verringert Lösungswahrscheinlichkeit!
Geteilte Infos werden als glaubwürdiger und wichtiger beurteilt als ungeteilte!
112
Maßnahmen zur Reduktion suboptimaler Entscheidungen:
Diversität
Meinungsvielfalt durch (konsistenten) Minoritäteneinfluss
Dialektische Techniken (z.B. Advocatus Diaboli)
Rangordnung der Alternativen
Transaktives Gedächtnis (d.h. genaues Wissen darum, wer wofür Experte ist)
Sensibilisierung der Gruppenmitglieder
11.2.4. Prozessverluste III: Koordinationsverluste
Der Ringelmann-Effekt: bezeichnet die Tatsache, dass Menschen in der Gruppe eine
geringere Leistung erbringen als aufgrund der summierten Einzelleistungen zu
erwarten wäre.
Zugrundeliegendes Experiment: Pbn sollten einzeln und in unterschiedlich großen
Gruppen Gewichte ziehen; dabei zeigte sich: Je größer die Gruppe war, desto
geringer die Einzelleistungen (bei 8 Personen, lag die Einzelleistung nur noch bei
49% der erwarteten Einzelleistung)
Produktionsblockierung beim Brainstorming: Während man den anderen zuhört,
kann man selbst nicht nachdenken – und ist dadurch in der Generierung eigener
Gedanken und Ideen blockiert.
Die Methode des Brainstorming (von Alexander Osborn) umfasst 2 Phasen:
1. Ideensammlung
- Viele Ideen in kurzer Zeit (ca. 5 – 30 Min.)
- Freies Assoziieren und Phantasieren sind erlaubt
- Kombinieren und Aufgreifen von geäußerten Ideen
- Kommentare, Korrekturen und Kritik sind verboten!
2. Sortierung und Bewertung der Ideen
Probleme beim Brainstorming:
Motivationsverluste
Evaluation Apprehension (=Bewertungsangst)
- Trotz vorgeschriebener Kritiklosigkeit werden manche Ideen erst gar nicht
genannt aus Angst, sie könnten von den anderen schlecht bewertet werden.
- Re-Evaluation: Eigene Ideen werden für nicht mehr nennenswert
empfunden, nachdem andere Ideen geäußert wurden
Produktionsblockierung - Durch Ablenkung („thougt distraction“): Während man zuhört, denkt man
nicht nach (s.o.)
Überbewertung der Gruppeneffektivität („Illusion of Group Effectivity“)
- Die einzelnen Mitglieder glauben, mehr zum Gruppenergebnis beizutragen
als es tatsächlich der Fall ist, weil sie die Ideen der anderen mit auf das
eigene Konto buchen
- Die Gruppe denkt, sehr gut zu arbeiten und hört deswegen früher auf zu
arbeiten.
Werden die Ideen parallel generiert (parallele Produktion) bleibt, der
Blockierungseffekt aus!
Lösungsansätze (= Modifikationen des klassischen Brainstormings):
1. Nominalgruppen-Technik:
- Gruppenmietglieder generieren die Ideen zunächst alleine und schreiben
sie auf.
- Erst danach werden die Ideen reihum vorgestellt.
- Abschließend findet eine Diskussion und Bewertung der Ideen statt.
113
2. Stufenleiter-Technik:
- Gruppenmitglieder generieren alleine Ideen.
- Nach und nach stoßen sie zur Gruppe und stellen ihre Ideen vor
- Alle hören dem „Neuen“ zu, damit alle Ideen unabhängig voneinander
vorgestellt werden
3. Delphi-Technik:
- Hier gibt es keine Gruppe mehr, stattdessen generiert jeder seine Ideen
selbst und entscheidet über deren Qualität
- Die guten Ideen werden schließlich zusammengelegt
4. Elektronisches Brainstorming:
- Jeder Einzelne arbeitet an einem eigenen Terminal und gibt dort seine
Ideen ein, die daraufhin anonym auf den Bildschirmen der anderen
Gruppenmitglieder erscheinen!
5. Brainwriting:
- In der ersten Phase arbeitet jeder Teilnehmer für sich alleine, indem er in
Ruhe Ideen sammelt und verschriftlicht.
- Gegebenenfalls wird mehrmals zwischen Sammel- und Nennphase
abgewechselt, bevor am Ende eine Diskussion und Bewertung der
gesammelten Ideen stattfindet.
- Beim Brainwriting ist die Anzahl nicht-redundanter Ideen deutlich höher
als bei der Nominalgruppen-Technik (s.o.)
11.3. Teamdesign
11.3.1. Erfolgsrelevante Merkmale der Gruppe
Fachliche Qualifikation: Je qualifizierter die Gruppenmitglieder, desto besser die
Ergebnisse der Gruppenarbeit
Teamfähigkeit: Je besser die Teamfähigkeit der Gruppenmitglieder (effektive
Kommunikation, Konfliktmanagement etc.), desto besser die Ergebnisse der
Gruppenarbeit!
Gruppengröße: Die optimale Gruppengröße liegt zw. 3 und 12 Mitgliedern. Für die
genaue Festlegung der Gruppengröße gilt die Maxime: So viele wie nötig – so wenige
wie möglich!
Erklärung:
Größere Gruppen verfügen über mehr Ressourcen (Zeit, Wissen, Erfahrung
etc.)
ABER: Größere Gruppen erfordern gleichzeitig mehr Koordination und
erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Motivationsverluste!
Mitgliedereigenschaften:
Verträglichkeit korreliert am höchsten mit Teamleistung (.34); darüber hinaus
korreliert Verträglichkeit positiv mit Kohäsion (.32) und negativ mit
Teamkonflikten (-.38)
Emotionale Stabilität korreliert am höchsten mit Kohäsion (.53) und schützt am
meisten vor Teamkonflikten (-.42); aber auch mit der Teamleistung besteht eine
positive Korrelation (.24)
Intelligenz korreliert positiv mit Teamleistung (.23); zur Kohäsion und Konflikten
besteht dagegen kein Zusammenhang!
114
Extraversion korreliert positiv mit Kohäsion (.36) und negativ mit Teamkonflikten
(-.24); zur Teamleistung besteht ein kurvilinearer Zusammenhang:
Ist der Anteil extrovertierter Teammitglieder sehr gering oder übermäßig hoch,
geht die Effektivität der Gruppe zurück; ist der Anteil extrovertierter
Mitglieder dagegen moderat, wirkt er sich positiv auf die Effektivität aus!
Die Diversität bzw. Heterogenität der Gruppe: hat je nach Rahmenbedingungen,
Art der Diversität und abhängiger Variable positive oder negative Effekte.
Mögliche Quellen für Diversität in Gruppen:
Demographische Merkmale (z.B. Geschlecht, Alter, Kultur, Familienstand,
sozio-ökonomischer Status etc.)
Persönlichkeitsmerkmale
Meinungen und Werte
Aufgabenrelevantes Wissen oder Fertigkeiten
Der Einfluss der Heterogenität hängt ab von:
Der Art der Aufgabe: bei Kreativitäts- und Entscheidungsaufgaben eher
positive Effekte; bei Produktionsaufgaben eher negative Effekte
Dem Zeitpunkt: Homogene Gruppen zeigen eine bessere Anfangsleistung,
weil heterogene Gruppen mehr Zeit für die Teamentwicklung brauchen
Der Art der Heterogenität: Heterogenität bezüglich des Fachwissens ist eher
von Vorteil als demographische Heterogenität
Der Art der Leistungsindikatoren: Positive Effekte auf die Aufgabenleistung
gehen oftmals mit negativen Effekten auf das Teamklima und die Fluktuation
einher
- Beispiel 1: Heterogene Gruppen kommen zwar häufiger zum richtigen
Ergebnis, sind aber seltener einstimmig zufrieden mit diesem!
- Beispiel 2: Meinungsheterogene Gruppen lösen Hidden-Profile-Aufgaben
wesentlich häufiger als meinungshomogene Gruppen!
115
12.1. Einführung
12.1.1. Begrifflichkeiten
Gesundheit: Anders als früher wird Gesundheit heute nicht mehr als Abwesenheit von
Krankheit, sondern als physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden definiert!
Gesundheit lässt sich somit nicht allgemein, sondern nur mit Blick auf das
betroffene Individuum bestimmen.
Darüber hinaus ist die Herstellung von Gesundheit kein punktueller Eingriff,
sondern ein langfristiger und kontinuierlicher Prozess!
Arbeitsschutz: meint die umfassende Bewahrung des Menschen vor Gefahren und
Beeinträchtigungen in Verbindung mit seiner Berufsarbeit. Ziel des Arbeitsschutzes
ist somit die Gewährleistung der Gesundheit und die Schaffung des Wohlbefindens am
Arbeitsplatz.
Ins Auge gefasst werden dabei sowohl längerfristige Gesundheitsrisiken
(Stressforschung), als auch unmittelbare Gesundheitsrisiken (Unfallforschung)
Arbeitssicherheit: wird als gefahrenfreier Zustand bei der Berufs- und
Arbeitsausführung verstanden, den es durch Maßnahmen zur Unfallverhütung
anzustreben gilt.
Anders als der Begriff „Arbeitsschutz“ bezieht sich der Begriff „Arbeitssicherheit“
somit primär auf unmittelbare Risiken, wobei der Fokus weniger auf dem
einzelnen Individuum, als auf der Gesamtorganisation liegt.
Faktoren, von denen die Arbeitssicherheit abhängt, sind:
a) Personenmerkmale (Risikofreudigkeit etc.)
b) Technische Aspekte
c) Organisationale Bedingungen
Gefährdungen: sind mögliche Ursachen eines arbeitsbedingten Unfalls oder einer
arbeitsbedingten Beeinträchtigung.
Beispiele: - Gefährliche Stoffe (giftige Chemikalien, Asbest usw.)
- Biologische Gefährdungen (Viren, Bakterien, Pilze)
- Mechanische Gefährdungen (ungesicherte Ladungen,
Absturzgefahr, Schnittgefahr etc.)
- Elektrische Gefährdungen (offene Stromleitungen usw.)
- Thermische Gefährdungen (Hitze, Kälte)
- Sonstige physikalische Gefährdungen (Lärm, Strahlung etc.)
- Physische Belastungen (z.B. schweres Heben und Tragen;
mangelnde Ergonomie etc.)
- Psychische Belastungen (z.B. aufgrund sozialer und/oder
organisationaler Bedingungen, der Arbeitstätigkeit als solcher…)
- Organisatorische Mängel (geringe Zahl an Ersthelfern und
Sicherheitsbeauftragten, fehlende Betriebsanweisungen etc.)
Arbeitsunfälle: sind von außen auf den Menschen einwirkende, körperlich
schädigende, zeitlich begrenzte Ereignisse mit Verletzungsfolgen.
Berufskrankheiten: sind dagegen Krankheiten, die durch spezifische,
längerfristige(!) Einwirkungen am Arbeitsplatz verursacht werden, weshalb
Personen, die in dem entsprechenden Beruf tätig sind, wesentlich häufiger davon
betroffen sind als die übrige Bevölkerung!
Beispiele: Die mit Abstand am weitesten verbreitete Berufskrankheit ist
Schwerhörigkeit aufgrund anhaltender Lärmbelästigung; es folgen: asbestbedingte
Krankheiten, Hautkrankheiten, Silikose, Infektionskrankheiten usw.
12. Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
116
12.1.2. Zahlen von der BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Der Ausfall aufgrund von vorübergehender oder dauerhafter Arbeitsunfähigkeit ist im
produzierenden Gewerbe (ohne Baugewerbe), im Baugewerbe und im öffentlichen
und privaten Dienstleistungssektor am höchsten; in der Land- und Forstwirtschaft und
Fischerei am geringsten.
Die durchschnittliche Ausfallzeit pro Jahr und Person liegt bei 12 Tagen.
Belastende Arbeitsbedingungen:
Potenziell belastende Arbeitsbedingungen, von denen anteilig die meisten
Arbeitnehmer betroffen sind, sind: Arbeit im Stehen (rund 56%); Arbeit im Sitzen
(rund 53%), ein starker Termin- und Leistungsdruck (rund 54%) und Störungen
bzw. Unterbrechungen bei der Arbeit (46%)
Arbeitsbedingungen, die von den meisten der Betroffenen (> 50%) tatsächlich als
belastend empfunden werden, sind:
Arbeiten an der Grenze der Leistungsfähigkeit (wird von fast 70% der
Betroffenen als belastend erlebt)
Störungen bzw. Unterbrechungen bei der Arbeit (werden von rund 60% der
Betroffenen als belastend erlebt)
Starker Termin- und Leistungsdruck (werden ebenfalls von rund 60% der
Betroffenen als belastend erlebt)
Grelles Licht oder schlechte Beleuchtung (werden von rund 57% der
Betroffenen als belastend erlebt)
Rauch, Gase, Dämpfe, Staub (werden ebenfalls von rund 57% der Betroffenen
als belastend erlebt)
Arbeits- und Wegeunfälle:
Insgesamt kommt es Deutschland pro Jahr zu rund 1.100.000 meldepflichtigen
Arbeits- und Wegeunfällen!
Arbeitsunfälle sind dabei deutlich weiter verbreitet (ca. 2,7%) als Wegeunfälle
(0,4%).
Die Anzahl unfallbedingter Todesfälle nimmt kontinuierlich ab und lag im Jahr
2008 bei knapp über 1000!
Davon gehen knapp 600 auf Arbeitsunfälle und gute 400 auf Wegeunfälle
zurück.
Am stärksten verbreitet sind meldepflichtige Arbeitsunfälle in der Fleischerei
(rund 7% der Metzger hatten im Jahr 2008 einen Unfall) und im Baugewerbe
(6,7%); am seltensten sind meldepflichtige Arbeitsunfälle im Zuckergewerbe (rund
0,9%) und der Seefahrt (1,2%)
Sonstige Statistiken:
Im Schnitt muss pro gemeldetem Arbeitsunfall mit 12 Ausfalltagen gerechnet
werden.
Auf jeden meldepflichtigen Unfall kommen rund 5 nicht meldepflichtige Unfälle!
Auf jeden Unfall kommen ca. 10 Beinhae-Unfälle!
Geschätzte Kosten für Renten, Heilbehandlungen und berufliche
Wiedereingliederung pro Jahr: 12 Mrd. Euro
Es werden – wen wundert’s – wesentlich mehr Berufskrankheiten angezeigt als
anerkannt!
117
12.1.3. Sonstiges
Das Arbeitssicherheitsgesetz sieht vor, dass ab einer Belegschaft > 20 ein
Sicherheitsbeauftragter und ein Arbeitsschutzausschuss bestellt werden müssen.
Personen, die für die Arbeitssicherheit zuständig sind, sind:
Betriebsärzte
Sicherheitsingenieure
Fachkräfte für Arbeitssicherheit
Betriebspsychologen
Was machen Psychologen?
Ermittlung der Verhaltensanforderungen von Arbeitsplätzen mit hoher Unfall-
und Gesundheitsgefährdung
Entwicklung psychologisch fundierten Trainings- und Unterweisungsmaterials
Psychologisch-ergonomische Gestaltung von Arbeitsmitteln und -wegen,
Anzeigen, Warnsystemen
Unterrichtung von Führungskräften und Sicherheitsfachkräften in
psychologischen Grundlagen der Unfallverhütung und des
Gesundheitsschutzes
Motivierung der Beschäftigten zu sicherheits- und gesundheitsförderlichem
Verhalten (z.B. Tragen von Helmen usw.)
Karl Marbe konnte zeigen, dass an dem Großteil der Unfälle nur ein kleiner Anteil
von Personen beteiligt ist; es scheint also Menschen zu geben, die aufgrund
individueller Merkmale besonders unfallgefährdet sind; Marbe prägte für sie den
Begriff des „Unfällers“.
Individuelle Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit für Unfälle erhöhen:
Unrealistischer Optimismus
Sicherheitsmotivation: hängt ab von…
a) dem Wunsch, sich nicht zu verletzen
b) dem Wunsch, den Aufwand bei der Arbeit zu minimieren
c) dem Wunsch, die Arbeit abwechslungsreich zu gestalten
Verzerrte Risikowahrnehmung
- Ein Vergleich der tatsächlichen Todesraten mit den geschätzten zeigt, dass
seltene Gefahren (wie Naturkatastrophen, Fleischvergiftungen etc.)
systematisch überschätzt werden (vermutlich aufgrund von
Medienberichten usw.), während häufige Todesursachen (wie Diabetes,
Krebs oder Herzkreislauferkrankungen) systematisch unterschätzt werden
(Gewöhnung).
Beinahe-Unfälle: Durch Beinahe-Unfälle wird riskantes Verhalten negativ
verstärkt!!
Merkmale von „Unfällern“:
- Die Häufigkeit von Unfällen korreliert negativ mit dem Alter, der
Verträglichkeit (-.61) und Intelligenz; sprich: Unfäller sind eher jung,
unverträglich und wenig intelligent!
- Positive Korrelationen bestehen zu negativer Affektivität, negativem
Sozialverhalten, einem externen Locus of Control, Aggressivität und
Impulsivität!
118
12.2. Maßnahmen zum Gesundheitsschutz
12.2.1. Integrierter Arbeitsschutz
Der „Fragebogen zur Sicherheitsdiagnose“ (FSD): ist ein Beobachtungsverfahren
für Experten, mit Hilfe dessen verhaltensbedingte Ursachen für Unfallrisiken erfasst
werden sollen.
Allgemeines:
Tätigkeitsklasse: Der FSD bezieht sich auf körperliche Arbeit.
Branchen: Er wird dementsprechend in Industrie, Handwerk,
Dienstleistungssektor, Forst- und Landwirtschaft eingesetzt
Antwortformat: teilweise zweistufig (ja/nein), teilweise 5-stufig
Durchführungszeit: Anwendung 3 - 4 h; Auswertung mindestens 2 h
Der FSD umfasst 149 Items, die in 8 Bereiche untergliedert sind:
1. Beschreibung der Arbeitstätigkeit
2. Ermittlung von Gefahren und Gefährdungen
3. Wahrnehmen und Beachten von Gefahrensignalen
4. Beurteilen und Vorhersagen von Gefahren
- „Wie wichtig ist es für einen Stelleninhaber, Anzeigen und Messwerte
richtig zu beurteilen?“ (5-stufig)
- „Anleitungen u, Betriebsanweisungen sind leicht verständlich.“ (2-stufig)
5. Planen und Vorsorgen
6. Handeln
- „Wie wichtig ist es für einen Stelleninhaber, Handlungsabläufe in der
richtigen Reihenfolge und vollständig durchzuführen?“
- „Der Stelleninhaber bekommt unmittelbare Rückmeldung über eine
korrekte bzw. fehlerhafte Handlungsausführung“ (2-stufig)
7. Zusammenarbeiten
8. Sich-Verständigen
Maßnahmen zur Unfallvermeidung (hierarchisch geordnet):
1) Beseitigung der Gefahr
z.B. Ersetzen einer giftigen Farbe
2) Trennung der Gefährdung (Entfernung der Menschen aus dem Gefahrenbereich)
z.B. durch Automatisierung
3) Abschirmung der Gefährdung (Einzug einer Barriere)
z.B. Helme, Schutzkleidung, Schutzgitter etc.
4) Anpassung der Mitarbeiter an die Gefährdung (psychologische Einstellungs-
und Verhaltensbeeinflussung):
z.B. Sicherheitstrainings
Hemmfaktoren für die Umsetzung von Sicherheitskonzepten:
1) Desinteresse, Unwissenheit
2) Subjektive psychologische Theorie („Unfällerpersönlichkeit“)
3) Kosten-Nutzen-Überlegungen und Wirtschaftlichkeitsregeln (erst Arbeitsschutz,
wenn unfallbedingte Fehlzeiten und Fluktuation auftreten)
Ein integrierter Arbeitsschutz ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
Sicherheit und Gesundheit werden als strategische Managementziele anerkannt
und dementsprechend bei der Personalauswahl, der Personalentwicklung, der
Führung und Arbeitsgestaltung konsequent berücksichtigt!
Maßnahmen zum Arbeitsschutz sollten präventiv, betriebs- und personenbezogen,
ganzheitlich, aktuell, kontinuierlich und beteiligungsorientiert sein.
119
Angestrebt wird eine Verbesserung der Sicherheit und Gesundheit auf allen
Hierarchieebenen, weshalb auch alle Hierarchieebenen beteiligt werden sollten
(top-down- und bottom-up-Prozesse!)
12.2.2. Personen- und bedingungsbezogene Maßnahmen
Personenbezogene Maßnahmen:
Information und Instruktion in Bezug auf Risiken (z.B. mit Hilfe von
Arbeitssicherheitsfilmen)
Arbeitssicherheitsfilme zielen darauf ab, ein gesteigertes Gefahrenbewusstsein
zu schaffen (Information) und die Bereitschaft zu wecken, das in den Videos
gezeigte Verhalten zu imitieren (Instruktion); unterschieden werden kann
zwischen instruktiven- und emotionalen Filmen (Motivierung durch
Furchtappell); erstere sind eher für Berufsanfänger, letztere eher für
Berufserfahrene gedacht!
Verhaltensmodifikation durch operante Konditionierung:
Beratung, Coaching
Trainings, Kurse, Seminare
Gezielte Personalauswahl (nach Belastbarkeit etc.)
Vorsorgeuntersuchungen
Einrichtung von Gesundheitszirkeln
Gesundheitszirkel sind regelmäßig tagende Arbeitskreise, in denen Mitarbeiter
krankmachende Aspekte ihrer Arbeit (Belastungsfaktoren) identifizieren und
Lösungsvorschläge entwickeln.
Die Wirksamkeit von Gesundheitszirkeln ist empirisch eindeutig belegt!
Bedingungsbezogene Maßnahmen:
Gestaltung der Umgebungsbedingungen (z.B. Räume, Ausrüstung, Material etc.)
Gestaltung der Rahmenbedingungen (z.B. Arbeitszeit, Entlohnung etc.)
Gestaltung der Arbeitsaufgabe (z.B. Schaffung von Handlungsspielräumen,
Vielfalt, Reduktion schwerer körperlicher Arbeit etc.)
Sicherheitskultur und Führungsverhalten
Unter der Sicherheitskultur bzw. dem Sicherheitsklima eines Betriebes versteht
man ein von (fast) allen Systemmitgliedern geteiltes Bewusstsein bzw. das
damit korrespondierende Verhalten, das die Sicherheit des Gesamtsystems
fördert!
- Die Sicherheitskultur korreliert positiv mit der Übernahme von
Verantwortung und negativ mit der Unfallrate
120
Beispiel: Suchtprävention
Substanzmissbrauch und -abhängigkeit stellen ein großes Problem für
Organisationen aller Art dar!
5-10% aller Männer und 2-5% der Frauen zeigen problematisches
Trinkverhalten!
Bei über 30% der Arbeitsunfälle ist Alkohol im Spiel!
Suchtmittel führen zu einem drastischem Leistungsrückgang und einem nicht
minder drastischen Anstieg der Fehlzeiten
Ansatzpunkte betrieblicher Suchtpräventionsprogramme:
1. Veränderung der Arbeitsbedingungen (Verfügbarkeit von Alkohol, soziale
Isolierung, Stress etc.)
2. Veränderung der innerbetrieblichen Trinkkultur (Vorbildfunktion der
Vorgesetzten, Plakate etc.)
3. Hilfestellung und konsequenter Umgang mit alkoholgefährdeten
Beschäftigten
In der Uni Würzburg wird bei Leistungsmängeln und anderen Auffälligkeiten nach
folgendem 5-Stufenplan vorgegangen:
1. Vertrauliches Gespräch mit dem Vorgesetzten
2. Erweitertes vertrauliches Gespräch (Vorgesetzter und Suchtberater)
3. Einleitung von Arbeits- und dienstrechtlichen Maßnahmen (Einschaltung der
Personalabteilung)
4. Arbeits- und dienstrechtliche Konsequenzen
5. Entfernung aus dem Dienst, Einleitung des Kündigungsverfahrens