ABS in der Praxis - muenchen.dec38276f7-026c-4d32-af03-e15849... · 5 Hölzel LP et al. BMC Health...

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ABS in der Praxis (und welche Schwierigkeiten dabei bestehen) Dr. med. Rainer Jund, MSc.

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ABS in der Praxis

(und welche

Schwierigkeiten

dabei bestehen)

Dr. med. Rainer Jund, MSc.

2

15%

80-90%

stationär

ambulant

GERMAP 2015 – Antibiotikaresistenz und -Verbrauch. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit & Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. (Hrsg.)

Die meisten Antibiotika in Deutschland werden im ambulanten Bereich verschrieben

46

13

9

7

6

54

29

Hausärzte

Hausärztlich tätigeInternistenKinderärzte

Zahnärzte

HNO-Ärzte

Hautärzte

Urologen

Gynäkologen

3

Anteil einzelner Facharztgruppen am Gesamtverbrauch in Deutschland im Jahr 2014 (Quelle WIdO, GKV-Arzneimittelindex, systemische und topische Antibiotika)

GERMAP 2015 – Antibiotikaresistenz und -Verbrauch. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit & Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. (Hrsg.)

Antibiotikaverbrauch nach Fachgruppen

Wirkstoff Verordnungen in Tsd.

Umsatz in Mio. Euro

Tagesdosenin Mio. DDD

Cefuroxim 4.695 92,0 55,1

Ciprofloxacin 3.947 60,2 20,1

Clarithromycin 1.597 24,4 15,9

Azithromycin 2.713 37,5 13,5

Cefaclor 1.651 31,7 12,4

Roxithromycin 1.380 21,3 11,8

Levofloxycin 1.212 18,6 8,1

Cefpodoxim 727 17,9 4,3

Moxifloxacin 439 20,2 3,1

Cefixim 366 8,7 2,6

Summe 18.728 332,5 146,8

Summe aller Reserveantibiotika

19.902 420,8 153,9

4

Verordnungen, Umsatz und Tagesdosen zehn führender so genannter Reserve-antibiotika nach DDD im Jahr 2014 (Quelle: WIdO, GKV-Arzneimittelindex)

Cephalosporin

Fluorchinolon

Makrolid

GERMAP 2015 – Antibiotikaresistenz und -Verbrauch. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit & Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. (Hrsg.)

Anstieg vor allem bei Fluorchinolonen und Oralcephalosporinen

Malhotra-Kumar S. et al., Lancet 2007; 369: 482 – 490

Effect of azithromycin and clarithromycin therapy on pharyngealcarriage of macrolide-resistant streptococci in healthy volunteers: a randomised, double-blind, placebo-controlled study.

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Was wissen wir und unsere Patienten?

- bei Stippchen auf den Mandeln hilft nur ein AB- eine Mandelentzündung kann die Herzklappen zerstören- Unbehandelte Mandelentzündung macht Rheuma- ASL Serologie: die Tonsillen müssen raus- Wir haben Streptokokken- AB begonnen bedeutet zu Ende nehmen, sonst entstehen

Resistenzen- Diskrepanz: Impfungen – Immunsystem vs AB Einnahme –

Mikrobiom- Influenza muss mit AB therapiert werden- Der Mensch wird resistent (cave: damit individuelles

Problem!)

Wie reagieren wir und unsere Patienten?

- Ich sehe rot: Antibiotikum- Fieber: Antibiotikum- Strep-Nachweis: Antibiotikum- Akute obere Atemwegsinfektion > 7 Tage: Antibiotikum- Ich muss wieder fit werden: Antibiotikum- Zur Sicherheit: Antibiotikum- Etc etc....

viren u bakt37%

Bakterien 24%

Viren11%

Menschen20%

weiss nicht7%

k.A.1%

Wer oder was kann gegen ein AB

resistent werden?

Salm F et al, Antibiotic use, knowledge and healt literacy among thegeneral population in Berlin, Germany and its surrounding rural areas. PLoS One 2018; 13:e0193336

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20

21

1. Kommunikation & Haltung2. Verzögerte Verschreibung

3. point-of-care Diagnostik

4. Alternative Therapie ?

Ad 1.

Kommunikation &

Haltung

24

- Von wem oder was das Eintreten von Ereignissen und Ergebnissen abhängt

- Was die Ursachen für ein bestimmtes Ereignis sind

- Determinante für Wahrnehmung

- Perfektionismus stört Erwartungsmanagement

ERWARTUNGEN BESTIMMEN VEHEMENT:

25*Cole A. BMJ 2014; 349:g5238Modifiziert nach Altiner A et al. J Antimicrob Chemother 2007; 60: 638-44

Mir geht‘s schlecht!!! Ich brauche etwas, was

mir schnell hilft.Patient erwartet

Antibiotikum

Mehr als die Hälfte der Ärzte fühlt sich unter Druck gesetzt*

Das Antibiotikum-Missverständnis.

26Modifiziert nach Altiner A et al. J Antimicrob Chemother 2007; 60: 638-44

Ich möchte Gewissheit, dass es

nichts Schlimmes ist. Ich möchte, dass es

mir bald wieder besser geht.

Patient erwartet Antibiotikum

Oder eher doch so...?

Leidensdruck

Patient hat Beschwerden und hofft auf rasche

Besserung

Kommunikation

Patient äußert Beschwerden, wirkt

ungeduldig, Arzt spürt Druck

Interpretation

Arzt denkt, Patient wünscht Antibiotikum

Reaktion Arzt

Arzt verordnet Antibiotikum

Reaktion Patient

Patient hält Antibiotikum für ein starkes Mittel

gegen Husten

Interpretation

Patient „lernt“, wie er den Arzt zur Verordnung

eines Antibiotikums bringt

27Altiner A. In: Duale Reihe Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Thieme-Verlag Stuttgart 2006

Kommunikation verläuft zyklisch...

Antibiotika-verschreibung

weder erwartet noch

verschrieben bekommen

Antibiotika-verschreibung

nicht erwartet, trotzdem

verschrieben bekommen

Antibiotikaver-schreibung

erwartet und verschrieben

bekommen

Antibiotika-verschreibung erwartet aber

nicht bekommen

Antibiotika-verschreibung

erwartet und Arztdavon überzeugt

28Altiner A et al. Z Allg Med 2002; 78: 19-22

Befragung von 77 Patienten mit akutem Husten. Zahlen geben die Anzahl der Patienten mit entsprechender Erwartung/Behandlung wieder.

36 31

6

31

Erwarten Patienten tatsächlich ein

Antibiotikum?

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Erwarten Patienten tatsächlich ein Antibiotikum?

- Patienten erwarten viel seltener ein Antibiotikum als der Arzt glaubt

(nur etwa jeder zehnte)

- Richtig kommuniziert führt Verzicht des Antibiotikums zu keiner

Beeinträchtigung der Patientenzufriedenheit

Altiner A et al. Z Allg Med 2002; 78: 19-22;

Faber MS et al. Euro Surveill 2010; 15Antibiotics for the common cold: expectations of Germany´s generalpopulation

136 Patienten mit akutem Husten und farbigem Sputum

30

16 %

84 %

bakteriell

viral

Sputumfarbe: kein klinischer Marker für eine

bakterielle Infektion ?

Altiner A et al. Scand J Prim Health Care 2009; 27: 70-3

Niedriger PPV !

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Evaluation von Erwartungen =

Missverständnissen aus dem Weg gehen

Warum kommt der Mensch gerade heute zu mir?

- Besorgnis über Ursache der Probleme?

- Liegt eine ernsthafte Erkrankung vor?

- Wunsch nach rascher Besserung & Symptomlinderung?

- AU Bescheinigung?

- Morgen Hochzeit der Tochter?

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Vertrauen aufbauen

- Durch ein empathisches Gespräch fühlen sich Patienten mit ihren Sorgen und Beschwerden ernst genommen

- Gleiches signalisiert eine gründliche körperliche Untersuchung

- Dies kann dazu beitragen, dass der Patient eine vorgeschlagene Therapie eher akzeptiert und adhärent ist

33

Das Gespräch schon bei der Befunderhebung

suchen

„Laut denken‟ während der

Befunderhebung bezieht den Patienten ein

und fördert das Vertrauen.

Zeit sparen.

34

Shared Decision Making - der Patient als

Partner

- Der Arzt hat die weitestgehende fachliche Autorität, bietet aber einen gemeinsamen Entscheidungsprozess an

- Information über zusätzliche Quellen und Hilfen

- patientenorientierte Kommunikation sichert Therapieerfolg

- muss auf längere Sicht nicht mehr Zeit kosten

35

1 Joosten EA et al. Psychother Psychosom 2008; 77: 219-262 Zolnierek KB, Dimatteo MR. Med Care 2009 ; 47: 826-343 Del Canale S et al. Acad Med 2012; 87: 1243-94 Little P et al. BMJ 2001; 323: 908-115 Hölzel LP et al. BMC Health Serv Res 2013; 13: 231

Vorteile einer partizipativen

Entscheidungsfindung

- Die gemeinsame Entscheidungsfindung kann rasch und effektiv zu einer Einigung auf Therapieziele führen1

- Der gemeinsame Entscheidungsprozess schafft eine höhere Adhärenz2

- Eine empathische Kommunikation kann Komplikationen verringern3

- Die Patientenzufriedenheit steigt4,5

36Altiner A et al. J Antimicrob Chemother 2007; 60: 638-44

Antibiotika-Reduktion durch verbesserte Kommunikation

- Cluster-randomisierte Studie in NRW

- zu Antibiotika-Verordnungen bei akutem Husten mit

- 52 Ärzten in der Interventionsgruppe (753 Patienten) und

- 52 Ärzte in der Kontrollgruppe (898 Patienten)

- Intervention:

• Vermittlung von Kommunikationstechniken von Arzt zu Arzt plus

• Patientenflyer und Wartezimmer-Poster

- Primärer Endpunkt: Antibiotika-Verschreibungsrate

37Altiner A et al. J Antimicrob Chemother 2007; 60: 638-44

Nach 6 Wochen Nach 1 Jahr

Rela

tive R

eduktion d

er

Antibio

tikavero

rdnungen (

%)

-60

-40

-20

0

-60 %

-40 %

Antibiotika-Reduktion durch verbesserte Kommunikation

Eine verbesserte Kommunikation zwischen Arzt und Patient kann die Verschreibung von Antibiotika deutlich und nachhaltig senken.

Ad 2.

Verzögerte

Antibiotikaverordnung

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Bedarfsrezept – typische

Anwendungssituationen

unklare Ursache des Infekts

bevorstehendes Wochenende

40Bisherige Konzepte für die Zusammenarbeit mit Meinungsbildnern

- Normaler Verlauf akute Atemwegsinfektion

- Warum AB nicht sofort notwendig ist

- Welche anderen Maßnahmen lindern können

- Wann das rote Rezept eingelöst werden sollte

- Wann unbedingt erneut zum Arzt

Aufklärung des Patienten

41Little P et al. BMJ 2014; 348: g1606

sofortige Verordnung

späteres Datum auf

Rezept

Rezept abholbereit am Empfang

Patient bestimmt, wann er Rezept einlöst

Verordnung nach

erneuter Kontakt-aufnahme

keine Verordnung*

Verzögerte Antibiotikaverordnung

333Patienten

556Patienten

26 % 37 %

*Ggf. nachträgliche Antibiotikaverordnung bei Symptomverschlechterung

97 %

37 % 33 % 39 %Einnahme:

Einnahme:

Verzögerte Antibiotikaverordnung –eine praxisnahe randomisierte Studie

Ad 3.

Point-of-Care Diagnostik

43

Etablierte Schnelltestverfahren bei

Atemwegserkrankungen

- C-reaktives Protein (CRP)

- Streptokokken-Antigentest (STR-A)

- Procalcitonin (PCT)

58 %

(508/870)

44Little P et al. Lancet 2013; 382: 1175-82

Keine Intervention

Training Kommunikation*

Training CRP

Training Komm.* & CRP

RandomisierungArztpraxen

*einschl. Abgabe von Patienteninformationen; **relative Risikoreduktion (adjustiert)

AB-Verordnung: 41 %

(476/1.170)

35 %

(368/1.062)

32 %

(366/1162)

Reduktion:** -47 %p<0,001

-32 %p<0,001

-62 %p<0,001

Kommunikation und CRP-gestützte Antibiotikaverordnung – eine europäische Multicenter-Studie

Kombination Kommunikation und CRP-Test erzielte den größten Einspareffekt

Ad 4. Alternative

Therapien.

Warum werden wir nicht besser ?

Mögliche Hindernisse durch gezielte Kommunikation ausräumen

• Mögliche Hindernisse / Probleme

• Es wird keine Notwendigkeit gesehen, etwas zu ändern

• Entstehende Unsicherheit in der Belegschaft

– Uneindeutige Datenlage

– Unklarheit über zukünftige Richtung

• „Not invented here“ – Syndrom

• Falsche Leute im Team

Abhilfe

• Proaktive zielgruppen-gerechte Kommunikation

• Top Management Involvementund Commitment

• Einbindung der wichtigsten Player

• Sorgfältige Auswahl der Teammitglieder

• Aufzeigen von „Quick hits“

NO problem – NO change! Wichtige Voraussetzung

für Veränderungen: Not-Wendigkeit klarmachen!

48

49Aus: Ärzteblatt Sachsen 8/2017

Wissen & Bewusstwerdung

- Präanalytik

- Kontamination

- Kolonisation vs Infektion

- Relevanz

Entscheidungswege zur AB-Therapie

- Klinikarzt erhält Entscheidungshilfen: ABS Programme,

infektiol Konsil, Mikrobiologie, Hausliste, Rücksprache

- Aktive Einschränkung in der Klinik (Reservesubstanzen)

- Permanente Kontrolle: Klinik, Befunde, Labor, Rückmeldung

- In der Praxis finden alle diese Prozesse im Kopf des Inhabers

statt

Besonderheiten der AB-Therapie in der Praxis

- viele minder kranke Patienten

- persönlich empfundener Zeit- u Kostendruck

- starker Einfluss von Beziehungsfaktoren (intangibles,

Kommunikation, Sympathie, Empathie)

- Geringe Rolle der bestehende Resistenzen

- Es fehlen sinnvolle praxisnahe Empfehlungen

- Kein initialer Erregernachweis – kalkulierte AB Therapie

Kalkulierte AB-Tx in der Praxis

- Lokalisation der Infektion

- Vermutetes Erregerspektrum

- Lokale Resistenzsituation

- Antibakterielle Aktivität der Substanz

- Pharmakokinetik

- Unerwünschte NW

- Wunsch des Patienten

Selektives Antibiogramm

- Auf Erregerspektrum zugeschnitten

- Auf Probenmaterial zugeschnitten

- Keine Substanzen, die in D nicht existieren

- Keine Substanzen, die am Ort keine Spiegel erreichen

- Kennzeichnung besonderer Substanzen (z.B. bei Penallergie...)

- Abgleich mit Leitlinien?

Vision: Relevantes in Kontakt zur Klinik

- Kenntnis lokale Resistenzlage

- sinnvolle konzeptuelle Kenntnis Probleme MRGN u MRSA

- Kontakte lokaler Player ambulant-stationär

- Abgleich der Leitlinien (periop Tx, Nachsorge, Substanzwahl)

- Praxis in der Klinik: Teilnahme infektiol. Besprechungen, Protokolle

- Klinik in der Praxis: QZ!

Kann ich ABS in der Praxis messen?

- Verordnungsdaten analysieren (Software, KV)

- Austausch mit Kollegen

- Selbstreflexion meines Verordnungsverhaltens

- Intrinsisches u extrinsisches Benchmarking

Wann wurden in meiner Praxis AB wie eingespart?

Was bringt ABS?

Meinen Patienten:

- Vermeidung Resistenzen u Allergien- Mikrobiomschutz- Aufmerksamkeit der Ärzte- moderne individual Dx & Tx

Was bringt ABS?

Mir & meiner Praxis:

- Marketingprozess- Positionierungsvorteil- Patientenbindung & Patientensteuerung- Einflüsse auf Prozess- & Ergebnisqualität!- Benchmarking- Rechtssicherheit

Was bringt ABS?

Der Welt & unseren Kindern:

- Wirksamkeit wichtiger Medikamente- Mikrobiomchaos vermeiden- Resistenzen vermeiden- Umweltschutz

DER ENDPUNKT:

Es gibt ein Problem. International, Regional, in jeder Klinik, in jeder Praxis.

Jeder einzelne Verordner kann mithelfen.

Lebenslang lernen, in Erkenntnis & Haltung.

Verzicht aktiv prüfen jeden Tag, bei jeder Indikation, bei jedem Patienten.