ADHS bei Erwachsenen- - bildungswerk-irsee.de ADHS - Behandlung... · Frühkindliche Entwicklung...
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ADHS bei Erwachsenen-erkennen, diagnostizieren,
behandeln
Silke Groß-Lesch
Krankenhaus für Psychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie Schloss Werneck
Syndromale Dimensionen des ADHS
Aufmerksamkeits-
defizit
Erhöhte
Impulsivität
Hyperaktivität
Eingeschränktes
Sozialverhalten
Oppositional-
defiant
behaviourRisiko suchendes
Verhalten
Stoffgebundene und
Verhaltenssüchte
Emotionale
Dysregulation
Konzentrationsprobleme gegenüber Details
Wiederholtes abschnittsweises Lesen
Alltagsvergesslichkeit
Desorganisation (Termine, Aktivitäten)
Gegenstände verlieren
Probleme mit dem “Roten Faden”
ADHS - Symptome
Aufmerksamkeitsdefizit
Hyperaktivität
Impulsivität
Emotionale Instabilität
Subjektives Unruhegefühl
Schwierigkeit sich zu entspannen
Dysphorie bei Inaktivität
Persistierende Impulsivität, vorschnelle
Entscheidungen
Probleme mit Teamarbeit
Abrupte Anbahnung und Beendigung von
Partnerschaften
Vorschnelle Entscheidungen
Stimmungsschwankungen
Depressivität und Reizbarkeit
Temperamentsausbrüche
Konflikte in persönlichen Beziehungen
Fallvorstellung: Patientin, geb. 1967
Erstvorstellung 2005 wegen ausgeprägter Ängste/Panikattacken in
Zusammenhang mit Arztkontakten, Besuchen in Krankenhäusern
bei Angehörigen
Auslöser war die Ankündigung des Ehemannes, zu einer Nasen-OP
ins Krankenhaus zu müssen
Symptome: „Erregungszustand“ mit Weinen, heftigem Streit,
Gereiztheit, Durchfällen, Brechreiz etc.
Familienanamnese: Mutter dreimal verheiratet, der Vater der Pat. starb,
als Pat. drei Jahre alt war, vier Geschwister, ein Halbbruder, ein
behindertes Pflegekind
Vater Alkoholiker, mütterliche Großmutter promisk, Mutter Asthma,
chronisch leidend,
Häusliche Atmosphäre: chaotisch, hektisch, laut, emotional
Frühkindliche Entwicklung regelrecht, mit 9 Monaten gelaufen,
Besuch des Kindergartens, Hauptschulabschluss mit ausreichenden
Leistungen, da Pat. „stinkfaul“ gewesen sei.
Berufsgrundschuljahr, Hauswirtschaftsschule mit Mittlerer Reife. Sehr
erfolgreiche Ausbildung zur Altenpflegerin (Traumberuf), Weiterbildung
zur Praxisanleiterin
Schichtdienst im Altenheim mit 75% als Stationsleitung
Verheiratet in sehr stabiler und harmonischer Partnerschaft, ein Sohn
Somatische Anamnese: im Alter von 9 Jahren schwere,
lebensbedrohliche Hauterkrankung mit halbjährigem Aufenthalt in der
Hautklinik Uni Würzburg
Sehr belastend, starke Schmerzen, massive Hautveränderungen mit
Blasenbildung, massive Gewichtszunahme durch Cortison
„Vorführung im Hörsaal“, wenig Besuch von Geschwistern,
aber auch viel Zuwendung vom Stiefvater
Fallvorstellung: Patientin, geb. 1967
Eine Fehlgeburt, Z.n. Konisation, Sprunggelenksfraktur mit
Kunstfehlerfolgen, „Tölpelfleisch“PCO- Syndrom
Essattacken mit heimlichem Essen von größeren Mengen Schokolade
ohne Geschmackserlebnis
Seit Jahren Medikation mit Venlafaxin ret 150 mg
Psychotherapie über ca. eineinhalb Jahre mit sehr gutem Erfolg,
u.a. kontaktierte die Pat. den Hautarzt, der sie als Kind als junger
Assistenzarzt behandelt hatte.
Die Ängste in Bezug auf Arzt- und Krankenhausbesuche sistierten
weitgehend
Deutlich bessere Körperwahrnehmung (Körpergrenzen)
Deutliche verbessertes Selbstbild, Eintreten für ihre Bedürfnisse, auf
Fortbildungen Meinung äußern
Gründung einer Selbsthilfegruppe für PCO-Patientinnen, Teilnahme an
einer Vorlesung in der Endokrinologie Würzburg
Fallvorstellung: Patientin, geb. 1967
Wiedervorstellung 2012 mit dem Bild einer
„Erschöpfungsdepression“
Auf Fragen beschreibt die Patientin, vor allem im
häuslichen Umfeld, deutliche Probleme mit Unordnung,
sie bekäme den Haushalt nicht in den Griff, schiebe Dinge
auf, verzettele sich, sei vermehrt ablenkbar
Wiederholt Probleme mit Impulsivität, auch auf der Arbeit,
ecke an, „schieße über das Ziel hinaus“Klagen über innere Unruhe, Getriebenheit
Fallvorstellung: Patientin, geb. 1967
Formale ADHS-Diagnose im Sommer 2012
Beginn einer MPH-Medikation Februar 2013:
Bessere Konzentration z.B. beim Lesen oder bei Routinearbeiten,
weniger abgelenkt
Explodiere auf der Arbeit nicht mehr so schnell, könne klar für ihre
Belange eintreten
Alltag insgesamt deutlich weniger stressig
Mai 2013: Prioritäten setzen falle deutlich leichter, fühle sich
lebhafter und lebendiger, Ängste führten nicht mehr zu Konflikten,
weniger reizbar, weniger Stimmungsschwankungen
Aber: ein Monat Führerscheinentzug wegen Fahrens mit 150km/h
auf der Landstraße
Fallvorstellung: Patientin, geb. 1967
Die Würzburger A- ADHS Datenbank
N
Jacob et al., 2007
Gross-Lesch et al., 2013
N = 915; 460 Männer, 455 Frauen
%
Lebenszeit-Prävalenz der Achse I- Komor-
bidität in der Würzburger ADHS-Datenbank
N = 915; 460 Männer und 455 Frauen
Jacob et al., 2007
Gross-Lesch et al., 2013
Anorexia
Bulimia
Binge eating
Pain
Hypochondria
Alcohol
Sedatives
THC
Amphetamines
Cocaine
Hallucinogens
Polysubstance
Panic disorder
Agoraphobia
Social phobia
Specific phobias
OCD
PTSD
GAD
Major depression
Dysthymic disorder
ADHS Angststörung
Unablässige mentale
Aktivität
Ängstliche Besorgnis
Motorische Unruhe Unruhe, Agitiertheit
Vermeidung aufgrund von
Reizüberflutung oder
Ungeduld
Ängstliche Vermeidung
Fühlt sich leicht
überfordert
Ängstlichkeit
Vergesslichkeit,
Ablenkbarkeit
Hypervigilanz
somatische Symptome
möglich
Schlafstörungen,
somatische Symptome
Verbesserung durch
Stimulantien
Verschlechterung durch
Stimulantien
%
Lebenszeit- Prävalenz der Persönlichkeits-
störungen in der Würzburger A- ADHD Datenbank Jacob et al., 2007
Jacob et al., 2013
N = 915; 460 Männer, 455 Frauen
Cluster A Cluster CCluster B
ADHS und zwanghafte Persönlichkeit
Komorbidität oder Kompensation?
Vorteile: Ordnung, Organisation, Routinen, Listen
Nachteile: inflexibel, rigide, perfektionistisch, sich verzetteln
Schwierigkeiten in Beziehungen
„decision fatigue“
ADHS - Ätiologie
Genetische Faktoren
Genetische Faktoren stellen die Hauptursache für ADHS dar.
Ca. 60% der Eltern von Kindern mit ADHS haben ebenfalls
ADHS.
ADHS wird zu 60-100% auf genetische Ursachen zurückgeführt.
Geschwister und Eltern haben ein 2-8 fach erhöhtes Risiko für
ADHS.
ADHS - Diagnostik
Klinische Diagnose !
Nicht zu stellen mittels apparativer, testpsychologischer/
neuropsychologischer Verfahren
Körperliche und neurologische Untersuchungen
Basislabor (Blutbild)
Ggf. EEG und EKG
Schilddrüse
Umfassende Anamnese
Familienanamnese
Psychiatrische Anamnese/Familienanamnese
Schulische und berufliche Entwicklung
ADHS - Diagnostik
Schritte zur ADHS-Diagnose
1. ADHS-Screening-Test
2. Überprüfung der ADHS in der Kindheit
3. Nachweis von
DSM-IV-Kriterien oder
ICD-10-Kriterien oder
Wender-Utah-Kriterien
4. Feststellung komorbider Störungen
5. Ausschluss von organischen Störungen
6. Testpsychologische Untersuchungen (Neuropsychologie,
CAARS)
Rösler M et al. Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene (HASE). Hogrefe Verlag Göttingen, 2008.Retz W, Retz-Junginger P, Römer K, Rösler M. Standardisierte Skalen zur strukturierten Diagnostik der ADHS im Erwachsenenalter. Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81(7): 381-389
Standardisierte
Testsysteme
IDA
Was ist neu bei DSM-V?
Symptome sind vor dem 12. Lebensjahr aufgetreten
die 18 Kriterien wurden beibehalten
Bei Personen ab 17 Jahren müssen 5 von 9 Kriterien
aus dem Bereich Aufmerksamkeitsdefizit und / oder
Hyperaktivität / Impulsivität erfüllt sein
Empfehlung zur Fremdanamnese
ADHS und Autistische Störung schließen sich nicht aus
Aufteilung in „Specifier“, zusätzlich Angabe des
Schweregrades
Restkategorien „other specified ADHD und „unspecified
ADHD
ADHS-Diagnostik
Verdachtsmomente in der Anamnese:
Seit der Jugend beschriebene Phasen mit depressiven Symptomen
und ausgeprägten Selbstzweifeln ohne Ansprechen auf
Antidepressiva und/ oder Psychotherapie
Klagen über sehr rasche Stimmungsschwankungen „aus heiterem
Himmel“
Intoleranz von Langeweile oder Ruhe, deshalb Drang zur
„Selbststimulation“ durch äußere Reize oder Tätigkeiten (sensation
seeking)
Häufiger Wechsel von Arbeitsstätte oder Wohnort
Unvermittelte verbale Entgleisungen, Impulsdurchbrüche,
Drogenmissbrauch, Kriminalität
Hypersensibilität (Geräusche, Gerüche)
ADHS-DiagnostikVerdachtsmomente in der Anamnese:
Chronische Insomnien
Exzessiver Koffeinkonsum, Schokoladenkonsum bzw. Zucker(!),
extreme Raucher mit der Angabe, eine direkte Wirkung auf die
Konzentration zu spüren
Wiederholtes Zu-Spät-Kommen, ausgeprägte Vergesslichkeit,
„Notizbücher“
Paradoxe Medikamenteneffekte auf Benzodiazepine, SSRI,
Antipsychotika, Narkosemittel oder Schmerzmittel oder auch Drogen
(Extasy beruhigt)
Extremsportler
„soziale Phobie“, Panikstörung ! Notfallmäßige psychiatrische
Kontakte
Wender- Utah- Kriterien
Obligate Kriterien
Aufmerksamkeitsstörung
Motorische Hyperaktivität („Gefühl innerer Unruhe“)
Fakultative Kriterien (mindestens 2)
Affektlabilität (Stimmungsstörung)
Desorganisiertes Verhalten
Verminderte Affektkontrolle (Reizbarkeit)
Impulsivität
Emotionale Überreagibilität (Stressintoleranz)
Stärken oder Schwächen?
Energisch
Spontan
Kreativ
Fantasievoll
Offen für Neues
Flexibel
Unabhängig
Engagiert
Einzigartig
Hyperaktiv
Impulsiv
Zerstreut
Tagträumer
Unaufmerksam
Unberechenbar
Streitsüchtig
Störrisch
Unkonzentriert
NICE-Leitlinie 2008
Beeinträchtigung bei ADHS
Umfassend und mindestens mittelgradig ausgeprägt
Verursacht Probleme in mindestens zwei Lebensbereichen
Persönliches Leid durch ADHS-Symptome
Reduziertes Selbstwertgefühl
Probleme mit sozialen Interaktionen und Beziehungen
Eingeschränkte Funktionsfähigkeit bei Ausbildung, Beruf und in
den Aufgaben des täglichen Lebens
Autounfälle und Risikoverhalten
Komorbide psychiatrische Syndrome und Verhaltensprobleme
Die Folgen von ADHS sind nicht nur auf Ausbildungs- oder
Schulleistungen beschränkt!
ADHS - Auswirkungen
ADHS
Gesundheitswesen
Mehr Verkehrsunfälle
Erhöhte Inanspruchnahme
von chir. Ambulanzen
Mehr sexuell übertragbare
Krankheiten
Familie
Erhöhte Neigung zu
Beziehungsabbrüchen
Mehr Scheidungen
Mehr Geschwisterrivalität
Schule und Beruf
Mehr Schulverweise
Mehr Schulabbrüche
Niedrigerer beruflicher
Status
Gesellschaft
Höheres Suchtrisiko
Früherer Drogen-Einstieg
Mehr Frühschwanger-
schaften
Häufig starke Raucher
Arbeitgeber
Geringere Zuverlässig-
keit
Häufigere Fehlzeiten
Produktivitätsverluste
020 40 60 80 100
44Depression
86Alkoholmiss
brauch
58Drogenmiss
brauch
Geschätzte jährliche Kosten von Adultem ADHS undeinigen ADHS- Komorbiditäten in der EU
Behandlung von ADHS
46
17Verlust vonArbeitskraft
Therapie ADHS: Medikation
Stimulanzien-Therapie mit Methylphenidat
Mittel der 1. Wahl
Zwei Retard-Präparate sind für die
Behandlung des ADHS im Erwachsenenalter
in Deutschland zugelassen
Für alle anderen Methylphenidat-Präparate
gelten weiterhin die Besonderheiten des „Off-
Label-Use“.
Deutliche individuelle Unterschiede im
Ansprechen auf verschiedene Präparate
Unterschiede in Galenik und Verhältnis
unretardiert/ retardiert
Methylphenidat-Retardpräparat versus unretardiertes Methylphenidat
Wirksamkeit und Verträglichkeit in klinischen Studie erwiesen
Empfohlene Dosierung: max. 1,0 mg/kg KG, 80 mg/Tag sollten nicht
überschritten werden, sehr individuelle Unterschiede in der Dosis und
Wirkungsdauer
Ersteinstellung: schrittweise Dosistitration (10 mg/Woche) empfohlen
Verlaufskontrolle einmal jährlich durch behandlungsfreie
Zeitabschnitte
Regelmäßige Kontrollen (mind. alle 6 Monate oder nach Bedarf) von
Appetit, Gewicht, Blutdruck, Puls und psychiatrischen Erkrankungen
Medikamentöse Therapie: Methylphenidat
Medikamentöse Therapie: Atomoxetin
Zulassung für die Erstanwendung bei Erwachsenen in
Deutschland seit Juni 2013
Therapie der 2. Wahl
Hochselektiver reversibler Noradrenalin-
Wiederaufnahmehemmer
Langsamer Wirkungseintritt, längere Wirkungsdauer
Langsame Aufdosierung verbessert die Verträglichkeit
Wirksamkeit bei Erwachsenen in klinischen Studien
erwiesen.
gute Wirkung bei emotionalen Problemen
Therapie ADHS: Psychotherapie
COMPAS-Studie (n=433)2
Vergleich Plazebo/Psychotherapie vs. Methylphenidat/Psychotherapie vs.
Methylphenidat vs. Plazebo
Kombination Psychotherapie + Pharmakotherapie wird empfohlen.
Zielbereiche, die sich gut psychotherapeutisch behandeln lassen sind:
Verbesserung des psychosozialen Funktions- & Leistungsniveaus
Verbesserung der Lebensqualität
Behandlung komorbider Störungen
Übersichtsarbeit kürzlich erschienen zum Neurofeedback,
Neurofeedback, sham Feedback, Kontrollgruppe
keine Überlegenheit !!
Therapie ADHS: Psychotherapie
Einzeltherapieprogramme
Kognitiv-behaviorale Therapie1
Problemfokussierende Therapie
Gruppentherapieprogramme
Kognitives Remediationsprogramm
Freiburger-Konzept (Gruppenfertigkeitentraining)
Kognitiv-behaviorales Gruppenprogramm
1 Safren et al. Cognitive-behavioral therapy for ADHD in medication-treated adults with continued symptoms. Behav Res Ther
2005;43; 831–842
Hesslinger B et al. Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter. Ein Arbeitsbuch. Hogrefe Verlag, Göttingen, 2004
Therapie ADHS: Psychoedukation und Coaching
Was ist ADHS und wie entsteht ADHS?
Wie kann man ADHS behandeln?
Mein (soziales) Leben mit ADHS
Selbstbild und Selbstwert
Von Chaos und Kontrolle
Stressmanagement
Stimmungsregulation und Impulskontrolle
Selbstmodifikation
ADHS bei Erwachsenen
ADHS bei Erwachsenen ist eine klinisch relevante Störung
ADHS bei Erwachsenen ist nicht schwerer zu
diagnostizieren als andere häufige psychische Störungen
ADHS-Symptome werden oft fälschlicherweise anderen
psychischen Störungen zugeordnet
ADHS ist gut behandelbar
Eine formale ADHS-Diagnostik ist gerade bei der Frage
nach der Differential-Diagnose Persönlichkeitsstörungen
sinnvoll
ADHS bei Erwachsenen: Fazit
Erwachsene mit ADHS sind oft komplexe, vielschichtige
Persönlichkeiten
Es sind sehr freundliche Patienten, die unendlich dankbar
sind für die Hilfen, die sich aus der Diagnosestellung
ergeben
Es ist nie zu spät, die Diagnose zu stellen!