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adhs aufmerksamkeitsdefizit/ hyperaktivitätsstörung … was bedeutet das? Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

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adhsaufmerksamkeitsdefizit/

hyperaktivitätsstörung …

… was bedeutet das?Bundeszentrale

fürgesundheitliche

Aufklärung

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2 | IMPRESSUM

IMPRESSUM

Herausgeber: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln, im Auftrag des Bundes-ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung

Alle Rechte vorbehalten.

Text: Ursula Peters

Redaktion: Dr. Monika von dem Knesebeck

Zeichnungen: Michael Ryba

Gestaltung: medienwerkstatt, Dortmund,www.medienwerkstatt-ecc.de

Druck: Kaufmann, Lahr

Stand: April 05

Ausgabe: 2.50.4.05

BESTELLADRESSE

Diese Broschüre ist kostenlos erhältlich bei der Bundes-zentrale für gesundheitliche Aufklärung, 51101 Köln,oder per E-Mail: [email protected]

Bestell-Nr.: 11 090 100

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DIESE BROSCHÜRE WENDET SICH … | 3

DIESE BROSCHÜRE WENDET SICH ...

Sie will sachlich und ausführlich über diese vieldiskutierteErkrankung und deren Diagnose und Behandlung infor-mieren.

Die meisten Eltern, Erzieher und Lehrer haben schon vonder Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung, kurzADHS, gehört. Wenn bei dem eigenen oder einem Kind inder Kindergartengruppe bzw. Schulklasse entsprechendeAuffälligkeiten auftreten, stellen sie sich die Frage, obdiese Erkrankung vorliegen könnte. Wichtig ist: Nichtjedes Kind, das unkonzentriert, lebhaft und laut ist, leidetauch an ADHS. Die Übergänge von „schwierigem Verhal-ten“ zu ADHS sind fließend und für den Laien schwer ein-zuschätzen.

Manche als „auffällig“ eingeordnete Verhaltensweisenkönnen in verschiedenen Altersstufen durchaus zu einer„normalen“ Entwicklung gehören. So müssen kleine Kin-der erst lernen, aufmerksam zu sein und ihre Vorhaben inplanvolles Handeln umzusetzen.

Ebenso kann „schwieriges Verhalten“ bei Kindern undJugendlichen eine nachvollziehbare Reaktion auf wichtigeÜbergänge sein, wie den Schuleintritt oder die Pubertät.Auch andere einschneidende Veränderungen oder Belas-tungen der Lebenssituation, wie die Trennung der Elternoder der Umzug in eine andere Stadt, können bei Kindernzu Verhaltensauffälligkeiten führen.

Symptome, die vorschnell an ADHS denken lassen, kön-nen aber auch andere Ursachen haben. KörperlicheErkrankungen, Teilleistungsstörungen und andere mögli-che Gründe sind daher sorgfältig auszuschließen

Diese Broschüre gibt eine erste Orientierung. Sie soll ver-mitteln, wie (Früh-)Symptome bei ADHS aussehen kön-nen und wo Hilfe und Unterstützung zu bekommen sind.

… an Jugendliche und Erwachsene, die von ADHS betroffen sind,

… an Eltern und Angehörige mit Kindern und Jugendlichen mit ADHS sowie

… an alle, die beruflich mit ADHS-Patienten zu tun haben.

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4 | INHALT

INHALT

Einleitung

ADHS – Was bedeutet das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Warum ist Früherkennung so wichtig? . . . . . . . . . . . . . . 9

ADHS – eine behandelbare Störung

Diagnosekriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12■ Bei Säuglingen und Kleinstkindern . . . . . . . . . . . . . . .12■ Bei Kleinkindern und Grundschulkindern . . . . . . . . 13■ Bei Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14■ Bei Erwachsenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Begleitstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16■ Störungen des Sozialverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . 16■ Angststörungen und Depressionen . . . . . . . . . . . . . . 17■ Teilleistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17■ Tic-Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18■ Störungen der Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Welche Ursachen hat ADHS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Welche weiteren Einflussfaktoren gibt es? . . . . . . . . . . . 20

Welche anderen Ursachen können vergleichbare Symptome hervorrufen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Wie wird ADHS behandelt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22■ Trainingsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23■ Pädagogische und weitere Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . 26■ Medikamentöse Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28■ Weitere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

ADHS – eine umstrittene Störung?

Die Diskussion um ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Standards in Diagnostik und Behandlung . . . . . . . . . . . 32

Wo finde ich Hilfe?

Wie kann festgestellt werden, ob (m)ein Kind ADHS hat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Wo finden Eltern Hilfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36■ Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

Anhang

Eckpunktepapier der ADHS-Konsensuskonferenz im Oktober 2002 im BMGS in Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . 42

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EINLEITUNG | 5

Das Krankheitsbild ist nicht neu. Schon Mitte des 19. Jahr-hunderts wurde im „Zappelphilipp“ von Dr. H. Hoffmanndie Geschichte eines Jungen beschrieben, dessen Verhaltenan ADHS erinnert.

Die Bezeichnung des Syndroms hat im Laufe der Zeit eini-ge Veränderungen durchlaufen. Schon seit 1932 existiertdie Bezeichnung „Hyperkinetische Erkrankung des Kindes-alters“. Die entsprechende Abkürzung HKS für Hyperkine-tisches Syndrom findet sich gerade im deutschen Sprach-raum noch recht häufig.

Der heute wohl am meisten verwendete Begriff ist Auf-merksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung mit derAbkürzung ADHS. Wenn das Merkmal der Hyperaktivitätfehlt, spricht man von Aufmerksamkeitsdefizit-Störung(ADS). In dieser Broschüre werden wir im Weiteren vonADHS sprechen.

ADHS ist heute eins der am häufigsten beschriebenenKrankheitsbilder im Kindes- und Jugendalter. Angaben zurHäufigkeit sind international sehr unterschiedlich. Sieschwanken zwischen zwei und 18 Prozent, je nach den zu-grunde gelegten Diagnosekriterien. Genaue Zahlen fürDeutschland fehlen. Experten gehen davon aus, dass ca.zwei bis sechs Prozent aller Kinder und Jugendlichen vonADHS – in unterschiedlichem Schweregrad – betroffensind, Jungen drei- bis neunmal häufiger als Mädchen.

EINLEITUNG

ADHS – Was bedeutet das?

Als ADHS wird eine verminderte Fähigkeit zur Selbststeue-rung bei Kindern und Jugendlichen beschrieben. Störun-gen treten hauptsächlich in drei Bereichen auf, und zwarals:

> Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen,> ausgeprägte körperliche Unruhe und

starker Bewegungsdrang (Hyperaktivität),> impulsives und unüberlegtes Handeln.

Wie bereits bei den Begriffsbestimmungen erwähnt, kanndie Erkrankung mit oder ohne Hyperaktivität auftreten.Letzteres findet sich häufiger bei Mädchen. Die Diagnosewird jedoch oft nicht gestellt, da das von der Außenweltfrüh als „störend“ erlebte Symptom der Hyperaktivitätfehlt. Die Symptome Unaufmerksamkeit und Impulsivitätwerden nicht als Ausdruck einer möglichen Störung wahr-genommen.

Wenn ADHS nicht erkannt und behandelt wird, könnenim weiteren Verlauf Störungen im Sozialverhalten so starkin den Vordergrund rücken, dass ein unmittelbarer Bezugzum zugrunde liegenden Krankheitsbild nicht mehr ohneWeiteres erkennbar ist.

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strengster Ermahnungen, ohne links oder rechts zu schau-en auf die Straße gerannt, weil er auf der anderen Straßen-seite etwas wahnsinnig Spannendes entdeckt hat.

Als Timos Mutter die Tür des Kindergartens hinter sichschließen will, ist sie eigentlich für den Rest des Tagesschon völlig erledigt. Die Erzieherin will aber noch mit ihrreden: Timo sei für die Gruppe eine große Belastung. Erkönne keine fünf Minuten still sitzen und sich auf keinSpiel konzentrieren. Er rase ständig herum und störe dieanderen Kinder. Timos Mutter ist verzweifelt: Es ist nichtdas erste Mal, dass ihr dies gesagt wird, und langsam weißsie wirklich nicht mehr weiter.

6 | EINLEITUNG

Timo, 5 Jahre

Kaum ist Timo morgens aufgewacht, fallen ihmschon tausend Dinge ein, die er heute tun könn-te. Sofort springt er auf und rast durch dieWohnung. Er hat am Vortag einen Piraten-film gesehen und will sich ein Schiff bauen.Als er auf das Regal klettert, um sich einBetttuch für das Segel zu holen, fällt dasRegal mit Getöse um und weckt die ande-ren Familienmitglieder. Sofort geht der übli-che Streit los. Jetzt ist nicht Schiffe bauen ange-sagt, sondern Anziehen, Frühstücken und Kin-dergarten. Das Anziehen dauert ewig, weilihm alle paar Sekunden etwas anderes ein-fällt. Beim Frühstück geht ein Glas zuBruch, als Timo aufspringt, um Sarah, dieheute Geburtstag hat, noch schnell einGeschenk zu basteln. Der Weg zum Kinder-garten ist eine Tortur: Timo ist schon oft, trotz

Fallbeispiel

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EINLEITUNG | 7

Sarah, 5 Jahre

Sarah wird im Kindergarten nur Traumsusegenannt. Wenn die anderen Kinder ein Bildmalen, sitzt sie gedankenverloren vor ihremleeren Blatt, und schaut aus dem Fenster,wenn die anderen Kinder ihre Bilder schonstolz den ErzieherInnen zeigen. Bei Grup-penspielen weiß Sarah nie, wann sie dranist. Sie hat nicht aufgepasst und ist schonwieder mit etwas anderem beschäftigt.Wenn ihr Vater sie nachmittags vom Kinder-garten abholt, dauert der Heimweg ewig. Sarahbleibt alle paar Minuten stehen, um etwas anzu-sehen. Sie hat vergessen, was sie am nächstenTag für den Ausflug mitbringen soll. Der Zettelvom Kindergarten ist unauffindbar.

Dauernd bekommt Sarah zu hören, sie solledoch besser aufpassen und sich besser kon-zentrieren. Aber so sehr Sarah sich auchbemüht, irgendwie gelingt es ihr nicht.

Fallbeispiel

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8 | EINLEITUNG

Ralf, 13 Jahre

Ralf hat echt keinen Bock mehr auf Schu-le. Dort meckern sie sowieso nur anihm herum, genauso wie zu Hause.Seit Ralf denken kann, sind alleanscheinend sauer auf ihn. Immerscheint alles, was er tut, nicht rich-tig zu sein. Er merkt es ja selbst:Egal wie sehr er sich auchbemüht, er kann sich einfachnicht konzentrieren und verliertschnell die Lust. Da dauern dieHausaufgaben natürlich ewig.

Was kann er dafür, dass er Matheeinfach nicht kapiert. Er hat nochnie verstanden, wie alle anderen die Aufgaben lösen,während er sich quält und das Ergebnis dann doch falschist. Die ständigen Auseinandersetzungen mit seinen Elternhat er auch satt.

Vor einiger Zeit hat er ein paar Jungs aus der Nachbarschaftkennen gelernt, die auch keine Lust auf Schule haben. Mitdenen hängt er jetzt jeden Nachmittag rum und seit neues-tem manchmal auch schon vormittags. Schule bringt‘seben nicht.

Fallbeispiel

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EINLEITUNG | 9

Von ADHS betroffene Kinder entwickeln die notwendigeFähigkeit zur Selbststeuerung sehr viel schwerer als ande-re Kinder. Sie brauchen daher besondere Unterstützung.Psychosoziale Faktoren, d.h. die konkreten Bedingungen,unter denen die Kinder aufwachsen, können den Verlaufder Erkrankung stark beeinflussen. Eltern, Lehrer undErzieher müssen lernen, dass Kinder und Jugendliche mitADHS oft nicht so reagieren wie andere Kinder.

Die Bewältigung alltäglicher Anforderungen, wie Anzie-hen, Essen oder Erledigung der Hausaufgaben, bedürfenständiger Kontrolle. Durch die hohe Ablenkbarkeit fällt esden Kindern schwer, konzentriert bei einer Sache zu blei-ben und diese zu Ende zu bringen. Aufforderungen wer-den oft nicht beachtet, weil diese überhaupt nicht wahr-genommen werden.

Besonders wichtig für das Kind sind verlässliche und lie-bevolle Bindungen. Es müssen jedoch auch eindeutigeGrenzen gesetzt werden. Kinder mit ADHS brauchen reiz-arme, klare Strukturen mit überschaubaren Regeln.

Das Verhalten der Kinder stößt häufig auf Unverständnisund Ablehnung. Konflikte und Auseinandersetzungensind vorprogrammiert. Da durch gutes Zureden, Ermah-nungen und Appelle oder durch „Strafen“ keine Verände-rungen erreicht werden, entsteht bei den Eltern undanderen Bezugspersonen bald das Gefühl, mit dem Kindnicht mehr „fertig zu werden“. Mit wachsender Hilflosig-

Warum ist Früh-erkennung so wichtig

keit werden unterschiedlichste Methoden angewandt,um doch noch zum Kind „durchzudringen“, aber nichtsscheint zu helfen. Wechselndes Erziehungsverhaltenerschwert dem Kind aber die notwendige Orientierungund verstärkt eher die Symptome.

Es kann schließlich eine nachhaltige Störung der Eltern-Kind-Beziehung eintreten. Die Eltern sind überfordertund erschöpft, die Kinder fühlen sich unverstanden undabgelehnt. Es entsteht ein Teufelskreis, der zu immer wei-teren Schwierigkeiten führt.

Innerhalb der Familie, aber auch in Kindergarten undSchule, besteht zunehmend die Gefahr, dass die betroffe-nen Kinder und Jugendlichen als „notorische Störenfrie-de“ und als „nicht mehr führbar“ abgestempelt werden.Die schulischen Leistungen lassen nach und die sozialeAusgrenzung verfestigt sich – die Kinder werden zuAußenseitern.

Die richtige Diagnose und die frühzeitige Einleitung einerangemessenen Behandlung bei ADHS kann helfen, die-sen Teufelskreis erst gar nicht entstehen zu lassen bzw.ihn zu durchbrechen. Da sich die Auswirkungen vonADHS auf alle Lebensbereiche erstrecken können undzum Teil bis ins Erwachsenenalter fortbestehen, kann soauch die Wahrscheinlichkeit weitreichender Folgestörun-gen entscheidend vermindert werden. Diese gehen bishin zu Schulabbrüchen oder gar beruflichem und/odergesellschaftlichem Scheitern.

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Diagnosekriterien

Die Diagnosestellung „ADHS“ erfolgt nach festgelegten Kriterien. Diese sind im ICD 10 niedergelegt, einem weltweitangewandten Internationalen Klassifikationsschema der Weltgesundheitsorganisation, und im DSM IV, dem Diagnosti-schen und Statistischen Manual Psychischer Störungen der American Psychiatric Association. Die genannten Klassifika-tionsschemata sind nicht vollkommen gleich, stimmen aber in den grundsätzlichen Aspekten überein.

ADHS – EINE BEHANDELBARE STÖRUNG

B. HYPERAKTIVITÄT1. Zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf

dem Stuhl herum.2. Steht häufig in der Klasse oder in anderen Situationen

auf, in denen Sitzenbleiben erwartet wird.3. Läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situatio-

nen, in denen dies unpassend ist.4. Hat Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit

Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen.5. Ist häufig „auf Achse“ oder handelt wie „getrieben“, oder

zeigt ein anhaltendes Muster exzessiver motorischerAktivität, das durch die soziale Umgebung oder durchAufforderungen nicht durchgreifend beeinflussbar ist.

C. IMPULSIVITÄT1. Platzt häufig mit Antworten heraus, bevor die Frage zu

Ende gestellt ist.2. Kann nur schwer abwarten, bis er/sie bei Spielen oder

in Gruppensituationen an der Reihe ist.3. Unterbricht und stört andere häufig, platzt z.B. in Ge-

spräche oder in Spiele anderer hinein.4. Redet häufig übermäßig viel, ohne angemessen auf

soziale Beschränkungen zu reagieren.

A. AUFMERKSAMKEIT1. Beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüch-

tigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oderbei anderen Tätigkeiten.

2. Hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksam-keit bei Aufgaben oder Spielen aufrechtzuerhalten.

3. Scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn an-sprechen.

4. Führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständigdurch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oderPflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen.

5. Hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitätenzu organisieren.

6. Vermeidet häufig Aufgaben, die länger andauernde geis-tige Anstrengung erfordern, hat eine Abneigung gegensie oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mitihnen, wie z.B. Mitarbeit im Unterricht oder Hausauf-gaben.

7. Verliert häufig Gegenstände, die er/sie für Aufgabenoder Aktivitäten benötigt, z.B. Spielsachen, Hausaufga-benhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug.

8. Lässt sich durch äußere Reize leicht ablenken.9. Ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.

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Wichtig:Um die Diagnose ADHS stellen zukönnen, müssen jeweils mehrereder oben beschriebenen Symptome

> deutlich ausgeprägt sein,> über einen Zeitraum von 6 Monaten bestehen,> in mehreren Lebensbereichen auftreten,> im Vorschulalter begonnen haben und> von der altersgemäßen Entwicklung abweichen.

Diese Beeinträchtigungen sind häufig mit weiteren Proble-men, z. B. oppositionellen und aggressiven Störungen desSozialverhaltens, Angststörungen, Depressionen, Tic-Stö-rungen, Lern- und Teilleistungsstörungen, wie z.B. Lese-und Rechtschreibschwäche, und ausgeprägten Selbstwert-problemen verbunden. Diese werden im Kapitel „HäufigeBegleitstörungen“ beschrieben.

Alle hier genannten Verhaltensweisen können abge-schwächt und in alters- und entwicklungsabhängiger Formbei allen Kindern auftreten und müssen für sich genom-men nicht unbedingt auf ADHS hinweisen.

Bei einem Teil der Betroffenen bleiben die Symptome mehroder weniger deutlich bis ins Jugendlichen- und Erwachse-nenalter bestehen.

Wie und mit welchen Auswirkungen sich die Symptoma-tik in verschiedenen Altersstufen zeigen kann, wird imnächsten Punkt ausführlicher beschrieben.

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Bei Säuglingen und Kleinstkindern

Noch offen ist, ob es erkennbare Regelmäßigkeiten imAuftreten von Auffälligkeiten in der Entwicklung vonSäuglingen und Kleinstkindern gibt, welche zuverlässigauf ADHS hindeuten können. Fachleute sagen, dass etwaab dem Alter von drei Jahren eine Abgrenzung zwischenhyperkinetischem Verhalten und „normalen Varianten“prinzipiell möglich sei. Viele Kinder, die später dieDiagnose ADHS bekommen, sind bzw. waren imersten Lebensjahr unauffällig. Oft lassen sich aberauch rückblickend Auffälligkeiten bis ins Säug-lingsalter zurückverfolgen.

Diese Kinder werden temperamentsmäßigals unausgeglichen beschrieben, und habenProbleme mit der Anpassung. Manche fallen

durch Ess- und/oder Schlafprobleme auf oder sindsogenannte „Schreibabys“. Sie finden schon zu Beginnihres Lebens nur schwer ein stabiles Gleichgewicht undwerden von den Eltern früh als „schwierig“ erlebt. Hier-durch kann schon sehr früh der Grundstein für eine schwie-rige Eltern-Kind-Beziehung gelegt werden.

Der erste Ansprechpartner für Eltern in einer solchen Situ-ation ist in der Regel der Kinder- und Jugendarzt. Der Arztwird das Kind eingehend untersuchen, um organischeErkrankungen auszuschließen. Wenn Erkrankungen ausge-schlossen werden konnten und übliche Hilfsmaßnahmenkeine Verbesserung der Situation gebracht haben, sollten

sich die Eltern an Fachleute wenden, die sich z.B. auf dieBehandlung von „Schreibabys“ spezialisiert haben.

Für junge Eltern ist es sicher nicht einfach, einzugestehen,dass sie mit dem Verhalten des Babys überfordert sind.Trotzdem ist es wichtig, sich rechtzeitig um fachliche Hilfezu bemühen. Eine stabile Eltern-Kind-Beziehung ist einewesentliche Voraussetzung für die gesunde Entwicklungdes Kindes und trägt die Eltern durch schwierige Erzie-hungszeiten hindurch.

Symptomatik

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Bei Kleinkindern und Grundschulkindern

Kinder, die von ADHS betroffen sind, fallen im Kindergar-ten durch ihre Unfähigkeit zu ruhigen Beschäftigungenund ihre ausgeprägte Hyperaktivität auf. Sie können sichnicht konzentrieren, sind immer in Bewegung und klet-tern auf Tische und Regale. Wenn sie ein Spiel begonnenhaben, brechen sie es innerhalb kurzer Zeit wieder ab,beginnen ein anderes und bringen auch dieses nicht zuEnde.

Sie werden leicht wütend und können sich nurschwer beruhigen. Beständige Freundschaftenwerden nur schwer geschlossen, weil jähzorniges

und streitsüchtiges Verhalten im Vordergrund steht.Ermahnungen und Aufforderungen von Erwachsenenwerden nicht gehört oder nicht beachtet. Grenzen wer-den nicht eingehalten. Das Verhalten Erwachsenen gegen-über kann trotzig und aggressiv sein.

Vom Kindergarten hören die Eltern, dass ihr Kind dieGruppe stört, sich nicht einfügen kann und andere Kin-der beim Spielen unterbricht. Zu Hause ist die Situationtrotz aller Bemühungen ebenfalls schwierig: Das gemein-same Essen, Spiele unter den Geschwistern, Besuchssitua-tionen, Telefonate der Eltern, alles entwickelt sich zueinem ständigen Kreislauf von Aufforderungen undErmahnungen, ohne dass sich im Verhalten des Kindesetwas ändert. Alltägliche Dinge können nicht mehr inRuhe erledigt werden, jede Kleinigkeit artet zum „Kampf“aus.

Die Eltern dieser Kinder geraten oft an die Grenzen ihrerKräfte, da sie ständig gegensteuern müssen. Von Freunden,Verwandten und den Erziehern im Kindergarten kommengut gemeinte Tipps, die in der Regel jedoch wirkungslossind, oder aber Vorwürfe und Schuldzuweisungen, die dieEltern zusätzlich belasten.

Wenn das Kind in die Schule kommt, verschärfen sich dieProbleme weiter. Konzentriertes Mitarbeiten im Unterrichtist nur für kurze Momente möglich; jede Ablenkung wirdaufgegriffen. Die anderen Schüler werden gestört, weil dieKinder nicht still sitzen können, dazwischenreden undjede Gelegenheit zum „Rumkaspern“ nutzen. Ermahnun-gen der Lehrer führen zu keinem Ergebnis. Hausaufgabenwerden unvollständig oder gar nicht erledigt, weil das Kindvergessen hat, sie in das Hausaufgabenheft zu schreiben.Die Probleme treten verstärkt auf, wenn die Kinder Aufga-ben bewältigen müssen, die sie nicht frei gewählt haben.Bei Dingen, die ihr Interesse wecken, können sie hingegensehr konzentriert sein und gute Leistungen erzielen.

Die Kinder bleiben aufgrund der Verhaltensauffälligkeitenhinter ihrer eigentlichen Leistungsfähigkeit zurück. Mit derEinschulung können begleitende Störungen, wie z.B. eineRechtschreib- oder Leseschwäche, sichtbar werden. Manch-mal wird deshalb fälschlicherweise eine Minderbegabungangenommen und ein Schulwechsel des Kindes angeregt.

Für Eltern nimmt mit dem Schuleintritt des Kindes dienervliche Belastung weiter zu. Sie fühlen sich verantwort-lich dafür, dass ihr Kind den Anforderungen der Schulegerecht wird, stellen aber fest, dass sie mit ihren Bemü-hungen um Veränderung immer wieder scheitern. DieBeaufsichtigung der Hausaufgaben kann zur Tortur für alleBeteiligten werden, die erhöhte Ablenkbarkeit führt auchhier zu erheblichen Konflikten.

Die Kinder selbst sind durch die vielen Erfahrungen von„Wollen, aber Nicht-Können“ in ihrem Selbstwertgefühlsehr beeinträchtigt. Die Kinder fühlen sich ungeliebt undnicht angenommen, obwohl sie sich aus ihrer Sicht dochsehr bemühen. Sie entwickeln eine trotzige und aggressiveVerweigerungshaltung, die wiederum negative Rückmel-dungen verstärkt. Auch ihr Leidensdruck erhöht sich sozunehmend.

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Bei Jugendlichen

Bei einem großen Teil der von ADHS betroffenen Kindernehmen die Symptome mit Beginn der Pubertät ab. Vorallem die Hyperaktivität wird kaum noch auffällig, siekann sich jedoch noch als quälende Unruhe und inneresGetriebensein zeigen.

Impulsivität und Aufmerksamkeitsstörungen blei-ben jedoch weiterhin bestehen. Im Vordergrundsteht meist die problematische Schulleistung.

Einige Jugendliche entwickeln in dieser Situation verstärktantisoziale und aggressive Verhaltensweisen. Diese zeigensich in einer Missachtung sozialer Normen, Gewalttätig-keit und Destruktivität.

Manche Jugendlichen geraten mit dem Gesetz in Konfliktund schließen sich möglicherweise Außenseitergruppenan. Hier suchen sie die Anerkennung, die sie in anderenLebensbereichen nicht finden.

Ein großes Problem ist in dieser Zeit auch eine oftmalserhöhte Anfälligkeit für Alkohol- und Drogenmissbrauch.Auch das Risiko, weitere psychische Störungen, wieDepressionen oder Ängste, zu entwickeln ist erhöht.

Bei Erwachsenen

Lange Zeit ging man davon aus, dass ADHS ausschließlicheine Störung des Kindes- und Jugendalters sei. Mittlerweileist jedoch bekannt, dass auch Erwachsene betroffen sind.Der Verlauf von ADHS nach Übergang ins Erwachsenenalterkann sehr unterschiedlich sein. Bei einem Teil der Erkrank-ten ist im Erwachsenenalter keine Einschränkung mehrspürbar. Ein weiterer Teil hat gelernt, mit geringen Beein-trächtigungen gut zu leben. Einige leiden jedoch auch imErwachsenenalter noch deutlich unter ihren Symptomen.

Die Erkenntnisse zum Thema „ADHS bei Erwachsenen“sind noch nicht so umfassend und es besteht noch großerForschungsbedarf. Im Herbst 2003 wurden von der Deut-schen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie undNervenheilkunde (DGPPN) erstmals Leitlinien für die Dia-gnose und Behandlung des ADHS im Erwachsenenalterveröffentlicht.

Grundsätzlich gilt, dass die Störung nicht erst im Erwach-senenalter beginnt, sondern schon im Kindesalter bestan-den haben muss.

Bei vielen Erkrankten ist aber die Grundstörung nicht erkannt worden, so dass später Begleitsymptome wie Ängs-te, Depressionen oder Suchtverhalten im Vordergrund einerBehandlung stehen.

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ADHS – EINE BEHANDELBARE STÖRUNG | 15

Bei genauerer Betrachtung stellt man in die-sen Fällen fest, dass sich bei den Betroffenendie Symptomatik von ADHS wie ein roterFaden durch das Leben zieht. Der schulische/berufliche Werdegang und die Gestaltung so-zialer Beziehungen sind von Brüchen ge-kennzeichnet. Die Planung von Abläufenbzw. deren Einhaltung werden auch bei denErwachsenen durch innere Unruhe, verstärk-te Ablenkbarkeit und mangelnde Konzentra-tion erschwert.

Die Betroffenen erleben sich als unstrukturiert undvergesslich, sie können nur schwer Wichtiges von Un-wichtigem unterscheiden. Vorausschauende Planung ge-lingt nicht, weil Handeln und Denken nur auf das „Hierund Jetzt“ bezogen werden.

Ähnlich wie bei Kindern und Jugendlichen ist jedoch dieKonzentration auf subjektiv wichtige Dinge durchausmöglich. In einigen Berufen, die viel Kreativität, Lebendig-keit und spontanes Reagieren bei hektischen Arbeitsabläu-fen verlangen, können Erwachsene mit ADHS durchauserfolgreich sein.

In der Regel erfordern Beruf und soziale Bindungen jedochauch ein erhebliches Maß an Kontinuität und Ausdauer.Gerade daran können von ADHS Betroffene trotz vorhan-dener Fähigkeiten scheitern. Mögliche begleitende Teilleis-tungsstörungen, wie eine Lese- und Rechtschreibschwäche,können die berufliche Entwicklung zusätzlich behindern.

Manche Betroffene leiden unter starken Stim-mungsschwankungen. Emotionale Reaktionensind unverhältnismäßig intensiv. Auch jähzorni-

ges und aggressives Verhalten kommt häufig vor. Eineständige Suche nach besonderen, interessanten Erlebnis-sen und sog. „Kicks“ kann zu Suchtverhalten in verschie-denen Bereichen führen. Eine im Jugendalter begonnenedissoziale Entwicklung kann sich ebenfalls fortsetzen undverfestigen.

Die Betroffenen erleben oft Scheitern und Versagen in ver-schiedenen Lebenssituationen, die von anderen als unpro-blematisch erlebt werden. Als Folge entwickeln bzw. ver-stärken sich Selbstwertprobleme. Häufig treten auchDepressionen und Angststörungen auf.

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Ca. zwei Drittel der Kinder mit ADHS zeigen neben denKernsymptomen von ADHS weitere (Verhaltens-)Auffällig-keiten.

Störungen des Sozialverhaltens

Mit einer Störung des Sozialverhaltens werden andauerndebzw. sich wiederholende aggressive oder aufsässige Verhal-tensweisen bezeichnet. Wenn sich bei von ADHS betroffe-nen Kindern diese Verhaltensauffälligkeit zusätzlich zureigentlichen Problematik entwickelt, spricht man voneiner hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens.

Wie bei den eigentlichen ADHS-Symptomen bestehenauch bei Auffälligkeiten des Sozialverhaltens in Abhän-gigkeit von Alter und Entwicklungsstand des Kindes oderdes Jugendlichen fließende Übergänge. Eltern kennen die

nervenaufreibende Trotzphase der Zwei- bis Vierjährigen,in welcher der eigene Wille erkannt und ausprobiertwird. Eltern von Jugendlichen wissen, dass in der Puber-tät die schwierige Suche nach einem eigenen Standpunktim Leben beginnt und dies erst einmal mit heftigemWiderstand gegen die Eltern verbunden ist. Beides solltezunächst als notwendige und „normale“ Entwicklunggesehen und nicht überbewertet werden. Wichtig ist esin diesen Phasen, möglichst gelassen zu bleiben und denKindern und Jugendlichen so viel Freiraum wie möglichzu geben und dabei aber auch viel Orientierung anzu-bieten.

Bei ADHS-Kindern mit einer hyperkinetischen Störung desSozialverhaltens unterscheidet sich das aufsässige undaggressive Verhalten des Kindes in Stärke, Ausmaß undDauer von dem Gleichaltriger.

Um die Diagnose stellen zu können, müssen definierte Kri-terien erfüllt sein, die im Internationalen Klassifikations-schema (ICD) beschrieben sind. Hierzu gehören unteranderem:

> für das Entwicklungsalter des Kindes ungewöhnlich häufige und schwere Wutausbrüche,

> häufiges Streiten mit Erwachsene,> häufige aktive Ablehnung und Zurückweisung von

Wünschen und Vorschriften Erwachsener,> häufiges, offensichtlich beabsichtigtes Ärgern anderer,> häufiges Beginnen von körperlichen Auseinander-

setzungen.

HÄUFIGE BEGLEITSTÖRUNGEN DER ADHS

in 50% Störungen des Sozialverhaltens in 20–25% Angststörungen in 10–40% Depressionenin 30% Tic-Störungenin 10–25% Teilleistungsstörungen

Begleitstörungen

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Die Kinder neigen dazu, sich gegen Regeln aufzulehnen.Sie sind trotzig, werden schnell wütend und reagierenaggressiv, sowohl verbal als auch körperlich. Es gelingtihnen nicht, sich in Gruppen, beispielsweise in die Klas-sengemeinschaft, einzufügen und Freundschaften aufzu-bauen.

Als weitere Folge wird auch die Beziehung zu den Elternimmer schwieriger. Durch die ständigen Auseinanderset-zungen verfestigt sich ein negatives Beziehungsmuster,welches nur schwer durchbrochen werden kann. Hyperki-netische Störungen des Sozialverhaltens, dienicht behandelt werden, haben lang-fristig vielfältige ungünstige Fol-gen, die sich auf alle Lebensbe-reiche erstrecken können. Ins-besondere können diese sichsehr problematischauf die Schul-laufbahn aus-wirken.

Im Kapitel „Wie wird ADHS behandelt?“ finden Sie Tipps,wie Eltern, Lehrer und Kinder diesen Kreislauf durchbre-chen können und wo Sie Hilfe finden.

Angststörungen und Depressionen

Angststörungen treten bei bis zu einem Viertel der vonADHS betroffenen Kinder auf. Manchmal ist es schwer,diese begleitenden Ängste festzustellen, da die störenden,sog. „externalen“ Auffälligkeiten im Vordergrund stehen.

Das Erleben von Versagen und zunehmende soziale Pro-bleme verhindern den Aufbau eines gesunden Selbst-

bewusstseins der von ADHS Betroffenen. DieseErfahrungen können zu Störungen führen,weil die Kinder ständig erleben, dass ihnen

bestimmte Dinge trotz großer Bemühungennicht gelingen. Erfolgserlebnisse und Lob blei-

ben aus. Durch das Erleben ihres Scheiterns unddie negativen Rückmeldungen aus ihremUmfeld entwickelt sich in ihnen die Überzeu-gung, ein „Versager“ zu sein. Dies begünstigt das

Auftreten einer depressiven Entwicklung.

Teilleistungsstörungen

10–25% der Kinder haben zusätzlich zum ADHS Teilleis-tungsstörungen. Hierunter versteht man Lernstö-

rungen wie eine Lese- und/oder Recht-schreibschwäche oder Rechenschwäche.

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Tic-Störungen

Ungefähr ein Drittel der Kinder mit ADHS hat zusätzlicheine Tic-Störung. Mit Tics werden unwillkürliche, wieder-holte „Zuckungen“ oder Bewegungen (motorische Tics)oder plötzliche Lautproduktionen (vokale Tics) bezeichnet.Häufig zeigen sich diese im Gesicht, z.B. als Blinzeltic oderGrimassenschneiden. Vokale Tics können sich in häufigemRäuspern äußern.

Tics treten generell bei Kindern nicht selten auf, bei Jungendeutlich häufiger als bei Mädchen. Einfache Tics habenmeist eine gute Prognose und verschwinden in der Regelnach einer gewissen Zeit wieder. Hiervon zu unterscheidenist das seltene Syndrom einer generalisierten Tic-Krankheit(Tourette-Syndrom).

Störungen der Koordination

Viele ADHS-Kinder sind in ihren Bewegungsabläufengestört. Probleme in der Grob- und Feinmotorik könnensich in unkoordinierten Bewegungen und einer ausgepräg-ten Ungeschicktheit zeigen oder in einem unleserlichen,krakeligen Schriftbild. Manche der Kinder sind häufig inUnfälle und Stürze verwickelt.

Werden die genannten Störungen festgestellt, müssen siegesondert behandelt werden. Auch wenn sich die Sympto-me von ADHS beim größten Teil der Betroffenen mitzunehmendem Alter stark vermindern, können die Begleit-störungen bestehen bleiben und weiterer Behandlung be-dürfen.

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schnitten für koordinierte Bewegung, emotionale Steue-rung und zielgerichtete Aufmerksamkeit zuständig. BeiADHS ist aus verschiedenen Gründen zu wenig Dopaminvorhanden. Hieraus entsteht eine Reizoffenheit, bei der dieReize ungefiltert auf die Kinder einstürmen und nicht rich-tig verarbeitet werden können. Dies führt dazu, dass es denKindern schwer fällt, ihren Bewegungsdrang, ihre Gefühleund ihre Aufmerksamkeit zu kontrollieren. Aus diesemGrund spricht man von einer verminderten Fähigkeit zurSelbststeuerung. Um diesen Mangel ausgleichen zu kön-nen, brauchen die Kinder im sozialen Umfeld konkreteUnterstützung und Hilfe, also insbesondere klare, über-schaubare und berechenbare Strukturen und Regeln.

Lange Zeit wurde diskutiert, ob auch bestimmte Nahrungs-mittel und Zusatzstoffe Veränderungen im Gleichgewichtder Botenstoffe hervorrufen und so ADHS mit verursachenkönnten. Vor allem Zucker, Phosphate und Nahrungsmit-tel, die allergische Hautreaktionen auslösen können, wur-den als mögliche Auslöser angesehen. Zucker und Phos-phate können als Verursacher mittlerweile weitgehend aus-geschlossen werden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass etwa 5–10% der Kinder mit ADHS auf unterschiedliche Nah-rungsmittel mit einer Verstärkung der Symptome reagie-ren. Bei diesen Kindern kann evtl. die sogenannte oligoantigene Diät (Auslass-Diät) zu einer Verminderung derSymptome führen. Mehr dazu wird im Kapitel „Wie wirdADHS behandelt?“ beschrieben.

Welche Ursachen hat ADHS?

Es gibt nicht die eine Ursache für ADHS. Fachleute gehenheute davon aus, dass neurobiologische und psychosozialeFaktoren zusammenwirken müssen, damit es zur Erkran-kung kommen kann.

Verschiedene Untersuchungen belegen mittlerweile rechtsicher, dass ererbte biologische Faktoren eine große Rollespielen. Im Rahmen der Zwillingsforschung wurde festge-stellt, dass bei eineiigen Zwillingen, die mit identischenErbanlagen auf die Welt kommen, sehr viel häufiger beideKinder von ADHS betroffen sind, als bei zweieiigen Zwil-lingen, die unterschiedliche Erbanlagen haben. Außerdemhat sich gezeigt, dass ADHS familiär gehäuft vorkommtund zum Teil auch die Eltern betroffen sind bzw. waren.

Das Vorliegen einer ererbten Veranlagung bedeutet, dassdie entsprechenden Kinder ein erhöhtes Risiko haben,ADHS zu entwickeln. Ob Symptome jedoch so auffälligwerden, dass von einer wirklichen Störung gesprochenwerden muss und wie diese im Weiteren verläuft, wirdwesentlich dadurch beeinflusst, auf welche Lern- undUmweltbedingungen diese Kinder treffen und ob auf ihre„Besonderheit“ angemessen eingegangen wird.

Die neurobiologischen Veränderungen betreffen vor allemeine Verminderung des Botenstoffes Dopamin im Gehirn.Botenstoffe regeln den Informationsaustausch zwischenden Nervenzellen. Dopamin ist in bestimmten Hirnab-

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Gesellschaftliche Veränderungen und die Bedingungen,unter denen Kinder aufwachsen, können ADHS nicht ver-ursachen, den Verlauf der Störung jedoch stark beeinflussen.

Die heutige Zeit ist schnelllebig. Fernsehen, Video, DVDund Computer gehören zum Alltag. Schon für Kinder wirdes immer schwieriger, die Fülle aufgenommener Informa-tionen zu verarbeiten.

Damit Außenreize verarbeitet werden können, müssen siein eine wahrgenommene Innenwelt integriert werden.Dies gelingt, wenn Experimentierfreude, Phantasie undKreativität den nötigen Raum haben. Werden diese Berei-che vernachlässigt, kann dies dazu führen, dass Gefühlevon Leere und Langeweile auftreten, sobald Außenreizefehlen. Dies führt wiederum dazu, dass verstärkt Außenrei-ze gesucht und erneut nur „konsumiert“ werden.

Alle Lehrer kennen den katastrophalen Wochenbeginn, andem viele Kinder nach stundenlangem Fernsehkonsum amWochenende überdreht und unruhig sind. Grundsätzlichschaden Reizüberflutung und Bewegungsmangel allen Kin-dern, in ganz besonderem Maß jedoch Kindern mit ADHS.Aufgrund ihrer Reizoffenheit sind sie besonders anfällig fürdie entsprechenden negativen Auswirkungen. Deshalb istes für sie wichtig, Freizeitaktivitäten zu entwickeln, dieihren Fähigkeiten und Einschränkungen entsprechen undauch ihrem hohen Bewegungsdrang gerecht werden.

Die hohe Bewertung von Leistung in unserer Gesellschaftstellt für Kinder mit ADHS ein besonderes Problem dar.

Beim Vergleich mit anderen Kindern erleben sie sich selbsthäufig als „Versager". Vieles, was dem Schulfreund und derSchulfreundin leicht fällt, gelingt ihnen gar nicht oder nurunter größten Mühen. Wenn nur auf Leistung geschautwird, erfahren die Fähigkeiten und Begabungen, die ADHS-Kinder häufig haben, oft zu wenig Beachtung und Förde-rung. Auch die Kinder selbst nehmen sich ab einembestimmten Alter als „anders“ wahr, sie leiden darunter,ausgegrenzt zu sein und keine Freunde zu haben.

Die Eltern wiederum befürchten, dass schlechte Schulleis-tungen ihres Kindes die späteren Berufschancen beein-trächtigen können und üben daher entsprechenden Druckauf sie aus, um sie zu guten schulischen Leistungen anzu-halten. Dies führt gerade bei ADHS-Kindern eher zu Trotz,Widerstand oder Resignation, da sie merken, dass sie den ansie gestellten Anforderungen nicht entsprechen können.

Oft sind die Eltern selbst mit erheblichen beruflichen oderpersönlichen Belastungen und Problemen befasst und kön-nen in dieser Situation die besonderen Bedürfnisse der Kin-der nicht genügend erfüllen. Die Eltern reagieren gereiztund sind in ihrem Verhalten für die Kinder nicht durch-schaubar oder berechenbar. Gerade Kinder mit ADHS brau-chen aber viel Orientierung und klare Strukturen. Deshalbkann eine anhaltende problematische Familiensituationden Verlauf der Erkrankung negativ beeinflussen.

Welche weiteren Einflussfaktoren gibt es?

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Welche anderen Ursachen könnenvergleichbare Symptome hervorrufen?

Nicht immer, wenn ein Kind besonders lebhaft ist oderVerhaltensauffälligkeiten zeigt, liegt ADHS vor. Tempera-mentmerkmale und bestimmte, schwierige Entwicklungs-phasen wie die Pubertät müssen berücksichtigt werden.Auch besondere Einschnitte in der Lebenssituation kön-nen zu Störungen und Auffälligkeiten im Verhalten füh-ren. Allein ein Orts- oder Schulwechsel ist für Kinder undJugendliche eine enorme Belastung. Andere schwierigeoder sogar traumatische Situationen können sich durcheine Trennung der Eltern oder den Tod eines Familienan-gehörigen ergeben. Da auch Eltern neue Situationen erstbewältigen müssen, werden die Kinder in diesen Zeitenmanchmal nicht ausreichend unterstützt.

Stimmungsschwankungen, Rückzug, aber auch oppositio-nelles Verhalten, Unkonzentriertheit und Leistungsabfallsind deutliche Signale. Im Unterschied zu den Symptomenbei ADHS treten die Störungen oft jedoch erst imZusammenhang mit bestimmten Ereignissen auf und ver-ringern sich meist wieder, wenn es gelingt, die Probleme zubearbeiten. Hier kann die Unterstützung durch eine Erzie-hungsberatungsstelle, einen Arzt oder Psychotherapeutenhilfreich sein.

Wenn ein Kind unter Ängsten leidet, kann seine Konzen-trationsfähigkeit ebenfalls vermindert sein, oder es kannverstärkte Unruhe zeigen. Die Kinder sind so auf ihre Ängs-te fixiert, dass alles andere ausgeblendet wird. Meistensbleiben die Ängste jedoch auf bestimmte Bereiche begrenztund vermindern sich mit der Zeit, wenn das Kind lernt,diese Situationen besser zu bewältigen. Manche Ängstesind alterstypisch und gehen von selbst wieder zurück.Wenn sich die Ängste jedoch verstärken oder auf weitereBereiche ausdehnen, liegt eventuell eine behandlungsbe-dürftige Angststörung vor.

Eine anhaltende schulische Überforderung bzw. Unterfor-derung kann gleichfalls die Ursache für Verhaltensschwie-rigkeiten sein. Dann muss geprüft werden, ob die Schul-form für das Kind geeignet ist, schulische Förderungenerforderlich sind oder eventuell ein Schulwechsel in Be-tracht gezogen werden muss. Um die intellektuellen Fähig-keiten eines Kindes einzuschätzen, können testpsychologi-sche Untersuchungen hilfreich sein.

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Wie wird ADHS behandelt?

Vor der Frage einer Behandlung ist es wichtig, besondereSorgfalt auf die Stellung der richtigen Diagnose zu legen.Eine voreilige Festlegung, dass es sich bei einer bestimmtenKonstellation „nur um ADHS handeln“ könne, kann eben-so problematisch sein wie eine sehr späte oder unterUmständen gar nicht gestellte Diagnose eines ADHS.

Viele Eltern berichten, dass sie es als große Erleichterungempfunden haben, wenn – oft nach einer langen Odyssee –die richtige Diagnose ADHS bei ihrem Kind gestellt wurde.Endlich gibt es eine schlüssige Erklärung für die Verhal-tensauffälligkeiten ihres Kindes. Sie wissen nun, dass ihrKind nicht einfach „nicht will“ oder auch sie als Elternnicht einfach „versagt“ haben, sondern dass ihr Kind auf-grund einer bestimmten Störung nicht in der Lage ist, sozu reagieren wie andere Kinder. Eine umfassende Beratungzu Ursachen, Verlauf und Behandlung kann dazu beitra-gen, den Druck bei den Eltern erheblich zu vermindern.

Eine ursächliche Behandlung im Sinne einer Heilung vonADHS ist nicht möglich. Es gibt jedoch verschiedeneBehandlungsmöglichkeiten, welche die Symptome deut-lich bessern können. Eine rechtzeitige und angemesseneBehandlung hilft, Folgeschäden zu vermeiden.

Wenn es bei einem Kind um die Abklärung der Frage„ADHS“ geht, sollte grundsätzlich eine körperliche Unter-suchung (Körpergröße, Körpergewicht, Herzfrequenz, Blut-druck) durchgeführt werden. Auch eine Labordiagnostik(Differentialblutbild, Elektrolyte, Leberstatus, Schilddrü-sen- und Nierenfunktionswerte, Blutzuckerwerte) ist wich-tig. Ziel ist es, körperliche Krankheiten auszuschließen.Einige organische Beeinträchtigungen oder Erkrankungenkönnen ebenfalls die Grundlage für Verhaltensauffälligkei-ten darstellen. Dazu gehören unter anderem Hör- und Seh-störungen, eine Überfunktion der Schilddrüse undbestimmte Epilepsieformen. Derartige Erkrankungen müs-sen ausgeschlossen sein, bevor man die Diagnose ADHSstellt.

Muss ein Kind wegen einer Erkrankung Medikamente ein-nehmen, ist auch an mögliche Nebenwirkungen zu den-ken, die sich ebenfalls als Aufmerksamkeits- und Konzen-trationsstörungen zeigen können. Hierzu befragen Sie ambesten den behandelnden Arzt.

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Nach der Diagnose von ADHS sollte die Behandlung aufmehreren, miteinander verzahnten Ebenen erfolgen. Dieswird in einem sogenannten „multimodalen Behandlungs-konzept“ umgesetzt. Es bezieht neben einer sorgfältigenDiagnose auch die Beratung der Eltern, Angehörigen undanderen Bezugspersonen sowie psychotherapeutische undpsychosoziale Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmenein. Verschiedene Vorgehensweisen wie Psychotherapie,medikamentöse Therapie, pädagogische Maßnahmen undpsychosoziale Hilfestellungen greifen so ineinander.

Die Zusammenarbeit mit dem Kindergarten oder der Schu-le ist ein wichtiger Bestandteil. Spezielle Förderung in ver-schiedenen problematischen Bereichen erfordert dieZusammenarbeit unterschiedlicher Fachleute, z.B. vonKinder- und Jugendpsychotherapeuten, Ergotherapeuten,Krankengymnasten und Lehrern.

Bei Kindern mit ADHS können unterschiedliche Schwere-grade und unterschiedliche Probleme und Begleitstörun-gen im Vordergrund stehen. Deshalb muss ein individuel-ler Behandlungsplan erstellt werden. Der behandelndeArzt sollte diesen Therapieplan im Rahmen einer ausführ-lichen Beratung mit den Eltern besprechen.

Trainingsprogramme

Einer der wichtigsten Bausteine inder Behandlung von ADHS ist die Bera-

tung und Unterstützung der Eltern. Zumeinen benötigt das Kind durch die Eltern in

vielen alltäglichen Situationen besondereHilfestellungen, zum anderen ist durchdas schwierige Verhalten des Kindes ofteine negative Eltern-Kind-Beziehungentstanden.

Im Rahmen von Therapieprogrammenlernen Eltern, wie sie die Verhaltensauf-

fälligkeiten des Kindes durch gezielteMaßnahmen vermindern können.

Hierfür sind spezielle Elterntrai-nings entwickelt worden. Bei-

spielhaft wird hier ein Thera-

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pieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppo-sitionellem Problemverhalten (THOP) genannt, das an derUniversität Köln erstellt wurde. Dieses Programm wird vonvielen Fachleuten, die mit verhaltensauffälligen Kindernarbeiten, verwendet.

Teil dieses Programms ist der sogenannte Elternleitfaden.(siehe Literaturempfehlung im Anhang). In einem 14-stu-figen Programm lernen Eltern Schritt für Schritt, wie dieschwierige Familiensituation verändert und Lösungen fürspezielles Problemverhalten des Kindes entwickelt werdenkönnen. Typische Anwendungsbeispiele geben sehr kon-kret Hilfestellungen, um Eltern in die Lage zu versetzen,auch schwierige Situationen gezielt beeinflussen zu kön-nen. Um eine dauerhafte Veränderung zu erreichen, müs-sen diese Programme über einen längerenZeitraum konsequent durchgeführt werden.

Der Bedeutung klarer Regeln und Grenzenkommt in dem genannten Elternleitfa-den eine wichtige Bedeutung zu. Ver-lässliche und berechenbare Abläufe hel-fen Kindern mit ADHS, mit ihrer Reiz-offenheit besser zurechtzukommen.

Die Regeln sollten die Eltern mitden Kindern gemeinsam aufstel-len und besprechen. Es ist genaufestzulegen, welche Konsequen-zen folgen, wenn die Regelnnicht eingehalten werden. DieAbsprachen sollten einfach undnachvollziehbar sein. Ganz wichtigist, dass vereinbarte Konsequen-zen auch wirklich erfolgen unddass die Elternteile hier „aneinem Strang“ ziehen undnicht unterschiedlich rea-gieren.

Ebenso wichtig ist es, das Kind zu loben, wenn Regeln ein-gehalten werden konnten. Zu Beginn sollten Eltern auchbei kleinen Fortschritten ihrem Kind direkt signalisieren,dass sein Bemühen gesehen wurde. Das Kind lernt so, dassauch positives und nicht nur negatives Verhalten beachtetwird. In vielen Familien hat sich ein Kreislauf verfestigt, inwelchem vor allem auf störende Verhaltensweisen reagiertwird. „Normales“ bzw. erwünschtes Verhalten wird alsselbstverständlich vorausgesetzt und führt kaum zu einerbesonderen Rückmeldung. Eine konsequente Verstärkungder positiven Verhaltensweisen durch entsprechende Auf-merksamkeit und Lob wird dazu führen, dass das Kind die-ses Verhalten auch häufiger zeigt.

Sehr erfolgreich können auch Punkte-Pläne sein, bei denendas Kind durch Erfüllen bestimmter Anforderungen Punktesammelt, die später in Belohnungen umgetauscht werdenkönnen.

Durch die ständigen Auseinandersetzungen zwischenEltern und Kindern ist häufig die emotionale Bezie-hung innerhalb der Familie gestört. Die liebenswertenEigenschaften des Kindes sind fast ganz aus dem Blickgeraten. Alles dreht sich nur noch um das „Fehlverhal-ten“. Umso wichtiger ist es, die Stärken und Fähigkei-ten des Kindes wieder mehr in den Mittelpunkt zurücken. Um sich gegenseitig wieder mehr „zu mögen“

und ein gutes Familiengefühl herzustellen,wird mit Hilfe des Therapieprogramms auchdaran gearbeitet, wie das Familienklima wie-der verbessert werden kann.

Der Elternleitfaden kann von den Elternunter Anleitung oder auch allein ange-

wendet werden. Letzteres klappt mögli-cherweise nicht immer. Manchmal sind die

Störungen so ausgeprägt und ist dieSituation so „verfahren“, dass es besserist, sich professionelle Unterstützung

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Auch Strategien zur Bewältigung von Ablenkungen, Fehlernund Frust können vermittelt werden. Mit Hilfe von Rollen-spielen und anderen Methoden wird neues Verhalten ein-geübt. Mit der Zeit können die Kinder auch im Alltag Situa-tionen besser einschätzen und angemessener reagieren.

Die Trainingsprogramme werden im Rahmen einer Ge-samtbehandlung z.B. von Sozialpädiatrischen Zentren,spezialisierten Ambulanzen in Kliniken, Erziehungsbera-tungsstellen, Kinder- und Jugendpsychiatern und Kinder-und Jugendpsychotherapeuten angeboten.

Kinder, die ausgeprägte Begleitstörungen im emotionalenBereich haben, z.B. Ängste und Depressionen, benötigeneine weitergehende psychotherapeutische Behandlung.Diese wird von Kinder- und Jugendpsychiatern sowie vonKinder- und Jugendpsychotherapeuten durchgeführt. Dieangebotenen Verfahren können sehr unterschiedlich sein,da die Bandbreite geeigneter Therapien groß ist.

Bei der Wahl eines Kinder- und Jugendpsychotherapeutensollte ggf. darauf geachtet werden, ob dieser eine Kassenzu-lassung hat. Entsprechende Adressen bekommen Sie bei denKrankenkassen oder den im Anhang genannten Organisatio-nen. Die Kosten für die genannten Behandlungsmethodenwerden in der Regel von den Krankenkassen übernommen.

zu holen. Auch für Kinder gibt es spezielle Trainingspro-gramme, die gezielt auf bestimmte Problembereiche zuge-schnitten sind. Als Beispiele seien hier genannt:

> Aufmerksamkeits- und KonzentrationstrainingsHier lernen die Kinder in mehreren Sitzungen, wie sie ihreAufmerksamkeit erhöhen, ihr Verhalten besser steuernund Handlungen besser planen können. Schritt für Schrittwerden die unter Anleitung erworbenen Techniken dannauf Alltagssituationen übertragen. Die Methode hat sichals wirkungsvoll erwiesen, wenn es z.B. um die Erledigungder Hausaufgaben geht.

> Selbstmanagement-ProgrammeSelbstmanagement-Methoden können helfen, eigenes Ver-halten besser zu steuern und angemessenere Verhaltens-weisen im Umgang mit anderen zu entwickeln. Hier wirddas Kind zunächst darin unterstützt, eigene Reaktionenund Verhaltensweisen, aber auch die anderer genauerwahrzunehmen und wiederzugeben. Möglichkeiten einerReaktionskontrolle oder Reaktionsverzögerung werdenvermittelt. Indem das Kind versucht, sich an bestimmteRegeln zu halten und sich für eine erfolgreiche Bewälti-gung der Situation selbst positiv verstärkt, soll es lernen, inden „kritischen“ Situationen alternatives, angemessenesVerhalten zu zeigen.

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Pädagogische und weitere Hilfen

Lernschwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der ver-minderten Konzentration und den Aufmerksamkeitsstö-rungen eines Kindes mit ADHS bestehen, bessern sichunter einer angemessenen Behandlung oft. Wenn aber, wieoben geschildert, z.B. begleitend eine Teilleistungsstörungvorliegt, sollten die Kinder eine spezielle Förderung aufdem jeweiligen Gebiet bekommen. Hier werden verschie-dene Lernprogramme angeboten.

Bei Störungen der Bewegungskoordination sollte versuchtwerden, durch entsprechende Trainings die motorischenFertigkeiten zu verbessern. Häufig wird dadurch auch eineVerbesserung des Selbstvertrauens erzielt. Speziell geschul-te Fachkräfte wie Krankengymnasten, Ergotherapeutenoder Mototherapeuten bieten hierzu verschiedene Behand-lungen an.

Manchmal kann es auch hilfreich sein, mit dem Kind Sport-arten auszusuchen, die seinen Fähigkeiten entsprechen.Dies können Sportarten sein, die z.B. eher grobmotorischeAbläufe erfordern. Manche Kinder haben auch gute Erfolgs-erlebnisse bei Sportarten wie Karate, Judo oder Takewondo.

Sozialpädagogische Familienhilfe oder andere Hilfen zurEntlastung der Familie wie Erziehungsbeistand, sozialeGruppenarbeit etc. können als zusätzliche Hilfsangebotefür Familien mit einem von ADHS betroffenen Kind oderJugendlichen in Betracht kommen. Diese vielfältigen Leis-tungen der Kinder- und Jugendhilfe sind durch das Sozial-gesetzbuch VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) geregelt.Ein Anspruch auf solche Hilfen besteht ausdrücklich auchdann, wenn Kinder seelisch behindert oder von seelischerBehinderung bedroht sind.

Kinder mit ADHS brauchen im familiären und schulischenBereich eine einheitliche Orientierung. Nur so lernen siemit der Zeit ihr Verhalten zu verändern. Um die Kinder

und Jugendlichen wirkungsvoll unterstützen zu können,ist es daher wichtig, auch mit den Bezugspersonen in Kin-dergarten oder Schule zusammenzuarbeiten. Dies ist einwesentlicher Baustein der gesamten Behandlung. DieEltern sollten das Gespräch mit Erziehern und Lehrernsuchen, sie über die Situation und das jeweilige Therapie-programm informieren und Möglichkeiten einer gegensei-tigen Unterstützung diskutieren. In Absprache mit denEltern sind Gespräche zwischen Therapeuten bzw. Behand-lern und Lehrern oder Erziehern von großem Nutzen.

Wenn das Kind zur Behandlung von ADHS zusätzlichMedikamente bekommt (siehe Kapitel „MedikamentöseBehandlung“), sollte dies den Lehrpersonen mitgeteilt wer-den. Diese können sich umso besser auf Schüler/innen mitADHS einstellen, je umfassender sie informiert sind und jevertrauensvoller sich die Zusammenarbeit mit den Elterngestaltet.

Der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule erstrecktsich nicht auf die Beurteilung von Behandlungsmaßnah-men bei Krankheiten von Schülern. Ob ADHS vorliegt undwelche Maßnahmen zur Behandlung erforderlich sind,sind medizinische, keine pädagogischen Fragen. Die Ver-antwortung für Therapien, einschließlich der Behandlungmit Medikamenten, liegt ausschließlich bei den sorgebe-rechtigten Eltern, die darüber in Absprache mit demzuständigen Arzt entscheiden.

Wichtig ist das Gespräch mit Lehrpersonen auch, um Fra-gen wie die einer generellen Über- oder Unterforderungdes Kindes zu besprechen. Überlegungen zu einem mög-lichen Schulwechsel, der Umgang mit etwaigen Teilleis-tungsstörungen und Möglichkeiten einer speziellen Förde-rung des Kindes können in einem vertrauensvollen Ge-spräch geklärt werden.

In vielen Schulen und Kindergärten werden mittlerweileFortbildungsprogramme zu ADHS angeboten, die Mitar-

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> Da den Kindern planvolles und konzentriertes Arbeitenschwer fällt, können konkrete Hilfestellungen sehr nütz-lich sein, wie z.B. der Eintrag wichtiger Punkte im Hausauf-gabenheft. Neben dem Kind selbst können sich auch dieEltern daran orientieren. Sie helfen, Anlässe für Ärger undUnzufriedenheit zu vermeiden.

> Regelmäßige Gespräche zwischen Eltern, Lehrern und Er-ziehern ermöglichen es allen Beteiligten, die Entwicklungder Situation besser einzuschätzen und das weitere Vorge-hen abzustimmen. Die Unterstützung durch Schulpsycho-logen und Therapeuten kann hier sinnvoll sein.

beiter und Mitarbeiterinnen befähigen sollen, sich auf diebesonderen Bedürfnisse von Kindern mit ADHS einzustel-len und diese gezielter unterstützen zu können.

In einigen Bundesländern gibt es spezielle Erlasse, in denendas Vorgehen bei Schwierigkeiten mit Schüler/innen mitBehinderungen und besonderem Förderbedarf auch für ver-haltensauffällige Schüler/innen beschrieben wird. Informa-tionen hierzu erhalten Sie bei den zuständigen Schulämtern.

Einige Punkte sollten Lehrer, die ein Kind mit ADHS inihrer Klasse haben, besonders beachten:

> Da die Kinder durch ihre Reizoffenheit sehr leicht aufjede Ablenkung reagieren, kann es hilfreich sein, wenn sievorne und neben einem ruhigen Kind sitzen. So kann auchder Lehrer schnell problematische Situationen erfassenund entsprechend reagieren. Manchmal hilft schon einBlick oder eine kurze Bemerkung, um dem Kind zu signali-sieren, dass es in einer schwierigen Situation nichtallein ist. Der Rückhalt des Lehrers kann Sicher-heit vermitteln und Zeichen der Akzeptanz fürdie anderen Schüler sein. Dies ist deshalb vongroßer Bedeutung, weil die Kinder durch ihrVerhalten und ihre Leistungsprobleme leicht ineine Außenseiterrolle geraten können und sichnicht mehr am Unterricht beteiligen.

> Auch in Kindergarten und Schule gilt: Einfa-che, klare Regeln und eindeutig formulierte Auf-forderungen sind wichtig. Wenn es dem Kindgelingt, diese umzusetzen, sollte es gelobt werden.Wie innerhalb der Familie sollte auch in Kindergar-ten und Schule versucht werden, die Verfestigungeines Musters zu durchbrechen, in dem nur noch dasstörende Verhalten eines Kindes im Vordergrund steht.Wenn möglich, sollten z.B. kleinere Störungen möglichstnicht beachtet werden. Umso wichtiger ist es, konstruktivesund erwünschtes Verhalten positiv hervorzuheben.

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Medikamentöse Behandlung

Die Frage einer medikamentösen Behandlung ist eine derumstrittensten Fragen in der Diskussion um ADHS. Dabeigeht es vor allem um die am häufigsten eingesetzten Medi-kamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat (z.B. Ritalinund Medikinet). Hier ist es besonders wichtig, sachlicheÜberlegungen in den Vordergrund zu stellen. Generell gilt:Die Entscheidung über die Notwendigkeit einer medika-mentösen Behandlung von ADHS kann nur durch denbehandelnden Arzt im Einzelfall getroffen werden, nach-dem die Diagnose sorgfältig gestellt wurde. Nur wenn dieDiagnose ADHS gesichert ist, sollten diese Medikamentegegeben werden. Und: Nicht jedes Kind oder jeder Jugend-liche mit ADHS benötigt eine Behandlung mit Medika-menten.

Die Entscheidung über den Einsatz von Medikamenten beiADHS sollte zwischen dem behandelnden Arzt und denEltern und – soweit wie altersentsprechend möglich – mitdem betroffenen Kind bzw. Jugendlichen abgesprochenwerden. In vielen Fällen ist es sinnvoll und angebracht,zunächst anderweitige Möglichkeiten auszuschöpfen. DieStörung kann jedoch auch so ausgeprägt sein, dass es ohnebegleitende Medikation kaum möglich ist, Trainingspro-gramme oder andere Maßnahmen durchzuführen. Hier-über kann im Einzelfall nur der Arzt entscheiden.

Bei gesicherter Diagnose gehören zum Mindeststandardjeder medikamentösen Behandlung eine ausführliche Bera-tung und intensive Begleitung. Meist ist es wünschenswertund sinnvoll eine begleitende Psychotherapie durchzufüh-ren.

Wie im Kapitel „Ursachen der ADHS“ beschrieben, ist beiADHS im Gehirn der Betroffenen der Botenstoff Dopaminnicht in ausreichender Menge vorhanden. Hierdurch kön-nen Bewegungsdrang, Aufmerksamkeit und Gefühle nichtausreichend gesteuert werden. Methylphenidat erhöht dieKonzentration des Botenstoffes Dopamin im Gehirn undverbessert dadurch die Fähigkeit zur Selbststeuerung. DieBefürchtung vieler Eltern, ihr Kind würde mit Medika-menten „nur ruhig gestellt", ist unbegründet.

Vor der Behandlung sollte das Kind gründlich untersuchtwerden, da die genannten Medikamente bei bestimmtenErkrankungen nicht gegeben werden dürfen. Die Eltern soll-ten über Wirkung, mögliche Nebenwirkungen, Dosierungund Dauer der Einnahme informiert werden. Anhand vonGesprächen und Beurteilungsbogen sollte die Wirksamkeitregelmäßig überprüft werden. Ebenso ist in sinnvollenAbständen zu überprüfen, ob die Dosis angemessen ist bzw.

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ob die Fortsetzung der Medikamentengabe erforderlich ist. Die meisten methylphenidathaltigen Medikamente wirkennach der Einnahme für ca. drei bis vier Stunden. Die meis-ten Kinder müssen daher zwei oder sogar drei Tabletten amTag einnehmen, um die gewünschte Wirkung zu erhalten.Seit einiger Zeit gibt es auch Langzeitpräparate, von denennur noch eine Tablette täglich eingenommen werden muss.

Dem Kind sollte vermittelt werden, dass die Tabletten ihmdabei helfen können, das eigene Verhalten besser zu steu-ern und die eigenen Fähigkeiten besser zu entwickeln.Klar sollte aber auch sein, dass die Tabletten nicht„alles gut machen“ können. Tabletten lösen nicht dieProbleme, mit denen Kinder, Jugendliche und derenBezugspersonen bei ADHS konfrontiert sind. Sie kön-nen aber Bedingungen schaffen, unter denen bestehen-de Schwierigkeiten besser und erfolgreicher angegangenwerden können. Die Medikamente sind eine Unterstüt-zung. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass die Behand-lung mit Medikamenten bei ADHS in ein Gesamtkonzepteingebettet ist.

Bei ungefähr 85% der Kinder zeigt sich unter Einnahmevon Methylphenidat eine deutliche Verminderung derSymptome. Sie können sich besser konzentrieren und inder Schule besser mitarbeiten. Ebenso können sie ihrenübermäßigen Bewegungsdrang besser kontrollieren. Überdiese Veränderungen wird auch das Verhältnis zu Gleich-altrigen und Eltern oft schon entspannter.

Einige Eltern befürchten, dass ihr Kind von den Medikamen-ten, die Methylphenidat enthalten, abhängig wird, oder dass es durch die Einnahme grundsätzlich stärker suchtge-fährdet sein könnte. Diese Befürchtungen sind glücklicher-weise unbegründet. Der gegenwärtige Forschungsstand

spricht dafür, dass das Gegenteil der Fall ist: Kinder undJugendliche mit ADHS, die medikamentös behandelt wordensind, scheinen später sogar weniger drogengefährdet zu seinals Kinder mit ADHS, die nicht behandelt werden.

Bei Jugendlichen und Erwachsenen, die mit diesem Medi-kament behandelt werden sollen, sollte allerdings eineSuchterkrankung ausgeschlossen sein. Wenn Hinweise dar-auf vorliegen, dass die Tabletten anderweitig als für denbestimmungsgemäßen Gebrauch verwendet werden könn-

ten, sollte der Arzt keine Verschreibung vornehmen. Es gibt weitere Medikamente, die bei ADHS eingesetzt wer-den, z.B. Mittel, die ursprünglich gegen Depressionen ent-wickelt wurden, sich aber auch bei ADHS bewährt haben.Diese hier ausführlich darzustellen, würde den Umfang derBroschüre sprengen. Ihr Arzt kann Ihnen bei Interesse hiersicher weitere Informationen geben.

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Weitere Ansätze

Eine Wirksamkeit von Diäten bei ADHS hat sich in denmeisten Studien nicht nachweisen lassen. Für die oligoantigene Diät gilt, dass insgesamt ca. 5–10% der Kinder mitADHS davon profitieren. Es handelt sich um eine indivi-duell angepasste Diät. Man geht von einer sog. Basisdiätaus, in der diverse Nahrungsmittel weggelassen werden,welche häufiger allergische Reaktionen verursachen. Fin-det sich darunter eine Verbesserung der ADHS-Symptoma-tik, werden schrittweise einzelne Nahrungsmittel hinzuge-fügt und es wird beobachtet, ob sich die Symptome wiederverstärken. So können evtl. Nahrungsmittel identifiziertwerden, nach deren Verzehr in dem jeweiligen Einzelfalldie Symptome verstärkt auftreten.

Die Diät ist sehr aufwändig, kostspielig und erfordert sehrviel Disziplin von den Kindern und den Eltern. Das Risikoeiner Fehlernährung ist zu beachten. Kinder mit ADHSsind oft damit überfordert, die Diätpläne einzuhalten. Alsregelhafte Behandlung kann die Diät nicht empfohlenwerden.

Einige Eltern äußern Bedenken gegen schulmedizinischeBehandlungsformen und suchen nach sogenannten „na-türlichen“ Alternativen. In diesem Zusammenhang wirdauch der Einsatz von AFA-Algen diskutiert.

AFA-Algen, umgangssprachlich blaue oder blaugrüne Ur-algen genannt, gehören zu den Cyanobakterien. Eine Viel-zahl von verschiedensten Erkrankungen soll mit diesenAlgen behandelt werden können, neben ADHS werdenhier auch Grippe, Windpocken, Mumps und Depressionenangegeben.

Die Wirksamkeit von AFA-Algen bei der Behandlung dergenannten Erkrankungen ist jedoch wissenschaftlich nichtbelegt. Cyanobakterienhaltige Präparate sind außerdem inDeutschland nicht als Arzneimittel zugelassen. BestimmteStämme dieser Bakterien können das Nervensystem unddie Leber schädigen. Aus diesem Grund haben das Bundes-institut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie dasBundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutzund Veterinärmedizin in einer gemeinsamen Presseerklä-rung vom 21. März 2002 ausdrücklich vor einer Behand-lung mit AFA-Algen gewarnt.

Die gemeinsame Presseerklärung können Sie nachlesenunter: > www.bfarm.de/de/Presse/index.php

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Das Thema ADHS wird in den letzten Jahren stark disku-tiert, die Positionen sind dabei sehr gegensätzlich und dieDiskussion wird häufig sehr emotional geführt. Neben derFrage, ob es sich überhaupt um eine Erkrankung handelt,werden auch verschiedenste Ursachen für das Auftretender Störung verantwortlich gemacht. Die allgemeinegesellschaftliche Entwicklung, mediale Reizüberflutung,Bewegungsarmut, Erziehungsstil, Ernährungsgewohnhei-ten und vieles mehr werden zur Erklärung herangezogen. Ebenso widersprüchlich verläuft die Diskussion um dierichtige Behandlung. Wie dargestellt, werden außerpsychotherapeutischen, pädagogischen und medika-mentösen Behandlungsansätzen auch bestimmteDiätformen, die Einnahme von Algenpräparaten undandere therapeutische Ansätze zur Lösung der Problemeempfohlen, je nach zugrunde liegendem Erklärungsansatzfür ADHS.

Diese unterschiedlichen Sichtweisen bzw. Empfehlungenerschweren die ohnehin schon oft schwierige Suchenach kompetenten und erfahrenen Ansprechpart-nern und führen zu großen Irritationen bei Elternund Bezugspersonen.

Besonders umstritten war und ist die Frage nach einemEinsatz von Medikamenten bei ADHS. Die Tatsache, dassder Verbrauch des zur Behandlung von ADHS eingesetz-ten Wirkstoffs Methylphenidat in den letzten Jahrensprunghaft angestiegen war, entfachte eine sehr heftige,

ADHS – EINE UMSTRITTENE STÖRUNG?Die Diskussion um ADHS

oft unsachlich geführte Diskussion um den Einsatz vonMethylphenidat. Das Problem ADHS schien zeitweise aufdie Frage „Methylphenidat – ja oder nein?“ beschränkt zusein.

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Ausgehend von den dramatisch gestiegenen Verbrauchs-zahlen für das Medikament Methylphenidat hat sich dasBMGS auf Initiative der Drogenbeauftragten der Bundesre-gierung ausführlich mit dem Thema ADHS auseinandergesetzt. Durch verschiedene Aktivitäten wurde zu einerVersachlichung der Diskussion und zu einer Verbesserungder Informationslage beigetragen.

Ein zentraler Punkt in diesen Aktivitäten war eine im Ok-tober 2002 unter Leitung des BMGS durchgeführte „Kon-sensuskonferenz ADHS“. Sie fand unter Beteiligung vonverschiedenen Facharzt- und weiteren Berufsgruppen sowieSelbsthilfeverbänden, Vertretern der Bundesärztekammerund anderen statt. Die wesentlichen Ergebnisse wurdenEnde 2002 vom BMGS als Eckpunktepapier veröffentlicht.Erstmalig in dieser breiten Form wurden darin gemeinsamePositionen zu verschiedenen Fragen der Diagnostik undTherapie sowie zu weiteren Aspekten dargelegt.

Standards in Diagnostikund Behandlung

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In dem Eckpunktepapier werden die Häufigkeit und derKrankheitscharakter der Störung unterstrichen und derStand des gesicherten Wissens dargelegt. Die möglicheFortdauer bis in das Erwachsenenalter hinein wird betont.

Übereinstimmend wird festgestellt, dass der Wissensstandzu dem Krankheitsbild ADHS in der Öffentlichkeit unzu-reichend ist und weitere Informationen erforderlich sind.Auch im Hinblick auf die beteiligten Berufsgruppen wird aufden Bedarf von entsprechender Fortbildung hingewiesen.

Das Papier enthält grundlegende Aussagen sowohl zu denAnforderungen, die an eine korrekte und sorgfältige Dia-gnose der Erkrankung zu stellen sind, als auch an eineangemessene Behandlung.

Dem Thema Medikamente wird besondere Aufmerksam-keit gewidmet, hierzu werden ebenfalls grundsätzlicheHinweise gegeben.

Darüber hinaus wird betont, wie wichtig die Zusammen-arbeit verschiedener Berufs- und Fachgruppen in derBehandlung von ADHS für die betroffenen Personen ist.

Bei den Teilnehmern der Konferenz bestand Einigkeit dar-über, dass die Versorgung betroffener Kinder, Jugendlicherund Erwachsener weiter zu verbessern ist. Hier wurdebesonders auf die Bedeutung des Aufbaus von entspre-chenden Netzwerken hingewiesen, die Ansprechpartnerfür Eltern und berufliche Fachgruppen sein sollen.

Als besonders positiv wurde bewertet, dass es erstmals ge-lungen ist, fach- und berufsgruppenübergreifend einenGrundkonsens zum Thema ADHS zu erzielen. Von allenan der Konferenz Beteiligten wurde die Hoffnung geäu-ßert, dass der begonnene konstruktive interdisziplinäreAustausch im Interesse der Betroffenen fortgesetzt wird.

Eckpunktepapier der Konsensuskonferenz des Bundes-ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung im Oktober 2002:

Der vollständige Text des Eckpunktepapiers ist im Anhang auf den Seiten 42 und 43 abgedruckt.

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Die Diagnose ADHS sollte nur nach einer umfassendenUntersuchung durch erfahrene Fachleute gestellt werden.Gerade wegen der fließenden Übergänge von schwierigemzu krankheitsbedingt auffälligem Verhalten wird oftmalsvorschnell vermutet, dass es sich um ADHS handeln müsse,obwohl andere Probleme die Ursache sind. Eine ausführli-che Diagnostik ist wichtig, um andere Erkrankungen aus-zuschließen und Begleitstörungen zu erfassen. Nur so kannein speziell auf die Gesamtproblematik des Kindes zuge-schnittenes individuelles Behandlungskonzept erarbeitetwerden.

Am Anfang sollte das ausführliche Gespräch mit den Elternund Kindern bzw. Jugendlichen stehen. Hierbei werden dieangegebenen Verhaltensauffälligkeiten genau hinterfragt,d.h. seit wann und in welchen Situationen diese auftreten.Wichtig ist, wie sich die Probleme entwickelt haben undwas bereits unternommen wurde, um damit zurechtzu-kommen und was diese Lösungsversuche gebracht haben.Oft werden zusätzlich Fragebogen eingesetzt. Durch diesestrukturierte Form können weitere Aspekte rasch und über-sichtlich erfasst und die Störung genauer eingegrenzt werden.

Auch die Lehrer und/oder Erzieher können gebeten wer-den, das Verhalten und die Leistungsfähigkeit des Kindesanhand von Fragebogen zu beschreiben. Lehrkräfte undErzieher sind nicht dazu verpflichtet, die oft umfangrei-chen Fragebogen auszufüllen, sie sind aber erfahrungsge-mäß oft dazu bereit.

Weiterhin wird nach der allgemeinen Familiensituationgefragt, z.B. welche Erkrankungen es in der Familie gab, wieSchwangerschaft und Geburt verlaufen sind und welchesonstigen Erkrankungen beim Kind aufgetreten sind.

Darüber hinaus wird das Kind körperlich untersucht. Hier-bei werden auch neurologische Untersuchungen durchge-führt und das Hör- und Sehvermögen wird getestet. Umeine hirnorganische Erkrankung auszuschließen, wirdmanchmal zusätzlich ein EEG gemacht.

Um Entwicklungsstörungen, Teilleistungsschwächen undBegleitstörungen gezielt zu erfassen, können zusätzlichtestpsychologische Untersuchungen notwendig sein. Sowerden Intelligenztests verwendet, um das intellektuelleLeistungsniveau des Kindes zu erfassen. Spezifische Leis-tungstests geben Auskunft über mögliche Teilleistungsstö-rungen, wie z.B. eine Rechtschreib- oder Leseschwäche.Konzentrationstests zeigen die Fähigkeit zur kurzfristigenund zielgerichteten Aufmerksamkeit. Persönlichkeitsfrage-bogen, die bei älteren Kindern angewandt werden, könnenerste Hinweise auf Selbstwertproblematik, Angststörungenoder Depressionen geben.

Erst nach diesen Untersuchungen kann zuverlässig die Dia-gnose ADHS gestellt werden. Der behandelnde Arzt wirddann nach eingehender Information und Beratung ge-meinsam mit den Eltern ein individuelles Behandlungs-konzept erarbeiten.

WO FINDE ICH HILFE?Wie kann festgestellt werden, ob (m)ein Kind ADHS hat?

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Wo finden Eltern Hilfe?

Der erste Ansprechpartner für hilfesuchende Eltern ist inder Regel der Kinder- und Jugendarzt. Einige Kinder- undJugendärzte haben sich speziell zu diesem Thema weiter-gebildet und qualifiziert.

Meistens wird dieser jedoch zur weiteren Diagnostik undBehandlung einen Kinder- und Jugendpsychiater und/oderKinder- und Jugendpsychotherapeuten hinzuziehen. Beipsychotherapeutischen Maßnahmen haben sich verhal-tenstherapeutische Konzepte besonders bewährt. Deshalbsollten Sie den behandelnden Arzt oder Psychothera-peuten fragen, ob er entsprechende Verhaltenspro-gramme durchführen und abrechnen kann. In Abhän-gigkeit von vorliegenden Begleitstörungen kann esnotwendig sein, andere Behandlungsansätze einzube-ziehen.

Diagnostik und Behandlung können auch in einem Sozi-alpädiatrischen Zentrum, in welchem verschiedene Fach-richtungen zusammenarbeiten, durchgeführt werden. Ineinigen Kinder- und Jugendkrankenhäusern gibt es Spezial-ambulanzen für Kinder mit ADHS.

Da es sich bei ADHS um eine Erkrankung handelt, werdendie Kosten der Untersuchung und Behandlung von denKrankenkassen übernommen.

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Sofern die Ausprägung des ADHS eine Behinderung dar-stellt, die Betroffenen dadurch von Behinderung bedrohtoder in ihrer psychosozialen Entwicklung beeinträchtigtsind, kommen gemäß dem Kinder- und Jugendhilfegesetz(Sozialgesetzbuch VIII) sowie dem Gesetz zur Rehabilita-tion und Teilhabe behinderter Menschen (Sozialgesetz-buch IX) als weitere Kostenträger die Jugendhilfe sowie dieSozialhilfeträger in Betracht, die in Abstimmung mit denBetroffenen erforderliche Maßnahmen veranlassen. Hierkann das Jugendamt wichtiger Ansprechpartner sein. In Zusammenarbeit mit fachlich geschulten Pädagogenwerden hier viele Hilfen von heilpädagogischen Tages-gruppen bis zur sozialpädagogischen Familienhilfe ange-boten.

Weitere Ansprechpartner können auch eine Erziehungsbe-ratungsstelle oder der schulpsychologische Dienst sein. Ineinigen Schulen bietet der schulpsychologische Dienst spe-zielle Beratungen und Trainings für Eltern und Kinder an.

Die Diagnose eines ADHS, das Erstellen eines individuellenTherapieplans und die Koordination der Maßnahmen sindAufgabe des Arztes.

SelbsthilfeEltern von Kindern mit ADHS sind besonderen Belastungenausgesetzt. Viele zweifeln angesichts der Schwierigkeiten anihren erzieherischen Fähigkeiten, ziehen sich aus sozialenKontakten zurück und geraten so mehr und mehr in dieIsolation. In einer solchen Situation kann es ausgesprochenhilfreich sein, sich mit anderen betroffenen Eltern auszu-tauschen. Die Erkenntnis, dass es vielen anderen genausogeht, die Anregungen, Informationen und Tipps aus eige-ner Betroffenheit heraus können für die Eltern sehr entlas-tend und ermutigend sein. Mittlerweile gibt es in ganzDeutschland Selbsthilfegruppen, in welchen man eine sol-che gegenseitige Unterstützung finden kann.

Im Anhang finden Sie Adressen von Organisationen undBeratungsstellen, die Ihnen bei der Suche nach kompeten-ten Ansprechpartnern behilflich sind.

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Bundeszentrale für gesundheitliche AufklärungPostfach 91 01 52, 51071 Köln> www.bzga.de

Das Eckpunktepapier der Konferenz zur Verbesserungder Versorgung Kinder, Jugendlicher und Erwachsenermit ADHS kann eingesehen werden unter> www.bmgs.bund.de/archiv/presse_bmgs/

Bundesministerium für Gesundheit und Soziale SicherungAm Probsthof 78 a, 53121 Bonn> Tel.: 0228-941- 0> E-Mail: [email protected]

Umfassende Informationen zum Thema ADHS beiKindern, Jugendlichen und Erwachsenen und Adres-sen von Elterninitiativen in der Nähe Ihres Wohn-ortes finden Sie bei:

Bundesverband Arbeitskreis Überaktives Kind, BV AÜK e.V.BundesgeschäftsstellePostfach 410 724, 12117 Berlin> Tel.: 030-85 60 59 02> Beratungstelefon: 030-85 60 59 70> www.bv-auek.de

Bundesverband Aufmerksamkeitsstörung/Hyperaktivität e.V. Postfach 60, 91291 Forchheim> Tel.: 09191-70 42 60> E-Mail: [email protected]> www.bv-ah.de

Elterninitiative zur Förderung von Kindern mit ADHS, ADS e.V.Postfach 1165, 73055 Ebersbach> Tel.: 07161-920-225> E-Mail: [email protected]> www.ads-ev.de

Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugendärzte, AG ADHSPostfach 228, 91292 Forchheim> Tel.: 09191-97 03 69> E-Mail: [email protected]> www. ag-adhs.de

Adressen von Schreiambulanzen und speziellenSprechstunden in Kinderkrankenhäusern und Universitätskliniken bundesweit finden Sie bei der:

Gesellschaft zur Förderung der seelischen Gesundheitin der frühen KindheitSitz der Geschäftsstelle:Universitätsklinik für Kinder- und JugendheilkundeA-8036 Graz, Austria> Tel.: +43 (316) 385-3759> www.gaimh.de

ADRESSENAdressen

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Adressen von Sozialpädiatrischen Zentren findenSie bei der:

Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V.Heiglhofstr. 63, 81377 München> Tel.: 089-710 09-232> www.dgspj.de

Adressen von Erziehungsberatungsstellen erhaltenSie bei der:

Bundeskonferenz für Erziehungsberatung – Der Fachverband für Erziehungs-, Familien- und JugendberatungHerrnstr. 53, 90763 Fürth> Tel.: 0911-977 14-0> www.bke.de

Adressen von Ergotherapeuten erhalten Sie unter:

Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.Postfach 2208, 76303 Karlsbad> Tel.: 07248-91 81 - 0> www.ergotherapie-dve.de

Adressen von Kliniken, Praxen und Zentren in NRW,welche auf die Behandlung des ADHS spezialisiertsind, finden Sie im:

Behandlungswegweiser NRW> www.gesundheit-nrw.de

Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Kinder und Jugendlichen mit Teilleistungsstörungen(MCD/HKS) e.V.Wendelinstr. 64, 50933 Köln> Tel.: 0221-497 27 19> www.bag-tl.de

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Literaturempfehlungen

Für Eltern

Einen Elternleitfaden finden Sie in:Döpfner, Schürmann, LehmkuhlWackelpeter & TrotzkopfBeltz, Weinheim, 2000, 2. AuflageISBN 3-621-27481-2

Barkley – Das große ADHS-Handbuch für ElternVerlag Hans Huber, Bern/Göttingen, 2002, 1. AuflageISBN 3-456-83819-0

Leitfaden ADS/ADHSInformationsbroschüre des Hamburger ArbeitskreisesPostfach 65 22 40, 22373 Hamburg> E-Mail: [email protected] diesem Leitfaden finden Sie die Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung

HussMedikamente und ADS. Gezielt einsetzen – umfassend begleiten – planvoll absetzenUrania Verlag, Berlin, 2002, 1. Auflage

NeuhausDas hyperaktive Baby und Kleinkind. Symptome deuten – Lösungen findenUrania Verlag, Berlin, 2003, 1. Auflage

VerbraucherzentraleWarum zappelt Philipp? Medikamente und ganzheit-liche Therapieansätze bei ADHS/ADSHamburg, November 2003 (Preis: 2,80 €)(www.vzhh.de, [email protected])

WenderAufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen –Ein Ratgeber für Betroffene und HelferKohlhammer Verlag, Stuttgart, 2002, 1. Auflage

Für Lehrer

Imhof, Skrodzki, UrzingerAufmerksamkeitsgestörte, hyperaktive Kinder und Jugendliche im Unterricht Donauwörth, 2001, 4. AuflageISBN 3-403-03248-5

Umfassende Informationen für Lehrer finden sich auch unter:> www.dr-oehler.de/HKS_Kinder.htm> www.zappelphilipp.de/lehrer1.htm

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Für betroffene Erwachsene

Krause und KrauseADHS im ErwachsenenalterStuttgart, 2003ISBN 3-7945-2243-5

Für Ärzte und Psychotherapeuten

Döpfner, Schürmann, FrölichTherapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischemund oppositionellem Problemverhalten, THOPBeltz, Weinheim, 2002, 3. AuflageISBN 3-621-27464-2

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42 | ANHANG

1. ADHS ist eines der am häufigsten chronisch verlaufen-den Krankheitsbilder bei Kindern und Jugendlichen. Ca.zwei bis sechs Prozent aller Kinder und Jugendlichen inDeutschland sind hiervon betroffen.

2. Bei einem Teil der Betroffenen bleiben die Symptomeauch im Erwachsenenalter bestehen und stellen hiereine behandlungsbedürftige psychische Störung dar.Verbindliche diagnostische Kriterien und angemesseneVersorgungsstrukturen in diesem Bereich müssenjedoch erst noch geschaffen werden.

3. Die Diagnose ADHS darf nur im Rahmen einer umfas-senden Diagnostik und Differentialdiagnostik anhandanerkannter Klassifikationsschemata gestellt werden.Hierzu gehören z.B.:■ das ausführliche Gespräch mit den Eltern und Kin-

dern/Jugendlichen■ eine Ganzkörperuntersuchung, einschließlich einer

neurologischen Untersuchung und einer Überprüfungdes Hör- und Sehvermögens

■ eine Verhaltensbeobachtung■ die Klärung der Familiensituation, Erkrankungen in

der Familie■ die Einbeziehung des weiteren Umfeldes, wie zum

Beispiel der Lehrer oder der Erzieher■ ADHS-spezifische Fragebogen ■ testpsychologische Untersuchungen

Weiterhin muss abgeklärt werden, ob die Symptomedurch andere Erkrankungen verursacht sein können,und welche Begleiterkrankungen vorliegen.

4. Die Behandlung der ADHS erfordert die Zusammenar-beit verschiedener Berufsgruppen, zum Beispiel ■ des Kinder- und Jugendarztes, ■ des Kinder- und Jugendpsychiaters, ■ des Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und ■ verschiedener anderer Bereiche der Gesundheitsversor-

gung.

Das Behandlungsschema umfasst mehrere Ebenen: dieAufklärung und Beratung der Eltern, die Zusammenar-beit mit der Schule oder dem Kindergarten, spezielleLernprogramme, verhaltenstherapeutische Maßnah-men und eine Behandlung der eventuell vorliegendenBegleitstörungen. Die Koordination der verschiedenenBereiche liegt bei dem zuständigen Arzt.

Wenn die Behandlung nach angemessener Zeit keineeindeutige Verbesserung der Situation bewirkt hat,kann medikamentös behandelt werden. Was als an-gemessene Zeit und erforderliche Maßnahme zu geltenhat, entscheidet der behandelnde Arzt.

Die Wirksamkeit der zur Zeit eingesetzten Medikamen-te ist wissenschaftlich nachgewiesen. Die medikamen-

Gemeinsames Eckpunktepapier der Konsensuskonferenz des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung im Oktober 2002

ANHANG

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ANHANG | 43

töse Behandlung, d.h. Dosierung, eventuelle Neben-wirkungen, Dauer und Wirksamkeit, bedarf als Min-deststandard einer intensiven ärztlichen Begleitungund ausführlichen Beratung. Eine Behandlung mitMedikamenten ist in ein umfassendes Therapiekon-zept einzubinden und stellt für sich genommen keineausreichende Behandlungsmethode dar. Die Behand-lung bezieht immer das ganze Kind in seiner Lebens-umwelt, d.h. mit seiner Familie, seiner Schule und sei-ner Freizeit ein. Umfängliche Beratung und Einbezie-hung des Umfeldes des Kindes und Jugendlichen sinddaher unverzichtbar.

5. Die Versorgung der betroffenen Kinder und Jugend-lichen muss weiter verbessert werden. Behandlungs-netzwerke, in welche alle beteiligten Berufsgruppeneinbezogen werden sollten, müssen vermehrt ge-schaffen werden. Gezielte Fortbildung dieser Berufs-gruppen, die speziell auf die jeweilige fachliche Qua-lifikation zugeschnitten ist, soll auf der Basis einheit-licher Standards erfolgen.

Die Eckpunkte der Ergebnisse können Sie als Gesamttextin der Pressemitteilung des Bundesministeriums fürGesundheit und Soziale Sicherung vom 27.12.2002nachlesen unter:

> www.bmgs.bund.de/archiv/presse_bmgs/

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