Ätiologie, Diagnose und Therapie

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36 Osteopathische Medizin LITERATUR 15. Jahrg., Heft 3/2014, S. 34–37, Elsevier GmbH, www.elsevier.com/locate/ostmed Jean-Pierre Barral, Alain Croibier Traumatologie in der Osteopathie Ätiologie, Diagnose und Therapie 326 Seiten, Paperback Verlag Systemische Medizin, 2. Aufl. 2013 ISBN: 978-3-86401-030-9, € 69,00 Das Erstlingswerk des Autorenduos Barral und Croibier liegt in der 2. Auf- lage vor. Die 1. Auflage erschien be- reits 1999. Schon der Titel lässt den Leser auf ein Standardwerk der mo- dernen Osteopathie hoffen, denn wo- mit sonst als mit den Folgen von Traumata beschäſtigen wir uns jeden Tag? Im Buch werden drei Zugänge zur Traumawirkung auf den Menschen be- schrieben. Im ersten Teil gehen die bei- den Autoren auf den physikalischen Ansatz ein. Es folgt eine Einführung in die Physik der Mechanik. Dieser Ab- schnitt wirkt an einigen Stellen sehr verwirrend. Es werden verschiedene physikalische Größen in rascher Folge miteinander in Verbindung gebracht, wodurch relativ schnell der rote Faden verloren geht. Hier wären ein etwas lo- gischerer Auau und der Verzicht auf einige unwichtigere Größen hilfreich gewesen. Wer also nach der Lektüre ei- nen Knoten in seinem Gehirn verspürt, der sollte ein Physiklehrbuch zurate ziehen, um diesen wieder zu entwirren. Abgeschlossen wird das Kapitel mit ei- ner Übersicht über die physikalischen Vorgänge bei einem Schleudertrauma, was meiner Meinung nach sehr gelun- gen ist und auch meine Sicht auf die zu erwartenden Dysfunktionsmuster stark erweitert hat. Im folgenden Kapitel gehen die Autoren auf den funktionell-anatomischen An- satz der Traumawirkungen ein. Hier spielen vor allem die Verteilung von Be- lastungszonen in der Schädelanatomie sowie funktionelle Aspekte des Liquor cerebrospinalis und der Gehirn- und Rückenmarkshäute eine Rolle. Am Ka- pitelende gibt es einen kurzen Abriss über Traumaauswirkungen auf orax und Abdomen. Das dritte Kapitel geht schließlich auf die Auswirkung von Kräſten auf die Körpergewebe ein. Die Autoren be- schäſtigen sich dabei mit der Wirkung der Kollisionsenergie auf die verschie- denen Gewebearten sowie mit dem Umstand, warum diese Energien teils über Jahre im Gewebe gespeichert und damit von uns wahrgenommen werden können. In diesem Kapitel kommt es bei der Angabe von verschiedenen phy- sikalischen Größen zu einer falschen Darstellung der Zehnerpotenzen. Hier zeigt sich der größte Makel des Buches: Es finden sich sehr viele Satzfehler und fehlerhaſte Beschriſtungen in Abbil- dungen. Fehler, die bei nochmaliger kritischer Durchsicht hätten vermieden werden können, da nach Verlagsaus- kunſt die 2. Auflage unverändert ge- druckt wurde. Für den Leser gilt es, das Geschriebene und Dargestellte nicht ungeprüſt zu übernehmen. Das Kapitel schließt mit Überlegungen zum Gefäß- system und zu den Sinnesorganen. In den folgenden drei Kapiteln geben Barral und Croibier eine Übersicht über typische klinische Symptome des Traumapatienten und deren Ursachen sowie zur Untersuchung und Behand- lung dieser Patienten. Bei den Sympto- men beschränken sie sich auf eine kleine Auswahl vornehmlich kranialer und zervikaler Symptome. Lumbago z.B. sucht man vergeblich, dafür findet sich ein guter Artikel zum Sudeck-Syn- drom. Die Anleitung zur Untersuchung ist ein- fach und klar verfasst und es finden sich gute Untersuchungstechniken, um schnell einen Überblick über ein be- stimmtes System zu erlangen. Als Bei- spiel sei hier der Test für das kraniofaziale System genannt, der sich in meiner Ar- beit sehr gut bewährt hat. Bei der Diag- nostik beschränken sich Barral und Croibier auf das Kranium, die Dura und ihren weiteren Verlauf über den Plexus cervicobrachialis und lumbosacralis so- wie die Halseingeweide, die linke Niere und die Milz. Im viszeralen System legen die Autoren das Augenmerk nur auf diese Strukturen, da sich ihrer Erfahrung nach viszerale Traumafolgen aufgrund der nach links gerichteten Kraſtübertra- gungslinie des Herzens bei absteigenden Läsionen v.a. dort finden. In diesem Kapitel finden sich zwei Ab- schnitte zur kranialen Differenzialdiag- nose und den Sinnesorganen, die beide sehr kurz sind und etwas lieblos geschrie- ben wirken. Man bekommt den Ein- druck, dass zu diesem ema irgendetwas einfach noch mit eingefügt werden musste. Auch sind die Inhalte konfus. Es werden Ecoute-Richtungen beschrieben, ohne jedoch auf die Handhaltung einzu- gehen, daher ergeben die gemachten Aussagen keinen Sinn. Sehr schade, da es gerade über die Sinnesorgane sicherlich viel Interessantes zu berichten gegeben hätte. Im letzten Kapitel werden Behandlungs- methoden für die untersuchten Struk- turen demonstriert. Auch hier finden sich wieder teils sehr bemerkenswerte Behandlungsansätze, die zwar häufig schon in anderen Büchern von Barral gezeigt wurden, aber dennoch den eige- nen Zugang erweitern können. Mein persönliches Fazit: Ein sehr lehrrei- ches Buch für jeden Osteopathen, der ein breit gefächertes Patientenklientel be- treut. Die Autoren liefern immer wieder sehr gut umsetzbare Konzepte, die die tägliche Arbeit stark bereichern können. Die häufigen Fehler sind schade, da sie vermeidbar gewesen wären, aber viel- leicht können wir uns alle irgendwann auf eine korrigierte 3. Auflage freuen. Marc Angermann, Kamenz

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Osteopathische MedizinL I T E R AT U R

15. Jahrg., Heft 3/2014, S. 34–37, Elsevier GmbH, www.elsevier.com/locate/ostmed

Jean-Pierre Barral, Alain Croibier

Traumatologie in der Osteopathie

Ätiologie, Diagnose undTherapie

326 Seiten, PaperbackVerlag Systemische Medizin, 2. Aufl . 2013ISBN: 978-3-86401-030-9, € 69,00

Das Erstlingswerk des Autorenduos Barral und Croibier liegt in der 2. Auf-lage vor. Die 1. Aufl age erschien be-reits 1999. Schon der Titel lässt den Leser auf ein Standardwerk der mo-dernen Osteopathie hoff en, denn wo-mit sonst als mit den Folgen von Traumata beschäft igen wir uns jeden Tag? Im Buch werden drei Zugänge zur Traumawirkung auf den Menschen be-schrieben. Im ersten Teil gehen die bei-den Autoren auf den physikalischen Ansatz ein. Es folgt eine Einführung in die Physik der Mechanik. Dieser Ab-schnitt wirkt an einigen Stellen sehr verwirrend. Es werden verschiedene physikalische Größen in rascher Folge miteinander in Verbindung gebracht, wodurch relativ schnell der rote Faden verloren geht. Hier wären ein etwas lo-gischerer Aufb au und der Verzicht auf einige unwichtigere Größen hilfreich gewesen. Wer also nach der Lektüre ei-nen Knoten in seinem Gehirn verspürt, der sollte ein Physiklehrbuch zurate ziehen, um diesen wieder zu entwirren. Abgeschlossen wird das Kapitel mit ei-ner Übersicht über die physikalischen

Vorgänge bei einem Schleudertrauma, was meiner Meinung nach sehr gelun-gen ist und auch meine Sicht auf die zu erwartenden Dysfunktionsmuster stark erweitert hat. Im folgenden Kapitel gehen die Autoren auf den funktionell-anatomischen An-satz der Traumawirkungen ein. Hier spielen vor allem die Verteilung von Be-lastungszonen in der Schädelanatomie sowie funktionelle Aspekte des Liquor cerebrospinalis und der Gehirn- und Rückenmarkshäute eine Rolle. Am Ka-pitelende gibt es einen kurzen Abriss über Traumaauswirkungen auf Th orax und Abdomen. Das dritte Kapitel geht schließlich auf die Auswirkung von Kräft en auf die Körpergewebe ein. Die Autoren be-schäft igen sich dabei mit der Wirkung der Kollisionsenergie auf die verschie-denen Gewebearten sowie mit dem Umstand, warum diese Energien teils über Jahre im Gewebe gespeichert und damit von uns wahrgenommen werden können. In diesem Kapitel kommt es bei der Angabe von verschiedenen phy-sikalischen Größen zu einer falschen Darstellung der Zehnerpotenzen. Hier zeigt sich der größte Makel des Buches: Es fi nden sich sehr viele Satzfehler und fehlerhaft e Beschrift ungen in Abbil-dungen. Fehler, die bei nochmaliger kritischer Durchsicht hätten vermieden werden können, da nach Verlagsaus-kunft die 2. Aufl age unverändert ge-druckt wurde. Für den Leser gilt es, das Geschriebene und Dargestellte nicht ungeprüft zu übernehmen. Das Kapitel schließt mit Überlegungen zum Gefäß-system und zu den Sinnesorganen.In den folgenden drei Kapiteln geben Barral und Croibier eine Übersicht über typische klinische Symptome des Traumapatienten und deren Ursachen sowie zur Untersuchung und Behand-lung dieser Patienten. Bei den Sympto-men beschränken sie sich auf eine kleine Auswahl vornehmlich kranialer und zervikaler Symptome. Lumbago z.B. sucht man vergeblich, dafür fi ndet sich ein guter Artikel zum Sudeck-Syn-drom. Die Anleitung zur Untersuchung ist ein-fach und klar verfasst und es fi nden sich

gute Untersuchungstechniken, um schnell einen Überblick über ein be-stimmtes System zu erlangen. Als Bei-spiel sei hier der Test für das kraniofaziale System genannt, der sich in meiner Ar-beit sehr gut bewährt hat. Bei der Diag-nostik beschränken sich Barral und Croibier auf das Kranium, die Dura und ihren weiteren Verlauf über den Plexus cervicobrachialis und lumbosacralis so-wie die Halseingeweide, die linke Niere und die Milz. Im viszeralen System legen die Autoren das Augenmerk nur auf diese Strukturen, da sich ihrer Erfahrung nach viszerale Traumafolgen aufgrund der nach links gerichteten Kraft übertra-gungslinie des Herzens bei absteigenden Läsionen v.a. dort fi nden. In diesem Kapitel fi nden sich zwei Ab-schnitte zur kranialen Diff erenzialdiag-nose und den Sinnesorganen, die beide sehr kurz sind und etwas lieblos geschrie-ben wirken. Man bekommt den Ein-druck, dass zu diesem Th ema irgendetwas einfach noch mit eingefügt werden musste. Auch sind die Inhalte konfus. Es werden Ecoute-Richtungen beschrieben, ohne jedoch auf die Handhaltung einzu-gehen, daher ergeben die gemachten Aussagen keinen Sinn. Sehr schade, da es gerade über die Sinnesorgane sicherlich viel Interessantes zu berichten gegeben hätte. Im letzten Kapitel werden Behandlungs-methoden für die untersuchten Struk-turen demonstriert. Auch hier fi nden sich wieder teils sehr bemerkenswerte Behandlungsansätze, die zwar häufi g schon in anderen Büchern von Barral gezeigt wurden, aber dennoch den eige-nen Zugang erweitern können. Mein persönliches Fazit: Ein sehr lehrrei-ches Buch für jeden Osteopathen, der ein breit gefächertes Patientenklientel be-treut. Die Autoren liefern immer wieder sehr gut umsetzbare Konzepte, die die tägliche Arbeit stark bereichern können. Die häufi gen Fehler sind schade, da sie vermeidbar gewesen wären, aber viel-leicht können wir uns alle irgendwann auf eine korrigierte 3. Aufl age freuen.

Marc Angermann, Kamenz