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aktuell April 2011 6. Jahrgang Inhalt Editorial: Im Schatten von Fukushima und Bengasi 1 _______________________________________________________________________ Bericht aus den Institutionen: Sprengsatz oder Katalysator?/ Portugal kommt unter den Schirm/ Stichwort Transferunion/ Entgelte im öffentlichen Sektor als Stabilitäts- indikator/ Ungarn am Scheideweg/ Brüssel will Auskunft über betriebliche Alters- vorsorge/ Neue Strukturen für OLAF? 2-6 _______________________________________________________________________ dbb in Europa: Ondracek lobt Pläne zur Körperschaftsteuer/ Bologna-Prozess und dbb jugend/ Grünwoldt fordert Mindeststandards für Lokomotiv- führer/ Wildfeuer begrüßt Unisex-Urteil/ 15. Europäischer Abend 7-10 _______________________________________________________________________ Neues von der CESI: Heesen begrüßt Andors Bekenntnis zum sozialen Dialog/ CESI und UFE vereinbaren Zusammenarbeit/ Dauderstädt fordert Kommission zum Umdenken auf/ Schulab- bruch in Europa/ Zoll und Strahlenschutz 11-13 _______________________________________________________________________ Bürger und Verbraucher: Fukushima Spezial 14 _______________________________________________________________________ Ausblick: Ehrenamt und europäische Identität Termine 15/16 _______________________________________________________________________ Einblick: Gespräch mit Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck Impressum 17-20 Editorial Im Schatten von Fukushima und Benghasi Erst das Erdbeben und der Tsunami, dann der atoma- re GAU in Fukushima. Falls es je eine europäische Energiestrategie gab, so hat die japanische Mons- terwelle sie weggespült. Und die europäische Au- ßenpolitik, wie ist es um Europas Sicherheitsarchi- tektur bestellt? Auch sie ist nicht erdbebensicher. Jedenfalls hat sie dem Beben, das die arabische Revo- lutionswelle ausgelöst hat, nicht standgehalten. Energiepolitisch beschreitet Deutschland nicht erst seit Fukushima einen Sonderweg. Vielleicht, das ist eine Frage der Perspektive, ist es damit auch Europas Avantgarde. Klar ist seit Libyen, dass das Land sich sicherheitspolitisch isoliert hat. Ein ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat ist wohl verspielt. Frankreich, dessen politische Elite den Tyrannen von Tripolis noch vor wenigen Monaten hofierte, stürzt sich in ein libysches Abenteuer, eilt den Freiheitskämpfern von Benghasi Seite an Seite mit Amerikanern, Briten und anderen Willigen zur Hilfe. Als sei dies alles nicht genug, ereignet sich vor und auf der Insel Lampedusa eine humanitäre Katastrophe. Italiens Skandalpremi- er verspricht den einheimischen Inselbewohnern den Friedensnobelpreis und der neuen tunesischen Bür- germacht Geld, damit sie zumindest an ihren Strän- den die Völkerwanderung stoppt. Derweil geraten die neuen Milliardenlöcher irischer Banken, die scheinbar nicht zu verlangsamende grie- chische Schuldenspirale und der drohende portugie- sische Staatsbankrott zu Randnotizen einer aus den Fugen geratenen Welt. Die Ergebnisse des Europäi- schen Rats von Ende März nehmen nur noch Exper- ten zur Kenntnis. Im Schatten all dieser Entwicklun- gen entfernt sich ein EU-Mitglied, das schon vor der Finanz- und Schuldenkrise vom IWF einer Rosskur unterzogen wurde, zusehends von den gemeinsa- men europäischen Werten. Ungarns Demokratie ist in Gefahr. Wer aber in diesem zerstrittenen Europa wäre noch dazu in der Lage, einer Regierung in den Arm zu fallen, die sich und das Volk in eins setzt? Trotz allem: Die dbb europathemen berichten. Und sie berichten vor allem anderen über die kleinen europäischen Dinge, die zu Friedenszeiten durchaus von Belang sind. Zumal für den öffentlichen Sektor und die an ihm Interessierten. Keineswegs banal erscheint uns in diesem Zusammenhang der Wert bürgerschaftlichen Engagements. Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit steht im Fokus dieser Ausgabe. Die Redaktion wünscht viel Freude beim Lesen

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aktuell April 2011

6. Jahrgang

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Inhalt

Editorial:

Im Schatten von Fukushima und Bengasi 1 _______________________________________________________________________

Bericht aus den Institutionen:

Sprengsatz oder Katalysator?/ Portugal kommt unter den Schirm/ Stichwort Transferunion/ Entgelte im öffentlichen Sektor als Stabilitäts- indikator/ Ungarn am Scheideweg/ Brüssel will Auskunft über betriebliche Alters- vorsorge/ Neue Strukturen für OLAF? 2-6 _______________________________________________________________________

dbb in Europa:

Ondracek lobt Pläne zur Körperschaftsteuer/ Bologna-Prozess und dbb jugend/ Grünwoldt fordert Mindeststandards für Lokomotiv- führer/ Wildfeuer begrüßt Unisex-Urteil/ 15. Europäischer Abend 7-10 _______________________________________________________________________

Neues von der CESI:

Heesen begrüßt Andors Bekenntnis zum sozialen Dialog/ CESI und UFE vereinbaren Zusammenarbeit/ Dauderstädt fordert Kommission zum Umdenken auf/ Schulab- bruch in Europa/ Zoll und Strahlenschutz 11-13 _______________________________________________________________________

Bürger und Verbraucher:

Fukushima Spezial 14 _______________________________________________________________________

Ausblick:

Ehrenamt und europäische Identität

Termine 15/16 _______________________________________________________________________

Einblick:

Gespräch mit Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck

Impressum 17-20

Editorial

Im Schatten von Fukushima und Benghasi

Erst das Erdbeben und der Tsunami, dann der atoma-re GAU in Fukushima. Falls es je eine europäische Energiestrategie gab, so hat die japanische Mons-terwelle sie weggespült. Und die europäische Au-ßenpolitik, wie ist es um Europas Sicherheitsarchi-tektur bestellt? Auch sie ist nicht erdbebensicher. Jedenfalls hat sie dem Beben, das die arabische Revo-lutionswelle ausgelöst hat, nicht standgehalten.

Energiepolitisch beschreitet Deutschland nicht erst seit Fukushima einen Sonderweg. Vielleicht, das ist eine Frage der Perspektive, ist es damit auch Europas Avantgarde. Klar ist seit Libyen, dass das Land sich sicherheitspolitisch isoliert hat. Ein ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat ist wohl verspielt. Frankreich, dessen politische Elite den Tyrannen von Tripolis noch vor wenigen Monaten hofierte, stürzt sich in ein libysches Abenteuer, eilt den Freiheitskämpfern von Benghasi Seite an Seite mit Amerikanern, Briten und anderen Willigen zur Hilfe. Als sei dies alles nicht genug, ereignet sich vor und auf der Insel Lampedusa eine humanitäre Katastrophe. Italiens Skandalpremi-er verspricht den einheimischen Inselbewohnern den Friedensnobelpreis und der neuen tunesischen Bür-germacht Geld, damit sie zumindest an ihren Strän-den die Völkerwanderung stoppt.

Derweil geraten die neuen Milliardenlöcher irischer Banken, die scheinbar nicht zu verlangsamende grie-chische Schuldenspirale und der drohende portugie-sische Staatsbankrott zu Randnotizen einer aus den Fugen geratenen Welt. Die Ergebnisse des Europäi-schen Rats von Ende März nehmen nur noch Exper-ten zur Kenntnis. Im Schatten all dieser Entwicklun-gen entfernt sich ein EU-Mitglied, das schon vor der Finanz- und Schuldenkrise vom IWF einer Rosskur unterzogen wurde, zusehends von den gemeinsa-men europäischen Werten. Ungarns Demokratie ist in Gefahr. Wer aber in diesem zerstrittenen Europa wäre noch dazu in der Lage, einer Regierung in den Arm zu fallen, die sich und das Volk in eins setzt?

Trotz allem: Die dbb europathemen berichten. Und sie berichten vor allem anderen über die kleinen europäischen Dinge, die zu Friedenszeiten durchaus von Belang sind. Zumal für den öffentlichen Sektor und die an ihm Interessierten. Keineswegs banal erscheint uns in diesem Zusammenhang der Wert bürgerschaftlichen Engagements. Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit steht im Fokus dieser Ausgabe.

Die Redaktion wünscht viel Freude beim Lesen

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6. Jahrgang

Sprengsatz oder Katalysator?

Die Not des Euro führt die Europäer näher zuei-nander. Dennoch ist Geld immer ein schwieriges Thema, auch unter Freunden, weshalb die dringli-che, sich kurzfristig stellende Frage der Aufsto-ckung des derzeitigen Rettungsschirms vom Eu-ropäischen Rat auf Juni verschoben wurde. Im-merhin erreichte der Europäische Rat nach den Vorarbeiten eines Sondergipfels am 25. März einen perspektivischen Konsens in Sachen Euro-rettung. Das in Brüssel geschnürte Paket umfasst den Aufbau eines dauerhaften Europäischen Sta-bilisierungsmechanismus (ESM) für die Zeit ab 2013, verschärfte Regeln für den Euro-Stabilitätspakt und einen von Deutschland ange-regten Pakt, der nun nicht mehr Pakt für Wett-bewerbsfähigkeit heißt, sondern „Pakt für den Euro“. Ob dies alles für eine dauerhafte Lösung der drückenden Probleme reicht, bleibt offen.

Kritische Stimmen aus den Reihen der CDU/CSU- und FDP-Fraktionen des Deutschen Bundestags nannten den ESM eine Transferunion. Deutsch-land müsse in Zukunft für finanzschwächere Staa-ten zahlen, ganz so wie die reicheren für die ärme-ren Länder im bundesdeutschen Länderfinanz-ausgleich. Die Oppositionsparteien bemängelten vor allem die aus ihrer Sicht unzureichende Ein-bindung des Bundestags in die Entscheidungen. Ein einflussreicher Bundesbanker erklärte bereits vor den Brüsseler Verhandlungen: „Notwendig wären jedoch ein ordnungspolitischer Grundkon-sens, ein funktionierender Finanzausgleich und ein hohes Maß an Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik, wenn wir zunehmende Ungleichgewichte in der Wirtschaftsentwicklung der Mitgliedsländer und letztlich einen Zusam-menbruch des Systems vermeiden wollen.“

Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl schrieb dies in der am 28. Mai 1988 erschienenen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Pöhl vorbehalt-los zugestimmt hätte wohl Bundeswirtschaftsmi-nister Karl Schiller, der am 18. November 1970 vor dem Europäischen Parlament erklärte: „Wir sind uns (…) ziemlich schnell klargeworden, dass eine abstrakte Währungsmaschine in Europa ohne parallele wirtschaftspolitische Konvergenz oder Harmonisierung bei kommenden Ungleichge-wichten sehr schnell zersprengt würde.“

Pöhl und Schiller konnten noch offen ausspre-chen, was der Politik heute schwerfällt. Die Wäh-rungsunion als Idee war bereits da, 1970 wie 1988, ihre Verwirklichung stand jedoch noch aus.

Tatsächlich hat die Krise des Euro das Potential, der europäischen Integration enormen Schub zu verleihen. Sie könnte der Katalysator einer weite-ren Vertiefung der Union werden. Denn werden die ökonomischen Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedstaaten, den Euroländern zuallererst, nicht reduziert, wird die Währungsunion die kommenden Jahre nicht überleben. So lautet die Einschätzung auch vieler heutiger Experten.

Gipfelszenen, Brüssel am 24./25. März 2011

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Auf den Schultern von Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou lastet enormer Druck; hier fragt er sich, wem

Bundeskanzlerin Angela Merkel eine SMS sendet

Erklärungsversuche: Portugals Premier José Sócrates unter dem strengen Blick von EZB-Chef Jean-Claude Trichet

Die EU-Außenbeauftragte Baroness Catherine Ashton of

Upholland nahm auch am Gipfeltreffen teil © alle Bilder Consilium 2011

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Portugal kommt unter den Schirm

Lange hat die portugiesische Regierung sich ge-gen die Hilfe des Euro-Rettungsschirms gewehrt. Die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Landes durch die internationalen Ratingagenturen sank aber stetig. Entsprechend schraubten sich die Risikoaufschläge für portugiesische Staatsanlei-hen in die Höhe. Die Europartner hatten Portugal in den vergangenen Wochen gedrängt, die Hilfe der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) anzunehmen. In Rede stehen 80 Milliarden Euro. Portugal ist das dritte Euroland, das unter dem Rettungsschirm Platz sucht. Griechenland und Irland haben bereits Hilfen in Höhe von 110 beziehungsweise 85 Milliarden Euro erhalten.

Es war klar, dass Portugal nicht ohne Hilfen aus-kommen würde. Und je später der Zeitpunkt des portugiesischen Hilferufs, desto teurer würde die Hilfe. Zwar gelang Lissabon Anfang April die Plat-zierung von Staatsanleihen und damit die Auf-nahme frischen Geldes zur Finanzierung seiner Schulden. Die nächste Refinanzierung eines grö-ßeren Milliardenbetrags steht erst in rund zwei Monaten an. Am Abend des 6. April gab der am-tierende sozialistische Premierminister José Sócra-tes dennoch den Widerstand auf.

Fado in Lissabon: José Sócrates

© Consilium 2011

Ende März fand ein Sparpaket seiner Minderheits-regierung im Parlament keine Mehrheit. Darauf-hin trat die Regierung zurück. Neuwahlen stehen an. Beobachter gehen davon aus, dass Sócrates diesen Zeitpunkt bewusst abgewartet hat. Denn nun kann die Regierung der Opposition, die sich dem Sparpaket verweigerte, einen Teil der Ver-antwortung für den Hilferuf und die folgenden weit drastischeren Sparmaßnahmen zuweisen, die der Internationale Währungsfonds und die EU seinem Land verordnen werden.

Stichwort Transferunion

Kritiker des Euro-Rettungsschirms (EFSF) und vor allem seines dauerhaften Nachfolgers ab 2013, des Euro-Stabilisierungsmechanismus (ESM), sprechen von einer Transferunion, die zu Lasten der reicheren Länder gehe. Sie führen den Länderfinanzausgleich in Deutschland als Beispiel an, der ja erst kürzlich von den Netto-zahlern Bayern, Baden-Württemberg und Hes-sen in Frage gestellt worden ist. Es besteht al-lerdings ein gravierender Unterschied zwischen den Eurohilfen und dem Länderfinanzausgleich.

Die „Nettoempfänger“, wenn man diesen Be-griff auf Griechenland, Irland und Portugal übertragen will, werden einem drakonischen Haushaltssanierungsregime unterzogen. Sie verlieren vorübergehend einen Teil ihrer staatli-chen Souveränität. Zudem stellt sich die Frage, ob die Euro-Länder, die so zu „Nettoempfän-gern“ werden, damit nicht in eine Abhängigkeit von den Nettozahlern geraten, die diese sich wirtschaftspolitisch zunutze machen können. Wer also in Deutschland die so genannte Trans-ferunion schilt, sollte im Auge behalten, dass das Problem sehr komplex ist und eine mehr-dimensionale Betrachtung verdient.

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Gewinner oder Verlierer?

© mkrberlin - Fotolia.com

Hinzu kommt: Möglicherweise kann eine Wäh-rungsunion, die den deutschen Handelsinteres-sen sehr nutzt, ohne Finanzausgleich nicht funktionieren. Nicht zu vergessen ist auch, dass die finanzschwächeren EU-Staaten mit der Ein-führung des Euro ein zentrales arbeitsmarkt- und sozialpolitisches Steuerungsinstrument aus der Hand gegeben haben, nämlich die Souverä-nität über ihre Währung und damit die geldpo-litische Option der Abwertung zur Stabilisie-rung der eigenen Wirtschaft. Auch die alte DM -

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Bundesrepublik hatte bereits milliardenschwere Transfers in Europa geleistet. Das lag stets im deutschen Interesse. Denn die rohstoffarme Handelsmacht Deutschland ist auf einen funk-tionierenden Großmarkt angewiesen.

Entgelte im öffentlichen Sektor als Stabilitätsindikator

Der „Pakt für den Euro“ legt den Europäern mo-derate Lohnabschlüsse nahe. Die Brüsseler Ab-sprachen der Staats- und Regierungschefs berüh-ren die Tarifautonomie der Sozialpartner. Deutschland hat hier eine besondere Rolle ge-spielt, wie ein von EurActiv veröffentlichtes Arbeitspapier der Bundesregierung belegt. Eine für den öffentlichen Dienst bedeutsame Forde-rung des Bundeswirtschaftsministeriums hat Eingang in das Schlusskommuniqué des Europäi-schen Rates vom 24./25. März 2011 gefunden. Die Forderung betrifft die Entwicklung der Ein-kommen im öffentlichen Dienst. Ein früherer, auf Brüsseler Ebene ausgearbeiteter Entwurf der Abschlusserklärung der Staats- und Regierungs-chefs hatte diesen kritischen Punkt noch nicht beinhaltet.

Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März halten fest, es sei sicherzustel-len, „dass die Lohnabschlüsse im öffentlichen Sektor den auf eine Steigerung der Wettbe-werbsfähigkeit gerichteten Anstrengungen im Privatsektor förderlich sind“. Schon Wochen vor dem Europäischen Rat war ein Arbeitspapier des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin in Um-lauf gebracht worden. Darin wurde für die Brüs-seler Unterhändler mit auf den Weg gegeben, die Entgeltentwicklung im öffentlichen Sektor solle fortan als Stabilitätsindikator für die öffent-lichen Finanzen gewertet werden. In diesem Punkt hat sich das zuvor von seinen Partnern - wie auch von namhaften Ökonomen - für die Politik der Lohnzurückhaltung gescholtene Deutschland also durchgesetzt. Das belegen die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, deren englischsprachiger Entwurf von Anfang Februar noch keinen Bezug auf Entgelte im öf-fentlichen Sektor beinhaltete. Für die öffentlich Bediensteten ist der Pakt keine gute Nachricht.

Ungarn am Scheideweg

Die ungarische Regierung formt das Land in atemberaubendem Tempo um. Sie stützt sich dabei auf die Legitimität einer Zweidrittel-mehrheit im Parlament. Beobachter kritisieren die hohe Geschwindigkeit, in der eine neue Verfassung verabschiedet werden soll. Sie be-mängeln die fehlende Einbeziehung Anders-denkender, so etwa der Opposition. Europäi-sche Journalistenverbände sind nach wie vor besorgt über das ungarische Mediengesetz, von dem Gefahr für die Pressefreiheit ausgehen könnte. Gewerkschaften berichten aus Ungarn, sie verlören massenhaft Mitglieder. Die Men-schen hätten Angst, von ihren Arbeitgebern entlassen zu werden, wenn sie in ihrer Gewerk-schaft blieben. Die regierende Fidesz-Partei hat ein Gesetz erlassen, nach dem Mitarbeiter des öffentlichen Diensts unbegründet entlassen werden können. Das ungarische Verfassungs-gericht, dessen Rechte allerdings von der neuen Verfassung beschnitten werden sollen, hat diese Praxis Anfang April kritisiert und Ände-rungen angemahnt. Darüber hinaus mehren sich Berichte über rechtsradikale Übergriffe auf Angehörige der ungarischen Roma-Minderheit.

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Viele ungarische Beamte leben spätestens seit Dezember 2010 in Angst. Unliebsame Bediens-tete können seither ohne Nennung von Grün-den entlassen werden. Das regelt ein zum Jah-resende von der Parlamentsmehrheit Viktor Orbáns verabschiedetes Gesetz. Die Regierung begründet das Gesetz offenbar damit, die Qua-lität des öffentlichen Dienstes verbessern zu wollen. In Brüssel berichten ungarische Ge-werkschafter, ihre Organisationen verlören massenhaft Mitglieder. Die Menschen hätten Angst, für ihre Mitgliedschaft in einer Gewerk-schaft von der Regierung bestraft zu werden. An politischen Willensbildungsprozessen betei-ligt würden die Gewerkschaften ohnehin schon nicht mehr. Ein sozialer Dialog finde nicht mehr statt. Laut einem Blog des Wall Street Journal hat das ungarische Verfassungsgericht am 5. April eine Änderung des Gesetzes über die Ent-lassungen im öffentlichen Dienst gefordert. Entlassungen im öffentlichen Dienst müssten von der Regierung begründet werden. Das Ge-setz vom Dezember 2010 verstoße gegen meh-rere Grund- und Menschenrechte.

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6. Jahrgang

Ungarns neue Verfassung soll noch im April ver-abschiedet werden und zum 1. Januar 2012 in Kraft treten. Die für die Überwachung von Demo-kratie und Rechtsstaatlichkeit zuständige Kom-mission des Europarats hat am 28. März eine Stellungnahme verabschiedet. Darin kritisiert sie die Eile, mit der die neue Verfassung ohne Einbe-ziehung der Opposition und ohne zureichende Transparenz erarbeitet wurde. Indirekt deutet sie an, das Verfahren entspreche nicht demokrati-schen Standards. Vor allem kritisiert die so ge-nannte Venedig-Kommission, dass das Verfas-sungsgericht teilentmachtet werden soll. Ungarns Botschafter in Berlin, József Czukor, erklärte in einem Interview mit Euractiv, er wolle nicht, „dass Ungarn aufgrund des Versuchs, sich eine moder-ne Verfassung zu geben, wieder ins Kreuzfeuer der Kritik gerät“.

Premierminister Viktor Orbán Ende März in Brüssel

© Consilium 2011

Zwar hat die ungarische Regierung das umstritte-ne Mediengesetz Mitte Februar gemäß den Vor-gaben der Europäischen Kommission geändert. Die hatte sich aber darauf beschränkt, wettbe-werbsrelevante Aspekte zu kritisieren. Nach wie vor gefährdet das Mediengesetz die Pressefrei-heit, so zumindest sehen es journalistische Ver-bände. So hat der Deutsche Journalistenverband (DJV) die Einigung mit der EU-Kommission als „faulen Kompromiss“ bezeichnet. „Wenn die EU-Kommission bei ihrer Haltung bleibt, gibt sie da-mit der Abschaffung der Pressefreiheit in Ungarn grünes Licht“, so der DJV.

Die seit Mai 2010 regierende rechtskonservative Regierung Viktor Orbáns hat die Integration der 700.000 ungarischen Roma auf die Agenda der EU gesetzt. Ungarn hat im ersten Halbjahr die Rats-präsidentschaft inne. Ungarn fordert eine gemein-same europäische Strategie in der Roma-Politik. Die Lage der schätzungsweise zwölf Millionen in Euro-pa lebenden Roma sei eine „europäische Problema-tik“. Werde diese nicht im Sinne der sesshaften ungarischen Roma gelöst, würden diese wieder beginnen zu reisen. Sie würden in EU-Staaten mit höheren Sozialleistungen ziehen. Inzwischen hat die Regierung unter dem Applaus der oppositionel-len Jobbik-Partei die Sozialhilfe gekürzt, was vor allem Angehörige der Roma-Minderheit trifft.

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Ungarns Parlamentssitz © Aleksandar Kosev - Fotolia.com

Die nicht der Regierung angehörende rechtsextre-me Jobbik-Partei hat bei den Parlamentswahlen 17 Prozent der Stimmen erhalten. Österreichischen Medienberichten zufolge hat die antiziganistische und antisemtische Jobbik eine „Bürgerwehr“ ge-gründet, die in den Dörfern „patrouilliert“, Symbole der ungarischen Faschisten der 1930er und 1940er Jahre verwendet und gezielt Gewalttaten gegen Roma verübt. Bereits in 2009 gab es in Ungarn eine Mordserie an Roma, auch Frauen und Kinder wur-den von Unbekannten ermordet. In einem ausführ-lichen Feature des ORF von Dezember 2010 heißt es: „Den rassistischen Tönen einer Jobbik hat die starke Regierungsfraktion unter Viktor Orbán bis-her nichts entgegengesetzt.“ Der Chefredakteur der deutschsprachigen ungarischen Zeitung Pester Lloyd, Marco Schicker, sprach Anfang März 2011 gegenüber Euractiv von einer tief sitzenden völki-schen Verirrung in seinem Land: „So wie die Sozia-listen sich einen Dreck um die Roma im Lande ge-kümmert haben, kalkulierten die Nationalkonser-vativen die politische Aufheizung des Landes als ihrem Machtanspruch entgegenkommend ein.“

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Europäische Kommission will Auskunft über be-triebliche Altersvorsorge

Am 15. Juli 2010 erklärte der Europäische Gerichts-hof (EuGH) die bisherige deutsche Vergabepraxis zur betrieblichen Altersversorgung in deutschen Kommunen für ungültig. Ab einem bestimmten Vergabevolumen müsse die Dienstleistung euro-paweit ausgeschrieben werden. Die Kommission verlangt nun Auskunft von Deutschland, welche Maßnahmen seit Verkündung des Urteils ergriffen wurden. Bislang sind der Tarifvertrag und die ent-sprechenden Rahmenverträge nach wie vor in Kraft.

Nach Bekanntgabe des Urteils hatte Frank Stöhr, Chef der dbb tarifunion, erklärt: „Wir gehen davon aus, dass die individuellen Vereinbarungen einzel-ner Beschäftigter zur Entgeltumwandlung weiter-hin gültig sind!“ An dieser Einschätzung hat sich seither nichts geändert. Alle vor dem 15. Juli, also vor der Urteilsverkündung, abgeschlossenen Ver-träge, sind nach wie vor gültig. Wichtig ist aber eine schnelle Klärung der von der Europäischen Kom-mission nun aufgeworfenen Fragen, um Rechtsun-sicherheit bei neuen Verträgen, sollten diese noch auf Grundlage alter Rahmenverträge geschlossen worden sein, zu vermeiden.

Die Würfel sind gefallen © Visual Concepts - Fotolia.com

Die vom EuGH für ungültig erklärte Klausel findet sich im Tarifvertrag von 2003. Sie besagt, dass die Entgeltumwandlung durch die kommunalen Ar-beitgeber über öffentliche Zusatzversorgungsein-richtungen, Mitglieder der Sparkassen-Finanzgruppe oder Kommunalversicherer erfolgt. Diese Beschränkung auf eine spezifische Gruppe von Anbietern ist laut EuGH unzulässig, wenn der Schwellenwert für das Vergabevolumen von der-zeit 193.000 Euro überschritten wird. Dann müsse eine europaweite Ausschreibung erfolgen.

Neue Strukturen für OLAF?

Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) soll reformiert werden. Laut dem für Be-trugsbekämpfung zuständigen EU-Kommissar Algirdas Šemeta geht es darum, das Amt zu stär-ken und die Zusammenarbeit mit den Gerichten der Mitgliedstaaten zu verbessern. Heftige Kritik kommt von der Berichterstatterin des Europapar-laments zur OLAF-Reform, Ingeborg Gräßle. Die Reformen trügen eher zu einer Schwächung der Betrugsbekämpfung als zu einer Stärkung bei. Sie kündigte weitere Verhandlungen mit der Kom-mission an.

Die Reformen stehen unter den Überschriften „verstärkte Rechenschaftspflicht“, „verstärkte Effizienz“ und „verbesserte Zusammenarbeit“. So soll zukünftig jede Person, gegen die ermittelt wird, eine Zusammenfassung ihres Falles erhalten und sich dazu äußern können, bevor Schlussfolge-rungen gezogen werden. Außerdem ist ein Prüf-verfahren für den Fall vorgesehen, dass Verfah-rensrechte verletzt werden. Alle Mitgliedstaaten sollen zudem eine einheitliche nationale Kontakt-stelle für OLAF benennen, um die Zusammenar-beit mit der Betrugsbekämpfungsbehörde zu erleichtern. Ebenfalls soll die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Polizeiamt (Europol) und der Einheit für justizielle Zusammenarbeit der Euro-päischen Union (Eurojust) verstärkt werden.

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Ihre Hauptkritik äußerte die CSU - Europaabge-ordnete Gräßle vor allem am geplanten Wechsel zu unverbindlicheren Regelungen, den es durch die Reform gäbe. „Die Kommission will in weiten Teilen die verbindlichen Zusammenarbeits- und Informationspflichten für die Mitgliedstaaten und das Europaparlament abschwächen. So kommen wir nicht zu einer besseren Betrugsbekämpfung in Europa“, so Gräßle. Sie vermisst klare Vorgaben für Statusberichte und Follow-up-Maßnahmen, wenn Verfahren nationalen Behörden übergeben werden. „Anstatt die Zusammenarbeit zwischen OLAF, den Ermittlungsbehörden der Mitgliedstaa-ten und dem Europaparlament zu systematisie-ren, schlägt die Kommission einen unstrukturier-ten Meinungsaustausch vor. Die Mitgliedstaaten sollen aber gerade nicht bis zur Verjährung vor sich hin ermitteln dürfen“, forderte die CSU-Abgeordnete.

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Ondracek lobt Pläne zur Körperschaftsteuer

„Dies ist ein erster Schritt, um Steueroasen in Europa auszutrocknen“, lobte der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DSTG) Dieter Ondracek die Pläne der Europäischen Kommission zur Vereinfachung der Körperschaftsteuererhe-bung. Die Kommission will mit diesem Vorschlag den Verwaltungsaufwand vor allem für kleine und mittlere Unternehmen senken und für mehr Rechtssicherheit in Europa sorgen. Die EU-Mitgliedstaaten sollen deshalb ein System der „Gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteu-er-Bemessungsgrundlage“ - kurz GKKB genannt – schaffen. Auf dieser Grundlage könnten grenz-überschreitend tätige Unternehmen zukünftig nur noch bei einer einzigen Stelle ihre Steuerer-klärung einreichen.

Dieter Ondracek begrüßt die Initiative der Europä-ischen Kommission, fordert aber weitere Schritte: „Die GKKB wird auf Dauer nur dann einen erfolg-reichen Beitrag gegen Steuerdumping leisten, wenn wir daneben die Körperschaftsteuersätze in Europa stärker harmonisieren. Bislang machen einige wenige Länder, wie Irland, noch Politik auf Kosten der anderen“, beklagt der Chef der Steuer-Gewerkschaft. Es müsse dringend zu einer Har-monisierung der Mindeststeuersätze kommen, ein Wettbewerb nach unten schade auf Dauer allen Staaten. „Die Kommission will die GKKB nicht verbindlich machen. Das führt aber erst einmal zu mehr Durcheinander bei Unternehmen und Verwaltung“, so Ondracek.

Dieter Ondracek

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Wichtig seien auch einheitliche Kriterien für die Betriebsprüfung. Lasche oder gar keine Außenprü-fungen dürften keinen unternehmerischen Standortvorteil darstellen. „Große Unternehmen habe schon jetzt kein Problem, grenzüberschrei-tend tätig zu werden. Aber wenn kleine und mitt-

lere Unternehmen gefördert werden sollen, dann muss es auch eine tatsächliche Vereinfachung des Systems geben“, so Ondracek. Er ermahnt die Kommission, dass es nicht bei diesen ersten wich-tigen Schritten in die richtige Richtung bleiben dürfe, ein Formelkompromiss könne am Ende mehr schaden als nutzen: „Die letzten zehn Jahre haben wir diese Reform diskutiert. Nun müssen wir auch die letzten Meter gehen, um die GKKB zu einem wirklichen Erfolg werden zu lassen.“

Bologna quo vadis? Teil 4: Bologna-Prozess und dbb-jugend

„Bologna bereitet nach wie vor viele praktische Probleme im Alltag. Zweckoptimismus ist an dieser Stelle das falsche Signal“, kritisierte die Vorsitzende der dbb-jugend, Sandra Hennig, eine Bestandsaufnahme der Bildungsminister der Länder zum Bologna-Prozess. Am 10. März hatte die Kultusministerkonferenz eine Erklärung zum Stand der Umsetzung der Reformen zur Schaf-fung eines einheitlichen europäischen Hochschul-raumes verabschiedet. Die Minister kommen zu einem grundsätzlich positiven Fazit, sehen aber auch weiteren Reformbedarf.

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Sandra Hennig sieht die Erklärung skeptisch: „Im Grunde läuft es auf ein `Weiter so´ hinaus.“ Dabei habe sich klar gezeigt, dass nicht alle Reformen auch zum Ziel geführt hätten. Statt die Vorgaben ungefragt zu übernehmen, rät sie zu mehr Vielfalt im deutschen Hochschulraum: „Viele Bildungs- und Ausbildungswege haben sich bewährt. Ich halte nichts davon, pauschal alles über einen Kamm zu scheren.“ Bildung sei nicht immer gleich Bildung. „Bei der Ausbildung im öffentlichen Dienst muss bei jeder Laufbahnrichtung genau hingeschaut werden, ob man neue Wege be-schreiten sollte, oder beim Diplom bleibt“, so Hennig.

Die Bildungsminister der Länder werten die Bo-logna-Reformen trotz aller Probleme im Ganzen als Erfolg. So sei das Ziel, bis 2010 das Studienan-gebot auf eine gestufte Struktur – also Bachelor und Master – umzustellen bei 82 Prozent des Studienangebots bereits umgesetzt worden. In-nerhalb der neuen Strukturen komme es aber nach wie vor zu Problemen. So müsse zukünftig die Prüfungsdichte reduziert und die Mobilität der Studierenden einschließlich einer Vereinfachung der Anerkennung von Studien- und Prüfungsleis-tungen verbessert werden. „Bologna hat gerade

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im Hochschulbereich viele Vorteile gebracht. Mo-bilität und Vergleichbarkeit sind wichtige Fort-schritte“, lobt die Chefin der dbb-jugend die Grundidee der Reformen.

Dennoch müsse noch viel getan werden. Häufig scheitere die Umsetzung. „Viele Studenten haben ein viel zu straffes Studienprogramm. Da bleibt selten Zeit für ein, oder gar zwei Semester im Ausland“, beklagt Hennig. Außerdem werde auch die Mobilität innerhalb eines Landes einge-schränkt. Ein Wechsel während des Studiums sei aufgrund der speziellen Fachkombinationen häu-fig nicht mehr möglich. „Dann bleibt nur noch der Wechsel nach dem Bachelor auf eine andere Uni-versität für den Master“, so Hennig. Dies sei aber kein Mehr an Mobilität, sondern häufig eher eine Einschränkung.

Sandra Hennig: „Bildung braucht Vielfalt“

© dbb 2011

Zudem kritisiert Hennig „die starre Blickrichtung“ der Kultusminister. Statt nur auf den Hochschul-bereich zu schauen, müsse auch die Ausbildung in der Verwaltung wieder mehr Beachtung finden. So habe der Bologna-Prozess viele wichtige Ak-zente gesetzt wie zum Beispiel eine praxisnahe Ausbildung, aber dies sei so nicht eins zu eins auf den Ausbildungsbereich übertragbar: „Bislang hatten wir mit der dualen Ausbildung schon ein gutes Modell, das jetzt nicht einfach vernachläs-sigt werden darf“, fordert Hennig. Die Ausbildung müsse auch weiter am konkreten Berufsalltag orientiert sein: „Manche Bachelorkonzepte sind zum Beispiel so vollgepackt, dass die Praxis erst recht zu kurz kommt.“ Deshalb sei es ein wichti-ges Signal, dass die Minister auf die Gestaltungs-spielräume und die Flexibilität in den Strukturvor-gaben hingewiesen hätten. „Es kann nie eine

passgenaue Lösung für alle geben. Bildung braucht Vielfalt“, bekräftigt Hennig ihre Forde-rung nach flexibleren Lösungsansätzen.

Zudem weist die jugend-Chefin darauf hin, dass es gerade bei der Ausbildung im öffentlichen Dienst nicht immer auf internationale Vergleich-barkeit ankomme: „Häufig findet die Ausbildung direkt in der Verwaltung statt und ist speziell auf die einzelnen Behörden und Fachrichtungen aus-gerichtet. Die Einführung eines Bachelors bringt hier keine Vorteile.“ Insgesamt sei es wichtig, Ruhe in die Strukturen zu bekommen. In vielen Bundesländern habe es in den vergangenen Jah-ren Ausbildungsreformen gegeben, nicht zuletzt um die Bologna-Vorgaben umzusetzen. „Nun muss etwas Ruhe einkehren, die vielfältigen Strukturen sollen sich jetzt bewähren können. Neue Strukturen alle paar Jahre bringen zu viel Unruhe und schaden nicht zuletzt der Qualität der Ausbildung“, zeigt sich Hennig überzeugt.

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Grünwoldt: Mindeststandards bei Mobilität von Lokomotivführern einhalten

„Ohne ausreichende Zugangsvoraussetzungen zu erfüllen, sollte niemand Triebfahrzeugführer werden“, kritisiert der stellvertretende Vorsitzen-de der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) Sven Grünwoldt die geplante Umsetzung der EU-Richtlinie über die Zertifizierung von Trieb-fahrzeugführern in deutsches Recht. Deshalb solle der Bundesrat den Plänen auf keinen Fall zustim-men. Zwar müsse die Richtlinie binnen zwei Mo-naten in deutsches Recht umgesetzt werden, die jetzigen Vorlagen entsprächen aber nicht einmal den von der Europäischen Kommission geforder-ten Mindeststandards. Ziel der Richtlinie ist eine verbesserte Mobilität von Lokführern innerhalb der Europäischen Union.

Die Richtlinie 2007/59/EG vom 23. Oktober 2007 regelt die Zertifizierung von Triebfahrzeugfüh-rern, die Lokomotiven und Züge im Eisenbahnsys-tem in der Gemeinschaft führen. Sie muss inner-halb der nächsten zwei Monate vollständig in nationales Recht umgesetzt werden. Ein Teil der Umsetzung erfolgte in Deutschland bereits 2009 durch das Sechste Gesetz zur Änderung eisen-bahnrechtlicher Vorschriften. Zudem sollen weite-re Vorschriften durch den Erlass der so genannten Triebfahrzeugführerscheinverordnung (TfV) über die Erteilung der Fahrberechtigung an Triebfahr-zeugführer in deutsches Recht umgesetzt werden.

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Die Umsetzung der TfV ist bereits weit fortge-schritten, lediglich die abschließende Befassung des Bundesrates steht noch aus. Diese soll am 15. April 2011 erfolgen. Die GDL hat sich mit ihren Stellungnahmen und in Gesprächen umfassend zur Umsetzung der Richtlinie durch das Sechste Eisenbahnrechtsänderungsgesetz und die TfV geäußert.

„Viele Vorgaben sind sehr sorgfältig umgesetzt worden“, so Grünwoldt. Dennoch sehe er große Mängel in der jetzigen Vorlage: „Besonders kri-tisch ist die Umsetzung der in Artikel 11 der Richt-linie vorgesehenen grundlegenden Anforderun-gen zum Triebfahrzeugführerbewerber.“ Die Be-werber müssten eine mindestens neunjährige Schulausbildung (Primar- und Sekundarstufe) sowie eine erfolgreich abgeschlossene Berufsaus-bildung haben. Diese Klärung sei in Deutschland nicht erfolgt. „So ist es möglich, lediglich mit ei-nem Primarschulabschluss und ohne erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung in die Trieb-fahrzeugführerausbildung einzutreten und bei bestandener Prüfung anschließend als Lokführer eingesetzt zu werden“, kritisiert der stellvertre-tende GDL-Vorsitzende.

Sven Grünwoldt

© GDL 2011

Die GDL fordert vom Bundesrat, die TfV in der vorliegenden Form nicht in Kraft zu setzen, weil sie den in der Richtlinie geforderten Mindeststan-dards nicht gerecht werde. Wenn dies dennoch geschehe, werde die GDL ihre Kritik weitertragen. „Sollte der Bundesrat die TfV ratifizieren, werden wir umgehend die Europäische Kommission über unsere Kritikpunkte informieren“, so Grünwoldt.

Wildfeuer lobt Entscheidung zu Unisex-Tarifen

„Der Zugewinn an Gerechtigkeit darf jetzt nicht durch höhere Prämien abgewertet werden“, for-dert die Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertre-tung Helene Wildfeuer. Der Europäische Gerichts-hof (EuGH) hatte in einem Urteil festgelegt, dass private Versicherer ab dem 21. Dezember 2012 gleiche Tarife für Männer und Frauen anbieten müssen. Wildfeuer ermahnt die Versicherer, dies nicht für eine allgemeine Preiserhöhung zu nutzen, stabile Tarife müssten gewährleistet bleiben.

Grundsätzlich sei die Entscheidung des EuGH zu begrüßen, da das Geschlecht als gesonderter Risi-kofaktor künftig keine Rolle mehr spielen dürfe. „Das Urteil ist eine starke Vorgabe, die bei der Ver-teilung der Versicherungslasten zu mehr Gleichbe-rechtigung führen muss“, zeigt Wildfeuer sich überzeugt. Der Richterspruch des EuGH vom 1. März 2011, der unterschiedliche Versicherungstari-fe für Männer und Frauen verbietet, bezieht sich auf die EU-Gleichstellungsrichtlinie von 2004. Diese sah vor, dass bereits ab Dezember 2007 keine Ge-schlechtsunterschiede bei Versicherungen ge-macht werden dürften.

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Helene Wildfeuer

© dbb bundesfrauenvertretung 2011

Nach Ablauf von fünf Jahren soll die Umsetzung überprüft werden. Eine Preisangleichung nach oben lehnt Wildfeuer allerdings kategorisch ab. Es sei nicht im Sinne des Urteils, wenn Frauen zukünf-tig mehr für eine Lebensversicherung zahlen und Männer dafür bei der Kfz-Versicherung drauflegen müssten. Um dies zu verhindern, sei es wichtig, dass zukünftig alle Berechnungsgrundlagen für angekündigte Tariferhöhungen offen gelegt wür-den. „Die Bundesregierung muss ihrer Kontrollauf-gabe nachkommen und Preissteigerungen verhin-dern“, so Wildfeuer.

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unter anderen mit

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder MdB,

der Parlamentarischen Geschäftsführerin von Bündnis 90/ Die Grünen Britta Haßelmann MdB

und

Peter Altmaier MdB, Präsident der Europa-Union Deutschland, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

sowie einer Informationsbörse mit zahlreichen Akteuren der deutschen und europäischen Zivilgesellschaft

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CESI und UFE vereinbaren Zusammenarbeit

Die Union des Finanzpersonals in Europa (UFE) mit ihren etwa 400.000 Einzelmitgliedern hatte bereits im Herbst einer stärkeren Zusammenar-beit mit der CESI zugestimmt, nun wurde die Kooperationsvereinbarung durch die beiden Präsidenten – Peter Heesen für die CESI und Serge Colin für die UFE – unterzeichnet. Bereits im September hatte Heesen auf der Vollver-sammlung der UFE auf die großen Gemeinsam-keiten der beiden Dachverbände hingewiesen: „Unabhängigkeit ist unser höchstes Gebot, Unabhängigkeit von Regierungen und Parteien. Wir sind allein dem Wohl unserer Mitglieder verpflichtet!“ Beide Organisationen wollen sich nun in ihrer europäischen Arbeit mit den jewei-ligen Kompetenzen unterstützen. So können die gemeinsamen Interessen gegenüber der EU besser durchgesetzt und die Sacharbeit in den Gremien der beiden Organisationen durch den beiderseitigen Austausch unterstützt werden.

Kooperationspartner: Helmut Müllers, Serge Colin, Peter

Heesen, Dieter Ondracek und Klaus H. Leprich (v.l.n.r.) © CESI 2011

Peter Heesen begrüßt Andors Bekenntnis zum sozialen Dialog

„Gut, dass die Europäische Kommission in aller Offenheit anerkennt, dass es ohne den sozialen Dialog nicht geht“, kommentierte Peter Hee-sen, der Präsident der Europäischen Union der unabhängigen Gewerkschaften CESI, aktuelle Äußerungen von EU-Kommissar László Andor. Der für Beschäftigung, Soziales und Integration zuständige Kommissar hat Anfang März in Brüssel einen Bericht zu den Arbeitsbeziehun-gen in Europa 2010 vorgestellt. „Die Krise be-

wältigen diejenigen Mitgliedstaaten erfolg-reich, in denen die Sozialpartnerschaft am stärksten ausgeprägt ist“, hatte der Kommissar dabei erklärt.

Besorgt zeigt sich CESI-Präsident Heesen, der auch Bundesvorsitzender des dbb ist, über den deutlichen Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrads in Europa: „Der dbb hat in den vergangenen Jahren seine Mitgliederbasis ausbauen können. Deshalb sind wir ein starker Gesprächspartner in Tarifverhandlungen und gegenüber der Regierung. Ich hoffe, dass sich diese Erkenntnis auch wieder mehr bei den Beschäftigten in anderen Ländern durchsetzt und sie sich gewerkschaftlich stärker engagie-ren.“

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Peter Heesen: Sozialer Dialog ist Grundpfeiler der Demokratie © dbb 2011

Deutliche Kritik übte Kommissar Andor an den mittel- und osteuropäischen Staaten, in denen die Sozialpartnerschaft noch nicht stark genug sei. Unterstützung erhält er dabei von CESI-Präsident Heesen: „Hier ist noch viel aufzuho-len. Die Arbeitnehmer werden in ihren Forde-rungen weder von den Regierungen noch von den Arbeitgebern ernst genug genommen.“ Besonders besorgniserregend sei vor allem die Situation der Gewerkschaften in Ungarn, die Heesen bereits Anfang des Jahres in einem Brief an Premierminister Viktor Orbán kritisiert hat-te: „Es kann nicht sein, dass eine Regierung sich über Monate weigert, mit den Gewerkschaften zu reden. Der soziale Dialog ist ein Grundpfeiler der Demokratie in Europa. Die Antwort auf die Krise kann nur ein selbstbewusster Dialog zwi-schen den Sozialpartnern in allen Ländern Eu-ropas sein.“

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Klaus Dauderstädt fordert EU-Kommission zum Umdenken auf

Die Europäische Union ist in den vergangenen zwei Jahren erst in eine Wirtschafts- und dann in eine Schuldenkrise geraten. Die EU-Kommission will dennoch bis 2020 der Vollbeschäftigung zu-mindest deutlich näher kommen. Der dbb kriti-siert in einer Stellungnahme vom 22. Februar 2011 die überholten arbeitsmarktpolitischen Konzepte der Kommission, die in einer aktuellen Mitteilung immer noch vorrangig auf Flexicurity setzt. Der Vorsitzende des Sozialausschusses der CESI (SOC) und stellvertretende dbb Vorsitzende Klaus Dauderstädt fordert ein Umdenken.

Die Europäische Kommission will auch in Zukunft auf das umstrittene Flexicurity-Modell setzen. „Flexicurity war nie die Lösung für die Probleme auf dem Arbeitsmarkt, sie ist es nicht und wird es auch nie sein“, ist Klaus Dauderstädt überzeugt. „In der Krise hat sich gezeigt, dass es nicht die Flexibilität ist, die Arbeitsplätze sichert, sondern die Verlässlichkeit auf Seiten der Arbeitnehmer und auf Seiten der Arbeitgeber“, so der SOC-Vorsitzende.

Die Mitteilung der Kommission unter dem Titel „Eine Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten: Europas Beitrag zur Vollbeschäftigung“ zeigt laut Dauderstädt aber auch, dass langsam ein Umdenken einsetze: „Ich begrüße, dass die Kommission mittlerweile von der externen Flexibilität abrückt und mehr auf Maßnahmen der internen Flexibilität – wie zum Beispiel ein Kurzarbeitergeld – setzt.“

Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik sind aber aus Sicht des dbb weniger arbeitsmarktpolitische Theorien, sondern die faktische Politik entschei-dend. Diese Politik wird in den Mitgliedstaaten entschieden, da die Sozialpolitik im Kern Aufgabe der einzelnen Staaten ist. Dauderstädt ergänzt: „Wir können nicht so tun, als ob ein Modell wie die Flexicurity - das durchaus in Dänemark funkti-oniert haben mag – nun eins zu eins auf alle Län-der der Europäischen Union übertragen werden könnte. Wir brauchen maßgeschneiderte Lösun-gen. Und diese können nach wie vor am besten in den Mitgliedstaaten gefunden werden.“

Begrüßenswert ist für den SOC-Vorsitzenden der klare Hinweis der Kommission, dass Arbeits-marktmaßnahmen nur dann erfolgreich seien, wenn sie die Marge für Konsens und Vertrauen zwischen den Sozialpartnern nicht verkleinern. Dauderstädt verweist darauf, dass vor allem die

deutschen Arbeitnehmer in den vergangen Jahren durch eine vielfache Lohnzurückhaltung einen großen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft geleistet hätten. Dieser Verzicht müsse aber nun im Gegenzug auch ent-sprechend ausgeglichen werden: „Deutschland steht wirtschaftlich gut da, ist schnell aus der Krise gekommen. Es wird nun Zeit, dass die Ar-beitnehmer das auch im Geldbeutel spüren kön-nen.“

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Klaus Dauderstädt begrüßt Abkehr von der externen Flexibilität © dbb 2011

Die Europäische Kommission müsse in ihrem Ziel, die Beschäftigungsquote in Europa zu erhöhen, unterstützt werden, so Dauderstädt. Dabei sei aber entscheidend, wie neue Arbeitsverhältnisse gestaltet werden. „Eine höhere Beschäftigungs-quote darf nicht auf Kosten der Normalarbeits-verhältnisse gehen“, fordert der stellvertretende dbb Vorsitzende. Arbeitsverhältnisse, die den Arbeitnehmer von zusätzlichen staatlichen Leis-tungen abhängig machen, dürften nicht das Ide-albild des Arbeitsmarktes werden. Dazu gehörten zwingend verlässliche tarifvertragliche Arbeitsbe-dingungen und klare Kündigungsschutztatbe-stände, so Dauderstädt weiter.

Die Ausweitung atypischer Arbeitsverhältnisse diene nicht einer besseren Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf; sie unterlaufe Tarifbindungen und leiste in vielen Fällen Lohn- und Sozialdum-ping Vorschub: „Eine ehrliche Strategie zur Schaf-fung von Vollbeschäftigung muss auch klar sagen, wie sie die soziale Dimension wahren will. Es ist auf längere Sicht niemandem geholfen, wenn wir eine statistische Vollbeschäftigung durch die Verdrängung von Normalarbeitsverhältnissen zu Gunsten von prekärer und instabiler Arbeit errei-chen“, mahnt Dauderstädt.

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Versetzung gefährdet? Schulabbruch in Europa

Der CESI-Berufsrat Kultur, Bildung, Forschung und Jugend (EDUC) stand am 17. März ganz im Zei-chen von Schulabbruch und Sitzenbleiben. Anlass waren gleich mehrere Initiativen und Berichte auf europäischer Ebene, die sich mit diesen Problema-tiken beschäftigen. Vor allem im Rahmen der Strategie Europa 2020 sollen diese Probleme eu-ropaweit angegangen werden. In der Diskussion wurden aber auch die nationalen Unterschiede deutlich. Während einige Länder zum Beispiel beim Schulabbruch seit Jahren auf sehr hohem Niveau verharren, haben andere deutlich niedri-gere Quoten erreicht.

In den Diskussionen stand nicht nur die Frage im Raum, wie Sitzenbleiben und Schulabbruch ver-hindert werden können, sondern auch, welche Rolle die Qualität der Bildung dabei spielt. Einig waren sich die Teilnehmer, dass eine niedrigere Sitzenbleiberquote dann wertlos sei, wenn diese auf gesunkenen Anforderungen beruhten. Eine aktuelle Studie des EURYDICE-Netzwerks, das Informationen und Analysen zu europäischen Bildungssystemen und -politiken erstellt, kommt zu dem Schluss, dass es sehr von der Bildungsphi-losophie in einem Land abhänge, ob ein Schüler sitzenbleibe oder nicht. In den Ländern, in denen die Quote besonders hoch sei, sei auch der Glaube weit verbreitet, das Wiederholen einer Klasse könne den Lernerfolg steigern.

Das Problem des vorzeitigen Schulabbruchs ist ebenso ungleich in Europa verteilt. Während vor allem in den nordischen Ländern die Quote relativ gering ist und bei etwa zehn Prozent liegt, haben hauptsächlich die südlichen Länder wie Spanien, Portugal und Malta – alle liegen über 30 Prozent – ein schwerwiegendes Problem. In einer Mitteilung der Europäischen Kommission unter dem Titel „Bekämpfung des Schulabbruchs – ein wichtiger Beitrag zu Agenda Europa 2020“ wird erläutert, wie eine Absenkung der Schulabbrecherquote in Europa bis 2020 auf zehn Prozent erreicht werden kann. Die Kommission schlägt unter anderem vor, auf Basis der existierenden EU-Programme und unter strikter Beachtung der Bildungshoheit der Länder, Maßnahmen zu ergreifen, die auf die individuelle Situation der Schüler zugeschnitten sind. Unabhängig von nationalen Unterschieden ruft die Kommission die Mitgliedstaaten auf, sozi-aler Segregation entgegenzuwirken und flexible Bildungswege anzubieten.

Schutz der Zollmitarbeiter vor Strahlung

Als die Mitglieder des CESI-Berufsrats Zentral-verwaltung und Finanzen am 23. März in Lu-xemburg tagten, wurde das Ausmaß der nuklea-ren Katastrophe in Fukushima nach und nach immer deutlicher. Selbst weit außerhalb der direkten Umgebung des Kraftwerks wurden stark erhöhte Strahlenwerte gemessen. Auch wenn Europa nicht unmittelbar betroffen ist, werden die Mitarbeiter der Zollbehörden in den nächsten Wochen und Monaten einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sein, da sie für die Prüfung von Flugfracht auf Strahlung verantwortlich sind. Um auf diese Problematik hinzuweisen, hat der Generalsekretär der CESI, Helmut Müllers, den zuständigen EU-Kommissar Algirdas Šemeta in einem Brief aufgefordert, die Strategie der EU zum Schutz der Arbeiter offenzulegen.

Die Mitglieder des Berufsrats wiesen darauf hin, dass die Mitarbeiter des Zolls häufig nicht aus-reichend für den Umgang mit gefährlichen Stof-fen und Strahlung ausgebildet seien. Die Gefah-ren gingen zwar nur äußerst selten von nuklea-rer Strahlung aus, aber der Umgang mit Pestizi-den und anderen Chemikalien sei ein alltägliches Problem, auf das der Zoll in vielen Ländern nur ungenügend vorbereitet sei. Dennoch sei auch in der jetzigen Krisensituation zu beobachten, dass nicht alle Länder entsprechende Vorsorgemaß-nahmen in die Wege geleitet hätten. Die EU müsse deshalb eine koordinierende Rolle ein-nehmen, um gleiche Schutzstandards innerhalb der EU zu garantieren.

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Ein weiteres Problem, das der Berufsrat auf sei-ner Sitzung in Luxemburg diskutierte, ist der Personalmangel in der Finanzverwaltung. Die Verwaltungen vieler Länder haben stark unter den Sparmaßnahmen der jeweiligen nationalen Regierung gelitten. Die immer komplexeren Gesetze müssen nun von immer weniger Ange-stellten in immer kürzerer Zeit umgesetzt wer-den. Angesichts weiterer angekündigter Kürzun-gen in den öffentlichen Verwaltungen vieler Länder ist eine Verschärfung dieser Situation zu erwarten. Dies schadet aber auch bereits schon auf kurze Sicht der vor allem in Zeiten wirt-schaftlicher Krisen besonders wichtigen Hand-lungsfähigkeit der Staaten.

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Fukushima-Spezial

Das Reaktorunglück hat nicht nur in Japan für Entsetzen gesorgt, bis nach Europa reichen die Auswirkungen der Katastrophe. Eine unmittelba-re Gefahr für Europa besteht - im Gegensatz zu dem Tschernobyl-Unglück 1986 - nicht. Dennoch haben die Vorfälle in Japan zu verschärften politi-schen Diskussionen geführt und auch direkte Auswirkungen auf die Verbraucher. Ein kurzer Überblick.

Stresstest für europäische Kraftwerke

Als Ministerpräsident von Baden-Württemberg hatte er noch selbst vier Kernkraftwerke in seinem Land – nun kündigte der heutige EU-Energiekommissar Günther Oettinger „Stress-tests“ für alle europäischen Atommeiler an. Noch dieses Jahr soll auf Basis einheitlicher Kriterien bei allen Kraftwerken die Sicherheit überprüft wer-den. Wenn der Test nicht bestanden werde, müs-se das AKW vom Netz genommen werden. Der Test ist allerdings freiwillig. Innerhalb der EU gibt es insgesamt 145 aktive Kernreaktoren, davon sieben in Belgien, zwei in Bulgarien, 17 in Deutschland, vier in Finnland, 59 in Frankreich, einer in den Niederlanden, zwei in Rumänien, zehn in Schweden, fünf in der Slowakei, einer in Slowenien, acht in Spanien, sechs in Tschechien, vier in Ungarn und 19 im Vereinigten Königreich. Neben Deutschland will auch Belgien langfristig auf die Atomenergie verzichten. In Finnland, Frankreich und der Slowakei befinden sich neue Reaktoren im Bau, andere EU-Länder, wie zum Beispiel Polen, planen den Einstieg in die Atom-energiegewinnung.

Wie sicher sind Lebensmittel aus Japan?

Bislang wurden bei importierten Lebensmitteln aus Japan keine besorgniserregenden Strahlen-werte entdeckt. Die Kontrollen wurden seit dem Reaktorunglück von Fukushima erheblich ausge-weitet. Dennoch sorgt nun eine Entscheidung der Europäischen Kommission für Aufregung: statt die geltenden Grenzwerte zu bestätigen, wurden sie auf Grundlage einer fast 25 Jahre alten Durch-führungsverordnung beinahe verdoppelt. Dies ist deshalb möglich, weil im Falle „eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Not-standssituation“ die Grenzwerte angehoben wer-den müssen. Die Verordnung stammt aus dem Jahr nach dem GAU in Tschernobyl. Diese alte Bestimmung wurde am 25. März durch eine ent-sprechende Durchführungsverordnung in Kraft gesetzt.

Zoll erhöht Kontrollen

Die verschärften Kontrollen von Fracht auf Strah-lenbelastung fordern auch den Zoll. Da täglich mehrere Maschinen aus Japan an deutschen Flughäfen landen, ist der Zoll nun dazu überge-gangen, alle Frachtstücke bereits auf dem Rollfeld auf erhöhte Belastung zu überprüfen. Allein am Frankfurter Flughafen kommen täglich bis zu zehn Maschinen aus Japan an. Bislang wurden aber keine unzulässig erhöhten Werte gemessen.

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„German Angst“ oder Weltzeitenwende? © Franz Metelec - Fotolia.com

EU-Kommissarin beklagt mangelnde Information

Die EU-Kommissarin für Humanitäre Hilfe, Kristali-na Georgiewa, hat sich Ende März im Katastro-phengebiet in Japan ein Bild von der Lage gemacht. Nach ihrer Einschätzung fühle sich die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten nicht ausreichend über die Gefahren informiert, die durch den Reak-torunfall drohen könnten. So gebe es noch zu we-nig aktuelle Messungen in den einzelnen Orten. Zudem seien die Menschen besorgt, dass es einen dauerhaften Schaden für die Wirtschaft geben könne, da vor allem ihre landwirtschaftlichen Er-zeugnisse pauschal als gefährlich eingestuft wür-den und für den Export gesperrt seien.

Europas Häfen bereiten sich vor

Vereinzelt wurde bereits an Flugzeugen aus Japan eine erhöhte Strahlung gemessen, nun bereiten sich auch die europäischen Häfen auf die ersten Frachtschiffe aus Japan vor. Es gibt Hinweise da-rauf, dass einzelne Schiffe eine zu hohe Strahlen-belastung aufweisen könnten. Unklar ist aber, ab welchem Wert diese als bedrohlich eingestuft werden soll. Europäische Richtwerte gibt es für solche Fälle nicht. Stattdessen legen die großen Seehäfen nun individuelle Grenzwerte fest, die entsprechend vor dem Einlaufen der Schiffe in den Hafen gemessen werden sollen.

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Bürgerschaftliches Engagement in und für Europa

Von Matthias Petschke, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland

Europa profitiert von seiner starken Zivilgesell-schaft. Diese wird in erster Linie von freiwilligem Engagement getragen und ist äußerst vielfältig. Kulturelle und sportliche Aktivitäten fördern den sozialen Zusammenhalt. Wohlfahrts- und Sozial-verbände leisten einen wesentlichen Beitrag für die Leistungsfähigkeit von Gesundheits-, Sozial- und Pflegeeinrichtungen. Der Einsatz der ehren-amtlichen Gewerkschafter in den Betrieben hat hohe gesellschaftspolitische Bedeutung. Schließ-lich tragen Organisationen, die sich der Vermitt-lung der europäischen Werte, der Umsetzung der europäischen Programme und der Bildungsarbeit verschrieben haben, in großem Maße zur europä-ischen Identitätsbildung bei.

Auch im Vertrag von Lissabon wird die Bedeutung der europäischen Zivilgesellschaft in Artikel 11 EUV dadurch gewürdigt, dass die Organe der Union einen offenen, transparenten und regel-mäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbän-den und der Zivilgesellschaft pflegen sollen. Sie ist damit ein wichtiges Bindeglied zwischen der eu-ropäischen politischen Ebene und den Bürgern. Zivilgesellschaftliche Akteure werden mit Sicher-heit auch bei der Umsetzung des neuen Instru-ments der Bürgerinitiative eine wichtige Rolle spielen und damit über nationale Grenzen hin-ausgehende europäische Debatten fördern.

Eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene und 2010 veröffentlichte Studie hat ergeben, dass sich über 90 Millionen Europäer, das sind 23 Prozent der über 15-Jährigen, an Frei-willigentätigkeiten beteiligen. Die Unterschiede zwischen den EU-Staaten sind groß, wobei sich in den nördlichen Mitgliedstaaten überdurchschnitt-lich viele Menschen engagieren. Die Studie zeigt auch die große wirtschaftliche Bedeutung des Ehrenamts. Der wirtschaftliche Nutzen von Frei-willigentätigkeit macht in einigen Mitgliedstaaten über 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Laut Eurobarometer sind mit 34 Prozent die meis-ten Freiwilligen in der EU in Sport- und Freizeit-vereinen aktiv. 22 Prozent betätigen sich in Bil-dungsverbänden, in Kunst-, Musik- oder kulturel-len Vereinen. Immerhin 16 Prozent arbeiten eh-renamtlich in religiösen und kirchlichen Vereini-gungen. 17 Prozent der Europäerinnen und Euro-

päer engagieren sich in Wohlfahrts- und Sozial-verbänden. Und gut jeder Siebte ist ehrenamtli-ches Mitglied einer Gewerkschaft.

In Europa sind mehr Männer als Frauen freiwillig tätig. Obwohl die Zahl der freiwillig tätigen älte-ren Menschen steigt, sind überwiegend Europas Erwerbstätige ehrenamtlich aktiv. Zudem besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Bil-dungsniveau und Beteiligung an ehrenamtlichem Engagement.

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k Matthias Petschke © Europäische Kommission, 2011

Am 27. November 2009 hat der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments das Jahr 2011 zum "Eu-ropäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit zur För-derung der aktiven Bürgerschaft" ausgerufen. Damit will die Europäische Union die Freiwilligen-tätigkeit stärker ins öffentliche Bewusstsein rü-cken und die Bemühungen der Mitgliedstaaten zur Förderung von freiwilligem Engagement durch den Austausch von Erfahrungen und be-währten Verfahren unterstützen.

Die Europäische Union unterstützt seit langem die grenzüberschreitende Mobilität von Freiwilligen jeden Alters. Dazu gehören das Programm für lebenslanges Lernen, das Programm "Europa für Bürgerinnen und Bürger zur Förderung einer akti-ven europäischen Bürgerschaft" und der Europäi-sche Freiwilligendienst des Programms "Jugend in Aktion".

Das Europäische Jahr bietet nun die Gelegenheit deutlich zu machen, dass Freiwilligentätigkeit die aktive Bürgerschaft stärkt und das Zusammenge-hörigkeitsgefühl und das gesellschaftliche Enga-gement in Europa verbessert. Das Europäische Jahr soll für den Wert des Ehrenamts sensibilisie-ren und dazu beitragen, günstige Rahmenbedin-gungen für bürgerschaftliches Engagement in der EU zu schaffen.

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Zu den Rahmenbedingungen gehört, dass das Engagement der Europäerinnen und Europäer nicht durch bürokratische Hürden behindert wird. Ein Kernziel ist die bessere gesellschaftliche, aber auch berufliche Anerkennung von Freiwilligentä-tigkeit sowie die Sensibilisierung für den Wert von Freiwilligentätigkeiten für den sozialen Zusam-menhalt.

„Kooperation mit dem dbb beamtenbund und tarifunion

und der Europa-Union Deutschland“ © Europäische Kommission, 2011

Hunderte Projekte und Veranstaltungen finden europaweit während des Europäischen Jahres statt. Die Europäische Kommission fördert den grenzüberschreitenden Austausch und Synergien zwischen Freiwilligenorganisationen und Unter-nehmen. In den Mitgliedstaaten sind die jeweili-gen nationalen Koordinierungsstellen in Koopera-tion mit der Zivilgesellschaft für Veranstaltungen, Projekte und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. In Deutschland ist das Bundesministerium für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend federführend. Für die operative Umsetzung der Aktivitäten wur-de eine Geschäftsstelle bei der Bundesarbeitsge-meinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) eingerichtet.

Auf europäischer Ebene sind diverse Aktivitäten geplant. Während der "EYV (European Year of Volunteering) 2011 Tour" reisen Freiwillige durch Europas Hauptstädte und verweilen dort jeweils einige Tage auf zentralen Plätzen. Während jeder Station ihrer Reise stellen sie ihre Arbeit vor, füh-ren Gespräche mit politischen Entscheidungsträ-gern und diskutieren mit der Öffentlichkeit. In Berlin wird die Tour im Oktober gastieren.

27 freiwillige "Staffel-Reporter" begleiten die Ar-beit von 54 Freiwilligenorganisationen in Europa. Sie berichten darüber in den Medien und erarbei-ten außerdem einen Dokumentarfilm, der am Ende des Jahres über das Europäische Jahr und die Tour informieren wird. Darüber hinaus finden

während des Jahres Fachkonferenzen in Budapest, Brüssel, Athen und Warschau zum Thema Freiwil-ligentätigkeit statt.

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Die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland führt in Berlin am 13. April 2011 in Kooperation mit dem dbb beamtenbund und tarifunion und der Europa-Union Deutschland den Europäischen Abend „Bürgerschaftliches Enga-gement: Miteinander für und in Europa" mit einer Informationsbörse von Freiwilligenorganisationen durch.

Handfeste Herausforderungen für den wachsen-den Freiwilligensektor liegen vor allem in der Schaffung besserer nationaler rechtlicher Rah-menbedingungen für ehrenamtliche Tätigkeiten (zum Beispiel Arbeitsbedingungen, Versicherung) und in der nachhaltigen Finanzierung. Angesichts der wachsenden Zahl von Organisationen ist es nicht leicht, ausreichend Freiwillige zu gewinnen und diese dann mit den für sie geeigneten Einrich-tungen zusammenzubringen. Freiwillige sind zudem zunehmend mit anspruchsvollen Aufga-ben konfrontiert. Oft erfahren sie wenig Anerken-nung für ihre Leistung. Auch besteht eine Gefahr darin, dass sie in zunehmendem Maße Dienste erbringen, die die öffentliche Hand nicht mehr leistet. Es bleibt also auch über dieses Jahr hinaus eine wichtige Aufgabe, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene diese Herausforde-rungen im Blick zu behalten und ihnen zu begeg-nen.

Termine

11.04.2011 EP-Berichterstatter im Dialog, Gast: Dr. Werner Langen, 14.00 Uhr im Informa-tionsbüro des Europäischen Parla-ments, Berlin

13.04.2011 EU-De-Briefing Justiz und Inneres, EBD-Vertretung, EBD-Netzwerk, Berlin

13.04.2011 öffentliche Sitzung des Europa-Ausschuss, Deutscher Bundestag, Berlin

13.04.2011 15. Europäischer Abend im dbb forum, Berlin

14.04.2011 Vortrag: The Crisis in Social Democracy, 18.30 Uhr, Hessische Landesvertretung Berlin

27.04.2011 Podiumsdiskussion „Gleiche Arbeit am gleichen Ort = gleicher Lohn?“, 19.00 Uhr, Julius Leber Forum, Hamburg

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Gespräch mit Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck

Ministerpräsident Matthias Platzeck ist gebürtiger Potsdamer. Bereits im Frühjahr 1988 gründete er in der Stadt an der Havel eine Bürgerini-tiative, die sich für mehr Umweltschutz in der DDR einsetzte. Platzeck ist Diplom-Ingenieur, studierte biomedizinische Kybernetik und Um-welthygiene und arbeitete in den 1980er Jahren in leitenden Funktio-nen in einem Krankenhaus und in der Verwaltung. Im Herbst 1989 be-teiligte Platzeck sich an der Gründung der Grünen Liga. Als deren Spre-cher nahm er von Dezember 1989 bis Februar 1990 an den Verhand-lungen des Zentralen Runden Tisches der DDR teil. Von Februar bis Ap-ril 1990 gehörte er als Minister ohne Geschäftsbereich dem Kabinett Modrow an. In den ersten freien Wahlen der DDR, den Volkskammer-wahlen vom 18. März 1990, errang Platzeck ein Mandat für Bündnis 90, die Grünen der DDR. Mit der Landtagswahl in Brandenburg vom 14. Oktober 1990 wechselte er nach nur wenigen Tagen im Deutschen Bundestag in die Landespolitik. Dort wurde er Umweltminister. Den Zusammenschluss von Bündnis 90 mit den Westgrünen 1993 vollzog er nicht mit, trat vielmehr zwei Jahre später der SPD bei. Spätestens 1997 wurde er bundesweit als „Deichgraf“ bekannt, als er sich bei der Bewältigung der Oderflut große Anerkennung erwarb.

1998 wählten die Potsdamer Matthias Platzeck mit überwältigender Mehrheit zu ihrem Stadtoberhaupt. 2000 wurde er Landesvorsitzender der SPD, 2005/2006 führte Platzeck die Bundespartei. Seit Juni 2002 am-tiert er, nach zweimaliger Wiederwahl, als Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Foto © Staatskanzlei Brandenburg 2011

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Europathemen: Warum ist die Freiwilligentätigkeit ein europäisches Thema?

Platzeck: Freiwilligentätigkeit trägt direkt zu wich-tigen Zielen der Europäischen Union bei: Soziale Integration ist ein wichtiges Element der europäi-schen Sozialpolitik. Freiwilligentätigkeit schafft gesellschaftliche Solidarität und Lebensqualität in der Gesellschaft. Ehrenamtlich Engagierte erwer-ben in ihren Tätigkeiten neue Kompetenzen und verbessern damit sogar ihre Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Das Europäische Jahr der Frei-willigentätigkeit 2011 bietet aus meiner Sicht eine hervorragende Gelegenheit, die Freiwilligentätig-keit stärker in das Blickfeld der Mitgliedstaaten zu bringen, Bewusstsein für freiwilliges Engagement zu schaffen und den Austausch vorbildlicher Prak-tiken zu fördern.

Europathemen: Was unternimmt Brandenburg im Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit?

Platzeck: Für die Landesregierung ist die Stärkung des Ehrenamtes schon seit Jahren Schwerpunkt-thema. Deshalb haben wir in der Staatskanzlei vor Jahren eine „Koordinierungsstelle für bürger-schaftliches Engagement“ eingerichtet. Eine ihrer Aufgaben ist es, die Kultur der Anerkennung zu fördern. Wir haben dabei in Brandenburg deutli-

che Fortschritte erzielt. Überdies denke ich an den verbesserten Versicherungsschutz im Ehrenamt, die mit Unterstützung der Landesregierung einge-richteten landesweiten Selbsthilfestrukturen und die neuen Freiwilligenpässe. Wir liegen mit unse-ren Aktivitäten also ganz „auf der Linie“ der EU: Es geht darum, die Aufmerksamkeit und Anerken-nung für Freiwillige in der Gesellschaft zu stärken und mehr und besser über Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements zu informieren. Im Juni findet hier in Potsdam eine europäische Regionalkonferenz statt mit dem Titel: „Freiwilli-ge für den Naturschutz - Generationsübergreifend und interkulturell unverzichtbar“. Die Aufzählung der Aktivitäten ließe sich fortsetzen. Die Landes-regierung wird das Jahr 2011 dazu nutzen, um noch mehr für die Freiwilligentätigkeit zu werben.

Europathemen: Soll das Ehrenamt, bürgerschaftli-ches Engagement in Zukunft Lücken schließen, wo der Wohlfahrtsstaat nicht mehr funktioniert?

Platzeck: Auf gar keinen Fall: Das Ehrenamt ist kein Lückenbüßer! Ehrenamtliches Engagement kann nicht den Sinn haben, staatliche Leistungen zu ersetzen oder einzusparen. Armutsbekämp-fung und Armutsprävention, die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums sind und bleiben staatliche Aufgaben.

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Aber ehrenamtliche Arbeit auf diesem Gebiet sorgt dafür, Vereinsamung und soziale Kälte zu überwinden und trägt so zu mehr Menschlichkeit bei. Insgesamt ist das bürgerschaftliche Engage-ment für mich der Goldstaub unserer Gesell-schaft.

Europathemen: Welche Rolle spielt das Ehrenamt in Bezug auf den demografischen Wandel?

Platzeck: Der demografische Wandel forciert die Herausforderung, sich mit der Zukunft unseres Zusammenlebens auseinander zu setzen. Bei steigendem Lebensalter und gleichzeitig schrumpfenden Einwohnerzahlen in vielen Orten ändern sich Strukturen und Angebote. Das hat Auswirkungen auch auf das Ehrenamt. In Bran-denburg arbeiten Menschen in vielen Regionen mit viel Kreativität und Engagement daran, das Lebensumfeld an die demografischen Herausfor-derungen anzupassen. Um den Austausch zwi-schen ihnen voran zu bringen, hat die Staatskanz-lei auf www.brandenburg.de einen Marktplatz der Möglichkeiten (im Internet) geschaffen. Dort zeichnet die Staatskanzlei Monat für Monat nachahmenswerte Beispiele aus, wie die Heraus-forderungen des demografischen Wandels ange-packt werden können. Viele dieser Initiativen werden von Ehrenamtlern gestemmt.

Zugleich müssen wir Strategien entwickeln, um dem drohenden Nachwuchsmangel im Ehrenamt entgegenzuwirken. Ein Beispiel sind die Freiwilligen Feuerwehren. Auch kann die wachsende »Genera-tion 50+« noch viel mehr in ehrenamtliches Enga-gement eingebunden werden. Immer mehr ältere Menschen wollen die Zeit nach Beruf und Familie aktiv gestalten und im bürgerschaftlichen Enga-gement eine sinnvolle Aufgabe finden. Die Mög-lichkeiten sind bei Weitem nicht ausgeschöpft. Ich denke da an generationsübergreifende Projekte wie Ausbildungspaten: ältere Ehrenamtliche unter-stützen benachteiligte Jugendliche auf dem Weg von der Schule in den Beruf. Auch die Nachbar-schaftsarbeit ist ein solches Feld, denn der Blick vor die eigene Tür wird künftig immer wichtiger.

Europathemen: Gibt es in Brandenburg bürger-schaftliche Zusammenarbeit mit den polnischen Nachbarn? Wenn ja, wie sieht diese aus?

Platzeck: Ich freue mich darüber, dass auch auf diesem Feld viel zusammenwächst. Ich denke da in erster Linie an die zahlreichen Städtepartner-schaften. Einen Überblick kann man da nicht mehr haben. Die Freiwilligen Feuerwehren sind ein weiteres gutes Beispiel. Dies- und jenseits der

Oder führen sie mit ihren jeweiligen Partnern grenzüberschreitend gemeinsame Übungen durch. Vor wenigen Wochen hat die Feuerwehr der Woidwodschaft Lubuskie an der Schwarzen Elster bei der Flutabwehr wertvolle, tatkräftige Hilfe geleistet. Zuvor unterstützten brandenburgi-scher Katastrophenschutz und Feuerwehr ihre polnischen Nachbarn bei der Hochwasserbe-kämpfung an Oder und Neiße. Dies sind Zeichen für unsere enge Partnerschaft und für gelebte grenzüberschreitende Solidarität.

Europathemen: Apropos Solidarität. Hat der Nati-onalstaat im Zeitalter der Globalisierung und in einer Wirtschafts- und Währungsunion noch aus-reichend Handlungsspielraum für distributive Sozi-alpolitik?

Platzeck: Ich bin fest davon überzeugt, dass die europäischen Staaten im Zeitalter der Globalisie-rung ihre sozialpolitischen Handlungsspielräume nur im Rahmen der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sichern können. Nur mit der gemeinsamen Währung und nur mit einer abge-stimmten Finanz- und Wirtschaftspolitik können wir unsere im internationalen Vergleich hohen sozialen Standards halten. Das heißt aber nicht, dass Politik im Bund und in den Ländern machtlos ist. Brandenburg hat beispielsweise kürzlich ein Schüler-BaföG eingeführt, um die Zugangschan-cen für Kinder aus ärmeren Verhältnissen zum Abitur zu verbessern.

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Brandenburger Schüler werden vom Ministerpräsidenten für ihr

Engagement als Redakteure ihrer Schulzeitung geehrt © Staatskanzlei Brandenburg 2011

Europathemen: Sollte die EU mehr Kompetenzen in der Sozialpolitik erhalten?

Platzeck: Neben der Wirtschafts- und Währungs-union muss die europäische Sozialunion gleichen Rang haben. Natürlich gibt es unterschiedliche nationale Ausprägungen und Traditionen des

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europäischen Sozialmodells. Gemeinsame Grund-lagen in Europa sind aber ein leistungsfähiger Staat, Sozialsysteme zur Absicherung elementarer Lebensrisiken, ein hohes Bildungsniveau, öffentli-che Daseinsvorsorge, geregelte Arbeitsbedingun-gen sowie Beteiligungs- und Mitbestimmungs-rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nach meiner festen Überzeugung muss europäi-sche Sozialpolitik nationalstaatliche Traditionen respektieren aber zugleich verbindliche europäi-sche Regeln und Standards festlegen, die nicht unterschritten werden dürfen. Wo wirtschaftliche Aktivität grenzüberschreitend ist, dürfen Arbeit-nehmerrechte nicht an den Grenzen Halt machen.

Nachbarn und Partner in Europa: Matthias Platzeck im Gespräch

mit Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg © Staatskanzlei Brandenburg 2011

Europathemen: Wie wird soziale Gerechtigkeit im Zieljahr der neuen Europa-2020-Strategie definiert sein?

Platzeck: Soziale Gerechtigkeit in Europa im Jahr 2020 muss sich als Gerechtigkeit bei den Chancen definieren. Egal in welchem Teil der Europäischen Union die Menschen leben, sie müssen möglichst gleiche Chancen haben, durch eigene Anstren-gung ihr Glück zu machen und eine auskömmli-che Arbeit zu finden. Das setzt voraus, dass die Europäische Kommission aus der Strategie Europa 2020 kein Exzellenz- und Elitenprojekt mit ein paar „sozialen Girlanden“ macht. Wir kämpfen darum, dass der Binnenmarkt flankiert wird vor allem durch eine wirksame Politik des wirtschaft-lichen und sozialen Zusammenhalts. Die Kohäsi-onspolitik mit dem Europäischen Fonds muss benachteiligte Regionen – und die dort lebenden Menschen - auch weiterhin dabei unterstützen, selbst Spitze zu werden. In Ostdeutschland haben wir auf diesem Weg große Erfolge zu verzeichnen, sind aber vom Ziel noch ein großes Stück entfernt.

Europathemen: Was zeichnet Brandenburg als europäische Region aus?

Platzeck: Brandenburg zeichnete sich bereits ge-schichtlich als eine europäische Region aus. Viele Einwanderer aus ganz Europa fanden in der Ver-gangenheit ihren Weg nach Brandenburg bezie-hungsweise Preußen und beeinflussten die Region und ihre Kultur nachhaltig. So ließ sich im 17. Jahr-hundert eine große Zahl von französischen Huge-notten hier nieder und nicht ohne Grund ist das bekannteste Potsdamer Viertel ein „holländisches“. Wir sind uns bewusst: Brandenburgs geographi-sche Lage in der Mitte der erweiterten EU bringt eine besondere Verantwortung und zugleich be-sondere Chancen mit sich. Die deutsch-polnische Grenze ist seit sechs Jahren eine EU-Binnengrenze. Gerade hier ist partnerschaftliches Zusammenwir-ken zwischen alten und neuen Mitgliedstaaten von großer Bedeutung. Daher liegt uns die Partner-schaft mit unseren polnischen Nachbarn natürlich besonders am Herzen. Uns verbindet nicht nur eine 250 Kilometer lange Grenze. Unsere Partnerschaft mit Polen ist auch als Auftrag in unserer Landesver-fassung verankert.

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Und übrigens: Weil Sie so direkt fragen, was uns auszeichnet als europäische Region. Wir sind stolz, seit Januar den Titel „Europäische Exzellenz-region“ zu tragen. Diese hohe Wertschätzung hat die EU-Kommission sonst nur noch Litauen und Wales zuerkannt.

Europathemen: Gibt es im Ausschuss der Regionen Allianzen Brandenburgs, die über die Abstimmung mit anderen Bundesländern hinausweisen?

Platzeck: Wir sind durch den Ausschuss der Regio-nen (AdR) im europäischen Institutionengefüge bestens verdrahtet, so dass wir uns darüber sehr wohl in den Meinungsbildungs- und Entschei-dungsprozess einbringen. Das gilt nicht nur über die Abgabe von Stellungnahmen, sondern auch über die Zusammenarbeit der AdR-Fachkommissionen mit den Ausschüssen des Euro-päischen Parlaments. Der AdR bietet uns ein gutes Forum und Räumlichkeiten auch für größere Ver-anstaltungen. Unsere Landesvertretung nutzt diese Möglichkeiten, um Interreg-Projekte unter brand-enburgischer Beteiligung vorzustellen. Ziel ist, die Zusammenarbeit der an diesen Projekten beteilig-ten europäischen Regionen zu intensivieren.

Einmal im Jahr präsentieren sich die EU-Regionen in Brüssel im Rahmen der „Open Days“. Bei dieser groß angelegten Veranstaltung geht es in diesem Jahr im Oktober um das Motto: „Investitionen in

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Europathemen: Was bedeutet es für Sie, Europäer zu sein, und wo könnten sie sich für sich selbst eh-renamtliches Engagement vorstellen?

Europas Zukunft: Regionen und Städte fördern intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“. Auch beteiligte sich Brandenburg im Rahmen der „Capital Cities and Regions“ als eine der Regionen, die den Preis des AdR als Europäi-sche Unternehmerregion erhalten haben. Darüber hinaus arbeitet Brandenburg mit anderen europä-ischen Regionen in einer Reihe von thematischen Netzwerken zusammen, so übrigens auch zum wichtigen schon oben angesprochenen Thema Demografischer Wandel.

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Platzeck: Zunächst einmal: Für mich als einen, der in der DDR aufgewachsen ist, gehört die Erfahrung, heute ein EU-Bürger sein zu können, zu den schönsten meines Lebens. Ohne die friedliche Revo-lution in der DDR und die Freiheitsbewegungen in Mittel- und Osteuropa wäre die große Europäische Union weiter ein Traum. Deshalb sage ich vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrung und der meiner Landsleute östlich der Elbe: Europa ist mehr als nur seine EU-Mitgliedstaaten. Wir müssen uns die europäische Geschichte vergegenwärtigen: Es gibt ganz unterschiedliche historische Erfahrun-gen in Ost- und Westeuropa. Unser Brandenburg befindet sich an einer Schnittstelle zwischen Ost und West. Also bedeutet es für mich als Europäer, Erfahrungen weiterzugeben und den Austausch über unterschiedliche Sichtweisen voranzubringen. So hat Brandenburg zum Beispiel ein Netzwerk mit Nachwuchsführungskräften aus Mittel- und Osteu-ropa initiiert. Wir unterstützen die Verständigung mit Russland zum Bespiel im Rahmen der Deutsch-Russischen Freundschaftsgruppe des Bundesrates. Die Landesregierung gibt ihre Erfahrungen in Sa-chen Regionalentwicklung auch an die rumänische Partnerregion Centru weiter.

Europathemen: Wie nimmt Brandenburg seine Aufgabe wahr, sich im Bundesrat an der Subsidiari-tätskontrolle zu beteiligen?

Platzeck: Mit dem Vertrag von Lissabon sind die Instrumente zur Subsidiaritätskontrolle in der EU umfassend ausgebaut worden. Bereits frühzeitig werden die nationalen Parlamente – bei uns Bun-destag und Bundesrat - über geplante EU-Gesetzgebungsvorhaben informiert. So können wir selbst prüfen, ob das Subsidiaritätsprinzip gewahrt wird. Das ist unmittelbare Mitwirkung an der europäischen Gesetzgebung. Es ist klar, dass die die Frage, ob die Mitgliedstaaten eine bestimmte Materie ausreichend selbst regeln können, naturgemäß von diesen sehr viel besser beantwortet werden kann als vom europäischen Gesetzgeber. Auch der Brandenburger Landtag ist in diesen Prozess mit einbezogen, wird zeitnah unterrichtet und kann gegenüber der Landesre-gierung eine eigene Stellungnahme abgeben.

Abgesehen von meinem Ehrenamt als Vorsitzen-der der SPD Brandenburg und der Mitgliedschaft in etlichen Fördervereinen für soziale, kulturelle und sportliche Zwecke ist mehr freiwilliges Enga-gement - neben dem Ministerpräsidentenamt - zeitlich nicht drin. Ich schlage vor, dass wir die Antwort erst einmal zurückstellen bis ich mehr Zeit zur Verfügung habe. Aber so viel: Ich kann mir nicht vorstellen, mich nicht zu engagieren. Es gehört für mich einfach dazu.

Der Bundesrat hat bis Ende Februar 2011 zwei Subsidiaritätsrügen erhoben. In dem Zusammen-hang wurde deutlich, dass dieses neue Instrument von den Ländern im Bundesrat weiterentwickelt werden muss.

Europathemen: Was ist die Haltung Ihrer Regie-rung zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit?

Platzeck: Wir brauchen in der EU deutliche Ver-besserungen in der Abstimmung unserer Wirt-schafts- und Finanzpolitik. Den Fokus allein auf Wettbewerbsfähigkeit und Staatsschulden zu richten, greift jedoch zu kurz. Wir brauchen eine wirkungsvolle Stabilitätsstrategie für Wachstum und Beschäftigung in Europa. Und: In Deutsch-land müssen wir gezielt die Binnennachfrage stärken. Im Kern – und das ist eine nicht bewältig-te Aufgabe gerade für den Exportvizeweltmeister Deutschland – muss es darum gehen, dass das Geld, das wir im Export verdienen, auch in Deutschland investiert und ausgegeben wird.

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