„Löcher in der Stadt – Strategien des Stadtumbaus“ · 2004. 6. 25. · Christian Kopetzki,...

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Christian Kopetzki, Thomas Pristl, Rainer Naefe, Friedhelm Fischer Christian Kopetzki, Thomas Pristl, Rainer Naefe, Friedhelm Fischer „Löcher in der Stadt „Löcher in der Stadt – Strategien des Stadtumbaus“ Strategien des Stadtumbaus“ Längsschnittuntersuchung am Beispiel Längsschnittuntersuchung am Beispiel einer Stadt im strukturschwachen Raum einer Stadt im strukturschwachen Raum Forschungsbericht Forschungsbericht März 2004 März 2004

Transcript of „Löcher in der Stadt – Strategien des Stadtumbaus“ · 2004. 6. 25. · Christian Kopetzki,...

  • C h r i s t i a n K o p e t z k i , T h o m a s P r i s t l , R a i n e r N a e f e , F r i e d h e l m F i s c h e r C h r i s t i a n K o p e t z k i , T h o m a s P r i s t l , R a i n e r N a e f e , F r i e d h e l m F i s c h e r

    „Löcher in der Stadt „Löcher in der Stadt –– S trategien des Stadtumbaus“Strategien des Stadtumbaus“

    L ängsschn i t t un te r suchung am Be i sp i e lL ängsschn i t t un te r suchung am Be i sp i e l e iner S tadt im s t rukturschwachen Raumeiner S tadt im s t rukturschwachen Raum

    F o r s c h u n g s b e r i c h tF o r s c h u n g s b e r i c h t

    Mä rz 2004März 2004

  • Das Forschungsprojekt „Löcher in der Stadt – Strategien des Stadtumbaus“

    wurde in der Zeit vom 01.10.2000 bis zum 31.12.2002 (bei dreimonatiger

    Unterbrechung) durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG gefördert.

    D F G D F G –– G e s c h ä f t s z e i c h e n : G e s c h ä f t s z e i c h e n : K0 2063/1-1

    A n t r a g s t e l l e r :A n t r a g s t e l l e r :

    Prof. Christian Kopetzki

    Dr. Friedhelm Fischer

    Dr. Rolf Keim (Göttingen)

    I n s t i t u t / L e h r s t u h l :I n s t i t u t / L e h r s t u h l :

    Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung

    Universität Kassel, Fachgebiet Stadterneuerung, Stadtumbau

    Henschelstraße 2, 34109 Kassel

    T h e m a d e s P r o j e k t s :T h e m a d e s P r o j e k t s : Löcher in der Stadt

    B e r i c h t s z e i t r a u m , F ö r d e r u n g s z e i t r a u m :B e r i c h t s z e i t r a u m , F ö r d e r u n g s z e i t r a u m :

    10/2000 – 12/2002

    (Unterbrechung von 15.05.2002 – 15.08.2002)

    An der Forschung waren beteil igt:

    - Prof. Christian Kopetzki (Stadtplaner, Projektleiter)

    - Dr. Friedhelm Fischer (Stadtplaner, akademischer Rat)

    - Dr. Rolf Keim (Sozialwissenschaftler, Georg-August-Universität Göttingen)

    - Dipl. Ing. Rainer Naefe (Stadtplaner, wissenschaftlicher Mitarbeiter, ½ Stelle für zwei Jahre)

    - Dipl. Ing. Thomas Pristl ((Stadtplaner, wissenschaftlicher Mitarbeiter, ½ Stelle für zwei Jahre)

    - als studentische Hilfskräfte

    Dipl. Ing. Nadja Tremer (Stadtplanerin) Dipl. Ing. Johanna Debik (Architektin)

    Wir danken der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung HNA, dem

    Stadtarchiv Kassel und dem Stadtplanungsamt Kassel für die freundliche

    Unterstützung bei den Recherchearbeiten

  • 33

    I N H A L TI N H A L T

    ZusammenfassungZusammenfassung 55

    Strategien des Stadtumbaus: Eine EinfStrategien des Stadtumbaus: Eine Einführungührung 1 11 1

    Qualitäten des Stadtumbaus: Ziele der UntersuchungQualitäten des Stadtumbaus: Ziele der Untersuchung 1 71 7

    Methodik der Untersuchung: Zum Aufbau des ForschungsberichtsMethodik der Untersuchung: Zum Aufbau des Forschungsberichts 1 91 9

    Gegenstand der Untersuchung: Die Fallstadt KasselGegenstand der Untersuchung: Die Fallstadt Kassel 2 32 3 1.1 Einführung in den Untersuchungsgegenstand 23 1.2 Kassel im Untersuchungszeitraum 1960 bis 2002 27 1.3 Übersicht über die erfassten Stadtumbauprojekte 34

    Erkenntnisse (I): Merkmale des StadtumbausErkenntnisse (I): Merkmale des Stadtumbaus 3 93 9 1.4 Vornutzungen 39 1.5 Nachnutzungen 42 1.6 Auslöser und Impulse 48 1.7 Merkmale des Stadtumbaus: Ein Fazit 51

    Erkenntnisse (II): Akteure des StadtumbaErkenntnisse (II): Akteure des Stadtumbausus 5 55 5 1.8 Stadtpolitik und Stadtumbau 55 1.9 Weitere öffentliche Akteure im Stadtumbauprozess 62 1.10 Private Akteure im Stadtumbauprozess 63 1.11 Akteure des Stadtumbaus: Ein Fazit 65

    Erkenntnisse (IIIErkenntnisse (III): Verfahren des Stadtumbaus): Verfahren des Stadtumbaus 6 96 9 1.12 Planungs- und Beteiligungsinstrumente 69 1.13 Finanzierung von Stadtumbauprojekten 72 1.14 Verfahren des Stadtumbaus: Ein Fazit 73

    Erkenntnisse (IV): Auswirkungen des StadtumbausErkenntnisse (IV): Auswirkungen des Stadtumbaus 7 57 5 1.15 Auswirkungen auf Gesamtstadt und Quartier 75 1.16 Ökologische Potentiale des Stadtumbaus 76 1.17 Soziale und kulturelle Potentiale des Stadtumbaus 77 1.18 Stadtumbauprojekte in der lokalen und überlokalen Rezeption 78 1.19 Auswirkungen des Stadtumbaus: Ein Fazit 81

    Stadtentwicklung und Stadtumbau: Eine SchlussbetrachtungStadtentwicklung und Stadtumbau: Eine Schlussbetrachtung 8 38 3

    Inhalt der DokumentationInhalt der Dokumentation 8 98 9

    Li teraturLi teratur 9 19 1

    AnmerkungenAnmerkungen 1 0 11 0 1

    .

  • 55

    Z U S A M M E N F A S S U N GZ U S A M M E N F A S S U N G

    Im Zentrum der Untersuchung stehen die komplexen Zusammenhänge von

    Entstehungsbedingungen, öffentlichen, politischen und fachlichen Diskussio-

    nen sowie der Realisierung von Stadtumbauprojekten seit Anfang der 60er

    Jahre in Kassel - einer strukturschwachen mittleren Großstadt mit starken

    altindustriellen Traditionen und ver einzelten Wachstums- und Innovations-

    sektoren.

    Stadtumbau wird hierbei als Prozess des Nutzungswandels auf einzelnen,

    eindeutig abgrenzbaren und in der Regel überschaubaren Standorten im

    städtischen Nutzungsgefüge betrachtet, der zugleich einen Beitrag zur fort-

    laufend erforderlichen Anpassung der baulichen und städtebaulichen Struk-

    tur an sich wandelnde Anforderungen und Rahmenbedingungen leistet.

    Die Stadtumbauprojekte werden im Rahmen des allgemeinen Stadtent-

    wicklungs- und Stadterneuerungsprozesses auch i n einen Zusammenhang

    gestellt mit den lokalen Auswirkungen globaler Restrukturierungsprozesse,

    der Orientierung der kommunalen Entwicklung an Leitbildern im weitesten

    Sinne sowie mit der Herausbildung und Wirkungsweise lokaler Akteurskons-

    tellationen. Der Blickwinkel der Untersuchung umfasst dabei neben Nut-

    zungstypologien insbesondere auch Verfahren und Instrumente, die Rolle der

    für Stadtumbauprozesse relevanten Akteure sowie spezifische Wirkungen der

    untersuchten Projekte.

    Die Analyse von Kasseler Stadtumbauprojekten der vergangenen vier Jahr-

    zehnte hat zum Ziel, Beiträge zu einer differenzierten Sicht auf die jüngere

    Planungsgeschichte, zur lokalen Politikforschung wie auch zur Weiterent-

    wicklung planungstheoretischer und planungsmethodischer Disku ssionen zu

    leisten. Die Aufarbeitung der Funktion und Wirkung von Stadtumbau soll

    jedoch auch Erkenntnisse hinsichtlich der Gestaltung zukünftiger Stadtum-

    bauprozesse zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben und Probleme der

    Stadtentwicklung ermöglichen.

    Die Bedeutung des Stadtumbaus in Kassel seit 1960 lässt sich, das haben alle

    gewählten Betrachtungsperspektiven g ezeigt, strukturell auf zwei Ebenen

    verteilen: Zum einen tritt Stadtumbau als kontinuier licher Prozess und fester

    Bestandteil der Stadtentwicklung in Erscheinung, verbunden mit wiederkeh-

    renden Aufgabenstellungen, Akteurskonstellationen, bestimmten planer i-

    schen Instr umenten sowie spezifischen Auswirkungen. Somit ist Stadtumbau

    als Anpassung städtischer Strukturen an sich wandelnde Anforderungen und

    Rahmenbedingungen eine fortlaufende, etablierte Aufgabe innerhalb der

    Stadtentwicklungspolitik, die offensichtlich weitgehend erfolgreich mit e r-

    probten Instrumentarien und Akteurskooperationen bearbeitet wird.

    Zum anderen dient Stadtumbau als Instrument immer wieder auch zur Bewäl-

    tigung herausragender, komplexer Aufgaben- und Problemstellungen, die

    zugleich oftmals typisch für bestimmte Zeiträume und Phasen der Stadtent-

    wicklung sind und die Entwicklung neuer, angemessener Planungs- und

    Steuerungsstrategien erfordern. Dies zeigen die sich im Verlauf des Untersu-

    chungszeitraums verändernden Gewichtungen bestimmter Merkmale des

    Stadtumbaus, begonnen von Vor- und Nachnutzungen über maßgebliche

    Auslöser bis zur Rolle verschiedener Akteure, der Bedeutung planerischer

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    66

    Instrumente oder auch zu spezifischen Ausprägungen der Rezeption in der

    Öffentlic hkeit.

    Stadtumbauprojekte dienen somit als Spiegel der einerseits kontinuierlichen,

    andererseits aber auch sich wandelnden Anforderungen und planerischen

    Strategien, die insbesondere aus den lokal zu bewältigenden Folgen des all-

    gemeinen wirtschaftlichen Strukturwandels und seiner Ausprägung in der

    Stadtregion resultieren.

    Als kontinuierliche Merkmale des Stadtumbaus im Untersuchungszeitraum

    erweisen sich Stadtumbaustandorte auf a lten Industrie- und Gewerbeflächen

    aber auch auf Grün-, Verkehrs-, Brach- und Restflächen die – häufig in Folge

    von Kriegszerstörungen entstanden – wegen der vergleichsweise geringen

    Stadtentwicklungsdynamik Kassels, aber auch wegen etablierter Zwischen-

    nutzungen zum Teil recht lang Löcher in der Stadtstruktur blieben. Die

    Nachnutzungsspektren zeic hnen sich dagegen durch die häufige Verwirkli-

    chung von Mischnutzungskonzepten aus – dominiert von Wohnen, Dienstleis-

    tungen sowie Kultur-, Freizeit-, Erholungs- und Gastronomieeinrichtungen.

    Hinsichtlich der Auslöser und Impulse für Stadtumbauprojekte erweist sich

    insbesondere das Motiv einer renditemaximierenden Änderung bestehender

    Nutzungen als gleichmäßige Konstante im Untersuchungszeitraum.

    Ebenfalls prägend für den gesamten Untersuchungszeitraum, aber durch

    einen signifikanten Bedeutungszuwachs in den neunziger Jahren gekenn-

    zeichnet, sind Stadtumbauprojekte auf Flächen staatlicher Einrichtungen,

    staatl icher (oder ehemals staatlicher) Unternehmen und auf zuvor m ilitärisch

    genutzten Flächen – womit deutlich wird, dass in Kassel bei der Bewältigung

    dieser typischen Aufgaben der neunziger Jahre bereits auf Erfahrungen aus

    vorherigen Jahrzehnten aufgebaut werden konnte. An Gewicht gewinnen auch

    Einzelhandelsbetriebe als wesentliche Träger von Nachnutzungskonzepten.

    Schließlich ist für die neunziger Jahre eine räumliche Verdichtung stadtent-

    wicklungspolitisch motivierter Stadtumbauprojekte auf den Bereich der I n-

    nenstadt zu verzeichnen. Darin dokumentiert sich der wahrgenommene ver-

    stärkte Handlungsbedarf der Planung in diesem Teilraum der Stadt.

    Andere Stadtumbaumerkmale repräsentieren dagegen primär bestimmte Pha-

    sen des Unter suchungszeitraums: So konzentrieren sich industrielle und

    gewerbliche Nachnutzungen, o ffensichtlich bedingt durch sich verändernde

    Rahmenbedingungen und stadtentwicklungspolitische Zielsetzungen, auf die

    Zeit bis Anfang der siebziger Jahre sowie auf die Zeit ab 1990. Demgegen-

    über entstehen Stadtumbauprojekte, die eine Umnutzung von Flächen städti-

    scher Einrichtungen oder auch eine Realisierung öffentlicher Einrichtungen

    zum Ziel haben, überdurchschnittlich häufig in den siebziger Jahren, häufig

    jedoch verbunden mit Planungs- und Realisierungszeiträumen, die bis in die

    neunziger Jahre hineinreichen. Ä hnliches gilt für Stadtumbauprojekte auf

    langjährig un- oder untergenutzten Flächen, die nahezu alle in den sechziger

    Jahren ihren U rsprung haben, in mehr als der Hälfte der Fälle aber nicht vor

    1990 abgeschlossen werden können.

    Generell weisen die unter suchten Stadtumbauprojekte sehr stark differieren-

    de Projektlaufzeiten auf, die sich in Einzelfällen nur über ein Jahr, zum Teil

    aber auch über mehrere Jahrzehnte erstrecken, oftmals begleitet von stabilen

    oder auch wechselnden Zwischennutzungen sowie von w iederholten, intensi-

    ven Diskussionen um angemessene Nutzungskonzepte. Während Projekte mit

    kurzen Laufzeiten dabei eher schlaglichtartig jeweils aktuelle Methoden und

  • FORSCHUNGSBERICHT

    77

    Strategien des Stadtumbaus beleuchten, können langjährig andauernde Pro-

    jekte den Wandel v on Konzepten, des planerischen Selbstverständnisses oder

    auch der Formen der Partizipation der Bevölkerung (sei es durch innovative

    Beteiligungsmodelle oder durch Widerstand leistende Bürgerinitiativen)

    sichtbar machen. Die Veränderung von Nutzungskonzepten im Zeitverlauf

    wird somit nicht nur im Vergleich von Stadtumbauprojekten aus verschiede-

    nen Entstehungszeiträumen sichtbar, sondern (und hier in der Regel beson-

    ders aufschlussreich) auch innerhalb bestimmter Projekte.

    Ein Bedeutungszuwachs im Verlauf des Untersuchungszeitraums lässt sich

    schließlich für das Projektmerkmal einer ko ntextbezogenen Generierung der

    Nachnutzung feststellen – ein möglicher Hinweis auf eine zunehmende Sen-

    sibilität gegenüber potentiell negativen Auswirkungen von Umnutzungsko n-

    zepten. Dabei wird zumindest in den siebziger Jahren Stadtumbau durchaus

    noch als Impulsmaßnahme zur Veränderung bestehender Stadtteilstrukturen

    und –merkmale eingesetzt, verbunden mit Nutzungskonflikten, aber auch

    Strategien zu deren Bewältigung.

    Die zentrale B edeutung der Stadtpolitik für den Stadtumbau über den gesam-

    ten Untersuchungszeitraum hinweg ist verbunden mit einem Wandel der

    Funktion der Stadt als Stadtumbauakteur: So wächst tendenziell im Verlauf

    des Untersuchungszeitraums der Anteil der Projekte , b ei denen entwic k-

    lungspolitische Ziele definiert und zumindest in nennenswertem Umfang

    auch umgesetzt werden. Andererseits verliert die Stadt ab den siebziger Jah-

    ren als primärer Veranlasser und Impulsgeber für Stadtumbauprojekte an

    Bedeutung. Ab Mitte der neunziger Jahre sinkt zudem der bis dahin relativ

    stabile Anteil an Projekten, deren Nachnutzungsfindung durch die Formulie-

    rung städtischer Nutzungskonzepte und Anforderungen beeinflusst wird –

    die Realisierung allenfalls geringfügig modifizierter Nutzungskonzepte der

    jeweiligen Investoren gewinnt dementsprechend an Gewicht. Abgerundet wird

    dieses Bild durch die Erkenntnis, dass bei den von der Stadt als Akteur g e-

    prägten Stadtumbauprojekten der neunziger Jahre stadtökonomische Überle-

    gungen eine überdurchschnittliche Bedeutung gewonnen haben – ein Zeichen

    für zunehmend problematischere Rahmenbedingungen für die lokale Ökono-

    mie wie auch für die kommunalen Finanzen.

    Die durch die Stadt Kassel betriebenen oder aktiv begleiteten Stadtumbau-

    projekte kennzeichnet eine strukturelle Vielfalt an Leitbildern, Motiven und

    Zielvorstellungen, denen zugleich eine wesentliche Bedeutung für die Wir-

    kung einer Flächenumnutzung als Stadtumbau im Sinne des dieser For-

    schungsarbeit zugrunde liegenden Verständnisses zukommt. Pr ägend für den

    gesamten Untersuchungszeitraum sowie verstärkt für die neunziger Jahre

    sind hierbei stadtentwicklungspolitische Modernisierungsstrategien, ab den

    achtziger Jahren ergänzt durch Teilstrategien der Innenentwicklung, der

    Wohnraumschaffung (im Sinne e iner Qualifizierung des Wohnraumangebots

    in der Stadt) sowie der Reaktion auf die neu g ewonnene Zentralität in Folge

    der Wiedervereinigung.

    Parallel hierzu kennzeichnen aber auch Zielvorstellungen den gesamten U n-

    tersuchungszeitraum, die sich primär an den spezifischen Eigenschaften des

    Stadtumbaustandorts festmachen, zugleich verbunden mit einer sich wan-

    delnden Gewic htung der Leitmotive: Für die unter dem Schlagwort „Stadtr e-

    paratur“ einzuordnenden Projekte lässt sich dabei ein Schwerpunkt des Pla-

    nungsbeginns in den sechziger und siebziger Jahren feststellen, zum Teil

    verbunden mit langen Planungs- und Realisierungszeiträumen. Dagegen

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    88

    weist die Orientierung von Stadtumbaukonzeptionen auf strukturelle oder

    bauliche Bestandsqualitäten des jeweiligen Standorts e ine leichte Schwer-

    punktbildung in den achtziger und neunziger Jahren auf.

    Bund, Land, Bundes -, Landes - und sonstige öffentliche Institutionen oder

    staatliche (bzw. ehemals staatliche) Unternehmen sind in rund einem Drittel

    der untersuchten Fälle in den Stadtumbauprozess eingebunden – ein Hinweis

    auf die vergleichsweise große Bedeutung, die insbesondere Bundes - und

    Landesbehörden innerhalb des städtischen Nutzungsgefüges und damit auch

    für die Stadtentwic klung insgesamt inne haben. Auf der Zeitachse zeigen sich

    diesbezüglich Schwerpunkte in den siebziger und neunziger Jahren. Die Pr ä-

    gung dieser Stadtumbauprozesse hinsichtlich der Gewichtung von Konsens

    und Konflikten mit der Stadtpolitik ist dabei uneinheitlich und von der Art

    der Vor- wie der Nachnutzung abhängig.

    Betrachtet man schließlich die Gruppe der privaten Akteure im Stadtumbau,

    so zeigt sich auch hier ein struktureller Wandel im Verlauf des Untersu-

    chungszeitraums: Während die ursprünglichen privaten Grundstückseigentü-

    mer bis Ende der achtziger Jahre kontinuierlich bei etwa jedem zehnten Pro-

    jekt als zentraler Veranlasser auftreten, steigt dieser Anteil in den neunziger

    Jahren auf nahezu jedes vierte Projekt. Gleichzeitig sinkt in diesem Zeitraum

    die zuvor ebenfalls recht konstante Bedeutung externer privater Akteure, die

    die betreffenden Grundstücke mit dem Ziel der Umnutzung erwerben, als

    Investor oder Maßnahmenträger auftreten – die mögliche Folge einer sinken-

    den Wirtschaftsdynamik, die die Rentabilität von Investitionen in Stadtumbau

    schwächt und d ie ursprünglichen privaten Grundstückeigentümer häufiger

    dazu zwingt, in eigener Regie Nachnutzungspotentiale zu entwickeln. Eine

    weitere Gruppe privater Akteure prägt einzelne Stadtumbauprojekte seit den

    siebziger Jahren: Interessengruppen und Bürgerinitiativen gelingt es zumin-

    dest bei einem Teil dieser Projekte, zu maßgeblichen Änderungen an Pla-

    nungsstrategien und Nutzungskonzeptionen beizutr agen.

    Kennzeichnend für die neunziger Jahre ist schließlich auch eine Häufung

    öffentlich-privater Kooperationen, praktiziert in unterschiedlichen Formen

    und Konstellationen. Gleichwohl kann die Stadt hierbei auch auf Erfahrungen

    mit derartigen Kooperationen in Stadtumbauprojekten der vorangegangenen

    Jahrzehnte zurückgreifen, womit auch an dieser Stelle die Funktion von

    Stadtumbau als wichtiges Ler nfeld der Stadtentwicklungspolitik und –planung

    sichtbar wird.

    Bei der Betrachtung zentraler Verfahrensmerkmale des Stadtumbaus in Kassel

    seit 1960 fällt zunächst auf, dass im Schatten der die Diskussion dominie-

    renden großen S tadtumbauprojekte die größte Gruppe der untersuchten Fälle

    ohne Durchführung formeller oder informeller Planungsverfahren, in der

    Regel auch ohne nennenswerte Bürgerbeteiligung sowie ohne Rückgriff auf

    öffentliche Fördermittel realisiert wurde: Hierbei handelt es sich oftmals um

    unspektakuläre, von Stadtpolitik und –planung weitgehend unbeachtete U m-

    strukturierungsprozesse an alten Industrie- und Gewerbestandorten, wobei

    die Nachnutzung sich häufig formell innerhalb des bisherigen Nutzungsrah-

    mens bewegt, gleichwohl aber strukturell einen auch für die Stadtentwic k-

    lung bedeuts amen Wandel markiert und als Stadtumbau im hier definierten

    Verständnis wirksam wird. Typisches Beispiel ist die Umwandlung aufgege-

    bener Standorte großer Unternehmen in kleinteilige Gewerbeparks mit unter-

    schiedlicher Profilierung und bedeutsamen Anteilen von Dienstleistern sowie

    Nutzern aus dem soziokulturellen Spektrum.

  • FORSCHUNGSBERICHT

    99

    Darüber hinaus sind sowohl der Bebauungsplan als auch informelle Planun-

    gen mit differierenden inhaltlichen Schwerpunkten prägend für den gesamten

    Untersuchungszeitraum, wobei sich jedoch im Zeitverlauf eine Umkehr der

    Gewichtung der beiden Instrumente ergibt: Einem Bedeutungsverlust des

    Bebauungsplans in den achtziger und verstärkt in den neunziger Jahren steht

    ein entsprechender Bedeutungsgewinn informeller Planungen gegenüber.

    Beide Instrumente sind dabei kennzeichnend für Stadtumbauprojekte, die

    sich als anpassungsbedürftig, aber auch anpassungsfähig gegenüber exter-

    nen Einflüssen oder auch offenen Planungs- und Diskussionsprozessen er-

    wiesen haben. Die Anwendung des besonderen Städtebaurechts ab Ende der

    sechziger Jahre (zunächst als Pilotprojekt noch vor Einführung des Städte-

    bauförderungsgesetzes) betrifft zwar nur wenige der untersuchten Fälle,

    dokumentiert aber einen p unktuell offensiven und auch innovativen U mgang

    der Stadtplanung in Kassel mit dem verfügbaren bzw. im Wandel befindlichen

    planungsrechtlichen Instrumentar ium.

    Neben den genannten veränderten Gewichtungen prägt den Stadtumbau der

    achtziger und neunziger Jahre aber auch eine Erweiterung bzw. Ausdifferen-

    zierung des angewandten Instrumentariums: So werden zunehmend neue,

    innovative Instr umente erprobt, Verfahren zum sachgerechten Umgang mit

    A ltlastenverdachtsflächen sowie tatsächlichen Bodenbelastungen werden

    wichtiger und besondere, innovative Formen der Bürgerbeteiligung gewinnen

    an Gewicht.

    Darüber hinaus ist eine Veränderung hinsichtlich der Einbindung externen

    Expertenwissens in Stadtumbauprozesse festzustellen, die in den neunziger

    Jahren jedoch durch besonders umfassende oder innovative Formen der B e-

    teiligung geprägt wird.

    Der hinsichtlich der Finanzierung von Stadtumbauprojekten spätestens für

    die neunziger Jahre festzustellende Bedeutungszuwachs privater Investitio-

    nen wird begleitet durch die Erprobung unterschiedlicher öffentlich-privater

    Finanzierungs- und Kooperationsmodelle. Diese erlauben es der Stadt z u-

    mindest bedingt, trotz sinkender finanzieller Handlungsspielräume steuern-

    den Einfluss auf eine durch Stadtumbauprojekte geförderte Stadtentwicklung

    zu nehmen.

    Es zeigt sich somit, dass sich das im Stadtumbau seit 1960 angewandte Pla-

    nungs-, Beteiligungs- und Finanzierungsinstrumentarium – bei einem kon-

    stant hohen Anteil privat initiierter, weitgehend unbeachteter Stadtumbau-

    projekte ohne Rückgriff auf Planungs- und Beteil igungsverfahren – in den

    achtziger sowie verstärkt in den neunziger Jahren ausdifferenziert und durch

    innovative Elemente angereichert wird, was zu positiven Auswirkungen auf

    die Produkt- und Prozes squalität des Stadtumbaus z. B. hinsic htlich der Fle-

    xibil ität und Anpassungsfähigkeit von Stadtumbauprojekten führen kann.

    Stadtumbau in Kassel ist jedoch nicht nur zentraler Baustein der Stadtent-

    wicklung, sondern zugleich mit überwiegend positiven Effekten verbunden.

    Dies bezieht sich sowohl auf stadtökonomische Komponenten von Stadtum-

    bauprojekten als auch überwiegend auf gesamtstädtische wie quartier s-

    bezogene Folgewirkungen. Interessengegensätze zwischen Gesam tstadt und

    Stadtteil beschränken sich ebenfalls auf eine geringe Zahl an Projekten sowie

    hierbei oft auch nur auf Teilaspekte der jeweiligen Umnutzungsprozesse.

    Ökologische Potentiale spielen in Stadtumbauprozessen sowohl hinsichtlich

    ihrer Entwic klung als auch ihrer Beeinträchtigung eine eher untergeordnete

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    1 01 0

    Rolle, bedingt durch Spezifika der Stadtumbaustandorte mit eher geringen

    Flächengrößen und einer hohen Eignung und Lagegunst für bauliche Nutzun-

    gen. Demgegenüber erweisen sich Stadtumbaustandorte in rund 40 % der

    Fälle als Plattform für die Entfaltung sozialer und kultureller Potentiale. Hier-

    bei handelt es sich in etwa der Hälfte der Fälle um eine im Stadtumbauko n-

    zept enthaltene, auf Dauer angelegte Nutzung, in der anderen Hälfte der

    Fälle dagegen um eine temporäre, durch informelle Flächenaneignung reali-

    sierte und in der Regel mit Durchsetzung der g eplanten Nachnutzungskon-

    zeption verdrängte Nutzung.

    Dass Stadtumbau in der Mehrzahl der Fälle eine besondere Aufgabe und Form

    der Stadtentwicklung darstellt, spiegelt sich auch in der starken Beachtung in

    den lokalen Medien wider, die für z wei Drittel der Projekte kennzeichnend

    ist, während das verbleibende Drittel der Fälle eine eher geringe Beachtung

    erfährt; ein ähnliches Verhältnis ergibt sich auch hinsichtl ich der (medial

    vermittelten) Akzeptanz der mit Stadtumbauprojekten verbundenen E ingriffe

    in das Stadtbild sowie die Nutzungsstruktur von Stadt und Quartier.

    Auffäll ig im Zeitverlauf ist dabei eine überdurchschnittl iche mediale Auf-

    merksamkeit wie auch ein vergleichsweise hoher Anteil an kontrovers disku-

    tierten Projekten in den siebziger Jahren, die einen Zusammenhang mit den

    diesen Zeitraum prägenden Stadtumbautypen vermuten lassen – gekenn-

    zeichnet beispielsweise durch den Versuch der lokalen Konkretisierung über-

    geordneter stadtentwicklungspolitischer Zielsetzungen oder auch durch (zum

    Teil von außen erzwungene) Veränderungen der Planungsstrategien und Nut-

    zungskonzepte. Ebenfalls kennzeichnend für die siebziger Jahre und vermut-

    lich bedingt durch die in dieser Zeit vorrangig betriebenen Stadtumbau-

    projekte ist ein relativ niedriger Anteil an Projekten, bei denen in der doku-

    mentierten Außenwahrnehmung durch Stadt- und Fachöffentlichkeit die

    städtebaulichen und architektonischen Qualitäten eine Rolle spielen.

    Schließlich zeigen die untersuchten Projekte, dass Stadtumbau in Kassel z u-

    mindes t ab Ende der sechziger Jahre immer wieder von Leuchtturmprojekten

    dominiert wird, die aus unterschiedlichen Gründen Fernwirkungen über die

    Grenzen Kassels hinaus erzielen und auf diese Weise sowohl die Stadt Kassel

    punktuell in den Blickpunkt der Fachöffentlichkeit rücken als auch Beiträge

    zur Weiterentwicklung planerischer Instrumente und Strategien leis ten.

    Als zentrales Ergebnis der Forschungsarbeit bleibt festzuhalten, dass es in

    Kassel innerhalb des Untersuchungszeitraums häufig gelungen ist, Standorte

    und Anlässe des Nutzungswandels, wesentlich determiniert von lokalen Aus-

    wirkungen des allgemeinen wirtschaftlichen Strukturwandels, konstruktiv für

    die Stadtentwicklung zu nutzen. Diese konnten somit als Bausteine eines

    Stadtumbauprozesses wirksam werden, der für die notwendige Anpassung

    städtischer Strukturen an sich wandelnde Anforderungen unter zunehmend

    komplexeren Rahmenbedingungen unerläss lich ist. Als entscheidend hierfür

    haben sich die Erarbeitung geeigneter Nachnutzungskonzeptionen, die Aus-

    wahl (und zum Teil auch Entwicklung) geeigneter innovativer Instrumente

    und Verfahren sowie spezifische Konstellationen und Kooperationen unter-

    schiedlicher Akteure erwiesen. Die dadurch gesammelten und mit dieser

    Forschungsarbeit in den Grundzügen dokumentier ten Erfahrungen mit Stadt-

    umbau als zentraler Teilstrategie städtischer Entwicklungspolitik bieten eine

    wichtige Grundlage, auch in der Zukunft alte und neue Aufgaben und Prob-

    leme der Stadtentwic klung qualifiziert zu bearbeiten und als Potentiale zu

    nutzen.

  • 1 11 1

    S T R A T E G I E N D E S S T A DS T R A T E G I E N D E S S T A D T U M B A U S : E I N E E I N F Ü HT U M B A U S : E I N E E I N F Ü H R U N GR U N G

    Z u m a k t u e l l e n V e r s t ä n d n i s d e s S t a d t u m b a u b e g r i f f sZ u m a k t u e l l e n V e r s t ä n d n i s d e s S t a d t u m b a u b e g r i f f s

    Der Begriff „Stadtumbau“ hat Konjunktur: Die Komplexität der aktuellen Auf-

    gaben- und Problemstellungen in der Stadtentwicklung, gekennzeichnet u. a.

    durch Rahmenbedingungen wie anhaltende wirtschaftliche Schwäche, hohe

    Arbeitslosigkeit, Schrumpfung der Bevölkerung, Wohnungsleerstände und

    strukturelle Defizite, erfordert eine Veränderung stadtentwicklungspoliti-

    scher Zielsetzungen wie auch neue planerische Ideen und Werkzeuge – mit

    dem klassischen, im Kern auf (quantitatives und qualitatives) Wachstum ori-

    entierten Instrumentarium von Stadterweiterung und Stadterneuerung allein

    scheinen die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft kaum zu bewälti-

    gen.

    In diesem Zusammenhang wird „Stadtumbau“ zunehmend als Synonym für

    adäquate Handlungsstrategien im Umgang mit den aktuellen Problemen der

    Stadtentwicklung verwendet – primär veranlasst durch die Installation des

    Förderprogramms „Stadtumbau-Ost“ des Bundesministeriums für Verkehr,

    Bau- und Wohnungswesen in 2001, mit einem wohnungswir tschaftl ichen

    Schwerpunkt auf der Frage der Bewältigung wachsender Leerstandsprobleme.

    Dass neue Handlungser fordernisse und planerische Strategien keineswegs

    nur ein Phänomen der ostdeutschen Städte darstellen, sondern gleicherma-

    ßen (wenn auch zum Teil in anderer Dimension und Ausprägung) westdeut-

    schen Städte betreffen, dokumentiert die Einrichtung eines Förderprogramms

    „Stadtumbau-West“ mit Beginn der Pilotphase in 2002.

    „Stadtumbau“ hat damit als Fördertatbestand bereits eine gesamtdeutsche

    Relevanz erreicht. Vollendet wird diese Entwicklung durch die für 2004 vor-

    gesehene Novellierung des Baugesetzbuches, mit der Stadtumbau voraus-

    sichtlich als Instrument des besonderen Städtebaurechts (neben d en tradier-

    ten Instrumenten der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme bzw. der städte-

    baulichen Entwicklungsmaßnahme sowie einer ebenfalls neu eingeführten

    Maßnahme „Soziale Stadt“) etabliert werden wird.i

    Im Kontext der oben geschilderten Entwicklungen wird Stadtumbau somit

    überwiegend als neue Aufgabe thematisiert; gleichwohl hat der Stadtumbau-

    begriff auch eine gewichtige historische Dimension als Phänomen der Stadt-

    entwicklung. Beispielhaft genannt seien an dieser Stelle lediglich die massi-

    ven stadtstrukturellen Umbrüche im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahr-

    hundert, die Veränderung städtischer Strukturen durch die Ansätze der

    Stadterneuerung in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts s o-

    wie die Wiederaufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg, die in vielen Städten

    unter dem Stichwort der Modernisierung zu einer teilweise radikalen Über-

    formung der alten Stadtgrundrisse genutzt wurde. Dementsprechend hat der

    Begriff des Stadtumbaus auch Eingang in die planungsgeschichtliche For-

    schung gefunden.ii

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    1 21 2

    „ S t a d t u„ S t a d t u m b a u “ a l s F o r s c h u n g s g e g e n s t a n dm b a u “ a l s F o r s c h u n g s g e g e n s t a n d

    Die Verwendung des Begriffs „Stadtumbau“ in der vorliegenden Forschungs-

    arbeit knüpft zwar einerseits an den planungsgeschichtlichen Bedeutungsge-

    halt wie auch an das Begriffsverständnis in der aktuellen planungspolitischen

    Diskussion an, die im Projekttitel enthaltene Charakterisierung des Untersu-

    chungsgegenstands als „Löcher in der Stadt“ verweist jedoch bereits auf e i-

    nen spezifischen Blickwinkel: So wird Stadtumbau als Prozess des Nutzungs-

    wandels auf einzelnen, eindeutig abgrenzbaren und in der Regel überschau-

    baren Standorten im städtischen Nutzungsgefüge betrachtet, der zugleich

    einen Beitrag zur fortlaufenden erforderlichen Anpassung der baulichen und

    städtebaulichen Struktur an sich wandelnde Anforderungen und Rahmenbe-

    dingungen leistet. Stadtumbauprojekte konzentrieren sich in diesem Ver-

    ständnis auf innerstädtische Flächen, deren bis zum jeweiligen Zeitpunkt

    vorherrschende Nutzungen aufgegeben oder aber die bis dahin nur unzurei-

    chend bzw. provisorisch genutzt wurden. Einen S onderfall der untersuchten

    Projekte stellen dabei komplexe gebietsbezogene Nutzungszusammenhänge

    dar: Hierbei wird ein größerer räumlicher Rahmen gezogen, innerhalb des-

    sen, verbunden durch einen gemeinsamen Entwic klungsimpuls, jeweils meh-

    rere Einzelprojekte des Stadtumbaus im oben beschriebenen Sinne entwickelt

    werden.

    Stadtumbauprojekte markieren im diesem Forschungsprojekt zugrunde lie-

    genden Verständnis zentrale Schnittpunkte im baulichen und sozioökonomi-

    schen Entwicklungsprozess der Städte: Verbinden sic h mit der „alten“ Nut-

    zung überkommene Anforderungen (wie z.B. Militär, Bahnanlagen, Industrie),

    so werden von den geplanten „neuen“ Nutzungen zumeist positive Effekte für

    die Stadt im gesellschaftlichen Strukturwandel erwartet. Die Stadtumbau-

    standorte werden – zumindest zwischenzeitlich – als Löcher in der Stadt

    wahrgenommen, die es „aufzufüllen“ gilt.

    Auch in dieser, gegenüber der aktuellen Verwendung des Begriffs einge-

    grenzten Definition hat „Stadtumbau“ eine historische Dimension innerhalb

    der Stadtentwicklungsgeschichte; gleichwohl gewinnt diese Aufgabe in den

    letzten Jahren, bedingt durch Prozesse des wir tschaftlichen, politischen und

    gesellschaftlichen Strukturwandels sowie der sich mit hoher Frequenz ä n-

    dernden Raumnutzungen, als Teilstrategie einer zukunftsbeständigen Stadt-

    entwicklungsplanung zunehmend an Bedeutung. Betraf die Notwendigkeit zur

    Wiederverwertung freigewordener Flächen zunächst vorrangig die altindustr i-

    alisierten Regionen wie beispielsweise das Ruhrgebiet oder die großen H a-

    fenstädte, so müssen sich derzeit und künftig nahezu alle Städte um Nach-

    nutzungen für große ( innerstädtische) Flächen bemühen.

    Gründe für die Zunahme disponibler Flächen sind unter anderem:

    - die Aufgabe von Militärstandorten seit Zusammenbruch des s o-zialistischen Machtgefüges,

    - die im Zuge der Umstrukturierung traditioneller lokaler Ökono-mien und der Globalisierung immer weiter fortschreitende Ver-

    lagerung von Produktionsstandorten aus industrialisierten Län-dern in periphere Regionen,

    - die veränderten Standortanforderungen von Produktions- und

    Dienstleis tungsunternehmen aufgrund neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und kürzer werdender Produkt-zyklen,

  • FORSCHUNGSBERICHT

    1 31 3

    - die Rationalisierungen und Umstrukturierungsmaßnahmen in durch die D eregulierungspolitik verursachten Privatisierungen ehemaliger staatlicher Monopolbetriebe.

    Die große Zahl der freigewordenen und noch freiwerdenden Flächen stellt

    zwar ein großes Potential für Stadtentwicklung und Stadterneuerung dar,

    impliziert aber gleichzeitig hohe Risiken: sinkende finanzielle H andlungs-

    spielräume und der anhaltende Rückzug des ö ffentlichen Sektors als Investor

    und Arbeitgeber zwingen die Städte zu neuen Kooperationsformen und bei

    stetig hoher Arbeitslosigkeit zur zügigen Nachnutzung freigewordener Flä-

    chen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Transparenz von stadtentwic k-

    lungspolitisch bedeutsamen Entscheidungen nimmt ab, gleichzeitig wächst

    die Flächen- und Investitionskonkurrenz ohne Bezug auf eine abgestimmte

    gesamtstädtische Entwicklungsperspektive.

    Die punktuelle Konzentration des Phänomens Stadtumbau auf konkrete Pro-

    jekte bzw. Standorte innerhalb des städtischen Nutzungsgefüges verbindet

    sich dabei keineswegs mit einem Ausblenden gesamtstädtischer Dimensio-

    nen, die das planungsgeschichtliche wie auch das aktuelle fachliche Ver-

    ständnis von Stadtumbau kennzeichnen. Vielmehr werden die planungsko n-

    zeptionellen, sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Hintergründe

    als immanenter Bestandteil der untersuchten Stadtumbauprojekte verstan-

    den; zugleich werden die einzelnen Stadtumbauprojekte auf ihre Wirkungen

    für die gesamtstädtische Entwicklung hin betrachtet und als spezifische his-

    torische Formen der Stadtentwicklung typisiert. Darüber hinaus werden die

    einzelnen Stadtumbauprojekte in den Kontext der generellen Stadtentwic k-

    lungsgeschichte der Fallstadt gestellt, in der sich Stadtumbau auf vielfältige

    Weise als gesamtstädtisches Phänomen abbildet: Mit Stadtumbau verbinden

    sich in diesem Zusammenhang über die Veränderung von Bau- und Nut-

    zungsstrukturen hinaus beispielsweise auch Veränderungen in der wir t-

    schaftlichen, sozialen und kulturellen Pr ägung der Stadt, Veränderungen

    lokaler wie regionaler Organis ationsformen und –strukturen sowie (auch

    stadtteilspezifisch) gezielte Veränderungen von Wohn- und Lebensqualitäten,

    insbesondere ver bunden mit der Verteilung von aufwertenden und belasten-

    den Infrastruktureinrichtungen in der Stadt.

    Auch der gewählte Untersuchungszeitraum (von 1960 bis 2000) ist sowohl

    mit dem planungsgeschichtlichen als auch mit dem die aktuelle Diskussion

    prägenden Verständnis von Stadtumbau verknüpft: Er b eginnt im Anschluss

    an die letzte „große“ Phase von Stadtumbau als planungsgeschichtl ichem

    Gegenstand, nämlich die Wiederaufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg,

    und endet zu einer Zeit, zu der Stadtumbau als komplexe Zukunftsaufgabe

    der Stadtentwicklung auch im Westen Deutschlands immer mehr an Bedeu-

    tung g ewinnt. Komplexer, gesamtstädtisch orientierter Stadtumbau als Z u-

    kunftsaufgabe ist dabei nicht etwa als Bruch mit den von uns untersuchten

    Formen des Stadtumbaus der letzten 40 Jahre zu s ehen; vielmehr stellt der

    konstruktive Umgang mit „Löchern in der Stadt“ einen wichtigen Erfahrungs-

    hintergrund wie auch einen zentralen Handlungsansatz für die Realisierung

    zukünftig notwendiger umfassenderer Neustrukturierungen des s tädtischen

    Nutzungsgefüges dar.

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    1 41 4

    S t a d t u m b a u i m w i s s e n s c h a f t l i c h e n D i s k u r sS t a d t u m b a u i m w i s s e n s c h a f t l i c h e n D i s k u r s

    Die gewachsene Bedeutung des Stadtumbaus spiegelt sich auch im wissen-

    schaftl ichen Diskurs innerhalb der Stadtforschung wider: Beispielhaft sei an

    dieser Stelle nur die 1998 veröffentlichte, querschnittsorientierte Arbeit von

    Becker, Jessen und Sander iii genannt, die

    auf ein verändertes Standortgefüge in Europa, aber auf neue Flächenreserven

    vor Ort als Anlässe zur Revision bisheriger Stadtentwicklungsprämissen hin-

    weisen. Sie konstatier en weiter den engen Zusammenhang zwischen der Ent-

    stehung großer innerstädtischer Brachflächen und der Funktionalisierung des

    Städtebaus als Mittel zur Standortprofi l ierung in der Konkurrenz zwischen

    Städten und Regionen um Entwicklungspotentiale.

    Bezüglich des die Stadtumbau-Thematik prägenden Strukturwandels wurden

    die seit den siebziger Jahren entwickelten, strukturalistisch geprägten Theo-

    rieansätze, die Ursachen, Probleme und Folgen des globalen Strukturwandels

    in ihrer Wirkung auf die baulich-räumlichen Veränderungen durch übergrei-

    fende nicht stadtspezifische Regelhaftigkeiten der Kapitalakkumulation zu

    erklären suchen, in den letzten Jahren zunehmend unter Einblendung der

    stadträumlichen Dimension weiterentwickelt. Der bereits 1990 von Borst u. a.

    herausgegebenen Band der Reihe Stadtforschung aktuell: „Das neue Gesicht

    der Städte“ sucht für den deutschsprachigen Raum den Anschluss an die

    internationale Debatte über die sich abzeichnenden Muster räumlicher Ent-

    wicklung eines neuen „flexiblen Akkumulationsregimes“, die als Hierarchisie-

    rung des Städtesystems beschrieben werden. Dieses wird in neueren Publika-

    tionen als Erklärungsmuster für aktuelle Entwicklungen z.B. von Häußermann

    und Roost (1998) kritisiert. Läpple (1998) stellt dem „Global City Konzept“

    einen gesellschaftstheoretischen Erklärungsansatz gegenüber, der die spezi-

    fischen sozialen, i nstitutionellen und kulturellen städtischen Kontexte stär-

    ker mitberücksichtigt. Er plädiert für komplementäre Analysekonzepte von

    Branche, Milieu und Cluster, ohne deren Verknüpfung sich die „städtischen

    Entwicklungsprozesse im Spannungsfeld externer und interner Entwicklungs-

    dynamik“ nicht adäquat analysieren l ießen.

    Im Bereich der Planungstheorie stehen die gängigen Phasenmodelle zur Per i-

    odisierung der instrumentellen und methodischen Herausbildung von Formen

    städtischer Entwicklungsplanung iv inzwischen ebenfalls zunehmend in der

    Kritik. Selle ersetzt die Phasenmodelle in seiner 1998 erschienenen Veröf-

    fentlichung „Alte und neue Planungskulturen: Vermutungen über Zäsur u nd

    Kontinuität“ durch ein zunehmend komplexer werdendes Schichtenmodell.

    Seine These von einer seit Mitte der 60er Jahre wachsenden „Gleichzeitigkeit

    von U ngleichzeitigem“ korrespondiert mit der in der vorliegenden Untersu-

    chung zu belegenden Einschätzung, dass insbesondere Stadtumbauprojekte

    in der Regel von einer sehr differenzierten Prägung durch Leitbilder, Metho-

    den und Verfahren in der konkreten planungspolitischen Situation vor Ort

    gekennzeichnet sind.

    Inhaltl ich herrscht weitgehend Übereinstimmung in der Einschätzung, dass

    die Versuche der Etablierung einer komplexen kommunalen Gesamtentwic k-

    lungsplanung in den sechziger und frühen siebziger Jahren gescheitert sind,

    und seither Inkrementalismus und Patchwork-Planung einzelner, kaum ver-

    bundener Projekte zur gängigen Planungs- und Umsetzungsstrategie gewor-

    den sind. In dieser Situation wurde mit der IBA Emscher Park in den neunzi-

    ger Jahren versucht, als „erfolgreicheren Nachkommen“ der Gesamtentwic k-

    lungsplanung (nach Sieverts und Ganser (1994)) den "perspektivische Inkre-

  • FORSCHUNGSBERICHT

    1 51 5

    mentalismus“ als eine Planungsstrategie zu etablieren, die die Realisierung

    punktueller Projekte in einen gemeinsamen, zukunftsgerichteten Zusammen-

    hang stellt und als Vorbild für die Erneuerung alter Industrieregionen fungie-

    ren soll. Im hier dokumentierten Forschungsvorhaben wurde in diesem Sinne

    auch der Blick auf die gesamtstädtischen Auswirkungen der Stadtumbaupro-

    jekte sowie deren Rolle innerhalb des Planungsprozesses gerichtet.

    Schließlich bietet die Stadtumbau-Thematik auch vielfältige Anknüpfungs-

    punkte an die anwendungsbezogene Ressortforschung im Bereich von Städ-

    tebau und Stadterneuerung: So ist Stadtumbau immer wieder in einzelnen

    Forschungsfeldern des ExWoSt - Programms des BMVBW enthalten, es geht

    jedoch lediglich um bestimmte Flächentypen (z.B. Industriebrachen oder

    militärische Konversionsflächen), Teilaspekte (z.B. neue Modelle öffentlich-

    privater Kooperation, Altlastenproblematik), oder um abgeleitete Fragestel-

    lungen aus anderen Fachpolitiken (z.B. Städtebau und Wir tschaft).

    Insgesamt wird die Aktualität der Stadtumbau-Thematik durch zahlreiche

    Vorarbeiten aus allen relevanten Fachdisziplinen belegt, wenngleich diese in

    der Regel auf bestimmte Teilaspekte fokussiert sind. Die vorliegende For-

    schungsarbeit versucht im Kontext dieser Forschungserkenntnisse, quer-

    schnittsorientiert die komplexe Rolle von Stadtumbau als Teilstrategie einer

    zukunftsbeständigen Stadtentwic klungsplanung herauszuarbeiten.

  • 1 71 7

    Q U A L I T Ä T E N D E S S T A DQ U A L I T Ä T E N D E S S T A D T U M B A U S : Z I E L E D E R UT U M B A U S : Z I E L E D E R U N T E R S U C H U N GN T E R S U C H U N G

    Im Zentrum der Untersuchung stehen die komplexen Zusammenhänge von

    Entstehungsbedingungen, öffentlicher, politischer und fachlicher Diskussio-

    nen sowie der Realisierung von Stadtumbauprojekten seit Anfang der 60er

    Jahre in einer ausgewählten mittleren Großstadt. Die Stadtumbauprojekte

    werden im Kontext des allgemeinen Stadtentwicklungs- und Stadterneue-

    rungsprozesses in diesem Zeitraum betrachtet und damit u. a. auch in Z u-

    sammenhang gestellt mit den lokalen Auswirkungen globaler Restrukturie-

    rungsprozesse, der Orientierung der kommunalen Entwic klung an Leitbildern

    im weitesten Sinne sowie mit der Herausbildung und Wirkungsweise lokaler

    Macht- und Akteurskonstellationen.

    Die Untersuchung setzt dabei Schwerpunkte auf bestimmte Blickwinkel und

    Fragestellungen: So ist eine wichtige Frage die nach den angewandten Ver-

    fahren und Instrumenten im j eweiligen zeitlichen Kontext sowie mögliche

    Konsequenzen für die Prozess- und Pr oduktqualitäten. Gefragt wird zudem

    nach der Rollenverteilung zwischen den verschiedenen Akteursgruppen im

    Stadtumbauprozess und damit nach Machtverhältnissen in städtischen Ent-

    wicklungsprozessen. Hierbei erscheint insbesondere das Verhältnis von ö f-

    fentlichem und privatem Sektor bei der Planung und Realisierung von Stadt-

    umbauprojekten von Bedeutung.

    Ein weiterer wichtiger Untersuchungsaspekt sind die im Zuge von Stadtumbau

    zum Tragen kommenden städtebaulichen und gesellschaftspolitischen Leit-

    vorstellungen in ihrer lokalen Verortung, die zugleich ein Kriterium dafür

    bilden, ob und mit welcher Reichweite Nutzungsänderungen auf innerstädti-

    schen Standorten Wirkungen im Sinne von Stadtumbau zu erzielen vermögen.

    Zudem wird vor dem Hintergrund, dass die Umnutzung innerstädtischer Flä-

    chen häufig erhöhte, spezifische Anforderungen an die Stadtentwicklungs-

    planung stellen, untersucht, ob und inwieweit es in der Fallstadt gelungen

    ist, die Stadtentwicklung planerisch so zu steuern, dass zugunsten der poli-

    tisch gewollten Nutzung einer Stadtumbaufläche (bezüglich Art, Maß und

    Zeitpunkt der Nutzung) kontraproduktive Entwicklungen auf der Stadtumbau-

    fläche selbst wie auf konkurrierenden peripheren Standorten vermieden wer-

    den konnten - das Stadtumbauprojekt somit also positiv in eine gesamtstäd-

    tische Entwicklungsperspektive integriert werden konnte.

    Schließlich wird der Blick auch auf soziale, ökologische und kulturelle Poten-

    tiale von Stadtumbauflächen und ihre Aktivierung oder auch Zerstörung

    durch die Realisierung der untersuchten Stadtumbauprojekte gerichtet. A n-

    gesprochen sind somit Regenerations- oder Naherholungsfunktionen, aber

    auch Gelegenheiten zur Bewältigung von Folgeproblemen des Strukturwan-

    dels: als Raum für selbstorganisierte, oftmals stadt(teil)verträglichere Stadt-

    umbauprojekte, für alternative bzw. niedrigschwellige Wohn-, Arbeits- und

    Kulturprojekte, für Zwischennutzungen zu ökonomischen und sozialen Kon-

    ditionen, die unter regulären Bedingungen nicht oder nur schwer organisier-

    bar wären.

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    1 81 8

    Mit der Auswahl Kassels als Untersuchungsgegenstand steht eine struktur-

    schwache mittlere Großstadt mit starken altindustriellen Traditionen und

    vereinzelten Wachstums- und Innovationssektoren im Mittelpunkt, deren

    Stadtumbauprojekte der vergangenen 40 Jahre unter anderem durch ein brei-

    tes Spektrum an Flächentypologien und Nachnutzungskonzepten sowie zum

    Teil auch durch innovative planerische Verfahren und öffentlich-private Ko-

    oper ationen gekennzeichnet sind.

    Die Analyse von Kasseler Stadtumbauprojekten der vergangenen vier Jahr-

    zehnte hat zum Ziel, Beiträge zu einer differenzierten Sicht auf die jüngere

    Planungsgeschichte, zur lokalen Politikforschung wie auch zur

    Weiterentwicklung planungstheoretischer und planungsmethodischer

    Diskussionen zu leisten. Die Aufarbeitung der Funktion und Wirkung von

    Stadtumbau soll jedoch auch Erkenntnisse hinsichtlich der Gestaltung

    zukünftiger Stadtumbauprozesse zur Bewältigung d er anstehenden Aufgaben

    und Probleme der Stadtentwicklung ermöglichen.

  • 1 91 9

    U N T E R S U C H U N G S M E T H O DU N T E R S U C H U N G S M E T H O D I K : Z U M A U F B A U D E S FI K : Z U M A U F B A U D E S F O R S C H U N G S B E R I C H T SO R S C H U N G S B E R I C H T S

    D o k u m e n t a t i o n d e s F o r s c h u n g s p r o j e k t sD o k u m e n t a t i o n d e s F o r s c h u n g s p r o j e k t s

    Stadtumbau als Aufgabe und Strategie der Stadtentwicklung erweist sich als

    ebenso vielfältiger wie komplexer Untersuchungsgegenstand. Die Konzeption

    des Forschungsprojekts ist vor diesem Hintergrund darauf ausgerichtet, sich

    „Stadtumbau“ von verschiedenen Seiten und unter unterschiedlichen G e-

    sichtspunkten zu nähern. So befasst sich ein Teil der Beitr äge – orientiert an

    den zugrunde liegenden Arbeitsthesen - mit der Verdichtung der gesammel-

    ten Informationen zu Erkenntnissen bezüglich einzelner Kasseler Stadtum-

    bauprojekte, der Gesamtmenge der untersuchten Projekte sowie auch zum

    Instrument des Stadtumbaus. Demgegenüber öffnen andere Beiträge den

    Blickwinkel über Thesen und Projekte hinaus auf weitere Zusammenhänge, in

    denen Stadtumbau als Phänomen der Stadtentwicklung verortet ist: Dies u m-

    fasst unter anderem einen differenzierten, in Teilen auch i nterpretierenden

    Blick auf die Kasseler Stadtentwicklung im Untersuchungszeitraum, aber auch

    eine Dokumentation und Einordnung externer Beiträge zu diesem Themen-

    komplex, die beispielsweise im Rahmen von Kolloquien in das Forschungs-

    projekt eingespielt wurden.

    Die einzelnen Beiträge des Forschungsberichts bauen dementsprechend nur

    bedingt aufeinander auf; vielmehr bilden sie ein Netzwerk an Informationen,

    Einsichten und Erkenntnissen, wobei einzelne thematische Überschneidungen

    bewusst beibehalten sind, um die jeweils gewählte Perspektive innerhalb

    eines Beitrags angemessen darzustellen. Um die aus der Forschungsarbeit

    abzuleitenden Erkenntnisse angemessen zu erschließen, besteht der Endbe-

    richt des Forschungsbericht aus zwei Teilen: Im vorliegenden Forschungsbe-

    richt sind neben der Darstellung des Forschungsansatzes die wesentlichen

    Erkenntnisse aus der Untersuchung zusammengestellt; die Schlussbetrach-

    tung konzentriert sich auf eine Einordnung der gewo nnenen Erkenntnisse in

    den aktuellen planungswissenschaftlichen Diskurs. Dagegen wird das Spekt-

    rum der sich auch strukturell zum Teil deutliche unterscheidenden Einzelbei-

    träge, Materialien und Analysen in einem Dokumentationsband zusammenge-

    stellt, der es nicht nur erlauben soll, die formulierten Ergebnisse im Einzel-

    fall nachzuvollziehen, sondern zugleich auch wichtiges Material für weitere

    Forschungen sowohl zum Phänomen des Stadtumbaus als auch zur spezifi-

    schen Kasseler Stadtentwicklungsgeschichte verfügbar zu machen. Eine I n-

    haltsübersicht des Dokumentationsbandes i st im Anhang des vorliegenden

    Forschungsberichts dokumentiert (siehe Seite 89) .

    D a t e n q u e l l e nD a t e n q u e l l e n

    Die Erhebung von Primärdaten zur Kasseler Stadtentwicklung sowie insbe-

    sondere zu den Stadtumbaustandorten in Kassel konzentrierte sic h im we-

    sentlichen auf die folgenden Informationsquellen:

    - das Archiv der lokalen Monopol-Tageszeitung „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“ (Auswertung der Tagespresse),

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    2 02 0

    - das Stadtarchiv der Stadt Kassel (Auswertung der Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, des für Stadtentwicklung z u-ständigen Ausschusses sowie der Bau- und Planungskommissi-

    on, die als Ausschuss des Magistrats fungiert) ,

    - das Planungsamt der Stadt Kassel (Auswertung von Publikatio-nen und a nderen Materialien zur Stadtentwicklung bzw. Stadt-

    umbaustandor ten),

    - die Kasseler Universitätsbibliothek (Auswertung der Literatur

    zur jüngeren Stadtgeschic hte), sowie

    - das Informationssystem Planung des Fachbereichs Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung der Universität Kassel (Aus-

    wertung der Literatur zur jüngeren Stadtgeschichte sowie stu-dentischer wie wissenschaftlicher Arbeiten zur Stadtgeschichte

    und zu Stadtumbaustandorten).

    Darüber hinaus wurden 23 leitfadengestützte Interviews mit wichtigen A k-

    teuren der Kasseler Stadtentwicklung durchgeführt, insbesondere die im

    Untersuchungszeitraum amtierenden Oberbürgermeister, Stadtbaurätinnen

    und – räte sowie Planungsamtsleiter. Darüber hinaus wurden weitere G e-

    sprächspartner nach ihrer vermuteten oder bekannten Sachko mpetenz hin-

    sichtlich der Kasseler Stadtentwicklung im allgemeinen oder bestimmter Teil-

    aspekte ausgewählt, so zum Beispiel:

    - Leiter bzw. leitende Mitarbeiter anderer Ämter des Baudezer-

    nats bzw. der Stadtentwicklungsorganisation in der Verwaltung (z.B. Stabstellen beim Oberbürgermeister)

    - Geschäftsführer von lokal engagierten Wohnungs- und Städte-baugesellschaften, aber auch anderer Institutionen,

    - Stadtplanungs- / Städtebauprofessoren des 1972 gegründeten

    Studiengangs Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung an der damaligen Gesam thochschule (heute Universität) Kassel,

    sowie

    - planungspolitische Sprecher der in der Stadtverordnetenver-sammlung ver tretenen Parteien.

    Mit Hilfe der Interviews konnten vielfältige Informationen, aber auch Ein-

    schätzungen, Überzeugungen und Bewertungen zu Stadtentwic klung und

    Stadtumbau in Kassel seit 1960 sichtbar gemacht werden. Im Dokumentati-

    onsband ist eine zusammenfassende Auswertung dieser Interviews, kombi-

    niert mit wesentlichen Auszügen aus den Gesprächsprotokollen, enthalten.

    I n t e r p r e t i e r e n d e S t a d t e n t w i c k l u n g s g e sI n t e r p r e t i e r e n d e S t a d t e n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t ec h i c h t e

    Ein zentraler Baustein zur Erfassung des Phänomens Stadtumbau in Kassel

    seit 1960 ist die Aufarbeitung der allgemeinen Entwicklungsgeschichte der

    Stadt in diesem Zeitraum. War zunächst ausschließlich eine knappe, deskrip-

    tiv-schematische Darstellung wesentlicher Personen und Ereignisse als Hin-

    tergrundfolie für die zu untersuchenden Stadtumbauprojekte vorgesehen, so

    zeigte sich im Verlauf der Forschungsarbeit sehr schnell, dass dies allein

    keine ausreichende Basis für eine qualifizierte Einordnung der Stadtumbau-

    projekte in den Kontext der gesamtstädtischen Entwicklung bieten kann, da

    Stadtumbauprojekte häufig sehr eng mit spezifischen Phasen, Abläufen und

  • FORSCHUNGSBERICHT

    2 12 1

    personellen Konstellationen in der Stadtentwicklung in Verbindung stehen.

    Diese sind vielfach nur bedingt objektivierbar und allein durch eine schema-

    tische Betrachtung nicht zu erfassen; die Dokumentation wichtiger (in der

    Regel subjektiver) Aussagen aus den bereits erwähnten Interviews s owie die

    vorgenommene Kommentierung durch die Verfasser im Dokumentationsband

    ist Ausdruck des Stellenwerts spezifischer Sichtweisen auf Stadtentwicklung

    und Stadtumbau.

    Der Beginn des Untersuchungszeitraums um 1960 ist aus dem zu diesem

    Zeitpunkt auch in Kassel in fortgeschrittenem Maße realisierten Wiederaufbau

    hergeleitet. Hierbei handelt es sich jedoch keineswegs um eine Zäsur in der

    Stadtentwicklung, vielmehr wirken lange „rote Fäden“ der Stadtentwicklung in

    den Untersuchungszeitraum hinein (und wieder heraus). Der Stadtentwic k-

    lungsgeschichte ab 1960 vorangestellt w urde daher eine ebenfalls im Doku-

    m entationsband enthaltene Betrachtung der den Untersuchungszeitraum

    prägenden, übergreifenden Entwicklungslinien Kassels.

    F a l l m o n o g r a p h i e nF a l l m o n o g r a p h i e n

    Umfasste das Spektrum der geplanten Untersuchungsfälle im Rahmen der

    Erstellung des Forschungsantrags noch ca. 24 Projekte, so verdreifachte sich

    diese Zahl im Verlauf des Forschungsprojekts nahezu auf 70 Projekte, b e-

    dingt durch Hinweise aus Archivrecherche und Interviews sowie durch das

    letztlich dem Forschungsprojekt zugrundegelegte Ver ständnis von Stadtum-

    bau.

    Die zu den einzelnen Projekten verfügbaren Informationen wurden nach e i-

    nem definierten Kriterienkatalog verarbeitet, wobei sich hier zwangsläufig

    höchst unterschiedliche Datendichten ergaben. Als Kriterien erfasst wurden

    unter anderem Aussagen zu: stadträumlicher Lage, Eigentümern und Nut-

    zung, Standort- bzw. Nutzungsgeschichte, Planungszielen und -strategien,

    Planungs- und Realisierungszeitraum, Verfahren und Instrumenten, Kosten,

    Finanzierung und Förderung, wesentlichen Hindernissen und Begünstigun-

    gen, wesentlichen Verfahrensbeteiligten, Formen öffentlich-privater Koope-

    ration, Rezeption in der Stadtöffentlichkeit, kommunalpolitischem Stellen-

    wert, sowie zur Einschätzung des Erfolgs bzw. der Auswirku ngen für die

    Stadt- und Stadtteilentwicklung.

    Die im Dokumentationsband enthaltenen Fallmonographien stellen eine g e-

    wichtete Auswertung der für die jeweiligen Projekte verfügbaren Informatio-

    nen dar; sie sollen einen knappen Überblick über das Spektrum der unter-

    suchten Fälle vermitteln und z ugleich die jeweiligen Merkmale und Besonder-

    heiten der Projekte herausstellen.

    T y p o l o g i s i e r u n g u n d A n a l y s e d e r S t a d t u m b a u p r o j e k t eT y p o l o g i s i e r u n g u n d A n a l y s e d e r S t a d t u m b a u p r o j e k t e

    Aufbauend auf der deskriptiven Aufarbeitung der 70 untersuchten Stadtum-

    bauprojekte wurden diese typologisiert und dem Erkenntnis interesse des

    Forschungsprojekts entsprechend analysiert.

    In einem ersten Schritt wurden die untersuchten Projekte hinsichtlich dreier

    grundlegender Merkmale analysiert, nämlich der Vornutzung, der Nachnut-

    zung sowie der prägenden A nlässe für die Umnutzung. Auf diese Weise e r-

    gibt sich ein vielfältiges Bild des Stadtumbaugeschehens in Kassel, das

    zugleich deutliche Gewichtungen für bestimmte Typen des Stadtumbaus auf-

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    2 22 2

    zeigt. Daran anschließend wurden die Projekte auf Verfahrens- und Prozess-

    merkmale hin unter sucht – mit dem Ziel, ggf. Zusammenhänge zwischen

    bestimmten Ver fahrensarten und bestim mten Prozess- und Produktqualitäten

    zu ermitteln. Ein weiterer Untersuchungsabschnitt widmet sich schließlich

    der Funktion und Rolle öffentlicher und privater Akteure innerhalb von Stadt-

    umbauprozessen; Untersuchungsgegenstand ist dabei im besonderen die

    Funktion des Veranlassers, die Rolle von Stadtpolitik und –planung, Formen

    öffentlich-privater Kooperation sowie das spezifische Verhältnis zwischen

    Stadt und öffentlichen bzw. privaten Akteuren.

    Darüber hinaus richtet sich ein weiterer Blickwinkel der Untersuchung auf

    Leitbilder im weitesten Sinne; gefragt wurde nicht nur nach städtebaulichen

    Leitbildern, sondern auch nach gesellschaftspolitischen Handlungsmaximen,

    sofern sie in Stadtumbauprozessen zum Ausdruck kamen. Unter dem Stic h-

    wort „Stadtumbau und kommunales Flächenmanagement“ werden im A n-

    schluss der kontextuelle Bezug der Stadtumbauprojekte, Auswirkungen auf

    Stadt und Quartier, das Maß an Interessensübereinstimmung o der –divergenz

    zwischen der Gesamtstadt und dem betreffenden Stadtteil, Finanzierungs-

    merkmale und stadtökonomische Fragestellungen betrachtet. Den letzten

    Untersuchungsaspekt bilden soziale, kulturelle und ökologische Potentiale,

    verbunden mit der Frage, o b diese im Zuge von Stadtumbauprojekten ermög-

    licht, durch externen Widerstand durchgesetzt oder zerstört wurden. Die

    Ergebnisse dieser Analyse sind ebenfalls im Dokumentationsband dargestellt.

    K o l l o q u i e nK o l l o q u i e n

    Im Verlauf des Forschungsprojekts wurden zwei Kolloquien durchgeführt.

    Das erste Kolloquium im Mai 2001 diente dazu, auf Grundlage erster Zwi-

    schenergebnisse die Methodik sowie weitere Schwerpunktsetzungen des Pro-

    jektes zu diskutieren. Teilgenommen haben Wissenschaftler der Universität

    Kassel aus den Bereichen Stadtplanung, Stadtsoziologie, Wirtschaftswissen-

    schaften und Politikwissenschaften.

    Das zweite Kolloquium war dagegen stärker auf inhaltliche Dimensionen des

    Stadtumbaus ausgelegt: Unter dem Titel „Stadtumbau als Teilstrategie eines

    räumlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses" wurden in einer

    zweitägigen Veranstaltung unterschiedliche D imensionen und Sichtweisen auf

    den Forschungsgegenstand „Stadtumbau“ thematisiert. Diskussionsgrundlage

    waren neben Beiträgen aus dem Arbeitsprozess des Forschungsprojekts R e-

    ferate der folgenden Wissenschaftler und Fachleute: Prof. Dr. Heinrich Mä-

    ding, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik, Berlin, Prof. Dr. Erika

    Spiegel, Soziologin, Heidelberg, PD Dr. Dirk Schubert, Stadtplaner, Hamburg,

    Dr. Werner Heinz, Stadtplaner, Köln, PD Dr. Susanne Hauser, Kulturwissen-

    schaftlerin, Berlin, Dr. Irene Wiese von Ofen, Stadtplanerin, Essen und Prof.

    Dr. Harald Bodenschatz, Soziologe und Stadtplaner, Ber lin.

    Eine Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse der Kolloquien, ergänzt

    durch einzelne Beiträge im Original, enthält der Dokumentationsband.

  • 2 32 3

    G E G E N S T A N D D E R U N T EG E G E N S T A N D D E R U N T E R S U C H U N G : D I E F A L L S TR S U C H U N G : D I E F A L L S T A D T K A S S E LA D T K A S S E L

    E I N F Ü H R U N G I N D E N U NE I N F Ü H R U N G I N D E N U N T E R S U C H U N G S G E G E N S T A NT E R S U C H U N G S G E G E N S T A N DD

    P r ä g e n d e M e r k m a l e d e r S t a d t K a s s e lP r ä g e n d e M e r k m a l e d e r S t a d t K a s s e l

    Typologisch lässt sich Kassel heute charakterisieren:

    � als schrumpfende mittlere Großstadt mit einer Bevölkerung, die seit einigen Jahren deutlich unter die 200.000er Grenze gefallen

    ist und weiter fällt;,

    � als relativ isoliertes Oberzentrum einer strukturschwachen Region

    mit ca. 1 Mio. Einwohner,

    � mit Arbeitslosenziffern um 14% gehört Kassel heute ebenso wie in den 1950er Jahren zu den Schlusslichtern in Westdeutschland, die

    heutige Zahl der Sozialhilfeempfänger ist die höchste in den alten Bundes ländern,

    � als Stadt, die im Aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich Han-nover und Kiel, Rotterdam und Coventry die städtebauliche Neu-ordnung in den Vordergrund g estellt hat und heute vor diesem

    Hintergrund ähnliche stadtstrukturelle Probleme zu b ewältigen hat wie diese.

    Über solche eher grobe Zuordnungen hinaus hat Kassel auf städtebaulichem

    Gebiet auch immer wieder bestimmte markante „Spitzen- bzw. Vorreiter -

    Positionen“ b esetzt:

    � In den 1920er Jahren als Vorreiter in der Stadterneuerung,

    � in den 1930er Jahren als einzige Stadt im Reich, deren ko nkrete Planung Aufmar schachsen nicht nur im Zentrum sondern systema-tisch auch in den Stadtbezirken vorsah,

    � als einzige Stadt der Bundesrepublik, die dies auch noch nach 1945 nicht aus den Wiederaufbau-Plänen getilgt hatte, und schließlich

    � in den 1950er Jahren als die Stadt, die – offensichtlicher Verknüp-fungspunkt mit unserer Studie – den wohl drastischsten Stadtum-

    bau der neuen Bundesrepublik nicht nur plante, sondern über eine vom Umfang her beispiel lose Kommunalisierung von über 850 Grundstücken auch realisierte. Dieser beinhaltete den Neuaufbau

    der gesamten Altstadt als vorortartige Wohninsel in der Verkehrs-brandung des Innenstadtrings: Leuchtendes Vorbild für Pilgerrei-

    sen von Architekten aus ganz Deutschland, das sich a llerdings später als Innovationsfalle herausstellte, d ie in den 1950er Jahren nicht einfach zuschnappte, sondern sich in den 1960er Jahren z u-

    zog, als straßenbegleitendes Grün, Rad- und Fußwege immer wei-ter in Autoverkehrsflächen umgewandelt wurden - allem Anschein

    nach eine Stadt, deren immer wieder aufscheinende Planungsfreu-de lange auf wenig effektiven Widerstand traf.

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    2 42 4

    Bei näherem Hinsehen entpuppen sich diese Befunde als Elemente autoritär

    verordneter Modernisierungsstrategien, deren Wurzeln weiter zurückreichen

    als der fordistische Kontext, in dem sie ents tanden. Und es sind Motive, rote

    Fäden aus einem wirtschaftlichen, kulturellen und geschichtlichen Hinter-

    grund, die in unserer Untersuchung immer wieder in Erscheinung tr eten.

    G r u n d z ü g e d e r E n t w i c k l u n g v o n S t a d t u n d W i r t s c h a f tG r u n d z ü g e d e r E n t w i c k l u n g v o n S t a d t u n d W i r t s c h a f t

    Kassel vor der Zerstörung 1943, das war durchaus einer der „Charakterköpfe

    der Kultur“, als die Fritz Schumacher 1949 rückblickend die zerstörten Städte

    Deutschlands beschrieb. Eine Residenzstadt mit einem außergewöhnlich rei-

    chen kulturellen Erbe, mit einer der europaweit herausragenden Parkanlagen

    aus Renaissance- und Barockzeit, darüber hinaus eine Verwaltungs- und

    Garnisonsstadt und schließlich eine bedeutende Industriestadt mit den

    Schwerpunkten in den Bereichen Textil-, Fahrzeug- und Maschinenbauin-

    dustrie.

    Zwar teilte Kassel frühe städtebauliche Strukturelemente mit Berlin: Die gro-

    ßen Blocks der Hugenottenstadt neben der verwinkelten mittelalterlichen

    Altstadt und eine Achse, die vom 19. Jh. an die Richtung für den Auszug des

    Bürgertums vorgab, der in beiden Städten unter dem identischen Motto „der

    Zug nach dem Westen“ erfolgte.

    Aber anders als in Berlin haben sich die Bürger der Residenz- und

    Garnisonsstadt Kassel der ausgeprägten Abhängigkeit vom Landesherrn

    kaum entziehen können. Selbst als a ndernorts der Liberalismus Einzug hielt,

    blieb die Identität der Stadt in hohem Maße durch den kurhessischen Hof

    bestimmt. Bis 1866, als das wirtschaftlich stagnierende und politisch

    reaktionäre Kurhessen durch Preußen übernommen wurde, kann man von der

    Exis tenz eines eigenständigen Bürgertum s, das etwa in der Lage gewesen

    wäre, eine von der direkten merkantil istischen Lenkung unabhängige

    Industriepolitik zu betreiben, nicht sprechen. Ausgenommen war eine kurze

    Periode der G ewerbefreiheit unter Napoleonischer Besatzung 1806 – 1814.

    Die Folge w ar, dass sich die Mehrzahl der gewerblichen Betriebe außerhalb

    der Zollmauern der Stadt befand.

    Insgesamt stand Kurhessen am Ende seiner staatl ichen Selbständigkeit als

    ein wenig industrialisiertes Land da. Nur ein Drittel der arbeitsfähigen männ-

    lichen B evölkerung war in Handel und Gewerbe beschäftigt, davon wiederum

    galt die Hälfte als selbständig erwerbstätig: d.h. das Gewerbe verharrte im

    wesentlichen bei handwerklich-kleinbetrieblichen Formen.

    Der Übernahme durch Preußen folgte eine lebhafte wirtschaftliche Belebung,

    massiv konzentriert in zwei Produktionsbereichen: Textilindustrie und M a-

    schinenbau. Damit setzte ein ausgeprägter Segregationsprozess ein, wie wir

    ihn aus vielen Städten kennen:

    � Im Norden und Osten der Stadt expandierten jene Industriebetrie-be, die mit dem Niedergang der Schwerindustrie nach dem Zweiten

    Weltkrieg die größten unter den L öchern in der Stadt hinterließen, mit denen sich unser Projekt b efasst.

    � Im Westen entwickelte sich unter der Führung des Kasseler Textil-unternehmers Aschrott die bürgerliche Stadt, Magnet für die zah-lungskräftigeren Bewohner der Altstadt, die nun z unehmend zum

    Wohnort für Arbeiter wurde.

  • FORSCHUNGSBERICHT

    22 55

    Schon 1885, mit den für viele Städte üblichen Fluchtlinienplänen, setzten

    dann jene Sanierungsgedanken ein, die als Vorläufer der Planung zur Block-

    entkernung und Straßenverbreiterung in den 1920er und 1930er Jahren gel-

    ten können, Vorläufer der schließlich realisierten Strukturen im Neuaufbau

    nach 1945.

    Wenige große Akteure dominierten die stadtstrukturelle Entwicklung: In den

    zeitgenössischen Karten treten neben dem vom Unternehmer Aschrott

    machtvoll geprägten Wohnungsbau im Westen der Stadt vor allem der Bahn-

    hof und die Großblöcke der Kasernen in E rscheinung.

    Nach dem 1. Weltkrieg blieb die einseitig schwerindustrielle Struktur beste-

    hen. Kassel, als Stadt im vermeintlich luftkriegssicheren Raum, stieg zu e i-

    nem der wichtigsten Zentren der Rüstungsproduktion im Reich auf – einer

    der Gründe für die besonders gründliche Zerstörung 1943?

    Vor dem Hintergrund der Panzer der Henschelwerke und der Flugzeugwerke

    im Südosten der Stadt gelang es Kassel immer wieder, Zugang zu besonderen

    städtebaulichen Fördertöpfen zu erlangen: Sei es 1941 als „Gauhauptstadt“

    mit Umbauplanungen nach dem erklärten Vorbild Berlins alias Germania oder

    1943 als „Wiederaufbaustadt des Führers“.

    K a s s e l i m A u f b a u n a c h d e m Z w e i t e n W e l t k r i e gK a s s e l i m A u f b a u n a c h d e m Z w e i t e n W e l t k r i e g

    Für radikale Wiederaufbau-Konzepte schien der besonders hohe Zerstö-

    rungsgrad der I nnenstadt eine ideale Tabula-rasa-Situation zu bieten. So war

    es verführerisch, die erhaltenen G ebäude und Strukturen hinwegzureden und

    bis in die 1960er Jahre hinein das unzutreffende Klischee einer vollständig

    zerstörten Innenstadt zu pflegen: Ein inszenierter Gedächtnisverlust im Sinne

    der Modernisierung. Das Klischee diente aber auch dazu, Auseinanderset-

    zungen mit der Denkmalpflege zu vermeiden, die rasch qualifizierte Vorstel-

    lungen über die Instandsetzung teilzerstörter Ensembles entwickelte.

    Ein ideales Aufgabengebiet also zunächst 1944 für Speers Wiederaufbau-

    Stab. Zwar wurde von dessen Planungen für Kassel keine realisiert. Doch sie

    erwiesen sich als Probelauf für das Geschehen nach Kriegsende: Für die per-

    sonelle Kontinuität des Stadtbaurats Heinicke und des späteren Planungs-

    amtsleiters Hasper, ebenso wie für die übrigen Beteiligten, die als Teilneh-

    mer des Wettbewerbs von 1947 wieder auftraten.

    In wesentlich höherem Maße eklatant war der im Nachkriegsdeutschland ein-

    malige Befund, dass die Wiederaufbau-Ausstellung des Stadtplanungsamtes

    1946 ganz einfach die Gauhauptstadtplanung präsentierte, mitsamt ihrer

    flächendeckenden Anwendung des Prinzips „Ortszelle als Siedlungsgruppe“

    mit Aufmarschachsen, für die in den Stadtbezirken umfangreiche Abrisse zu

    tätigen gewesen wären. Zwar wurde die Ausstellung aufgrund öffentlicher

    Proteste geschlossen u nd die Stadtverordnetenversammlung beschloss gegen

    den Wunsch der Verwaltung einen Wiederaufbau-Wettbewerb für 1947. Doch

    der Stadtbaurat blieb im Amt und tätigte noch bis 1949 entscheidende Wei-

    chenstellungen.

    Die Parteien hielten sich mit Protesten zurück, mit Ausnahme der KPD. Die

    SPD händigte dem Stadtbaurat gar das Parteibuch aus – möglicherweise ein

    Grund dafür, dass sich deren lokale Parteigeschichte bisher nicht mit den

    ersten Nachkriegsjahren beschäftigt hat.

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    2 62 6

    Damit war diese entscheidende Politiker position für Jahre für einen mögli-

    chen Protagonisten des wahren Neubeginns verschlossen. Verständlich, dass

    die am Aufbau interessierte Ö ffentlichkeit resignierte. Sie hatte sich ja trotz

    Not, Mangel und Evakuierung interessiert an der Mitgestaltung gezeigt und

    wartete mit Vorschlägen auf, denen die Stadt jedoch bestenfalls aus „psycho-

    logischen Gründen“ ihr Interesse bekundete.

    Es macht Sinn, einen Moment lang bei dieser kassel-spezifischen resignati-

    ven Situation der Nachkriegszeit zu verweilen, weil sie ein entscheidender

    Angelpunkt für das Verständnis des folgenden Aktes ist, in dem sich der

    Verzicht der Innenstadtbevölkerung auf den Wiederaufbau ihrer Häuser, ja

    die vollständige Aufgabe der historischen Identität der Altstadt vollzieht.

    Vieles kommt zusam men: Dazu gehören das von Historikern und Kulturfor-

    schern immer wieder attestierte schwach ausgeprägte bürgerliche Bewusst-

    sein in einem u ngebrochen obrigkeitsstaatlich geprägten Umfeld und die

    offensichtliche Machtlosigkeit angesichts der soeben beschriebenen Vorgän-

    ge, und eine aussichtslos erscheinende wirtschaftliche Situation:

    Die wenigen Großbetriebe zusammengebrochen und, in ihrer einseitigen

    Ausrichtung auf Rüstungsindustrie, offensichtlich ohne Zukunft. Das Hinter-

    land weggebrochen, Verwaltungsstellen nach Südhessen verlagert, von

    225.000 Einwohnern vor der Bombardierung 1950 nur noch 160.000 übrig

    (1945: 71.000). Aus dem wirtschaftlichen Oberzentrum am Kreuzungspunkt

    wichtiger Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrsachsen war eine strukturschwa-

    che Stadt im „Zonenrandgebiet“ geworden, die ohne öffentliche Mittel kaum

    wirtschaftlich überlebensfähig war. Trotzdem b ewirbt sich Kassel 1948 um

    den Sitz der provisorischen Bundeshauptstadt und wird überraschenderweise

    sogar in die engere Auswahl aufgenommen.

    Angesichts der Perspektivlosigkeit erwuchs den Plänen und Verfahren für

    eine durchgreifende, „vollständige Modernisierung“ kaum Widerstand. Die

    1948 erlassene Bausperre erlaubte der Stadt, großflächig den Grund und

    Boden zu erwerben, um danach einheitlich, schnell und großzügig nach e i-

    nem geschlossenen Konzept neu bauen zu können. Die Vorstellungen einer

    „Moderne“, die mit den Planungen für die Blockentkernungen und Straßen-

    durchbrüche der späten 1920er Jahre begann, die Vorstellungen der NS-

    Planer, die den großflächigen Zugriff auf städtischen Boden bereits 1937 mit

    ihrem Gesetz zur Neugestaltung der deutschen Städte geregelt hatten, und

    auf das sich Heinicke anfangs berief, fließen hier, rein instrumentell betrach-

    tet, zusammen mit den Moderne-Vorstellungen der Sozialdemokratie der

    Nachkriegszeit. In Bezug auf die Beseitigung der tradierten Parzellenstruktur

    ist das Ergebnis das gleiche. Gerade hierin sahen die Planer damals den b e-

    sonderen Fortschritt. Die Vorgehensweise zum Aufbau in Form von Aufbau-

    gemeinschaften, w ie sie in Bremen und NRW vielerorts Anwendung fand, ist

    in Kassel nicht einmal diskutiert wo rden.

    So wurde es möglich, die Altstadt unter weitgehender Aufgabe des histori-

    schen Grundrisses im Rahmen eines wiederum in Deutschland einzigartigen

    Stadtumbaus als siedlungsartiges Gebilde aufzubauen.

    Es handelt sich hier um einen Sonderfall des fordistischen, nämlich des sozi-

    alstaatlichen Entwicklungsmodells. Sozialstaatlich, weil die Elemente der

    fordistischen M odernisierung, das funktionalistische Stadtmodell a us City,

    Großsiedlungen und verbindenden, leistungsfähigen Straßen maßgeblich über

    öffentliche Verfahren und mit öffentlichen Subventionen realisiert wu rden.

  • FORSCHUNGSBERICHT

    2 72 7

    Sonderfall, weil im Mittelpunkt nicht einfach die City, sondern die Kombina-

    tion von City und Wohnsiedlung (mit Läden für den täglichen Bedarf) stand.

    Der besondere Erfolg, den die Zeitgenossen in diesem speziellen Aspekt

    sahen, lag in der durchgreifenden Kommunalisierung des Bodens. Diese g e-

    lang in viel größeren Maße als die, mit dem etwa Hannovers Kr euzkirchen-

    viertel aufwarten konnte: Die Zahl der Eigentümer von Kassels Altstadtpar-

    zellen schnurrte dramatisch zusammen – eine Voraussetzung für die Bebau-

    ung vor al lem durch die großen Wohnungsbaugesellschaften. Sie waren die

    einzigen, die die dringend benötigten Wohnungen für die 7.600 Altstadtbe-

    wohner aus dem Boden stampfen konnten. Da sie hier vor allem ihre Erfah-

    rung aus ihrem eher ländlich orientierten Wirkungsfeld des vorangegangenen

    Jahrzehnts einbrachten, standen die Siedlungsbilder der ab 1936 g ebauten

    Vierjahresplansiedlungen Cornberg und Sontra eigenartigerweise im Mittel-

    punkt der fordistischen „Neuen Stadt auf altem Grund.“

    Der faktische Aufbau begann nach Aufhebung der Bausperre erst 1951. Im

    Bereich der ehemaligen Altstadt erfolgte er dafür in der Regie der öffentli-

    chen Wohnungsbaugesellschaften b esonders zügig. Das im Verhältnis zu

    anderen Städten späte Einsetzen bot die Gelegenheit, die modernsten Prob-

    lemlösungen zu berücksichtigen und damit eine besonders durchgreifende

    „vollständige“ Modernisierung zu verwirklichen – am auffälligsten im Bereich

    des Autoverkehrs und in der neuen Funktionsgliederung in Wohnbereiche

    und Geschäfts - und Andienungszonen mit Parkplätzen. Letztere entstanden

    im Bereich der barocken Oberneustadt.

    Schnell wurden die Realisierungen der Stolz des neuen Stadtbaurats, Wolf-

    gang Bangert. Die Altstadt, sagte er, „hat nichts mehr gemein mit dem alten

    verwinkelten Baugewirr. Allenthalben Grünflächen und Abstellflächen für den

    ruhenden Verkehr“. Und „In der kühlen nordhessischen Wesensart hat man

    sein Herz nicht an Vergangenes gehängt.“

    So wurde Kassel geradezu Musterstadt des Aufbaus, Modellprojekt der for-

    distischen Moderne. Unter seinen ersten drei sozialdemokratischen Oberbür-

    germeistern schrieb Kassel Geschichte: mit der ersten Documenta 1955, der

    Bundesgartenschau, der Fußgänger - und Treppenstrasse, Parkhochhäusern,

    sogar mit Hubschrauberlandeplatz, Fußgängertunnels, Ringstraßen, moder-

    nen Kreuzungen, Pionieren des Rechtsabbiegeverkehrs, den Großsiedlungen.

    Die Berliner Zeitung analysierte: „Man hat den Mut gehabt, länger als andere

    in Lumpen zu gehen, zu überlegen, zu warten... Es wurde nicht restauriert,

    nicht sentimentalisiert.“

    K A S S E L I M U N T E R S U C H UK A S S E L I M U N T E R S U C H U N G S Z E I T R A U M 1 9 6 0 B I SN G S Z E I T R A U M 1 9 6 0 B I S 2 0 0 2 2 0 0 2

    S o z i o ö k o n o m i s c h e S i t u a t i o nS o z i o ö k o n o m i s c h e S i t u a t i o n

    Generell steht der Anfang der 60er Jahre in Kassel, wie in der gesamten Bun-

    desrepublik, noch voll im Zeichen des „Wirtschaftswunders“ der Wiederauf-

    bauzeit. Die Stadt prosperiert und richtet sich auf weiteres Wachstum ein.

    Abzulesen ist dies unter anderem an der Bevölkerungsentwicklung. Die star-

    ke Bevölkerungszunahme der 50er Jahre setzt sich noch bis 1965 ungebro-

    chen fort und pendelt sich in den Folgejahren auf e inem Rekordniveau von

    fast 215 000 Menschen ein. Mit der Wir tschaftskrise 1973 setzt in Kassel ein

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    2 82 8

    Schrumpfungsprozess bis auf 184 000 Einwohner im Jahre 1986 ein. In der

    Zeit vor und nach der Wiedervereinigung 1990 gewinnt die Stadt wieder neue

    Einwohner und erreicht für einige Jahre erneut die magische Grenze von 200

    000. Seit 1997 gehört Kassel wiederum zu den schrum pfenden Städten und

    hat derzeit noch etwa 195 000 Einwohner. Die Einwohnerentwicklung ist zum

    Teil natürlich eng verknüpft mit der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung und

    der ökonomischen Situation der Region Nordhessen. Kassel als eine Stadt im

    strukturschwachen Raum war vom Ende der bundesrepublikanischen Wachs-

    tumsphase Anfang der 70er Jahre überproportional stark betroffen und seit-

    dem stark von Transferleistungen wie der Zonenrandförderung abhängig. Die

    mit der Grenzöffnung und der Wiedervereinigung verbundene Hoffnung auf

    Standortvorteile durch eine neue Zentralität b escherte der Stadt einen kurzen

    Aufschwung, hatte aber nicht die erhofften längerfristigen Effekte. Der dra-

    matische Bevölkerungsverlust zwischen 1973 und 1986 von über 30.000

    Einwohnern ist darüber hinaus aber noch stark in der hessischen Gebietsre-

    form 1973 begründet, durch die Kassel keine Eingemeindungen verzeichnen

    konnte. Die allgemein zu verzeichnende Stadtrandwanderung der Besserver-

    dienenden kommt im Großraum Kassel deshalb fast ausschließlich den Um-

    landgemeinden zugute.

    Bevölkerungsentwicklung in KasselBevölkerungsentwicklung in Kassel

    165.000

    170.000

    175.000

    180.000185.000

    190.000

    195.000

    200.000

    205.000210.000

    215.000

    220.000

    1960

    1962

    1964

    /196

    5

    1966

    1969

    1971

    1973

    1975

    1977

    1979

    1981

    1983

    1985

    1987

    1989

    1991

    1993

    1995

    1997

    1999

    JahrJahr

    Ein

    wo

    hn

    er

    Ein

    wo

    hn

    er

    Arbeitslose und Arbeitslosenquote im Hauptamtsbezirk Kassel ab Arbeitslose und Arbeitslosenquote im Hauptamtsbezirk Kassel ab 1948 1948

    02.0004.0006.0008.000

    10.00012.00014.00016.00018.00020.00022.000

    1948

    1951

    1954

    1957

    1960

    1963

    1966

    1969

    1972

    1975

    1978

    1981

    1984

    1987

    1990

    1993

    1996

    1999

    An

    zah

    l

    0,0

    5,0

    10,0

    15,0

    20,0

    25,0

    %

    ArbeitsloseArbeitslose ArbeitslosenquoteArbeitslosenquoteHauptamt Stadt Kassel - Statistikstelle -Quelle: Arbeitsverwaltung Kassel

  • FORSCHUNGSBERICHT

    2 92 9

    Schuldenstand in KasselSchuldenstand in Kassel

    0

    100.000

    200.000

    300.000

    400.000

    500.000

    600.000

    700.000

    800.000

    900.000

    1960

    1962

    1964

    /196

    5

    1966

    1969

    1971

    1973

    1976

    1978

    1980

    1982

    1984

    1986

    1988

    1990

    1992

    1994

    1996

    1998

    Jahr

    DM

    (B

    etr

    ag

    in

    1.0

    00

    DM

    )

    Anteil des sekundären Sektors an der Beschäftigung in Kassel 1960 - 2000

    46,8%41,0% 43,0%

    27,3% 28,5% 29,3% 25,1% 26,8% 22,2%

    82.000

    84.000

    86.000

    88.000

    90.000

    92.000

    94.000

    96.000

    98.000

    100.000

    102.000

    1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 19990%

    10%

    20%

    30%

    40%

    50%

    60%

    70%

    80%

    90%

    100%

    Beschäftigte davon sekundärer Sektor in %

    P o l i t i s c h e R a h m e n b e d i n g u n g e nP o l i t i s c h e R a h m e n b e d i n g u n g e n

    Kennzeichnend für die politische Situation Kassels ist die traditionelle, bis in

    die 90er Jahre ungebrochene Dominanz der Sozialdemokratie. Seit der Grün-

    dung der Bundesrepublik kann die SPD in Nordhessen fast durchgängig auf

    eine ähnlich gesicherte Basis setzen wie die CSU in Bayern. In den Landkrei-

    sen besteht diese sozialdemokratische H egemonie bis heute fort, in der Stadt

    Kassel konnte die SPD bis zum Beginn der 80er Jahre auf absolute Mehrheiten

    bauen. Unter Hans Eichel, der 1975 zum Oberbürgermeister gewählt wird,

    arbeitet die SPD von 1981 bis 1985 zum ersten Mal in Deutschland mit den

    Grünen zusammen, danach können die Sozialdemokraten noch für 2 Legisla-

    turperioden auf absolute Mehrheiten zurückgreifen, bevor 1993 ein tiefer

    Absturz von ehemals über 50% auf unter 30% erfolgt. Zum ersten Mal stellt

    die CDU 1993 die Mehrheitsfraktion, d er Christdemokrat Georg Lewandowski

    amtiert seitdem als direkt gewählter Oberbürgermeister. Mit der Kommunal-

    wahl 1997 wird die SPD erneut stärkste Fraktion in der Stadtverordnetenver-

    sam mlung, es gelingt aber nicht, langfristig stabile Mehrheiten zu erreichen.

    In schnellem Wechsel kommt es ab 1997 zu Kooperationen zwischen Grünen

    und SPD, CDU und SPD und ab 2003 schließlich zu einer Zusammenarbeit von

    CDU und Grünen.

  • LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS

    3 03 0

    Ergebnisse Kommunalwahlen in KasselErgebnisse Kommunalwahlen in Kassel

    0,0

    10,0

    20,0

    30,0

    40,0

    50,0

    60,0

    70,0

    in P

    roze

    nt

    SPD 54,4 57,9 53,7 57,1 48,6 45,4 51,7 50,5 29,8 36,0 35,7

    CDU 25,4 27,4 27,6 33,1 42,3 41,3 33,6 29,5 36,9 33,0 35,5

    FDP 14,3 10,7 11,5 8,5 6,5 6,0 5,7 6,6 7,7 3,3 5,2

    Grüne 6,7 8,5 12,3 14,0 15,6 17,1

    1960 1964 1968 1972 1977 1981 1985 1989 1993 1997 2001

    S t ä d t e b a u l i c h e M o d e r n eS t ä d t e b a u l i c h e M o d e r n e

    Städtebauliches Merkmal des Wiederaufbaus in den 50er Jahren mit dauer-

    haften Auswirkungen auf Stadtbild und Stadtstruktur ist die konsequente

    Umsetzung der Prinzipien der Moderne. Durch drastische bodenrechtliche

    Maßnahmen wird die zerstör te Altstadt durch die Neubebauung unkenntlich

    gemacht, d er Großteil der erhaltenswerten stadtbildprägenden Gebäude wie

    beispielsweise das Theater am Friedrichsplatz durch m oderne Neubauten

    ersetzt und mit der Treppenstrasse Deutschlands erste Fußgängerzone g e-

    schaffen. Kassel wird dadurch zu einem international beachteten Vorzeige-

    objekt der städtebaulichen Moderne. Nennenswerte Kritik an der Überfor-

    mung tr aditioneller Strukturen ist nicht zu verzeichnen. Der eingeschlagene

    Weg wird deshalb auch in den folgenden Jahren konsequent weiterverfolgt.

    Zur Deckung der Wo hnraumnachfrage werden in den 60er und bis weit in die

    70er Jahre nach dem Prinzip der Funktionstrennung auch in Kassel Großsied-