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Alexander von Humboldt nach einem Porzellanrelief von Friedrich Christian Tieck

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Alexander von Humboldt nach einem Porzellanreliefvon Friedrich Christian Tieck

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Alexander von Humboldt

AMERIKANISCHEREISE

Rekonstruiert und kommentiert

von

Hanno Beck

Mit 36 Illustrationen

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Inhalt

Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Alexander v. Humboldts amerikanische Forschungsreise 1799 bis 1804 . . . 9Eine Einführung

Die fragmentarischen Ausgaben des unvollendeten Humboldtschen Reise-berichtes und die einzige vollständige deutsche Übersetzung . . . . . . . 10

Kurzer Blick auf Humboldts Leben und das Werden seiner Leitwissenschaft . 13Kurze Hinweise zur Forschungsreise A. v. Humboldts . . . . . . . . . . . . 18

Alexander v. Humboldts Vorbereitung einer Forschungsreise in die TropenAmerikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1. Die Gestalt des Forschungsreisenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Der Forschungsreisende: ein von der Vernunft legitimierter Abenteurer der Aufklärung

2. Humboldts Reiseziel »Westindien«: Die Tropen der Neuen Welt . . . . . 30Sechsjährige Vorbereitung

3. Spezielle und allgemeine Vorbereitung in Jena . . . . . . . . . . . . . . . 33Zur Übung wird die Höhe jedes Hügels gemessen

4. Begegnung mit Amalie v. Imhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40»Schön, klug und talentvoll«

5. Reisevorbereitungen in Dresden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42Wagen – Kinder – Gepäck

6. Aufenthalt in Wien 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45Prof. Barth, »das genialischste Wesen in ganz Wien«

7. Schönbrunn und die österreichischen Forschungsreisenden . . . . . . . . 47Österreich kommt um einen Bonpland

8. Wissenschaftliche Arbeiten in Salzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Humboldt wachsen tausend Hände

9. Die »Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser« . . . . . . . . 56Gegen jede Tierquälerei

10. Die Abkehr von der »Lebenskraft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61Erfahrung, keine Spekulation

11. Pasigraphische Ideen und Schillers Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . 64Humboldts drittes Forschungsprogramm

12. Der innere Zweck der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67Rechtfertigung reiner Forschung

13. Anregungen für Forschungsreisen in den »Versuchen« . . . . . . . . . . 68Umriss einer medizinischen Geographie

14. Der Plan der ägyptischen Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Der Sinn einer »Zwischenzeit« – »Die Ausrottung des Feudalsystems«

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15. Humboldt in Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Die wissenschaftliche Hauptstadt der Welt

16. Aimé Bonpland. Reisepläne nach Nordafrika . . . . . . . . . . . . . . 79Ein Mann mit einer zerbeulten Botanisiertrommel

17. Grundlegende geographische Forschungen auf der Reise nach Spanien . 84Humboldt profiliert erstmals ein europäisches Land

18. Die Verwirklichung der Forschungsreise in Madrid . . . . . . . . . . . 92Humboldt spricht spanisch und erreicht alles

19. Letzte Vorbereitungen in Madrid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97Leistungen spanischer Forscher

20. Die letzten Tage in Europa. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . .100»Der Mensch muß das Große und Gute wollen!«

Alexander v. Humboldts Forschungsreise in den Tropen Amerikas . . . . . 1071. Geschichte und wissenschaftliche Erschließung Südamerikas im Über-

blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107Oft kompromisslose Schärfe der Urteile

Der erste Abschnitt der Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1162. Die Kanarischen Inseln und die Überfahrt . . . . . . . . . . . . . . . .116

Erstmals auf außereuropäischem Boden

3. Humboldts Ankunft in Südamerika: Cumaná . . . . . . . . . . . . . . .125Erstes Erlebnis tropischen Landes: Tanz mit Negerinnen

4. Die Kapuziner-Missionen bei Cumaná . . . . . . . . . . . . . . . . . .128Bei christianisierten Indianern

5. Publizistische Wirksamkeit Humboldts in Reisebriefen . . . . . . . . . .136Publicity – Jägerlatein – Abenteuer

6. Caracas und die Täler von Aragua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .138Blick aus der Theaterloge in den Sternenhimmel

7. Fahrt zum Orinoco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142Zitteraale sind »lebendige elektrische Batterien«

8. Auf dem Orinoco zur brasilianischen Grenze . . . . . . . . . . . . . . .147Ernte von Schildkröteneiern – Die Leiden einer indianischen Mutter

9. Rückreise vom Casiquiare über Nueva Barcelona . . . . . . . . . . . . .165Moskitoplage – Schwüle – Curare

10. »Skizze einer geologischen Schilderung des südlichen Amerika« . . . . .181»Ein Riß vom Gezimmer der Erde«

11. Abreise von Cumaná . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .185Französische Soldaten verbreiten revolutionären Geist

Der zweite Abschnitt der Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .18712. Der Aufenthalt in Kuba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .187

Begegnung mit John Fraser und seinem Sohn

13. Cartagena. Humboldts Vermessungsmethode . . . . . . . . . . . . . .193»Barbarisches Schauspiel« in Cartagena

14. Auf dem Magdalenenstrom nach Bogotá. . . . . . . . . . . . . . . . .200»Eine schreckliche Tragödie« – »Schneekoppe plus Brocken«

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15. José Celestino Mutis. Die Lage der Wissenschaft in Bogotá . . . . . . . .209Der größte Gelehrte Südamerikas

16. Humboldts Forschertätigkeit in Bogotá . . . . . . . . . . . . . . . . .214Geograph und Forschungsreisender

17. Überquerung der Anden von Popayán nach Quito . . . . . . . . . . . .220Ablehnung des Missbrauchs der Menschenwürde

18. Treffen mit Caldas und Aufenthalt in Quito . . . . . . . . . . . . . . .225Der begabteste junge Naturforscher Südamerikas

19. Die Besteigung des Pichincha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .230»Stechender Geruch von schwefliger Säure«

20. Humboldts Verhältnis zu Caldas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .232Caldas will Humboldts Begleiter werden

21. Besteigung des Chimborazo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .241»Stille Größe und Hoheit« – der Naturcharakter tropischer Landschaft

22. Spuren der Inkas auf dem Weg nach Peru . . . . . . . . . . . . . . . .244Reste der Inkastraße – Durch Páramos

23. Humboldt in Lima. Thaddäus Haenke . . . . . . . . . . . . . . . . . .255»Weder prunkvolle Häuser, noch überaus luxuriös gekleidete Frauen«

24. Reise über Guayaquil nach Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261Erster Entwurf des »Naturgemäldes der Tropenländer«

Der dritte Abschnitt der Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26725. Humboldts Aufenthalt in Mexiko-Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . .267

Vorzügliche wissenschaftliche Einrichtungen – Unwissenheit ist keine Folge des Klimas

26. Reisen in das nördliche Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .271Querétaro – Guanajuato – Menschenschinderei in Manufakturen und Bergwerken

27. Das Colegio de Minería und der »Essay de Pasigraphie« . . . . . . . . .274Profile: »Höhenkarten« und »Formationskarten«

28. Humboldts Abschied von Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .281Messung klassischer Vulkane – Nochmals auf Kuba

29. Humboldts Aufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika. Heim-Heim-kehr nach Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .286Dolley Madison: »All the ladies say they are in love with him«

30. Die Bedeutung der amerikanischen Forschungsreise und ihre Auswertung293Das größte private Reisewerk der Geschichte – Der erste selbständige großedeutsche Forschungsreisende

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297Alexander v. Humboldts Vorbereitung einer Forschungsreise in die Tropen

Amerikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297Alexander v. Humboldts Forschungsreise in den Tropen Amerikas . . . . . .315Literatur-Ergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .350Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .352

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Alexander v. Humboldts amerikanischeForschungsreise 1799 bis 1804

Eine Einführung

Nur der Naturforscher ist verehrungswert, der unsdas Fremdeste, Seltsamste mit seiner Lokalität, mitaller Nachbarschaft jedes Mal in dem eigensten Ele-mente zu schildern und darzustellen weiß. Wie gernmöchte ich nur einmal Humboldten erzählen hören!Goethe: Die Wahlverwandtschaften (1809)

Nicht zufällig begründete die amerikanische Forschungsreise von1799 bis 1804 den Weltruhm Alexander v. Humboldts, und derLeser wird nicht mit Unrecht annehmen, dass der größte Geographder Neuzeit, der zugleich der maßgebende Forschungsreisende sei-ner Epoche war, diese Unternehmung selbst vollständig dargestellthabe. Dieser Irrtum wird durch die Humboldt-Ausgaben genährt,die dem Leser den oft sogar mehrfach fragmentarischen Charak-ter ihrer Darstellungen verschweigen wie einst die Phönizier ihrerMitwelt die Entdeckung ferner Welten. Es wurden z. B. stets diebeiden zugehörigen Atlanten unterschlagen.

Während seine »Reise durchs Baltikum, nach Rußland und Si-birien 1829« (Edition Erdmann, Stuttgart 1983, zweite verbesserteAuflage 1984) völlig rekonstruiert werden musste, lernt der Leserder Reihe »Alte abenteuerliche Reise- und Entdeckungsberichte«nun in kurzem zeitlichen Abstand mit diesem vorliegenden Werkeinen durchaus ähnlichen Versuch kennen.

Tatsächlich hat Humboldt seine klassische amerikanische Forschungs-reise nur zum kleineren Teil geschildert:

nämlich den Beginn in La Coruña, in Nordwest-Spanien, am5. Juni 1799, die Atlantik-Fahrt über die Kanarischen Inseln bis zurLandung in Cumaná (an der Küste des heutigen Venezuelas), dieFahrt zum Orinoco und Casiquiare, die Überfahrt und den erstenAufenthalt auf Kuba, die Seereise von dort zur Küste des heutigenKolumbiens und den anfänglichen Aufenthalt in diesem Land bisBarrancas Nuevas am Río Magdalena.

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10 Einführung

Nicht geschildert hat Humboldt:den Aufenthalt im Gebiet der heutigen Anden-Staaten Kolum-

bien, Ecuador, Peru, die Überfahrt von Callao (Peru) und denzweiten Aufenthalt in Ecuador, die Seereise von dort nach Mexiko,den Aufenthalt in diesem damals führenden Land Lateinamerikas,die Überfahrt von dort und den zweiten Aufenthalt auf Kuba, dieÜberfahrt nach den Vereinigten Staaten von Amerika, den Aufent-halt in diesem Land und die Rückfahrt über den Atlantik bis zurLandung in der Garonne bei Bordeaux am 3. August 1804.

Humboldts zum weitaus größten Teil unvollendeter Reisebe-richt stellte deshalb längst die lohnende Aufgabe einer erstmalsreisegeschichtlich begründeten Rekonstruktion, die ich 1959 und1961 in meiner zweibändigen Biographie ausgeführt habe (HannoBeck: Alexander von Humboldt. Band I: Von der Bildungsreisezur Forschungsreise 1769–1804; Band II: Vom Reisewerk zum»Kosmos« 1805–1859, XVIII und 742 Seiten, 2555 Anmerkun-gen, Humboldt-Bibliographie, Personenregister, mit 28 Tafeln, 4Abbildungen und 6 Karten, Franz Steiner, Wiesbaden 1959 und1961). Diese erste zusammenhängende Darstellung habe ich 1971für die spanische Übersetzung (Fondo de Cultura, México 1971)überarbeitet und bringe sie in dieser Ausgabe – praktisch in dritterAuflage – auf den neuesten Forschungsstand, um sie einer größerenÖffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich danke meinem SchülerWolf-Dieter Grün für die Anregung zu diesem Unternehmen.Merkwürdigerweise hatte es bis 1959/61 einen solchen Rekonstrukti-onsversuch nicht gegeben.

Die fragmentarischen Ausgabendes unvollendeten Humboldtschen

Reiseberichtes und die einzigevollständige deutsche Übersetzung

Einige wenige Kenner meinen, Humboldts »eigentlicher Reisebe-richt« fände sich in der Relation historique (3 Bde. Paris 1814–1817,1819–1821 u. 1825–1831, Neudruck mit Einführung und Regis-ter von Hanno Beck, Stuttgart 1970), verbunden mit dem AtlasPittoresque. Vues de Cordillères, et monumens des peuples de l’Amérique

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11Die fragmentarischen Ausgaben

(Paris 1810–1813) sowie dem Atlas géographique et physique desrégions équinoxiales du Nouveau Continent (Paris 1814–1838, zitiertnach dem von Hanno Beck herausgegebenen Neudruck: Amster-dam u. New York 1971–1973). In den genannten drei Bänden hatHumboldt seine Reise bis zur Landung und den ersten Aufenthaltim Gebiet des heutigen Kolumbiens geschildert. Noch in Amerikahatte er einen allgemeinen Reisebericht geplant, sich dann aberfür die Form seiner Relation historique entschieden, in welcher derrote Faden meist regelrecht unter der physikalisch-geographischenProblemfülle verschwindet. Die Relation historique ist gewiss immernoch ein Reisebericht; dennoch hat sie dessen Form zu einem großar-tigen Vollzugsorgan physikalisch-geographischen Denkens ausgeweitet.Alles ist Bruchstück geblieben, wie wir schon erwähnt haben. Oftwird mit Humboldts Worten belegt, der »vierte Band« sei nichterschienen. Diese gelegentliche Angabe entscheidet das Problemnicht, da die drei Bände der Relation historique nur ein gutes Drittelder gesamten Expedition enthalten; wenn Humboldt sein Werk inder Art der vorliegenden drei Bände vollendet hätte, wäre weit, weitmehr Raum nötig gewesen.

So ergeben sich immer neue Probleme, die nun endlich auch voneiner größeren Zahl von Lesern gesehen werden sollten.

Dies alles hat noch zu Humboldts Lebzeiten den VerlegerCotta zum Handeln veranlasst. Er beauftragte Hermann Hauff(1800–1865), den Bruder des Dichters Wilhelm Hauff, mit einerdeutschen »Bearbeitung«: Alexander von Humboldt’s Reise in die Ae-quinoctial-Gegenden des neuen Continents. In deutscher Bearbeitungvon Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkungdes Verfassers. Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe indeutscher Sprache. 4 Bde. J. F. Cotta, Stuttgart 1859 u. 1860; später:6 Bde. ebendort 1861–1862.

Wer wirklich einmal den französischen Originaltext mit derHauffschen Bearbeitung verglichen hat, weiß, dass den sehr wer-bewirksamen Sprüchen des Titelblattes nicht zu trauen ist. DerBibliothekar Hauff hat nur eine teilweise Übersetzung geliefert,ließ aber trotz der ausdrücklichen Vereinbarung mit Humboldt viel,oft einfach zu viel aus, während das Titelblatt sich schwer durch-schauen ließ und dem Leser die Überzeugung aufdrängte, hier seiein Problem mit Humboldts Einverständnis gelöst worden. Das

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18 Einführung

Kurze Hinweise zur ForschungsreiseA. v. Humboldts

Das nach und nach zwischen 1788 und 1797 entfaltete dreistu-fige Forschungsprogramm und die mit ihm verbundenen Gedan-ken drängten Humboldt nach mehrfachem Reisen förmlich ausMitteleuropa hinaus, wie schon gesagt wurde. Die amerikanischeReise war auch insofern ein notwendiges Forschungsinstrument,dessen Exaktheit Humboldt in sechsjähriger Vorbereitung geformthatte. Ohne sie konnte sein physikalisch-geographisches Denkennicht fortschreiten. Dabei hatte er die schwingenden Schalen derWaage seines Lebens gleichmäßig gefüllt: die eine Schale mit denschwerwiegenden Resultaten seines physikalisch-geographischenForschens, die andere mit dem menschenrechtlich-humanitärenGedankengut, wobei das eine ohne das andere nicht denkbar war.Wissenschaft war ihm stets auch ein Mittel zur Behauptung oderDurchsetzung der Menschlichkeit. Die hier vorgelegte Rekonstruk-tion beweist diese Verbindung immer wieder.

Beleuchten wir weitere Charakterzüge dieser Reise:Alexander Solschenizyn hat auf die Erfahrung hingewiesen, die

jeder, der einmal Gefangenschaft erlebte, leicht bestätigen kann:So gut wie nie seien in der Literatur die Gefäße der Notdurft er-wähnt worden. So sei etwa der spätere Graf v. Monte Christo imVerlies des Château d’If eingekerkert worden, doch wir erführennur, dass ihm Essen gebracht worden sei. Der zeitgenössische lite-rarische Geschmack verbat sich eben »Peinliches«, das andererseitseine solche Kerkerhaft noch wahrer und deutlicher werden lassenmusste. Ebenso hat die Reiseliteratur damals in ihren führendenWerken Entbehrungen, von geringen Ausnahmen und kurzen Ein-blicken abgesehen, nur angedeutet. Man transpirierte höchstens,man schwitzte kaum, und so könnte der Leser meinen, HumboldtsReise sei gefahrlos wie das Unternehmen eines heutigen Globe-trotters oder Touristen verlaufen. Sehr oft werden nicht einmal dieÜberanstrengungen des hart arbeitenden Humboldt im TropischenRegenwald deutlich. In seinem Tagebuch hat er die üblen Ausdüns-tungen unterdrückter Arbeiter in mexikanischen Manufakturenimmerhin erwähnt, die beiden Gefährdungen seines Reisebegleiters

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Alexander v. Humboldts Vorbereitungeiner Forschungsreise in die Tropen

Amerikas

1. Die Gestalt des Forschungsreisenden

Der Forschungsreisende: ein von der Vernunftlegitimierter Abenteurer der Aufklärung

Jede Entdeckungsreise bedeutete ein Abenteuer und musste demRationalismus der Aufklärung verdächtig erscheinen, denn derAusgang einer derartigen Unternehmung blieb stets mehr dem Wa-gemut als der Vernunft überlassen. Daher genügte der vorwiegendauf Abenteuer bedachte Entdeckungsreisende dem 18. Jahrhundertnicht mehr, und die Aufklärung schuf im Forschungsreisenden denvon der Vernunft legitimierten Abenteurer, der nicht einfach hin-auszog, sondern aufgrund wissenschaftlicher Vorbereitung gründ-lichere geographische Arbeit leistete und gleichzeitig seine eigeneSicherheit erhöhte. Darin liegt die Bedeutung dieser Epoche für dieGeschichte der Reisen, und Alexander v. Humboldt sollte bald alldiese Tendenzen vorbildlich verkörpern.

Der Begriff des Forschungsreisenden wurde durch das Ziel kon-stituiert, das sich eine Persönlichkeit setzte, und durch die daraufeingestellte besondere Vorbereitung; sie wurde bald geradezu dasKennzeichen einer Forschungsreise. Carsten Niebuhr, James Bruce,Peter Simon Pallas, Louis Antoine de Bougainville, James Cookund Alessandro Malaspina wären ohne Vorbereitung nicht zu ihrengroßen Erfolgen gekommen. Wer Forschungsreisender sein wollte,musste bestimmte vorbereitende Aufgaben erfüllen, vor allem: einZiel haben, um seine Vorbereitungen darauf abzustellen.

Dieses Ziel war in jedem Fall schon literarisch behandelt worden.Brach also der Reisende nach einer terra incognita auf, etwa in dieSahara, so gab es auch darüber bereits eine ausgiebige theoretischeLiteratur.

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28 Vorbereitung einer Forschungsreise in die Tropen Amerikas

Einen erheblichen Fortschritt bedeuteten gegenüber früherenReisen auch die besseren Instrumente, mit denen man die räum-liche und geistige, d. h. die geographische Erschließung einesunbekannten Landes sofort und viel gründlicher als die früherenEntdeckungsreisenden eröffnen konnte. Mehr und mehr kamenForschungsreisende auch in Länder, die räumlich bereits entdecktwaren, geistig aber noch erschlossen werden mussten. Über russi-sche, asiatische, südamerikanische und afrikanische Landschaftengab es um 1800 bereits eine erstaunlich umfangreiche Literatur.Indem der Forschungsreisende sie auswertete, ergänzte er die allge-meine Vorbereitung des Entdeckers um die spezielle Präparation,die auf einen bestimmten Ausschnitt der Erdoberfläche zielte. Die-ser historisch verfolgbare Prozess bezeugt die Intensivierung derForschung, die sich zunächst freilich auf die Literatur beschränkteund sich noch nicht auf die Instrumente erstrecken konnte. Übun-gen mit Beobachtungswerkzeugen gehörten damals ausschließlichin den Bereich der allgemeinen Vorbereitungen des Reisenden, erstdie spätere wissenschaftliche Entwicklung hat das Instrumentariumverfeinert.

Überraschenderweise können wir bei der Erörterung der Reise-vorbereitung wichtige Charakterzüge A. v. Humboldts erkennen:Geheimniskrämerei, wie sie vielen Gelehrten bis zum heutigen Tageeignet, und vor allem Bekenntnisse, meist aus späterer Zeit, dieindessen so gut wie nicht gewürdigt, ja meist überhaupt noch nichtwahrgenommen worden sind. Tatsächlich bezeichnet das Jahr 1793den wichtigsten Einschnitt in Humboldts Lebenslinie: Er trat sei-nen Dienst als Oberbergmeister in Franken an, eröffnete z. B. eineFreie Bergschule, wurde Mitglied der Leopoldina, der kaiserlichenAkademie der Naturforscher, steigerte sein geographisches Selbst-bewusstsein in einer zukunftweisenden Methodologie, verfolgtebereits zwei Forschungsprogramme und begann die sechsjährigeVorbereitung seiner Forschungsreise, ein wahrhaft erstaunlicherZusammenhang der Ereignisse.

Bereits zu Lebzeiten der Mutter hatte Humboldt geäußert, erwerde 1797 eine größere Reise antreten. Anschließend an die Fahr-ten in Oberitalien und der Schweiz 1795 wollte er nach Schweden1,Griechenland2 oder Ungarn3 gehen. Er warb bereits um die Teilnah-me seines Freiberger Freundes Johann Karl Freiesleben. Als ferneres

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29Die Gestalt des Forschungsreisenden

Ziel schwebte ihm Sibirien, gewiss im Anschluss an die Forschun-gen der Gmeline und Pallas, vor.4 Da er seine Pläne verheimlichte,war zu erwarten, dass er sich nach dem Tode der Mutter klarerüber sein Vorhaben aussprechen würde. Die genannten Ziele solltenohnehin nur mit kleineren Unternehmungen erreicht werden, dievor allem botanischen Untersuchungen dienen sollten. Ein größeresProgramm bedeutete Sibirien.

Aus all dem geht eines sehr deutlich hervor: Humboldt strebtenach eigenem Bekenntnis eine Landreise an. Deutschland war kei-ne Seemacht. Auf einem Schiff unter fremder Flagge konnte er nurdie Randerscheinung einer größeren Expedition abgeben. Odergab es doch andere Möglichkeiten? Konnte er denn überhaupt dar-an denken, eine eigene Expedition zu verwirklichen? Alle bisherigendeutschen Forschungsreisenden waren von Geldgebern oder politischenInteressen ausländischer Mächte abhängig gewesen. In der Tat ginges den anderen Nationen, die Expeditionen aussandten, bei allerPflege der Wissenschaft auch immer um die Erkundung wichtigerGebiete, die besetzt oder dem Handel geöffnet werden sollten.Wenn Deutsche in fremdem Dienst reisten, ging es ihnen selbstausschließlich um wissenschaftliche Aufgaben, weil sie keinenmächtigen eigenen Nationalstaat vertraten. So wird es verständlich,dass die englische African Association immer stärker deutsche Rei-sende unterstützte und die russischen Zaren sich über Größe undWert ihres Riesenstaates von Deutschen aufklären ließen. Damithatten die Deutschen – wie ihre Klassiker im Literarischen – ausder Not eine Tugend gemacht und im Forschungsreisenden, dernach wissenschaftlichen Zielen strebte, eine bis heute verpflich-tende Gestalt geschaffen. Immerhin schloss diese Entwicklungeinen großen Mangel ein. Obgleich die Deutschen aufgrund ihrerausgebildeteren Geographie der Welt in Carsten Niebuhr den erstenForschungsreisenden schenkten, gab es keinen einzigen großen selbstän-digen deutschen Reisenden, der lediglich eigenen Intentionen folgenund aus dem Vollen schöpfen konnte. Niebuhr musste dänischeWünsche beachten, was – gerade in diesem Fall – natürlich inkeiner Weise das Mäzenatentum Friedrichs V. schmälerte. JohannReinhold Forster durfte wohl an der zweiten Reise Cooks teil-nehmen, aber nicht über sie berichten.5 Würde es bei Humboldtanders sein?

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30 Vorbereitung einer Forschungsreise in die Tropen Amerikas

2. Humboldts Reiseziel »Westindien«:Die Tropen der Neuen Welt

Sechsjährige Vorbereitung

Über seine Reisepläne und -ziele hat Humboldt nie den gerings-ten Zweifel gelassen: Tropensehnsucht kannte er seit frühesterJugend. Seit dem 18. Jahr, seit 1787, hatten seine Reisepläne einebestimmte Richtung infolge des Einflusses des Pflanzensammelns,des Studiums der Geologie, der Reisen nach Holland, England,Frankreich und der Schweiz und nicht zuletzt Georg Forsters ange-nommen. Jetzt war es nicht mehr das Verlangen nach einem umher-schweifenden Leben, sondern es ging um wissenschaftliche Arbeitin den Tropen. »Da meine persönliche Lage mir damals nicht erlaubte,die Pläne auszuführen, die meinen Geist so lebhaft beschäftigten, sohatte ich die Muße, mich während sechs Jahren zu den Beobachtungenvorzubereiten, die ich im Neuen Continent machen sollte« (Relationhistorique, I, S. 40 f. Hervorhebung von HANNO BECK).

Sechs Jahre hat sich Humboldt auf seine Forschungsreise vor-bereitet, und so finden wir denn auch in einem wichtigen Briefvom Juli 1793 einen eindeutigen Hinweis: »Ich bereite mich ohneUnterlaß auf ein großes Ziel vor« – es ist seine Reise in die Tropender Neuen Welt. Wie bei seinen Forschungsprogrammen sprach ernicht mit jedem darüber. Bei aller Quecksilbrigkeit seines Wesenshat er seinen Mund oft nur zu gut halten können, wie jeder be-merken kann, der sich mit ihm beschäftigt. Zu Wladimir JureviSojmonov, seinem Freiberger Kommilitonen, sprach er nur deshalbdarüber, weil er seine Einladung, schon jetzt nach Russland zu rei-sen, zunächst abschlagen musste, eben wegen seines »großen Zieles«(Jugendbriefe, S. 255).

Nach dem Tode seiner Mutter im November 1796 verfügte erüber beträchtliche finanzielle Mittel. Damit eröffneten sich einemdeutschen Privatmann für längst entwickelte Reisepläne vorher niegekannte Möglichkeiten. Folgerichtig quittierte er bereits einenMonat später, im Dezember 1796, seinen Dienst, zumal ihn Staatund Bürokratie oft verletzt hatten. Er äußerte sich offen, er werde

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31Humboldts Reiseziel »Westindien«

sich nunmehr »ernsthaft« auf eine Reise außerhalb Europas vorbe-reiten. Ein weiterer Anstoß kam hinzu:

Am 22. Oktober 1796 ließen sich zwei Brüder, Johan MatthiasFriedrich und Johan Christian Keutsch, an der Universität Jenaeinschreiben.6 Sie kamen aus Bern, wo Humboldt sie vielleichtschon 1795 kennengelernt hatte, und studierten Medizin. Hum-boldt muss ihnen – von der ersten fraglichen Zusammenkunft inder Schweiz abgesehen – kurz nach ihrer Ankunft in Jena begegnetsein, vielleicht während der Hin- und Herreise nach Berlin beimTode seiner Mutter oder bei einem gelegentlichen Besuch. Die Brü-der Keutsch stammten aus St. Thomas, einer Insel der dänischenJungferngruppe in Westindien.7 Humboldt verkehrte oft mit ihnen.Die Gedanken, die ihm während ihres häufigen Zusammenseinskamen, erfahren wir aus einem Brief, den er am 20. Dezember 1796noch von Bayreuth an Willdenow richtete. Alexander erwähnteseine literarischen Pläne, auch sein selbstkonstruiertes »ganz un-zerbrechliches Senkbarometer«, das er bereits im November 1796,vermutlich im Fichtelgebirge, überprüft hatte8, und schrieb dann:»Mache nur, daß das gute Pathchen schnell heranwachse9, damitich es nach Indien mitnehmen kann. Meine Reise ist unerschüt-terlich gewiß. Ich präparire mich noch einige Jahre und sammleInstrumente, ein bis anderthalb Jahr bleibe ich in Italien, um michmit Vulkanen genau bekannt zu machen, dann geht es über Parisnach England, wo ich leicht auch wieder ein Jahr bleiben könnte(denn ich eile schlechterdings nicht, um recht präparirt anzukom-men), und dann mit englischem Schiffe nach Westindien. Erlebeich das Ende dieser Pläne nicht, nun so habe ich wenigstens thätigbegonnen und die Lage benutzt, in die mich glückliche Verhältnissegesetzt haben …«

Westindien war das erklärte Reiseziel, dem seit 1793 seine Vor-bereitungen gelten sollten. Wie ernst Alexander die vorbereitendenAufgaben nahm, geht zudem aus seinen Zeilen eindeutig hervor.Man verstand damals unter Westindien nicht nur die Inselweltdes Karibischen Meeres, sondern die Tropen der Neuen Welt. DerBegriff Westindien hatte sogar einstmals die Gesamtheit Nord-,Mittel- und Südamerikas bezeichnet10, und zwar in dem Augen-blick, als das wahre Indien in seiner räumlichen Lage hervortratund als »Ostindien« abgegrenzt werden musste. Damit war der