Algen: Rohstoffe für Gesundheit, Schönheit und Energie

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Nachrichten aus der Chemie| 59 | Oktober 2011 | www.gdch.de/nachrichten 942 S Umgangssprachlich fasst man unter Algen (Phycophyta) alle ein- fach organisierten Wasserpflanzen ohne Wurzeln, beblätterte Stängel und Leitbündel auf. 1) Algen bilden eine sehr heterogene Organismen- gruppe, deren einzelne Arten sich in ihrer Morphologie und Physio- logie stark unterscheiden. Ihre Vielfalt spiegelt sich in den unter- schiedlichen Strukturen, Farben und Organisationsstufen. Sie reicht von mikroskopisch kleinen, meist einzelligen und koloniebildenden Mikroalgen (meist drei bis zehn Mikrometer) bis hin zu 60 Meter langen, mehrzelligen und hochor- ganisierten Makroalgen, den Tan- gen. Die makroskopischen Rot-, Braun- und Grünalgen (Rhodo-, Phaeo- und Chlorophyta) wachsen überwiegend benthisch – also mee- resbodengebunden – in der Litoral- zone des Meeres und bilden in ih- rer Gesamtheit das Phytobenthos. Die formenreicheren Mikroalgen (Cyanophyta, Chlorophyta, Glau- cophyta, Euglenophyta, Chlora- rachniophyta, Haptophyta, Xan- thophyceen, Diatomeen, Dinofla- gellaten, Chrysophyta, Raphido- phyta) leben meist schwebend im Phytoplankton von Teichen, Seen, Flüssen und Meeren. Mikroalgen finden sich aber auch an Extremstandorten wie son- nenexponierten Felsen, heißen Quellen und Gletschern. Sie besie- deln feuchte Baumstämme, Zäune, Mauern und Böden ebenso wie an- dere Organismen. Wichtige Symbiosepartner sind Pilze, beispielsweise in Flechten, und niedere Tiere, beispielsweise in Korallen. Luft- und Wasserströ- mung sorgen für die weite Verbrei- tung der Algen in der Natur: Bis zu 3000 Algenzellen oder Sporen pro Kubikmeter schweben ständig als Aeroplankton (überwiegend Chlo- rophyta) in der Luft. 2) Im Regen- wasser wurden bis zu 991 Grünal- genzellen je Milliliter nachgewie- sen. 3) Algen decken ihren Energiebe- darf über oxygene Photosynthese. Dieser komplexe biochemische Prozess findet in den Cyanophyta (Blaualgen) oder den Chloroplas- ten eukaryotischer Algen statt. Da- bei bauen sie mit Sonnenlicht als Energiequelle und CO 2 als Kohlen- stoffquelle ihre Zellsubstanz, die Biomasse, selbst auf. Die Blaualgen waren vor etwa drei Milliarden Jahren die ersten Organismen, die Wasser als Elek- tronendonor nutzten und dabei O 2 als Abfallprodukt der Wasserspal- tung freisetzten. So haben Algen die O 2 -Atmosphäre unseres Plane- ten aufgebaut und heterotrophes Leben ermöglicht. Sie binden fast die Hälfte des gesamten CO 2 -Ge- halts der Atmosphäre. Der stöchio- metrische CO 2 -Verbrauch beträgt etwa 1,8 Kilogramm pro erzeugtem Kilogramm Biomasse, bei höheren Anteilen an Speicherstoffen wie Ölen oder Kohlenhydraten steigt der Wert. 4) Algen sind die wichtigsten Pri- märproduzenten der Erde und ste- hen am Beginn der Nahrungskette in allen aquatischen Lebensräu- men. Dabei kommt den Phyto- planktonalgen die größte produkti- onsbiologische Bedeutung zu. In eutrophen Gewässern ist die jähr- lich gebildete Planktonbiomase mit zwei bis sechs Tonnen pro Hektar und Jahr höher als in oligotrophen Gewässern mit mehr als zehn Kilo- gramm pro Hektar und Jahr. Sie kann bei Algenblüte bis zu 60 Ton- nen pro Hektar betragen. 5) Das Carola Griehl, Simone Bieler Algen sind einfach organisierte, schnell wachsende Wasserpflanzen. Als Phytoplankton oder Tange sind sie bedeutende nachwachsende Rohstoffe. Traditionell dienen Algen als Nahrungs- und Futtermittel oder Kosmetikbestandteil. Aktuell werden sie als alternative Energieträger erforscht. Algen: Rohstoffe für Gesundheit, Schönheit und Energie BNachwachsende RohstoffeV VV Nur etwa 220 Makroalgen- und 15 Mikroalgen- spezies werden bisher wirtschaftlich genutzt. VV Die wirtschaftlich wichtigsten Produkte aus Ma- kroalgen sind komplexe Zellwandpolysaccharide, Großteil der produzierten Mikroalgenbiomasse dient als Nahrungsergänzungsmittel. VV Im Fokus der Forschung stehen Versuche, Algen- biomasse als Biogas-, Bioethanol- und als Biodie- selproduzenten einzusetzen. Unter Stress bilden Mikroalgen große Mengen Triacylglycerine, die durch Veresterung mit Methanol in Biodiesel umwandelbar sind. S QUERGELESEN

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Nachrichten aus der Chemie| 59 | Oktober 2011 | www.gdch.de/nachrichten

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S Umgangssprachlich fasst man unter Algen (Phycophyta) alle ein-fach organisierten Wasserpflanzen ohne Wurzeln, beblätterte Stängel und Leitbündel auf.1) Algen bilden eine sehr heterogene Organismen-gruppe, deren einzelne Arten sich in ihrer Morphologie und Physio-logie stark unterscheiden. Ihre Vielfalt spiegelt sich in den unter-schiedlichen Strukturen, Farben und Organisationsstufen. Sie reicht von mikroskopisch kleinen, meist einzelligen und koloniebildenden Mikroalgen (meist drei bis zehn Mikrometer) bis hin zu 60 Meter langen, mehrzelligen und hochor-ganisierten Makroalgen, den Tan-gen.

Die makroskopischen Rot-, Braun- und Grünalgen (Rhodo-,

Phaeo- und Chlorophyta) wachsen überwiegend benthisch – also mee-resbodengebunden – in der Litoral-zone des Meeres und bilden in ih-rer Gesamtheit das Phytobenthos. Die formenreicheren Mikroalgen (Cyanophyta, Chlorophyta, Glau-cophyta, Euglenophyta, Chlora-rachniophyta, Haptophyta, Xan-thophyceen, Diatomeen, Dinofla-gellaten, Chrysophyta, Raphido-phyta) leben meist schwebend im Phytoplankton von Teichen, Seen, Flüssen und Meeren.

Mikroalgen finden sich aber auch an Extremstandorten wie son-nenexponierten Felsen, heißen Quellen und Gletschern. Sie besie-deln feuchte Baumstämme, Zäune, Mauern und Böden ebenso wie an-dere Organismen.

Wichtige Symbiosepartner sind Pilze, beispielsweise in Flechten, und niedere Tiere, beispielsweise in Korallen. Luft- und Wasserströ-mung sorgen für die weite Verbrei-tung der Algen in der Natur: Bis zu 3000 Algenzellen oder Sporen pro Kubikmeter schweben ständig als Aeroplankton (überwiegend Chlo-rophyta) in der Luft.2) Im Regen-wasser wurden bis zu 991 Grünal-genzellen je Milliliter nachgewie-sen.3)

Algen decken ihren Energiebe-darf über oxygene Photosynthese. Dieser komplexe biochemische Prozess findet in den Cyanophyta

(Blaualgen) oder den Chloroplas-ten eukaryotischer Algen statt. Da-bei bauen sie mit Sonnenlicht als Energiequelle und CO2 als Kohlen-stoffquelle ihre Zellsubstanz, die Biomasse, selbst auf.

Die Blaualgen waren vor etwa drei Milliarden Jahren die ersten Organismen, die Wasser als Elek-tronendonor nutzten und dabei O2 als Abfallprodukt der Wasserspal-tung freisetzten. So haben Algen die O2-Atmosphäre unseres Plane-ten aufgebaut und heterotrophes Leben ermöglicht. Sie binden fast die Hälfte des gesamten CO2-Ge-halts der Atmosphäre. Der stöchio-metrische CO2-Verbrauch beträgt etwa 1,8 Kilogramm pro erzeugtem Kilogramm Biomasse, bei höheren Anteilen an Speicherstoffen wie Ölen oder Kohlenhydraten steigt der Wert.4)

Algen sind die wichtigsten Pri-märproduzenten der Erde und ste-hen am Beginn der Nahrungskette in allen aquatischen Lebensräu-men. Dabei kommt den Phyto-planktonalgen die größte produkti-onsbiologische Bedeutung zu. In eutrophen Gewässern ist die jähr-lich gebildete Planktonbiomase mit zwei bis sechs Tonnen pro Hektar und Jahr höher als in oligotrophen Gewässern mit mehr als zehn Kilo-gramm pro Hektar und Jahr. Sie kann bei Algenblüte bis zu 60 Ton-nen pro Hektar betragen.5) Das

Carola Griehl, Simone Bieler

Algen sind einfach organisierte, schnell wachsende Wasserpflanzen. Als Phytoplankton oder Tange sind

sie bedeutende nachwachsende Rohstoffe. Traditionell dienen Algen als Nahrungs- und Futtermittel

oder Kosmetikbestandteil. Aktuell werden sie als alternative Energieträger erforscht.

Algen: Rohstoffe für Gesundheit, Schönheit und Energie

BNachwachsende RohstoffeV

VV Nur etwa 220 Makroalgen- und 15 Mikroalgen-

spezies werden bisher wirtschaftlich genutzt.

VV Die wirtschaftlich wichtigsten Produkte aus Ma-

kroalgen sind komplexe Zellwandpolysaccharide,

Großteil der produzierten Mikroalgenbiomasse

dient als Nahrungsergänzungsmittel.

VV Im Fokus der Forschung stehen Versuche, Algen-

biomasse als Biogas-, Bioethanol- und als Biodie-

selproduzenten einzusetzen. Unter Stress bilden

Mikroalgen große Mengen Triacylglycerine, die

durch Veresterung mit Methanol in Biodiesel

umwandelbar sind.

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Phytoplankton der Meere baut ge-schätzte jährliche 2·1010 Tonnen Kohlenstoff in Photosynthesepro-dukte ein.6)

Auch die Produktivität der Ma-kroalgen ist mit etwa 10 bis 36 Tonnen pro Hektar und Jahr und zehn Prozent der gesamten mari-nen Primärproduktion beträcht-lich.5,7–8) So bilden Braunalgen in kälteren Meeren außerhalb der 20-°C-Isochrome riesige unter-seeische Kelpwälder mit bis zu 100 Tonnen pro Hektar Feuchtge-wicht. Beispiele sind die Tangwäl-der aus Macrocystus pyrifera an der kalifornischen Pazifikküste und die Laminaria-Bestände vor den Küsten Norwegens und Schott-lands. Damit stellen Algen ein be-deutsames Produktionspotenzial nachwachsender Rohstoffe dar, das sich durch Kultivierung von Reinkulturen noch deutlich stei-gern lässt.

Mikroalgen erreichen in offenen Systemen (open pond) durch-schnittlich zwischen 10 und 30 (maximal 50) Tonnen Trockenbio-masse pro Hektar und Jahr. In Glasröhrenreaktoren sind es zwi-schen 80 und 150 (maximal 200) Tonnen pro Hektar und Jahr. Die Trockenbiomasse von in Aquakul-turen gezüchteten Makroalgen übersteigt mit etwa 50 bis 85 Ton-nen pro Hektar und Jahr 9) deutlich die produktionsstarker terrestri-scher Pflanzen wie Raps und Chi-naschilf mit 4,2 bzw. 25 Tonnen pro Hektar und Jahr.

Die Photosynthese der Algen

S Algen nutzen zur Lichtabsorpti-on Photosynthesepigmente wie Chlorophyll, Phycobiline und Ca-rotinoide, die proteingebunden an die Thylakoidmembran assoziiert oder in diese integriert sind. Das Pigmentmuster bestimmt die Farb-gebung der Algen und ist in der klassischen Algensystematik ein wesentliches Kriterium für ihre ta-xonomische Gliederung.

Die Pigmente absorbieren Licht unterschiedlicher Wellenlängen des sichtbaren Bereichs und unter-

scheiden sich in ihrer Menge. Des-wegen erscheinen die Algen in ver-schiedenen Farben und treten auf-grund der spektralen Verteilung des Lichtes in unterschiedlichen Wasserschichten auf. So können Grünalgen, die im oberen Gezei-tengürtel dominieren, mit ihren Pigmenten Chlorophyll a und b das in größeren Wassertiefen noch ein-dringende kurzwellige, grüne Licht

nicht mehr oder kaum absorbieren. In tieferen Wasserschichten schließt die Pigmentausstattung der Braunalgen mit Fucoxanthin und Rotalgen mit Phyco erythrin diese Lücke. Es verwundert daher nicht, dass die als Benthospflanzen lebenden Braunalgen überwiegend im Küstengebiet, im Sub- und Euli-toral, wachsen und die ebenfalls benthisch lebenden Rotalgen bis in

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Tiefen von 180 Meter vorherr-schen.2)

Die Stöchiometrie und Architek-tur der Lichtsammelkomplexe (light-harvesting complexes, LHCs), welche die Lichtenergie ab-sorbieren und an die Reaktionszen-

tren der Chlorophyll-Protein-Kom-plexe weiterleiten, variieren von Algengruppe zu Algengruppe und beeinflussen stark die Effizienz der Photosynthese.10)

Den Wirkungsgrad der Photo-synthese (photo-conversion effi-

ciency, PCE) begrenzen mehrere Faktoren. So sind für Algen nur 43 Prozent des gesamten Sonnenlicht-spektrums nutzbar, nämlich nur der Bereich zwischen 360 und 720 nm. Weitere Energieverluste entstehen u. a. durch Lichtreflexion

Abb. 1.

Globaler Markt

an Produkten aus

Algen.

Spezies wichtige Herstellerländer, Kultivierung

Produkt Anwendung AbsatzUSD/kg

Produktion(t/a)

Cyanophyta/Blaualgen (prokaryotische Mikroalgen)Spirulina platensis Open pond: USA

(Kalifornien, Hawaii),China, Taiwan,Indien, natürlicherSee: Myanmar

Biomasse Nahrungsergänzungsmittel,Futtermittel

5 60 3000

Kosmetika (Aquaflor, Protulines) 200

Phycocyanin Lebensmittelfarbstoff (Lina blue),Kosmetik (Eyeliner, Lippenstift)

5 15/mg >10

Nostoc natürlicher See:Asien

Biomasse Nahrungsergänzung / Düngemittel 10 15 600

Aphanizomenon natürlicher See, USA Biomasse Nahrungsergänzungsmittel 700 500Chlorophyta/Grünalgen (Mikro und Makroalgen)Chlorella vulgaris Open pond: China,

Taiwan, Japan,Rohrreaktor: BRD

Biomasse Nahrungsergänzungsmittel,Kosmetika (Dermochlorella)

5 60 2000 3000

Glucan Kosmetika 2/g 1,5Dunaliella salina,Dunaniellabardawil

Open pond: Israel,Hawaii, China,IndienTeiche: Australien

Biomasse Nahrungsergänzungsmittel,Futtermittel, Aquakultur

300 3000 1200

Carotin(E 160)

Kosmetika , Lebensmittelfarbstoff13C Carotin für Forschung k.A. k.A.

Hämatococcuspluvialis

Open pond: Hawaii,Japan, China, IndienRohrreaktor: Israel,Indien

Astaxanthin färbendes Futtermittel (Lachs),Nahrungsergänzungsmittel,Kosmetika, Pharmaka für Augengesundheit (Azyr, Spiru Zan Eye)

300010000

<300

Enteromorpha,Ulva, Monostroma

Aquakultur, natürliches Vorkommen

Biomasse Nahrungsmittel (Salat, Aonori) 30004000

1,6 Mio.

Rhodophyta/Rotalgen (Mikro und Makroalgen)Porphyridium sp. Rohrreaktor:

SpanienPhycoerythrin Lebensmittelfarbstoff 3 25/mg >10

Porphyra sp. Aquakultur, natürliche Vorkommenin Japan, Korea,China, Indonesien,Indien, Taiwan,Europa, USA,Australien

Biomasse Nahrungsmittel (Nori) 45 4,6 Mio.mycosporinartigeAminosäuren

Kosmetik (Helioguard 365) k.A. k.A.

Gelidium, Gracilaria, Gelidiella u.a.Euchema, Kappaphycus, Chondrus

Agar (E406) Geliermittel (Lebensmittelindustrie), Nährboden (Mikrobiologie)

15 11 000

Carrageen(E407)

Geliermittel (Lebensmittelindustrie), Pharmaka (Carragelose)

6,5 16 000

Phaeophyt /Braunalgen (Makroalgen)Laminaria sp. Aquakultur, natür

liche Vorkommen:China, Korea,Japan, USA, Europa

Biomasse Nahrungsmittel (Kombo) 0,5 4,2 Mio.Alginate(E401 405)

Geliermittel (Lebensmittel ,Kosmetik , Pharmaindustrie u.a.)

8,5 30 000

Undaria sp. Biomasse Nahrungsmittel (Wakame) 30 310 000verschiedene Extrakte Kosmetika, Düngemittel 5 1000Dinoflagellaten, Traustochyatriaceen (Mikroalgen)Crypthecodiniumcohnii

Rührtankreaktoren(heteroroph),USA

Docosahexaensäure

Nahrungsergänzungsmittel(Babynahrung)

30 60/g 240

Schizochytrium 60/g 10Ulkenia Schweiz k.A. k.A.EustigmatophyceenNannochloropsis Röhrenreaktor:

BRD, PE BagsBiomasse;wässrigeExtrakte

Kosmetik (PEPHA TIGHT);Aquakultur

300 2

Aquakulturalgen (Mikroalgen)Isochrysis galbana, Pavlova lutheri, Scenedesmus, Tetraselmis, Phaeodactylum, Chaetoceros,Skeletonema, Nitzschia, Thalassiosira

50 150 9,5 Mio.

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an Wasseroberflächen und Zellen. Der theoretisch erreichbare PCE-Wert liegt bei etwa neun Prozent.4)

Da Algen bei hohen Lichtinten-sitäten in die Lichtsättigung gera-ten, erreichen sie in der Praxis nur etwa fünf Prozent. Landwirtschaft-liche Felder in temperierten Regio-nen erzielen allerdings nur einen Wirkungsgrad von weniger als ein Prozent; Mikroalgen nutzen also deutlich effizienter das Sonnenlicht zur Biomasse- und Produktbildung als terrestrische Pflanzen.4)

Produkte aus Makroalgen

S Von den geschätzt 400 000 bis 500 000 Algenarten sind etwa 43 000 Arten klassifiziert. Nur ein Bruchteil, etwa 220 Makroalgen und 15 Mikroalgen, wird bislang wirtschaftlich genutzt (Abbil-dung 1).

Jährlich werden etwa 16 Millio-nen Tonnen Makroalgen aus natür-lichen Ressourcen (7 Prozent) und Aquakulturen (93 Prozent) geern-tet, vor allem die Braunalgen Lami-naria und Undaria sowie die Rotal-gen Porphyria, Gelidium, Chondrus und Gracilaria.8–9) Hauptanbaulän-der sind China, Indonesien, die Philippinen, Korea, Japan, Chile und Norwegen. Die Preise liegen zwischen 2 und 45 US-Dollar pro Kilogramm Trockengewicht.12)

Gegenwärtig dienen etwa 145 Algenarten der menschlichen Er-nährung. In Japan machen sie etwa zehn Prozent der Nahrung aus. Es wird vermutet, dass das hohe Durchschnittsalter der Japaner von über 80 Jahren auf den Verzehr von Braunalgen zurückzuführen ist. Der Grund hierfür liegt im niedri-gen Fettgehalt (weniger als fünf Prozent) und im hohen Anteil an Vitaminen, Mineralstoffen (Iod, Calcium) sowie nicht verwertbaren Kohlenhydraten.

Extrakte von etwa 50 Braun- und Rotalgen nutzt die Kosmetik-industrie für Cremes, Lotionen, Masken und Shampoos. Hier wer-den vor allem Braunalgen der Gat-tungen Undaria, Macrocystis und Laminaria eingesetzt. Sie wirken

aufgrund ihres hohen Anteils an Alginaten, Aminosäuren, Polyphe-nolen und Vitaminen (b-Carotin, E, B12) revitalisierend, feuchtig-keitsspendend und antioxidativ.

Die wirtschaftlich wichtigsten Produkte aus Makroalgen sind komplexe Zellwandpolysaccharide, die aus etwa 100 verschiedenen Braun- und Rotalgen extrahiert werden (55 000 Tonnen pro Jahr).8) Hierbei handelt es sich um die Galactanpolymere Carrageenan (E407) und Agar (E406) aus Rotal-gen sowie die aus alternierenden Mannuronsäure- und Guluronsäu-reeinheiten aufgebauten Alginate (E401 bis E405) aus Braunalgen. Diese Phycokolloide besitzen eine höhere Flexibilität als die in Grü-nalgen vorherrschende Cellulose, um den besonderen Anforderun-gen im Meer zu entsprechen. Da sie unter bestimmten Bedingungen Gele von genau einstellbarer Visko-sität bilden, dienen sie vielfach als Binde- und Emulgiermittel in Le-bensmitteln, Kosmetika, Pharma-ka, Farben und Baustoffen.7)

Zunehmend etablieren sich Ma-kroalgen für die Produktion von Biogas, Bioethanol und Biobutanol. Die Gründe liegen in den hohen Wachstumsraten der Algen, den bis zu sechsmal im Jahr möglichen Ernten und der kohlenhydratrei-chen aber ligninfreien Biomasse, die leicht in Methan und Bioalko-hole konvertierbar ist.9)

Produkte aus Mikroalgen

S Bei den Mikroalgen, die über-wiegend in Photobioreaktoren kultiviert werden, beläuft sich die Produktion auf etwa 8000 bis 10 000 Tonnen jährlich.9,13) Die Produktionskosten liegen abhän-gig vom Produktionsstandort und dem Kultivierungssystem für die marktdominierenden Algen zwi-schen 5 und 70 US-Dollar pro Ki-logramm Trockengewicht,8–9) so dass ihre Nutzung gegenwärtig nur zur Gewinnung hochwertiger Produkte wie Carotinoide und mehrfach ungesättigter Fettsäuren wirtschaftlich ist.

Etwa 75 Prozent der produzier-ten Mikroalgenbiomasse wird als Nahrungsergänzungsmittel in Form von Pulvern, Tabletten und Kapseln vermarktet sowie Nudeln, Knabberprodukten, Brot, Süßigkei-ten und Getränken zugesetzt. Nur wenige Arten sind für die mensch-liche Ernährung zugelassen: Spiru-lina, Chlorella, Dunaliella, Nostoc und Aphanizomen. Weiterhin wird Mikroalgenbiomasse als Futtermit-tel, vor allem in Aquakulturen, und als Rohstoff für die Kosmetik- und Pharmaindustrie verwendet. Dies beruht auf ihrer hochwertigen che-mischen Zusammensetzung – un-ter anderem ein hoher Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren und Proteinen. Diese wirkt positiv auf die menschliche und tierische Gesundheit. Beschrieben sind im-munstärkende, cholesterinsenken-de, antitumorale, antivirale und an-tioxidative Wirkungen.4,16,17)

Neben ihrer hohen flächenbe-zogenen Produktivität können Mi-kroalgen aufgrund ihrer hohen Stapeldichte an Zellmembranen li-

S Vorteil für die Algen

Mikroalgen bieten als nach-

wachsende Rohstoffe einige

Vorteile gegenüber Landpflan-

zen:11)

• höhere Biomasseproduktivität

bezogen auf Fläche und Zeit

(Hektarerträge von 80 bis 150

Tonnen pro Hektar und Jahr),

• höhere Effizienz der CO2-Ver-

wertung, Nutzung CO2-halti-

ger Abgase,

• kein Wettbewerb mit land-

wirtschaftlicher Nutzfläche,

• geringerer Wasserbrauch in

geschlossenen Produktionsan-

lagen,

• Nutzung von Abwässern oder

Gärresten als Phosphat- und

Nitratquelle,

• Nutzung der gesamten Algen-

biomasse (keine lignocellulo-

sehaltige Abfallbiomasse),

• ganzjährige kontinuierliche

Prozessführung und Ernte.

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pophile Substanzen, wie Caroti-noide, zu hohen Konzentrationen akkumulieren, die rekombinante heterotrophe Bakterien nicht er-reichen.4) Daher dienen Mikroal-gen seit einigen Jahren als Wert-stoffproduzenten für antioxidativ wirkende, färbende Carotinoide (ß-Carotin, Astaxanthin) und cho-lesterinsenkende, mehrfach unge-sättigte Fettsäuren (Docosahexaen-säure). Sie werden meist als Ex-trakte oder wertstoffangereicherte Biomasse vermarktet. Die Lebens-mittel-, Kosmetik- und Pharmain-dustrie nutzt zudem die nur in Al-gen (Cyanophyta, Rhodophyta) vorkommenden Phycobiline als blaue (Phycocyanin) und rote (Phycoerythrin) Farbstoffe.

Das größte Potenzial der Algen liegt in den vielen unbekannten biologisch aktiven Sekundärmeta-boliten, die als mögliche Wirkstoffe für noch nicht heilbare Krankhei-ten gelten. Zurzeit werden einige vielversprechende Arzneistoffkan-didaten gegen Krebs und HIV kli-nisch getestet. An Antialzheimer-wirkstoffen auf Basis von Glutami-nylcyclaseinhibitoren wird intensiv geforscht.14)

Auch als alternative Energieträ-ger, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen und CO2 am Ort seiner Entstehung verwerten, könnten Mikroalgen zu-künftig eine Rolle spielen, da sie gegenüber terrestrischen Energie-pflanzen einige Vorteile aufweisen

(s. Kasten). So lassen sich aus der Algenbiomasse flüssige (Bioetha-nol, Biodiesel) und gasförmige Energieträger (Wasserstoff, Me-than) gewinnen.

Algen als zukünftiger Energieträger

S Im Vordergrund der aktuellen Forschungen stehen die Vergärung der Algenbiomasse zu Biogas und Bioethanol sowie die Biodieselpro-duktion, die vor allem in den USA mit mehreren 100 Millionen US-Dollar für die Forschung vorange-trieben wird. Fluggesellschaften wie Boeing und Lufthansa investie-ren in die Entwicklung eines Flug-zeugtreibstoffs aus Algen, der Ke-rosin ersetzen soll.

Die Basis für eine künftige Ge-winnung von Biodiesel beruht auf der großen Menge an Ölen, die Mi-kroalgen wie Botryococcus, Chlorel-la, Scenedesmus, Hantzschia, Nan-nochloropsis oder Ettlia speichern können. Unter normalen Bedin-gungen produzieren Mikroalgen et-wa 15 bis 30 Prozent ihres Tro-ckengewichts an Glycosyllipiden mit Fettsäuren verschiedener Ket-tenlänge (C10 bis C20). Unter Stress oder Nährstofflimitation bil-den sie große Mengen Triacyl -glycerine, die durch Veresterung mit Methanol in Biodiesel mit ei-nem Fettsäuremethylestergehalt von über 96,5 Prozent umwandel-bar sind.

Um Biodiesel in der gewünsch-ten Qualität (DIN EN 14214) aus Algen zu gewinnen, sind genaue Kenntnisse über die Kultivierungs-parameter – Medienzusammenset-zung, pH-Wert, Temperatur, Licht-intensität – notwendig. Diese be-einflussen in starkem Maß das Pro-fil der gebildeten Fettsäuren. Bisher wurde das Potenzial einiger Algen-stämme zur Ölproduktion im La-bormaßstab beschrieben und in Pi-lotprojekten untersucht. Der Luft-fahrtkonzern EADS ließ im Juni 2010 das erste Flugzeug mit Algen-sprit starten, der einen höheren Energiegehalt als konventioneller Treibstoff hatte. Allerdings kann der Algensprit hinsichtlich der Kos-ten nicht mit Kerosin konkurrieren, da die flächenspezifischen Investiti-onskosten, der Bedarf an Hilfsener-gie und der Aufwand für die Aufar-beitung zu hoch sind. Hierzu be-darf es noch der Forschung und Entwicklung zur produktorientier-ten Prozesssteuerung mit einer op-timalen Fettsäurezusammenset-zung und zur Kosten-Energiesen-kung in der Kultivierung und im Down-Stream-Processing.

Die Potenziale der Algenbiotech-nik lassen sich am wirksamsten nutzen, wenn Algen in optimierten Photobioreaktoren mit umweltbe-lastenden Nährstoffen, beispiels-weise mit CO2 aus Kraftwerken oder mit nitrat- und phosphathalti-gen Abwässern, Wertstoffe produ-zieren und die Restalgenbiomasse

Abb. 2. Algenkultivierung. Links: Dunaliella salina in offenen Kuturen (open pond) in Israel (Foto: Chlostarin). Mitte: Tubulärer Photobioreaktor für Scenedesmus des

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vollständig energetisch verwertet wird. Solche algenbasierten Bioraf-finerien ermöglichen hochproduk-tive geschlossene Stoffkreisläufe. Sie kombinieren stoffliche und energetische Nutzung bei gleich-zeitiger CO2-Verwertung. Aller-dings erfordert dieses Konzept die Erschließung neuer Märkte für hö-herwertige Produkte.

Einen neuen Ansatz zur Ener-giegewinnung aus Algen ohne Bio-masseproduktion untersuchen Wissenschaftler der Universität Leipzig, Karlsruhe und Bremen. Sie wollen Biogas direkt aus CO2 in einem Zweikammersolarmodul mit zehnfach höheren Flächener-trägen als bei der klassischen Bio-massevergärung erzeugen. Das Prinzip beruht darauf, dass in ei-ner ersten Kammer ein immobili-sierter Algenbiofilm den photo-synthetisch fixierten Kohlenstoff nicht intrazellulär zum Biomasse-aufbau nutzt, sondern aerob über Photorespiration zu dem m extra-zellulären Metaboliten Glycolat umwandelt. Dieses lässt sich in ei-ner zweiten, mit einer Membran abgetrennten, Kammer durch Me-thanbakterien direkt zu Methan abbauen.15)

Kultivierung von Algen

S Mikroalgen lassen sich in offe-nen (Open-pond-) und geschlosse-nen Systemen kultivieren (Abbil-dung 2). Aufgrund der niedrigen

Investitionskosten und des gerin-gen Bedienungs- und Wartungsauf-wands überwiegen weltweit trotz niedriger Produktivitäten die Open-pond-Systeme. Ein kontrol-liertes, kontaminationsfreies Wachs -tum ist aber nur in geschlossenen Photobioreaktoren möglich. Ihre weiteren Vorteile sind die höheren Ausbeuten, der geringere Flächen-bedarf und die effizientere CO2-Verwertung. Allerdings sind Investitions- und Betriebskosten deutlich höher.

Weltweit haben sich vor allem die Glasröhrensysteme durchge-setzt. Die weltgrößte Produktions-anlage mit 500 Kilometer Glasroh-ren, 600 000 Liter Volumen und et-wa 120 Tonnen produzierter Bio-masse pro Jahr steht in Klötze in der Altmark (Sachsen-Anhalt). Ei-nen neuen silikonbasierten tubulä-ren Photobioreaktor in biogener Bauweise und mit doppelt so ho-hen Produktivitäten (Tannen-baum-Prinzip zur optimalen Ener-gieversorgung) entwickelte das Dresdner Unternehmen Gicon; der Reaktor wird gegenwärtig an der Hochschule Anhalt optimiert.

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15) B. Kaltwasser, T. Gabrie, transcript 2011,

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16) Z. Cohen, Chemicals from Microalgae,

Taylor&Francis, London, 1999.

17) C. Barrow, F. Shahidi, Marine Nutraceuti-

cals and Functional Foods, CRC Press, Bo-

ca Raton, USA, 2008.

Dresdner Unternehmens Gicon in Köthen. Rechts: Chlorella vulgaris in Glasröhrensystemen in Klötze.

Carola Griehl ist Professo-

rin für Biochemie an der

Hochschule Anhalt in Kö-

then. Seit 2004 ist sie Vize-

präsidentin der Hochschu-

le und stellvertretende Di-

rektorin des Life Science

Centers. Ihre Forschungsschwerpunkte sind

die Gewinnung von Antialzheimerwirkstof-

fen, Lipiden und Carotinoiden aus Algen und

die Vergärung von Restalgenbiomasse und

proteinreichen Reststoffen zu Methan.

Simone Bieler ist wissen-

schaftliche Mitarbeiterin in

der Arbeitsgruppe von

Griehl. Ihre wissenschaftli-

chen Interessen liegen in

der Strukturaufklärung von

Stoffwechselmetaboliten

aus Algen und in Biomasseabbaureaktionen.