Alkohol – das unterschätzte Problem?! - aekno.de · PDF fileRheinisches...

download Alkohol – das unterschätzte Problem?! - aekno.de · PDF fileRheinisches Ärzteblatt 5/2015 23 Rheinisches Ärzteblatt Praxis Alkohol – das unterschätzte Problem?! Zum fünften

If you can't read please download the document

Transcript of Alkohol – das unterschätzte Problem?! - aekno.de · PDF fileRheinisches...

  • Rheinisches rzteblatt 5/2015 23

    Rheinisches rzteblatt Praxis

    Alkohol das unterschtzte Problem?!

    Zum fnften Mal veranstaltet die Deutsche Hauptstelle fr Suchtfragenvom 13. bis 21. Juni 2015 die Aktionswoche Alkohol. Ziel ist es, dasMotto Alkohol? Weniger ist besser! in die ffentlichkeit zu tragen. Die Botschaft ist nicht die chtung von Alkohol, sondern der reflektierte Umgang damit. Die rztekammer Nordrhein untersttzt die Aktionswochemit Materialien, Fortbildungen und ffentlichkeitsarbeit.

    von Sabine Schindler-Marlow

    Ein Glschen in Ehren das ist beijeder Hochzeit, dem Besuch beiFreunden oder der Feier einesSportereignisses angesagt. Der Genuss vonAlkohol ist gesellschaftsfhig. Alkohol giltim Land der Brauer und Winzer als Kul-turgut, allerdings nur so lange, wie er ingeringen Mengen, zu bestimmten Zeitenund an bestimmten Orten getrunken wird.Und obwohl die Schattenseiten des ver-meint lichen Kulturguts wie Verkehrstoteund -verletzte, alkoholassoziierte Gewalt-delikte sowie Komasaufen unter Jugendli-chen die Medien regelmig durchziehen,wird das Thema Alkohol von der ffent-lichkeit weitgehend bagatellisiert.

    Die Verharmlosung des Alkohols zeigtgerade bei Jugendlichen Wirkung. Was dieEltern tun, kann die nachfolgende Genera-tion umso besser, und so gehrt es fr vieleJugendliche zu einem gelungenen Wochen-ende, sich hemmungslos zu betrinken Saufgelage, Binge-Drinking, Flatrate partys.Wer nicht trinkt, gilt als Spabremse. Pein-lich sind den Jugendlichen die Exzessenicht. In vielen sozialen Netzwerken wer-den Fotos verffentlicht, auf denen betrun-kene Jugendliche nackt auf dem Boden liegen und von Trinkkumpels mit Filzstift angemalt werden. Stolz werden Bilder ver-ffentlicht, ganz nach dem Motto: Ich gehre dazu: zur Generation Alkohol. AlsErgnzung zu diesem Phnomen ist in derKrankenhausstatistik aus dem Jahr 2012zu lesen, dass bundesweit 22.674 Kinderund Jugendliche im Alter zwischen 15 und20 Jahren aufgrund von Alkoholmiss-brauch stationr behandelt wurden. Vor-

    lufige Zahlen zu 2013 weisen aber erst-mals einen leichten Rckgang auf.

    Epidemiologie

    Nach Angaben der Deutschen Hauptstel-le fr Suchtfragen trinkt der Deutsche proKopf im Schnitt 136,9 Liter alkoholischeGetrnke im Jahr etwa so viel, wie in einedurchschnittliche Badewanne passt. JedesJahr sterben 74.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholmissbrauchs. Rund1,77 Millionen Mnner und Frauen im Alterzwischen 18 und 64 Jahren sind alkoholab-hngig, sie vermindern ihre Lebenserwar-tung um etwa 15 bis 20 Jahre. Etwa jedessechste Kind in Deutschland kommt aus ei-ner Familie, in der Alkoholismus oder Dro-genabhngigkeit herrschen. Fr diese Kin-der ist das Risiko, als Erwachsene selbstsuchtkrank zu werden, im Vergleich zu Kindern aus nichtschtigen Familien bis zusechsfach erhht. Etwa ein Drittel dieserKinder wird im Erwachsenenalter stofflichabhngig. Dass Alkoholmissbrauch ebennicht nur ein Problem des Nutzers ist, zeigtauch die jhrliche Unfallstatistik. Im Jahr

    2012 registrierte das Statistische Bundes-amt 15.130 Unflle im Straenverkehr, beidenen mindestens einer der Beteiligten(Fahrer oder Fugnger) unter Alkoholein-fluss stand. Dabei wurden 338 Menschengettet. Die Fahrer kannten ihr Limit nicht.

    In einer 2012 im Lancet verffentlichtenStudie wiesen britische Forscher (LIM et al. 2012) nach, dass regelmiger Alkohol-konsum zu den wichtigsten Gesundheitsri-siken gehrt. Alkoholbedingte Folgekrank-heiten sind durch viele Studien belegt. Prak-tisch sind alle Organsysteme betroffen, wo-bei viele neue Befunde die kanzerogeneWirkung des Alkohols belegen. Die hchsteZuwachsrate bei Mnnern gab es in den ver-gangenen 30 Jahren bei Leber- und Gallen-krebs: plus 152 Prozent von 1.981 auf 5.000Sterbeflle. Einer der Grnde dafr ist, dassMnner mehr Alkohol trinken. Die Kostenalkoholbedingter Krankheiten werden proJahr auf 26,7 Milliarden Euro geschtzt.

    Zur Verringerung der Krankheitsrisikenempfiehlt die Wissenschaft die Einhaltungder Grenzwerte fr einen risikoarmen Alko-holkonsum. Und hier knpft auch das Mottoder diesjhrigen Aktionswoche Alkohol an:Weniger Alkohol ist besser. Und bei der Arbeit und auf der Strae 0 Promille. Es istein pragmatisches Motto wenn es schonnicht gelingt, wirksame verhltnisprventi-ve Manahmen wie Werbeverbote oder Er-hhung der Alkoholsteuer durchzusetzen,soll zumindest der Versuch unternommenwerden, individuelle Risiken zu minimieren.

    Versorgung

    Zu den knapp zwei Millionen Alkohol-abhngigen in Deutschland addieren sichnoch rund 1,6 Millionen Menschen mit einem schdlichen Gebrauch. Doch diesuchtmedizinischen Abteilungen der Psy-chiatrischen Kliniken behandeln pro Jahrnur 200.000 Flle mit Alkoholdiagnosen,und auch Rehabilitationsbehandlungenwerden nur von drei bis vier Prozent der Alkoholabhngigen pro Jahr in Anspruchgenommen. Die Vermutung liegt nahe, dasseine Unterversorgung von Alkoholabhngi-gen vorliegt. Die Grnde dafr sind viel-schichtig. Neben dem begrenzten Angebotvon Reha-Kliniken liegt ein Grund im sozialen Stigma. Whrend ein Glschen

    Rudolf Henke, Prsident der rzte-kammer Nordrhein:Wir werben fr einenverantwortungsvollenUmgang mit Alkohol,denn die bergngezwischen dem Genussalkoholischer Getrnkeber den Missbrauchbis hin zur Sucht sindflieend.Foto: JochenRolfes.de

  • Die Flyer mit Zielgruppe Mnner/Frauen sindbei der rztekammer Nordrhein kostenfreivia [email protected] zu beziehen.

    24 Rheinisches rzteblatt 5/2015

    Rheinisches rzteblatt Praxis

    Prosecco in der Hand gesellschaftlich ak-zeptiert ist, wird Alkoholsucht gesellschaft-lich verpnt und als Penner-Phnomenverortet. Um nicht in dieses Raster zu fallen,wird Alkoholsucht in der Regel von den Be-troffenen und ihrem sozialen Umfeld totge-schwiegen. Therapeutische Interventionenerfolgen daher hufig erst in einem sehrspten Stadium der Abhngigkeit und oftbereits angesichts existenzieller Problemedurch den Alkoholmissbrauch.

    Einen weiteren Grund sehen Expertendarin, dass bislang die Abstinenz bei Alko-holsucht als einziges Therapieziel galt, egalob jemand schwer abhngig war oder nur ander Schwelle zur Abhngigkeit stand. Frviele Betroffene war und ist die Ganz- oder-Gar-nicht- Regel eine hohe Hrde, dieerklren knnte, warum nur rund acht Pro-zent aller Alkoholabhngigen in Deutsch-land in den vergangenen Jahren den Weg ineine Suchtberatungsstelle oder Therapiefanden. Die neue S3-Leitlinie Screening,Diagnose und Behandlung alkoholbezoge-ner Strungen, die im Februar 2015 von derDeutschen Gesellschaft fr Psychiatrie undPsychotherapie, Psychosomatik und Ner-venheilkunde (DGPPN) vorgestellt wurde,erkennt daher fr Menschen mit schdli-chem Konsum erstmalig auch die Reduk-tion der Trinkmenge als zumindest inter-medires Therapieziel an. Funktioniere derAnsatz nicht, so die Autoren, werde nachwie vor die Abstinenz empfohlen. Mit derSenkung der Eingangsschwelle verbindetsich fr die Verfasser der Leitlinie die Hoff-nung, dass sich mehr Menschen noch vor einer Abhngigkeit zu einer Beratung undBehandlung entscheiden.

    rztliche Kurzintervention wirkt

    Aus Untersuchungen ist bekannt, dassnahezu jeder zehnte Patient in der nieder-gelassenen Praxis und jeder fnfte Kran-kenhauspatient alkoholbezogene Probleme

    nen und ber Alkohol und risikoarmenKonsum informieren. Auch Informations-materialien im Wartezimmer lenken dieAufmerksamkeit auf das Thema und kn-nen unter Umstnden als Gesprchsffnerdienen. Aus diesem Grund hat die rzte-kammer Nordrhein Flyer herausgegeben.Mit diesen Flyern sollen Patienten, die beisich einen problematischen Konsum ver-muten, ermutigt werden, das Thema in derArztpraxis oder in Beratungsstellen undSelbsthilfegruppen anzusprechen.

    Untersttzende Materialien

    Fr die Aktionswoche, die die rztekam-mer Nordrhein untersttzt, stellt die Deut-sche Hauptstelle fr Suchtfragen darberhinaus eine Flle an Materialien zur Verf-gung, die ber die Homepage der Organisa-tion kostenfrei angefordert werden knnen.Dazu gehren Poster, Broschren und Fact-sheets sowie ein Selbsttest, anhand dessen Patienten whrend ihrer Praxiswartezeit ihreigenes Trinkverhalten berprfen knnen.

    Dr. med. Oliver Funken:Etwa 70 Prozent der Menschen mit Alkohol-problemen haben min-destens einmal im JahrKontakt zu ihrem Hausarzt. Die rztliche Praxis ist daher eingnstiger Ort zur frhzeitigen Erkennungund Behandlung desProblems.Foto: JochenRolfes.de

    Frauen: Nicht mehr als 12 g reinen Alkohol tglich und auf Alkohol in der Schwanger- schaft verzichten

    Mnner: Nicht mehr als 24 g reinen Alkohol tglich

    Fr Frauen und Mnner gilt: An mindestens zwei Tagen pro Woche sollte ganz auf Alkoholkonsum verzichtet werden, ebenfalls gilt: Kein Alkohol im Straenverkehr.

    Quelle: rztekammer Nordrhein.

    Material zum Thema fr die Praxis

    Bundesrztekammer/Bundeszentrale frgesundheitliche Aufklrung:Kurzintervention bei Patienten mit Alkoholproblemen. Ein Beratungsleit-faden fr die rztliche Praxis. http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/KurzinterventionAlkohol2009.pdf

    Deutsche Hauptstelle fr Suchtfragen:Kampagnenmaterial sowie Mia, Mats und Moritz Neue DHS Broschre fr Kinder aus Familien Sucht-kranker. Kostenfreie Bestellung unter: http://www.dhs.de/informationsmaterial/bestellung

    Deutsche Gesellschaft fr Psychiatrie undPsychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde:S3-Leitlinie Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Strungen http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/kurzversion-leitlinien/S3-Leitlinie_Alkohol_2015_Langfassung.pdf

    Kooperationsstelle fr Selbsthilfegruppenund rzte, rztekammer Nordrhein:Selbsthilfegruppen und Beratungsstellenfr Menschen mit Alkoholproblemen. Kostenfreie Bestellung unter [email protected]

    Nacoa Deutschland:Hilfe fr Kinder aus suchtbelasteten Familien. Ein Leitfaden fr rztinnen undrzte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Bezug unter www