Alnatura - Ausdauer : 12 Tugenden : Anthroposophie : News

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01.06.2013 AUSDAUER Rudolf Steiner hat zwölf Tugenden und jeweils einen wesentlichen Entwicklungsschritt der Tugenden dem Jahreskreis zugeordnet. Ein Gastbeitrag von Mechtild Oltmann-Wendenburg, Dozentin an Seminaren und in Vorträgen. Das Wort Treue hat gegenüber früheren Zeiten im Allgemeinen an Kraft verloren. Es mag daran liegen, dass es für Ideale missbraucht worden ist, die in den Kriegen des 20. Jahrhunderts in Verderben und Tod geführt haben. Ein weiterer Grund könnte sein, dass man sich durch die Forderung von Treue moralisiert und unfrei gemacht fühlt. Ein dritter, dass es augenscheinlich auf dem Gebiet von Ehe, Beziehung und überhaupt Bindung sehr schwer geworden ist, zu halten, was man sich vorgenommen, vielleicht sogar anderen versprochen hat. Viele nehmen es sich auch gar nicht mehr vor, alles Dauerhafte erscheint fraglich und oft gar nicht mehr wünschenswert.Unsere Erde hat ein Urbild hervorgebracht für das, was bleibt, bewahrt und konservieren kann. Im Guten und im Problematischen kann es gebraucht werden, es ist das Salz. Schon in seiner Art zu kristallisieren bildet es regelmäßige Würfel aus. Eine Form, die nicht »aus der Ruhe« zu bringen ist, nicht schwankt oder wackelt, formal verlässlich. So wünschte sich der Gott, der als Mensch über die Erde ging, seine Schüler: »Ihr seid das Salz der Erde.« IN DER JUGEND UNSERER ZEIT findet man manchmal das dem Konservativen entgegengesetzte Ideal: Beruf für das Leben? Nein. Wechselnde Arbeitsverhältnisse oder Jobs, ja. Lebensentschlüsse? Nein. Stattdessen Vielfalt, Offenes und Bewegungen, die in die Zukunft führen. Andererseits auch eine neue Liebe zur Erde und eine Sorge um sie, der Wunsch, etwas Schützendes zu tun, um sie zu bewahren. Die angedeuteten Veränderungen kommen vermutlich von der Sehnsucht nach und der wachsenden Fähigkeit zur Freiheit in unserer Zeit. Das Ideal der Freiheit wird sich immer dann verwirklichen, wenn es gelingt, sich selbst und den eigenen Zielen treu zu bleiben. Nicht mehr von außen wird die Forderung kommen können, Treue zu verlangen als Versprechen oder als Eid, den man leisten muss. Tief im Herzen, vielleicht sogar ganz verborgen, liegt doch bei manchen Dingen eine Sehnsucht, das, was ich gerade lebe und erfahre, sollte bleiben, es sollte nicht so bedrohlich vergänglich sein. Aus der inneren Wahrhaftigkeit einer solchen Empfindung kann der Wille zur Treue neu entstehen und auch der Wille, dafür selbst etwas einsetzen zu wollen, von Tag zu Tag, nicht gleich für »immer«. Die Frage, wie eine Empfindung oder eine Sehnsucht in freie Taten übergehen kann, ist eine schwere und ernste. Am Anfang ist die Begeisterung groß einem solchen Unternehmen gegenüber. Je größer die Aufgabe ist, die ich mir vorgenommen habe, umso größer ist auch Freude, ja die Flügelkraft dazu, jetzt etwas Neues zu tun, etwas zu ändern an den Verhältnissen, die mich umgeben, die meine Lebensumstände sind, oder sogar an mir selbst. Diese aber schützen nicht davor, das neue Ziel bald wieder loszulassen, zu erlahmen und wieder zu vergessen. Der »Stolperstein« einer Bequemlichkeit, der nach guten Vorsätzen plötzlich gern im Weg liegt. WIE KOMMT EINE VORSTELLUNG AUS DEN GEDANKEN SO IN MEINEN WILLEN, dass der Würfel des Salzkristalls stehen bleibt? Sisyphus musste in der griechischen Sage als Strafe einen Felsen den Berg hinaufrollen, der immer wieder herunterrutschte. Ein Bild der Vergeblichkeit, das jeder kennt, selbst wenn er sein Vorhaben freiwillig und nicht als Strafe bewerkstelligen will.

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01.06.2013

AUSDAUER

Rudolf Steiner hat zwölf Tugenden und jeweils einen wesentlichen Entwicklungsschritt der Tugenden demJahreskreis zugeordnet. Ein Gastbeitrag von Mechtild Oltmann-Wendenburg, Dozentin an Seminaren und inVorträgen.

Das Wort Treue hat gegenüber früheren Zeiten imAllgemeinen an Kraft verloren. Es mag daran liegen,dass es für Ideale missbraucht worden ist, die in denKriegen des 20. Jahrhunderts in Verderben und Todgeführt haben. Ein weiterer Grund könnte sein, dassman sich durch die Forderung von Treue moralisiertund unfrei gemacht fühlt. Ein dritter, dass esaugenscheinlich auf dem Gebiet von Ehe, Beziehungund überhaupt Bindung sehr schwer geworden ist, zuhalten, was man sich vorgenommen, vielleicht sogaranderen versprochen hat. Viele nehmen es sich auchgar nicht mehr vor, alles Dauerhafte erscheint fraglichund oft gar nicht mehr wünschenswert.Unsere Erde hatein Urbild hervorgebracht für das, was bleibt, bewahrtund konservieren kann. Im Guten und imProblematischen kann es gebraucht werden, es ist das

Salz. Schon in seiner Art zu kristallisieren bildet es regelmäßige Würfel aus. Eine Form, die nicht »aus der Ruhe«zu bringen ist, nicht schwankt oder wackelt, formal verlässlich. So wünschte sich der Gott, der als Mensch über dieErde ging, seine Schüler: »Ihr seid das Salz der Erde.«

IN DER JUGEND UNSERER ZEIT

findet man manchmal das dem Konservativen entgegengesetzte Ideal: Beruf für das !Leben? Nein. WechselndeArbeitsverhältnisse oder Jobs, ja. Lebensentschlüsse? Nein. Stattdessen Vielfalt, Offenes und Bewegungen, die indie Zukunft führen. Andererseits auch eine neue Liebe zur Erde und eine Sorge um sie, der Wunsch, etwasSchützendes zu tun, um sie zu bewahren.

Die angedeuteten Veränderungen kommen vermutlich von der Sehnsucht nach und der wachsenden Fähigkeit zurFreiheit in unserer Zeit. Das Ideal der Freiheit wird sich immer dann verwirklichen, wenn es gelingt, sich selbst undden eigenen Zielen treu zu bleiben. Nicht mehr von außen wird die Forderung kommen können, Treue zu verlangenals Versprechen oder als Eid, den man leisten muss. Tief im Herzen, vielleicht sogar ganz verborgen, liegt doch beimanchen Dingen eine Sehnsucht, das, was ich gerade lebe und erfahre, sollte bleiben, es sollte nicht so bedrohlichvergänglich sein. Aus der inneren Wahrhaftigkeit einer solchen Empfindung kann der Wille zur Treue neu entstehenund auch der Wille, dafür selbst etwas einsetzen zu wollen, von Tag zu Tag, nicht gleich für »immer«.

Die Frage, wie eine Empfindung oder eine Sehnsucht in freie Taten übergehen kann, ist eine schwere und ernste.Am Anfang ist die Begeisterung groß einem solchen Unternehmen gegenüber. Je größer die Aufgabe ist, die ichmir vorgenommen habe, umso größer ist auch Freude, ja die Flügelkraft dazu, jetzt etwas Neues zu tun, etwas zuändern an den Verhältnissen, die mich umgeben, die meine Lebensumstände sind, oder sogar an mir selbst. Dieseaber schützen nicht davor, das neue Ziel bald wieder loszulassen, zu erlahmen und wieder zu !vergessen. Der»Stolperstein« einer Bequemlichkeit, der nach guten Vorsätzen plötzlich gern im Weg liegt.

WIE KOMMT EINE VORSTELLUNG AUS DEN GEDANKEN SO IN MEINEN WILLEN,

dass der Würfel des Salzkristalls stehen bleibt? Sisyphus musste in der griechi !schen Sage als Strafe einen Felsenden Berg hinaufrollen, der immer wieder herunterrutschte. Ein Bild der Vergeblichkeit, das jeder kennt, selbst wenner sein Vorhaben freiwillig und nicht als Strafe bewerkstelligen will.

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Es gibt ein Gebiet, in welchem es einfach zu sein scheint, regelmäßige Tätigkeiten, ja sogar Anstrengungen gernauf sich zu nehmen, das ist der Sport. Die Verlockungen und Erfolge, die es hier gibt, machen es leichter. Iminneren Leben, auch mit sich selbst, scheint alles viel schwieriger zu sein, was mit dem freiwilligen Tunzusammenhängt. Auch gibt es beim Sport deutliche Maßstäbe, Messwerte, »Olympiaden«.

Ermutigend ist, dass die eine Zeitlang von Hirnforschern behauptete Tatsache inzwischen als überholt gilt, derMensch sei naturgegeben nicht lernfähig, es sei erstaunlich, wie wenig er in seinem Leben ändern könne.Mittlerweile gilt als bewiesen, dass ein Lebewesen, vor allem der Mensch, von seiner Natur aus lernfähig ist. DerMensch lernt sogar unbewusst (zum Beispiel aus seinen Fehlern).

Die Kraft der freien Selbstentscheidung zu einer Übung, die nach wie vor »den Meister macht«, ist zugleich mit derSehnsucht nach Freiheit gewachsen. In den Augenblicken, wo das gefragt ist, liegt allerdings fast immer eineSchwelle, die Schwelle der Überwindung inneren Beharrens. Es gibt kaum etwas Schwereres im Leben, als sichselbst zu verändern. !Alles, was durch eine solche Überwindung geht, stärkt wie kaum etwas anderes den Willen,das ganze Lebensgefühl und die Kraft. Das nennen wir Ausdauer, bekleidet mit dem Gewand des »Dennoch«. Siebewirkt Fortschritte, wenn sie auch zunächst unscheinbar sind, Veränderungen und Entwicklung. In diesem Fallsogar Selbstüberwindung zu regelmäßigen, nur sich selbst versprochenen, freien Taten. Es ist oft, als trete eine ArtRückenwind im Schicksal auf, wenn ich eine bedeutende Entscheidung frei getroffen habe, und das zögerlicheFragen, ob es die richtige war, erübrigt sich.

Eine wesentliche Zutat ist, dass ich lernen kann, was ich übe, aus Freude zu tun, und dass es, sooft es gelingt,auch Freude macht! Vielleicht hat Goethe Ähnliches gemeint, wenn er sagt: »Pflicht, wo man liebt, was man sichselbst befiehlt.« Oder: Ausdauer wird zu Treue.

›››"Mechtild Oltmann-Wendenburg

Mechtild Oltmann-Wendenburg, geboren 1939 in Mitteldeutschland.Studium der Psychologie, Ausbildung als Buchhändlerin, später amPriesterseminar der Christengemein !schaft in Stuttgart. LangjährigeTätigkeit als Pfarrerin in Berlin. Dozentin an Seminaren und in Vorträgen.