Altgermanische Weltanschauung Neckel

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  • 7/27/2019 Altgermanische Weltanschauung Neckel

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    Prof. Dr. Gustav Neckel

    ALTGERMANISCHE WELTANSCHAUUNG

    Fragen wir nach der Weltanschauung unserer ungetauften Vorfahren, so lehrenuns die Quellen zuvrderst,da es sich dabei um eine Weltanschauung imeigentlichen Wortsinne, um eine Kosmologie gehandelt hat. Ambesten bekannt wird sie uns aus der berlieferung des alten Nordens. WieEddalieder, voran die Vluspa, Snorris Skaldenlehrbuch und andere Denkmlerlehren, glaubten die unbekehrten Nordgermanen an die Schpfung des Kosmosdurch die Gtter aus den Leibesteilen des Urriesen Ymir, an die der erstenMenschen, Ask und Embla ebenfalls durch gttliche Mchte, drei an der Ksteentlangwandernde Asen, die dort zwei angetriebene Baumstmme finden und siemit menschenhnlichem Aussehen, den Farben des Lebens, Stimme und Atembegaben. Wie sie annahmen, Ymir sei von Odin und seinen Brdern, den aus dem

    Gestein der Schlucht Ginnungagap von der Kuh Authumla herausgeleckten erstenGttern, erschlagen worden, so war es auch ihre berzeugung, da dieberwltigten und an den Rand des Universums zurckgedrngten Riesen inferner Zukunft fr diese Demtigung Rache nehmen und Gtter, Welt undMenschen verderben werden in dem groen Kampf, den beide Parteien dannmiteinander ausfechten, der groen Katastrophe des Ragnark. Fr das hohe Alterdieser Vorstellungsmasse spricht ihre Verwandtschaft mit der altpersischen undaltgriechischen Kosmologie, auch mit derjenigen der Kelten, von denen wirwissen, da auch sie einen knftigen Weltuntergang frchteten; bei den alten Irenfindet sich auerdem der Gedanke von einem Kampf der Gtter mit den Riesen,wenn auch in historisierter Form. Bei den Griechen ist der Strau der Olympier

    mit Titanen und Hekatoncheiren an den Anfang der Zeiten verschoben - jedenfallsweil der finster aus der Zukunft hereindrohende Weltuntergang sich mit demLebensgefhl der Hellenen nicht vertrug -; whrend wir bei den alten Persern denGegensatz zwischen Ormuzd und Ahriman und den ewigen Kampf dieserentgegengesetzten Gewalten antreffen. So erscheint uns die Weltanschauung derIndogermanen als dualistisch und vom Gedanken des ewigen Kampfes beherrscht.

    Und zwar handelt es sich dabei nicht nur um den Streit der aufbauenden mit denniederreienden Gewalten: auch die Menschen sind beteiligt, als Bundesgenossenihrer Gtter, mit deren Schicksal das ihrige zusammenfllt. Die germanische undindogermanische Gottheit ist innerweltlich, immanent; die orientalische

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    auerweltlich, transzendent; letzteres sind bei den Indogermanen hchstens dieRiesen oder Dmonen. Dies zeigt sich auch an der eddischen Lehre von derEntstehung der Welt, der Gtter und der Menschen. Nach ihr war nichtdas Gttliche zuerst da und schuf durch seinen Willen oder sein Wort die Welt.

    Sondern ihr Anfang war die Welt. So lehrte Pherekydes von Syros die Ewigkeitder Erde, und Thales und Anaximander behaupteten die Ursprnglichkeit, der einedes Wassers als Urstoff, der andere eines unbestimmteren und unendlichenStoffes. Auch die plastischere Grundform, welche wir fr die grblerischeKosmogonie des Rigveda vermuten mssen, war, wie es scheint, "materialistisch"geartet. So ergibt sich urindogermanisches Alter fr die Anfnge auch deraltnordischen Weltentstehungslehre. Das lteste, was diese kennt, war brauenderNebel ber Wasserstrmen, die aus dem Brunnen Hvergelmir hervorstrmen, imSden begrenzt durch die helle Feuerwelt Muspell, im Norden durch die Welt desEises, westlich und stlich aber von zwei gewaltigen, kahlen Felshngen, so daeine riesenmige Bergschlucht nordsdlich verluft, das Ginnungagap. In diese

    schaurige Wste kam das erste Leben, wie wenn Bltenstaub bers Meer verwehtund auf toten Inseln Pflanzenwuchs erzeugt: da von Norden vor dem Eise herSchnee und Reif stob im kalten Luftzug und von Sden von dem Feuer herglhende Funken im heien, kam es in der gemigten Mittelregion, wo beidesich begegneten, durch Schmelzen zur Tropfenbildung, und aus den am Bodendes Ginnungagap samenartig zusammenrinnenden Tropfen entstand ein entferntmenschenhnliches Wesen. Ymir Aurgelmir, der Stammvater der Riesen. Davonerzhlt der Riese Wafthrudnir auf Grund der uralten Sippenberlieferung seinesGeschlechtes dem ihn besuchenden Odin:

    Aus den EliwagarFlogen Eistropfen,

    Aus dem Tropfen ein Thurse wuchs;Unsere Sippen

    Stammen dort alle her;Drum ist's ein schlimmes Geschlecht.

    Eliwagar sind die Eismassen des uersten Nordens, gefrorene Ausflsse desMuspellfeuers. Thurse heit so viel wie Riese; das Wort (althochdeutsch duris)betont die ungeschlachte Hlichkeit der der Riesen, wie Jtun (niederdeutscheten in eteninne, "Hexe", bei Lauremberg), das dritte Synonymum, ihre

    bestialische Wildheit betont. Das Geschlecht der Riesen oder Reifriesen - wie siewegen ihres Ursprunges ebenfalls heien - ist schlimm und bse (atalt, illt), undSnorri stellt ausdrcklich in diesem Sinne ihren Urahn in Gegensatz zu denGttern. Er ist ein halb unorganisches Wesen: geschlechtslos erzeugt erNachkommen, indem er im Schlafe schwitzt und ihm zwischen Arm und Leib undzwischen den Beinen Shne und Tchter entstehen, geschlechtliche, hherentwickelte Wesen also, die sich normal fortpflanzen, wie es die Riesengewhnlich tun. Die Sippschaft lebt von der Kuh Authumla, die ebenfalls ausReiftropfen entstand und aus ihren gewaltigen Eutern vier Milchstrme entsendet.Sie nhrt sich von dem Reif am salzigen Gestein des Ginnungagap, woran sieimmer gierig leckt. Nach langem Lecken der rauhen Zunge an einer Stelle kommt

    menschliches Kopfhaar zum Vorschein, nach Ingerem ein ganzer Kopf und

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    schlielich eine volle Menschengestalt, ein groer und starker Mann von schnemueren, hellhutig, blond, blauugig und aufrecht, Buri. Buris Sohn ist Bor, unddieser hat mit der Riesin Bestla, Blthorns Tochter, drei Shne, Odin, Wili undWe. So ist das Gttergeschlecht ins Dasein getreten. Angeborene, steinharte Art

    treibt die Shne Bors zum Streit gegen die bermchtige, ihnen wesensfremdeYmirsippe, und sie erschlagen den alten Ymir und ertrnken seine Nachkommenin den Massen Blutes, die aus seinen Wunden strmen. Nur einer kann sich retten,Bergelmir, und mit seinem Weibe neue Geschlechter der Reifriesen begrnden.Und wie ein Jger sein Wildbret zerlegt an bequemer Stelle, so schaffen dieSieger den Leib des Ymir mitten ins Ginnungagap und zerschneiden ihn. Ausseinen Knochen machen sie Berge, aus seinem Fleisch Erdreich, aus Zhnen,Kiefern und zerbrochenem Gebein Steine und Gerll, aus dem Blute Seen undMeere, besonders das groe Auenmeer, das rings um die Erde liegt, aus demSchdel aber den Himmel, der ber der Erde aufgestellt wurde, und an den sie dasHirn des Erschlagenen als Wolken befestigen und die aus Muspellheim

    sprhenden Funken als Sterne setzen, um Himmel und Erde zu beleuchten. " Siewiesen allen Lichtern ihre Sttte an, den einen an der Himmelskuppel selbst,andere bewegten sich frei unterhalb des Himmels, und sie gaben ihnen doch ihreSttten und bestimmten ihre Bahn." So knnen nach den Himmelslichtern Tageund Jahre festgelegt werden. Jenseits des Auenmeeres drfen die Riesen siedeln.Zum Schutz gegen sie bekommt die Welt einen Zaun aus den Wimpern des Ymir,so da sie einer Burg gleicht und M i d g a r d (Mittelhof) heit. Damit ist dieWelt fertig, die wir heute noch sehen. Der schne Kosmos, an dem alle Wesensich erfreuen.

    Als Bors Shne (nach Vluspa 17,18 waren es Odin, Hnir und Loki) einmal amMeeresstrande entlanggingen, fanden sie zwei Baumstmme, nahmen sie auf undmachten daraus Menschen: der erste Gott gab ihnen Atem und Leben, der zweiteVerstand und Bewegung, der dritte Gesichtsausdruck, Rede, Gehr und Sehkraft,sie gaben ihnen Kleider und Namen, der Mann hie Ask und die Frau Embla, undvon diesen stammt das Menschengeschlecht ab, dem das Land unter Midgardeingerumt ward. Fr sich selbst bauen die Gtter eine hohe Burg mitten in derWelt, Asgard (Asenhof). Die liegt so hoch, da, wenn Odin auf derAussichtssttte Hlidskjalf Platz nimmt, er ber alle Welten schaut und alles sieht.Asgard liegt also hoch in Himmelslften. Der zu den Gttern betende Menschschaut aufwrts wie Jung Sigurd und die erweckte Jungfrau im Eddaliede und wie

    der Ampsivarierknig Boiocalus nach dem Bericht des Tacitus in den Annalen.

    Dort, wo Bifrst den Himmel erreicht, liegt nach Snorri die GrenzfesteHiminbjrg, und dahinter erstreckt sich das Asenland wie eine germanischeBauernlandschaft, mit einer Anzahl zerstreut liegender Hfe und einem Dingplatz,Idavellir, etwa in der Mitte, bei dem ein Tempel, und auf dem die riesige alteEsche steht, in deren Schatten, beim Brunnen der Urd, die Asen tglich Gerichthalten, die Esche Yggdrasil mit ihren in die tiefsten Grnde des Nebelheimshinabreichenden Wurzeln und ihren hoch ber den Himmel emporgestrecktenZweigen, ein auerhalb der Asenschpfung stehendes Gebilde, das den Eindruckmacht, gleichzeitig ein Symbol und ein Kraftbehlter fr das Weltganze zu sein.

    Denn von ihr kommt, wie die Vluspa sagt, der Tau, der in die Tler fllt,

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    immergrn stehe sie am Urdbrunnen, gleichzeitig aber se ein Hirsch - oder senvier Hirsche - in ihrer Krone, und Schlangen benagen ihre Wurzeln, so da dieNornen, die am Brunnen hausen, tglich mit dessen Wasser sie begieen, damitihre Zweige nicht verdorren. Yggdrasils Leben wird also gleichzeitig bedroht und

    beeintrchtigt und andererseits geschtzt und gesttzt: Hirsche und Drachenentsprechen den Riesen, die Nornen den Gttern, wenn die Esche den Kosmosdarstellt, wie es den Anschein hat.

    Yggdrasil meint auch die riesenentstammte Seherin der Vluspa, wenn sie vonsich sagt:

    Wei von Riesen,Weiland gebornen,Die einstmals mich

    Auferzogen;

    Wei neun Heime,Neun Weltreiche,

    Des hehren WeltbaumsWurzeltiefen.

    Dies heit doch wohl: ich kenne das ganze Universum, alle seine neun Teile oderWelten (Heime), auch die unterste, das Nebelheim, in dem Yggdrasils Wurzelnliegen.

    Welches sind die neun Welten? Wir erfahren es nicht genau, und die Sache gilt alsdunkel. Einige lassen sich immerhin vermuten, Nebelheim, Hel, Midgard,Asenheim, Albenheim. Alle neun aber bekam man schon unter dem Heidentumnicht mehr zusammen. So alt ist diese Weltenlehre mit der urindogermanischenNeunzahl, die in Indien handgreiflich wiederkehrt, auch dort bereits teilweisevergessen und entartet. Woher und von wem sie letztlich stammt, wird nieergrndet werden. So viel aber erkennen wir, da sie der Lehre von derMidgardschpfung aus den Leiberteilen des Ymir ursprnglich fremd gewesen ist,ebenso wie die Vorstellung vom Welt- oder Weltenbaum. Diese beiden sindWeltbeschreibungen, Kosmologien, und gehen von der Auenwelt aus, sei es vonder ueren Sichtbarkeit berhaupt, sei es von der Pflanzenwelt; jene ist einegenetische Welterklrung, eine Kosmogonie, und geht vom Menschen aus oder

    von den menschlich-tierischen Organismen, die, ihr Geist einbegriffen, als daseigentlich Bestimmende und zugleich als die Elemente der Welt im engerenSinne, der Kosmos innerhalb des Chaos, angenommen werden, zuhchst dieGtter, welche auch den regelmigen Gang der Gestirne bewirkt und damit dieZeitrechnung, den Kalender, ermglicht haben:

    Zum Richtstuhl gingenDie Rater alle,Heilige Gtter,

    Und hielten Rat:(Fr Nacht und Neumond

    Whlten sie Namen,

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    Benannten MorgenUnd Mittag auch,

    Zwielicht und Abend,Die Zeit zu messen.)

    Die Gtter, an ihrer Spitze Odin, sorgen (auch) fr den Fortbestand des Kosmosgegenber den ihn bedrohenden Feinden, diese abwehrend und schwchend durchPlnkeleien an der Grenze Thors Ostfahrten, "um Trolle zu erschlagen" - undVorsorge treffend fr den groen Tag der Entscheidung in der Zukunft, das vorhinschon erwhnte Ragnark. Fr diesen schweren Kampf sammelt OdinMannschaft, und zwar sind es die herrlichsten Helden in der frischesten Blteihrer Jahre, die er mit Vorliebe whlt zur Abberufung aus dem Diesseits nachWalhall. Dies ist der Grund, weshalb der Krieg so gern die Besten verschlingt,und der Trost fr frhen Kriegertod. Im Erbliede auf Eirik Blutaxt fragt Sigmundder Wlsung den Gott, der den tapferen Eirik in Walhall erwartet:

    Warum nahmst du ihm das Kampfglck,Wenn er khn dich dnkte ?

    Und Odin antwortet:Nicht wei man gewi,

    Wann der Wolf, der graue,Auf den Asensitz anstrmt !

    Ahnlich fragt im Hakonliede der gefallene Knig auf der Walstatt unfroh dieWalkyrje, die ihn abholen kommt:

    "Was schiedest du, Skgul,So die Schlacht ?

    Wir waren doch des Waffenglcks wert!"und erhlt den Bescheid:

    "Des walteten wir,Da die Walstatt dein:

    Doch deine Feinde flieh'n.Nun la uns reiten",

    Sprach die reiche Skgul,"Nach grnen Gtterheimen,

    Odin zu knden,Da ein Knig naht,Ihn selber zu seh'n."

    Das Leben in Walhall ist so, wie es sich ein Krieger wnscht: erfllt mitWaffenbungen und Kampfspielen einerseits, reichlichen und frohen Gelagenandererseits, und fr jeden mit so viel Ehre, wie er verlangen kann. Als KnigEirik naht, gebietet Odin:

    "Sigmund und Sinfjtli,Vom Sitz erhebt euch !

    Geht zu der Frsten Empfang !

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    Zu uns entbietet ihn,Wenn es Eirik ist !

    Schon das ist hohe Auszeichnung, mit den Gttern auf derselben Bank zu sitzen,

    Einherier zu heien wie sie, und von Odin erwhlt zu sein als seine"Wunschshne (oskasynir), d. h. Adoptivkinder, Brder des Thor und des Balder,um einst in seinem Gefolge fr den Bestand der schnen Welt gegen diefurchtbare Riesenbrut zu fechten. Walhall ist eine Form der Unsterblichkeit, in deralles gesteigert erscheint, da Genieen so gut wie das Knnen und Leisten,whrend das Leben in der Unterwelt Hel ein geschwchtes und kmmerliches ist,eine Artschattenhaftes Hadesdasein. Als Hermod seinem dorthin abgeschiedenen BruderBalder nachreitet, erzhlt ihm an der Brcke des Unterweltflusses Gjll dieBrckenwchterin Modgund, am Tage zuvor seien fnf Scharen toter Mnnerherbergeritten - "aber die Brcke drhnt unter dir allein ebenso sehr, und du

    schaust nicht wie ein Toter aus". Man sieht den traurigen Zug jener Hunderte vorsich, schlaff, gebckt, leisen Trittes ein Gegenbild nicht nur zu dem vollbltigen

    jungen Gott Hermod, sondern auch zu Eirik und seinem Gefolge, die stolz, mitdonnernden Hufen, ber die Walhallbrcke sprengen:

    "Mnner erwart ichAus des Menschen Heim,

    Erlauchte Helden,Drum ist heiter mein Sinn, "spricht Odin im Eirikliede.

    "Was tnt dort, Bragi,Als ob Tausend sich regtenOder ein zahlloser Zug ?"

    Bragi versetzt:"Es kracht alles Bankgeblk,

    Als kehrte Balder heimNoch einmal zum Odinssaal."

    Odin:"Nicht Verworrenes reden

    Sollst du, weiser Bragi,Da du sonst wohl alles weit:

    Von Eirik drhnt es,Da er hier einziehen soll,Der Edle in den Odinssaal."

    Wie das Auftreten der Gste verschieden ist, so dann auch ihre Verpflegung: beiHel hungert man, whrend man bei Odin im berflu lebt.

    Der Grund des Unterschiedes ist der, da zu Odin die gefallenen Kriegerkommen, zu Hel die an Krankheiten oder Alters gestorbenen. Wie auch sonst derZustand beim Tode magebend ist, fr den nach dem Tode, so bewahrt derKmpfer Kraft, Mut und Genufhigkeit ber seinen Fall hinaus, der Sieche und

    Greis seine Schwche und Stumpfheit ber den letzten Seufzer hinaus.

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    Diese Aufklrung, die wir Snorri verdanken, ist nicht immer richtig verstandenworden. Das wesentliche an ihr nicht erfassend, hat man sie als Irrtum desSchriftstellers ausgeben wollen, da nach lteren Quellen fters Erschlagene zur

    Hel gewiesen werden und umgekehrt zu Odin auch Vergiftete und im Schlaf vonder Mahre Gettete gelangen und Egil von ihm die Aufnahme seiner Shneerwartet, deren einer am Fieber gestorben ist, whrend der andere ertrank. - DieseGegenbeispiele beweisen nur, da neben den Vorstellungen, die wir durchSnorri erfahren, und die so plausibel und sozusagen selbstverstndlich sind, auchWnsche eine Rolle gespielt haben: man wnschte seine Gegner zur Hel undhoffte fr seine Freunde auf Walhall. Es kommt hinzu, da einschnell hinraffendes Fieber und vollends Tod im Meere dem Fallen im Kampfeder Wirkung nach hnlicher erscheinen muten als langes Siechtum undAltersschwche. Der alternde Egil selbst, der so manchen Straubestand, sieht Hel auf dem Vorgebirge seiner warten. Andererseits gab es auch

    den Glauben, man knne Walhall sich erlisten: wer in Waffen stirbt, kommt zuOdin, hie es, und ebenso, wer sich in der Todesstunde mit demSpeere ritzt, so da er kriegsmig blutet und dem Odin - der selbst einmal derartrituell geritzt und geopfert worden sein sollte nachzueifern scheint. All dieswiderspricht Snorris Lehre keineswegs und hebt vor allem die wesenhafteUngleichheit von Walhall und Helreich nicht auf, die so merkwrdig ist und einenReichtum der germanischen Religion darstellt, mag die Doppelheit nun alt odererst jungen Ursprungs sein. Gewhnlich nimmt man an, der nur im Nordenbezeugte Walhallglaube sei ein Erzeugnis der Wikingzeit oder doch erst wenigeJahrhunderte frher bei den Goten in Sdruland aufgekommen. DieseVermutungen lassen sich vorderhand nicht widerlegen, und fr sie scheint zusprechen, da fr Walhall kein indogermanisches oder sonst auergermanischesGegenstck bekannt ist, Hel jedoch sich deutlich verwandt zeigt demaltgriechischen Hades, auch der altbabylonischen Unterwelt mit ihren unholdenBeherrscherinnen Ereschkigal und Persephone. Bedenken wir jedoch, was bishergar nicht bemerkt worden zu sein scheint, die Unterschiedlichkeit desgermanischen Totenreiches, und da sie einander ergnzen im Einklang mitaltertmlichem Totenglauben berhaupt, so werden wir eher geneigt sein, dasergnzende Gegenstck zur kraftlosen Unterwelt des Jammers ebenso alt zuschtzen wie diese. Das hellenische Elysium, das parsische Paradies, indische undandere alte Vorstellungen von jenseitiger Glckseligkeit mgen mit Walhall in

    geschichtlichem Zusammenhang stehen. Wie wir allen Grund haben, fr dieElemente der altgermanischen Weltanschauung hohes Alter anzunehmen, so kannandererseits davon die Rede sein, da solche noch im Mittelalter nachleben.Dahin gehrt der Begriff Muspell oder Muspilli in der Bedeutung vonWeltuntergang, den geistliche Schriftsteller wie der Helianddichter und derVerfasser der bekannten stabreimenden Weltuntergangspredigt aus dem Bayerndes 9. Jahrhunderts gebrauchen; vor allem gehrt dahin aller Wahrscheinlichkeitnach die Mystik eines Meister Eckart, der den Gott im eigenen Innern erfuhr unddadurch das Mifallen der kirchlichen Behrde erregte, jedoch nichts andereserlebte als etwa der heidnische Skalde Glumr Geirason, der von HaraldGraumantel sagt, Sigtyr selber (d. i. Odin) sei in ihm gewesen, als er todesmutig

    kmpfte, oder als Egil, der die offene, rasche Sinnesart, deren er froh war, dem

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    hchsten Germanengott zu verdanken sich bewut gewesen ist. Die gestaltloseReligiositt, die Tacitus seinen Germanen zuschreibt, lebt ebenfalls im Mittelalternach; secretum illud, quod sola reverentia vident, machte sich im 14. und 15.Jahrhundert bei den Deutschen hnlich geltend wie bei ihren Vorfahren um den

    Beginn unserer Zeitrechnung, wie es auch noch in Fausts Bekenntnis gegenberGretchens banger Frage deutlich anklingt. Und wenn vor 60 Jahren der Fhrer desDeutschen Reiches bei einem Staatsbegrbnis die Worte sprach: "Gehe ein nachWalhall, toter Feldherr!", so erneuerte er auch damit ein Stck alten Glaubens; ertraf, wie man behauptet hat, mit diesem Wort in den Mittelpunkt dergermanischen Weltanschauung.

    Die Behauptung trifft insbesondere unter dem Gesichtspunkt zu, da diegermanische Weltanschauung verschieden ist von der christlichen. Walhallunterscheidet sich vom christlichen Himmel so, wie bereits angedeutet: dieWalhallgtter sind innerweltliche Freunde der Menschen, keine auerweltlichen

    Bestrafer; die Ragnarkkatastrophe ist etwas anderes als das christlicheWeltgericht am Jngsten Tage. So wuten auch die ungetauften Germanen nochnichts von irgendwelcher Erlsungsbedrftigkeit.

    Auf das Ende des Weltganzen, dessen die Alten sich versahen, reagierten sie mitSorge und entschlossener Bereitschaft als den ihnen angebracht erscheinendenHaltungen. Sie haben ihren beispielhaften Ausdruck gefunden in Odin, demFhrer und Gefolgschaftsgott. Aus dieser Haltung der Sorge heraus ist er der Gott,der bestndig auf Fahrt sich befindet, um mit allen Mitteln die Frage nach demdunklen Schicksal zu stellen, es zu ergrnden und zu erkunden. Und aus dieserHaltung der Bereitschaft heraus sammelt er eine Gefolgschaft im Jenseits austoten Fhrern und Helden, die sich in einer Art zweitem Leben um ihnversammeln fr den groen Endkampf. ber den klaren Sippengedanken im Bauder Welt legt sich ebenso klar eine Gefolgschaftsmetaphysik im Sinn ihresVerlaufs.

    Man hat frher nur wenig beachtet, welche ungeheure Rolle die Fhrer- undGefolgschaftsidee im Denken, Dichten und Handeln Altgermaniens gespielt hat,obgleich uns die zwei klassischen Kapitel, die Tacitus ihr widmet, und die vomRausch und der Macht des bndischen Gedanken geradezu erfllt sind, daraufhtten hinweisen sollen. Worin beruht die Tragik des Nibelungenepos? Darin, da

    mit Siegfried nach Worms ein Fhrer ohne Gefolgschaft kommt in eineGefolgschaft ohne eigentlichen Fhrer. Das fhrt notwendig zu seiner Ermordung.Sie beruht weiter darin, da eine Gefolgschaft sich weigert, einen ihrer Leute,nmlich Hagen, an die Rcherin auszuliefern: lieber lassen sie sich smtlich inStcke schlagen. So kann man beide Teile unseres mittelhochdeutschenNationalepos auf eine einfache Formel aus diesem Bezirke bringen.

    Man sage nicht, das erstrecke sich nur auf die Dichtung. Wie viele von unswissen, da es einen jungen Germanenfhrer Fulkaris gab, der unter demOberbefehl des Narses nach dem Sturz der Gotenherrschaft in der

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    Poebene gegen Alemannen und Franken stehend, an einem rmischenGrabmonument nach verlorener Schlacht, auf uerstem Posten die Fluchtverschmhend - ein germanischer Leonidas - zusammen mit einer Gefolgschaftden Heldentod starb? Wie viele kennen die Geschichte von dem jungen

    norwegischen Fhrer Sverrir im 12. Jahrhundert, der sich sein Reich einzig mitReden und einer kleinen, auserlesenen Truppe eroberte? Als er seineersten Erfolge hinter sich hatte, musterte er sein Gefolge aufs peinlichste, behieltnur 80 von 400: aber 320, deren Motive unehrlich waren, schickte er heim, Soredete er (eine schne Rede gegen die Trunkenheit ist erhalten), so handelte er,und nur so eroberte er sich sein Reich.

    Walhall bedeutet die bertragung der Idee von der Elitegefolgschaft insMetaphysische. Die Herrlichsten kommen zu Odin, dem gttlichenGefolgschaftsfhrer, dem Herrn der Klugheit, Staatskunst, mnnlichen Tatkraftund der Redegabe. Die Quellen zeichnen uns oft und ergiebig dieses Bild. Ihm ist

    das Regiment der Welt, die Erkundung ihres Schicksals, die Sorge ber dasSchicksal bertragen. Indem diese Idee vergttlicht wurde zum Herrn der Weltund der Weltperiode, seine Halle zum Sammelpunkt aller guten germanischenFhrer und Gefolgsleute, die er um sich schart fr den Tag der Tage, indem alsoZiel und Mittelpunkt der Welt eine jenseitige Gefolgschaftshalle und der Ablaufder Welt ein Sammeln der Elite fr den letzten Aufbruch wurde, - ist in Wahrheitdas Gefolgschaftswesen zum Weltprinzip erhoben worden fr das Ganze wie frdas Einzelschicksal, und damit ist die germanische Metaphysik zu einerGefolgschaftsmetaphysik geworden. Er sinnt, erkundet und sorgt, er wird wissen,wann er das Zeichen zum Aufbruch zu geben hat. Diesem groen Bilde fhrenalle Quellen unweigerlich zu. Da aber dieser stndige Hinblick auf dieWelttragdie nicht nur dichterischer Spekulation einiger geistreicher KpfeGermaniens entsprang, zeigen zwei Stcke, die deutlich dem Volksglaubenangehren: Beim Schustern mu man die Lederabflle wegwerfen. Sie werden dieSohle des Gottes Widar verstrken, mit der er einst in den Rachen des Wolfes tritt,um seinen von diesem verschlungenen Vater Odin zu rchen. Und man mu denToten die Ngel gut beschneiden, weil ungepflegte Ngel der Toten dasBaumaterial des Dmonenschiffes Naglfar bilden, das eine furchtbare Scharfeindlicher Mchte zum groen Endkampf heranfhren wird. Das Bewutsein derVerbundenheit mit Gott und Welt und der Schicksalgemeinschaft zwischenMensch, Gott und Welt kann nicht rhrender zum Ausdruck kommen als so.

    Aber der Verlauf selbst liegt in den Hnden des Schicksals, das Welt, Menschenund Gtter regiert. "Was geschehen soll, das geschieht", ist ein Satz, der weithinbis ins hohe Mittelalter ganz Germaniens Denkart bestimmt. Entzogen demSchicksal ist nur die Haltung, mit der ich es trage.

    Die Gtter tten den Wolf nicht, sie tten auch Loki nicht, als beide sich einmal inihrer Gewalt befinden. Das ist weder dumm noch unpraktisch, sondern einmythischer Ausdruck der schicksalhaften Notwendigkeit des Weltverlaufs. AlsThor die Midgardschlange vorzeitig tten wollte, gelang ihm dies nicht. Denn dasSchicksal selbst ist bestimmt und lt sich nicht ndern. Aber frei ist die seelische

    Haltung ihm gegenber und whrend seines Verlaufs. Dies ist der heroische

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    germanische Schicksalsglaube, den man nicht mit pietistischem Fatalismusverwechseln darf. Er ist gewissermaen eine zweite, ja vielleicht ist er dieeigentliche germanische Religion. Er kann sich entwickeln bis zu einemausgesprochenen Amor fati. "Das Notwendige verletzt mich nicht; Amor fati ist

    meine innerste Natur" (Nietzsche).

    Es war ja niemals so, da der Schicksalsglaube erst wuchs, als der germanischeGtterglaube dahinsank. Es handelt sich immer um zwei ganz getrennte,inkommensurable Gren, die nebeneinander stehen. Die Gttersind groe Freunde, sie geben und schenken Frieden und Ernte. Mag sich dieruhige, geschichtslose Lebensgemeinschaft daran gengen lassen. Aber beimEintritt in das geschichtliche Leben erhebt sich dasSchicksal.

    Und die sonstige Unbeugsamkeit dieser Gtter und Menschen unterwirft sich ihm

    unbedingt und fast resigniert. Aber nur bis zu jener bestimmten Grenze derinneren Haltung. Wie man sich gegenber dem Schicksal benimmt, ist die Sacheder Ehre. Hier gibt es weder Flucht, noch Auflehnung, noch Betrug, noch Angst,noch Furcht, aber auch keine Selbstaufgabe. Sorge ist nicht Angst. Angesichts desSchicksals erst erweist und findet sich der Mensch. Das germanische Ethos hatwenig Bezug auf die Gtter, aber viel auf das Schicksal. Weniger vor den Gtternals vor dem Schicksal beginnt und gilt die sittliche Selbstbeherrschung. Es hatkeine Macht ber die Ehre. Bei allem Pessimismus ist so ein tiefster sittlicherOptimismus und damit eben der Amor fati mglich. Ja, das Schicksal frdert undfordert diese Haltung und gibt Gelegenheit durch allerlei Mittel, sie einzunehmen.Was da von auen kommt, bleibt nicht fremd, sondern wird nur ein andererAusdruck des eigenen Wesens und als solcher aufgesucht und bejaht. Die Gttersind Brcke und Ideen der Gemeinschaften, aber das berhrt die einzelne Seeleund ihre Haltung allein. Freilich war die Gefolgschaft eine Schule zu solcherHaltung und Ehre.

    Dieser Schicksalsglaube hat einen durchaus religisen Grundcharakter. DasSchicksal ist wie ein numen, das eigentlich Unerforschliche gegenber den so vielmenschlich verwandteren Gttern, sozusagen der "unbekannte Gott" schlechthin,mit dem ein Freundschaftsverhltnis jener Art kaum mglich ist. An diesemSchicksalsbegriff wuchs mglicherweise schon auf heimischem Boden jener

    andere, tiefere, hhere, auer- und berweltliche, transzendente Gottesbegriffheran, den nachher die fremde Religion in Germanien allgemeinverbreitet. So kommt es, da der Christengott viel mehr an die Stelle diesesSchicksals treten konnte, als an die Stelle der andern Gtter, die er unterwarf, unddie er degradierte, die aber neben ihm und unter ihm weiterexistieren konnten.Da dies Schicksal persnlich gedacht werden konnte, beweist die Erscheinungder Nornen.

    Von den Gttern kann der Mensch sich lossagen, wie man sich von Freunden undmchtigen Herren lossagen kann, aber vom Schicksal nicht. Noch WolframsParzival lehrt, da man sich diesem transzendenten, auerweltlichen,

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    bermchtigen Schicksalsgottbegriff auf keine Weise mehr entziehen kann, wiesehr man ihm auch nach der alten Art die Freundschaft aufgekndigt hatte.

    Aber das Schicksal, nicht etwa einer der viel ohnmchtigeren Gtter, lt am

    Ende ein Ende der Dinge berhaupt nicht zu. Das liegt nicht in seinem unablssigsich abrollenden Plan. Auf das Ende folgt immer ein Anfang. Hinter derGtterdmmerung liegt ein neuer Beginn der Welt. Neben der Urerfahrung"Nichts hat Bestand" steht die andere Urerfahrung "Alles kommt wieder".

    Die neue Welt ist ein verjngtes Abbild der alten. Erde und Sonne, Menschen undGtter, Midgard und Asgard, ungeste cker und goldenes Brettspiel: alles istwieder da, Bauern- und Herrentrume gehen aufs neue in Erfllung. DieGesamtlage der Krfte ist mit gleicher Waage wieder da. Zwar fehlt Thor, wohlaber ist sein Hammer wieder da und seine Shne. Zwar fehlt Odin, wohl aber istsein Sohn Widar wieder da, der ihn am Wolfe gercht hat. Man sieht, ein

    Generationsdenken spielt in die Weltwechselvorstellung mit hinein. DerGegenschlag ist wieder vorbereitet, der Grundsatz der Rache ist gerettet. Ganznatrlich ist die Empfindung: wer Odin rchte, wer Balder rchte, der mu wiederda sein, denn er stellte die Weltordnung wieder her. Rache gehrt wie Sonne,Himmel, Erde und Acker zu den klaren Selbstverstndlichkeiten im Bau der Welt.Und auch die Gegenseite ist wieder vertreten: Nidhgg, jetzt der Reprsentant derdmonischen Welt, hat sich nur ins Dunkel geflchtet, aus dem er eines Tageswieder hervorbrechen wird. Hier ist eine ewige Wiederkehr anzusetzen, gnzlich

    jenseits von Gut und Bse, die ihr zweites germanisches Beispiel nur beiNietzsche fand. Fertig wieder zum alten Geschick ist die Welt, randvollausgestattet mit der gleichen Gesamtlage der Krfte, notwendig zum gleichenAblauf bestimmt. Die ewige Wiederkehr ist die letzte Folge nordischen Denkens,des Schicksalsglaubens, des Amor fati ...