Am Hügel und im Tivoli einer der besten Redner

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Willi Münzenberg (14. August 1889 bis Juni 1940), hier mit Bart, früheste bekannte Por- trätaufnahme, von etwa 1917 In den 1988 beschlossenen The- sen des ZK der SED „70 Jahre Kampf für Sozialismus und Frie- den, für das Wohl des Volkes" (ND vom 14. Juni 1988) werden die besonderen Verdienste her- vorgehoben, die sich Willi Mün- zenberg um die revolutionäre Presse und Propaganda der KPD erworben hat. So ist uns der 100. Geburtstag des legendären deutschen Kommunisten am 14. August 1989 Anlaß, in einer mehrteiligen Reportage Spuren der noch wenig erforschten frü- hen Jahre Münzenbergs in Thü- ringen aufzudecken. Man schreibt das Jahr 1889. In Paris wird zum 100. Jahrestag der französischen Revolution der Eif- felturm eingeweiht. London er- lebt den mächtigen Streik der Dockarbeiter. In New York wird erstmalig ein Mensch mit Hilfe des elektrischen Stuhls hingerich- tet. Jena hat nun seine Carl- Zeiss-Stiftung. ' Der Suezkanal wird international. Auf ihrem Gründungskongreß in Paris for- dert die II. Internationale der Sozialisten den. 8-Stunden-Ar- beitstag. Da wird, 7 am Morgen des 14. August, im Hause Augustiner- straße 31 in Erfurt ein Knabe na- mens Wilhelm Münzenberg gebo- ren. Der Vater heißt Friedrich Carl Münzenberg. Als Ordonanzreiter hat er an den preußischen Krie- gen 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich teilge- nommen. In den eroberten fran- zösischen Weinkellern hat er sich das Saufen angewöhnt. Das vor- zeitige Ende seiner Karriere im „bunten Rock" eines „Offizier- Stellvertreters" kann er nicht ver- winden. Als„gewalttätige^ Alkq- holiker tyrannisiert er die Fami- lie und versuchten wechselnden Berufen leichtes Geld zu machen. Die Mutter, Minna (amtlich: Wilhelmine) Münzenberg (etwa 1840 bis 1893), hat bereits drei Kinder großgezogen, als sie mit fast fünfzig Jahren ihren jüngsten und letzten Sohn zur Welt bringt. Bis zuletzt betreibt die geplagte Frau im Eckhaus Augustiner- straße 31 zum Unterhalt der Fa- milie eine Kuchenbäckerei. Gut ein Jahr nach dem Tod der Mut- ter nimmt sich der Vater eine neue Frau und deren Vermögen von 20 000 Mark, kauft eine Kneipe in Friemar bei Gotha und zieht mit Frau und seinem spät- geborenen Sohn aufs Dorf. Unsere Bezirk'skorresponden- tin Margrit Hahnel, historisch in- teressiert und mit Erfurts Lokal- geschichte vertraut, hat das Ge- burtshaus Willi Münzenbergs vor Jahren noch anschauen können. Es sei ein kleines Haus gewesen, weit älter als die höheren Wohn- gebäude, die um die Jahrhundert- wende in der Augustinerstraße gebaut wurden. Schon 1870 habe es die Nummer 31 getragen, die nun verschwunden ist, weil die Ecke Augustinerstraße/Am Hügel zugunsten eines grünen Streifens vor den schönen neuen Wohn- häusern in der Straße Am Hügel zurückgesetzt wurde. Das neue Eckhaus, Am Hügel 2 a, hat zu ebener Erde eine Ecknische, aus der man den Blick nachvollziehen kann, der vor knapp einem Jahr- hundert Willi Münzenbergs erste Weltsicht war. Schräg gegenüber steht nämlich wuchtig und trotzig der Nicolai- Turm, ein Wehrturm mit Pech- nasen, vor langer Zeit zum Schutz jener Brücke gebaut, die die Au- gustinerstraße über die Gera führt und die bereits 1108 als Liepwinisbrucca erwähnt wurde. Schon als kleines Kind «hatte Willi Münzenbeng das Thema Krieg und Frieden vor Augen. Neben die Eintragung seiner Geburt im Erfurter standesamtlichen Haupt- register hat 1917 jemand mit Bleistift geschrieben, Münzenberg sei „fahnenflüchtig" und daher dürfe keine Geburtsurkunde aus- gefertigt werden. Zu der Zeit aber stand der junge Mann aus Erfurt in Zürich längst unter der roten Fahne, an der Seite Wladimir Iljitsch Lenins und der anderen Zimmerwalder Linken, die in einer sozialisti- schen Revolution die beste Alter- native zum barbarischen Welt- krieg sahen. Ende 1917, in den Tagen und Wochen nach dem Roten Oktober in Rußland, war Willi Münzenberg wegen seiner maßgeblichen Beteiligung am Zürcher „Aufruhr" vom 15. bis 17. November 1917 in der Poli- zeikaserne Zürich eingesperrt. Dort hatte er einen ausführlichen Lebenslauf zu schreiben. Er gibt uns den besten Einblick in die Erfurter Kindheit. Seine erste Spielgefährtin, be- richtet Münzenberg da, sei das Töchterchen des SPD-Reichstags- abgeordneten R. aus der Nach- barschaft gewesen. Es wird sich um den Erfurter Sozialdemokra- ten Paul Reißhaus (1855 bis 1921) gehandelt haben, der 1893 im Wahlkreis Sonneberg/Saalfeld tatsächlich in den Reichstag ge- wählt wurde. Dessen kleine Toch- ter muß begeistert gewesen sein, wenn der Knabe von nebenan mit •ihr „Hochzeit" oder „Beerdigung" spielte und dabei aus dem Stegreif prächtige Predigten hielt. Im Sommer 1919 konnten dann Tausende von Erfurtern Willi Münzenbergs revolutionäres Red- nertalent bewundern. Am 29. Juli 1919, inzwischen aus der Schweiz ausgewiesen und als Teilnehmer .an der deutschen Novemberrevo- lution in Stuttgart von Januar bis Juni 1919 eingekerkert, sprach er im Erfurter Tivoli gleich zwei- mal: um 18 Uhr vor der Jugend und um 20 Uhr vor den Genos- sen der noch ganz jungen KPD. „Der Kommunist", die KPD-Zei- tung t für Thüringen, bemerkte dazu: „Den Genossen brauchen wir nicht erst zu sagen, daß Mün- zenberg einer der besten Redner unserer Partei in Deutschland ist." Das Tivoli, in den „Gründer- jahren" gebaut und ab 1897 von Gewerkschaften als Volkshaus gepachtet, existiert noch in der Erfurter Karl-Marx-Allee (früher Magdeburger Straße) dunkelrot gestrichen und mit der (leicht an- gerosteten) Leuchtschrift: „Klub- haus Tivoli ,Paul Schäfer'". Daß Erfurts Tivoli zu einem Paul- Schäfer-Klubhaus der Schuh- arbeiter wurde und daß die Er- furter Schuhfabriken heute ein großer volkseigener Betrieb sind, der den Namen seines Freundes, Genossen und Berufskollegen Paul Schäfer (1894 bis 1937) trägt, könnte Willi Münzenberg nur ge- fallen,,, Vermutlich* 1904 hatte Münzenberg nämlich bei der Firma Lingel in Erfurt als Lei- stenjunge eine Lehre begonnen. Im Sommer 1906 war er in den Erfurter Arbeiterbildungsverein „Propaganda" eingetreten, hatte fortschrittliche Literatur kennen- gelernt und war, bevor er in die Schweiz ging, zum jungen Sozia- listen geworden. Paul Schäfer und das Haus an der heutigen Erfurter Karl- Marx-Allee sollten auch nach 1919 in Münzenbergs Leben eine Rolle spielen. So betraute Münzenberg Paul Schäfer 1925 mit der Lei- tung der ersten großen Reise einer Delegation deutscher Ar- beiter in die Sowjetunion. Auch in der von Münzenberg begrün- deten Internationalen Arbeiter- hilfe (IAH) übte Schäfer wichtige Funktionen aus. Auf Münzen- bergs Initiative wurde am 17. April 1927 die erste Reichs- konferenz der Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutsch- lands im Erfurter Tivoli abge- halten. Der Knabe aus der Augu- stinerstraße hat seine Geburts- stadt nie vergessen. Teil 2: Eine Kindheit zwischen Dorfschule und Schenke Diesen Eindruck erwecken auch die braungebrannten drahtigen Fischer in ihren bunt bemalten kleinen Trawlern. Bis zu 5000 Tonnen Krabben, Garnelen und Küstenfisch gehen ihnen jährlich ins Netz. Ein Teil davon wird ex- portiert, das meiste findet sich auf dem Fischmarkt Phnom Penhs wieder. Land- und Forstwirtschaft sol- len künftig das ökonomische Hin- terland der Hafenstadt erweitern. Seit langem schon ist die Eigen- versorgung mit Reis gesichert, niemand leidet hier Hunger. Die Berge, die die Bucht von drei Seiten umgeben, lassen aber nur eine begrenzte Erweiterung der Reisanbaufläche zu. „Deshalb setzen wir entschieden auf indu- strielle Agrarkulturen", sagt Oberbürgermeister Chum Hol. Nach seiner Rückkehr von den neuen Pfeffer-Plantagen am hü- geligen Rand der Stadt läßt er im Gespräch die Vorzüge deutlich werden. Unter der sengenden Sonne grünen dort auf vorerst 122 Hektar diese hopfenartig ran- kenden Gewürzpflanzen. Ernten, von vier und mehr Kilogramm Pfeffer pro Jahr und Strauch sor- gen für ein gutes Einkommen der Pf lanzer-Familien. „Die Menschen hier haben wie- der Vertrauen in die Zukunft", sagt Prat Ham. „Würden sie sonst wohl an allen Ecken und Enden Kompong Soms neue, schmucke Holzhäuser bauen?" Das ist in der Tat nicht zu übersehen. Neben der Ziegelei, einer Trockeneisfabrik und dem 3,4-Megawatt-Kraftwerk, die ebenfalls wiederaufgebaut wor- den waren, zählt ein kleines Sägewerk zu den Stützen der be- scheidenen Industriebetriebe Kompong Soms. „Wir hoffen, daß in nicht allzu ferner Zukunft auch die übrigen zerstörten Betriebe wie die Brauerei, die Öl-Raffine- rie und die Schlosserwerkstatt ihre Arbeit wieder aufnehmen werden", sagt Prat Ham zuver- sichtlich und fügt hinzu: „In einem friedlichen, freien und un- abhängigen Kambodscha soll un- sere Stadt das werden, was sie schon einmal war: die Perle unse- res Landes." „Bei diesem .7 Immobilien- Schwindel geht es um Milliarden Centimes. Wohini sie geflossen sind, wissen wir nicht." Hef- tige Worte gebraucht Maitre Robyn in seinem Schlußplädoyer vor dem 13. Senat der Pariser Strafkammer. Gerichtspräsident Michel Salzmann war kaum we- niger entschieden: „Alles in die- ser Akte ist ekelhaft", hatte er schon bei Eröffnung des Prozes- ses erklärt. Worum ging es? Mit Wissen und Duldung vieler waren gegen Recht und Gesetz mindestens 20 Pariser Wohnblöcke in Büros ver- wandelt worden, wobei für die daran beteiligten „Urbanisten" Dutzende Millionen* 'Francs ab- fielen. Angeklagt waren die Im- mobilienmakler Brun und De- louvrier, zwei inzwischen pen- sionierte Beamte und eine kleine Mitarbeiterin des Pariser Stadt- bauamtes — offiziell wegen Do- kumentenfälschung, i In der Sache ging es jedoch um etwas, das in Paris nach wie vor ein heiß diskutiertes Thema bleibt: die Vertreibung vieler Be- wohner in die Vorstädte durch horrenden Mietwucher, ja selbst die Vernichtung von Wohnungen. Die französische Hauptstadt hat heute rund 840 000 Einwohner weniger als 1921! Seit der 1977 erstmals zum Bürgermeister ge- wählte frühere Premier Jacques Chirac das Ziel verkündet hat, Paris zum „Finanzplatz Nr. 1" und zur „Drehscheibe" in dem ab 1993 geplanten einheitlichen EG- Markt zu machen, wächst hier die Nachfrage nach Büroraum unaufhörlich. Schon 140 000 in- und ausländische Unternehmen haben, auch durch relativ gün- stige Gewerbesteuern angelockt, hier ihren Sitz. Zuweilen ist das jedoch nur ein Briefkasten oder ein automatischer Anrufbeant- worter. Denn Büros sind knapp geworden. Und infolge der seit jeher dichten Bebauung inner- halb der feststehenden Stadtgren- zen gibt es kaum noch freies Ter- rain für Neubauten. Deshalb wurde schon vor lan- gem begonnen, Wohn- in Büro- raum zu verwandeln. Da das bei einem „freien Wohnungsmarkt" zwangsläufig zu immer schnelle- ren Mietsteigerungen führt, wuchs im gleichen Tempo auch die Ver- bitterung der Pariser. Erst kürz- lich folgten an einem Wochenende wieder 25 000 Pariser dem Aufruf des Mieterverbandes CNL zu einer Protestdemonstration. Denn un- geachtet großer Wohnungsnot ist in der Hauptstadt nur der Bau von 5000 Wohnungen pro Jahr, darunter viele Luxusapparte- ments, geplant. Von den 43 000 als „Dringlichkeitsfälle" an- erkannten Wohnungsanträgen könnten pro Jahr nur 1500 posi- tiv erledigt werden, stellte „Le Monde" dazu fest. Auf Grund dieser Situation sah man sich schon vor Jahren genö- tigt, die „Umwandlung" von Wohn- in Büroraum an Bedingun- gen zu knüpfen. Danach ist ein solcher Unibau erstens genehmi- gungspflichtig. Zweitens müssen pro Quadratmeter 900 Francs Ge- bühren gezahlt werden. Und drit- tens sollen so die amtliche Vor- schrift gleichzeitig andere, bis- her gewerblich genutzte Räume in Wohnungen verwandelt werden. Das erschwert den Immobilien- Spekulanten in der Tat das Ge- schäft. Doch wie der Prozeß zeigte, fanden sie letztlich neue Schlupflöcher. Die zwei angeklag- ten Makler hatten bei der für sie zuständigen Behörde seit langem einen „guten Freund". Zwar war der heute 72jährige zwischenzeit- lich ins Büro des Bürgermeisters aufgerückt, doch das erhöhte in rare in Millionen-Höhe, versteht sich. Als 1987 der Schwindel auf- zufliegen drohte, wandte sich einer dieser Kunden voller Sorge an eine gute Bekannte, seinerzeit im Innenministerium. Er erzählte ihr, daß und von wem ihm die gefälschten Papiere geliefert wur- den. „Ich habe ihm gesagt, daß ich sehen werde, was ich tun kann", sagte sie in dem Prozeß aus. Wie der Betreffende gehört auch sie nicht zu den Angeklag- ten, wurde nur als Zeuge gehört. „Und natürlich hat es diese Dame nicht für nötig gehalten, den Staatsanwalt zu verständi- gen", stellte Gerichtspräsident Salzmann bitter fest. Einem No- tar, dem angeblich nicht auffiel, daß er eine mit Juni datierte positive Antwort auf einen erst im Juli gestellten Antrag erhielt, sagte er unumwunden: „Sie sind entweder unredlich oder inkom- petent." Der Betrug, so ist im Ur- teil festgehalten, „konnte nur dank der schuldhaften Inkonse- quenz der Mehrzahl der Notare funktionieren ". An verschiedenen Stellen der französischen Hauptstadt, wie hier auf den Champs Elysees, wurden viele Wohnungen zu Büros „umfunktioniert". Eine Anlage, die Gold wert ist... Foto:ND/Heilig Die vor Gericht zitierten Betei- ligten dieses Millionencoups ge- nierten sich nicht. Zwei derer, die von Brun und Delouvrier ge- fälschte Papiere bezogen, hatten sogar die Stirn, im Prozeß gegen sie als „Nebenkläger" aufzutre- ten. Bezeichnend auch folgendes Argument, mit dem ein Vertei- diger beim Gericht um Verständ- nis für seinen Mandanten warb: „Die Mehrzahl der Immobilien- händler wird Ihnen sagen, daß man nicht das Gesetz, sondern diejenigen kennen muß, die es anwenden." Inwieweit das bei der Urteils- findung Berücksichtigung fand, vermag niemand zu sagen. Doch 2 Jahre 6 Monate Gefängnis und 120 000 Francs Geldstrafe für Brun erschienen vielen mehr als glimpflich. Die kleine Angestellte, die die Papiere besorgte und da- für „nur mal zum Essen" einge- laden wurde oder ein paar Hun- derter bekam, verdonnerte man dagegen zu zwei Jahren Haft. Delouvrier, der andere Haupt- angeklagte, wurde in Abwesen- heit zu fünf Jahren verurteilt. Er sei in der Schweiz, heißt es, und wolle dort bleiben, bis seine Strafe verjährt ist. Das dauert auch nur fünf Jahre. Und mit den ergau- nerten Millionen dürfte er diese Zeit selbst ohne neuerliche Ge- schäfte überstehen. Der Hafen, nun häufiger auch von Handelsschiffen aus Singa- pur und Thailand angesteuert, war Anfang der 80er Jahre mit sowjetischer und vietnamesischer Hilfe rekonstruiert worden. Mit 200 000 Tonnen Güterumschlag im Jahr erreicht er aber erst ein Viertel seiner ursprünglichen Ka- pazität. Es mangelt an moderner Umschlagtechnik, es fehlen qua- lifizierte Arbeitskräfte, die Wirt- schaftsblockade westlicher Län- der verhinderte die rasche Ent- faltung zu einem Welthafen. „Dafür gibt es noch viel zu tun, und unsere Entwicklungspro- gramme reichen bis zur Jahrhun- dertwende", erläutert der stell- vertretende Oberbürgermeister Prat Ham bei einem gemeinsa- men Rundgang. „Doch verglichen n u t z e s Aia$g^igslage1|h«beniiw,irii viel erreicht", fügt er hinzu. 1975 hatten die Pol-Pot-Heere die Stadt auf blutige Weise men- schenleer gefegt, viele Einwohner wurden Opfer des schrecklichen Mordfeldzuges. Die neuen Be- wohner müssen erst lernen, einen Hafen zu leiten. In 100 000 Exemplaren druckte Münzenbergs Neuer Deutscher Verlag 1925 den Reisebericht der von Schäfer geleiteten Arbeiter- Delegation (oben). Aufrufe zu Ver- sammlungen - aus «Der Kommu- nist", Erfurt, vom 29. Juli 1919 &dtnmitniftifct)e Partei 3>eutfd)fanbs (Sparta&uslmttb). Ortsgruppe örfurt. Paul Schafer (rechts), Mün- zenbergs Freund und Genosse, fiel 1937 im spanischen Freiheitskampf. Ihm zu Ehren heißt heute in Erfurt das tradi- Volkshaus Tivoli (links Aufnahme von der Jahr- hundertwende) Paul-Schäfer- Klubhaus Reiner Schmalzl/ Erfurt (1), ND/Repro (5) Der weiße Palmenstrand der Bucht von Kompong Som wartet bislang noch auf die einst zahl- reichen Touristen. Die Stadt be- reitet sich jedoch auf den Frem- denverkehr vor, wie Prat Ham sagt. Die drei Hotels sollen dem- nächst rekonstruiert werden. Noch ist die Anreise über Land nicht ungefährlich, aber die Natio- nalstraße Nr. 4, die von Phnom Penh hierherführt, gilt im wesent- lichen als sicher. Hin und wieder werden einzeln daherfahrende Autos allerdings von versprengten Trupps der „Khmer Rouge" ge- stoppt^ die sich in den einige Ki- lometer vor der Stadt gelegenen dschungelbedeckten Bergen ver- steckt halten. „Wir tun unser Möglichstes, um solche Vorfälle zu unterbinden", meint Prat Ham gelassen. „In Kompong Som und den angegliederten 14 Landge- meinden kann jeder ruhig seinem Tagewerk nachgehen." Bericht der deurt*en Arbeiter .Delegation Ober ihren Aufenthalt in Rußland vom 14. luli bis zum 28. Augult 192S seinem einstigen Amt offenbar nur seine Autorität. Angespornt durch Dutzende größere Scheine im Prozeß war von 360 000 Francs die Rede sorgte er da- für, daß jene Angestellte, die dort die Gebäude-Akten verwaltet, mindestens anderthalb Jahre lang einzelne von ihnen immer wieder in die Maklerbüros trug. Sie betrafen stets Wohnhäuser, die von den Herren gerade ge- kauft worden waren. Mit Hilfe von Blanko-Kopfbögen wandelte man sie^ aktenmäßig über Nacht in Geschäftshäuser um, deren Re- novierung und Umbau dann bei der dafür zuständigen Preiecture beantragt wurde. Damit niemand wegen primitiv gefälschter Stem- pel und Unterschriften stutzig wurde, „heuerte" man auch dort für 240 000 Francs den zuständi- gen Beamten an. Die Geschäfte der beiden Makler florierten: Im Juni 1986 kauften sie ein Gebäude für sechs Millionen Francs, im September stießen sie es für 12 Millionen wieder ab. Ein anderer Coup im Juli brachte 21,5 Millio- nen Profit. Die Branche wunderte sich, doch niemand erstattete An- zeige. Im Gegenteil. Makler-Kollegen und andere ehrbare Hausbesitzer baten das Gauner-Duo um Hilfe. Sie wurde gewährt, gegen Hono- Oberbürgermeister Chum Hol präsentiert stolz .seine* Pfefferpflanien Foto:ZBAVeüe Kompong Som, die Perle der südkambod- schanischen Küste, stöhnt unter der prallen Tropensonne. Auch die allabendlich nieder- prasselnden Monsun- regen bringen nur we- nig Abkühlung, sondern verwandeln die Stadt in einen feucht-heißen Dampfkessel. Sie ist das Tor Kambodschas zur Welt und bedeutendster Umschlagplatz für alle lebenswichtigen Güter des Landes. Zusammen mit dem Hafen entwik- kelte sich die noch junge Stadt Kompong Som in den 50er Jahren aus einem bescheidenen Fischerdort zur zweit- größten Ansiedlung des Landes — damals Siha- noukville genannt. Heute beherbergt sie 75 000 Einwohner. Vor allem aus der So- wjetunion und dem be- nachbarten Vietnam Laufen derzeit im Ha- fen Schiffe ein. Frach- ter mit einer Traglast bis zu 10 000 tdw kön- nen hier ankern. Sie löschen dringend benö- tigte Hilfsgüter wie Pa- pier, Baustoffe und -ausrüstun- gen sowie Landmaschinen für die schwach entwickelte kambodscha- nische Wirtschaft. Auf „Kamas"- und „W 50 "-LKW treten sie die Reise in die über 200 Kilometer nördlich gelegene Hauptstadt oder in andere Provinzen an. 9tefereat: Qtawffc wtinjtnbtra au* CAntiV »et 3«««»l«ler.«tlB.«l«. Der Vater hatte sich das Saufeit angewöhnt Am Hügel und im Tivoli einer der besten Redner Ab 1904 Leistenjunge bei der Firma Lingel Kompong Som, Kambodschas Tor zur Welt, steht offen Menschen haben wieder Vertrauen in die Zukunft Millionencoup mit gefälschten Papieren Seuie 3>ienftag, bett 29. guli, abenbs 8 llftr im „SttioU" Sbcma: 3>ie närfjftcn Aufgaben ber «Urbeiterkloffc. $eute ©ienftag, ben 29. guli, abettbs 6 Uljr im „Siooli" Nach Pol-Pot-Herrschaft ein zweites Mal besiedelt Was fahen 58deutrdieArbeiter in Rußland? Is^- r.'.ui n v;:> vv Abb.: ND/- ' Das Geburtshaus in Erfurt Wehrturm an der Gera Das neue Eckhaus Am Hügel 2 a Tivoli in der heutigen Karl-Marx-Allee Von Matthias Weile, Phnom Penh Von unserem Korrespondenten Dr. Claus D ü m d e Referent: ©ettoHe anüttjenbers «ras Stuttgart tions reiche 1 011 NEUER DEUTSCHEBVERLAG o»« etMttaort chtn Neues Deutschland / 29./30. Juli 1989 / Seite 11 Reportage Willi Münzenberg — seine frühen Jahre in Thüringen {1} Hafenstadt ist bedeutendster Umschlagplatz des Landes Zum 100. Geburtstag ein illustrativer biographischer Streifzug Von Dr. Harald W e s s e I Öffentliche SF ^olfestjerfammluttö 3£ Wrojie «ptliflic ;\iiiifii^)crii]!iiiiiliifiii Sfjema: 3itgenbberoegitng unb 9?coolution. Sreie 3ugcnb ttrfurt. In Paris werden Wohnhäuser in Büros verwandelt oft gegen Recht und Gesetz/ Ein Prozeß brachte es ans Licht Der Notar war .blind' Maklerduo zog die Fäden Große läßt man laufen .Auswege' der Spekulanten

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Willi Münzenberg (14. August1889 bis Juni 1940), hier mitBart, früheste bekannte Por-trätaufnahme, von etwa 1917

In den 1988 beschlossenen The-sen des ZK der SED „70 JahreKampf für Sozialismus und Frie-den, für das Wohl des Volkes"(ND vom 14. Juni 1988) werdendie besonderen Verdienste her-vorgehoben, die sich Willi Mün-zenberg um die revolutionärePresse und Propaganda der KPDerworben hat. So ist uns der100. Geburtstag des legendärendeutschen Kommunisten am14. August 1989 Anlaß, in einermehrteiligen Reportage Spurender noch wenig erforschten frü-hen Jahre Münzenbergs in Thü-ringen aufzudecken.

Man schreibt das Jahr 1889. InParis wird zum 100. Jahrestag derfranzösischen Revolution der Eif-felturm eingeweiht. London er-lebt den mächtigen Streik derDockarbeiter. In New York wirderstmalig ein Mensch mit Hilfedes elektrischen Stuhls hingerich-tet. Jena hat nun seine Carl-Zeiss-Stiftung. ' Der Suezkanalwird international. Auf ihremGründungskongreß in Paris for-dert die II. Internationale derSozialisten den. 8-Stunden-Ar-beitstag. Da wird,7 am Morgen des14. August, im Hause Augustiner-straße 31 in Erfurt ein Knabe na-mens Wilhelm Münzenberg gebo-ren.

Der Vater heißt Friedrich CarlMünzenberg. Als Ordonanzreiterhat er an den preußischen Krie-gen 1866 gegen Österreich und1870/71 gegen Frankreich teilge-nommen. In den eroberten fran-zösischen Weinkellern hat er sichdas Saufen angewöhnt. Das vor-zeitige Ende seiner Karriere im„bunten Rock" eines „Offizier-Stellvertreters" kann er nicht ver-winden. Als„gewalttätige^ Alkq-holiker tyrannisiert er die Fami-lie und versuchten wechselndenBerufen leichtes Geld zu machen.

Die Mutter, Minna (amtlich:Wilhelmine) Münzenberg (etwa1840 bis 1893), hat bereits dreiKinder großgezogen, als sie mitfast fünfzig Jahren ihren jüngstenund letzten Sohn zur Welt bringt.Bis zuletzt betreibt die geplagteFrau im Eckhaus Augustiner-straße 31 zum Unterhalt der Fa-milie eine Kuchenbäckerei. Gutein Jahr nach dem Tod der Mut-ter nimmt sich der Vater eineneue Frau und deren Vermögenvon 20 000 Mark, kauft eineKneipe in Friemar bei Gotha undzieht mit Frau und seinem spät-geborenen Sohn aufs Dorf.

Unsere Bezirk'skorresponden-tin Margrit Hahnel, historisch in-teressiert und mit Erfurts Lokal-geschichte vertraut, hat das Ge-burtshaus Willi Münzenbergs vorJahren noch anschauen können.Es sei ein kleines Haus gewesen,weit älter als die höheren Wohn-gebäude, die um die Jahrhundert-wende in der Augustinerstraßegebaut wurden. Schon 1870 habees die Nummer 31 getragen, dienun verschwunden ist, weil dieEcke Augustinerstraße/Am Hügelzugunsten eines grünen Streifens

vor den schönen neuen Wohn-häusern in der Straße Am Hügelzurückgesetzt wurde. Das neueEckhaus, Am Hügel 2 a, hat zuebener Erde eine Ecknische, ausder man den Blick nachvollziehenkann, der vor knapp einem Jahr-hundert Willi Münzenbergs ersteWeltsicht war.

Schräg gegenüber steht nämlichwuchtig und trotzig der Nicolai-Turm, ein Wehrturm mit Pech-nasen, vor langer Zeit zum Schutzjener Brücke gebaut, die die Au-gustinerstraße über die Geraführt und die bereits 1108 alsLiepwinisbrucca erwähnt wurde.

Schon als kleines Kind «hatte WilliMünzenbeng das Thema Kriegund Frieden vor Augen. Nebendie Eintragung seiner Geburt imErfurter standesamtlichen Haupt-register hat 1917 jemand mitBleistift geschrieben, Münzenbergsei „fahnenflüchtig" und daherdürfe keine Geburtsurkunde aus-gefertigt werden.

Zu der Zeit aber stand derjunge Mann aus Erfurt in Zürichlängst unter der roten Fahne, ander Seite Wladimir Iljitsch Leninsund der anderen ZimmerwalderLinken, die in einer sozialisti-schen Revolution die beste Alter-

native zum barbarischen Welt-krieg sahen. Ende 1917, in denTagen und Wochen nach demRoten Oktober in Rußland, warWilli Münzenberg wegen seinermaßgeblichen Beteiligung amZürcher „Aufruhr" vom 15. bis17. November 1917 in der Poli-zeikaserne Zürich eingesperrt.Dort hatte er einen ausführlichenLebenslauf zu schreiben. Er gibtuns den besten Einblick in dieErfurter Kindheit.

Seine erste Spielgefährtin, be-richtet Münzenberg da, sei dasTöchterchen des SPD-Reichstags-abgeordneten R. aus der Nach-

barschaft gewesen. Es wird sichum den Erfurter Sozialdemokra-ten Paul Reißhaus (1855 bis 1921)gehandelt haben, der 1893 imWahlkreis Sonneberg/Saalfeldtatsächlich in den Reichstag ge-wählt wurde. Dessen kleine Toch-ter muß begeistert gewesen sein,wenn der Knabe von nebenan mit•ihr „Hochzeit" oder „Beerdigung"spielte und dabei aus dem Stegreifprächtige Predigten hielt.

Im Sommer 1919 konnten dannTausende von Erfurtern WilliMünzenbergs revolutionäres Red-nertalent bewundern. Am 29. Juli1919, inzwischen aus der Schweizausgewiesen und als Teilnehmer.an der deutschen Novemberrevo-lution in Stuttgart von Januar bisJuni 1919 eingekerkert, sprach erim Erfurter Tivoli gleich zwei-mal: um 18 Uhr vor der Jugendund um 20 Uhr vor den Genos-sen der noch ganz jungen KPD.„Der Kommunist", die KPD-Zei-tung t für Thüringen, bemerktedazu: „Den Genossen brauchenwir nicht erst zu sagen, daß Mün-zenberg einer der besten Rednerunserer Partei in Deutschlandist."

Das Tivoli, in den „Gründer-jahren" gebaut und ab 1897 vonGewerkschaften als Volkshausgepachtet, existiert noch in derErfurter Karl-Marx-Allee (früherMagdeburger Straße) — dunkelrotgestrichen und mit der (leicht an-gerosteten) Leuchtschrift: „Klub-haus Tivoli ,Paul Schäfer'". DaßErfurts Tivoli zu einem Paul-Schäfer-Klubhaus der Schuh-arbeiter wurde und daß die Er-furter Schuhfabriken heute eingroßer volkseigener Betrieb sind,der den Namen seines Freundes,Genossen und BerufskollegenPaul Schäfer (1894 bis 1937) trägt,könnte Willi Münzenberg nur ge-fallen,,, Vermutlich* 1904 hatteMünzenberg nämlich bei derFirma Lingel in Erfurt als Lei-stenjunge eine Lehre begonnen.Im Sommer 1906 war er in denErfurter Arbeiterbildungsverein„Propaganda" eingetreten, hattefortschrittliche Literatur kennen-gelernt und war, bevor er in dieSchweiz ging, zum jungen Sozia-listen geworden.

Paul Schäfer und das Haus ander heutigen Erfurter Karl-Marx-Allee sollten auch nach 1919in Münzenbergs Leben eine Rollespielen. So betraute MünzenbergPaul Schäfer 1925 mit der Lei-tung der ersten großen Reiseeiner Delegation deutscher Ar-beiter in die Sowjetunion. Auchin der von Münzenberg begrün-deten Internationalen Arbeiter-hilfe (IAH) übte Schäfer wichtigeFunktionen aus. Auf Münzen-bergs Initiative wurde am17. April 1927 die erste Reichs-konferenz der Vereinigung derArbeiter-Fotografen Deutsch-lands im Erfurter Tivoli abge-halten. Der Knabe aus der Augu-stinerstraße hat seine Geburts-stadt nie vergessen.

Teil 2:Eine Kindheit zwischenDorfschule und Schenke

Diesen Eindruck erwecken auchdie braungebrannten drahtigenFischer in ihren bunt bemaltenkleinen Trawlern. Bis zu 5000Tonnen Krabben, Garnelen undKüstenfisch gehen ihnen jährlichins Netz. Ein Teil davon wird ex-portiert, das meiste findet sichauf dem Fischmarkt PhnomPenhs wieder.

Land- und Forstwirtschaft sol-len künftig das ökonomische Hin-terland der Hafenstadt erweitern.Seit langem schon ist die Eigen-versorgung mit Reis gesichert,niemand leidet hier Hunger. DieBerge, die die Bucht von dreiSeiten umgeben, lassen aber nureine begrenzte Erweiterung derReisanbaufläche zu. „Deshalbsetzen wir entschieden auf indu-strielle Agrarkulturen", sagtOberbürgermeister Chum Hol.Nach seiner Rückkehr von denneuen Pfeffer-Plantagen am hü-geligen Rand der Stadt läßt er imGespräch die Vorzüge deutlichwerden. Unter der sengendenSonne grünen dort auf vorerst122 Hektar diese hopfenartig ran-kenden Gewürzpflanzen. Ernten,von vier und mehr KilogrammPfeffer pro Jahr und Strauch sor-gen für ein gutes Einkommen derPf lanzer-Familien.

„Die Menschen hier haben wie-der Vertrauen in die Zukunft",sagt Prat Ham. „Würden sie sonstwohl an allen Ecken und EndenKompong Soms neue, schmuckeHolzhäuser bauen?"

Das ist in der Tat nicht zuübersehen. Neben der Ziegelei,einer Trockeneisfabrik und dem3,4-Megawatt-Kraftwerk, dieebenfalls wiederaufgebaut wor-den waren, zählt ein kleinesSägewerk zu den Stützen der be-scheidenen IndustriebetriebeKompong Soms. „Wir hoffen, daßin nicht allzu ferner Zukunft auchdie übrigen zerstörten Betriebewie die Brauerei, die Öl-Raffine-rie und die Schlosserwerkstattihre Arbeit wieder aufnehmenwerden", sagt Prat Ham zuver-sichtlich und fügt hinzu: „Ineinem friedlichen, freien und un-abhängigen Kambodscha soll un-sere Stadt das werden, was sieschon einmal war: die Perle unse-res Landes."

„Bei diesem .7 Immobilien-Schwindel geht es um MilliardenCentimes. Wohini sie geflossensind, wissen wir nicht." Hef-tige Worte gebraucht MaitreRobyn in seinem Schlußplädoyervor dem 13. Senat der PariserStrafkammer. GerichtspräsidentMichel Salzmann war kaum we-niger entschieden: „Alles in die-ser Akte ist ekelhaft", hatte erschon bei Eröffnung des Prozes-ses erklärt.

Worum ging es? Mit Wissenund Duldung vieler waren gegenRecht und Gesetz mindestens 20Pariser Wohnblöcke in Büros ver-wandelt worden, wobei für diedaran beteiligten „Urbanisten"Dutzende Millionen* 'Francs ab-fielen. Angeklagt waren die Im-mobilienmakler Brun und De-louvrier, zwei inzwischen pen-sionierte Beamte und eine kleineMitarbeiterin des Pariser Stadt-bauamtes — offiziell wegen Do-kumentenfälschung, i

In der Sache ging es jedoch umetwas, das in Paris nach wie vorein heiß diskutiertes Themableibt: die Vertreibung vieler Be-wohner in die Vorstädte durchhorrenden Mietwucher, ja selbstdie Vernichtung von Wohnungen.Die französische Hauptstadt hatheute rund 840 000 Einwohnerweniger als 1921! Seit der 1977erstmals zum Bürgermeister ge-wählte frühere Premier Jacques

Chirac das Ziel verkündet hat,Paris zum „Finanzplatz Nr. 1"und zur „Drehscheibe" in dem ab1993 geplanten einheitlichen EG-Markt zu machen, wächst hierdie Nachfrage nach Büroraumunaufhörlich. Schon 140 000 in-und ausländische Unternehmenhaben, auch durch relativ gün-stige Gewerbesteuern angelockt,hier ihren Sitz. Zuweilen ist dasjedoch nur ein Briefkasten oderein automatischer Anrufbeant-worter. Denn Büros sind knappgeworden. Und infolge der seitjeher dichten Bebauung inner-halb der feststehenden Stadtgren-zen gibt es kaum noch freies Ter-rain für Neubauten.

Deshalb wurde schon vor lan-gem begonnen, Wohn- in Büro-raum zu verwandeln. Da das beieinem „freien Wohnungsmarkt"zwangsläufig zu immer schnelle-ren Mietsteigerungen führt, wuchsim gleichen Tempo auch die Ver-bitterung der Pariser. Erst kürz-lich folgten an einem Wochenendewieder 25 000 Pariser dem Aufrufdes Mieterverbandes CNL zu einerProtestdemonstration. Denn un-geachtet großer Wohnungsnot istin der Hauptstadt nur der Bau

von 5000 Wohnungen pro Jahr,darunter viele Luxusapparte-ments, geplant. Von den 43 000als „Dringlichkeitsfälle" an-erkannten Wohnungsanträgenkönnten pro Jahr nur 1500 posi-tiv erledigt werden, stellte „LeMonde" dazu fest.

Auf Grund dieser Situation sahman sich schon vor Jahren genö-tigt, die „Umwandlung" vonWohn- in Büroraum an Bedingun-gen zu knüpfen. Danach ist einsolcher Unibau erstens genehmi-gungspflichtig. Zweitens müssenpro Quadratmeter 900 Francs Ge-bühren gezahlt werden. Und drit-tens sollen — so die amtliche Vor-schrift — gleichzeitig andere, bis-her gewerblich genutzte Räume inWohnungen verwandelt werden.

Das erschwert den Immobilien-Spekulanten in der Tat das Ge-schäft. Doch wie der Prozeßzeigte, fanden sie letztlich neueSchlupflöcher. Die zwei angeklag-ten Makler hatten bei der für siezuständigen Behörde seit langemeinen „guten Freund". Zwar warder heute 72jährige zwischenzeit-lich ins Büro des Bürgermeistersaufgerückt, doch das erhöhte in

rare in Millionen-Höhe, verstehtsich. Als 1987 der Schwindel auf-zufliegen drohte, wandte sicheiner dieser Kunden voller Sorgean eine gute Bekannte, seinerzeitim Innenministerium. Er erzählteihr, daß und von wem ihm diegefälschten Papiere geliefert wur-den. „Ich habe ihm gesagt, daßich sehen werde, was ich tunkann", sagte sie in dem Prozeßaus. Wie der Betreffende gehörtauch sie nicht zu den Angeklag-ten, wurde nur als Zeuge gehört.

„Und natürlich hat es diese

Dame nicht für nötig gehalten,den Staatsanwalt zu verständi-gen", stellte GerichtspräsidentSalzmann bitter fest. Einem No-tar, dem angeblich nicht auffiel,daß er eine mit Juni datierte —positive — Antwort auf einen erstim Juli gestellten Antrag erhielt,sagte er unumwunden: „Sie sindentweder unredlich oder inkom-petent." Der Betrug, so ist im Ur-teil festgehalten, „konnte nurdank der schuldhaften Inkonse-quenz der Mehrzahl der Notarefunktionieren ".

An verschiedenen Stellen der französischen Hauptstadt, wie hier auf denChamps Elysees, wurden viele Wohnungen zu Büros „umfunktioniert". EineAnlage, die Gold wert is t . . . Foto:ND/Heilig

Die vor Gericht zitierten Betei-ligten dieses Millionencoups ge-nierten sich nicht. Zwei derer, dievon Brun und Delouvrier ge-fälschte Papiere bezogen, hattensogar die Stirn, im Prozeß gegensie als „Nebenkläger" aufzutre-ten. Bezeichnend auch folgendesArgument, mit dem ein Vertei-diger beim Gericht um Verständ-nis für seinen Mandanten warb:„Die Mehrzahl der Immobilien-händler wird Ihnen sagen, daßman nicht das Gesetz, sonderndiejenigen kennen muß, die esanwenden."

Inwieweit das bei der Urteils-findung Berücksichtigung fand,vermag niemand zu sagen. Doch2 Jahre 6 Monate Gefängnis und120 000 Francs Geldstrafe fürBrun erschienen vielen mehr alsglimpflich. Die kleine Angestellte,die die Papiere besorgte und da-für „nur mal zum Essen" einge-laden wurde oder ein paar Hun-derter bekam, verdonnerte mandagegen zu zwei Jahren Haft.Delouvrier, der andere Haupt-angeklagte, wurde in Abwesen-heit zu fünf Jahren verurteilt. Ersei in der Schweiz, heißt es, undwolle dort bleiben, bis seine Strafeverjährt ist. Das dauert auch nurfünf Jahre. Und mit den ergau-nerten Millionen dürfte er dieseZeit selbst ohne neuerliche Ge-schäfte überstehen.

Der Hafen, nun häufiger auchvon Handelsschiffen aus Singa-pur und Thailand angesteuert,war Anfang der 80er Jahre mitsowjetischer und vietnamesischerHilfe rekonstruiert worden. Mit200 000 Tonnen Güterumschlag imJahr erreicht er aber erst einViertel seiner ursprünglichen Ka-pazität. Es mangelt an modernerUmschlagtechnik, es fehlen qua-lifizierte Arbeitskräfte, die Wirt-schaftsblockade westlicher Län-der verhinderte die rasche Ent-faltung zu einem Welthafen.„Dafür gibt es noch viel zu tun,und unsere Entwicklungspro-gramme reichen bis zur Jahrhun-dertwende", erläutert der stell-vertretende OberbürgermeisterPrat Ham bei einem gemeinsa-men Rundgang. „Doch verglichenn u t z e s Aia$g^igslage1|h«beniiw,iriiviel erreicht", fügt er hinzu. 1975hatten die Pol-Pot-Heere dieStadt auf blutige Weise men-schenleer gefegt, viele Einwohnerwurden Opfer des schrecklichenMordfeldzuges. Die neuen Be-wohner müssen erst lernen, einenHafen zu leiten.

In 100 000 Exemplaren druckteMünzenbergs Neuer DeutscherVerlag 1925 den Reisebericht dervon Schäfer geleiteten Arbeiter-Delegation (oben). Aufrufe zu Ver-sammlungen - aus «Der Kommu-nist", Erfurt, vom 29. Juli 1919

&dtnmitniftifct)e Partei 3>eutfd)fanbs (Sparta&uslmttb).Ortsgruppe örfurt.

Paul Schafer(rechts), Mün-zenbergs Freundund Genosse,fiel 1937 im

spanischenFreiheitskampf.

Ihm zu Ehrenheißt heute inErfurt das tradi-

Volkshaus Tivoli(links Aufnahmevon der Jahr-hundertwende)Paul-Schäfer-

Klubhaus

Reiner Schmalzl/Erfurt (1),ND/Repro (5)

Der weiße Palmenstrand derBucht von Kompong Som wartetbislang noch auf die einst zahl-reichen Touristen. Die Stadt be-reitet sich jedoch auf den Frem-denverkehr vor, wie Prat Hamsagt. Die drei Hotels sollen dem-nächst rekonstruiert werden.Noch ist die Anreise über Landnicht ungefährlich, aber die Natio-nalstraße Nr. 4, die von PhnomPenh hierherführt, gilt im wesent-lichen als sicher. Hin und wiederwerden einzeln daherfahrendeAutos allerdings von versprengtenTrupps der „Khmer Rouge" ge-stoppt^ die sich in den einige Ki-lometer vor der Stadt gelegenendschungelbedeckten Bergen ver-steckt halten. „Wir tun unserMöglichstes, um solche Vorfällezu unterbinden", meint Prat Hamgelassen. „In Kompong Som undden angegliederten 14 Landge-meinden kann jeder ruhig seinemTagewerk nachgehen."

Bericht der deurt*en Arbeiter .DelegationOber ihren Aufenthalt in Rußlandvom 14. luli bis zum 28. Augult 192S

seinem einstigen Amt offenbarnur seine Autorität. Angesporntdurch Dutzende größere Scheine— im Prozeß war von 360 000Francs die Rede — sorgte er da-für, daß jene Angestellte, die dortdie Gebäude-Akten verwaltet,mindestens anderthalb Jahre langeinzelne von ihnen immer wiederin die Maklerbüros trug.

Sie betrafen stets Wohnhäuser,die von den Herren gerade ge-kauft worden waren. Mit Hilfevon Blanko-Kopfbögen wandelteman sie aktenmäßig über Nachtin Geschäftshäuser um, deren Re-novierung und Umbau dann beider dafür zuständigen Preiecturebeantragt wurde. Damit niemandwegen primitiv gefälschter Stem-pel und Unterschriften stutzigwurde, „heuerte" man auch dortfür 240 000 Francs den zuständi-gen Beamten an. Die Geschäfteder beiden Makler florierten: ImJuni 1986 kauften sie ein Gebäudefür sechs Millionen Francs, imSeptember stießen sie es für 12Millionen wieder ab. Ein andererCoup im Juli brachte 21,5 Millio-nen Profit. Die Branche wundertesich, doch niemand erstattete An-zeige.

Im Gegenteil. Makler-Kollegenund andere ehrbare Hausbesitzerbaten das Gauner-Duo um Hilfe.Sie wurde gewährt, gegen Hono-

Oberbürgermeister Chum Hol präsentiert stolz.seine* Pfefferpflanien Foto:ZBAVeüe

Kompong Som, diePerle der südkambod-schanischen Küste,stöhnt unter der prallenTropensonne. Auch dieallabendlich nieder-prasselnden Monsun-regen bringen nur we-nig Abkühlung, sondernverwandeln die Stadt ineinen feucht-heißenDampfkessel. Sie ist dasTor Kambodschas zurWelt und bedeutendsterUmschlagplatz für allelebenswichtigen Güterdes Landes. Zusammenmit dem Hafen entwik-kelte sich die nochjunge Stadt KompongSom in den 50er Jahrenaus einem bescheidenenFischerdort zur zweit-größten Ansiedlung desLandes — damals Siha-noukville genannt.Heute beherbergt sie75 000 Einwohner.

Vor allem aus der So-wjetunion und dem be-nachbarten VietnamLaufen derzeit im Ha-fen Schiffe ein. Frach-ter mit einer Traglastbis zu 10 000 tdw kön-nen hier ankern. Sielöschen dringend benö-tigte Hilfsgüter wie Pa-pier, Baustoffe und -ausrüstun-gen sowie Landmaschinen für dieschwach entwickelte kambodscha-nische Wirtschaft. Auf „Kamas"-und „W 50 "-LKW treten sie dieReise in die über 200 Kilometernördlich gelegene Hauptstadtoder in andere Provinzen an.

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Der Vater hatte sichdas Saufeit angewöhnt

Am Hügel und im Tivolieiner der besten Redner

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Kompong Som, KambodschasTor zur Welt, steht offen

Menschen haben wiederVertrauen in die Zukunft

Millionencoup mitgefälschten Papieren

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Nach Pol-Pot-Herrschaftein zweites Mal besiedelt

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Das Geburtshaus in Erfurt Wehrturm an der Gera Das neue Eckhaus Am Hügel 2 a Tivoli in der heutigen Karl-Marx-Allee

Von Matthias W e i l e , Phnom Penh

Von unserem Korrespondenten Dr. Claus D ü m d e

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Neues Deutschland / 29./30. Juli 1989 / Seite 11Reportage

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Zum 100. Geburtstag ein illustrativer biographischer StreifzugVon Dr. Harald W e s s e I

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In Paris werden Wohnhäuser in Büros verwandelt — oft gegen Recht und Gesetz/ Ein Prozeß brachte es ans Licht

Der Notar war .blind'

Maklerduo zog die Fäden

Große läßt man laufen

.Auswege' der Spekulanten