Ameise und Volkskultur - zobodat.at · In einem slowakischen Märchen trägt eine sieben-jährige...

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Einleitung Nichts ist für die Wissenschaft der Volkskunde so klein und unbedeutend, als dass es nicht zum For- schungsgegenstand werden könnte. Auch die Ameise, obwohl millimeterklein, unermüdlich und vielleicht auch deswegen etwas geheimnisvoll, hat die Menschen immer in ihren Bann gezogen – sowohl als Feind, der in ihren Lebensbereich eindringt und dadurch zum Schäd- ling wird, aber auch als Freund, dessen sich der Mensch auf vielfältige Weise zu seinem Nutzen bedient. So klein die Ameise ist, so vielfach vernetzt ist sie im Bereich der Volkskunde präsent: Von den geistigen Vorstellungen, die sich mit ihrer Entstehung und ihrem Aussehen verbinden, ihrer Verankerung im menschli- chen Leben, das sich im Brauchtümlichen nieder- schlägt, bis zur „Gewinnung“ der Ameisenpuppen („Ameiseneier“) und deren mannigfache Verwendung sowohl als Futter, als auch als Heilmittel in der Volks- und Schulmedizin und Beispielen der Alltagskultur reicht ihre Spannbreite. Geistige Interpretationen der Ameise Herkunft Unzählige Deutungen versuchen die Herkunft der Ameise zu ergründen: Aus der Beobachtung des wohl- organisierten Lebens, das eine gewisse Intelligenz vo- rauszusetzen scheint, entstand die alte und verbreitete Auffassung, dass die Ameisen verwandelte Menschen seien. Schon eine der äsopischen Fabeln berichtet, dass die Ameise vor alten Zeiten ein diebischer Bauer war, den Zeus aus Zorn in das Tier verwandelt habe – eine Erzählung, die in Griechenland bis in die Gegenwart weiterlebt (KLIMA 1977: S. 448). Umgekehrt sind nach der griechischen Mythologie die Myrmidonen auf die Bitte von Aikos, sein Land zu bevölkern, von Zeus aus Ameisen geschaffen worden – ein Mythos allerdings, der auf etymologischer Spielerei basiert (BARTELS & HUBER 1965: S.135). Dänische und schwedische Ätiologien erzählen, dass die Ameisen vom Teufel (KLIMA 1977: S. 448), die oberpfälzische Volkssage dagegen berichtet, dass sie von Petrus geschaffen seien. Nach der Physica der hl. Hilde- gard von Bingen entstehen sie aus der Feuchtigkeit, welche die Gewürze hervorbringen. In der Ostschweiz wird den Kindern die Entstehung der Ameisen damit erklärt, dass sie aus den in den Honig gefallenen Stück- chen der Brotrinde entstünden (BÄCHTOLD-STÄUBLI 1987a: Sp. 361). Aussehen Besonders die enge Taille und deren Entstehung in- teressierte die Menschen seit jeher. Deutsche Natursagen wissen, dass Gott die Ameisen „über Mittag“ von Petrus schaffen lassen wollte, der Heilige verstand „in der Mit- te ab“ und schuf sie mit dem eingeschnürten Leib. Von den Niederlanden bis Indien erklärt man dieses Phäno- men damit, dass Gott in einem Streit zwischen der Spin- ne und der Ameise sich für die erste entschieden und die Ameise auf die Erde geworfen habe. Sie zerbrach und ist deswegen in der Mitte so dünn. Die Bulgaren erzählen, dass der Ochse auf die Ameise trat und sie in der Mitte zerknickt habe (KLIMA 1977: S. 449). Hier sind auch die Verwandlungssagen über die Ameisen anzufügen. So weiß man von Riesen, die in Ameisen verwandelt wurden, von Verstorbenen, die zu bestimmten Zeiten in Ameisengestalt die Familienstät- ten aufsuchten. In einer sächsischen Sage wurden Gott- Ameise und Volkskultur F ranz G ROIß Abstract: Ant and Popular Culture. Already the ancient world occupied itself with the ant intellectually as well as artistically, which influences even today’s interpretation of its origin, its body-shape and especially its numerous faculties. The article presents essentially the procedure of the collection of the pupa and the medical use of the ant-hive, the pupa and even the ant itself in popular medicin. In our everyday-life the ant traditionally stands so much for business and thriftness, that even credit-unions na- me themselves after this curious animal. Key words: Ameisler, myths, superstition, procedure of the collection of pupa, popular medicine, everyday culture. Denisia 25, zugleich Kataloge der oberösterreichischen Landesmuseen Neue Serie 85 (2009): 165–188 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at

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Einleitung

Nichts ist für die Wissenschaft der Volkskunde soklein und unbedeutend, als dass es nicht zum For-schungsgegenstand werden könnte. Auch die Ameise,obwohl millimeterklein, unermüdlich und vielleichtauch deswegen etwas geheimnisvoll, hat die Menschenimmer in ihren Bann gezogen – sowohl als Feind, der inihren Lebensbereich eindringt und dadurch zum Schäd-ling wird, aber auch als Freund, dessen sich der Menschauf vielfältige Weise zu seinem Nutzen bedient.

So klein die Ameise ist, so vielfach vernetzt ist sieim Bereich der Volkskunde präsent: Von den geistigenVorstellungen, die sich mit ihrer Entstehung und ihremAussehen verbinden, ihrer Verankerung im menschli-chen Leben, das sich im Brauchtümlichen nieder-schlägt, bis zur „Gewinnung“ der Ameisenpuppen(„Ameiseneier“) und deren mannigfache Verwendungsowohl als Futter, als auch als Heilmittel in der Volks-und Schulmedizin und Beispielen der Alltagskulturreicht ihre Spannbreite.

Geistige Interpretationen der Ameise

Herkunft

Unzählige Deutungen versuchen die Herkunft derAmeise zu ergründen: Aus der Beobachtung des wohl-organisierten Lebens, das eine gewisse Intelligenz vo-rauszusetzen scheint, entstand die alte und verbreiteteAuffassung, dass die Ameisen verwandelte Menschenseien. Schon eine der äsopischen Fabeln berichtet, dassdie Ameise vor alten Zeiten ein diebischer Bauer war,den Zeus aus Zorn in das Tier verwandelt habe – eineErzählung, die in Griechenland bis in die Gegenwartweiterlebt (KLIMA 1977: S. 448). Umgekehrt sind nach

der griechischen Mythologie die Myrmidonen auf dieBitte von Aikos, sein Land zu bevölkern, von Zeus ausAmeisen geschaffen worden – ein Mythos allerdings,der auf etymologischer Spielerei basiert (BARTELS &HUBER 1965: S.135).

Dänische und schwedische Ätiologien erzählen,dass die Ameisen vom Teufel (KLIMA 1977: S. 448), dieoberpfälzische Volkssage dagegen berichtet, dass sie vonPetrus geschaffen seien. Nach der Physica der hl. Hilde-gard von Bingen entstehen sie aus der Feuchtigkeit,welche die Gewürze hervorbringen. In der Ostschweizwird den Kindern die Entstehung der Ameisen damiterklärt, dass sie aus den in den Honig gefallenen Stück-chen der Brotrinde entstünden (BÄCHTOLD-STÄUBLI

1987a: Sp. 361).

Aussehen

Besonders die enge Taille und deren Entstehung in-teressierte die Menschen seit jeher. Deutsche Natursagenwissen, dass Gott die Ameisen „über Mittag“ von Petrusschaffen lassen wollte, der Heilige verstand „in der Mit-te ab“ und schuf sie mit dem eingeschnürten Leib. Vonden Niederlanden bis Indien erklärt man dieses Phäno-men damit, dass Gott in einem Streit zwischen der Spin-ne und der Ameise sich für die erste entschieden und dieAmeise auf die Erde geworfen habe. Sie zerbrach und istdeswegen in der Mitte so dünn. Die Bulgaren erzählen,dass der Ochse auf die Ameise trat und sie in der Mittezerknickt habe (KLIMA 1977: S. 449).

Hier sind auch die Verwandlungssagen über dieAmeisen anzufügen. So weiß man von Riesen, die inAmeisen verwandelt wurden, von Verstorbenen, die zubestimmten Zeiten in Ameisengestalt die Familienstät-ten aufsuchten. In einer sächsischen Sage wurden Gott-

Ameise und Volkskultur

F r a n z G R O I ß

Abstract: Ant and Popular Culture. Already the ancient world occupied itself with the ant intellectually as well as artistically,which influences even today’s interpretation of its origin, its body-shape and especially its numerous faculties. The article presentsessentially the procedure of the collection of the pupa and the medical use of the ant-hive, the pupa and even the ant itself inpopular medicin. In our everyday-life the ant traditionally stands so much for business and thriftness, that even credit-unions na-me themselves after this curious animal.

Key words: Ameisler, myths, superstition, procedure of the collection of pupa, popular medicine, everyday culture.

Denisia 25, zugleich Kataloge der

oberösterreichischen Landesmuseen

Neue Serie 85 (2009): 165–188

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lose in Ameisen verzaubert. Damit hängt auch die An-sicht zusammen, dass Ameisen durch den Klang geweih-ter Glocken vertrieben werden (BÄCHTOLD-STÄUBLI

1987a: Sp. 362).

Die Gestalt der kleinen Ameise gab auch Anlass zuProportionsserzählungen, die die Ameise oft eine ArtKontrastpartnerschaft mit größeren Tieren eingehenlässt, ein über den ganzen Erdball verfolgbares Phäno-men (KLIMA 1977: S. 450ff): In französischen Erzählun-gen heiratet sie das Eichhörnchen oder die Maus, beiden Papuas befreundet sie sich mit dem Fasan und in In-dien hält sie mit dem Elefanten, der Giraffe und derSchlange gemeinsam Haus, oder pilgert mit der Grilleund dem Ochsen nach Jerusalem. Nach dem David-Go-liath- Prinzip führt sie in Indonesien erfolgreich Kriegmit dem Elefanten.

Vor allem die Kettenmärchen der romanischen Völ-ker verwerten die Wichtigtuerei des geschäftigen Um-herlaufens zu komischer Wirkung: Die Ameise findet ei-nen Groschen, heiratet eine Maus und ertrinkt in einerSchüssel, in der ihr viel zu größerer Partner das Essen zu-bereitet hat. Sie pflanzt Erbsen unter Bäumen, wird un-geduldig, weil sie nicht gleich am nächsten Tag wach-sen, und versucht dann lange vergeblich, jemanden zufinden, der die Bäume fällt. Sie hält sich für so stark,dass sie dem Frost den Fuß brechen kann, erfährt aber,dass Sonne, Wind, Meer oder Erde stärker sind.

Ihre Stärke hat zu zahlreichen Wett-Erzählungengeführt. Sie wettet mit dem Raben oder dem Bären, dasssie eine größere Last als ihr Körpergewicht bis in dieBaumspitze tragen kann. In polnischen Erzählungenwettet sie mit dem Klee, dass sie ein Ochsengespann an-zuhalten vermag.

Die menschliche Phantasie hat aber auch die Rie-sen-Ameise erdacht. Schon Herodot berichtet von indi-schen goldgrabenden Riesenameisen. Das Heer Alexan-der des Großen muss gegen gigantische Ameisen kämp-fen. In einem slowakischen Märchen trägt eine sieben-jährige blinde Ameise den Held auf den Glasberg. Dieirische Mythologie schließlich kennt riesige menschen-fressende Ameisen.

Im Gegensatz zu den ungeflügelten Artgenossen ge-winnt die geflügelte Ameise wenig Sympathien. In su-merischen Quellen, also sehr früh bereits, wird die Selt-samkeit ihrer Erscheinung bemerkt. Sie wird aus demBienenkorb oder dem Ameisenhaufen ausgewiesen.Nachdem sie sich nach einer aus Zypern überliefertenTradition von Gott Flügel erbeten hat, wird sie vomWind erfasst und verweht.

Deutungen

Die auffälligen Eigenschaften der Ameisen, wie ihrevorsorgliche Natur, werden bereits bei Aristoteles undPlinius erwähnt. Aufgrund der Aussagen der Bibel, derWerke der Kirchenväter, des Physiologus sowie der spät-antiken und mittelalterlichen Enzyklopädien nimmtman an, dass den überaus zahlreichen Tierdarstellungenin der christlichen Kunst eine auf die Heilsgeschichtebezogene Bedeutung zukommt. Während die Insektenüberwiegend das Böse, das Laster und die Sünde symbo-lisieren – die Bedeutung des Lasters ist vorwiegend beider Spinne, die aus Habgier und Ruhmsucht schafft –wurde die Ameise positiv belegt (SACHS et al. 2004: S.194f, 344). Allerdings kommt es erst in der Renaissancezu einer Erweiterung der christlichen Symbolbedeutungder Ameise ins Profane zum Symbol der Tugend (DIT-TRICH & DITTRICH 2004: S. 39).

Besonders die Menge der Ameisen, ihr emsiges He-rumlaufen, ihre Vorratswirtschaft, sowie das demmenschlichen Auge verborgene Sozialleben wurdenphilosophisch interpretiert. Seit der Antike tritt dieAmeise daher vor allem in der Fabel und in der morali-sierenden Erzählung auf. Es ist daher angebracht, sichmit diesen frühen, lange nachwirkenden Inhalten näheraueinanderzusetzen, seien es nun Darstellungen aus derrömischen Welt wie die äsopischen Fabeln oder die be-deutsamen Verse aus dem Buch der Sprichwörter.

Der sagenumwobene phrygische Sklave Äsop mach-te sich im 6. Jhdt. v. Chr. mit dem Erzählen von Fabelneinen Namen, wenngleich nicht alle äsopischen Fabelnihm zugeschrieben werden und der ihm zeitlich folgen-de Fabeldichter Phädrus Fabeln eigener Erfindung an-fügte. Die Ameise findet sich mehrmals darunter: – In„Die Ameise und die Taube“ wirft letztere der ertrinken-den einen Zweig zu und als ein Vogelsteller Leimrutenlegt, rettet die Ameise durch einen Biss in den Fuß desVogelstellers jene vor der Gefangenschaft. – In der Fa-bel „Die Ameise“ entwendet ein Ackerbauer demNachbarn die Feldfrüchte, worauf der erzürnte Zeus die-sen in ein Tierchen verwandelt, das jetzt Ameise ge-nannt wird. Dadurch wurde zwar die Gestalt des Man-nes geändert, nicht jedoch sein Trieb, denn bis heuteliest die Ameise Früchte fremden Fleißes zusammen undspeichert sie in ihren Vorratskammern. – „Die Baum-grille und die Ameisen“ handelt von einer hungrigenGrille, die zur Winterszeit die ihr nasses Getreide trock-nenden Ameisen um Nahrung bittet und sich diesen ge-genüber damit verantwortet, im Sommer wegen ihresGesanges keine Zeit zum Sammeln gehabt zu haben,worauf ihr die Ameisen sagen: „Ei, wenn du im SommerFlöte geblasen hast, so tanze im Winter dazu.“ – Dieletzte Fabel „Ameise und Fliege“ wird Phädrus zuge-schrieben. Sie lässt den Unterschied zwischen der mit

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falschem Ruhm prunkenden Fliege und der Ameise, de-ren Tugend echten Glanz zeigt, merken (BINDER & SIE-BELIS 1959: S. 34,67,79,153).

Für viele nachchristliche Bearbeitungen waren dieTextstellen über die Ameisen des etwa ab dem 4. Jh. v.Chr. entstandenen Buches der Sprichwörter des AltenTestaments, das auf Salomon als Autor zurückgeht, Vor-bild und Anregung. Es geht dabei weniger um Wissens-vermittlung als vielmehr um eine Bestärkung in der rech-ten Orientierung des Lebens. Die die Ameise vorstellen-den maßgeblichen Kapitel sind 6, 6-8 und das weniger oftzitierte 30, 24-25. Das 6. Kapitel enthält Warnungen vorleichtsinnigem Verhalten. 6, 6-11 spricht unvermitteltden Faulen an, der im Sprichwörterbuch oft Zielscheibehumorvollen Spottes ist. Der freiwillige und vorsorglicheFleiß der Ameise soll ihm Vorbild sein; so heißt es in denVersen 6-8: „Geh zur Ameise, du Fauler, betrachte ihrVerhalten und werde weise! Sie hat keinen Meister, kei-nen Aufseher und Gebieter, und doch sorgt sie im Som-mer für Futter, sammelt sich zur Erntezeit Vorrat.“ Fortge-setzt wird in 30, 24-25: „Vier sind die Kleinsten auf Erden/ und sind doch die Allerklügsten. Die Ameisen sind einstarkes Volk / und besorgen sich doch im Sommer ihr Fut-ter.“ In diesen und den beiden folgenden Versen wird dieWeisheit kleiner und daher scheinbar ohnmächtiger Le-bewesen gepriesen (SCORALIK 2004: S. 1227f).

Wegen seiner gewaltigen Verbreitung gilt der im 2.nachchristlichen Jahrhundert in Alexandrien entstan-dene „Physiologus“ als eines der erfolgreichsten Bücherder Weltliteratur. Er stellt zugleich die früheste undwichtigste Schrift geistlich – typologischer Naturerklä-rung, in der zahlreiche, zum Teil in der Bibel vorkom-mende Tiere sowie einige Pflanzen naturtypologisch aufGott, Christus und den Teufel gedeutet werden, dar(ALPERS 1996). In der Entstehungszeit oder in späterenÜberarbeitungen werden die antiken Angaben auf dreiEigenarten der Ameisen reduziert (AUTY 1980: Sp.526): Jede Ameise trägt ihr Weizenkorn im Munde, diehungrigen entgegenkommenden Ameisen entreißen esihnen nicht, sondern suchen sich selber ihre Nahrung(1). Die Ameise teilt die Weizenkörner in zwei Teile,damit sie nicht keimen können: So sollen auch im Al-ten Testament Buchstabe und Geist geschieden werden,denn der Buchstabe allein tötet (2). Die Ameise er-kennt am Geruch des Halmes, ob es sich um Weizenoder Gerste handelt. Nur vom Weizen holt sie sich dieKörner: So soll auch der Christ den Weizen des Glau-bens an Christus der Gerste des Irrglaubens vorziehen(KIRSCHBAUM 1994: Sp. 110f). Die Ameise mit demWeizenkorn und die ihr entgegenkommenden werdenauf die klugen und törichten Jungfrauen, der in einemweiteren Kapitel angeführte aus Löwenantlitz undAmeisenhinterteil bestehende Ameisenlöwe auf den

Mann, der zwei Seelen hat (Ja-Nein und Nein-Ja), be-zogen (SEEL 1960: S. 13ff).

Das bedeutendste spätmittelalterliche Werk, dashier anzufügen ist, ist der „Formicarius“ (Ameisenhau-fen) des deutschen Dominikaners Johannes Nider ausder Zeit um 1380, das nach dem Vorbild des Bienenbu-ches von Thomas von Cantimprè angelegt ist. Nider hatunter den kleinen Tieren keines gefunden, das von Na-tur aus klüger und zur moralischen Unterweisung desMenschen geeigneter wäre als die Ameise. Nach Niderbestätige solches wiederum die Autorität und die großeWeisheit Salomons, der die Ameise in der Rangordnungder vier Tiere, die weiser seien als die Weisen, vor demHäschen, der Heuschrecke und der Eidechse anführt.Nach der allegorischen Bedeutung der Ameise in derbiblischen Hermeneutik und christlichen Ikonographiehat die Ameise im Anschluss an die Sprüche Salomonseine durchwegs positive Bedeutung – die Ameise stehthier als Sinnbild für Jungfräulichkeit, für vorausschau-ende Klugheit und Fleiß. Ihr Zusammenleben dient seitder Patristik als Modell für eine rational strukturierte,vorzugsweise auf Liebe (caritas) gegründete monastischeGemeinschaft im Sinne der Grundidee des Verfassers,dem im Kern so eine christliche Staatsutopie vor-schwebte. Die biblisch-theologische Deutung orientiertsich meist am Bild des weisen Königs Salomon, der sichdem Faulen zuwendet und diesen über die Weisheit undden Fleiß der Ameisen belehrt. Nach fünf Gruppen ge-ordnet, verteilt Nider die Eigenschaften der Ameisenauf die 5 Bücher des „Formicarius“: nach den Tätigkei-ten, den Bewegungsmöglichkeiten, der Größe, dem Ent-wicklungsstadium und der Farbe. Eine ausführliche Be-schreibung der „conditiones“ bildet den Beginn eines je-den der zwölf Kapitel der fünf Bücher und dient gewis-sermaßen als Einstieg für die daran anschließende mora-lische Ausdeutung (TSCHACHER 2000: S. 139ff).

Aberglaube

Seit der Antike werden den Ameisen mantische Fä-higkeiten nachgesagt (BÄCHTOLD-STÄUBLI 1987a: Sp.362). Erscheinen (schwarze) Ameisen plötzlich imHaus, tritt ein rascher Todesfall ein. Will man hingegenwissen, ob ein Neugeborenes lange leben wird, legt manvor Sonnenaufgang ein Stück der Nachgeburt in einenAmeisenhaufen; schleppen es die Ameisen bis Sonnen-untergang fort, ist ein langes Leben sicher.

Die menschliche Beobachtung ließ sie auch zu Wet-terpropheten werden: Sind die Ameisen im Herbst obenim Bau, so wird der Winter mild, sonst ist Kälte zu er-warten; tragen sie ihre Larven an die Oberfläche desBaues, gibt es schönes Wetter. Wenn um den Laurenti-ustag fliegende Ameisen erscheinen, bedeuten sie hefti-gen Sturm oder starke Gewitter.

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Die Ameisen werden auch zu Glücksbringern: Fin-det man am Johannismorgen unter einem Stück Rasenrote Ameisen, so bedeutet dies Glück. Ameisen imGeldkasten verheißen Geld, darum steckt man sie sogarhinein.

Erwähnenswert ist ebenso, dass in den Ameisenhau-fen gelegte Mittel zauberische Kräfte erhalten können.So erhält eine Flasche Wein, die man längere Zeit in ei-nem Ameisenhaufen deponiert, riesenhafte Stärke.Beim Liebeszauber legt man einen Zettel mit dem Na-men der geliebten Person oder einen Frosch in denAmeisenhaufen, und „jener ist der Liebe angethan“.Ähnliches gilt vom Schusszauber.

Dem Volksglauben nach konnte man auch an gewis-sen Tagen oder Stunden eine eiförmige Pechkugel(Weihrauchharz) im Ameisenhaufen finden. Im Böh-merwald dachte man, dieser unter der Zunge getrageneStein mache unsichtbar (BÄCHTOLD-STÄUBLI 1987b:Sp. 285).

Das Ameisln

Die vielen Ausdeutungen, vor allem die praktischenAnwendungen der Ameisen, wären ohne deren Beob-achtung und der Gewinnung ihrer Puppen nicht mög-lich geworden. Daher kommt dieser mühsamen Tätig-keit, die vom „Ameisler“ ausgeführt wurde, in dieserAbhandlung ein herausragender Stellenwert zu.

Das Verdienst, erstmals in einer Ausstellung überdie „Lästige Nützlinge“ – „Unsere Ameisen – unbe-kannte Vielfalt“ auch den Ameisler wieder ins Bewusst-sein der Öffentlichkeit gerückt zu haben, kommt dem

Kultur- und Geschichtsverein Tannberg, Annaberg, derdazu auch einen Katalog herausgab, zu (DIETRICH et al.2008).

Methode und Geschichte des Sammelns von Ameisenpuppen

Damit sollen nun auch die Tätigkeit des Sammlers,die Methode und die Geschichte des Sammelns vonAmeisenpuppen näher beleuchtet werden, soweit diesaufgrund der vorhandenen und einsehbaren Quellenla-ge möglich ist.

Im bereits 1679 erschienenen bedeutenden Kräuter-buch des Frankfurter Stadtphysikus Adam Lonicer ist es„die beste Weiß Omeisen-Eyer zu sammeln“, indem maneine hölzerne Schüssel oder einen Napf in einen Amei-senhaufen stellt und mit Laub bedeckt, worauf dieAmeisen ihre Eier dort hineinbringen. Um diese zu er-halten, nehme man das Laub weg und die Ameisen ent-fliehen ohne die Puppen. Sollten sie aber nicht gehenund die Eier mitnehmen, „so schlage mit einem Rüth-lein an den Napff, so fliehen sie bald“ (LONICERUS 1770:S. 632).

Interessante Angaben über das Aussehen und dieTätigkeit der „Amastrager“ haben wir dem Badner Ma-ler Johannes Mayerhofer zu verdanken (MAYERHOFER

1898). Er wies in einem Zeitungsartikel auf ein Tischzei-chen der Amastrager aus dem Jahr 1820 hin, das nochum 1900 über deren Stammtisch im Baderschen Gast-hof in Hainfeld hing. Es bestand aus einer ovalen Blech-tafel mit der Abbildung einer Amastragerin und einesAmastragers, die beide durch eine Butte am Rücken ge-kennzeichnet sind. Darunter war ein Spruchband ange-bracht:

„Wir „Amastrager“ sind weit und breit bekannt als ar-beitssame brave Leut’,

Wir werden von Jedermann hoch geehrt, denn unserGewerb’ ist schätzenswerth,

Und wollen wir einen guten Braten, einen guten Wein,So kehren wir bei unserer Frau Wirthin ein.“

Auf der anderen Seite steht:„Er: Geh’, sag’ mir, Mirzl, weg’n was sich die Leut’ so

spassenUnd uns allweil die Amastrager hoaßen?

Sie: Na, weil wir uns halt Tag und Nacht plag’nUnd unsere Sachen am Buckel umatrag’n.“

Mayerhofer bemerkt, dass sich in den Ameislern diealte Tracht der niederösterreichischen Bergbauern, dieer anschließend genau beschreibt, am längsten erhaltenhat. Er führt weiters aus, dass sich die Amastrager früherdie Hände mit den Blüten oder Früchten des Hollunder-baumes gegen die Ameisensäure beim Ausnehmen desAmeisenhaufens einrieben. Die Puppen wurden an Ort

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Abb. 1: Aufschütten des Sammelgutes, Fam. Bandion, Annaberg, datiert10.7.2008.

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und Stelle in einer Reiter solange herumgeschwenkt, bissie von den Verunreinigungen getrennt waren und dannin ein Tuch eingeschlagen. Nach Mayerhofer gab es um1900 in der Umgebung von Hainfeld nur mehr 6 derzunftmäßig organisierten Amastrager, die sich über diezunehmende Konkurrenz beklagten.

Den vermutlich ausführlichsten schriftlichen Be-richt über das Ameisln hat uns M.A. Becker im „Reise-handbuch des Ötscher“ gegeben (BECKER 1859: S.465ff). Er schreibt dort: „Um diese zu sammeln, breitetder Ameisler ein großes Leintuch auf die Erde in derWeise aus, dass die Seitenränder durch hölzerne Stützenetwa schuhhoch in die Höhe gehalten werden. In dieEcken legt er Fichtenreisig. Dann nimmt er einen Ge-treidesack, in dessen Öffnung ein weites Sieb ange-bracht ist, geht von einem Ameisenkogel zum andern,fasst ihn in das Sieb, siebt das Feinere, wozu vor allemdie Puppen gehören, sammt den Insekten durch, undwirft das im Siebe gebliebene Gröbere weg. Dies ge-schieht so oft, bis der Sack voll ist. Der Inhalt wird aufdem ausgebreiteten Tuche ausgeleert. Nun beginnt einrühriges Treiben der Ameisen, die ihre Puppen in Si-cherheit zu bringen trachten. Sie fassen sie mit denFresszangen und flüchten damit unter das in den Eckendes Tuches liegende Reisig. Während dies geschieht,schafft der Ameisler das Überflüssige fort, was ihm mitden Ameisen und Puppen auf das Tuch gefallen ist.Dann wischt er mittels eines leinernen Lappens, an des-sen rauer Fläche sie hängen bleiben, die Ameisen nachund nach vom Tuche weg und schüttelt sie ins Gras.Endlich hebt er das Reisig aus den Ecken des Tuchs, wodie Puppen zusammengetragen sind, und hat nun denganzen Vorrath im Tuche. Zu Hause werden die Puppenim Ofen leicht gedörrt“ (BECKER 1859: S. 465ff).

Eine andere, sehr vereinfachte Methode, Puppen zuerhalten, wird 1811, also ein halbes Jahrhundert früher,in den „Unterhaltungen aus der Naturgeschichte“, inWien erschienen, kurz geschildert: „Man darf nur beystarkem Sonnenschein einen Ameisenhaufen aufwüh-len, und in die Nähe ein Tuch legen, auf das ein aufge-stelltes Brett Schatten wirft, oder ein Loch graben, sowerden die treuen Pflegerinnen sehr bald viele tausendNymphen in den Schatten tragen, so dass man sie nunsehr bequem haben kann.“ Ganz richtig hat der AutorGottlieb Tobias Wilhelm erkannt, dass das Sammelnnur bei Schönwetter möglich ist, da dann die Puppenvon den Ameisen in den obersten Teil des Haufens, woes nun am wärmsten ist, transportiert werden (WILHELM

1811: S. 212).

Etwa 100 Jahre nach der Darstellung von M.A. Be-cker hat sich Maria Kundegraber nochmals dieser The-matik im Ötschergebiet eingehend angenommen undunseren Wissensstand auch um die genaue Anführung

des dafür benötigten Gerätebestandes erweitert, ihn be-schrieben und z. T. einzelne Objekte für das Österr. Mu-seum für Volkskunde erwerben können (KUNDEGRABER

1963). Zwei verschiedene Gewährsleute, in Lackenhofund in Neuhaus, wurden dazu von ihr befragt. In La-ckenhof war zum Auseinandernehmen bzw. Öffnen desAmeisenhaufens ein Kramperl oder Haindl, auch als„Amaskraul“ bezeichnet, gebräuchlich. Das bereits obengenannte Sieb hieß hier „Raitel“ und hatte einenDurchmesser von 60 cm. Meistens wurden zwei Säckebefüllt, mit einer hölzernen Butte weggetragen und aneinem sonnigen Platz auf einer 5 x 2 m großen Leinen-plache, deren Ränder nach innen umgeschlagen, abermit Ästchen am Rand unterlegt waren, aufgeschüttet.Nachdem die Ameisen die Eier darunter in Sicherheitgebracht hatten, wurde das Kleinholz weggenommenund die dort verbliebenen Ameisen durch das Darüber-ziehen einer an einer Holzstange befestigten „rupfenenFahne“, an die sie sich anhingen, entfernt. Aus dem ver-bliebenen Mist in der Tuchmitte wurde noch das „Oal-pech“, indem man das Ganze in ein Wasserschaff leerte,und das Pech zu Boden sank, getrennt. Die andere Ge-währsperson aus Neuhaus berichtete, dass das Ausräu-men mit Lederhandschuhen an den Händen erfolgte.Zum Trennen der Ameisen und der Puppen wurde beiSchönwetter ein Tuch auf einer „Bühne“, die aus aufHolzböcken gelegten Brettern bestand, ausgebreitet, beischlechtem Wetter erfolgte die Trennung zuhause(KUNDEGRABER 1963: S. 68), eine Methode, die bis indie 70er Jahre auch in Annaberg, dort allerdings imSchuppen neben dem Haus, und wo die Arbeitsflächeals „Tafel“ bezeichnet worden war, angewendet wurde(B; Abb. 1).

Ergänzend dazu eine Darstellung eines Gewährs-mannes aus dem Weinviertel, aus Stockerau, der mitdem Rad, öfters gemeinsam mit der Gattin, in den Waldfuhr: Zur Puppengewinnung hatte man an Ort und Stel-le zwei viereckige Tücher, Leinen oder Chiffon, die anden Seiten eingenäht waren, übereinander aufgebreitet,dazwischen kamen einige Zweige. Zum Aussieben hatteman eine sehr gute, von einem Zigeuner gefertigte Rei-ter mitgenommen. Nun wurde mit den Händen, diedünne Arzthandschuhe wegen des besseren Fühlens tru-gen – in der Mariazeller Gegend rieb sich der Ameislerum1880 seine Hände noch mit Terpentin oder einemanderen Öl als Schutz gegen die Ameisensäure ein (RO-SEGGER 1886: S. 407) – behutsam das Sammelgut ausdem Haufen geholt, in den mitgenommenen Sack gege-ben und zum Platz, wo die Tücher lagen, getragen, umnach der von den Ameisen erfolgten Trennung der Pup-pen den Rest wieder zum Haufen zurückzugeben. DerGewährsmann begann mit dem Sammeln der Puppenum 1945 und führte es bis in die 80er Jahre so aus.Wenn man nur wenige Puppen plötzlich benötigte,

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suchte man sich Haufen in der nahen „Gstetten“. ZumAbtransport verwendete man die Aluminium-Brotdo-sen oder Aufbewahrunsdosen der Nachkriegszeit, wiesie auch auf einem Foto, das 1950 in Karnabrunn aufge-nommen worden war, zu sehen sind (Abb. 2). Zu Hausewurden die Puppen in der Sonne in einem selbstgefer-tigten Rahmen, der mit einem dünnen Leinenstoff be-spannt war, getrocknet; heute wird dieser zum Trocknenvon gesammelten Pflanzen verwendet (R).

Von einer etwas anderen Methode der Gewinnungder Ameisenpuppen aus den Wäldern, die sich längs derböhmisch-mährischen Grenze hinziehen, wo der Groß-vater auch die Leimruten aufrichtete, berichtet uns derSchriftsteller K.H. Strobl (STROBL 1944). Den Haufenim Wald wurden dort die gesamten Puppen entnom-men, wobei man Handschuhe trug und die Rockärmelzuband. Der Sack wurde dann zu einer Waldblöße ge-schafft, wo schon die Fanglöcher vorbereitet waren. Sowar aus dem Rasen ein großes Loch und radial herummehrere kleine ausgestochen worden, in die – mit demGraswuchs nach unten oder mit Tannenzweigen zuge-deckt – die Rasenstücke wieder eingesetzt wurden, aberso, dass Zugänge frei blieben. Nun wurde auf dem mit-gebrachten Tischtuch in der Platzmitte der Sack ausge-leert und die Ameisen trugen die Puppen in die ausge-hobenen Löcher. Abnehmer waren die Vogelhändler inder Stadt – der Großvater war in Iglau zu Hause – undam Ende des Sommers wurde der Erlös zwischen denGesellschaftern geteilt (STROBL 1944:S. 48f).

Nicht weit davon entfernt, in den bayerisch-böhmi-schen Grenzwäldern, wurde eine der zuletzt geschilder-ten ähnliche Methode bei der Gewinnung angewandtund etwa 20 Jahre vor der Darstellung Strobls so ge-schildert: „Von einem ebenen Flecken … aus führennach mehreren Seiten kleine, kurze und seichte Grä-ben, die jeder in ein wenig tiefes Grübchen endigen.“Sie waren alle mit grünem Reisig bedeckt. Dann wurdedas Sammelgut in der Platzmitte aufgeschüttet, woraufdie Arbeiterinnen die Puppen durch die Gräben in dieGruben in Sicherheit brachten (KAPFHAMMER 1968: S.143).

Aus der Oberpfalz wird uns aus der Zeit um 1900noch von einem anderen Verfahren zur Puppengewin-nung berichtet, das nur dem Eigenbedarf diente (JUNG-WIRTH 1968): Diesmal erfolgte die Prozedur vor denMauern der Stadt Velburg auf einem ebenen, ungefährkreisrunden Platz mit vielleicht einem Meter im Durch-messer, der mit einem kleinen Graben umzogen und mitWasser gefüllt worden war. In der Mitte des Kreises warein größeres Loch ausgehoben und mit großen Blättern(Kraut, Huflattich) zugedeckt worden. Rings herumwurde das Sammelgut ausgeschüttet. Nun trugen dieAmeisen ihren „kostbaren Nachwuchs“ in diese kleineGrube, wobei sie noch dadurch zur Arbeit angetriebenwurden, indem der Haufen ab und zu mit Wasser be-sprengt wurde. Mancher Sammler legte seinen Hut indie Grube und ersparte sich damit das etwas mühsameHerausschöpfen der Ameisenpuppen.

Der steirische Heimatschriftsteller Peter Roseggerbeschrieb das Aussehen des Ameislers folgendermaßen:„Da kannst du im Walde einem sonderbaren Mann be-gegnen. Seinem zerfahrenen Gewand nach könnte esein Bettelmann sein, er trägt auch einen großen Sackauf dem Rücken; aber über diesem Bündel und an all´seinen Gliedern … laufen in aller Hast zahllose Amei-sen auf und nieder, hin und her …“ (ROSEGGER 1886: S.404f). Aus der Zeit um 1930, also 40 Jahre später, stam-men auch Fotoaufnahmen aus der NaturkundlichenSammlung des Landes Niederösterreich (Abb. 3), dieeinen mit kurzer Hose, einem aufgestrickten Hemd unddarüber getragenen Gilet mit sichtbarer Uhrkette sowieeinem Hut am Kopf bekleideten Mann zeigen – einenAmeisler. Am rechten Fuß ist nur der über den Schuh-rand umgeschlagene Socken erkennbar, wobei es sichoffensichtlich um einen Schnürschuh handelt und dader Knöchel nicht sichtbar ist, kann wohl ein hoherSchuh angenommen werden. Am Rücken trägt er eineBuckelkraxe, deren Stöße er beim Gehen insofern abfe-dert, als er die Hände zwischen Körper und Unterteilder Buckelkraxe gelegt hat bzw. damit den Metallteil derHaue, deren Stiel vom Körper rechts weggeht, hält. Diehölzerne Buckelkraxe trägt einen bis zum oberen Endereichenden und dort befestigten großen Sack, an demein kleinerer befestigt ist. Darunter und somit auf derStellfläche der Kraxe aufsitzend ist eine große Körner-reiter sichtbar. Während der große Sack in der Regel dasbeim jeweiligen Ameisenhaufen mit dem Sieb bereitsetwas getrennte „Sammelgut“ aufnahm, diente der klei-ne, handlichere Sack zur Vorarbeit – in ihn kam zu-nächst der ungereinigte entnommene Teil des Haufens,dessen gesiebter Inhalt dann in den großen Sack geleertwurde. Die Haue diente zum Öffnen und Schließen desAmeisenhaufens. Durch den Ameisler, der im Vorder-grund steht, wird die dahinter sichtbare Hütte, viel-

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Abb. 2: Aufschüttungdes Sammelgutes

(8 Liter) imKarnabrunner Wald,

datiert 1950,Privatbesitz.

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leicht jene, in der die letzte Reinigung und das Dörrendes Sammelgutes erfolgte, verdeckt. Dieser Ameisler istnamentlich bekannt, es handelte sich dabei um denKeuschler Moritz Stehr, der im niederösterreichischenOrt Erlaufklause wohnte, aber aus dem steirischen OrtSt. Sebastian bei Mariazell stammte.

Kundegraber konnte auch eine der bis etwa 1924benützten Hütten („Oalhütte“) auf der Ötscherwiese,die als Dörrhütte verwendet wurde, aufnehmen. Sie be-stand in einem als Schuppen genutzten wesentlich grö-ßeren Raum und einem Trockenraum, an den eine offe-ne Holzlage anschloss. Im Trockenraum befanden sichStangenreihen mit eingesetzten Trockenbrettern, die anden Rändern gegen das Herabfallen der Eier mit Leistenabgesichert waren. Dieser Raum wurde durch einen mitKonvexkacheln bestückten „Kugelofen“ von außen be-heizt. Auch in Neuhaus und in Wegscheid bestandenähnliche Hütten (KUNDEGRABER 1963: S. 68ff). Eben-falls ein von außen beheizbarer, heute nicht mehr ver-wendungsfähiger Ofen war an den Holzschuppen derFamilie Bandion (B) in Annaberg angebaut. Dieser be-fand sich einige Meter erhöht neben dem Wohnhaus.Der Ofen wurde von der Innenseite mit den Trocken-brettern beschickt, nachdem in einer mehrstündigenProzedur auf der „Tafel“ das Sammelgut gereinigt wurde,wobei die Kinder durch das „Umrühren“ mit astförmi-gen Stäbchen die Ameisen immer in Bewegung hielten,sozusagen „zur Arbeit anhielten“. Über Nacht wurde imOfen gedörrt, denn das Faulen der Puppen sollte unter-bunden werden. Die Tätigkeit der Familie Bandion –Herr Bandion war lange Jahre Ferkelhändler – wurde bisin die 70er Jahre ausgeübt. Man nahm sich sogar Ur-laub, um im Monat Juni dieser einträglichen Beschäfti-gung nachgehen zu können.

Die getrockneten Ameiseneier wurden zunächst mitdem Motorrad zum Meidlinger Markt gebracht, späterdann vom Händler abgeholt. Eine Befragung erbrachte,dass in der zum Markt laufenden Reschgasse eine Vogel-handlung, dessen Besitzer unter dem Vulgonamen„Nazl“ bekannt war, bestanden hatte und von wo vonden Eltern der Gewährsperson Puppen für den Kana-rienvogel erworben worden waren (P). Tatsächlichkonnte mit Unterstützung des Meidlinger Bezirksmuse-ums der Tierhändler als Ignaz Sedmik, Reschgasse 19(Wiener Adressbuch, Lehmanns Wohnungsanzeiger;73. Jg., 1. Bd.; Verlag Österreichische Anzeiger-Gesell-schaft AG, Wien 1932), identifiziert werden (BO). Esist daher anzunehmen, dass ihm die besagten Lieferun-gen zukamen.

Rosegger schreibt, dass die Ameiseneier in Marktund Stadt als Futter für gefangene Vögel verkauft wur-den (ROSEGGER 1886: S. 404f). Von den frühesten Lie-

ferungen auf den Wiener Markt, zu dem das Ötscherge-biet einen namhaften Beitrag leistete, wird wieder vonBECKER (1859) berichtet. Demnach arbeiten dieAmeisler dort größtenteils auf Bestellung und deckendamit einen guten Teil ihres Lebensunterhalts. Ein- biszweimal im Jahr erscheint der Vogelhändler aus Wien,schließt mit ihnen ab oder erneuert die Verträge undregelt die Versendung. In früherer Zeit wurde das Sam-meln ausschließlich von Leuten aus Böhmen betrieben,die ihre Ware größtenteils nach München lieferten.„Seit aber der Vogelhandel in Wien sich gehoben hat,sind Einheimische auf den Vortheil dieses Geschäftesaufmerksam geworden und haben es nun ausschließlichin der Hand… Ist die Witterung günstig, kann die Ern-te jede zweite oder dritte Woche erneuert werden, undbis zum Herbst fehlt dem Ameisler wenig auf 20 Met-zen, für die er auf einen Betrag von 150 bis 500 fl. rech-nen kann“ (BECKER 1859: S. 466f) – was damals etwadem Gegenwert von 100 Metzen Getreide entsprach.Um 1900 erhielt man für ein Kilogramm getrockneteAmeiseneier zwei Gulden und 40 Kreuzer, vor dem 1.Weltkrieg erbrachte die gleiche Menge zwei Guldenund 20 Kreuzer. An einem Tag konnte man oft 5 kg ge-trocknete Eier erarbeiten. Ein Sammler lieferte diePuppen mit der Bahn zu einer Linzer Vogelhandlung,ein anderer zu einer „Vogelfarm“ in Wien (KUNDEGRA-BER 1963). – In der Nachkriegszeit fuhren sehr armeLeute mit Karren, vor denen Hunde gespannt waren,von Gutenstein nach Wien und belieferten Privatper-sonen (A). Michelstettner Gewährspersonen berichte-ten von ihren Großeltern, dass diese die gesammeltenPuppen nach Wien zu einer Verwandten brachten, dieeine Tierhandlung und einen Verkaufsstand am Na-schmarkt besaß (ST).

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Abb. 3: Ameisler Moritz Stehr, datiert 24.8.1939, NÖ Landesmuseum.

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Daneben fand auch das beim Ameisln gewonnene„Oalpech“ verschiedene Verwendung. Nach Roseggerdiente es besonders bei Krankheiten als Räucherungs-mittel oder gar als Weihrauch (ROSEGGER 1886: S.404f). Von den Mariazeller Devotionalienhändlern wur-de es zum Kauf angeboten und war auch in der Apothe-ke erhältlich. Angeblich erhielt der Sammler 5 Guldenpro Kilogramm (KUNDEGRABER 1963: S. 68ff). Früherwurde es auch als sogenannter wilder Weihrauch be-zeichnet (WILHELM 1811: S. 215). Ende des 18. Jahr-hunderts Waldrauch („Waldrauch sein Stücklein vonTannenhartz“ SCHRÖDER 1748: S. 1818) genannt, konn-te man es nicht nur zum Räuchern, sondern auch „zuPflastern und Wachsstöcken gebrauchen“ (ANONYMUS

1775: S. 251).

Die niederösterreichische Entwicklung in der Nachkriegszeit

Unter den in der niederösterreichischen Waldwirt-schaft bedeutsamen nebenerwerbsmäßigen Tätigkeitenkommt dem Sammeln bzw. dem Gewinnen von Amei-senpuppen, fälschlich als Ameiseneier bezeichnet, einebesondere Bedeutung zu (SCHMIDT 1966: S. 260ff). Dertatsächliche geographische Ausübungsbereich dieserSammler, der Ameisler, lässt sich allerdings deswegennicht genau erfassen, weil die für die Genehmigung desPuppensammelns der Roten Waldameise zuständige Na-turschutzabteilung des Landes zwar Ausweise mit denpersönlichen Daten des Sammlers ausstellt, jedoch da-raus nicht hervorgeht, in welchen Landesteilen die Tä-tigkeit dann tatsächlich ausgeübt werden darf (Abb. 4).Allerdings finden sich vereinzelte Ortsangaben in denvorhandenen Akten.

Aus der Zusammenschau der von etwa 1957 bis zumJahre 1974 einsehbaren Akten und der bis zum Jahre1973 rückgegebenen etwa 110 Ausweise ist ersichtlich,dass inklusive der Ende 1974 für das Folgejahr 1975 er-teilten Genehmigungen für das Sammeln der Ameisen-puppen genau 270 Ausweise ausgestellt worden sein müs-sen. 1972 ist die höchste Ausweisnummer der Fangbewil-ligungen für Singvögel die Nr. 272. Allerdings täuschendie Zahlen etwas, da nicht mehr benötigte Ausweise zu-rückgegeben und die alten Nummern an Neuansuchendevergeben wurden, doch dürfte es einen hohen Deckungs-grad bei den Besitzern der Genehmigungen gegeben ha-ben, da ja die meisten Vogelzüchter Ameisenpuppen fürdie Aufzucht ihrer gefangenen und gekäfigten Singvögelbenötigten. – Die Ansuchen für Vogelfang und -haltungsowie zum Sammeln der Puppen wurden vom Zentralver-band für Vogelkunde und Vogelpflege (ÖZV), der inWien seinen Sitz hat, für seine Mitglieder, unterteilt inVerlängerungen und Neuansuchen, gestellt. Danebengab es nur wenige Ansuchen von Nichtmitgliedern.

1969 umfasste der Zentralverband 20 Ortsgruppen,darunter die 5 niederösterreichischen in Mödling, St.Pölten, Stockerau, Wiener Neudorf und Wiener Neu-stadt; die damalige Mitgliederzahl belief sich auf 713.Die größte Wiener Gruppe mit 53 Mitgliedern stellte je-ne der Brigittenau dar, in Niederösterreich standen dieOrtsgruppen Wiener Neudorf und St. Pölten mit eben-falls genau je 53 Mitgliedern an der Spitze.

Was die Aufgliederung der Ansuchen anbelangt,teilen sich diese beispielsweise für das Jahr 1972 in 37Ansuchen der Vogelfänger und 25 der Puppensammler.Letztere gliedern sich in 19 aus Wien und 5 aus Nieder-österreich stammende Personen. In den Nachkriegsjah-ren 1957 bis 1961 gab es jährlich zwischen 80 und 90Ansuchen für das Puppensammeln, im Jahre 1962 wur-de die höchste Anzahl mit 103 erreicht, davon waren 26Neuansuchen.

Aus den persönlichen Daten der rückgestelltenAusweise kann auf einen relativ hohen Prozentsatz vongenau zwei Drittel aus der Bundeshauptstadt stammen-den Ameislern geschlossen werden. Die vorhandenendemographischen Angaben weisen jedoch nur jene Per-sonen aus, die angesucht haben; die Dunkelziffer dervermutlich nur für den Eigenbedarf an Beifutter für diegehaltenen Singvögel Sammelnden war damals undauch heute nicht bekannt. Nur aus zwei mündlichenBefragungen wissen wir, dass die Puppen aus (neben)ge-werblichen Ambitionen gesammelt wurden (B, ST).

Die Geburtsjahrgänge der Sammler liegen zwischenden Jahren 1881 und 1935, wobei es sich ausschließlichum Männer handelt. Eine persönlich befragte Gattin ei-nes Sammlers gab an, ihren Gatten bei der Tätigkeit desPuppensammelns begleitet zu haben (FI), auch die Kin-der wurden vereinzelt mitgenommen. Der Beruf war amBewilligungsschein nicht angegeben, fand sich aber ver-einzelt bei Neuansuchen über den Verband. Das Samme-lansuchen des Jahres 1963 für den Vogelfang gibt aus-nahmsweise bei allen Personen den Beruf an. Es handeltsich bei den 40 Angeführten großteils um Arbeiter, so et-wa Schlosser, Maschinenarbeiter, Spengler, Maurer, Frä-ser oder Hilfsarbeiter, daneben finden sich ein Kaufmann,zwei Tischler- und ein Schneidermeister sowie mehrereBeamte. Die Pensionisten teilen sich in 5 Rentner und 3Beamte in Ruhe. Eine ähnliche Struktur kann auch fürdie Puppensammler angenommen werden. Dazu liegt nurein einziges Ansuchen aus 1971 vor, das von 12 Ansu-chenden bei 8 die Berufsausübung angibt. 5 davon sindPensionisten, die übrigen verteilen sich auf einen Kraft-fahrer, einen Schuhmacher und einen Versicherungsan-gestellten; zwei davon kommen aus Niederösterreich.

Ab dem Jahr 1963 wurden nur mehr wenige Geneh-migungen erteilt, was auf eine Eingabe der Bezirksforst-

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inspektion Zwettl 1962 zurückzuführen ist, die sich da-rüber beschwert, dass im Jahre 1961 Ameisensammleraus Wien in der Gegend von Ottenschlag große Men-gen Ameisenpuppen sammelten und angeblich nachSchönbrunn lieferten. Daraufhin wurden 1963 die Be-dingungen in mehreren Punkten verschärft und die Ver-längerung des Erlaubnisscheines von der Vorlage der Be-willigung des jeweiligen Forstreviers abhängig gemacht.

Das Sammeln von Ameisenpuppen scheint tatsäch-lich lukrativ gewesen zu sein. So wurde bei einer Befra-gung (B) konkret angegeben, dass man sich mit dem sai-sonalen Erlös der verkauften Puppen eines Jahres in den60ern einen Fernsehapparat anschaffen konnte. Wennman nun die Nachkriegssituation und die etwa vier bissechs Wochen zur Verfügung stehenden Ameisenpup-pen bedenkt – ein respektables Ergebnis.

Die Ausweise enthielten auch die genehmigte Men-ge der zu sammelnden Puppen. In den Jahren 1953 bis1959 konnten 35 Liter, 1960 jeweils 30 Liter und 1962ebenfalls 30 Liter aus den Haufen entnommen werden.1963 und 1964, den Folgejahren der Zwettler Beschwer-de, wurde die Menge auf 10 Liter beschränkt. 1965 wur-den auch keine Fangbewilligungen ausgestellt, nur 3Genehmigungen für das Puppensammeln liegen im sel-ben Jahr vor. Interessanterweise wird bei einer Verlän-gerungsbitte (B) angegeben, dass bisher immer eineMenge von „100 St.“ bewilligt worden war.

1966 werden keine Genehmigungen zum Sammelnder Puppen der Roten Waldameise ausgegeben, waswohl auf das Schreiben der Forstlichen Bundesversuchs-anstalt in Schönbrunn desselben Jahres, in dem daraufverwiesen wird, dass durch den Vogelfang das biozönoti-sche Gleichgewicht gestört und durch das Puppensam-meln der Ameisenhaufen zerstört wird, zurückzuführenist. Anfangs 1967 werden zudem die Sammelbewilligun-gen gänzlich eingezogen.

Mit der Begründung des ÖZV, dass einerseits dieMitglieder jahrzehntelang mit großer Hingabe undSorgfalt die gekäfigten Singvögel pflegen und außerge-wöhnliche Erfolge bei der Züchtung von Stieglitz, Gim-pel und Grünfink erzielen, andererseits die Ameisen-haufen des Öfteren von den Waldbesitzern verbranntund hunderte von Litern zu der Aufzucht der jungen Fo-rellen verwendet werden, und man nun gezwungen sei,diese Ameisenpuppen vom Händler teuer zu erstehen,gelingt es im Jahre 1968, 35 Fangbewilligungen wiederzu erhalten. Für das Sammeln von Ameisenpuppen wer-den erstmals 1971 wieder 11 Genehmigungen erteilt.

Zu jenen uns bekannten Waldgegenden, wo das Sam-meln üblich war, gehörte aufgrund von aktuellen Befra-gungen und schriftlichen Hinweisen der DunkelsteinerWald (FI), die Gegend um den Ötscher und um Anna-

berg (B) sowie um Hainfeld im Mostviertel, die Gegendum Gutenstein (A) im Industrieviertel, der GlasweinerWald (FR), der Bereich des Rohrwaldes, um Karnabrunn,Pulkau und Leodagger (R), sowie um Michelstetten (ST)im Weinviertel und Ottenschlag im Waldviertel.

Allerdings kann selbst eine Befragung in den ge-nannten Sammelgebieten zu einem unvollständigenBild führen, wurde doch einerseits von den Befragtendarauf verwiesen, dass, bevor in einem Herrschaftswaldmit dem Sammeln begonnen wurde, zunächst die An-wesenheit des Försters, der in der Regel das Ameisen-puppensammeln als Eingriff in seinen Zuständigkeitsbe-reich betrachtete, erkundet wurde (B), andererseits, wieuns aus dem Raum Stockerau, wo in den GlasweinerWald (bei Ernstbrunn) gefahren wurde (FR), bekanntist, auf gegenwärtige Nachfrage keinem der Förster derdortigen Gutsverwaltungen jemals ein Ameisenpuppen-sammler über den Weg gelaufen war. Dazu wurde be-richtet (R), dass der Österreichische Zentralverband fürVogelkunde und Vogelpflege seine Mitglieder auf dieUnauffälligkeit des Verhaltens bei ihrer Sammeltätig-keit hinwies. Möglicherweise war dies auch mit einGrund, sich in vom jeweiligen Wohnort weiter entfern-te Sammelgebiete zu begeben. Da man dort sozusagen„anonym“ auftrat, also namentlich nicht bekannt war,konnte man auch schwer belangt werden.

Den Kriegswirren entgangen ist allerdings ein Ak-tenstück des Jahres 1943, in dem drei Mitglieder desVorgängerverbandes des ÖZV, alle aus Wien 15, beim

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Abb. 4: Einer derersten nach 1945ausgestelltenErlaubnisscheine fürdas Sammeln derPuppen der RotenWaldameisen aus demRaum St. Pölten.

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Reichsstatthalter in Niederdonau wegen eines Befür-wortungsschreibens bei Forst- und Gutsverwaltungenbezüglich des Sammelns von Ameisenpuppen einkom-men. Angeführt werden darin die Gräfl. Gutsverwaltun-gen Mitterau und Kernhof sowie die Fürstl. Gutsverwal-tung Neulengbach im Mostviertel, die Fürstl. Revierlei-tung Klamm am Semmering, die Gräfl. ForstverwaltungGutenstein, die Schöller’sche Forstverwaltung Hirsch-wang, die Forstverwaltung Stixenstein und die Kloster-verwaltung Mariahilfberg im Industrieviertel, sowie dieForstverwaltung des Stiftes Zwettl und die DeutscheSiedlungsgesellschaft Schwarzenau im Waldviertel. AlsBegründung enthält das Empfehlungsschreiben „unterbesonderem Hinweis auf die kriegsbedingte Not an Vo-gelfutter für Weichfresser.“ In den vorhandenen Unter-lagen der Naturschutzabteilung fanden sich lediglichzwei auf den Bereich Annaberg bezogene Genehmigun-gen von Grundbesitzern vom Beginn der 60er Jahre so-wie die Einzelbestätigung einer Gemeinde.

Vogelzucht und Ameisenpuppen

Die Ameisenpuppen wurden zur Verfütterung an Fi-sche, Fasane und an die gekäfigten Singvögel, die diebedeutendste Gruppe der Nutzer waren, verwendet.

Vogelfang und Domestizierung von Singvögeln wur-den bereits in der Antike ausgeübt. Aus der im Dienstder Adeligen stehenden Vogelstellerei entwickelte sichein eigenes Gewerbe. In Wien-Gersthof waren noch imausgehenden 19. Jahrhundert Vogelfänger aktiv (WOLF

2006: S. 98). Bei der Namensgebung des OttakringerOrtsteiles (Neu)Lerchenfeld besagt eine Vermutung,dass einst auf den Feldern dieses Gebietes das Gefolgedes kaiserlichen Hofes dem Lerchenfang gehuldigt ha-ben soll (LEITNER & HAMTIL 2006: S. 95).

Im Vogelfänger spiegelt sich sich auch die ambiva-lente Beziehung des Menschen zur Natur. Sie ist einer-seits gekennzeichnet durch die ökonomische Ausbeu-tung, durch den Versuch ihrer grenzenlosen Unterwer-fung und ihrer Bemächtigung durch Wissenschaft undTechnik. Zum anderen zeigt sie sich als ästhetische Lustan der Landschaft, als sinnliche Erfahrung des Unzivili-sierten oder eben als innigliche Liebe zur Natur (GRIES-HOFER 2006: S. 79).

1438 beschrieb Enea Silvio Piccolomini unter denCharakteristiken der Bundeshauptstadt eine Gewohn-heit der Wiener: „In den Sälen und Sommerstuben hal-ten sie so viele Vögel, dass der, so durch die Stadt geht,wohl wähnen möchte, er sei inmitten eines großen lus-tigen Waldes.“ In der Barockzeit hörte der MinoritGeorg König aus Solothurn „bald in jedem Haus einVögelein…wie Flöten pfeifende Kanari, schwatzendePapageien etc.“ 1789 führt der Reisende Philipp LudwigRöder in seinem Bericht Details über die gezüchteten

Vogelarten an: „In allen Fenstern hängen schöne Käfigemit Nachtigallen, Kanarienvögeln, Gimpeln, Amseln,Lerchen und anderen Singvögeln.“ Im 19. Jahrhundertzählte der Schriftsteller Friedrich Schlögl weitere Artenwie Eulen, Finken und Stieglitze auf, wobei er bei derNachtigall – die immer wiederum als besonderer Lieb-ling der Ameisenpuppen genannt wird – die beliebteböhmische, die rote polnische und die gemeine kroati-sche Nachtigall unterschied. 1844 sah der „Hans-Jörgel“auf dem Vogelmarkt Steinrötel, Finken und Spottvögelsowie Vogelfänger mit 200 Nachtigallen (WOLF 2006: S.99f).

In der Barockzeit befand sich der Vogelmarkt in deroberen Bräunerstrasse beim Michaelerdurchgang, in derInnenstadt, doch gab es auch andere in der Stadt und denVorstädten, so einer beispielsweise hinter der Neuler-chenfelder Kirche, sowie Händler mit fixen Verkaufsstän-den bzw. wandernde Vogelkrämer, die oft von weitherSingvögel nach Wien brachten (CZEIKE 1997: S. 547).

Unter den Vogelarten, für die die Puppen gesam-melt wurden, ist die Nachtigall die am häufigsten ge-nannte. So vermerkt das Handrapular des Propstes desStiftes Herzogenburg, dass er am 13. Jänner 1785 seinemBedienten „die auslagen auf Ameißeyer für Nachtigal-len“ in Höhe von 6 fl 45x ersetzte (STH). Im Vergleichdazu: der Tageslohn eines Maurers im Sommer betrugdamals 24x.

In den Unterlagen der NÖ Naturschutzabteilungwerden vereinzelt die Vogelarten angeführt. 1943 wirdauf die Notwendigkeit der Ameisenpuppen wegen derkriegsbedingten Not an Vogelfutter für die Weichfresserverwiesen, im Jahre 1966 werden die Weichfutterfressergenannt, aber auch „Waldvögel“. Im Schreiben desÖZV von 1969 ist die Rede von der Mönchsgrasmückeund dem Gartenlaubsänger, für deren Fütterung man diePuppen benötigt, ebenso wie ein Privater argumentiert,dass er diese für die Rettung von aus dem Nest gefalle-nen Vögeln wie Mauersegler, Amseln, Hänflinge oderBachstelzen brauche. Eine Gewährsperson aus Herzo-genburg verweist ebenfalls auf die Notwendigkeit beider Aufzucht von den in ihrem Garten – oftmals nacheinem Gewitter – aus dem Nest gefallenen Jungtieren,die die Puppen als Leckerbissen betrachteten. Diesewurden zuerst „gegatscht“ und ihnen dann mit einemkleinen Löffel verabreicht. Bis zu einem Alter von etwa5 Jahren wurden ihnen die Puppen gegeben, ebensowurden sie von den Weichfutterfressern wie Gartengras-mücke und Gartenrotschwänzchen gerne angenommen(FI).

Der persönlich jahrzehntelang in der Singvogel-züchtung tätige Stockerauer Walter Ranzenhofer gibtden Gelbspötter als wichtigsten Puppenfresser an, als

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Beifutter wurden die Puppen an das Schwarzplättchenund den Buchfinken gegeben. Die Nachtigall erhielt ge-mischtes Weichfutter und die Puppen als Beigabe in derSchlagzeit (R).

Auch die Kanarienvögel wurden damit gefüttert,wofür die von W.A. Mozart 1789 an seine in Baden aufKur weilende Gattin gesandten „Ameiseyer“ als Beispielstehen (BAUER & DEUTSCH 1971: S. 96). In der FamilieMozart zählten Singvögel ja zu den beliebten Hausge-nossen (GRIESHOFER 2006: S. 80). Ihre volksmedizini-sche Verwendung ist für Constanze Mozart deswegeneher auszuschließen, da sie an einem offenen Fuß litt(NEUMAYR 1992: S. 77), wogegen Anwendungsmöglich-keiten durch Heilmittel mit Ameisenpuppen nicht be-kannt sind.

Schon 1775 heißt es: „Ihre Puppen oder fälschlichso genannten Eyer, sind das beste Futter für junge Fasa-ne, Nachtigallen und andere Vögel“ (ANONYMUS 1775:S. 251), auch Spechte fressen sie sehr gerne (WILHELM

1811: S. 217). In größerer Menge wurden sie für die inder Barockzeit besonders gepflegten Fasanerien benö-tigt. Nach den Angaben des ehemaligen Försters desStiftes Lilienfeld brauchen die Jungfasane während derAufzucht diese Puppen als Eiweißlieferanten dringend,fehlen sie, überleben die Küken bei feuchtem Wetterkaum (W). Mit frischen Ameiseneiern fütterte manauch junge Hühner (KUNDEGRABER 1963: S. 68). – Alsbevorzugte Fischart beim Verfüttern der Ameisenpup-pen werden die Forellen angeführt.

Ameisenpuppen „von 5 bis 24 Groschen per Seidelvariiert“ (GUGITZ 1958) erhielt man auf dem Vogel-markt, wo auch Utensilien wie Käfige, Netze oderMehlwürmer in Schachteln zu erwerben waren. Noch1890 wurden die Ameisenpuppen im Böhmerwald vonden Sammlern an die „Vögelnarren“ ebenfalls „seitel-weise“ verkauft (KAPFHAMMER 1968: S. 143). 1889 be-fand sich der zum „kleinen Taubenmarkt“ gewordenefrühere Vogelmarkt vor dem Linienwall in Neulerchen-feld, bevor der Singvogelmarkt „aus tierfreundlichenRücksichten“ für immer schloss (WOLF 2006: S. 101).

Die Tätigkeit des Ameisenpuppenhändlers scheintauch in den früheren Jahrhunderten ein ertragreichesGeschäft gewesen zu sein. Anders ist es nämlich nichterklärlich, dass im Mai 1756 Leopold Wagner in Baden„bürgerlicher Hauer und Vogelfänger alhir, priv. OmeysAyer Handler alhir“, der dem sogenannten Holländer,„Inwohner alhier“, die in Ungarn gesammelten undnach Baden gebrachten Ameiseneier wegnahm, diesezurückgeben musste. Auch mit anderen volksmedizini-schen Produkten wie Pillen, Balsamen, Geistern, Ölenusw. ließ sich von umherwandernden Händlern undHausierern, die vor allem aus Tirol und dem eben ge-

nannten Ungarn kamen, gutes Geld machen (PROBST

1992: S. 73). Vielleicht war die Konkurrenzsituation einJahrhunder später – zumindest in Neulerchenfeld –nicht besser, denn dort hatten die Händler Problememit dem Erbringen der Erwerbssteuer. So war die„Ameiseneyerhändlerin“ Katharina Koch für die Jahre1826 und 1827 mit 10 ½ Gulden im Jahre 1834 nochimmer im Rückstand und eine vom Ende des Jahres1835 ausgestellte „Tax-Note“ für den ebenfalls dort an-sässigen Ameisenhändler Johann Zwiener für 1834/35in Höhe von 12fl und 25x“ sollte „binnen 8 Tagen beisonstiger Pfändung“ bezahlt werden (STK).

Die Ameise in der Volksmedizin

Geschichte der Volksmedizin und ersteAnwendungen der Ameisen

Auch wenn der erstmalig 1641 erschienene „Artz-ney-Schatz“, eine Arzneimittellehre des Arztes Schrö-der, festhält, dass man „Die Ameisen, die Eyer, denHauffen“ in der Apotheke erhält (SCHRÖDER 1748) undab 1320 die ersten in Wien und nur kurze Zeit später dieerste niederösterreichische in Krems bestanden habendürften (GANZINGER 1991: S. 504), reicht das Sammelnund Anwenden von Ameisen in der Volksmedizin zwei-fellos weiter zurück.

Dass man diese tatsächlich auch in den niederöster-reichischen Apotheken erhielt, belegen Aufzeichnun-gen in Kalendern, die schon immer für die Volkskundeund in diesem Fall speziell für die Volksmedizin bedeut-sam waren. Solche liegen uns auch aus dem Besitz desbedeutenden barocken Propstes Hieronymus Übelba-cher des Augustiner-Chorherrenstiftes Dürnstein vor.So vermerkte er darin Bezahlungen für das erste Halb-jahr 1729 an Josef Karl Fux „wegen pflaster ... pro mewegen rosoli, dan wegen amesayr, so er den 12., 19. und21. Junii erkaufft.“ Fux war Apotheker am HohenMarkt in Krems. Bereits 2 Jahre vorher nannte derPropst Ausgaben in Höhe von 18 kr. für „Amaßayr pri-ma vice in der kleinen schachtl.“ – Unklar ist allerdings,ob die Puppen medizinisch verwendet wurden oder fürdie sicher auch an die in Dürnstein in Volieren gehalte-nen Singvögel verfüttert wurden (STH); die Abpa-ckung in einem Schächtelchen dürfte wohl eher aufheilkundliche Verwendung hindeuten.

Diese genannten Beispiele können vermutlich alsheilkundige Hinweise aufgefasst werden und zählen so-mit, insofern das weitergegebene Wissen dem eigenenoder fremden Erfahrungsschatz entnommen wurde, zurErfahrungsmedizin. Erfahrungsmedizin und Zauberme-dizin bildeten seit eh und je die Volksmedizin. Mit demAufkommen der Schulmedizin oder der wissenschaftli-chen Medizin stellten sich zwischen ihr und der Volks-

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medizin Beziehungen ein, in dem diese manches aus derSchulmedizin übernahm, es entweder als reine Erfah-rungsmedizin ausübte oder mit Motiven der Zauberme-dizin verband und in dieser Richtung weiterbildete(GRABNER 1991: S. 371).

An erster Stelle der Anwendung steht natürlich dieSelbstbehandlung innerhalb der Hausgemeinschaft, dieaber schwer greifbar ist, da es sich um die Bewältigungdes alltäglichen Lebens handelt, über die es kaum unmit-telbare schriftliche Quellen gibt (PROBST 1992: S. 46).

Die wichtigste heilkundliche Versorgungsinstanzaußerhalb des Hauses waren für die Landbevölkerungund wohl auch für viele Angehörige der städtischenUnterschichten die Laienbehandler, bei denen es sichum nebenberufliche Gelegenheitsheiler in der Dorfge-meinschaft ebenso wie auch um renommierte Diagnos-tiker und Therapeuten handeln konnte, die im weiterenUmkreis wirkten (WILKE 1989: S. 123f).

Über die Anwendung bzw. Verwendung in derVolksmedizin kann jedoch nur ein Überblick gegebenwerden, da es sich um ein sehr weites Gebiet handelt.Bedauerlicherweise steht mit wenigen Ausnahmennoch keine Aufsammlung niederösterreichischer volks-medizinischer Verwendungen zur Verfügung, sodassgroßteils weiter ausgegriffen werden muss, wozu nochkommt, dass viele Heilanweisungen nicht näher räum-lich zuordenbar sind oder sich sehr ähneln. Ebenso kannnur selten die zeitliche Einordnung getroffen werden.

Obwohl sich vor allem die Menschen all dieser mitden Ameisen zusammenhängenden Produkte bedien-ten, wissen wir auch von einem frühen literarischenBeispiel einer tierischen Anwendung aus dem erstennachchristlichen Jahrhundert. So berichtet Plinius inseiner Naturalis historia von einem kranken Bären, dersich nach einer Pflanzenvergiftung von den Ameisen le-ckend behandeln ließ. Doch auch ein Rezept für den anSkrophulose und ähnlichen Krankheiten leidendenMenschen lässt er uns bereits wissen – er empfiehlt die-sem einen Umschlag mit der Erde des Ameisenhaufens(KLACAR 2008: S. 14).

Eine der vielleicht frühesten Anwendungen kennenwir aus der arabischen Welt des Mittelalters. Verschie-dene Ameisenarten wurden mit Essig verrieben gegenAussatz und mit Öl angesetzt als Aphrodisiacum ver-wendet. Solches Öl, Oleum Formicarum Nicolai, istvom 16. bis zum 18. Jhdt. offizielles Aphrodisiacum(SCHNEIDER 1968: S. 12).

Auf den Einfluss der arabischen Medizin auf dasAbendland hinzuweisen, ist deswegen unabdingbar, weiles hier immer wieder enge medizinische Beziehungengab. Es war unter anderem die Schule von Salerno, der

erste Kristallisationspunkt wissenschaftlicher Medizin,an der Constantinus Africanus als großer Übersetzermedizinischer Schriften aus dem Arabischen tätig war.Auch die Welle der Übersetzungen aus dem Arabischendes 12. und 13. Jahrhunderts brachte für den Bereichder europäischen Medizin eine Überfülle an neuemWissen (MAZAL 1991b: S. 250ff).

Mit Hildegard von Bingen († 1179) tritt nun erst-mals eine namentlich, heute wieder sehr bekannte heil-kundige, dem geistlichen Stand angehörende Personauf, deren Werk man der Volksheilkunde insofern zu-ordnen kann, als es sich bei ihr ja um keine Ärztin han-delt. Gleichwohl bedarf ihr in den letzten Jahren als„Hildegardmedizin“ bezeichnetes wieder entdecktesWissen und deren Anwendung einer kritischen Be-trachtung. Wesentlich ist ihr ganzheitliches Menschen-bild und die Darstellung der Ursachen sowie der Be-handlung der Krankheiten, die nicht auf eine visionäreSchau zurückgehen, sondern auf natürliche Erkenntnis,eigene Beobachtung und auf volksmedizinische Erfah-rung (ROTH 1992: S. 223).

In ihrem „Mystischen Tier – und Arzneyenbuch“findet sich zur Ameise: „Wer im Kopf und in der Brustverschleimt ist, der nehme einen ganzen Ameisenhau-fen samt den Ameisen und koche ihn in Wasser, schüt-te dieses über einen heißen Stein und inhaliere denDampf durch Mund und Nase fünf- bis zehnmal und derSchleim in ihm wird sich vermindern“ (KLACAR 2008:S. 15).

Auch Hildegard von Bingen weist sich als Kind ih-rer Zeit aus, wenn sie bemerkt: der, der die überflüssigenSäfte in sich hat, „soll einen Ameisenhaufen mitsamtden Ameisen in Wasser kochen; er soll sich daraus einBad bereiten für den ganzen Körper außer für den Kopf.Für diesen ist das Wasser zu stark, so dass er daran Scha-den nehmen könnte. Häufige Bäder in solchem Wasservertreiben die Gicht“ (SCHIPPERGES 1985: S. 122). DerHinweis Hildegards auf die überflüssigen Säfte beruhtauf der Humoralpathologie von Hippokrates, nach demGesundheit die richtige Mischung der vier Kardinalsäf-te ausmacht (MAZAL 1991a: S. 240).

Hier wird bereits auf eine der bedeutendsten Krank-heiten, die Gicht, die im Mittelalter ja auch wohl amhäufigsten diagnostiziert wurde und die man dem For-menkreis der rheumatischen Beschwerden anschloss,verwiesen (SCHIPPERGES 1985: S. 121).

Dann fährt Hildegard fort: „Wer an Skrofeln leidet,der streiche Hühnerkot auf ein grünes Eichenblatt, legeAmeiseneier darauf und lege das ganz warm öfters aufdie Skrofeln auf und sie werden schwinden. Wer aberzürnt und gedrückt ist, nehme noch junge Ameisen, de-nen die Eier noch anhängen, gebe sie in einen Beutel

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und wenn er sich beschwert fühlt, lege er sich denselbenso lange aufs Herz, bis er in Schweiß ausbricht und erwird wieder fröhlichen Mutes werden und einen freienKopf bekommen“ (KLACAR 2008: S. 15). – Auffällig da-bei ist die Anführung des Hühnerkotes, das zum Bereichder sogenannten Drecksmedizin zählt, wie sie dann spä-ter im Jahre 1714 durch den Eisenacher StadtphysikusPaulini zusammengestellt wurde. Der Glaube an dieHeilkraft des Kotes hatte früher ja allenthalben Geltung(GRABNER 1997: S. 30). – Bei der zweiten Heilanwen-dung wird erstmals die Behandlung eines seelischen Lei-dens, die Mutlosigkeit oder Bedrückung, angesprochen.Dass hier auch die seelischen Befindlichkeiten genanntwerden, ist auf die im Mittelalter den ganzen Menschenbetreffende Sorge-Haltung zurückzuführen (SCHIPPER-GES 1985: S. 209).

Im 15. Jhdt. entstanden die ersten allgemein gülti-gen Arzneibücher, die allerdings handgeschrieben wa-ren. Da diese durch das häufige Abschreiben unver-wendbar wurden, verfassten Ärzte und andere GelehrteRezeptbücher. Natürlich handelte es sich bei den vonMedizinern geschriebenen Büchern nicht um der Volks-medizin zuzuzählenden Werken, doch wäre es unrichtig,nicht auch deren Wechselseitigkeit zu betonen. In diedeklarierten medizinischen Arzneibücher floss ebensoNaturheilwissen ein, wie dieses Wissen auch von dortausging, wenn es beispielsweise modifiziert angewendetwurde. Der Apotheker stand ohne Zweifel mit demKräuterweib, das ihm Heilpflanzen lieferte und das esnach seinem Wissen für volksmedizinische Behandlun-gen verwendete, in Kontakt, wie ihm etwa auch dieAmeisenpuppen von jenen angeboten wurden, die da-mit ihre eigenen Anwendungen praktizierten (BAUTIER

1991: Sp. 1830).

Daher ist es mehr als legitim, auch auf die in diesemZusammenhang bedeutsamen Werke von Ärzten oderApothekern hinzuweisen, wie etwa auf die um 1460 er-schienene „Wündärznei Heinrichs von Pfalzpaint“, wo-rin die Ameisen als hyperämisierendes Mittel fungieren.Wiederum beschreibt dieser die Herstellung eines Badesmit Ameisen, die in einen Sack gebunden und in einemgroßen Kessel mit soviel Wasser zum Sieden erhitzt wur-den, wie später für das Bad benötigt wurde. Auch zerklei-nerte Pflanzenteile von Käsepappel, Dost, Betonie, An-dorn, Efeu, Immergrün, Beifuß, Frauenmantel und Rot-weide werden – soweit verfügbar – dem Badeansatz zuge-setzt. Nach dem Erhitzen und dem stetigen Wiederauf-füllen mit Wasser wird der Ameisensack leicht ausge-drückt und im so erhaltenen Sitz- oder Liegebad soll sichder Kranke ein bis zwei Stunden aufhalten. Begrenztwird die Badedauer und Eintauchtiefe durch ärztlicheÜberwachung der Herzleistungsfähigkeit. Daneben legtman dem Patienten eine feuchte Bähung, deren Extrakt

aus Käsepappel und Frauenmantel hergestellt wird, aufdie schmerzende Stelle. Das Formentum wird nach demAbkühlen ständig erneuert. Bei einer Herzschwäche solldas Badewasser nur den Nabel erreichen; der restlicheKörper wird mit einem feuchten Tuch bedeckt, damitein Schutz vor Erkältung gegeben ist. Das Bad wird so-lange fortgesetzt, bis eine Besserung eingetreten ist. An-schließend kann eine Harnschau durchgeführt werden,um den Therapieerfolg zu überprüfen. Die Haltbarkeitdes Bades wird mit vier Wochen bei Aufbewahrung ineinem Kessel angegeben (KLACAR 2008: S. 16).

Das immer wiederum empfohlene Bad hängt sicher-lich nicht nur mit der Heilkunde Hildegards von Bin-gen, sondern auch mit der im Mittelalter noch immerdominanten antiken Humoralpathologie zusammen,nach der die empfohlenen Schwitzprozeduren eine derHeilmethoden zur Harmonisierung der Körpersäfte dar-stellten (SCHADEWALDT 1991: S. 285). Schon ein Jahr-hundert vorher weist ein berühmter arabischer Arzt aufdie Vor- und Nachteile des Badens hin: Das Bad öffnetdie Poren und leitet die überflüssigen Säfte ab, weiterlindert es die Schmerzen in den von der Gicht ausge-dörrten Gliedern (SCHIPPERGES 1985: S. 234).

Waren es bisher vor allem die äußeren Anwendun-gen wie Bäder, wird nun auch aus einer Prozedur mitAmeisen eine Flüssigkeit zur Beruhigung der Augen be-kannt. So heißt es in einem Arzneibuch des 16. Jhdts.:„Nim einen zerbrochnen hafen, schmiere den ein wenigmit Honig und begrabe ihn in einem Ameißhauffen, lasihn vber nacht darinnen liegen, des morgens grabe denhafen aus dem hauffen und bedecke ihn wohl, das dieAmeissen darinnen bleiben, vbergeuß ihn mit kaltemWasser vund thue es in einem helm vund brenne wasserdaraus. Das ist das beste wasser zu roten und sonst hitzi-gen augen, es kühlet auch gar sehr hitzige wunden“(JÜHLING 1900: S. 85).

Das 16. Jahrhundert ist auch jener Zeitraum, in demdie erste Pharmacopoe 1581 in Augsburg erscheint. Ineiner 1908 erschienenen Zusammenstellung dieser wirderstmals eine Übersicht der animalischen Arzneimittelvon 1602 bis 1907, in der auch die Ameise ausgewiesenwurde, geboten. Die erfolgte Dreiteilung in Ameisen-haufen, Rothe Ameise und Ameiseneier erlaubt nunauch eine klare Trennung der Indikationen. Demnachwerden vom Beginn der in Österreich in Wien ab 1729gedruckten Dispensatorien die Ameiseneier bis 1765und die Ameise bis 1907 angeführt, der Ameisenhaufenfindet sich nur in jenem von 1794. Aus dem Ameisen-haufen mit den Ameisen wird der Ameisengeist destil-liert (Abb. 5), ebenso wird dieser nur aus den Ameisenhergestellt, wozu noch das durch Kochen der Ameisenin Olivenöl entstandene Ameisenöl zählt.

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Die Ameiseneier wurden demnach zur Herstellungvon Aqua acoustica und Essentia acoustica verwendet.Sie „taugen zum üblen Gehör“, ebenso der in Baumwol-le getränkte Ameisengeist. Er ist auch für den Magengut, stärkt alle Sinne und das Gedächtnis, macht die„feigen Kämpfer im Venus-Kriege behertzt“ und wird alsschlag- und herzstärkendes Wasser genommen, vor-nehmlich in „Catarrhis suffocativis“. Die Dosis ist einLöffel. Äußerlich wird er gegen das laufende Zipperleinangewendet, in „verdreheten Gliedern“, im „Schlageund Atrophia particulari, so von einer empfangenenWunden entstanden.“ 1729 diente der Ameisengeistvermischt zur Essentia aphrodisiaca, 1908 nur mehr alsAntirheumaticum. Das Ameisenöl „tauget zum Bey-schlaffen“, der Spiritus aber ist besser dazu. Beim ausdem Ameisenhaufen destillierten Ameisengeist ist kei-ne direkte Indikation angegeben, doch ist die rheumati-sche Anwendung wahrscheinlich (WINKLER 1908: S.14f).

Dass die Anführung in den Pharmacopoen als Be-zugspunkt für die Volksmedizin und umgekehrt wesent-lich ist, zeigt beispielsweise die nur in einer Ausgabe ge-nannte Verwendung des Ameisenhaufens, womit auchder Volksmedizin ein zeitlicher, schriftlich fixierter An-satz gegeben ist.

Noch bis zur Zeit um 1900 zog der „Amasdoctor“(Abb. 6) in den Sommerfrischen im Umland Wiens he-rum und bot neben dem Enzianschnaps seinen berühm-ten „Amasgeist“ (Ameisenspiritus), der zu Einreibungenbei gichtischen und rheumatischen Leiden benutzt wur-

de, und die „Amastinktur“, die eine ähnliche Verwen-dung hatte, an (MAYERHOFER 1898). Den „Amasgeist“setzte er bereits im Frühjahr an, wobei er die eingesam-melten lebendigen Ameisen in eine Flasche gab, siedann mit Spiritus übergoss und an der Sonne destilierenließ. Während die Behörde seine Tätigkeit nicht beson-ders schätzte und ihn wegen seiner „Kurpfuscherei“schon mehrmals belangt hatte, blieb der Verkauf vonAmeisen für Ameisenbäder unbeanstandet.

Anwendung des Ameisenhaufens

Der schon früh bei Hildegard genannten Indikationeiner Verschleimung und dem gegen die Gicht zuberei-teten Bad aus dem Material des Haufens folgte die An-führung eines im 15. Jhdt. aufgezeichneten, mit einemPflanzenzusatz angereicherten Bades gegen die Hyper-ämie. Es wird dann eine Angabe aus einem bayrischenArzneibuch angeschlossen, wobei die Ameisen und derHaufen diesmal mit kaltem Wasser übergossen wurden,um anschließend das Wasser zur Behandlung „zu rotenund sonst hitzigen Augen“ und zur Kühlung von Wun-den zu „brennen“ (JÜHLING 1900: S. 85).

Damit wird das volksmedizinische Prinzip angedeu-tet, wonach das Entgegengesetzte heilkräftiger ist als dasGleiche oder Ähnliche (JUNGBAUER 1934: S. 88).

Einen Einblick in die verschiedenen Indikationengibt das 1748 wieder aufgelegte, 1641 erstmals erschie-nene, außergewöhnlich umfangreiche Arzneimittellehr-buch Schröders: „Der Hauffen wärmet und trocknet,stärcket die Nerven, dahero gebrauchet man ihn im Zip-perlein, der Gicht, den Mutter-Beschwerden, der Ca-chexie, wenn man sich mit wäschet.“ Die Zubereitungdes Bades geschieht wieder mit einem Sack, den manmit dem Sammelgut nicht zu lang im Wasser kocht.Verwendet wird es gegen starkes Ischias und als Fußbadbei vom „Schlage gerührete Füsse“ (SCHRÖDER 1748: S.1817f).

Hieraus ist bereits zu ersehen, dass die Anwendun-gen gegen die Gicht, die als Sammelbegriff einer Viel-heit von Krankheiten steht, die oft schwer auseinander-zuhalten sind, offensichtlich in der Überzahl sind(GRABNER 1997: S. 55). Der Ameisenhaufen wird eben-falls sehr häufig dazu verwendet, um auf verschiedeneArt und Weise Krankheiten abzuleiten, wobei er sozusa-gen zwischen Tier und Pflanze steht, da er sich ja auspflanzlichen Bestandteilen zusammensetzt.

In der beliebten, 1843 erschienenen, als Hausbuchverwendeten „Volksmedicin“ des Arztes Georg FriedrichMost, ist ebenfalls die bekannte einfache Anwendung,über Nacht ein Stück Leinwand in einen Ameisenhau-fen zu legen und damit den leidenden Teil zu umwickeln,gegen Gliedergicht angeführt (MOST 1843: S. 9).

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Abb. 5: Apotheken-Standflasche mit

Signatur SPIR.FORMICAR.

(Ameisenspiritus) um1880, Landschafts-

Apotheke Horn.

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Gegen den „reißenden Fluß“ kocht man ein Säck-chen mit „Ameisenhaufen“ und umwickelt die „reißen-den Glieder“ (Podagra) damit. Ähnlich wie beim Fieberoder den Fraisen wird hier bei der Krankheit, die sich inheftigen, furchterregenden Anfällen äußert, nach den äu-ßeren Symptomen eine Einordnung in eine primitiveSystematik versucht. Als Urheber der Podagra, aber auchder Darmgicht oder roten Ruhr wurde übrigens der schäd-liche Einfluss des Mondes angesehen (GRABNER 1997: S.131). Dem Gliederreißen oder dem „kalten Fluß“ wirdhier wiederum die Anwendung durch Wärme entgege-gengesetzt (HOVORKA & KRONFELD 1909: S. 284).

„Für einen blöden Kopf“ soll man einen Ameisen-haufen in einem Sack sechs Stunden in Wasser kochen,„alsdann auf Flaschen ziehen und an der Sonne destil-lieren“, um damit den Kopf zu waschen. Wenn dieSchmerzen besonders stark sind, so „thue man Eselsblutdaran und bade darauf in der Mischung“ (JÜHLING 1900:S. 85f). Bei Lonicerus wird Eselsblut mit Wein vermengtetwa gegen Wassersucht eingenommen, nicht empfoh-len wird es gegen das „Haupt-Wehe“ (LONICERUS 1770:S. 594f).

Gegen Gicht und Galle hilft ein mit Wasser desti-lierter Wacholderschwamm, wenn das Präparat zuerst indie Sonne gestellt wird und dann in einen Ameisenhau-fen (JÜHLING 1900: S. 87).

Zu den magischen Heilpraktiken zählt die Übertra-gung von Krankheiten auf Menschen, Pflanzen und Tie-re, wobei auf letztere am häufigsten übertragen wird.Dabei handelt es sich um eine Art Transplantation, dienach antiker und paracelsischer Anschauung auf demMagnetismus beruht (GRABNER 1997: S. 232ff).

Diese Übertragung auf Tiere ist weit verbreitet, auchdie gegenteilige Praxis, dass Ameisen in wohlverschlos-senen Gefäßen eine Zeitlang in einen Ameisenhaufengestellt werden, um ihre medizinische Wirksamkeit zuerhöhen, zählt dazu (LAMMERT 1869: S. 31f), woranauch jene ältere Anwendung anzuschließen ist, dieempfiehlt, dass der Kranke ein Ei in den Ameisenhau-fen legen und danach essen soll, um zu gesunden. DieserGlaube ist beispielsweise in Sachsen sehr verbreitet, wo-mit auch die dortige Warnung, Gegenstände bei oder ineinem Ameisenhaufen nicht zu berühren, zusammen-hängt (JÜHLING 1900: S. 86).

Gegen Zahnschmerzen soll mit dem kranken ZahnBrotrinde gekaut und diese auf einen Ameisenhaufengespuckt werden. Der Erkrankte soll dann, ohne sichumzublicken, nach Hause gehen (JÜHLING 1900: S. 86).

Nicht nur um die Krankheitsableitung allein geht esbei der Empfehlung, seinen eigenen Harn bei Gelbsuchtvor Sonnenaufgang in einen Ameisenhaufen zu lassen

(JÜHLING 1900: S. 86). Hier wurden verschiedene magi-sche Praktiken miteinander verwoben. Zum einen soll-te durch das Harnen die Krankheit in den Ameisenhau-fen abgeleitet werden. Zum anderen spielt in der Volks-medizin der Analogiezauber – Gleiches mit Gleichem –insofern eine Rolle, als die Farbe des Harns Bezugnimmt auf den Namen der Krankheit, die sie durch dieintensive Gelbfärbung der Haut bzw. des Gesichts erhal-ten hat (GRABNER 1997: S. 93). Dazu musste noch dasGebot, die Handlung vor Sonnenaufgang zu tätigen –wie sich das bei vielen volksmedizinischen Praktikenfindet – befolgt werden (GRABNER 1997: S. 241).

Wurde als Krankheitsursache ein böser Zauber ange-nommen, so kann dieser auch dadurch vom Krankenweggenommen werden, dass man einer weißen oderganz schwarzen Henne ein noch warmes Ei wegnimmt,über „dasselbe hinab in ein neuglasiertes Häfelchenharnt“ und dann das Ei darin bis auf die Hälfte des Was-sers sieden lässt; dann wird der Urin in abwärts fließen-des Wasser geschüttet, das ein wenig geöffnete Ei aber inden Ameisenhaufen eingegraben, sodass die Ameisendavon fressen können. Sobald diese das Ei verzehrt ha-ben, „wird dem nothleidenden Menschen geholfen

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Abb.6: Der SteirerDocter, im Ill. WienerExtrabl. 1898 als„Amasdoctor“bezeichnet; ZeichnungJohannes Mayerhofer,datiert 1898,Rollettmuseum Baden.

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sein“ (LAMMERT 1869: S. 153). Dass fließendes oder ab-wärts fließendes Wasser Krankheiten – insbesondere isthier vom Fieber die Rede – hinwegspülen soll, ist einein der Volksmedizin stark verankerte Anschauung(GRABNER 1997: S. 23).

Ebenso mit dem Sieden eines Eies im Urin desKranken hat eine weitere Anwendung gegen die Gichtzu tun, bei der das Ei anschließend wieder in den Amei-senhaufen vergraben wird. Dass sich der Kranke dannmit dem eigenen, noch warmen Urin einreiben soll(FOSSEL 1885: S. 166f), weist auf die Beliebtheit desUrins als bereits seit der Antike verwendetes Heilmittelhin, das sowohl äußerlich als auch innerlich, so gegenMagenschmerzen und Fieber, verwendet wurde (GRAB-NER 1997: S. 47).

Ebenfalls als Mittel gegen Fieber gibt man 77 Erbsenin einen Topf und in diesen muss der Kranke urinieren.Das Geschirr wird darauf von den Angehörigen desKranken in einen Ameisenhaufen eingegraben, um dasFieber dadurch in diesen abzuleiten (JÜHLING 1900: S.87). Die Verwendung der Zahl 77 ist nicht zufällig, wirddoch dadurch auch der äußere Zusammenhang zu denweitverbreiteten Vorstellungen, dass es 72, 77 oder sel-tener 99 Fieber sind, die den Menschen bedrängen,sichtbar (GRABNER 1997: S. 23).

Es existieren auch noch andere in den Bereich desAberglaubens zu zählende Mittel: Wer den Ameisen-haufen, aus dem er im Frühjahr die Ameisen das ersteMal auskriechen sieht, dreimal mit der Hand beklopftund diese ebenso oft anriecht, der bleibt während desganzen Jahres vor dem Fieber geschützt (JÜHLING 1900:S. 88).

Auch die Anwendung des Ameisenhaufens bei Tier-krankheiten soll durch ein Beispiel aus Tirol belegt wer-den: So wurde im 19. Jahrhundert gegen die „Ritzigkeit“der Pferde ein Ameisenhaufen in einen Sack gegeben,derselbe in drei „Wässern“ gewaschen, wonach diese zu-sammengegossen und die Ameisen im Sack zerdrücktwurden. Dem Pferd wird nun der Sack über den Kopf ge-zogen, bis es stark schwitzt, dann wird dieser abgenom-men, der Schweiß abgewischt und dem Pferd Wasser insMaul gegossen. „So wird es gesund“ (DÖRLER 1898: S.176). Bemerkenswert ist die Anführung der dreimali-gen, auf alter Zahlenmagie beruhenden Waschung, dereine besondere Kraft innewohnt.

Als gegenwärtige, auf etwa den Zeitraum der letzten20 Jahre zurückgehende Anwendungen des Ameisen-haufens ließen sich für den Bewegungsapparat folgendeMethoden nachweisen: Gegen Rheuma das Auflegeneines Jutesackes mit Teilen des Haufens, der zuvor mitkochendem Wasser übergossen worden war, auch wirddas überbrühte Wasser als Badeanwendung bei Verren-

kungen der Sprunggelenke empfohlen. Gegen Rheumaund Gicht ebenso wie bei Kreuzschmerzen und Ischiasist es hilfreich, das erkrankte Glied in den Ameisenhau-fen zu stellen. – Bei Gürtelrose soll man Teile einesAmeisenhaufens mit heißem Wasser übergießen und da-rin baden (KLACAR 2008: S. 42ff).

Gegen Erkrankungen der Atemwege wie Schnupfenoder Husten atmet man direkt über dem Ameisenhau-fen tief ein, oder atmet aus einem Taschentuch, das manauf den Haufen gelegt hat, indirekt ein (KLACAR 2008:S. 43ff). Aus einer persönlichen Mitteilung einer Ge-währsperson aus dem nördlichen Waldviertel war zu er-fahren, dass diesem letztere Methode von seiner böhmi-schen Großmutter mitgegeben worden war (KN).

Interessant ist die in einigen Ländern Europas nochvor einigen Jahrzehnten gepflogene Usance, mit Spei-chel angefeuchtete kleine Zweige oder auch Strohhalmeauf den Ameisenhaufen zu legen und sich danach dievon den Ameisen mit Säure bespritzte Oberflächeschmecken zu lassen. Diese innerliche Verwendung wirdmit einem Mangel des Vitamins B 1 in Verbindung ge-bracht, dem damit abgeholfen werden soll (RÖMER

1981: S. 49ff).

Die Wirksamkeit der Erde des Ameisenhaufens, des-sen Aufgüsse ja gerne verwendet wurden, erklärt sichdurch die darin befindliche beträchtliche Menge vonAmeisensäure. Die Konzentration der Ameisensäure,die beispielsweise die Waldameise auswirft, beträgt 21bis 71 Prozent (RÖMER 1981: S. 49).

In einer Pharmaocopoe des 16. Jahrhunderts wirdals „Tranck“ gegen die Wassersucht angeraten, denAmeisenhaufen der „roten Roß Ameissen“ in einenneuen Leinensack zu geben und diesen mit einem Kes-sel siedend heißen Wassers zu übergießen. Dieselbe Flüs-sigkeit wird erneut heiß gemacht und wiederum dreimaldarüber gegossen (JÜHLING 1900: S. 85).

Das im Ameisenhaufen gefundene oder beimAmeisln als Nebenprodukt gewonnene Harz half bei al-ten Schäden, d.h. langwierig eiternden Geschwüren. Eswurde in Form eines Pflasters aufgetragen (JÜHLING

1900: S. 86, 321).

Anwendung der Ameise

Für die Verwendung der Ameise in der Volksmedi-zin führt das Handwörterbuch des deutschen Aberglau-bens mehrere Beispiele an; der Ameisengeist aus ge-brühten lebenden Ameisen wird als wirksamstes Mittelgegen die Gicht eigens angezeigt (BÄCHTOLD-STÄUBLI

1987a: Sp. 363).

Die in Oberbayern als Mittel gegen Gelenksrheu-matismus aufgezeichneten Ameisenbäder und Einrei-

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bungen mit Ameisenspiritus sind auch in anderen Re-gionen weit verbreitet (JÜHLING 1900: S. 87).

Aus zumindest der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-derts stammt eine Anwendung gegen chronische Gichtund Gelenksteifigkeit. Hiebei werden zwei Kilogrammder großen Waldameisen mit ihren Puppen in einen lei-nernen Beutel gegeben und mit siedendem Wasser über-gossen. In der durchseihten Flüssigkeit wird nun bei 20bis 30 Grad ein Bad genommen (MOST 1843: S. 9).

Gegen die Gicht werden „rote Ameisen“ auch in ei-nem weißledernen Säckchen auf der Ofenplatte erhitztund zu Umschlägen benutzt (JÜHLING 1900: S. 87).

Ein einziges Mal lässt sich die Anwendung vonAmeisen in Verbindung mit einem Segen nachweisen.Dieser stammt aus Pommern, betrifft die Gicht und lau-tet: „Ach guter Baum, ich klage dir, – die 77 Gichten,die plagen mir: – der erste Vogel, der über dich fliegt –der nehme die 77 unter seine Flügel mit.“ Nachdem derKranke diesen Segen gesprochen hat, reibt er sich miteiner Mischung aus Regenwürmern, Ameisenspiritus,Wacholderbeerenöl und Durchwachsöl, von jedem für 6Pfennige, ein (JÜHLING 1900: S. 140). – Die Verban-

nung von Krankheiten durch Weg- oder Hinschickenmittels Segen oder Gebeten war eine damals durchwegsgängige Praxis (HAMPP 1961: S. 78ff) und wurde nebender Gicht besonders beim Fieber angewendet.

Die Zahl 77, die sich auch oft in der Zahlensymbo-lik der steirischen Fiebervorstellungen findet, bringt da-mit wohl das Übermaß der Krankheit zum Ausdruck.Sie ist eine Zahl, die offensichtlich im gesamten deut-schen Sprachraum in der Krankheitsvorstellung einenfesten Platz einnimmt. (GRABNER 1997: S. 18ff). Mitdem Abbeten des Segens sollte die Gicht auf den nächs-ten vorbeifliegendenVogel übergehen und damit dieHeilung einleiten.

Eine frühe Anwendung aus dem 16. Jahrhunderthilft, wenn eine Frau „ihrer zeitt nichtt rechtt hatt undvorkeltett ist“. Es werden dazu sämtliche Ameisen vomHaufen genommen, in einen neuen Beutel gegeben undin einem Wasserkessel gesiedet, danach in eine Wannegegossen und nochmals mit frischem Wasser zum Siedengebracht, und wieder zum ersten in die Wanne gegossen:Nun setzt man sich bis zum Nabel hinein und legt denSack mit Ameisen hinter den Rücken und schwitzt eine

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Abb. 7: „Artzneybüchel“, datiert 1673, NÖ Landesmuseum.

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Stunde im Bad. Darnach legt man sich ins Bett undschwitzt noch einmal. Diese Behandlung muss eine Wo-che fortgesetzt werden, wobei man nicht „in die luft ge-hen“ soll (JÜHLING 1900: S. 84).

Aus Bayern stammt die eigenartige Aufzeichnung,gegen Unfruchtbarkeit der Weiber, Ameisen in Wasserzu sieden und die Flüssigkeit danach zu Halsbädern zubenutzen (JÜHLING 1900: S. 87).

Als Augenheilmittel werden „Roßameisen“ im letz-ten Viertel des Sommermonats (worunter der Juni ver-standen wurde) gesammelt und in Öl gekocht. DieseAnwendung bezieht sich auf jene Ameisenart, die aufoffensichtlich schon abgestorbenen Bäumen lebt. DasÖl wird in die kranken Augen getropft (JÜHLING 1900:S. 88).

Einfach eingenommene oder zubereitete Ameisensollten vorwiegend gegen Fieber schützen und auch bei„Satt“ helfen (BÄCHTOLD-STÄUBLI 1987a: Sp. 363). Zu-dem empfielt eine in der Steiermark aufgezeichnete An-wendung, um viel Wind lassen zu können, Ameisen zuzerstampfen und in Wasser einzunehmen (FOSSEL 1885:S. 88). Diese Methode ist auch aus Schwaben bekannt(JÜHLING 1900: S. 87).

Überliefert ist auch die Verwendung von Ameisengegen Magenbeschwerden. Dafür lockt man die „GroßeWaldameise“ auf ein mit Zucker bestreutes Tuch, faltetdieses zusammen und presst es aus (POHL-SENNHAUSER

2007: S. 77).

Wieder mit magischen Elementen – und zwar mitZahlen – vermischt ist eine Aufzeichnung aus den stei-rischen Orten Mooskirchen und Köflach einer gegenFieber gerichteten Anleitung, bei der Ameisen (oderAsseln) in ungerader Zahl, meist 7 oder 9, in Wein de-gerirt oder in Milch gesotten und dann eingenommenwerden sollen (FOSSEL 1885: S. 128). Es ist nicht unbe-kannt, dass auch Tiere in der volkstümlichen Fieberbe-kämpfung eine Rolle spielen. Ein mit Branntwein undAsseln angemachtes Mittel gegen Fieber ist ebenfallsaus der Steiermark überliefert (GRABNER 1997: S. 30).

Das System der heiligen Neunzahl, das sich das gan-ze Mittelalter hindurch bis in die Gegenwart in Volks-sprache und Volksglauben erhalten hat und auf die in-dogermanischen Völker zurückgeht, steht hier nebender orientalisch-semitischen Siebenzahl, die dann alsjüdische Sieben in die christliche Kirche eindrang undzur heiligen Zahl in kirchlicher Literatur und Zeremoniewurde (GRABNER 1997: S. 27).

Aus einem im Waldviertel aufgefundenen „Artzney-büchel“ des Jahres 1673 ließ sich ein Rezept „Vor dieEng umb die brust“ finden (Abb. 7). Demnach wurde ½Lot Ameisen, ½ Lot Fenichl, 2 Lot Semmelmehl, 4 Lot

weißer Zucker genommen und „klein gepulvert, unterei-nander gemüscht“, dann mit „Cranawetber, brantweinangeseiht, morgens und abents ehe man schlafen gehet… gedrunkhen, oder gessen“ (ANONYMUS 1673). DerGrundstoff Mehl kommt in den volksmedizinischen Be-handlungen öfters vor, wobei dieses offensichtlich alsArt Bindemittel bei Pflastern, die in der Steiermark ge-gen Rotlauf aufgebracht wurden, verwendet wurde(GRABNER 1997: S. 93ff).

Um ein ganzes Jahr fieberfrei zu sein, soll man in derUkraine im Frühling mit zwei Fingern auf einmal dreiAmeisen vom ersten ansichtig gewordenen Ameisen-haufen nehmen und essen (HOVORKA & KRONFELD

1908: S. 152). Hier wird wieder auf die heilige Zahl drei,der man besondere Kräfte zumisst, angespielt, aber auchdie richtige „Gebärde“ dabei betont.

Im badischen Volksleben des 19. Jahrhunderts be-stand der Glaube, dass unter das Bett gestellte Ameisendas Fieber vertrieben (AUTY 1980: Sp. 363).

Die rezenten Angaben über die Verwendung von so-wohl toten wie lebenden Ameisen beziehen sich wiedersehr stark auf rheumatische Beschwerden. So lässt manlebendige Ameisen über die kranken Stellen laufen,oder legt sie in einem warmen Sack auf die erkrankteStelle auf. Nach wie vor wird der Ameisenspiritus alsHeilmittel dagegen verwendet, auch werden Ameisenin Schnaps eingelegt. Ebenso hilft eine Einreibung beiIschias oder Kreuzschmerzen sowie bei Durchblutungs-störungen. Ameisenspiritus wird auch bei Zahnschmer-zen als Schmerzmittel verwendet.

Ameisenöl wird bei Seh- und Gehörstörungen ange-wandt; auf offene Wunden werden zerquetschte Amei-sen gelegt (KLACAR 2008: S. 43ff).

Anwendung der Puppen („Ameiseneier“)

Heilungsanleitungen mit Ameisenpuppen nehmenin der Volksmedizin einen eher beschränkten Teil ein.Sie standen nicht so wie der Ameisenhaufen oder dieAmeisen ganzjährig zur Verfügung, sondern konntennur in einem kurzen Zeitraum aus dem Ameisenhaufenmühsam entnommen bzw. in einer zeitraubenden Proze-dur ausgesondert werden. Zudem war ihre Haltbarkeit,wurden sie nicht dementsprechend getrocknet, be-grenzt.

Neben der volksmedizinischen Verwendung spielteauch der Eiweißgehalt eine gewisse Rolle. Gegenüberdem Ameisenhaufen fallen auch jene Bezüge weg, diemit Krankheitsableitungen zu tun haben.

Aufgrund der soweit überblickbaren gesammeltenHeilanwendungen entstand der Eindruck, dass die Be-handlung von Ohrenleiden einen besonderen Stellen-

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wert besitzt. Ebenso ist die Anwendung als Augenwasserbekannt, zum „Anwaschen“ bzw. als Salbe gegen denGrind zu verwenden oder „zum Anwaschen“ bei derGicht einzusetzen. Eingenommen sollten sie bei der Ko-lik, beim Erzeugen der „Winde“ oder gegen Fieber hel-fen:

Eine frühe, im Anhang des 1770 wieder aufgelegtenKräuterbuches von Lonicerus, andere aufgezeichneteAnwendung von Ameisenpuppen erfolgte dadurch, dassdiese zu Ohrenwasser destilliert und gegen das Ohren-sausen und um das verlorene Gehör wieder zu erlangendrei oder vier Tropfen in „die Ohren gethan“ wurden(LONICERUS 1770: S. 632). Etwas älter ist die Anleitung,die Puppen in einem Mörser zu zerstossen, sie danachmit Frauenmilch und mit Öl zu „temperir“ und in dieOhren zu träufeln. Das Rezept war gegen die durch ei-nen Sturz verursachte Schwerhörigkeit und das durchplötzlichen Schleimverschluss fehlende Hörvermögengedacht (JÜHLING 1900: S. 84). – Der Einsatz von Frau-enmilch war in der mittelalterlichen Volksheilkundenichts Unübliches (BAUTIER 1991: Sp. 1830).

Auch die durch ein Tuch gedrückten, zerstossenenund anschließend mit Boleisaft vermengten Ameisen-puppen sollen, in das Ohr geträufelt, das Gehör wiederherstellen (JÜHLING 1900: S. 85). Mit der Krankheits-vorstellung, dass der Ohrenschmerz, „das Ohrweh“, aufdas Hineinkriechen des vermeintlichen Ohrwurmes,des Ohrwutzels, zurückzuführen ist, wird jene in derSteiermark aufgezeichnete Heilanwendung in Verbin-dung gebracht, bei der ins Ohr geträufeltes Mandelöloder aus zerstossenen Ameiseneiern hergestelltes ÖlHilfe bringt (FOSSEL 1885: S. 95f). Der „Ohrwurm“ zähl-te zu den wichtigsten Wurmvorstellungen (GRABNER

1997: S. 151).

Aus den Eiern der roten Ameisen – gemeint ist hierwohl die rote Waldameise – wird in Tirol das beste Au-genwasser auf die Art und Weise zubereitet, indem mandieses in ein gut verschlossenes Glas schüttet, mit Teigumhüllt und mit dem übrigen Brot in den Backofenstellt. Nach dem Backen wird man im herausgenomme-nen Fläschchen eine Flüssigkeit vorfinden, von der mantäglich zwei bis drei Tropfen in die Augen träufelt. Dieshilft bei roten, triefenden Augen oder drohender Er-blindung (DÖRLER 1898: S. 177).

Eine aus dem Pulver getrockneter Ameiseneier undÖl bestehende Salbe wird aus einem „Artzneybuch“ ge-gen den „grindt“ empfohlen (JÜHLING 1900: S. 84). Dieetymologisch richtige Bedeutung dieser Hautkrankheitist Ausschlag bzw. Wundschorf, der sich ausschließlicham Kopf bildet. Als Ursache des Grindes stellte mansich in den Arzneibüchern des 16. Jahrhunderts kleineKolben vor, die im Kopf des Menschen stecken und die

Krankheit hervorrufen. Nach einer Anschauung dieserZeit konnte durch das Auftragen einer empfohlenen„Salbe für den Grindt“ das Übel „herausgezogen und ge-heilt werden“ (GRABNER 1997: S. 51f).

Zwei Volksheilmittel gegen die Gicht beinhaltenneben den Ameiseneiern auch Insekten bzw. den zu denRingelwürmern zählenden Regenwurm:

So wird aus der Steiermark ein „Gicht- und Glieder-geist zum Anwaschen“, der durch Digeriren von Wein-kräutl, Lavendel- und Rosmarienblättern, Regenwür-mern und Ameiseneiern hergestellt wird, empfohlen(FOSSEL 1885: S. 166).

Gegen die Wassersucht und Gicht empfahl eineebenfalls aus dieser Zeit stammende Anleitung, Amei-seneier mit Heuschrecken so zu zerstossen und zu zerrei-ben, dass „die Erde heraußgehe.“ Dann soll das Produktin einen neuen Topf gegeben und abgeschlossen, undsodann aufgelegt werden (JÜHLING 1900: S. 85).

Der intensive Einsatz von organischen Substanzenwie die des Regenwurmes war für die Volksmedizin desMittelalters kennzeichnend (BAUTIER 1991: Sp. 1830).Ebenso wie die Verwendung der Heuschrecken sind die-se Praktiken in die Nähe der sogenannten „Drecksmedi-zin“, die als besonders heilkräftig galt, zu rücken (GRAB-NER 1997: S. 30).

Gegen die Kolik wurden Ameisenpuppen einge-setzt, indem diese zuerst zerquetscht und dann mitRahm abgerührt eingenommen wurden; eine Heilanlei-tung, die uns aus dem steirischen Oberwölz überliefertwurde (FOSSEL 1885: S. 117).

Keine einzige rezenteVerwendung konnte in Öster-reich bei den Ameisenpuppen nachgewiesen werden.

Alltagskultur

Die Ameise im Alltag

Im Alltag gibt es mancherlei Bezüge zur Ameise, zudenen auch eine relativ große Bandbreite an Sprichwör-tern und Redewendungen zählt.

Besonders bekannt ist die aus dem Alten Testament,aus dem Buch der Sprichwörter stammende Aufforde-rung an den Faulen, hinzugehen und von der Ameise zulernen, sozusagen eine doppelte Kritik für den Ange-sprochenen, der nicht nur gerügt wird, sondern, wasvielleicht noch schwerer wiegt, dem zur besonderen Be-schämung ein Tier, noch dazu ein besonders kleines, alsVorbild „vorgehalten“ wird.

Dass nichts, was die Ameise macht, umsonst ist, be-legen Sprichwörter wie „Die Ameise macht den Wegnicht umsonst“ oder „Die Ameise ist ein kleines Tier,

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kann aber (durch stets Ab- und Zulaufen) eine Straßeüber einen Felsen machen“ oder „Die Ameise setztauch ihre Kraft in Bewegung“ oder „Ameisen kriechennicht in leere Scheuern.“ Dass sie trotz ihrer Unschein-barkeit über große Fähigkeiten verfügen, deuten Sprü-che wie „Ameisen zernagen des Löwen Fleisch“ oder„Kleine Ameisen vertreiben große Menschen“ oder„Viel Ameisen fressen einen Löwen“, an. Ihre persönli-che Gefährdung kommt ebenso zum Ausdruck wie dieZerstörung ihrer Arbeit oder die Vernichtung ihresVorrats, wenn es etwa heißt: „Eine Ameise ist leicht er-treten“ oder „Was hundert Ameisen bauten, reißt oftein Esel nieder“ oder „Was die Ameise in einem ganzenJahr gesammelt hat, frißt die Maus in einer Nacht auf“(WANDER 1866).

Das Bild der Ameise lässt sich auch auf vielen Brief-marken finden, Jahrtausende vorher ist es als Symboldes Fleißes und des damit verbundenen Wohlstandesmit der römischen Ackerbaugöttin Ceres auf einerMünze verbunden (LURKER 1991: S. 32) und auf einerkeltischen Prägung, die im Weinviertler Ort Roseldorferst vor wenigen Jahren gefunden wurde.

Ihre scheinbare Stärke war auch Anlass, dem mitder Hand zu betätigenden Hebe- und Transportgerät ih-ren Namen zu geben. Das Vorbild des unentwegtenSammelns ließ sie nicht nur namensgebend für Sparver-eine werden, auch die Pädagogik erinnerte sich an ihrevielen postiven Eigenschaften. Es ist hier nicht einmaldie Schulwandtafel des Naturkundeunterrichts, die dasso vermittelt, ein Blick ins Internet verweist auch aufeine größere Anzahl von älteren und jüngeren Kinder-büchern.

Der durch das Illustrieren vieler Schulfibeln be-kannte Ernst Kutzer setzte dem possierlichen Tierchenin der „Amme Ise“ um 1930 ein bezeichnendes Denk-mal (Abb. 8). Der kleine Friedl, als Ostersonntagskindbesonders prädestiniert, trifft auf der Wiese die Fürsor-geschwester Amme Ise, die ihn in das Reich der Amei-sen einführt und dessen Erfahrungsreise – die er eigent-lich nur im Traum macht – mit seiner heldenhaften Ver-teidigung der von den blutroten Raubameisen überfalle-nen Ameisenfreunde endet. Autor dieses Buches warFriedrich Jaksch. 1922 erschien der ebenfalls von Kutzerillustrierte 104. Band der Konegens Kinderbücher „VonSpinnen und Ameisen" von Emma Eckstein, der bereitsein Jahr später auch in der Zeitschrift „Monatsbote fürSchule und Haus“ abgedruckt wurde.

Unter den Kinderbüchern der 70er Jahre sei viel-leicht das in Bratislava erschienene, auf deutsch von Jo-zef Pavlovic geschriebene und von Jarmila Dicová illus-trierte „Die kleinen Ameisenbrüder“ angeführt oder aufdas in München erschienene comicartig aufgemachteBilderbüchlein „Die freche Ameise“ als Nr. 5 in der Rei-he „Die Biene Maja“ beispielsweise hingewiesen.

Die Ameise ließ sich aber auch auf einem nieder-österreichischen Gesellenbrief, der Allgemeinen Ge-werbe-Genossenschaft, der auf einen weiblichen Modis-tenlehrling, der zufälligerweise aus Ameis stammte und1930 ausgestellt wurde, in der dekorativen Umrahmungüber dem Satz „Wer soll Meister sein? Der was ersann!“als Symbol des Fleißes finden.

Die Figur der Ameise wurde auch von anderen Lite-raturgattungen und der Musik rezipiert. So schriebE.T.A. Hoffmann 1819 „Signor Formica“, die einzige Er-zählung, die er selbst als „Novelle“ bezeichnete. Sie warAnlass für die gleichnamige am 18. November 1892 ander Wiener Hofoper uraufgeführte Oper des Komponis-ten Eduard Schütt. Mit „Kommentare zum Alltag“ un-terschreibt der Journalist und Autor Daniel Glattauersein 2001 erschienenes Buch „Die Ameisenzählung“. Dadarf auch ein Krimi von Alfred Hitchcock nicht fehlen,der 1985 in Stuttgart in Druck ging: „Die drei ??? undder Ameisenmensch.“

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Abb. 8: „Amme Ise“, Kinderbuch von Friedrich Jaksch mit Bildern von ErnstKutzer.

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In der Zeit von 1840 bis etwa 1900 erschien der Kö-nigl. Sächs. „Ameisen-Kalender für das Haus“, in dervon Schweickhardt 1842 in Wien herausgegebenenReihe „Die Ameise“ handelt es sich um eine Genealo-gie des Herrscherhauses.

Die Ameise als Freund und Feind: Seit Jahrhunder-ten in ihrer Rastlosigkeit bewundert, aber auch ge-fürchtet, wenn sie ins Haus oder in den Garten kam.Der Imker war ebenso um seine Bienen besorgt wie derObstbauer, wenn er sie am Baumstamm entdeckte. Das1770 erschienene Kräuterbuch von Lonicerus emp-fiehlt Schwefel und das gepulverte Kraut Wohlgemuthüber „der Omeisen Wohnung“ zu streuen und stellt fest,dass sie auch vor dem Rauch flüchten (LONICERUS

1770: S. 632). Die fünfzigjährige Sammlung von Haus-und Gebrauchsmitteln aller Art verweist auf den Ge-ruch stark riechender Kräuter wie Petersilie, Wermutoder Schafgarbe oder von Fischschuppen, die sie ver-treiben. Man weiß, dass sie dicke Kreideringe nichtüberwinden können oder feuchtete Papier in denSchränken mit Spiköl, Alaun oder Kampfer an (JUNG-HEINRICH). Später wurden chemische Mittel eingesetzt.Vielen ist noch die 1928 patentierte Flit-Spritze, einZerstäuber, ein Begriff (Abb. 9). Heute greift man zuVandal-Ameisenpulver.

Nicht zuletzt gilt es den seit etwa den 1990er Jahrenbei uns bekannten Ameisenkuchen zu erwähnen oderein Rezept eines „Ameisenhaufens“ aus dem Weinvier-tel. Es ist nun nicht mehr die jahrhundertelang volks-medizinisch verwendete Ameise, die eingenommenwird, sondern die kleinen, Ameisen täuschend ähnlichsehenden Schokoladekrümel in der hellen Biskuitmas-se, die namensgebend sind.

Die Sparvereine namens „Ameise“

Als herausgegriffenes Beispiel der Alltagskultur sei-en die nach der Ameise benannten niederösterrei-chischen Sparvereine näher beleuchtet. – Ihres Fleißeswegen benannten sich auch einige wenige Sparvereinenach der Ameise, wiewohl die Biene mit ihrer Tätigkeitdes emsigen Sammelns bei der Namensgebung eindeutigim Vordergrund steht. In der Anfangsphase als Vereinefür Kleingewerbetreibende beziehungsweise für Beamtein der Großstadt errichtet, verfolgten die frühen Grün-dungen in erster Linie den Zweck, billige Kredite zu ver-schaffen und fallen eigentlich in die Sparte der Kredit-institute, gelten aber als Vorläufer unserer heutigenSparvereine (FISCHER-WELLENBORN 1975: S. 35).

In Österreich existieren derzeit 36 dieser Ameisen-Sparvereine, Niederösterreich selbst zählt mit Standvom September des Jahres 2008 genau 15 Sparvereine,wobei sich derjenige von Dietersdorf im Bezirk Tulln2006 in die „Sparvereinigung Ameise“ umbenannte.

Als Begründung wurde die Vereinfachung der Vereins-führung genannt. Die Gesamtzahl der nö. Sparvereineließ sich zwar nicht erschließen, als Einzelbeispiel seinochmals der Bezirk Tulln angeführt, wo von 64 aktivenSparvereinigungen die oben genannte die einzige desBezirkes ist, die den Namen der Ameise trägt. In denBezirken St. Pölten und Zwettl existieren je 3, in denBezirken Bruck an der Leitha, Hollabrunn und Horn je2, jeweils ein Sparverein tritt in den Bezirken Korneu-burg, Scheibbs und Tulln auf. Viertelsmäßig gesehenfinden sich je 5 dieser Sparvereinigungen im Most- undWaldviertel, 3 im Weinviertel und 2 im Industrieviertel.

Als „Sparverein Ameise“ bezeichnen sich 11 Verei-ne, in Mühlbach am Manhartsberg heißt er „SparvereinDie Ameise“, in Mannersdorf am Leithagebirge nennter sich „Zur Ameise“ und in Kleinrust bei St. Pöltenträgt er den Namen „Sparverein Fleißige Ameise“; dazukommt noch die sich als „Sparvereinigung Ameise“ be-zeichnende in Dietersdorf.

Mit einer Ausnahme wurden all diese Sparvereinenach dem 2. Weltkrieg gegründet, also in einer Zeit, woder Gedanke des Sparens eine Überlebensnotwendig-keit war.

Der älteste, derzeit im Bundesland Niederösterreichfassbare Sparverein dieser Prägung ist der am 18. März1908 als SPARVEREIN „AMEISE“ in der Bezirkshaupt-stadt Bruck an der Leitha gegründete. Er besteht heutenoch, wenngleich es trotz der langen Dauer nicht mehrmöglich war, außer dem auf der „K.k.Bezirkshaupt-mannschaft“ glücklicherweise noch erhaltenen Grün-dungsakt irgendwelche sachkulturellen Objekte inBruck aufzutreiben. Durch das Entgegenkommen des zu-ständigen Bearbeiters konnte jedoch ein Überblick überdas gesamte Sparvereinswesen im Bezirk gegeben wer-

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Abb. 9: Flit-Spritze, Historischer Kaufmannsladen Spitz an der Donau.

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den. Demnach gibt es bei 20 Gemeinden (und 35 Or-ten) an die 60 Sparvereine, was einen Durchschnitt von3 Sparvereinen pro Gemeinde bedeuten würde. Dreivon diesen insgesamt 60 Vereinen tragen den NamenBiene und zwei den Namen Ameise in ihrer offiziellenVereinsbezeichnung (BÄ).

Der erste in der Nachkriegszeit gegründete entstandam 7.1.1951 in Altlengbach und ist somit der ältestedieser Phase von Ameisen-Sparververeinigungen; imselben Jahr wurden noch die Vereine in Sitzendorf ander Schmida (29.5.) und Niederrußbach (8.11.) gegrün-det, 1952 folgten Großhaselbach (12.2.), Reinsberg(28.2.) und Mannersdorf am Leithagebirge (10.12.).1953 wurden jene zwei des Bezirkes Horn, Siegharts-reith (19.1.) und Drosendorf (1.2.) sowie der von Klein-rust (12.12.) gegründet. Danach wird es spärlicher, am5.2.1956 folgt Haindorf. Erst etwa 15 Jahre späterkommt es im Waldviertel am 24.2.1972 in Kottes zurvorletzten Neuerrichtung und nur wenige Kilometerentfernt am 6.2.1985 zur derzeit letzten Gründung in El-senreith. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieDichte der Gründungen dieser Sparvereine mit der na-mensgebenden Bezeichnung Ameise am Beginn der50er Jahre am stärksten ist. Die Gründungsmonate wei-sen – mit einer Ausnahme – auf die Spätherbst- bzw.Wintermonate hin, ein Zeichen dafür, dass die Grün-dungen auch als gesellschaftliches Ereignis, da die Feld-arbeit im Freien ruhte und man nun genügend Zeit fürandere Tätigkeiten hatte – anzusehen sind.

Der nach dem 2. Weltkrieg als erster „SparvereinAmeise“ in Altlengbach entstandene war einer vonehemals 5 Sparvereinen im Ort. Am 6.1.1951 wurde derSparverein Einigkeit gegründet, am 7.1., also tags dar-auf, folgte der Sparverein Ameise. Während sich der SVEinigkeit fast ausschließlich aus Einheimischen zusam-mensetzt, zählen zur Ameise auch Wiener und Zweit-wohnsitz-Wiener. Als Gründungsmotiv wurde ange-führt, dass man ein wenig Geld haben wollte, um zuWeihnachten etwas einkaufen zu können.

Im Gegensatz zu Altlengbach, wo über die Namens-gebung nichts bekannt ist, wissen wir, dass bei der jüng-sten Gründung in Elsenreith vom 6. Februar 1985 dieBezeichnung „Sparverein Ameise“ auf den Vorschlag ei-nes Sparkassenangestellten zurückgeht.

Objekte der Sparvereine mit einer direkten Amei-sendarstellung konnten nur in zwei Orten gefundenwerden: In Niederrußbach gibt es ein hängendes hölzer-nes Tischzeichen mit beidseits auf den Sperrholzunter-grund aufgemalten Ameisen, dem Namen des Sparver-eines und der örtlichen Raiffeisenkasse (Abb. 10). Miteinem Klingelzug konnte kurzfristige Aufmerksamkeiterreicht werden. Das Gasthaus ist zwar seit längerem ge-schlossen, als Lokal des Sparvereines darf es aber be-nützt werden. Aus Mühlbach am Manhartsberg liegt ei-ne bildermäßig gerahmte Tafel, beidseits mit dem Na-men des Sparvereines und einer Ameise versehen, vor,die ebenfalls über dem Stammtisch hing.

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt zunächst jenen Personen,die sich im Rahmen einer Feldforschung für Befragungenüber das Ameisln bzw. der Verwendung der Puppen ger-ne zur Verfügung gestellt haben: Maria und Walter Ban-dion (B) – Annaberg; Hermine Fial (FI) – Herzogen-burg; Robert Friedrich (FR) – Stockerau; OberförsterWalter Kotremba (KO) – Herzogenburg und WalterRanzenhofer (R) – Stockerau. Für schriftliche undmündliche Informationen darf ich mich bei Dr. ThomasAigner – Wienbibliothek im Rathaus; Prof. Hiltraud Ast(A) – Waldbauernmuseum Gutenstein; Franz Bäcker(BÄ) – Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha;Prof. Dr. Vladimira und Prof. Dr. Hans Werner Bousska(BO) – Bezirksmuseum Meidling; Rudolf Buchberger –Altlengbach; Waltraud Glänzel – Annaberg; Bezirks-hauptmann WHR Dr. Karl Gruber – Gänserndorf;Univ.Prof. Dr. Herbert Knittler (KN) – Weitra; TraudeLiebner – Elsenreith; Valentine Posch (P) – Wien; Dir.OSR Horst Hubinger und Dir. Otto Steindorfer (ST) –Michelstettner Schule/ NÖ Schulmuseum Michelstet-ten und Oberförster Helmut Widmayer (W) – Anna-berg; bedanken.

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Abb. 10: Tischzeichen, Sparverein Ameise, Niederrußbach.

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Für besondere Hilfestellung danke ich Dr. RudolfMaurer vom Stadtarchiv Baden (STB), Dr. ChristineOppitz und Dr. Helga Penz vom Archiv des Augustiner-Chorherrenstiftes Herzogenburg (STH) sowie Dr. KarlHolubar vom Archiv des Augustiner-ChorherrenstiftesKlosterneuburg (STK). Durch das freundliche Entgegen-kommen von WHR Dr. Erwin Neumeister, NÖ Natur-schutzabteilung (Abteilung RU5), war es möglich, Ein-sicht in die Akten und Bewilligungsausweise zu nehmen.

Zusammenfassung

Die geistige und bildliche Beschäftigung mit derAmeise besteht seit der Antike. Herkunft, Aussehenund Eigenschaften werden interpretiert. Ein wesentli-cher Teil der Darstellung beschäftigt sich mit der Ge-winnung der Ameisenpuppen und der Anwendung desAmeisenhaufens, der Ameisen und der Ameisenpuppenin der Volksmedizin. In der Alltagskultur wird besondersauf die Sparvereine namens „Ameise“ verwiesen.

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Dr. Franz GROIß

Abteilung Kultur und WissenschaftLandhausplatz1

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