Ana Forrest speaks to Happinez Magazine

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INTERVIEW TEXT SYLVIA NAUSE-MEIER FOTO BLINDTEXT Was verbinden Sie mit dem Wort Liebe? Pferde. Ich war sechs, und sie waren so groß, so schön: Diamond und Span, ihr Stall lag in der Nachbarschaft. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich das Verlangen, jemandem nahe zu sein. Berührung war für mich bis dahin etwas Schlimmes. Schmerzhaft. Doch die Pfer- de mochten, wenn ich sie fest am Bauch ge- kratzt oder sanft an ihren Nasen gestreichelt habe. Ich konnte Gefühle in ihnen auslösen, weil ich sie berührte! Es war, als ob ich eine Tür öffnete und eine Welt aus Samt vorfand … Ich lernte, mich nicht von ihnen einschüchtern zu lassen, indem ich mich so groß wie möglich machte und mit tiefer Stimme sprach. Die Pfer- de lehrten mich Respekt, Zuhören, Beobachten – und klar zu sagen, was ich will. Ich spürte, dass es Zuneigung, ja, Liebe tatsächlich gibt. Weil ich weiß, wie leer ein Leben ohne Liebe ist, empfinde ich sie heute als besonders wertvol- les Geschenk. Ich liebe das Leben wie es ist, mit all seinen Herausforderungen und Geheimnis- sen. Meine Liebe wächst jeden Tag: vor allem durch das Lehren und Praktizieren von Yoga. Wie kamen Sie zum Yoga? Meine Füße und die linke Seite meines Körpers waren bei meiner Geburt verdreht. Es tat höl- lisch weh, mich zu bewegen. Ich lernte erst spät laufen. Mein Zuhause war ein schrecklicher Ort. Überall Schmutz, es roch widerlich. „Satansbrut“ Ihre Kindheit besteht aus Kranksein, aus Kälte und Gewalt. Kein Lachen, keine Liebe. Mit 13 entdeckt Ana T. Forrest Yoga – es wird ihr Weg ins Licht. Heute ist die 56-Jährige eine der weltweit anerkannten Yogalehrerinnen Ana T. Forrest Glaube, L iebe & Hoffnung nannte mich meine fettleibige Mutter. Sie schlug mich oft. Mit vier fand ich einen Weg, meine Angst, meine Schmerzen zu betäuben: den Likörschrank in der Küche. Später nahm ich Zigaretten, Gras, Pillen. Mein Körper antworte- te mit Epilepsie, Migräne und Bulimie. Eines Tages, ich war 13, forderte mich eine Mitschüle- rin heraus: „Ich kann was, das du nicht kannst.“ Sie nahm mich mit zum Yoga. Die erste Stunde? Ein Schock! Uralte Damen – um die 30 – beug- ten sich vornüber und fassten sich an ihre Zehen. Bewegten sich fließend in diese wun- derschönen Positionen hinein und hinaus. Ich konnte mich gerade mal nach vorn beugen und knapp hinter meine Knie greifen. Die Übungen taten weh. Trotzdem machte ich weiter. Eines Tages wachte ich auf, und etwas fehlte – meine Schmerzen in den Beinen und im Rücken! Yoga heilte und rettete mich in jeder Hinsicht. Worauf hoffen Sie? Darauf, dass alle Menschen dieser Welt ihr wahres Potenzial erkennen und danach leben. Dass uns unsere Ängste niemals besiegen wer- den. Dass wir mit Himmel und Erde im Gleich- gewicht leben. Und dass ich bald wieder ein- mal mit meinem Motorrad losdüsen kann. Welche Spielregeln bestimmen Ihr Leben? Erstens: Ehrlichkeit. Hör auf, dich zu belügen. Wofür lebst du? Bestimmt nicht, um Rechnun- gen zu bezahlen. Was willst du? Lerne deine Gefühle kennen, steh zu ihnen. Das ist mutig, weil es nach Versagen klingt. Unbequem sein kann. Doch es macht unser Leben letztendlich einfacher. Zweitens: Offenheit. Ich kann von allem und jedem etwas lernen. Und ich versu- che, das Schöne und Geheimnisvolle um mich herum und in mir immer wieder neu zu entde- cken. Drittens: Ich betrachte die Stürme des Lebens heute als meine Freunde. Nehme Ver- änderungen an – sie sind ein Motor. Sonst bleibst du im ewigen Sumpf stecken. Woran glauben Sie? An Wakan Skan – wie die nordamerikanischen Ureinwohner. Es bedeutet: „Das, was in allen Dingen lebt“. Das ist für mich eine allumfassen- de Wahrheit. Ich bin mit der Realität verheira- tet – und muss nicht das Unerklärbare erklärt haben. Ich will auch nicht zu einem weißhaari- gen, bärtigen Typen im Himmel beten. Ich hab’s nicht nötig, mich vor irgendjemanden zu verbeugen, mich kleiner zu machen. Ich bete auf eine Weise, die sich für mich authentisch anfühlt – und wenn es unter der Dusche ist. Mein Glaube entsteht aus meinen Erfahrun- gen. Wächst mit ihnen. Ich glaube zum Beispiel, dass ich harte Zeiten überstehen kann, weil ich das mehrfach bewiesen habe. „Yoga-Kriegerin“ – so wird Ana T. Forrest genannt, weil sie eine schonungslos ehr- liche, mutige, konsequente und strenge Lehrerin ist. 1956 gründete sie in New York „Forrest Yoga“. Jetzt hat sie ein Buch darüber geschrieben: „Die Yoga-Kriegerin. Power für Körper und Seele mit Forrest Yoga“ (352 S., Allegria Verlag; 19,99 Euro). Mehr Infos: www.forrestyoga.com; www.ullsteinbuchverlage.de happinez | 03 „Ich betrachte die Stürme des Lebens als meine Freunde.“

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In the January 2013 edition of German wellbeing magazine, Happinez, Ana Forrest shares insights, life stories and inspirational anecdotes. Ana's book, 'Fierce Medicine' is also reviewed.http://www.happinez.dehttp://www.forrestyoga.com

Transcript of Ana Forrest speaks to Happinez Magazine

Page 1: Ana Forrest speaks to Happinez Magazine

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Was verbinden Sie mit dem Wort Liebe? Pferde. Ich war sechs, und sie waren so groß, so schön: Diamond und Span, ihr Stall lag in der Nachbarschaft. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich das Verlangen, jemandem nahe zu sein. Berührung war für mich bis dahin etwas Schlimmes. Schmerzhaft. Doch die Pfer-de mochten, wenn ich sie fest am Bauch ge-kratzt oder sanft an ihren Nasen gestreichelt habe. Ich konnte Gefühle in ihnen auslösen, weil ich sie berührte! es war, als ob ich eine Tür öffnete und eine Welt aus Samt vorfand … Ich lernte, mich nicht von ihnen einschüchtern zu lassen, indem ich mich so groß wie möglich machte und mit tiefer Stimme sprach. Die Pfer-de lehrten mich Respekt, Zuhören, Beobachten – und klar zu sagen, was ich will. Ich spürte, dass es Zuneigung, ja, Liebe tatsächlich gibt. Weil ich weiß, wie leer ein Leben ohne Liebe ist, empfinde ich sie heute als besonders wertvol-les Geschenk. Ich liebe das Leben wie es ist, mit all seinen Herausforderungen und Geheimnis-sen. Meine Liebe wächst jeden Tag: vor allem durch das Lehren und Praktizieren von Yoga.

Wie kamen Sie zum Yoga? Meine Füße und die linke Seite meines Körpers waren bei meiner Geburt verdreht. es tat höl-lisch weh, mich zu bewegen. Ich lernte erst spät laufen. Mein Zuhause war ein schrecklicher ort. Überall Schmutz, es roch widerlich. „Satansbrut“

Ihre Kindheit besteht aus Kranksein, aus Kälte und Gewalt. Kein Lachen, keine Liebe. Mit 13 entdeckt Ana T. Forrest Yoga – es wird ihr Weg ins Licht. Heute ist die 56-Jährige eine der weltweit anerkannten Yogalehrerinnen

Ana T. Forrest Glaube, Liebe & Hoffnung

nannte mich meine fettleibige Mutter. Sie schlug mich oft. Mit vier fand ich einen Weg, meine Angst, meine Schmerzen zu betäuben: den Likörschrank in der Küche. Später nahm ich Zigaretten, Gras, Pillen. Mein Körper antworte-te mit epilepsie, Migräne und Bulimie. eines Tages, ich war 13, forderte mich eine Mitschüle-rin heraus: „Ich kann was, das du nicht kannst.“ Sie nahm mich mit zum Yoga. Die erste Stunde? ein Schock! Uralte Damen – um die 30 – beug-ten sich vornüber und fassten sich an ihre Zehen. Bewegten sich fließend in diese wun-derschönen Positionen hinein und hinaus. Ich konnte mich gerade mal nach vorn beugen und knapp hinter meine Knie greifen. Die Übungen taten weh. Trotzdem machte ich weiter. eines Tages wachte ich auf, und etwas fehlte – meine Schmerzen in den Beinen und im Rücken! Yoga heilte und rettete mich in jeder Hinsicht.

Worauf hoffen Sie? Darauf, dass alle Menschen dieser Welt ihr wahres Potenzial erkennen und danach leben. Dass uns unsere Ängste niemals besiegen wer-den. Dass wir mit Himmel und erde im Gleich-gewicht leben. Und dass ich bald wieder ein-mal mit meinem Motorrad losdüsen kann.

Welche Spielregeln bestimmen Ihr Leben?erstens: ehrlichkeit. Hör auf, dich zu belügen. Wofür lebst du? Bestimmt nicht, um Rechnun-

gen zu bezahlen. Was willst du? Lerne deine Gefühle kennen, steh zu ihnen. Das ist mutig, weil es nach Versagen klingt. Unbequem sein kann. Doch es macht unser Leben letztendlich einfacher. Zweitens: offenheit. Ich kann von allem und jedem etwas lernen. Und ich versu-che, das Schöne und Geheimnisvolle um mich herum und in mir immer wieder neu zu entde-cken. Drittens: Ich betrachte die Stürme des Lebens heute als meine Freunde. Nehme Ver-änderungen an – sie sind ein Motor. Sonst bleibst du im ewigen Sumpf stecken.

Woran glauben Sie?An Wakan Skan – wie die nordamerikanischen Ureinwohner. es bedeutet: „Das, was in allen Dingen lebt“. Das ist für mich eine allumfassen-de Wahrheit. Ich bin mit der Realität verheira-tet – und muss nicht das Unerklärbare erklärt haben. Ich will auch nicht zu einem weißhaari-gen, bärtigen Typen im Himmel beten. Ich hab’s nicht nötig, mich vor irgendjemanden zu verbeugen, mich kleiner zu machen. Ich bete auf eine Weise, die sich für mich authentisch anfühlt – und wenn es unter der Dusche ist. Mein Glaube entsteht aus meinen erfahrun-gen. Wächst mit ihnen. Ich glaube zum Beispiel, dass ich harte Zeiten überstehen kann, weil ich das mehrfach bewiesen habe.

„yoga-Kriegerin“ – so wird ana t. Forrest genannt, weil sie eine schonungslos ehr-liche, mutige, konsequente und strenge lehrerin ist. 1956 gründete sie in New york „Forrest yoga“. Jetzt hat sie ein Buch darüber geschrieben: „die yoga-Kriegerin. Power für Körper und Seele mit Forrest yoga“ (352 S., allegria verlag; 19,99 euro). Mehr infos: www.forrestyoga.com; www.ullsteinbuchverlage.de

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„Ich betrachte die Stürme des Lebens als meine Freunde.“