Analysis I || Grundlegende Notationen und Beweistypen

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I Grundlegende Notationen und Beweistypen Die Formulierung mathematischer Aussagen und ihrer Beweise ist zu Beginn oft sehr ungewohnt. Sie verwendet eine spezielle Sprache und nur streng logische Argumente. Eine Übersicht wichtiger Notationen und Beweistypen kann hier helfen. 1 Mathematische Aussagen Mengen und Aussagen. Eine Menge M ist die Zusammenfassung unterscheidbarer Objekte, die man Elemente von M nennt. Man schreibt: x M x ist Element der Menge M. x / M x ist kein Element der Menge M. Eine Aussage A ist ein Satz, der einen Sachverhalt beschreibt und dem ein Wahrheits- wert, wahr (w) oder falsch (f), zugeordnet werden kann. Quantoren. Ist A eine Aussage und M eine Menge, schreibt man: x M: A Für alle Elemente x der Menge M gilt A. x M: A Es gibt (mindestens) ein x aus M, für das A gilt. ! x M: A Es gibt genau ein x aus M, für das A gilt. x M: A Es gibt kein Element der Menge, für das A gilt. Statt x M: A schreiben wir im Folgenden auch A, x M. Junktoren und Negation. Sind A und B Aussagen, so bildet man damit die folgenden weiteren Aussagen: ¬A A gilt nicht. A B A und B gelten gleichzeitig. A B A oder B gilt (auch beide dürfen gelten). A B Aus A folgt B. oder: A ist hinreichende Bedingung für B. oder: B ist notwendige Bedingung für A. C. Tretter, Analysis I © Springer Basel AG 2013

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I Grundlegende Notationenund Beweistypen

Die Formulierung mathematischer Aussagen und ihrer Beweise ist zu Beginn oft sehrungewohnt. Sie verwendet eine spezielle Sprache und nur streng logische Argumente.Eine Übersicht wichtiger Notationen und Beweistypen kann hier helfen.

� 1Mathematische Aussagen

Mengen und Aussagen. Eine Menge M ist die Zusammenfassung unterscheidbarerObjekte, die man Elemente von M nennt. Man schreibt:

x ∈ M x ist Element der Menge M.

x /∈ M x ist kein Element der Menge M.

Eine Aussage A ist ein Satz, der einen Sachverhalt beschreibt und dem ein Wahrheits-wert, wahr (w) oder falsch (f), zugeordnet werden kann.

Quantoren. Ist A eine Aussage und M eine Menge, schreibt man:

∀ x ∈ M: A Für alle Elemente x der Menge M gilt A.

∃ x ∈ M: A Es gibt (mindestens) ein x aus M, für das A gilt.

∃! x ∈ M: A Es gibt genau ein x aus M, für das A gilt.

� x ∈ M: A Es gibt kein Element der Menge, für das A gilt.

Statt ∀ x ∈ M: A schreiben wir im Folgenden auch A, x ∈ M.

Junktoren und Negation. Sind A und B Aussagen, so bildet man damit die folgendenweiteren Aussagen:

¬A A gilt nicht.

A ∧ B A und B gelten gleichzeitig.

A ∨ B A oder B gilt (auch beide dürfen gelten).

A �⇒ B Aus A folgt B.

oder: A ist hinreichende Bedingung für B.

oder: B ist notwendige Bedingung für A.

C. Tretter, Analysis I

© Springer Basel AG 2013

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2 I Notationen und Beweistypen

A ⇐⇒ B A gilt genau dann, wenn B gilt (d.h. (A �⇒ B) ∧ (B �⇒ A)).

oder: A und B sind äquivalent.

oder: A ist hinreichende und notwendige Bedingung für B.

Beachte: Wenn A nicht gilt, ist A �⇒ B immer wahr.

� 2Definitionen

Im Unterschied zu Gleichungen und Implikationen schreiben wir bei Definitionen

:= bzw. :⇐⇒ wird definiert als bzw. durch;

die Symbole =: bzw.⇐⇒: bedeuten, dass das definierte Objekt rechts steht.

N := {1, 2, 3, . . . }, n ∈ N gerade :⇐⇒ ∃ m ∈ N: n = 2m,n ∈ N ungerade :⇐⇒ ∃ m ∈ N: n = 2m − 1.

Beispiel I.1

� 3Logische Struktur gängiger Beweistypen

Um eine Behauptung A �⇒ B zu beweisen, gibt es verschiedene Wege. Einige wichtigeBeweistypen stellen wir hier vor. Das Beweisende bezeichnet man mit (oder auchq.e.d., quod erat demonstrandum, lateinisch für„was zu beweisen war“).

Direkter Schluss. Um A �⇒ B zu zeigen, setze A voraus und folgere daraus B.

Für alle n ∈ N gilt: n gerade �⇒ n2 gerade.Beispiel I.2

Beweis. n gerade �⇒ ∃ m ∈ N: n = 2m �⇒ n2 = (2m)2 = 2 · 2m2

�⇒ n2 = 2m′ mit m′ := 2m2 ∈ N �⇒ n2 ist gerade.

Beweis des logisch Transponierten. Um A �⇒ B zu zeigen, kann man auch ¬B �⇒ ¬Azeigen. Es gilt nämlich:

(A �⇒ B) ⇐⇒ (¬B �⇒ ¬A).

Für alle n ∈ N gilt: n2 gerade �⇒ n gerade.Beispiel I.3

Beweis. Zeige dazu: n ungerade �⇒ n2 ungerade.

n ungerade �⇒ ∃ m ∈ N: n = 2m − 1

�⇒ n2 = (2m − 1)2 = 4m2 − 4m + 1 = 2(2m2 − 2m + 1) − 1

�⇒ n2 = 2m′ − 1 mit m′ := 2m2 − 2m + 1 ∈ N �⇒ n2 ungerade.

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4 Grundlegende mathematische Objekte 3

Indirekter Beweis (Widerspruchsbeweis). Um A �⇒ B zu zeigen, nimmt man an, dassA �⇒ B nicht gilt, d.h., dass A ∧ ¬B gilt, und zeigt, dass dies auf einen Widerspruch(�) C ∧ ¬C für eine dritte Aussage C führt.

a, b ∈ R �⇒ 2ab ≤ a2 + b2. Beispiel I.4

Beweis. Angenommen, die Behauptung gilt nicht:

2ab > a2 + b2 �⇒ 0 > a2 + b2 − 2ab = (a − b)2 �.

Beachte: Es reicht nicht zu zeigen, dass aus der Behauptung eine wahre Aussage folgt.So beweist etwa 2ab ≤ a2 + b2 �⇒ 0 ≤ a2 + b2 − 2ab = (a − b)2 nicht, dass2ab ≤ a2 + b2 gilt, denn logische Schlüsse müssen nicht umkehrbar sein:

−1 = 1 �⇒ (−1)2 = 12 wahr (da − 1 = 1 nicht gilt),

(−1)2 = 12 �⇒ −1 = 1 falsch!!!

Vollständige Induktion. Damit kann man zeigen, dass eine Aussage A(n) für alle natür-lichen Zahlen n ∈ N gilt bzw. für n ≥ n0 mit n0 ∈ N (siehe Kapitel 6).

� 4Grundlegende mathematische Objekte

Mengen. Für Mengen X, Y schreibt man:

X ⊂ Y :⇐⇒ ∀ x ∈ X: x ∈ Y , (X Teilmenge von Y ),

X = Y :⇐⇒ (X ⊂ Y ) ∧ (Y ⊂ X),

und man definiert bzw. nennt:

X \ Y := {x: x ∈ X ∧ x �∈ Y } (Differenz),

X ∪ Y := {x: x ∈ X ∨ x ∈ Y } (Vereinigung),

X ∩ Y := {x: x ∈ X ∧ x ∈ Y } (Durchschnitt),

∅ := {} (leere Menge; beachte: ∅ �= {0}),

P(X) := {M: M ⊂ X} (Potenzmenge),

X × Y := {(x, y): x ∈ X, y ∈ Y } (kartesisches Produkt).

X, Y disjunkt :⇐⇒ X ∩ Y = ∅ (und schreibt dann X ∪̇ Y ),

#X := Anzahl der Elemente von X, falls X endlich viele Elemente hat.

Die Potenzmenge ist die Menge aller Teilmengen von X, also eine Menge vonMengen; sie enthält immer ∅ und X.

Bemerkung I.5

X = {0, 1} �⇒ P(X) ={∅, {0}, {1}, {0, 1}}. Beispiel I.6

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4 I Notationen und Beweistypen

Für X := {n ∈ N: n gerade}, Y := {n ∈ N: n ungerade} gelten:

X ⊂ N, Y ⊂ N, X ∩ Y = ∅, X ∪̇ Y = N,

N ×N = {(n, k): n, k ∈ N} (Gitterpunkte im 1. Quadranten).

Beispiel I.7

Funktionen. Eine Funktion (oder Abbildung) zwischen zwei Mengen X und Y ist ei-ne Vorschrift

f : X → Y , x �→ f (x),

die jedem Element x ∈ X ein eindeutiges f (x) ∈ Y zuordnet. Man nennt

Df := X Definitionsbereich von f ,

G(f ) :={(

x, f (x))

: x ∈ X} ⊂ X × Y Graph von f ,

f (X) :={

f (x): x ∈ X}

Wertebereich von f .

Die Funktion f : X → Y heißt

injektiv :⇐⇒ ∀ x, x′ ∈ X:(f (x) = f (x′) �⇒ x = x′),

surjektiv :⇐⇒ f (X) = Y ,

bijektiv :⇐⇒ f injektiv ∧ f surjektiv ⇐⇒ ∀ y ∈ Y ∃! x ∈ X: f (x) = y;

in diesem Fall wird wieder eine Funktion definiert durch

f −1: Y → X, y �→ x =: f −1(y) (Umkehrfunktion von f ).

Injektivität und Surjektivität hängen von X und Y ab: Ist R die Menge der reellenZahlen (siehe Kapitel III, IV) und R+

0 := {x ∈ R: x ≥ 0}, so ist

f :R → R, x �→ x2 weder injektiv noch surjektiv,

f̃ :R+0 → R+

0 , x �→ x2 bijektiv.

Bemerkung I.8

Für Teilmengen A ⊂ X, B ⊂ Y setzt man:

f∣∣

A: A → Y , f

∣∣A

(x) := f (x), x ∈ A (Einschränkung von f auf A),

f (A) := {f (x): x ∈ A} (Bild von A unter f ),

f −1(B) := {x ∈ X: f (x) ∈ B} (Urbild von B unter f ).

Sind X, Y , Z Mengen und f , g : X → Y , h: Y → Z Funktionen, so definieren wir

f ≡ g :⇐⇒ f (x) = g(x), x ∈ X,

h ◦ f : X → Z, (h ◦ f )(x) := h(f (x)), x ∈ X (Komposition von h mit f ).