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ANDRéE PUTMAN

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Andrée PutmAn

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Marcus Leatherdale © 1985

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Ihr GesamtwerkAndrée PutmAn

Donald AlbrechtVorwort von Jean Nouvel

Aus dem Französischen und Englischenvon Eva Dewes

Deutsche Verlags-Anstalt

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Aus dem Französischen und Englischen (Einleitung) übersetzt von Eva Dewes

1. AuflageCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe Andrée Putman. Complete Works2009 © Rizzoli International Publications, Inc.

Rizzoli International Publications, Inc.300 Park Avenue SouthNew York, NY 10010USAwww.rizzoliusa.com

© 2009 Andrée Putman / www.andreeputman.com© 2009 Rizzoli International Publications, Inc.»Mit sicherem Blick« © 2009 Jean Nouvel»Andrée Putman: Botschafterin des französischen Stils« © 2009 Donald Albrecht»Ich erinnere mich an gestern« © 2009 Olivia Putman»Zauberin des Lebens« © 2009 Cyrille Putman

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Dung Ngo, Catherine BonifassiDesign: Eileen Boxer / Boxer DesignUmschlaggestaltung: SOFAROBOTNIK Augsburg & MünchenFoto Umschlag-Vorderseite: © FABRICE GOUSSET, mit freund-licher Genehmigung der GALERIE KREO, ParisFoto Umschlag-Rückseite: © DEIDI VON SCHAEwEN Satz der deutschen Ausgabe: Edith Mocker, EichenauProduktion der deutschen Ausgabe: Monika Pitterle / DVA

Printed in China

ISBN 978-3-421-03806-7

www.dva.de

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mit sicherem Blick Jean Nouvel 6

Andrée Putman: Botschafterin des französischen

Stils Donald albrecht 8

Hotels & Appartements 26

Shops, restaurants, Ausstellungsarchitekturen

und museen 136

Büros 222

Produktdesign 268

Ich erinnere mich an gestern Olivia Putman 317

Zauberin des Lebens Cyrille Putman 318

Bibliografie 322

Index 323

dank 324

Bildnachweis 324

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mit sicherem Blick JeaN NOuvel

wer Andrée Putman einmal getroffen hat, wird sich gewiss an sie erinnern. Er wird bis dahin niemals eine Frau gesehen haben, die so sehr das Gefühl forschender Ruhe und Gelassenheit verbreitet. Andrée Putman ist groß – allein schon von ihrer Statur: Es ist nicht mög-lich, einen aufrechteren Gang, eine stolzere Haltung zu haben und sich gleichzeitig in noch vornehmerer Zurückhaltung zu üben. Ein Kopf, geradezu wie in Stein gemeißelt, ein Blick, der mitnichten gleichgültig ist und der hinter den Augenlidern, die an Charlotte Rampling erinnern, eine unaufgeregte Sinnesschärfe erkennen lässt. Durch ihre Gelassenheit, die darauf hindeutet, dass ihr Geist in ständiger Bewegung und undurchschaubar ist, wird eine besondere Intensität hergestellt. Häufig puristisch und dunkel gekleidet, zieht sie mit langsa-mer, gesucht-gekünstelter Gestik an ihrer Zigarette. Nur selten spricht sie, doch ihre Stimme ist unverwechselbar, unnachahmlich. wunderbar tief und gravitätisch.

Und dank der Zigarette hat sie diesen Hauch von Zauber und Fatalität bewahrt, der gewöhnlich nur den legen-dären Abbildern von Hollywood-Schauspielern anhaf-tet. Ich hoffe, es ist klar geworden, dass der primäre Gegenstand ihrer ästhetischen und stilistischen wahl ihre eigene Person ist.Andrée Putman war bereits in jungen Jahren bei MAFIA tätig, einer renommierten Agentur im wohn-designbereich, und verwirklichte ihre modernen Forderungen sowie ihre Avantgarde-Bestrebungen in absolut populären Produkten in dem für jedermann zugänglichen Katalog der Kaufhauskette Prisunic. Sie wandte sich dann von dieser schöpferischen wiege ab, um ihren ersten Geniestreich zu realisieren: Écart, eine Verlags- und Designgesellschaft, die den Blick auf die Aktualität rarer Designobjekte von Robert Mallet-Stevens, Jean-Michel Frank, Mariano Fortuny oder auch Eileen Gray lenkte, ihnen zu einem zweiten Leben verhalf und sie nun einer größtmöglichen Zahl von Amateurliebhabern anbieten wollte. Dann baute Andrée,

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von ihren engen Freunden zu diesem Zeitpunkt bereits Dédée genannt und Architektin, in Bordeaux die ehema-ligen Lagergebäude des Industrieunternehmens Laîné zu dem Museum für zeitgenössische Kunst (CAPC) um. Und dies mit einer Präzision und einer Zurückhaltung, wie man sie noch nie zuvor gesehen hatte. Allerdings auch mit einer gewissen Kühnheit. wenn Sie noch nie Luxustoiletten aus Zement gesehen haben, dann sollten Sie den Bau unbedingt besichtigen. Sie können sich aber auch auf die Bänke aus vom Regen grau verwaschenen Holzleisten setzen, Bänke mit einer schönen kurvigen Kontur und offenkundig zu hohen Rückenlehnen, um zu Ihren Füßen die Linien des Kieselbelags von Richard Long zu bewundern. Sie werden sich auch fragen, wie man mit so wenig grauer Materie – grauem Zement und grau gestrichenem Stahl – und soviel Geist und Feingefühl einer historischen Stätte ein modernes Gepräge geben kann. Auch in New York realisierte Andrée einen ihrer verrückten Einfälle bei einem Gebäude in der Madison Avenue, wo sie für Ian Schrager das entwirft, was man

heute Boutique-Hotel nennt: das Morgans. Das Gebäude wird belebt – mit radikaler Schlichtheit. Die abstrakt anmutende Rezeption, die tiefen rehbraunen Ledersessel in den Badezimmern mit Fliesen in schwarz-weißem Schachbrettmuster … Niemals würden Sie glauben, Sie seien in einem Hotel. Sie befinden sich irgendwo, entrückt an einen unbekannten Ort. Das Hotel – vollkommen und mythisch.

Die Ausstattung des Passagierraumes der Concorde ist ein Meisterwerk voller Können und Subtilität. In dem winzigen Rumpf verbindet sich eine Symphonie aus grauen Sitzen mit weißen Kopfbezügen harmo-nisch mit der noch weißeren, zart reflektierenden Decke … es entsteht der Eindruck eines luxuriösen Luftfahrtschiffes.

Graue Magie … Faszination … Andrée Putman ist in ihrem Element, sozusagen auf ihrer Umlaufbahn. Und von dieser wird sie nicht mehr zurückkehren. Sie wird zur großen Stilpoetin, die Räume schafft, die bewohnt werden wollen. Sie selbst liebt Besessene, ihre Freunde

– von Paris bis nach New York – sind und waren Künstler, von warhol bis Tinguely, von Louise Bourgeois bis Keith Haring, von Robert Mapplethorpe bis Bob wilson. Auch innerhalb ihrer eigenen Familie, mit ihrem Ehemann und ihren Kindern Olivia und Cyrille, spielt sich ihr Leben in der welt der Kunst ab. Und auch in der welt der Nacht. Die Nacht passt gut zu Andrée Putman. Hier betrachtet sie die wirren des Lebens. Mit sicherem Blick.

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8 Albrecht

zu revolutionieren. Obwohl Andrée Putman bereits Mitte fünfzig war, als sie 1980 ihre eigene Karriere als Designerin begann, hat sie mehr vollbracht als die meisten Designer in einem ganzen Leben. Ihr Repertoire umfasst nicht nur Gebrauchsgeschirr, Reisegepäck, Schmuck und Dekorationsobjekte für renommierte Pariser Luxusmarken, sondern auch die Einrichtung von Modegeschäften und Büros von Regierungsmitgliedern und Managern, die Renovierung historischer und moder-ner Baudenkmäler in Frankreich, Boutique-Hotels auf der ganzen welt, die Innenausstattung von Frankreichs Vorzeigeflugzeug, der Concorde, sowie den Filmset für einen der größten europäischen Avantgarde-Regisseure. Sie hat sogar ihre eigene Parfümlinie. Dabei ist Andrée Putman selbst zu einer international anerkannten Luxusmarke geworden. All ihre Entwürfe tragen ihre unverwechselbare Handschrift, weisen ihren ganz charakteristischen Stil auf, der in der Tradition von Frankreichs großen Vertretern des Modernismus im 20. Jahrhundert, vom Art déco bis hin zu Le Corbusier, steht.Nur wenige Aspekte von Putmans Ausbildung und Erbe lassen auf ihre künftige Rolle als erfolgreiche Botschafterin des französischen Stils schließen. Ihr Vater, Joseph Aynard, war Journalist und Übersetzer, der sieben Sprachen beherrschte. Ihre Mutter, Louise Saint René Taillandier, eine auffallend elegante Persönlichkeit (wie auch Andrée als Erwachsene werden sollte), hatte eine Ausbildung als Pianistin absolviert und spornte ihre beiden Töchter, Andrée und Agnès, dazu an, eine Musikerkarriere einzuschlagen. Als Teenager besuchte Putman das Pariser Konservatorium und studierte bei Francis Poulenc Komposition. 1945 gewann sie im Alter von zwanzig Jahren den ersten Preis bei einem größeren

Für viele Beobachter ist Andrée Putmans Arbeit die Verkörperung des »französischen Stils« – zurückhalten-der Luxus, kühle geometrische Formen, verbunden mit warmer Sinnenfreude. Putmans charakteristische Handschrift bei Inneneinrichtungen wie beispielsweise des Flagship-Stores des Hauses Guerlain in der Pariser Avenue des Champs-Elysées oder des wegweisenden Boutique-Hotels Morgans in New York erinnern an die Glanzzeit des Modernismus im Frankreich des 20. Jahr-hunderts, die mit den Designern Jean-Michel Frank, Robert Mallet-Stevens und Le Corbusier in Verbindung gebracht wird. Obwohl Putman niemals betont hat, wel-che Rolle sie selbst in diesem Zusammenhang gespielt hat, vertritt sie wie die französischen Designer vor ihr eine typisch französische Idee, die nationale Identität durch innovative Kunst, Architektur und Avantgarde-Design auszudrücken versucht.Überraschenderweise hat Putman keinerlei formale Ausbildung oder Schulung in einem dieser Gebiete erfahren, und vielleicht hat sie gerade deshalb die Freiheit gehabt, viele verschiedene Berufe auszuüben. Seit Beginn ihrer Karriere in den 1950er Jahren hat sie als Journalistin gearbeitet, die Frankreichs ver-gessene Designer erneut ins Rampenlicht rückte, und als Unternehmerin von Écart, die die Einrich-tungsgegenstände dieser Designer neu auflegte und sie der breiten Masse zugänglich machte. Als Kreativchefin von Frankreichs fortschrittlichstem Einrichtungshaus und in Zusammenarbeit mit dem florierenden prêt-à-porter-Business hat sie entscheidend dazu beigetra-gen, die Einrichtungsbranche und die Modeindustrie

Andrée Putman: Botschafterin des französischen Stils DONalD albreCht

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9André Rau / H & K © 2004

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10 Albrecht

Musikwettbewerb, doch sie gab die Idee einer Musiker-karriere auf, nachdem ihr Poulenc vorhergesagt hatte, dass sie weitere zehn Jahre arbeiten müsse, bis er ihre Fortschritte beurteilen könne und sie in Kenntnis setzen würde, ob sie wirklich Talent habe. Begierig, ihr Leben zu leben, und überzeugt, dass das Musikerdasein sehr einsam sei, wandte sich Andrée Putman von einer musi-kalischen Karriere ab und beschloss endgültig, »sich lieber mit ›Raum‹ (Interiordesign) als mit ›Zeit‹ (Musik) zu befassen.«1 um mit ihren eigenen worten zu sprechen. Dennoch haben die mathematischen Prinzipien, die der Musik zugrunde liegen, ihre spätere Arbeit als Interior- und Produktdesignerin klar beeinflusst, die ihre wurzeln im harmonischen Zusammenspiel geometrischer Formen hat. »Andrée Putman ist in erster Linie eine Person, die in der Strenge musikalischer Komposition ausgebildet ist«, so Jack Lang, Frankreichs dynamischer und innova-tiver Kulturminister in den 1980er Jahren, dessen Büro Putman eingerichtet hat. »Sie hat diese einzigartige Gabe, die Grammatik von Räumen entschlüsseln zu kön-nen; so gelingt es ihr, diese umzugestalten und doch den ihnen innewohnenden Charakter zu bewahren.«2

Putman schaffte es schnell, ihr Auge ebenso streng zu schulen und weiterzuentwickeln, wie sie ihr Ohr trainiert hatte. Sie wechselte von der Musik zum Journalismus, was sie teilweise ihrer Großmutter mütterlicherseits zu verdanken hatte, die zu einem früheren Zeitpunkt im 20. Jahrhundert den Prix Femina mit ins Leben geru-fen hatte, einen französischen Literaturpreis, der von Autoren für das Magazin La Vie heureuse, heute als Femina bekannt, geschaffen worden war. Auf Anraten ihrer Großmutter wurde sie um das Jahr 1950 herum Mitarbeiterin des Magazins und leitete damit die erste Phase ihrer beruflichen Karriere ein. Nachdem sie in

den 1950er und frühen 1960er Jahren als Journalistin und Grafikdesignerin gearbeitet hatte, erweiterte sie ihren Horizont in zwei Phasen: als Kreativdirektorin der Einzelhandelskette Prisunic und des Modebetriebs Créateurs & Industriels von den späten 1950er bis Mitte der 1970er Jahre und ab den späten 1970er Jahren bis heute als erfolgreiche Geschäftsfrau und weltberühmte Interior- und Produktdesignerin.Obwohl Putman durch ihre Artikel in den 1950er Jahren für Magazine wie Femina und Cahiers d’Elle mit der Modewelt in Berührung kam, für die sie letzten Endes Innenausstattungen entwarf, war es ihre Position als Redakteurin und Stylistin für das Magazin L’Œil in den frühen 1960er Jahren, die den Grundstein für ihre ästhetische Philosophie legte, die charakteristisch für ihre Karriere sein sollte. Zu dieser Zeit war L’Œil eine der visuell raffiniertesten und intellektuell stimulierends-ten Publikationen, die jeden Aspekt des »Besten« im Bereich der visuellen Kultur abdeckte, von den neues-ten Trends in moderner Kunst und Architektur bis hin zu dem Jugendstil der Jahrhundertwende und mittel-alterlichen Buntglasfenstern. Putmans Arbeit für das Magazin war vielseitig, zudem – genau wie der Titel des Magazins implizierte – führte ihr außergewöhnlicher und neugieriger Blick zur Veröffentlichung von Artikeln über das mit Kunstwerken reich ausgestattete Heim des zeitgenössischen Schuhdesigners Roger Vivier und Porträts von bislang unbeachteten Persönlichkeiten wie etwa des Art-déco-Modeschöpfers und Sammlers Jacques Doucet. In ihrer Funktion als »Auge des Dekorateurs« des Magazins zeichnete sie auch für die Inszenierung von optisch überwältigenden Dioramen und Objektstillleben, die auf Tischplatten und anderen Oberflächen arran-giert waren, verantwortlich (Abb. 1 und 2).3 Diese Bilder

stellten Fundstücke von Pariser Flohmärkten, seltene Kunstwerke aus der ganzen welt und andere Artefakte des täglichen Lebens nebeneinander, um die ihnen zugrunde liegenden formalen Beziehungen offenzulegen. Für Putman war das ein unverwechselbarer moderner französischer Traum: »Baudelaire«, merkte sie an, »sagte, dass Modernität nicht in der Form, sondern in der Art und weise besteht. Ich glaube, dass ich modern bin, selbst wenn ich einen antiken Gegenstand nehme – die Art der Präsentation, die ich wähle, wird zeitgenössisch sein. Der Künstler blickt immer in die Vergangenheit zurück, wäh-rend er über die Zukunft nachdenkt«.4 In einem charakte-ristischen, auf einem Kaminsims arrangierten Ensemble wurde die Geometrie stark gewundener Schlangenlinien mit der Holzskulptur eines Schakals aus dem alten Ägypten (die Putman in ihrem Pariser Loft immer noch in Ehren hält), einer abstrakten Gouache des zeitgenös-sischen Künstlers Bram van Velde und einem aus dem 10. Jahrhundert stammenden mexikanischen Kopf aus Veracruz kombiniert. In Putmans Augen legte diese Freiheit, Interieurs mit einem Mix aus Altem und Neuem, Edlem und Einfachem, Fremdem und Einheimischem zu schaffen, den Grundstock für eine längst benötigte Revolte gegen den konventionellen französischen Stil. »Da ich in das hineingeborgen wurde, was man gemein-hin die wiege des guten Geschmacks nennt«, so schrieb Putman später über ihr Heimatland, »verspürte ich bereits sehr früh den wunsch, gegen die alte französische Idealvorstellung anzukämpfen, die sehr an einen durch Liebesbekundungen abgenutzten Teddybär erinnert. Der klassische französische Stil, der in der Falle seiner eigenen Geschichte gefangen ist, stolpert über Troddeln, niest zwischen all den Samt- und Brokatstoffen, schlummert in falschen Louis-XV-Sesseln und wird von seiner allzu üppi-

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Abb. 1: Artikel von Putman in dem Magazin L’Œil, April 1961.

Abb. 2: Detail eines unter der künstlerischen Leitung Putmans entstandenen Stilllebens, veröffentlicht in dem Magazin L’Œil, Dezember 1960.

gen Vergangenheit erstickt.« Als Antwort merkte sie an: »Gerade durch eine von Leidenschaft getragene Auswahl von Möbeln, Objekten und Räumen und durch den Luxus des Unerwarteten sind Häuser mitunter großartig und nobel.«5

Putmans Vertrauen auf »den Luxus des Unerwarteten« ist ihren intellektuellen Vorfahren, unter ihnen der fran-zösische Dadaist und Pionier der Konzeptkunst, Marcel Duchamp, geschuldet. Als Duchamp in den Jahren unmit-telbar nach dem Ersten weltkrieg Kunst und Alltag mitei-nander vermischte, indem er Gebrauchsgegenstände – ein handelsübliches Porzellanurinal, das Rad eines Fahrrades oder einen französischen weinflaschentrockner – zur Kunst erhob und sie betitelte und signierte, behauptete er, dass visuelle Schönheit im Alltäglichen liege. Und als er diese Gegenstände aus ihrem typischen Umfeld her-auslöste – dem Badezimmer, der Garage oder der Küche – und sie in die heiligen Hallen einer Kunstgalerie oder eines Museums positionierte, machte er ferner deutlich, dass die Schönheit alltäglicher Dinge sichtbar gemacht und sogar noch aufgewertet werden könne, wenn man sie in einen unerwarteten Kontext stelle. Duchamps Vorstellungen, die von Putman und anderen Modernisten ihrer Zeit wie den Amerikanern Charles und Ray Eames übernommen wurden, erwiesen sich für Architekten und Designer ebenso wie für Künstler als befreiend. Sie stell-ten die Hoffnung in Aussicht, dass man nicht aus einer adeligen Familie kommen oder reich sein müsse, um sich selbst mit Luxus und Schönheit umgeben zu können. Man brauchte nur Augen, die sich sorgfältig umschauten, klug auswählten und Gegenstände mit Fingerspitzengefühl und Ideenreichtum kombinierten. »Nur Freiheit ermög-licht eine wirkungsvolle Mischung von Edlem und Schlichtem«, verkündete Putman, »die Dame, die Saint-Laurent-Kleider und dazu Schmuck aus einem Billigladen

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12 Albrecht

Abb. 3: Möbelkatalog von Prisunic, um 1960.

trägt; die Abenteurerin, die mit Haute-Couture-Stoffen ihre Sessel bezieht; oder die Verrückte, die ihren Tisch mit einer Mischung von Sterlingsilber, alter Spitze und Papierdeckchen eindeckt«.6 Putman, Dame, Abenteurerin und Verrückte in einer Person, befolgte ihren eigenen Rat, als sie als Interiordesignerin von den 1980er Jahren an waschbecken im Landhausstil in exklusiven Bädern von Stadthotels, Spitzenvorhänge neben Chromarmaturen in einem privaten Loft und fabrikähnliche Fließbänder in einem japanischen Restaurant unweit der schicken Pariser Champs-Élysées verwendete.

Putmans Suche nach dem Unkonventionellen in der Art des Marcel Duchamp als Journalistin bei L’Œil in den frühen 1960er Jahren passte gut zu dem aufkom-menden neuen Geist dieses Jahrzehnts. In dieser Zeit des wohlstands in Amerika und Europa sehnte sich die heranwachsende geburtenstarke Nachkriegsgeneration danach, sich selbst von den moralischen, sozialen und ästhetischen Konventionen ihrer Eltern zu befreien. Diese Dekade wird man wegen der Pop-Art-Gemälde von Andy warhol, der Musik der Beatles, psychedeli-scher Plakate, Plastikmöbeln und farbenfroher Textilien mit kühnen geometrischen Mustern in Erinnerung behalten. Die Vertreter der Babyboom-Generation, die eine große Bevölkerungsschicht darstellten und große Zahlungskraft besaßen, wurden bald die Zielgruppe von Trend setzenden Einzelhandelsketten, von dem in Boston ansässigen Architekten Ben Thompson und seiner Firma Design Research bis hin zu dem Londoner Unternehmen Habitat unter Terence Conran und Zeev Arams eige-nem Geschäft, die beide 1964 im Abstand von wenigen Monaten eröffneten. Diese angesagten Shops waren die Vorläufer vom »Lifestyle«-warenhaus, das an optisch exponierten Standorten all die Ausstattung anbot, die das junge städtische Publikum verlangte. Frankreich war ebenfalls auf diese neuen Trends eingestimmt und sprang in den 1950er Jahren mit einer neuen Generation junger, respektloser Filmemacher – der sogenannten nouvelle vague, zu der François Truffaut und Jean-Luc Godard gehörten – auf den Erfolg versprechenden Jugendkultur-Zug auf. Im Bereich des Einzelhandels und des Designs war das revolutionäre warenhaus Prisunic ein Beispiel für diese neuen Trends. Als Prisunic Andrée Putman im Jahr 1958 anstellte, war die zweite Phase ihrer Karriere als Kreativdirektorin im Einzelhandelsmilieu eingeläutet.Das 1936 in Prisunic umbenannte warenhaus, das 1931 von dem Pariser Kaufhaus Le Printemps gegrün-det und nach dem Vorbild amerikanischer Billigläden entwickelt worden war, trug den harten Auswirkungen der weltwirtschaftskrise Rechnung und hatte grundle-

gende Haushaltswaren, von Nahrungsmitteln bis hin zu Elektrogeräten, zu Discounterpreisen im Angebot. Nach dem Zweiten weltkrieg vertrieb Prisunic für die neue Konsumgesellschaft Designartikel zu Niedrigpreisen, und Mitte der 1950er Jahre führte das Kaufhaus eine eigene Styling- und werbeabteilung ein, um den Produkten der Firma ein durchgängig modernes Aussehen zu verleihen. Als Leiterin der Abteilung wurde Denise Fayolle ein-gestellt, eine wagemutige Geschäftsfrau mit einem Auge für zeitgenössisches Design und Lifestyletrends. Fayolles Motto »Schöne Dinge müssen nicht mehr als hässliche kosten« passte perfekt zu dem egalitären Selbstverständ-nis von Prisunic, und 1960 hatte sie ihre Abteilung bereits auf dreizehn Designer, zehn Industriezeichner, einen Fotografen, zwei werbetexter, ein Verpackungsteam sowie ein Fertigungsteam erweitert.7

wegen ihrer brillanten Arbeit bei L’Œil stellte Fayolle Andrée Putman ein, um Haushaltsprodukte zu entwerfen. »Der Geschmack der Franzosen war zu diesem Zeitpunkt konservativ«, sagte Putman vor Kurzem über die frühen 1960er Jahre, als sie bei Prisunic arbeitete. »In jedem bür-gerlichen Esszimmer standen auf dem Kaminsims zwei Kerzenleuchter zu beiden Seiten einer Uhr. wir kämpften dafür, der französischen Kultur neues Leben einzuhau-chen.«8 Putman, Fayolle und das Team von Prisunic gin-gen sogleich an die Arbeit, und in Hunderten von Filialen und schließlich auch in ihrem Versandkatalog bot die Firma den französischen Konsumenten der Mittelschicht eine große Bandbreite an Einrichtungsgegenständen an, die in innovativen Materialien und Techniken gefertigt waren – aufblasbarem Plastik, Fiberglas und Polyurethanschaum – und leuchtende Farben sowie kühne grafische Muster hatten. Putman und ihre Kollegen entwarfen auch elementare Haushaltswaren, die »hübsch aussahen«, wie sie sagt. »Ich war wie eine Nonne, die ihr Leben für das beschei-dene Ziel hergab, billige Dinge so zu gestalten, dass sie schön aussahen.«9 Prisunic half auch dabei, die im 19. Jahrhundert entstandenen Bugholzstühle von Thonet, die in den 1920er Jahren von französischen Modernisten wie Le Corbusier wegen ihrer schlichten Form und der billigen Massenproduktionstechniken gefeiert worden waren, wiederzubeleben und populär zu machen (Abb. 3). (Die Stühle sind nach wie vor bevorzugte Stücke in Putmans Einrichtungen.) Putman selbst strebte danach, zeitgenössische Kunst einem großen Publikum nahezubringen. 1966 gaben sie und ihr Mann, der Kunstkritiker Jacques Putman, Drucke von Künstlern, unter anderem von Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely und Bram van Velde, in einer Auflagen-höhe von wenigen hundert Exemplaren heraus und ver-

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sich daran, wie sie den bilderstürmerischen Schritt tat und Frauen das Tragen von Bermudashorts antrug.11

Putmans Arbeit bei MAFIA führte zum Höhepunkt der zweiten Phase ihrer Karriere und öffnete die Tür zu ihrem Aufstieg als gefeierte Interior- und Produkt-designerin. Im Jahr 1971 gründete der französische Geschäftsmann Didier Grumbach, der in den letzten Jahren mit dem MAFIA-Kunden Yves Saint Laurent gearbeitet hatte, um das enorm erfolgreiche prêt-à-porter-Geschäft Saint Laurent Rive Gauche zu lancie-ren, eine neue Firma namens Créateurs & Industriels. Seine Absicht war, kreative Designer und industrielle Bekleidungskonfektionäre miteinander bekannt zu machen und dabei Hilfestellung zu leisten, die Karrieren junger unbekannter Designer anzukurbeln, unter ihnen der japanische Designer Issey Miyake, der Brite Ossie Clark und der Franzose Jean-Charles de Castelbajac. Grumbach, der über Putmans Ruf als Trendsetterin bei Prisunic und MAFIA bestens Bescheid wusste, verlor keine Zeit und engagierte sie als künstlerische Leiterin der Firma. »Ihr Charme selbst war schon eine Erfolgsgarantie«, erinnert sich Grumbach an Andrée Putmans individuellen Look, der ihr Markenzeichen geworden ist: strenge Kostüme und Kleider, häufig in Schwarz; unwahrscheinlich hochhackige Schuhe; minimalistischer, an Art déco inspirierter Schmuck; und ein markanter asymmetrischer Pagenhaarschnitt.12 Unendlich oft fotografiert erhielt Putman bald unzählige Spitznamen in der Presse: »Die Hoheitsvolle«, »Die amü-sierte Sphinx«, »Die französische Revolutionärin« und manchmal einfach »Das Auge«.

Zu Putmans Aufgabenbereichen als künstlerische Leiterin der Firma gehörte auch, mit Grumbach eine neue Methode zu erarbeiten, wie die französische Mode

der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte. während die traditionellen Modekollektionen in der Regel in den Privatsalons der Modeschöpfer gezeigt wurden, wo ausgewählte Models zwischen Pressevertretern und Stammkunden hin- und herliefen, verwischte Putman die Grenzen zwischen Mode, Interiordesign und Theater auf spektakuläre weise, indem sie ein frühes Beispiel dessen präsentierte, was heute den pressetauglichen Begriff Fashion Show tragen würde. 1973 zum Beispiel plante Créateurs & Industriels die erste Kollektion Issey Miyakes als Zirkusveranstaltung inklusive Trapezkünstlern, die in der Pariser Börse, bekannt als La Bourse, präsen-tiert wurde. Ungefähr zu dieser Zeit wandte Putman als Eventdesignerin dieses Gefühl für theatralische Inszenierungen auf den berühmten Pariser Nachtklub Le Palace an.

Im selben Jahr, in dem sie half, Miyake auf dem Markt zu positionieren, machte Putman den größten Schritt hin zur Designerin unverwechselbarer Interieurs, als Grumbach seine eigene Version eines Lifestyle-Kaufhauses in der Art von Terence Conrans Habitat eröff-nete. (1973 hatte Habitat seine erste Pariser Filiale unter der Leitung von drei ehemaligen Prisunic-Angestellten eröffnet.) Grumbach übertrug Putman nicht nur die Aufgabe, die neuen Räume zu gestalten, ein stillgelegtes Bahngebäude an der Rue de Rennes, sondern auch die Verantwortung, sie mit ausgefallenen waren auszustat-ten. Sie schuf einen Raum, der flexibel genug war, dass er einerseits Platz für warenauslagen und andererseits für Modeschauen bot. Unter Anwendung von Strategien, auf die sie ihre ganze Karriere als Interiordesignerin hindurch zurückgreifen sollte, legte sie das originale Metallgerüst mit den hohen schlanken Säulen und ein dramatisch anmutendes, mit X-förmigen Streben ver-steiftes Tragwerk frei und schuf so einen optisch auf-

kauften sie für nur einhundert Franc das Stück. »Ich glaubte, wenn man Menschen Dinge zum Einrichten ihrer Räume verkauft«, so Putman, »dann sollte man ihnen auch Ideen für ihre wände liefern.«10 Und was noch wichtiger für Putmans eigene Zukunft als Designerin war: Prisunic ebnete das Terrain, indem dort eine auf-strebende Generation von Designern unter ihren eigenen Namen vermarktet wurde. So wurden unter anderem Gae Aulenti, Marc Held und Terence Conran einem breiteren Publikum bekannt.

während Putman und ihre Mitarbeiter bei Prisunic dazu beitrugen, die französische Inneneinrichtung für einen zunehmend vermögenden und designbewussten Konsumenten zu revolutionieren, veränderten andere Firmen und Einzelpersonen die französische Modeszene. In den 1950er und 1960er Jahren erweiterte die franzö-sische Modeindustrie die Tradition der handgefertigten Maßkonfektion um die modernere Massenproduktion seriengefertigter Kleidungsstücke, im Französischen als prêt-à-porter bezeichnet. Die stets geschäftstüch-tige Fayolle erkannte das Vermarktungspotenzial dieses neuen Trends, verließ Prisunic im Jahr 1968 und tat sich mit Maïmé Arnodin zusammen, einer Journalistin und Managerin, die Mitte der 1950er Jahre den Begriff prêt-à-porter geprägt hatte. Zusammen gründeten Arnodin und Fayolle Frankreichs erste Marketingagentur, MAFIA (Maïmé Arnodin Fayolle International Associées), die sich ausschließlich Stil und Design widmete. Mit der Verbindung von unkonventioneller französischer Mode und einem neuen Geschäftsmodell erwies sich MAFIA als ideales Feld für Putman, die bald schon in die Firma eintrat. Auch hier versuchte sie wieder, den französischen Geschmack neu zu definieren. Zu ihren Kunden, für die MAFIA Versandkataloge für Mode- und Haushaltswaren entwarf, zählte auch La Redoute, und Putman erinnert

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14 Albrecht

Abb. 4: Créateurs & Industriels, um 1974.

strebenden, dreigeschossigen Raum mit einer offenen Treppe und einem Mezzanin (Abb. 4). Sie nahm auch die Oberlichter wieder in Betrieb, die das Sonnenlicht auf den mit industriell gefertigten Pflastersteinen beleg-ten Boden scheinen lassen. Laut Grumbach waren die beleuchteten Pflastersteine eine geeignete Metapher für Putmans Intention, die Lebendigkeit der Alltagsdesigner von der Straße hinein in das Kaufhaus zu holen.13 war die ware, die sie ausgewählt hatte, erst einmal an ihrem Platz, verwandelte sich das Geschäft in eine drei-dimensionale Version von Putmans Bildern, die sie für das Magazin L’Œil schuf. Mitten in einem Garten mit seltenen Pflanzen lagen eine großartige Auswahl histori-scher Armbanduhren und Füllfederhalter, Porzellan und Keramik, zeitgenössischer Schmuck von Elsa Peretti, Kleider von Christiane Bailly, Stephen Burrows und Betsey Johnson, Papier in allen erdenklichen Farben und avantgardistische Möbel von Pierre Paulin, Olivier Mourgue und dem Prisunic-Designer Marc Held.14 Die zweite Etappe von Putmans Karriere, in die ihre Arbeit für Prisunic, MAFIA und Créateurs & Indus-triels fällt, festigte ihren Ruf als eindrucksvolle Richtungsgeberin und Trendsetterin, als aufstrebende Interiordesignerin und, genau wie die neue Genera-tion von Möbel- und Modedesignern, deren Ansehen sie zu etablieren half, als prägende Persönlichkeit an der Schwelle zur eigenen Berühmtheit. Doch mit dem Niedergang von Créateurs & Industriels im Jahr 1977 auf-grund interner Streitigkeiten war Putman gezwungen, sich selbst neu zu positionieren. Drei Schlüsselerlebnisse im Jahr 1978 förderten ihre Renais sance und leiteten die dritte, heute noch andauernde Phase ihrer Karriere als Interior- und Produktdesignerin ein: In jenem Jahr stat-tete Putman ihr erstes Modegeschäft für den Créateurs-&-Industriels-Avantgardisten Thierry Mugler aus, der den Modetrend der großen Schulterpolster in den 1980er

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Abb. 5: Putmans Landhaus in Grimaud, Frankreich, renoviert im Jahr 1964.

Jahren begründete. Dann nahm sie die Renovierung ihrer eigenen Pariser wohnung als charakteristisches und bald viel publiziertes Schaufenster für ihr Talent als Designerin und ihr Fingerspitzengefühl als Sammlerin in Angriff. Und sie gründete ihre eigene Firma, Écart, mit dem Ziel, Möbel längst vergessener Designer der 1920er und 1930er Jahre wiederaufzulegen.In Putmans Karriere war die Mugler-Boutique ein Übergangswerk: wichtig vom geschäftlichen Standpunkt aus gesehen, weil es ihr erster Auftrag als professionelle Designerin war, jedoch enttäuschend von ihrer Ästhetik her. Die wände und Balustraden aus rohem Beton, die teilweise den Blick auf goldschimmernde Fliesen freigeben, legen eine Schwerfälligkeit an den Tag, die Lichtjahre von ihrem raffinierten und zarten reifen Stil entfernt ist. weitaus näher an ihren späteren Arbeiten waren die wohnräume, die sie zuvor für sich selbst entworfen hatte, einschließlich eines Sommerhauses in Grimaud in Frankreich (Abb. 5 und 6), wo ihr Talent zum Schaffen schöner Bilder mit Hilfe von Gebrauchsgegenständen bereits früh zu erkennen war, und eine Pariser wohnung mit ihren ersten Art-déco-Schätzen. Sie war auch für Freunde als Designerin tätig – häufig unentgeltlich wegen ihrer fehlenden formalen Ausbildung in Architektur oder Interiordesign. »Ich habe ihnen keinen Pfennig in Rechnung gestellt«, erin-nert sie sich an diese ersten Kunden, »weil ich nichts konnte. Ich hatte nur eine Menge Ideen. Das Ausstatten dieser wohnungen war für mich Designunterricht.«15

Sowohl wegen ihrer nationalen prominenten Klientel als auch wegen ihres minimalistischen Stils bemer-kenswerte Aufträge waren die Appartements, die sie in den 1960er Jahren für den späteren französischen Kulturminister Michel Guy in Paris und St. Tropez entwarf (Abb. 7). In diesen Interieurs nahm Andrée Putman Abstand von den wilden Erscheinungsformen

Abb. 6: Das japanische Zimmer in Grimaud.

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des Designs dieser Zeit – von den flirrenden psychedeli-schen Drucken und den bunten Plastikteilen in Day-Glo-Farben – zugunsten einer eleganten Strenge in Schwarz-weiß und legte damit die Grundlage für ihre heute noch favorisierte Farbpalette. Diese Interieurs zeigten auch, dass sie gerne für Inneneinrichtungen in Mode gekom-mene Klassiker aus dem Bereich des Möbeldesigns des 20. Jahrhunderts verwendete, von Ludwig Mies van der Rohes Barcelona-Stuhl bis hin zu Eero Saarinens Pedestal Table. wesentlich signifikanter für ihren späteren Stil war jedoch Putmans Renovierung eines Pariser Palais aus der Zeit des Second Empire für die MAFIA-Gründer Fayolle und Arnodin in den 1970er Jahren. Für diese weit-gehend in weiß und Grau gehaltenen Innenräume wählte Putman originale Art-déco-Möbel und Bugholzstühle von Thonet. Die »pièce de résistance« dieser Inneneinrichtung war das Badezimmer, ein wichtiges Element in Putmans späteren Domizilen und noch wichtiger in ihren Hotels. wie die Designjournalistin Suzanne Slesin angemerkt hat, war das heute immer noch aktuelle Badezimmer zu dieser Zeit höchst ungewöhnlich für eine wohnung in Frankreich, nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch wegen seines hellen nüchternen Designs mit weißen Fliesen und waschbecken mit verchromten Rohrfüßen und freiliegenden Leitungen.16 In Anlehnung an Marcel Duchamp veränderte Putman den traditionellen Kontext und wandte die Kombination von zwei waschbecken aus dem Londoner Savoy Hotel auf dieses elegante Pariser Domizil an.Putmans eigene wohnung stellte den Höhepunkt dieser frühen Experimente im Bereich des wohndesigns dar. Ihre architektonische Strenge, die durch üppiges Mobiliar und reiches Dekor aufgebrochen wurde, lieferte die Vorlage für all ihre späteren Arbeiten. Das Appartement, das sich in den beiden oberen Stockwerken einer alten Druckerei befindet, liegt auf der anderen Straßenseite

gegenüber der wohnung, in der sie mit ihrem damaligen Mann (die beiden ließen sich 1978 scheiden) und den bei-den Kindern, Cyrille und Olivia, lebte. Das Gebäude liegt am linken südlichen Seineufer in einem Viertel, wo ehe-mals spanische Arbeiter wohnten und auch Pablo Picasso einst lebte. Putman behandelte den Raum weitgehend als eine offene Fläche, mit grau gestrichenem Betonboden, Schiebefenstern mit Stahlrahmen und weiß gestrichenen Metallsäulen. Die wohnung wurde zwei Renovierungsphasen unter-zogen – die erste in den späten 1970er Jahren und dann Mitte der 1990er Jahre, als Putman den Dachwintergarten in eine Küche umfunktionierte, wo ein blauer Emaille-tisch und verschiedene Thonetmöbel vor einer wand mit Kunstwerken von Niki de Saint Phalle und Marcel Duchamp stehen. Heute tritt der Besucher aus einem industriellen Fahrstuhl in eine Halle mit einer offenen Metalltreppe, die zu der wohnung führt. Diese ist von der Eingangshalle durch zwei wände aus Glas und Metall getrennt, die die alten Industriefenster des Gebäudes imitieren. In der wohnung selbst ist nur Putmans Badezimmer ein separater Raum, der von Glas umgeben ist und einen unerwartet dekorativen Touch durch frisch gestärkte Spitzenvorhänge erhält.Innerhalb der sachlichen, minimalistischen Architektur besteht die Einrichtung aus einem extravaganten Mix von industriell gefertigten und handgemachten, alten und neuen, seltenen und alltäglichen Möbelstücken, die die einzelnen Funktionen des Hauses charakterisieren und der wohnung eine entschieden französische Note verleihen, im Vergleich zu der New Yorker Begeisterung für Lofts in den 1970er Jahren, die in den Händen von Künstlern wie Donald Judd weit schlichter und weni-ger eklektisch ausfielen. »Ich sammelte Möbel, die für

Abb. 7: Wohnung von Michel Guy, St. Tropez, 1968.

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den Sperrmüll auf die Straße gestellt worden waren«, erzählte sie jüngst einer britischen Zeitung, »aber auch Antiquitäten und zeitgenössische Stücke. Es machte gro-ßen Spaß, aus möglichst vielen Quellen zu schöpfen und vielseitig zu sein, und Leute, die mich von meiner reinen, minimalistischen Arbeit her kannten, waren schockiert, wenn sie mein Zuhause sahen.«17 Im Esszimmer zum Beispiel stehen ein Tisch von Paul Dupré-Lafon aus dem Jahr 1935 sowie eine Gruppe von Stühlen des führenden Pariser Kunstschmieds Edgar Brandt aus dem Jahr 1938. Ihre Kleider hängen an einem offenen Ständer an der wand und neben einer Chaiselongue von Le Corbusier. Im Hauptsalon finden sich ein modernes weißes Sofa, ein schlichter Teppich und eine eindrucksvolle Standuhr aus geschliffenem Spiegelglas. In einem zweiten Sitzbereich stehen zwei exotische Stühle eines nicht näher definierba-ren Stils, vermutlich einst Bühnenrequisiten der berühm-ten französischen Schauspielerin Sarah Bernhardt. In der Mitte des Raumes thront der Schreibtisch von Andrée Putman: ein kubischer Art-déco-Kasten aus schwar-zem Lack und Elfenbein mit raffiniert abgeschrägten Ecken. Dieser wurde ursprünglich für Monsieur Drian angefertigt – seine Initialen DRI sind in Elfenbeinrelief auf der Vorderseite des Schreibtisches eingelegt –, der ein führender Mitarbeiter der Pariser Modeschöpferin Jeanne Lanvin war. Später spickte Putman ihre Innen-einrichtungen häufig mit auffälligen Details, für die sie sich von dem Art-déco-Repertoire dieses massiven Schreibtisches inspirieren ließ. 1989 entwarf sie für die Balenciaga-Boutique einen Schrank für warenauslagen aus schwarzem Leder mit einer rot-goldenen Troddel als Zuggriff, die in der Mitte einer runden Ankerplatte aus konzentrischen Reihen von glänzenden Beschlagnägeln befestigt ist (Abb. 8).

Putmans grenzenlose Begeisterung für den französischen Modernismus des 20. Jahrhunderts nahm großen Einfluss auf die Gestaltung ihrer wohnung. Ein Schlüsselereignis für diese Bewegung war die weltausstellung im Jahr 1925, die Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, die der Öffentlichkeit ein ext-ravagantes Ensemble aus Gebäuden und Dekorations-gegenständen präsentierte und damit das französische Design und das Talent ihrer Schöpfer feierte. Die Aus-stellung, die als internationaler Botschafter des franzö-sischen Geschmacks fungierte, nahm schnell weit über die Pariser Grenzen hinaus Einfluss. In den späten 1920er Jahren ragten in Manhattan wolkenkratzer in dem neuen Art-déco-Stil, der sich aus der Abkürzung des offiziel-len Messetitels ableitete, in den Himmel. Ausgefallene Filmpaläste in London und schicke Geschäfte in Los Angeles entstanden ebenfalls in diesem Stil. Der soge-nannte Internationale Stil mit seinen kubischen Formen und schmucklosen Flächen, der sich in den 1930er Jahren wachsender Popularität erfreute, ließ sich auf den Pavillon de L’Esprit Nouveau der Ausstellung zurück-führen, der von Le Corbusier entworfen worden war. Putmans Vorliebe für diese Zeit war vielleicht vom Schicksal bestimmt: Sie wurde nämlich in der franzö-sischen Hauptstadt am 23. Dezember 1925 geboren, nur wenige Monate, nachdem die Ausstellung ihre Tore geschlossen hatte.Mitte der 1950er Jahre war der Einfluss der Pariser weltausstellung sowie des innovativen französischen Designs der Zwischenkriegszeit, das durch diese lan-ciert wurde, praktisch verschwunden. Doch bald verhalf diesem eine neue Generation von Autoren, Museumskuratoren und Designern zu neuem Leben, von denen keiner produktiver und einflussreicher war als die vielseitig begabte Andrée Putman. Schon 1959 hatte L’Œil über den französischen Architekten Robert Abb. 8: Detail einer Vitrine in der Balenciaga-Boutique, 1989.

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Mallet-Stevens und den Designer Pierre Chareau als modernistische Pioniere berichtet, wobei der Akzent auf den von Mallet-Stevens entworfenen Pavillon für die weltausstellung im Jahr 1925 und auf Chareaus Maison de Verre gelegt wurde. Dieses bemerkenswerte Haus, das in einem Innenhof in einer schmalen Straße, nur einen Katzensprung von Putmans eigener wohnung entfernt steht, war von Chareau, dem Architekten Bernard Bijvoet und dem Kunsthandwerker Louis Dalbet entworfen und im Jahr 1932 vollendet worden. Seine Hauptcharakteristika – eine völlig freie Behandlung der Baustruktur, die dazu dient, Räume abzugrenzen; weich modelliertes Licht, was häufig durch die Verwendung durchsichtiger Materialien erzielt wird; und ein Mix von industriell gefertigten Standardausstattungselementen und sinnlichen, traditionelleren Einrichtungsstücken – prägten nicht nur die Baueinheiten von Putmans eigenem Appartement, sondern auch ihre Ästhetik als Interiordesignerin.Putman, die sich nicht damit begnügte, einfach nur die Arbeiten der großen französischen Designer der Zwischenkriegszeit zu sammeln, beschloss 1978, einen neuen Geschäftszweig zu eröffnen, indem sie deren Entwürfe neu auflegte und der breiten Masse zugäng-lich machte. Der Zeitpunkt für die Gründung ihrer Firma, Écart, war perfekt: Die zweite Generation der Modernisten verschwand gerade aus der Designszene (Charles Eames starb in diesem Jahr), und das Interesse an den vergessenen Meistern der ersten Generation nahm zu. Écart bedeutet soviel wie »Spanne oder Abstand«, erzählte Putman dem Magazin Art Review, »und rückwärts geschrieben ergibt es ›trace‹ [›Spur‹ bzw. ›aufspüren‹], was genau das ist, was ich mit diesen in Vergessenheit geratenen Künstlern mache.«18 Die Designs von Écart, die mit exklusiver Genehmi-gung und unter sorgfältiger Kontrolle ihrer Designer und Erben nachgebaut wurden, waren laut einer Marketingbroschüre der Firma »in der Vergangenheit als ›Avantgarde‹ angesehen worden und wurden geheiligte Dinge, die heute in unseren Gedanken herumgeistern.«19 Die Arbeiten der in Paris ansässigen Irin Eileen Gray wurden als Erste von Écart wiederaufgelegt, und die

Abb. 9: Collage-bavardage von Karl Lagerfeld, Geschenk an Putman aus dem Jahr 1984 mit der Abbildung von Écart-Möbeln.

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Linie umfasste auch bald schon ihre geniale Badezim-mer vorrichtung Satellite, bei der eine Leuchte und schwenkbare Spiegel verschiedener Größen und Ver-größerungsstärken miteinander kombiniert waren, Teppiche mit grafischen Mustern und auch bequeme und dennoch elegante Sessel.20 Putman und Gray waren in vielerlei Hinsicht verwandte Seelen. Beide waren ent-schlossene, unabhängige Frauen, die gegen ihre konserva-tiven Familien rebelliert hatten. Als Teenager schockierte Putman ihre Familie, als sich bereits Anzeichen ihres späteren Bekenntnisses zur Schlichtheit bemerkbar machten und sie die eleganten bürgerlichen Möbel ihrer Familie aus ihrem Schlafzimmer verbannte und sie durch eine asketische Einrichtung mit Eisenbett, modernem Sessel und Drucken von Joan Miró ersetzte, ein Vorbote ihrer späteren Förderung abstrakter Kunst. Beide Frauen taten sich auch in Designbereichen hervor, die eigentlich Männerdomänen waren, bewegten sich zwischen der welt des Designs und der Mode und zählten Modeschöpfer zu ihren Förderern und Kunden. Über die Gemeinsamkeiten in ihren Biografien hinaus befanden sich beide auf ästhetischer Ebene im Einklang, da sie beide die architektonische Struktur über die Dekoration der Oberfläche stellten und, was noch wichtiger war, sich auf eine der gewaltigsten Herausforderungen einlie-ßen und sich dem Modernismus des 20. Jahrhunderts stellten. »Diese Rückkehr zu elementaren geometri-schen Formen«, sagte Gray in einem Interview mit dem Magazin L’ Architecture vivante, »war notwendig, um uns aus einem bedrückenden System zu lösen und Freiheit zu erlangen. Doch diese intellektuelle Kälte … erklärt nur zu gut die harten Gesetze moderner Maschinen … was wir brauchen, ist die wiederentdeckung des menschlichen willens unter der Materialoberfläche.« 21 Zum Erreichen dieses Ziels folgte Grays werk einigen Regeln, die Andrée Putman bald bei ihren eigenen Projekten übernahm. Die Möbelentwürfe beider Frauen waren für den täglichen Gebrauch bestimmt und bezogen industrielle Verfahren und Materialien mit ein, und ihre minimalistische Ästhetik unterschied klar zwischen der Rahmenstruktur und dem Füllmaterial. Die Stücke waren schlicht in der Form und wiesen häufig platonische Formen wie Kreise

und Kugeln auf. Diese Strenge wurde jedoch durch die Verwendung von luxuriösem Leder, Tierfellen und hoch-glanzpoliertem Chrom, von industriellen Materialien, die aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst waren, wie mechanischen Federn, sowie schmuckähnlichen Verbindungen und Details abgemildert. Grays 1927 ent-standener Transat-Stuhl, der von Écart wieder gefertigt wurde, war der Inbegriff dieser Haltung, mit den kla-ren Linien seines Holzrahmens, der von Metallgelenken zusammengehalten wird, und dem bequemen Polstersitz aus weichem schwarzem Leder. Andere Stücke, die von Écart wiederaufgelegt wurden, folgen den gleichen ästhe-tischen Prinzipien: ein Schemel von Pierre Chareau, ein Metallstuhl von Mallet-Stevens und eine Stehleuchte in der Form eines riesigen Fotografenscheinwerfers, die von dem italienischen Avantgarde-Modeschöpfer Mariano Fortuny entworfen wurde (Abb. 9 und 10).

Abb. 10: Transat-Stuhl von Eileen Gray, 1927, Nachbau von Écart im Jahr 1978.

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Für die Büros und einen Verkaufsraum ihrer neuen Firma wie auch für einen Saal für Feste und Empfänge griff Putman ihre Idee eines Concept Store wieder auf, den sie in der Rue de Rennes für Créateurs & Industriels entwor-fen hatte. Sie zog zunächst in kleine Räume in der Rue Pavée und dann in größere Räume auf der Hofseite eines Gebäudes in der Rue St. Antoine, beide im Marais-Viertel gelegen. Nach seiner Glanzzeit im 17. Jahrhundert war das Marais ziemlich heruntergekommen, erfuhr jedoch zu Beginn der 1960er Ja hre wieder eine Aufwertung. Nachdem sie das große Dachfenster freigelegt und den industriellen Eisenfahrstuhl mit spektakulären Formen zur Geltung gebracht hatte, unterteilte Putman den Raum mit wellenförmigen Metallrahmen, in die durch-sichtige Stoffbahnen gespannt sind. Sie kombinierte Möbel, Deko-Objekte und ihre neuen Editionen moderner Künstler. Nachdem die Firma mit nur einem Assistenten begonnen hatte, beschäftigte Écart in den Glanzzeiten der 1980er Jahre dreißig Personen, gab neue Möbel bei Putmans Kollegen in Auftrag und stellte in dem Pariser Firmensitz jungen Designern, deren Arbeit Putman bewunderte, Platz zur Verfügung.Die Möbel von Écart, die in dem von Putman ent-worfenen Geschäft im Marais präsentiert worden waren, erwiesen sich auch als international rezipierte Botschafter der Putman’schen Ästhetik. Schon 1980 wurden einige ihrer wiederaufgelegten Möbel in der Eileen-Gray-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt, während die Magazine House & Garden und Vogue sowie die New York Times Putman der breiten amerikanischen Leserschaft vorstellten. Seit den 1980er Jahren hat Andrée Putman sich als clevere Geschäftsfrau gezeigt, die wiederholt ihre Neuauflagen von Écart in einer großen Bandbreite ihrer eigenen Inneneinrichtungen als ihre persönliche Handschrift einsetzte, von einer Vorzeigewohnung in Manhattan über einen Hörsaal in einem regionalen französischen Regierungssitz bis hin zu einer Villa in Tanger, die dem berühmten französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy gehört.In den frühen 1980er Jahren etablierte sich Andrée Putman auch zunehmend als Inneneinrichterin von Modeboutiquen, was ihr Renommee für Highstyle- Design noch untermauerte. In dieser Zeit hatte Didier Grumbach Saint Laurent Rive Gauche mit mehr als einhundert Geschäften auf der ganzen welt einen internationalen Zuschnitt gegeben. Von 1980 bis 1984 stattete Putman fünfzehn Rive-Gauche-Boutiquen aus, einschließlich des Flagship-Stores in New York im Jahr 1982, wo sie auch Grumbachs wohnung gestaltete.22 Putmans Arbeit mit Grumbach und Saint Laurent machte sie in New York berühmt, »die bedeutendste Pariser

Abb. 11: Installation im Charles-Jourdan-Geschäft, 1991.

Interior-Designerin der Zeit«, laut New York Times, die an Abendeinladungen in Manhattan teilnimmt, wo sie sich »wie die jüngere Schwester von Diana Vreeland [die ehe-malige Vogue-Herausgeberin] über die Gemeinsamkeiten von Interior- und Modedesign auslässt und sagt, dass minimales Interior-Design ›langweilig‹ ist«.23 Grumbach zufolge war Putman kaum bekannt, als sie nach New York kam, doch ihr unverwechselbarer persönlicher Stil und ihre Ausstrahlung machten aus ihr in Amerika eine Berühmtheit, und das förderte wiederum ihren Ruf in Paris.24 Innerhalb weniger Jahre war Putman die Stimme des modernen französischen Designs in den Vereinigten Staaten, sie schrieb 1982 die Einleitung zu dem populä-ren Buch French Style und verkörperte laut dem Magazin Interior Design das, »was in Amerika sehnsüchtig als ›Französischer Stil‹ bezeichnet wird«. während dieser Zeit modernisierte sie mit ihren sanf-ten Inneneinrichtungen den Zwischenkriegsstil der führenden französischen Designer. Einer der Designer, den sie besonders bewunderte, war Jean-Michel Frank, dessen lederbezogene Sessel und Sofas mit den strengen Formen Putman bei Écart wieder auflegte. Ihre Interieurs in Frankreich für Persönlichkeiten wie den Vicomte de Noailles, dessen Offenheit Putman sehr schätzte, und Nelson Rockefeller in New York City stellten zwar eine Reminiszenz an Le Corbusiers Betonung glatter Flächen dar, waren jedoch mit Polstersofas und Sitzecken sowie Tierfellteppichen ausgestattet, hatten mit beigefarbe-nem Velin bezogene wände und eine seltsame surrea-listische Note. Die hohen, schmalen Spiegel in dünnen Metallrahmen, die das wohnzimmer von Jean-Michel Franks wohnung für Templeton Crocker in San Francisco säumen, kehren in Form eines zusammenfaltbaren Spiegelparavents in Putmans 1985 entworfenem Geschäft für Azzedine Alaïa wieder, während ihre Ausstattung des Charles-Jourdan-Ladens, für den sie überdimensio-nierte Vogelkäfige mit weißen federartigen Rückwänden zur Präsentation der Schuhe entwarf, an Franks humor-volle Arbeit für die französische Modeschöpferin Elsa Schiaparelli erinnert (Abb. 11).Andere Designer der Zwischenkriegszeit sollten eben-falls Einfluss auf sie nehmen. Die leuchtende Glasbau-steinwand von Chareaus Maison de Verre zitiert Putman in den von hinten beleuchteten Laibungen in ihrem 1988 entstandenen Institut Carita spa in Paris, in der beleuch-teten halbrunden Bar in ihrem Ebel-Showroom der Villa Hardhof aus dem Jahr 1990 und in der Glasbausteinwand, die einen runden Lichtschacht umschließt, in einem 2003 gestalteten Appartement in San Sebastián. Putman hat bei all diesen Aufträgen jedoch immer vermieden, Vergangenes einfach zu kopieren, sondern hat es neu belebt und zeitgemäß interpretiert.

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Ihre ganze Karriere hindurch hat Andrée Putman auch mit Kunden zusammengearbeitet, die ihre Leidenschaft für jene Designer des 20. Jahrhunderts teilten. Einer von ihnen ist Karl Lagerfeld, der Mode-Impresario, der heu-tige Chef von Chanel. »wir trafen uns«, erzählte Putman dem Magazin Interior Design, »bei einer Ausstellung im Musée des Arts Décoratifs in Paris im Jahr 1968. Ich trug seltsame Hosen, und er machte sich darüber lus-tig, wie ich angezogen war.«26 Es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen ihnen, die in ihrer gemeinsamen Leidenschaft für den Art-déco-Stil wurzelte, und zusam-men besuchten sie den berühmten Pariser Flohmarkt auf der Suche nach interessanten Dingen. währenddessen ermutigte Lagerfeld Putman dazu, sich selbstständig zu machen. Als sie schließlich seinen Rat befolgte und 1978 Écart gründete, war Lagerfeld immer zur Stelle, um ihr »jede Unterstützung« zu bieten, so Putman. Im Lauf von zehn Jahren haben sich die beiden für zahlreiche Projekte zusammengetan, sowohl auf stilistischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene, mit Blick auf Lagerfelds eigenes expandierendes Geschäft. In dem Badezimmer von Lagerfelds Pariser wohnung, das in den frühen 1980er Jahren entworfen wurde, ließ Putman den küh-nen Schwarz-weiß-Bodenbelag aufleben, der sich in fast jedem Pariser Bistro findet. Dieses Muster sollte schon bald zu ihrem Markenzeichen werden, obwohl sie zornig wird, wenn Kritiker sie abschätzig als »Mrs. Black and white« bezeichnen. Putman entwarf im Jahr 1986 auch Lagerfelds Rive-Droite-Geschäft in Paris und im gleichen Jahr seinen Showroom in Manhattan – ihr erstes Geschäftsprojekt in den Vereinigten Staaten. Geschäfts- und wohnungs-einrichtungen auf der ganzen welt folgten: In Lagerfelds Domizil in Rom fand sich die Fortuny-Leuchte von Écart sowie die neu in das Sortiment aufgenomme-nen Schwarz-weiß-Möbel des Architekten, Designers und Gründungsmitglieds der wiener Sezession Josef Hoffmann, ein Zeichen für die damals ultramoderne wiederentdeckung des frühen 20. Jahrhunderts.In dieser Phase ihrer Karriere ging Andrée Putman über das Einrichten von Privatwohnungen und Geschäften hinaus und erfand eine völlig neue Geschäftstypologie: das Boutique-Hotel. während ihrer Zusammenarbeit mit Grumbach in New York in den frühen 1980er Jahren hatte sie einen vollen Terminkalender, um mit der gesellschaft-lichen und künstlerischen Elite der Stadt in Verbindung zu treten, vor allem mit Andy warhol, Robert wilson, Keith Haring und Patti Smith, um nur einige zu nennen. Sie besuchte auch die berühmt-berüchtigte Diskothek Studio 54. Ihre Besitzer und Betreiber, Ian Schrager und Steve Rubell, engagierten Putman schon bald, um ein heruntergekommenes Hotel auf Manhattans East Side

Abb. 12: Außenansicht des Hotel Morgans mit Blick auf das Empire State Building.

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zu renovieren: das 1984 eröffnete Morgans, das nach der nahe gelegenen Morgan Library benannt war (Abb. 12). wie sie es ihre ganze Karriere als Interior-Designerin hindurch gemacht hat, konzipierte Putman das Morgans auf narrative, fast poetische weise, indem sie das Hotel als einen Platz »irgendwo zwischen öffentlich und privat, unpersönlich und intim, dauerhaft und ephemer« prä-sentierte.27 Ihre Strategie bestand darin, eine Architektur zu entwickeln, deren Ausdruck streng genug war, um eine besondere Atmosphäre zu schaffen, »weit entfernt von den üblichen Hotel-Klischees«, und genau wie Jean-Michel Frank es in seinen Interieurs getan hatte, sollte eine gewisse »Fremdartigkeit« durch ungewöhnliche Details erzeugt werden. Das Ergebnis verhinderte, »dass die Leute sich wie ein Fisch außerhalb des wassers fühlen und bereitete ihnen noch das Vergnügen, dass sie auf charmante weise von ihren üblichen Bleiben abgelenkt werden.«28

Putmans Design für das Morgans war intim und zurückhaltend elegant, im Stil eines Herrenclubs, mit schwarz-weißen Steinböden, die Dreidimensionalität vor-täuschen, braunen Lederclubsesseln mit schwarz-weißen Kniedecken und holzgetäfelten wänden in der Lobby. Das Schachbrettmuster setzte sich im Teppichboden des Flurs und bei den Bettdecken in den Gästezimmern fort, wo Daunendecken, wie sie sonst in Europa verwendet wurden, in einem amerikanischen Hotel Eingang fanden. Die kleinen Zimmer wie bei Alice im wunderland wirken durch ihre sparsame einfarbige Möblierung optisch grö-ßer: Hierzu gehören Stapelstühle aus Metall von Robert Mallet-Stevens, die von Écart neu aufgelegt wurden, und der intelligente Kunstgriff, unter die in tiefen Nischen liegenden Fenster ein Sofa mit bequemen Kissen und Polstern einzupassen. Putman kehrte wieder zu einem Sujet zurück, das sie bereits in der wohnung von Fayolle und Arnodin in den 1970er Jahren entwickelt hatte, lenkte in den Suiten ihr besonderes Augenmerk auf die Badezimmer mit ihren industriellen waschbecken, die schon bald zu Standardelementen im amerikanischen wohndesign werden sollten, und versah nahezu jede Fläche mit einem Schachbrettmuster aus schwarzen und weißen Fliesen.Das Morgans war das Vorbild für unzählige Boutique-Hotels weltweit, darunter auch beinahe ein Dutzend, die von Putman selbst in Frankreich, Deutschland, Japan und Hongkong, wo man das nach der Designerin benannte »Putman« im Jahr 2007 eröffnet hat, ausgestat-tet wurden. Ihr Bekenntnis zu strengen geometrischen Formen hat sich durch all ihre Projekt hindurch erhalten, doch wurde die Farbpalette zunehmend farbenfroher – wie die glitzernden Mosaiken von Bisazza, für die sie Möbel entworfen hat –, und sie setzte mehr theatrali-

sche Beleuchtungseffekte ein. Im Hotel Le Lac in Tokio zum Beispiel gibt es einen Bereich mit zwei langen, schmalen Sitzbänken, die bis zu einer wand führen, die aus neun Quadraten zusammengesetzt ist. Durch die Spalten zwischen diesen Elementen dringt bei Tag von hinten das natürliche Sonnenlicht durch, sodass ein Rasternetz aus hellen Linien entsteht. Und bei ihrer jüngsten Renovierung des Morgans hat sie in die Decke der Lobby ein Lichtspiel von abstrakten Linien integ-riert. Mit dem Morgans kam auch das Motiv des luxuri-ösen Hotelbadezimmers auf, das sich von da an wie eine Konstante durch das werk der Designerin zog. Einige dieser Badezimmer haben mehrere Abteilun-gen für zwei Leute und breite Schiebetüren, die im geöff-neten Zustand den Zimmern nicht nur einen dekaden-ten Touch verleihen, sondern auch einen Eindruck von großer Geräumigkeit. Putmans Idee, dass das moderne

Abb. 13: Blick ins Innere der Abtei von Fontenay (Frankreich) aus dem 12. Jahrhundert.

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Badezimmer ein Teil des wohnraumes sein sollte – eine Idee, mit der die Modernisten der 1920er Jahre, die besonderen Nachdruck auf Gesundheit und Hygiene legten, sicher einverstanden gewesen wären –, spielte eine Hauptrolle bei ihrer Setausstattung für Peter Greenaways Film Die Bettlektüre von 1995, für die sie ein großes, offe-nes Badezimmer entwarf, das mit hohen Bambusstäben und einer frei stehenden Badewanne mit einem giganti-schen Kugelfuß ausgestattet war.Andrée Putman hat auch in der langen Tradition der Hotellobby als Raum sozialer Interaktion gewirkt. Seit dem 19. Jahrhundert, als Hotels der zunehmenden Freizeit und Mobilität des Bürgertums Rechnung trugen, stellte die Lobby eine öffentliche Bühne für den großen und für den nicht so großen Mann dar, wo man sehen und gesehen werden konnte. Das Hotel Pershing Hall, das Putman 2001 in Paris fertig stellte, veranschaulicht die-sen Aspekt. Das Hotel inmitten historischer Bauten, die während des Ersten weltkriegs General John J. Pershing als Hauptquartier dienten und später Sitz der amerika-nischen Fremdenlegion waren, wurde von Putman durch das Einführen von glatten, glänzenden Vorhängen aus falschen Perlenschnüren modernisiert – die mit ihrer Mischung aus Luxus und vornehmer Zurückhaltung typisch für Putman sind und mit dem sonst sehr schwe-ren Mauerwerk der bestehenden Struktur einen interes-santen Kontrast bilden. Am außergewöhnlichsten war jedoch das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit mit dem Künstler Patrick Blanc. Zusammen schufen sie die erste »lebende wand« in der Stadt: eine über drei Geschosse laufende Innenwand mit mehr als dreihundert Pflanzen in dem Hauptspeisesaal des Hotels.29 Dies ist ein neuartiges, theatralisches Element, das die Aufmerksamkeit der Leute erregt, sie untereinander zu Gesprächen anregt und aus dem Ort

einen der unvergesslichsten in der Stadt macht, die für ihre bemerkenswerten öffentlichen Plätze und Bauten bekannt ist.wie im Fall von Pershing Hall und dem Morgans han-delte es sich bei vielen von Putmans Design-Aufträgen in den letzten zwei Jahrzehnten um Renovierungen bereits bestehender Gebäude. Ihre Liebe und wertschätzung, die sie für solche Bauten hegt, können vielleicht auf ihre Kindheitstage zurückgeführt werden, als sie die Sommer in der aus dem 12. Jahrhundert stammenden Abtei von Fontenay (Abb. 13) verbrachte, einem mittelalterli-chen Kloster von strenger Eleganz in Burgund, das der Familie Aynard gehörte. Ihre perfekten Proportionen, ihre Zeitlosigkeit und »strenge Spiritualität«, wie Putman historische Architektur beschreibt, blieben Prüfsteine ihres reifen Stils.30 »In Andrée Putmans Augen«, bemerkt Jack Lang, »ist Freiheit untrennbar mit einer gewissen asketischen Sicht der Vergangenheit verbunden, die Vergangenheit ist nicht irrelevant. Ihr ursprünglicher Charakter muss wiederholt werden – nicht als würde er in die Geschichte zurückschallen, sondern als wäre er so konzipiert in seiner architektonischen Metaphysik, in sei-nen Prinzipien elementarer Harmonie, in den abstrakten wahrheiten seiner Echos.«31 Putmans Fähigkeit, die abstrakten wahrheiten der Vergangenheit zu erfassen, ist an dem 1815 aus Backstein errichteten wasserturm in Köln ersichtlich, den sie 1990 zu dem exklusiven Hotel im wasserturm umbaute. Hier nimmt ihre kurvenförmige Ausstattung auf die Rundung und die Fenster des bestehenden Gebäudes Bezug. Andere Projekte aus der gleichen Zeit boten ähnliche Gelegenheiten, Altes mit Neuem zu verbinden, vor allem ihre adaptive Umwidmung eines Industriegebäudes in das Museum für zeitgenössische Kunst in Bordeaux, in dem Putman eine moderne Ausstattung den rauen,

unverputzten Backsteinmauern des ehemaligen Lager-hauses gegenüberstellte.32

Putmans Bemühungen, Gebäude neuen Nutzungen unter wahrung ihrer alten Struktur zuzuführen, beschränkten sich nicht nur auf Altbauten früherer Jahrhunderte. Sie hat auch mit Fingerspitzengefühl die Renovierungsarbeiten der Innenräume eines Frühwerks von Le Corbusier durchgeführt – der 1916 bis 1917 ent-standenen Villa Schwob in La Chaux-de-Fonds in der Schweiz – sowie eines 1936 errichteten Apartments des amerikanischen Architekten Gardner Dailey in San Francisco. Bei den Renovierungen, die Mitte der 1980er Jahre erfolgten, als die modernistische Architektur und das modernistische Design der Vorkriegszeit zunehmend Aufmerksamkeit erfuhren und die Designer versucht waren, diese Meister mit Aufsehen erregenden Homma-gen zu übertrumpfen, zeigte Andrée Putman bemerkens-werte Zurückhaltung, die die Arbeit der ursprünglichen Architekten zum Strahlen brachte. Um die innovative Schlichtheit und Geräumigkeit von Le Corbusiers licht-durchflutetem, doppelgeschossigem Salon in der Villa Schwob herauszustellen, musterte sie die überladene bür-gerliche Einrichtung des ursprünglichen Hausbesitzers wie auch die von Le Corbusier in den 1920er Jahren entworfenen hell glänzenden Metallrohrmöbel aus und wählte stattdessen stromlinienförmige Écart-Nachbauten von Stücken von Gray und Fortuny. Putmans »geschick-ter, doch umsichtiger Stil verdeutlicht«, dem Autor Martin Filler zufolge, »die Zeitlosigkeit dieser Arbeit des jungen Genies«.33 In dem Appartement in San Francisco schlug sie einen ähnlichen weg ein: Sie restaurierte alte Elemente wie etwa eine wendeltreppe im Eingang und eine Kamineinfassung aus schwarzem Marmor und ersetzte nur das, was für funktionale Zwecke notwendig war: die veralteten Badezimmer.

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Putman wählt auch weiterhin ihre Écart-Neuauflagen für ihre Interieurs, obwohl sie in dieser Phase ihrer Karriere auch eigene Produkte und Möbel entwarf. Indem sie die Art-déco-Tradition modernisiert und weiterhin ihre Überzeugung verteidigt, dass sie niemals Dinge entwer-fen würde, die aussehen, als stammten sie aus einer Zeit, in der sie nicht gelebt hat, stellen all diese Objekte eine Kombination aus einfachen geometrischen Formen und der sinnlichen Raffinesse luxuriöser Materialien und feiner Detailarbeit dar. Sie hält auch an der modernis-tischen Betonung von Schlichtheit und Funktionalität fest. »Ich entwerfe gern bescheidene Objekte fürs Haus«, sagte sie dem Magazin Art Review. »Für das tägliche Leben müssen sie gut durchdacht, jedoch nicht zu weit vom Normalen entfernt sein. Mir gefällt die Vorstellung nicht, unglaubliche Dinge zu entwerfen, die keiner ver-steht.«34 Unter diesem Gesichtspunkt hat sie die unver-schämt kühnen und ironischen Entwürfe ihres bestens bekannten französischen Konkurrenten Philippe Starck abgelehnt, der sie als Designerin du jour der Schrager-Hotels ablöste, nachdem sie mit dem Morgans einen neuen Hoteltypus geschaffen hatte, wie auch die zugleich barocke und primitive Ästhetik der französischen enfants terribles Elizabeth Garouste und Mattia Bonetti.Ästhetisch gesehen bestehen Putmans Möbel aus ein-fachen, runden Formen, die auch im werk von Frank, Chareau und Mallet-Stevens zu finden sind. Mit dieser wiederbelebung der für den Modernismus des frühen 20. Jahrhunderts typischen Geometrie war Putman nicht allein: Hiervon zeugen die Einrichtungsgegenstände von Christian Liaigre oder Richard Meier und Michael Graves, die sich am Modernismus der wiener Sezession inspi-rierten, der abstrakt, aber dekorativ war. Doch Putmans Verbindung von wiederentdeckung und Überarbeitung macht aus ihr eine Klasse für sich. Ihre Teppiche nah-men Anleihen an den abstrakten kubistischen geomet-rischen Formen in den Teppichen von Eileen Gray. Ihre Deckenfluter und anderen Beleuchtungskörper orien-tierten sich für ihr harmonisches Zusammenspiel von Kugeln und Halbkugeln an Fortuny und Félix Aublet. Sie übernahm auch die modernistische Akzentsetzung auf Tragbarkeit und Flexibilität, wie man an ihrem lederbe-zogenen Reisekoffer für Poltrona Frau sehen kann, der beim Öffnen unzählige Schubladen und Regalfächer zum Vorschein kommen lässt. Andrée Putman übernahm für ihre eigenen Arbeiten das modernistische Interesse an platzsparenden Möbeln, wie etwa Franks Schachtel tischen, und an multifunktionalen Einrichtungen. So hat sie zum Beispiel einen Schreibtisch mit ausschwenkbaren Schubladen entworfen, und ihr Konsoltisch Feluca wird zum Frisiertisch, wenn man seine Deckplatte aufklappt.

Putmans optische Markenzeichen weisen ihre Produkte eindeutig als ihre eigenen aus. Sie wandte ihr charak-teristisches Schwarz-weiß-Schachbrettmuster auf den für Pleyel entworfenen Stutzflügel Voie lactée, auf einen Eiskühler für Veuve Clicquot Champagne und den Steamer Bag von Louis Vuitton an. Ihr Teeservice Vertigo für Christofle war eine Referenz an die Firmengeschichte, vor allem an das von Luc Lanel entworfene Tafelgeschirr (1935) für Frankreichs größten Ozeandampfer, die Normandie. Ihr für Christofle designtes Collier indes kombiniert einen runden Metallring, der im Nacken von einem industriell gefertigten Verschluss zusammenge-halten wird, mit einer Kordel, die an den Sessel von René Herbst erinnert, den sie bei Écart hat nachbauen lassen (Abb. 14).35 In jüngerer Zeit ist der Name Putman auch mit einer der berühmtesten französischen Parfümfirmen verknüpft, dem Hause Guerlain, das auf eine fast zweihundertjährige Tradition zurückblicken kann. Putmans Renovierung des aus dem Jahr 1914 stammenden Firmensitzes an den Pariser Champs-Élysées war die Krönung ihrer langen Karriere. In Zusammenarbeit mit dem Architekten Maxime d’Angeac bot Putman dieser Auftrag die Gele-genheit, ein Pariser Interieur vom Beginn des 20. Jahr-hunderts zeitgenössisch zu interpretieren. Als einziges Beiwerk zu dem kunstvollen Marmorfußboden im Erdgeschoss des Geschäfts (offiziell ein französisches Markenzeichen) entwarf Putman einen Vorhang aus falschen Perlenschnüren für die zur Straße hin gelegenen Fenster. Im Obergeschoss installierte sie einen riesigen Deckenlüster mit Goldschnüren, gab diesem schlichte weiße Möbel an die Seite sowie Spiegel, die denen von Eileen Gray ähnlich sind, und eine wand mit einem System aus Plastik- und Metallröhren für das Parfüm,

Abb. 14: Collier 925 Vertigo, Christofle, 2005.

was dem Raum ein industrielles Aussehen und eine überraschende Note verleiht. Bei der Renovierung dieses Stockwerks förderten Putman und d’Angeac auch einen kleinen, höchst surrealen Raum zutage, der in den spä-ten 1930er Jahren von Jean-Michel Frank und Christian Bérard entworfen worden war, und erhielten ihn. Ihr Stil war leicht und voller Überraschung: was Pinselstriche zu sein scheinen, sind stattdessen Stoffmuster, die auf eine gepolsterte Textilwand aufgenäht wurden.

wie bei so vielen ihrer Bemühungen im Lauf ihrer fünf-zigjährigen Karriere erweist Andrée Putman auch mit diesem Akt des Erhaltens und Verschönerns den größten französischen Designtraditionen des 20. Jahrhunderts Ehre. Sie hofft, dass ihr werk ein neues Kapitel in dem großen Erbe des französischen Designs sein wird, eine Haltung, die bezeichnend ist für Andrée Putmans Rolle als selbst ernannte »Amateurarchäologin meines Jahrhunderts« und, was noch bemerkenswerter ist, als die internationale Botschafterin des vollkommenen fran-zösischen Stils. 36

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1. Andrée Putman, nicht datiertes, unveröffentlichtes Interview, Putman-Büro-Archiv, Paris.

2. Jack Lang, Vorwort zu Andrée Putman, Design and Designer Series, Nr. 17 (Paris: Pyramyd, 2003), S. 6–7.

3. Putman erschien im Impressum des Magazins von November 1960 bis Oktober 1962 als »L’œil du décora-teur«, schrieb jedoch auch zu anderen Zeitpunkten Artikel.

4. Andrée Putman, nicht datiertes, unveröffentlichtes Interview, Putman-Büro-Archiv, Paris.

5. Andrée Putman, Vorwort zu French Style von Suzanne Slesin und Stafford Cliff (New York: Clarkson N. Potter, 1982), S. 8–9.

6. Ebd.

7. Eine unschätzbare Informations-quelle zu Prisunic ist die webseite www.via.fr/gb/evenements_prisunic.asp, die im Zusammenhang mit der Ausstellung »Prisunic & Design. A Unique Adventure« entstanden ist, welche in Paris anlässlich der Valorisation de l’Innovation dans l’Ameublement vom 5. Septem ber bis zum 30. November 2008 stattgefun-den hat.

8. Andrée Putman, zitiert nach Dominic Lutyens, »Chic Mystique«, in: Design Week 18, Nr. 41 (9. Oktober 2003), S. 17.

9. Ebd.

10. Andrée Putman, zitiert nach Meredith Etherington-Smith, »Paris Fashioned«, in: Art Review (Oktober 2003), S. 96.

11. Andrée Putman, zitiert nach Dominic Lutyens, »Chic Mystique«, in: Design Week 18, Nr. 41 (9. Oktober 2003), S. 17.

12. Didier Grumbach, Histoires de la mode (Paris: Éditions du Regard, 2008), S. 290.

13. Didier Grumbach in einem Interview mit dem Autor, Paris, 21. November 2008.

14. Ebd., S. 300.

15. Andrée Putman, zitiert nach Meredith Etherington-Smith, »Paris Fashioned«, in: Art Review (Oktober 2003), S. 96.

16. Slesin und Cliff, French Style, S. 37.

17. Andrée Putman, zitiert nach Vinny Lee, »A Thoroughly Moderne Madame«, in: London Times, 25. Januar 2003.

18. Andrée Putman, zitiert nach Meredith Etherington-Smith, »Paris Fashioned«, in: Art Review (Oktober 2003), S. 96.

19. Verkaufsbroschüre von Écart, Februar 1991, Putman-Büro-Archiv, Paris.

20. Obwohl Andrée Putman die Erste war, die diese Stücke auf dem franzö-sischen Markt wieder einführte, hatte Zeev Aram in London bereits 1975 Grays Sessel Bibendum, den Tisch E1027 und andere Stücke auf den Markt gebracht.

21. Eileen Gray, zitiert nach Martin Filler, »The Dark Lady of High Tech«, in: New York Times, 27. Januar 1980.

22. wie zu lesen ist in ihrem Porträt in: Interior Design 58, Nr. 3 (Februar 1987), S. 226.

23. John Duka, »Notes on Fashion«, in: New York Times, 4. August 1981.

24. Didier Grumbach in einem Interview mit dem Autor, Paris, 21. November 2008.

25. Andrea Truppin, »French Accent«, in: Interiors 147, Nr. 5 (Dezember 1987), S. 141.

26. Edie Lee Cohen, »Karl Lagerfeld, N. Y.«, in: Interior Design 58, Nr. 3 (Februar 1987), S. 262.

27. Zitiert in einem unveröffent-lichten, nicht datierten Interview mit dem Titel »Hospitality Design«, Putman-Büro-Archiv, Paris.

28. Ebd.

29. Blanc wird später mit dem Architekten Jean Nouvel für die Fassadengestaltung des von Nouvel errichteten Musée Branly in Paris zusammenarbeiten.

30. Andrée Putman, nicht datiertes, unveröffentlichtes Interview, Putman-Büro-Archiv, Paris.

31. Jack Lang, Vorwort zu Andrée Putman, Design and Designer Series, Nr. 17 (Paris: Pyramyd, 2003), S. 6 –7.

32. Putman entwarf auch Büros für die Regierung der Region von Bordeaux.

33. Martin Filler, »Modern Metamorphoses«, in: House & Garden 160, Nr. 5 (Mai 1988), S. 36.

34. Zitiert nach Meredith Etherington-Smith, »Paris Fashioned«, in: Art Review (Oktober 2003), S. 100.

35. Putmans Interiordesigns und Produkte wurden von zwei Firmen vertrieben: Von Écart bis 1998, als sie die Firma verließ, um ihr eigenes Büro, das Andrée Putman Studio, zu eröffnen. Heute befindet sich das Putman-Büro in einem bescheidenen zweigeschossigen Haus im Arts-and-Crafts-Stil und wird von ihren beiden Kindern geleitet. Das Büro hat etwa zwanzig Assistenzdesigner, die auf der ganzen welt für das Andrée Putman Studio arbeiten.

36. Andrée Putman, zitiert in der Niederschrift eines nicht datierten Vortrages, Putman-Büro-Archiv, Paris.

Anmerkungen

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H ot e l s

u n d

A p pA r t e m e n t s

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27Alice Springs / Maconochie Photography © 1980

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Die Hotels, die ich plane, wollen eine moderne Klientel bezaubern, die verwöhnt, stilbewusst, offen für Neuerungen und bereit zu einem völli-gen Tapetenwechsel ist.

Mein Vorhaben entstand als Reaktion auf bestimmte, seit Langem bestehende Klischees im Hotelbetrieb: Die einschüchternde Wirkung und fehlende Intimität überdimensionierter Hotellobbys sowie der verlogene Chic eines unechten Louis-XIV-, Louis-XV- oder Louis-XVI-Stils, bei dem man mit der entsprechenden Wanddekoration versucht, einen nostalgischen Luxus zu rekonstruieren, ohne aber dessen Qualität zu erzielen. Die zwei Meter hohen Blumenbouquets und die maßlose Fülle von Marmor sowie Kitsch- und Protzeffekten, die

sowohl hinsichtlich ihres Designs als auch ihrer Ausführung gleichermaßen armselig sind. Wenn ich es karikierend überzeichne, dann sehe ich einen unterwürfigen und aufgedonnerten Service vor mir – eine Art falscher englischer Oberkellner.

Was ist ein Hotel? Die Identität dieses besonderen Ortes zu hinterfragen, dieser zufälligen temporären Wohnung, deren Platz irgendwo zwischen öffentlicher und Privatsphäre angesiedelt ist, zwischen Fremdheit und Intimität, zwischen Dauer-haftem und Vergänglichem, führt auch zum Ergründen der Gastlichkeit. Es erfordert Einfühlungsvermögen, genau das richtige Gleichgewicht und den Ruhepunkt zu fin-

den, den der Reisende, der zwangsläufig auf der Durchreise ist, an einem ihm fremden Ort benötigt. Wie kann man sich nämlich in einem Hotel nicht wie in einem Hotel fühlen, ohne indes der Illusion eines vermeintlichen Zuhauses zu unterliegen? Kann man dem Gefühl des Exildaseins entkommen, wenn man auf die Annehmlichkeit verzichtet, indi-rekt mit den dem Alltag angehörenden Stätten eine Art Zusammenleben zu führen, und sogar auf eine gewisse Fremdheit, die durch eine ungewöhnliche Atmosphäre und unerwartete Details geschaffen wird?

Meine »Philosophie« des gastlichen Emp-fangs hat sich aus diesen Fragestellungen heraus entwickelt. Zum Teil auf den Parado-

Hotel Morgans, New York 30

Saint James, Paris 36

Hotel Le Lac, Kawaguchiki-Cho 40

Hotel im Wasserturm, Köln 44

Concorde, Air France 48

Sheraton, Flughafen Roissy–Charles de Gaulle 50

Ritz Carlton, Wolfsburg 52

Pershing Hall, Paris, 8. Arrondissement 54

Bayerischer Hof, München 56

The Putman, Hongkong 60

Hotel Morgans, New York 64

H ot e l s

Loft von Andrée Putman, Paris, 6. Arrondissement 70

Loft, Paris, 11. Arrondissement 80

Appartement, Paris, 1. Arrondissement 82

Appartement, Paris, 8. Arrondissement 84

Appartement, New York 86

Appartement, Paris, 3. Arrondissement 88

Appartement, Paris, 7. Arrondissement 92

Privathaus Paris, 19. Arrondissement 94

Appartement, Belgien 98

Appartement, Knokke-le-Zoute 100

A p pA r t e m e n t s

Privatpalais, Paris, 7. Arrondissement 102

Pagodenhaus, Tel-Aviv 108

Penthouse, Shanghai 112

Appartement, San Sebastián 118

Appartement, Dublin 124

Appartement, Paris, 7. Arrondissement 128

Villa, Kuwait City 130

Maisonettewohnung, Brüssel 132

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xien einer Bühnenwirksamkeit begründet, bietet sie sowohl Raum für Imaginäres als auch für materiellen Komfort, indem sie bald das Außergewöhnliche, bald den diskre-ten Charme der Bescheidenheit pflegt. Mein Hauptziel ist Innovation mittels einer »star-ken« Architektur, deren äußerst bildhafte Ausdruckskraft eine besondere Atmosphäre schafft. Die geübte Zurückhaltung öffnet den Weg für einen einfachen, jedoch nicht unper-sönlichen Raum, der beschaulich, aber nicht kalt, verführerisch, jedoch nicht opulent, vol-ler Charme, aber ohne Nostalgie ist, wo man Ruhe findet, ohne dass man jedoch durch allzu viel Gemütlichkeit betäubt wird … Ich versu-che niemals, die Illusion eines bürgerlichen

Interieurs zu vermitteln. Der Eindruck von Wärme, den andere durch ihren übertriebenen Diensteifer glauben bieten zu müssen, wird hier mit Augenzwinkern und durch aufmerk-same Details vermittelt – wie etwa durch die Höhe der Betten oder der Tische, die so konzi-piert ist, dass die Wahrnehmung des Raumes gesteigert wird – denn die Leute sehen alles

… Und das wiederum hat Einfluss auf die Art und Weise, wie man in einem Hotel empfangen wird: Schnelligkeit, Lächeln und eine direkte Ansprache sind eine gute Antwort auf die Erwartungen des Reisenden.

Das Badezimmer war schon immer ein reiner Funktionsraum. Körper- und Schönheitskult haben dieses nun in einen wahren Badetempel

verwandelt. Es ist nie groß genug, schön genug. Es ist der Ort schlechthin, wo man dem müden Reisenden durch nützliche, praktische und gefällige Details außergewöhnlichen Komfort bieten kann: reichlich Wäsche zum Wechseln, geräumige Regale, eine adäquate Beleuchtung – Neonlicht ist ein Verbrechen – sowie die opti-male Platzierung der Spiegel (die schwenkbar sein sollten). Das Zimmer seinerseits sollte frei sein von aufdringlichen gemusterten Stoffen, die das Auge ermüden. Man muss neutrale, ruhige Stoffe wählen – einfache Textilien in natürlichen Materialien.

Andrée putmAn

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30 hotels

Hotel morgans New York, MadisoN aveNue, 1984

7000 m2, 113 Zimmer, umbau des Gebäudes, einrichtung

der Lobby, der Zimmer und suiten

Überzeugt von dem guten Ruf, den Andrée Putman in Frankreich genießt, vertrauen Steve Rubell und Ian Schrager, Eigentümer des berühmten New Yorker Nachtclubs Studio 54, ihr die Ausstattung des ers-ten Boutique-Hotels an. Und aus diesem Ort wird sie ein Markenzeichen ihres Stils machen. Dieses inno-vative bahnbrechende Konzept wird die Regeln der Hotelindustrie ins Wanken bringen.

»>Es geht das Gerücht um, dass Sie Badezimmer ohne Marmor machen können!< Mit diesen Worten kamen die Eigentümer des Gebäudes auf mich zu. Es wird keinen Zentimeter davon in diesem Hause geben, das zugleich hinreißend und schmucklos, streng aber elegant sein und sich sogar einige Anflüge von Frivolität erlauben soll. Das vorgesehene Budget war vollkommen unrealistisch. Wir mussten die bil-ligsten Fliesen auswählen, ohne jedoch auf Rosa zurückzugreifen. Glücklicherweise gab es welche in Weiß und in Schwarz. Die illusionistische Würfel-wirkung der Fliesen mit einer leicht bewegten, Unruhe erzeugenden Optik lässt nach, je mehr der Blick zum Boden wandert. Ein Konzept, das bewusst die Nicht-Farbe favorisiert, um die strengen Gesetze der Luxus-Hotellerie aufzubrechen …« Wie ein roter Faden finden sich Würfel überall in den Böden wieder … und selbst in der Tagesdecke.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Donald Albrecht

Andrée PutmanIhr Gesamtwerk

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 324 Seiten, 27,9 x 27,9 cmISBN: 978-3-421-03806-7

DVA Architektur

Erscheinungstermin: Mai 2010

La Grande Dame des modernen Interior-Designs Andrée Putman, "La Grande Dame" des modernen Interior Designs, wird 85! Ursprünglichaus der Mode kommend, gelang ihr vor 25 Jahren in New York der inter nationale Durchbruchals Designerin: Mit ihrem bis heute legendären schwarzweißen Kachelmusterdesign im NewYorker Morgans Hotel setzte sie Maßstäbe. Doch nicht nur die Ausstattung von Luxushotelsgehört zu ihrem Repertoire, sie hat auch zahlreiche Privatwohnungen, u.a. von James Brownund Karl Lagerfeld, Museen, die Concorde sowie Büros französischer Minister gestaltet.Ausgestattet mit mehr als 275 überwiegend großformatigen Farbabbildungen sowie elegantenSchwarz-Weiß-Aufnahmen von Räumen, Möbeln, Entwürfen und Porträts erscheint im Jahr ihres85. Geburtstages nun diese erste umfassende Monografie zu ihrem Werk der letzten 25 Jahre –ein eleganter Band für alle Liebhaber des modernen, zeitlosen Designs! • Zum 85. Geburtstag von Andrée Putman im Dezember 2010• Die erste umfassende Monografie zum Gesamtwerk der französischen Interior-Designerin• Mit persönlichen Erinnerungstexten ihrer Kinder Olivia und Cyrille