Andrea Palladio und das Fertighaus - · PDF file4 1|September 2008 Architektur | Design...

3
4 1| September 2008 Architektur | Design Palladio- der spät berufene Architekt Am 8. November 1508 wurde Andrea di Pietro della Gondo- la, in späteren Jahren Palladio genannt, in Padua geboren und nach dem Willen des Vaters mit 13 Jahren zur Ausbildung zum Steinmetz und Maurer in die Lehre geschickt. Als Baumeister trat er erst relativ spät in Erscheinung. Zunächst arbeitete er lange Jahre als Steinmetz, bevor ihm 1540 die Berufsbezeichnung Ar- chitekt verliehen wurde. Sein Kontakt zu adligen Gönnern in Vicenza verschaffte ihm Zugang zu finanzkräftigen und humanis- tisch aufgeschlossenen Auftraggebern, mit denen ihn auch eine gemeinsame Begeisterung für die Bauten der Antike verband, die er in mehreren Reisen nach Rom eingehend studierte und analysierte. Die meisten seiner Bauten entstanden erst in seinem fünften Le- bensjahrzehnt. Gerade bei seinen Villen für private Auftraggeber verstand er es, seine gestalterischen Ansätze mit der bauprakti- schen Erfahrung zu einem einzigartigen und damals modernen Stil zu verbinden: dem später so genannten Palladianismus, der bereits die Überleitung vom Barock zu einem puristischeren Stil, dem Klassizismus, vorwegnahm und im Verlauf der Zeit in verschiedenen Ländern immer wieder neu als Inspirationsquelle aufgenommen wurde. Praxis und Theorie als Gesamtkunstwerk Dabei wäre Palladios Werk trotz aller gestalterischen Eleganz und Perfektion wohl kaum eine solch weitreichende Bedeutung zugekommen, hätte er seine Überzeugungen als Architekt nicht in seinem 1570 auf Italienisch (und 1698 auf deutsch) erschie- nenen Werk «Quattro libri dell’architettura» für die Nachwelt festgehalten. Somit ist seine Person ein früher Beleg dafür, dass die nieder- geschriebene Theorie durchaus notwendig ist, um dem gebau- ten Beispiel mehr Inhalt und Wahrnehmung zu sichern. In den Werken verbinden sich Theorie und Praxis zu einer Synthese, die ihresgleichen sucht und die – ungeachtet ihrer architektoni- schen Grundlagen – auch als philosophisch-weltanschauliches Statement gelesen werden kann: Nur da, wo die technischen Fähigkeiten des Praktikers (Steinmetz Andrea di Pietro della Gon- dola) mit den gestalterischen und humanistischen Idealen und Visionen des Theoretikers (Architekt Andrea Palladio) harmonisch verschmelzen, entsteht der Bau als zeitloses Gesamtkunstwerk. Architektur in diesem Sinne ist nicht verhandelbar und bean- sprucht ihre Erscheinungsform unverändert, unverwässert und variantenfrei. Jeder Bau hat die Form, die er haben muss und schafft hierdurch seine unverwechselbare (Ein-)Bindung in die Landschaft, die Stadt und in die Geschichte. Andrea Palladio und das Fertighaus Der oberitalienische Architekt Andrea Palladio feiert dieses Jahr seinen 500. Geburtstag. In seiner besonderen Fähigkeit, eine eigenständige Form für zivile und repräsentative Wohn- häuser zu entwickeln und diese in seinem Architekturbuch «I quattro libri dell’architettura» für die Nachwelt zu dokumentieren, ist sein Werk auch noch für uns heute bedeutsam. Doch gerade in der modernen Gestaltungssprache von Fertighäusern zeigt sich, dass seine Botschaft und sein Vorbild meist missverstanden werden. Dabei wäre es eine Bereicherung für unsere heutige Baukultur, wenn sich die Bauschaffenden mehr Mut zum Ornament und zu klaren Formen und Inhalten zutrauen würden. Text: Christian Kaiser Wenige Architekten und Architekturen überdauern die Zeit. Palladios Villen dagegen sind noch heute ein starker Ausdruck individueller Zivilarchitektur.

Transcript of Andrea Palladio und das Fertighaus - · PDF file4 1|September 2008 Architektur | Design...

4 1|September 2008

Architektur | Design

Palladio- der spät berufene ArchitektAm 8. November 1508 wurde Andrea di Pietro della Gondo-la, in späteren Jahren Palladio genannt, in Padua geboren und nach dem Willen des Vaters mit 13 Jahren zur Ausbildung zum Steinmetz und Maurer in die Lehre geschickt. Als Baumeister trat er erst relativ spät in Erscheinung. Zunächst arbeitete er lange Jahre als Steinmetz, bevor ihm 1540 die Berufsbezeichnung Ar-chitekt verliehen wurde. Sein Kontakt zu adligen Gönnern in Vicenza verschaffte ihm Zugang zu fi nanzkräftigen und humanis-tisch aufgeschlossenen Auftraggebern, mit denen ihn auch eine gemeinsame Begeisterung für die Bauten der Antike verband, die er in mehreren Reisen nach Rom eingehend studierte und analysierte.

Die meisten seiner Bauten entstanden erst in seinem fünften Le-bensjahrzehnt. Gerade bei seinen Villen für private Auftraggeber verstand er es, seine gestalterischen Ansätze mit der bauprakti-schen Erfahrung zu einem einzigartigen und damals modernen Stil zu verbinden: dem später so genannten Palladianismus, der bereits die Überleitung vom Barock zu einem puristischeren Stil, dem Klassizismus, vorwegnahm und im Verlauf der Zeit in verschiedenen Ländern immer wieder neu als Inspirationsquelle aufgenommen wurde.

Praxis und Theorie als GesamtkunstwerkDabei wäre Palladios Werk trotz aller gestalterischen Eleganz und Perfektion wohl kaum eine solch weitreichende Bedeutung zugekommen, hätte er seine Überzeugungen als Architekt nicht in seinem 1570 auf Italienisch (und 1698 auf deutsch) erschie-nenen Werk «Quattro libri dell’architettura» für die Nachwelt festgehalten. Somit ist seine Person ein früher Beleg dafür, dass die nieder-geschriebene Theorie durchaus notwendig ist, um dem gebau-ten Beispiel mehr Inhalt und Wahrnehmung zu sichern. In den Werken verbinden sich Theorie und Praxis zu einer Synthese, die ihresgleichen sucht und die – ungeachtet ihrer architektoni-schen Grundlagen – auch als philosophisch-weltanschauliches Statement gelesen werden kann: Nur da, wo die technischen Fähigkeiten des Praktikers (Steinmetz Andrea di Pietro della Gon-dola) mit den gestalterischen und humanistischen Idealen und Visionen des Theoretikers (Architekt Andrea Palladio) harmonisch verschmelzen, entsteht der Bau als zeitloses Gesamtkunstwerk. Architektur in diesem Sinne ist nicht verhandelbar und bean-sprucht ihre Erscheinungsform unverändert, unverwässert und variantenfrei. Jeder Bau hat die Form, die er haben muss und schafft hierdurch seine unverwechselbare (Ein-)Bindung in die Landschaft, die Stadt und in die Geschichte.

Andrea Palladio und das FertighausDer oberitalienische Architekt Andrea Palladio feiert dieses Jahr seinen 500. Geburtstag. In seiner besonderen Fähigkeit, eine eigenständige Form für zivile und repräsentative Wohn-häuser zu entwickeln und diese in seinem Architekturbuch «I quattro libri dell’architettura» für die Nachwelt zu dokumentieren, ist sein Werk auch noch für uns heute bedeutsam. Doch gerade in der modernen Gestaltungssprache von Fertighäusern zeigt sich, dass seine Botschaft und sein Vorbild meist missverstanden werden. Dabei wäre es eine Bereicherung für unsere heutige Baukultur, wenn sich die Bauschaffenden mehr Mut zum Ornament und zu klaren Formen und Inhalten zutrauen würden.

Text: Christian Kaiser

Wenige Architekten und Architekturen überdauern die Zeit. Palladios Villen

dagegen sind noch heute ein starker Ausdruck individueller Zivilarchitektur.

51|September 2008

Architektur | Design

Die Geburtsstunde des IndividuumsDoch was bedeutet das Phänomen «Palladio» für unsere Zeit? Ist er eine Episode der (architekturalen) Welt- und Stilgeschichte oder wirkt er mit seinem Schaffen und seinen Bauten auch noch am 500. Geburtstag in unsere moderne Zeit hinein?Betrachten wir sein Werk im Gesamtzusammenhang, so fällt zunächst die Konsequenz seiner Haltung in stilistischer Hinsicht auf. Es scheint, dass es Palladio gelungen ist, für sich einen individuellen Stil zu fi nden, der weder von der Mode der Zeit, noch von den Vorstellungen seiner Bauherren verwässert oder entstellt wurde. Demnach könnte man Palladio als einen der frü-hen Vertreter einer Architekten-Zunft begreifen, die ihre eigenen Harmonie- und Gestaltungsvorstellungen zu einem konsequenten persönlichen Stil entwickelt. Weiterhin war es für seine Zeit noch ungewöhnlich, dass ein Grossteil seiner Bauten privaten Zwecken gewidmet ist. Nur zwei Kirchen stechen aus Palladios Schaffen heraus. Private Villen und bürgerliche Repräsentationsbauten genossen in seiner Zeit nur eine geringe Anerkennung als eigenständiger Bautypus. Mit Palladio wendet sich die Architektenschaft also dem repräsentie-renden Privatbau zu und begreift sich nicht mehr ausschliesslich als Diener im Namen des göttlichen und klerikalen Herrn. Diese Wertschätzung individueller Wünsche profaner Bauherren und die Zumessung einer neuen Bedeutung für private Inhalte ist im Spiegel der Zeit ungewöhnlich, wirkt aber deutlich in unsere Zeit hinein.

Bauform als ZitatSein intensives Studium der antiken Vorbilder in Rom dient Palla-dio als Gestaltungs-Fundus, aus dem er nach eigenem Harmo-nieverständnis schöpft. Die Elemente antiker Baukunst werden zu Architekturvorlagen, um den profanen Zweck des Individual-hauses auf angemessene und repräsentative Weise zu formen und zu schmücken. Dabei begnügt sich Palladio allerdings nicht mit platten Zitaten, wie wir es aus den Putz- und Stuckbauten der Gründerzeit kennen. Er interpretiert die antiken Vorbilder auf eigenständige Weise und fügt diese zu neuen unverwechselba-ren Formen zusammen. Gleichzeitig entwickelt er das Muster in individueller Variation weiter, um der Unterschiedlichkeit seiner Auftraggeber und der örtlichen Gegebenheiten gerecht zu wer-den, ohne seine eigene Urheberschaft zu verleugnen.

Der Architekt als DienstleisterPalladio vereint also mehrere in seiner Zeit neuartige Architekte-neigenschaften in einer Person:n er sucht gestalterische Vorbilder, die er in eigenständige

Weise auf das Bauvorhaben adaptiertn er schafft Bauten mit individueller Prägung als Teil einer

zusammengehörigen Serie (Villen)n er entwickelt einen eigenständigen wieder erkennbaren Stil

als ArchitektDabei stellt er seine Fähigkeiten als Mittler zwischen Gestaltung und Funktion ganz in den Dienst der Bauherrschaft. Palladios Denk- und Arbeitsweise hat sich in Grundzügen bis heute er-halten. Unsere zeitgenössische zivile und bürgerliche Baukultur wurden seit Industrialisierung der Gebäudefertigung wesentlich erweitert durch den Typus des Fertighauses. Auch hier werden fremde Formen und Gestaltungselemente so integriert und ver-wendet, dass ein Repräsentationsbedürfnis der Bauherrschaft be-friedigt wird. Es gibt fast keine Fertighauskollektion ohne villenar-tige oder mediterrane Wohnhäuser, in denen Versatzstücke einer idealisierenden Italien- oder gar Palladio-Rezeption angewendet werden. Die Stilkopie im Fertighaus dient als Ersatz eines eigen-ständigen Ausdruckes von Individualität.Die PlanerInnen suchen Bilder und Vorbilder, die der Sehnsucht der Auftraggeber nach Geborgenheit und Lebensstil entsprechen und wenden diese auf Konzept, Raster oder Korsett der Fertig-haus-Produktion an. Das Ergebnis ist damit eine teilweise beliebi-ge Übereinanderschichtung der unterschiedlichen Bedürfnisse.

Wenn der Bauherr zu wichtig wirdDienstleistung wird hier missverstanden als beliebige Wunscher-füllung. Dabei gewinnt der Bau durch die Integration unterschied-licher Bedürfnisse. Wenn der Bauherr in der Durchführung nur noch seine Sehnsuchtsmotive im Kopf hat und kein Verständnis für die bautechnischen Zwangspunkte und die architektonischen Gestaltungsvorstellungen mitbringt, kann das Objekt schnell zur gesichtslosen und unambitionierten Hülle verkommen. Die palla-dianischen Stilvokabeln, wie Symmetrie, Architrav, Tympanon, Säule und Portikus werden nur noch schematisch, aber sinnent-leert angewandt und konterkarieren das Repräsentationsbedürf-nis der Bewohner.Palladios Bauherren scheinen teilweise geduldiger mit ihrem Baukünstler gewesen zu sein. Zumindest sind in den Bauten Pal-ladios besonders gelungene Synthesen aus Bauherren- und Ar-chitektenwunsch, aus Bautechnik und Umgebung gelungen, die ihre bleibendes Strahlkraft bis in unsere Zeit erhalten konnten.

Palladios Auftraggeber haben ein starkes Repräsentationsbedürfnis,

das aus ihrem noch neuen Selbstbewusstsein als einmalige Individuen

herrührt. Im Bild: Der Stadtpalast Villa Chiericati in Vicenza.

Schmuck und Ornamentik wurden von Palladio bewusst eingesetzt, wie hier

beim Nymphäum der Villa Barbaro in Maser..

Architektur | Design

6 1|September 2008

Ort und InhaltDoch über die individuelle Gestaltung des Gebäudes hinaus lässt sich der Typ der palladianischen Villa nicht beliebig adap-tieren und kopieren. Palladios Bauten zeichnen sich in beson-derer Weise dadurch aus, dass sie jeweils auf den speziellen Ort angepasst und abgestimmt sind. Die Kopien der Fertighaus-Anbieter dagegen kennen den Ort ihrer Bauten nicht, sie bieten lediglich einen Syste-mentwurf ohne Einbin-dung und Bezug in die Umgebung an. In der Praxis fehlt diesen Bauten daher auch die Sinnfälligkeit, die ihre Vorbilder auszeichne-te. So stehen in den engen Neubausiedlun-gen der Gegenwart am Schluss palladia-nische Villen neben Schwarzwaldhäusern und fi nnischen Blockhütten, dicht gedrängt aufgrund der hohen Grundstückspreise. Die Gebäude im Sinne Palladios beanspru-chen dagegen einen zugehörigen Umgebungs- Raum, um sich angemessen entfalten zu können. Dieses Verständnis für die Ort-Bauwerk-Beziehung fehlt leider allzu oft den zeitgenössischen Fertighaus-Anbietern und -Kunden.

Was geht Palladio uns an?Was bedeutet dies für uns und die heutige Baukultur? Zuerst ein-mal ist Palladios Schaffen eine Mahnung an alle Bautätigen und Auftraggeber, dass jede Bautätigkeit eine Synthese von Wider-sprüchen bedeutet. Dies erfordert gleichermassen die Überzeu-gung für die Richtigkeit eigener Ansichten, wie die Fähigkeit, diese anderen Prioritäten unter- oder einzuordnen. Zum Zweiten macht

uns Palladios Architektur Mut, dass eine klare Form nicht zwangsläu-fi g auf Ornamentik und Schmuckformen verzich-ten muss. Wesentlich bei der Verwendung von Ornamentik und schmü-ckendem Beiwerk sind deren Inhalt und Bot-schaft. Bei Palladio ist die Ornamentik wohl-überlegt eingesetzt und integriert; die beliebige

Dekoration eines Gebäudes mit Verschnitten überbordender Or-namente ist ihm wohltuend fremd. Unser heutiger Umgang mit Schmuck und Ornament ist dagegen meist vollkommen unbedarft und hilfl os. Alle Gestaltung muss sich heutzutage an funktionalen und fi nanziellen Aspekten messen lassen. Dies müssen wir als gravierenden kulturellen Verlust unserer Zeit bedauern.

Die Sehnsucht nach oberitalienischen Villen ist auch in der modernen Fertighauskultur weit verbreitet.

Beispiele:

Fa. Swisshaus, Typ Cadra Fa. Bodenseehaus, Typ Kleine Villa

Vorbild Palladio? In der Südtürkei entdeckt...

Fa. Swisshaus, Typ Caliana

Fa. FischerHaus, Typ Magnolie M-108 Fa. Elk, Typ Villa 220

Perfekte Symmetrie auch hier: Villa Emo in Fanzolo (Treviso)