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Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke Das Böse aus dem Bilderbuch – Comics im Nachkriegsdeutschland Sitzung vom 21.11.2006

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Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke

Das Böse aus dem Bilderbuch – Comics im Nachkriegsdeutschland

Sitzung vom 21.11.2006

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Gegenstand und Ziel der Sitzung

• Darstellung der frühen Comicgeschichte in den USA/in Deutschland Kenntnis des sozio-historischen Hintergrunds

• Darstellung der Comicangstdebatte am Beispiel von Schückler (1954) Identifikation und Analyse zentraler Thesen Abgleich mit früheren Medienangstdebatten

• Darstellung einer zeitgenössischen Untersuchung zur Comicwirkung (Doetsch 1958) Abgleich mit den Thesen Schücklers

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Begriffsklärung: Comic

• Definitionskriterien nach Riha (zit. nach Doetinchem/Hartung 1974: 13)– Integration von Wort und Bild– Bilddominanz– Erzählung einer Geschichte in mehreren Bildern– periodisches Erscheinen– feststehende Figuren

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Frühe Entwicklung der Comics

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Anfänge in den USA

• 1895: ‚Hogan‘s Alley‘ (später: ‚The Yellow Kid‘) in der ‚New York World‘– häufig ‚Ein-Bild-Geschichten‘– Platzierung: Funny bzw. Comic Pages der Wochenend-

beilagen– Zielpublikum: Erwachsene

• 1897: ‚The Katzenjammer Kids‘ im New Yorker ‚Journal‘– ganzseitige Bildgeschichten– wöchentliche Erscheinungsweise– Vorbild: ‚Max und Moritz‘

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Frühe Entwicklung in den USA

• 1907: erster täglicher Comic Strip (‚Mutt and Jeff‘)

• 1928: erster Mickey-Mouse-Comic• 1929: erste realistisch gezeichnete Comic-

Helden (‚Tarzan‘, ‚Buck Rogers‘) nach Romanvorlagen

• 1933: erstes Comic Book (‚Funnies on Parade‘)– In der Folge schnell wachsender Markt für Comic-

Hefte

• 1938: erster Superman-Comic– In der Folge Inflation von ‚Superhelden-Comics‘

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Frühe Entwicklung in Deutschland

• nach 1945: Amerikanische Soldaten bringen Comic Books in Umlauf

• 1951 (?): erstes deutschsprachiges Comic-Heft (Micky Maus)

• in der Folge: schnell wachsender Markt– Ziel- bzw. Lesepublikum: Kinder und Jugendliche

• Entstehen einer Kinder-/Jungendsubkultur

– Genres u.a.: • ‚Funnies‘, z.T. in Anlehnung an Kinderliteratur• Wild-West-Comics• Dschungel-Comics • Superhelden-Comics (vereinzelt)

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Die Comicangstdebatte in Deutschland (50er Jahre)

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Die Debatte als ‚Kulturkampf‘

• Comic als Medium einer Kinderöffentlichkeit– Weite Verbreitung durch niedrigen Kaufpreis und hohe

Zirkulation; Comics als „Schmuggelware der infantilen Kultur“ (Doetinchem/Hartung 1974: 5).

– Erzählform und Inhalte: Verletzung ästhetischer/intellektueller Wertsetzungen der Hochkultur

„Kulturkampf“ (ebd.)- „Ihre (der ‚Kulturwächter‘, SK) Vorurteile gründeten .. auf

einer Trennung zwischen höherer und niederer Kultur, wonach die ‚eigentliche‘ Kultur immer noch das Privileg der herrschenden Klasse und das Instrument der Elitenbildung war“ (dies: 6).

• Parallelen zur Buch- und Kinoangstdebatte!

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„Jugendgefährdung durch Comics“(Schückler 1954)

• Penetration der Gesellschaft (hier: ‚Kinderwelt‘) als Auslöser der Medienangst und –abwehr (vgl. Buch-/Kinoangstdebatte)– „Unter den Druckerzeugnissen, die eine immer

größer werdende sittliche Gefährdung des jungen Menschen unserer Tage darstellen, nehmen die sog. Comics eine besondere Stellung ein, und dies nicht nur wegen ihres Inhaltes, sondern auch wegen ihrer Massenverbreitung“ (1).

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„Jugendgefährdung durch Comics“(Schückler 1954)

• Kulturpessimismus als Auslöser der Medienangst und –abwehr:– „Der moderne Mensch, eingespannt in die

Ruhelosigkeit des Alltags, geistig-seelisch ohne tragendes Fundament und ortlos geworden (...) sucht in diesen Comics und ihren Helden den verlorenen Halt“ (7, Hervorh. SK).

– „Es gibt nichts Bedeutsames mehr, kein Geheimnis und keine Ehrfurcht vor dem Geheimnis. Alles ist öffentlich geworden und bekannt (...) Man muß alle diese geistigen Wirklichkeiten mit in die Betrachtung einbeziehen, wenn man die geistige, die immer auch eine sittliche Gefährdung ist, durch die Comics in der rechten Weise sehen will“ (9, Hervorh. SK).

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„Jugendgefährdung durch Comics“(Schückler 1954)

• Abwertung neuer Kulturtechniken gegenüber tradierten (Trivialitätsthese):– „Um ein Buch lesen zu können, bedarf es einiger ruhiger

Stunden und Tage, wenn nicht gar Wochen (...) Die Comics aber können so nebenbei ‚gelesen‘ und verstanden werden“ (8).

– zum Vergleich zw. Bibel-Comics und der ‚Biblia Pauperum‘ (bebilderter Bibel des Mittelalters): „Solche Bilder (in der Biblia Pauperum, SK) führten zu einem echten Anschauen und Beschauen, die Comics-Bilder-Bibeln dagegen zum schnellen Umblättern nach anderen, neuen Bildern“ (10, Hervorh. SK).

• Comics als ‚Unkunst‘, „Befriedigungskunst“ (Riha)

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„Jugendgefährdung durch Comics“(Schückler 1954)

• (Miss-)bildungsthese:– „Die Gewöhnung an das ‚Überfliegen‘ von dargebotenen

Texten wird schließlich so mächtig bei den Dauer-Lesern sein, daß auch das wirklich Bedeutsame und Wesentliche einfachhin übersehen wird: Es tritt eine allgemeine Verwahrlosung des Lesens ein“ (11)

Totale Negation von Comics:- „Alle Comics, ob sie so oder anders aufgemacht

sind, sind abzulehnen! Alle Comics stellen eine Gefährdung für den jugendlichen Leser dar, weil sie alle der Verflachung dienen, der Wort- und Bild-Entwertung unserer Zeit Vorschub leisten und den Bilder-Götzendienst und die damit verbundene Reizüberflutung fördern“ (8).

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„Jugendgefährdung durch Comics“(Schückler 1954)

• (A-)sozialisations- (und Sucht-)these:– „Das zuchtlose Verschlingen von Lesestoff mit aufregenden

Geschichten entnervt den Menschen (...) und macht ihn auf die Dauer untüchtig, an die Aufgaben des Lebens mit dem Mut der Bereitschaft und Offenheit und der Geduld heranzugehen“ (11).

• Vergleich mit der Buchdebatte im 18. Jhd.:– "Das unmäßige und zwecklose Lesen macht zuvörderst

fremd und gleichgültig gegen alles, was keine Beziehung auf Litteratur und Bücherideen hat (...) ; also auch gegen die gewöhnlichen Gegenstände und Auftritte des häuslichen Lebens; (...) hat man endlich gar ... seine Nerven geschwächt und zur Ungebühr reizbar gemacht: dann fahre wohl, häusliche Glückseligkeit!" (Campe 1785)

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„Jugendgefährdung durch Comics“(Schückler 1954)

• Violenzthese:– Comics „regen durch ihre schundigen Bilder

ungeordnete und verwirrte Triebkräfte an und überreizen die keineswegs schon geklärte Phantasie des Jugendlichen. Und hier liegt häufig genug der Anlaß einer kriminellen Tat“ (18).

– „Bei einer sorgfältigen Überprüfung der meisten schundigen Comics sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß diese Comics fast alle – weniger direkt als indirekt – krimogen sind. Fast alle sind ethische Relativierungsmittel, nicht wenige geradezu Unterrichtsmittel für kriminelle Handlungen“ (ebd.). (vgl. Zeitungsdebatte)

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„Jugendgefährdung durch Comics“(Schückler 1954)

• Violenzthese: zum Vergleich zw. gewalthaltigen Comics und gewalthaltigen Werken der Weltliteratur:– „Wer nicht den Unterschied, der ein sehr wesentlicher ist,

sieht, wie er zwischen einer Heldensage und einem ‚Tarzan‘ (...) besteht, dem ist wahrhaftig nicht zu helfen.“ (20-21).

– In Bezug auf den Werther-Effekt: „Wir wollen gewiß keine ‚keimfreie‘ Literatur fordern, aber man sollte aber auch Wirkungen von Büchern nicht unterschätzen. Sie können veredeln, sie können aber auch verführen. Bei der Schundliteratur dürfte der Tatbestand der Verführung fast immer gegeben sein. Und darum kann es gegenüber dieser Art von Druckerzeugnissen kein Nachsehen geben“ (18).

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„Jugendgefährdung durch Comics“(Schückler 1954)

• Geforderte Konsequenzen:– „Es wird zu den vornehmlichsten und dringlichsten

Aufgaben der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (aus Anlass der Comicdebatte eingerichtet, SK) gehören müssen, die schundigen Comics auf ihren wahren Charakter hin zu untersuchen. (...) Im übrigen sei man nicht zu ängstlich, wenn man einen Scheiterhaufen für minderwertige und unsittliche Literatur errichten will“ (22).

• In der Folge: ,Schmökergrab‘-Aktionen und Comicverbrennungen

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Empirische Überprüfung der Thesen

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Schückler u.a.: keine empirischen Belege

• Wirkungsbehauptungen statt belegter Wirkungen, z.B.:– „Vielfach versucht der jugendliche Comicleser, seine

biologische Benachteiligung und Schwäche gegenüber dem Erwachsenen durch die Identifizierung mit dem ‚Comic-Helden‘ wettzumachen (...) Es ist selbstverständlich, daß ein solcher Leser später oft genug seelisch-geistig verkrüppelt“ (7, Hervorh. SK).

• Überzeugungsarbeit durch Solidaritätsfloskeln:– „Für jeden Pädagogen ist es wohl einsichtig ...“ (7)– „Welcher ernsthafte Erzieher wollte bestreiten...“ (9)– „Jedem verantwortungsbewußten Erzieher wird es

einen Schrecken einjagen ...“ (17)

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)

• Empirische Überprüfung von (Miss-)bildungs-, (A-)sozialiations- und Devianzthese

• Forschungsdesign: Methodenmix aus standardisierter Befragung und qualitativem Experiment

• Grundgesamtheit: Schüler(innen) einer hessischen Kleinstadt

• Stichprobe (gewichtet): N = 1.304 (Befragung); N = 422 (Befragung; Experiment)

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)• Validitätssicherung I: ‚Warm-Up-Phase‘ bei

Abwesenheit des Lehrpersonals– Information zum Zweck der Untersuchung: „wir möchten

gerne wissen, was Jungen und Mädchen in ihrem Alter gerne läsen und was sie ablehnten, um so ihre Bücher und Lesehefte noch schöner gestalten zu können“ (71)

– Zusicherung von Vertraulichkeit gegenüber Lehrern und Eltern

– Vorzeigen von Illustrierten und Comics: „(wir) zeigten, daß wir diesen Lesestoff auch kannten und lasen und nahmen ihm so (...) den Akzent des Unerlaubten“ (72)

Reduktion ‚Sozialer-Erwünschtheits-Effekte‘ i.S.v. Selbstzensur

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)

• Validitätssicherung II: Ausschluss ‚unzuverlässiger‘ Probanden– Bitte, auf einer Liste mit (z.T. fiktiven) Comic-Serien

diejenigen anzukreuzen, die in den letzten zwei Jahren gelesen wurden (N = 1.425)

– Aussonderung derjenigen Fragebögen, auf denen eine fiktive Serie angekreuzt wurde (n = 121)

Reduktion ‚Sozialer-Erwünschtheits-Effekte‘ i.S.v. Selbsterhöhung

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)

• Ergebnisse der Fragebogenbefragung: Nutzung von Comics– 85% der Befragten lesen regelmäßig Comics– Comicnutzung bei Jungen stärker als bei Mädchen– Comicnutzung bei Volksschülern stärker als bei

Schülern weiterführender Schulen– Comicnutzung am stärksten bei Schülern (Jungen)

der 7. Klasse; vorher mäßiges, anschließend abflauendes Interesse

– in den meisten Fällen Nutzung mehrerer Comicserien– Comicbezug meist über Tausch, seltener durch Kauf

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)• Ergebnisse der Fragebogenbefragung: Akzeptanz von

Comics– kaum generelle Akzeptanz von Comics (nur bei jedem 11.

Jungen und jedem 20. Mädchen)– beliebteste Serie: Micky Maus– bei Abenteuer- und Superhelden-Comics (‚Tarzan‘, ‚Phantom‘)

überwiegend negative Kritik• unrealistische Darstellung der Superkräfte (bes. ‚Tarzan‘)• unrealistischer Handlungsverlauf• stereotype Wiederholung des ‚Retter-in-der-Not‘-Schemas• Brutalität (bes. von Mädchen genannt)

– vorwiegend positive Kritik an ‚Abenteuern der Weltgeschichte‘• realistische Darstellung• Lerneffekt• Spannung

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)• Vergleich starke Comic-Leser (StL)/Nicht-Leser (NL):

Intelligenzleistungen (N = 422)– keine signifikanten Beziehungen zwischen

Intelligenzleistungen und Comicnutzung

• Vergleich StL/NL: kulturelles/soziales Milieu– keine signifikanten Beziehungen zwischen Buch- und

Comicnutzung– Korrelation zwischen dem Leseverhalten der Eltern und der

Kinder– stärkere Comicnutzung bei Kindern aus Familien der unteren

Mittelschicht/Unterschicht– starke Comicnutzung bei Kindern ohne Vater/mit

berufstätigen Eltern

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)

• Vergleich StL/NL: Sozialverhalten, „Gefühlsansprech-barkeit“, Beherrschtheit Erstellung von Persönlichkeitsprofilen durch Lehrerbefragung– Mädchen: StL als aggressiver, selbstbewusster,

überheblicher, weniger beherrscht eingeschätzt– Jungen: StL als abweisender, verschlossener

eingeschätzt– StL insgesamt: als weniger gewissenhaft eingeschätzt Doetsch: Annahme von Wechselwirkungen zwischen

Persönlichkeit und Comicnutzung

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)• Vergleich StL/NL: Aggressivität/Violenz

– Ermittlung von Aggressionstendenzen durch projektiven Test• schriftliche Ausarbeitung von Erzählfragmenten (konflikthafte

wie konfliktmeidende Entwicklung möglich)• pro Proband: mind. acht Erzählungen• Typologisierung der Ausarbeitungen nach Grad der fiktiven

Aggression (von ‚uneingeschränkte Aggressivität‘ bis ‚sofortige Kooperation‘), Vergabe von Minus- und Pluspunkten Addition zu ‚Aggressivitätswert‘

– keine signifikanten Korrelationen zwischen Comicnutzung und Agressivitätsgrad

– Vorlage einer Liste mit 250 Namen (StL) beim Jugendamt kein Fall von Jugendkriminalität

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)• Vergleich StL/NL: Vorbilder

– Ermittlung der Vorbilder durch Befragung• „Welcher Person (gesehen, kennengelernt, beobachtet,

gelesen, gehört) willst du gern ähnlich sein/gar nicht ähnlich sein?“

• „Welcher Figur aus einem Comic willst du gern ähnlich sein/gar nicht ähnlich sein?“

– kein Mädchen und nur rd. 3% der Jungen nennen bei erster Frage spontan Comic-Helden als Vorbild

– in weniger als 30% der Fälle (insgesamt) werden Comic-Helden als Vorbilder genannt, häufiger von StL als von NL

– bei medieninduzierten Vorbildern werden deutlich häufiger Filmstars als Comic-Helden genannt (vor allem von StL)

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)

• Fazit: in vielerlei Hinsicht ‚Entwarnung‘– Comiclesen korreliert nicht mit Kriminalität (keine

Bestätigung der Violenzthese, SK)– Comiclesen korreliert nicht mit aggressiveren Tendenzen

(keine Bestätigung der (A-)sozialisationsthese, SK)– Comiclesen korreliert nicht mit geringerer Intelligenzleistung

(keine Bestätigung der (Miss-)bildungsthese, SK)– Kinder stehen Comics nicht kritiklos gegenüber (Widerlegung

der Annahmen Schücklers, SK)– Interesse an Comics lässt mit der Persönlichkeitsentwicklung

nach (Widerlegung der Annahmen Schücklers, SK)

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„Comics und ihre jugendlichen Leser“

(Doetsch 1958)• Fazit: in anderer Hinsicht Grund zur Besorgnis

– Kinder – wenn auch in geringer Zahl – nennen spontan Comic-Helden als Vorbild

• dennoch offenbar keine Nachahmung, SK– StL werden als „gemeinschaftsschwieriger, aggressiver,

überheblicher, gefühlsmäßig weniger ansprechbar, oberflächlicher, unbeherrschter und labiler, wohl auch vitaler als die Nichtleser bezeichnet“ (132)

• = weniger angepasst/selbstbewusster größere Bereitschaft zum ‚unangepassten‘ Comiclesen? SK

– „Sicherlich ist das Interesse an den Comics entwicklungsbedingt (...). Aber kann das wirklich beruhigen? Was von dem so lange und intensiv Gelesenen wird vielleicht noch in tieferen Seelenschichten weiterleben und –wirken?“

• Konterkarierung der empirischen Ergebnisse mit (erneuter) spekulativer Wirkungsannahme, SK

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Fazit• Keine empirischen Belege für (Miss-)bildungs-,

(A)sozialisations-, Violenzthese• Versuch, Ergebnisse zu relativieren durch

– erneute Spekulation über Wirkungsannahmen– eine der empirischen Untersuchung vorangestellte

Inhaltsanalyse (‚Comics als Unkunst‘)• „Wenn auch schädigende Einflüsse im Augenblick nicht

festgestellt werden können, so muß doch ausdrücklich betont werden, daß damit keinesfalls der Comicproduktion ein Freibrief ausgestellt wird. Nicht alles, was ‚unschädlich‘ ist, ist damit zugleich pädagogisch erwünscht. Die Analyse der Bildhefte allein dürfte eindeutig erkennen lassen, daß Comics keinen Anspruch auf literarischen Wert erheben können“ (Vorwort von Prof. W. Schultze, 8, Hervorh. SK).

Comicangst und –abwehr als Verteidigung eigener kultureller Wertvorstellungen

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Verwendete Literatur

• Doetinchem, Dagmar von/Hartung, Klaus (1974): Zum Thema Gewalt in Superhelden-Comics, Berlin: Basis.

• Doetsch, Marietheres (1958): Comics und ihre jugendlichen Leser, Meisenheim a. G.: Anton Hain.

• Hiebel, Hans H. u.a. (1999): Große Medienchronik, München: Fink.

• Riha, Karl (1974): Die Technik der Fortsetzung im Comic strip. In: Pforte, Dietger (Hrsg.): Comics im ästhetischen Unterricht, Frankfurt: Athenaeum, S. 151 ff.

• Schückler, Georg (1954): Jugendgefährdung durch Comics, Köln: Volkswartbund.