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Angstmedien - Medienängste, Prof. Dr. Susanne Keuneke ‚Zeitungslust und Zeitungsfrust‘ Frühe Reaktionen auf das erste publizistische Massenmedium Sitzung vom 07.11.2006

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‚Zeitungslust und Zeitungsfrust‘ Frühe Reaktionen auf das erste publizistische Massenmedium

Sitzung vom 07.11.2006

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Gegenstand und Ziel der Sitzung

• Darstellung: Entwicklung der Zeitung im 17. Jhd. unter Bezugnahme auf den sozio-historischen Kontext Verständnis für die gesellschaftliche Bedeutung der Zeitung als Auslöser von Medienängsten

• Darstellung der Zeitungsangstdebatte in diesem Zeitraum Identifikation und Analyse der zentralen Thesen Abgleich mit früheren Medienangstdebatten Darstellung alternativer Ansätze

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Begriffsklärung: Zeitung als erstes Massenmedium

• Definitionskriterien ‚Zeitung‘ (vgl. Wilke 2002: 460):– Aktualität (Unterschied z.B. zu Meßrelationen) – Universalität (Unterschied z.B. zu – den meisten - Büchern)– Publizität (Unterschied z.B. zu Fugger-Briefen)– Periodizität (Unterschied z.B. zu Flugblättern und –schriften)

• Die Zeitung wird in der KMW als erstes Massenmedium definiert (vgl. ebd.)– Kritik: Buch erfüllt prinzipiell Definitionskriterien (vgl.

Maletzke 1963: 32)– Zeitungen vermochten jedoch durch Reichweiten und

Periodizität erstmals Publizität im heutigen Sinn herzustellen

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Die Zeitungsentwicklung im 17. Jhd.

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Die ersten Zeitungen

• Deutschland als Ursprungsland der Zeitung:– 1605 (1609): ‚Relation‘ in Straßburg (Wochenzeitung)– 1609: ‚Aviso‘ in Wolfenbüttel (Wochenzeitung)– 1650: ‚Einkommende Zeitungen‘ in Leipzig

(Tageszeitung)

• Rasantes Zeitungswachstum, da– territoriale Zersplitterung des Hl. Römischen Reiches – konfessionelle Spaltung ( 30jähriger Krieg)– Knotenpunkt verschiedener Postlinien (Postmeister als

Zeitungsherausgeber)

• Im 17. Jhd. in Deutschland mehr Zeitungen als in allen anderen europäischen Ländern zusammen

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Deutschsprachige Zeitungen im 17. Jhd.

nach: Wilke (2000: 52)

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Anzahl Zeitungen

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Reichweiten im 17. Jhd.

• Hohe Verbreitung der einzelnen Ausgaben: mind. 10 Leser pro Exemplar– Zeitungsabonnements durch Ämter, Klöster, Schulen und

Universitäten– Kollektivbezug durch Lese- bzw. Umlaufgesellschaften

(erste Gründung 1614 nachgewiesen)– Zeitungsauslagen in Wirtschaften, Kaffeehäusern etc.

• Im letzten Drittel des 17. Jhd. mind. 200.000 – 300.000 Zeitungsleser

• Rezeption beschränkt auf gebildete Milieus – Höfische Kreise, Verwaltungsapparat, Klerus, Gelehrte,

Studenten, Buchhändler, Kaufleute• Reichweite: ca. 20 – 25 %, in Gesamtbevölkerung: ca. 2 %• Dennoch: (Teil-)Öffentlichkeit von bis dahin unbekannter

Größe

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Zeitungsinhalte im 17. Jhd.

• Starkes Übergewicht politischer/militärischer Themen:– in den Anfangsjahren bis zu 90 %– in den 70er Jahren noch 75 %

• Kaum unterhaltende Elemente Zeitungen als (fast) reines Nachrichtenmedium

• Im Laufe der Jahrzehnte: Zunahme von (unpoli-tischen) Hofnachrichten Hintergrund: Erstarken des Absolutismus

• Kaum lokale oder regionale Berichterstattung Hintergrund: Zensur durch die Obrigkeit

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Weltliche Zensur von Druckwerken

• 1530: ‚Impressumspflicht‘ für Drucker wird eingeführt

• 1548: Verordnung Kaiser Karls V.– Androhung schwerer Strafen für Drucker, die Publikationen

ohne vorherige Genehmigung durch die Obrigkeit her-stellen

• 1570: Reichstagsbeschluss von Speyer:– Druckereien nur in Kurfürsten-, Fürsten- und

Universitätsstädten zugelassen– Schließung der ‚Winkeldruckereien‘– ‚Lizenzzwang‘ für Drucker

• Kontrollsystem wurde auf Zeitungen übertragen– Fortbestand bis ins 19. Jhd.

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Die Zeitungsangstdebatte im 17. Jhd.

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Frühe Reaktionen auf die Zeitung(-smacher)

„Die Existenz der Zeitung konnte je länger je mehr (und im Grunde von Anfang an) nicht geleugnet oder gar wieder rückgängig gemacht werden, die Tätigkeit ihrer Verfasser aber wurde nicht geschätzt und behielt das Odium eines fragwürdigen und nicht seriösen Geschäfts, besonders in Deutschland“ (vgl. Blühm/Engelsing 1967: 33).

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Frühe Reaktionen auf die Zeitung(-smacher)

• Kritik und Angriffe vor allem durch Schriftsteller und Vertreter der Obrigkeit Angst vor Bedeutungs- und Machtverlust Kulturpessimismus (als Erscheinungsform?)

• Sanktionen:– Zensur– Pamphlete und ‚Schmähschriften‘

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Gesichten Philanders von Sittenwald (1642)

• Autor: Johann Michael Moscherosch (Dichter)• Satirische Moralpredigt (‚Bericht aus der Hölle‘)

– Ich-Erzähler trifft am „Secrét oder Privét deß Lucifers (...) etliche viel Thonnen von Fuchsschwäntzigen Historimachern vnnd Zeitungsschreibern“, die „auß Forcht / auß Haß / auß Liebe / auch das jenige schreiben, vnd vberschreiben dessen sich die Kinder in den Schulen zu referiren schämen und schewen sollten“ (zit. nach Elger/Blühm 1967: 33).

Defizitthese, Tabubruchthese, (A-)sozialisationsthese

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Unartig Teutscher Sprach-Verderber (1643)

• Autor: Christoph Schorer (Dichter; Anhänger Moscheroschs)– Kritik an „allerhand frembden Wörtern“ (zit. nach

Blühm/Engelsing 1967: 35) (Frankozismen)– Anekdote: Junger Akademiker scheitert daran,

seinem Vater aus der Zeitung vorzulesen; Begründung: „wann es Teutsch oder Latein wehr / so wolt er es wol verstanden haben“ (ebd.)

– Forderung nach Zensur: „Aber ist dieses nicht eine Schand / vnd sollte dieses nicht offentlich verbotten werden“ (ebd.)

(Miss-)bildungsthese

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Discursus de Novellarum, quas vocant Newe Zeitunge / hodierno usu et abusu

(1676)• Autor: Ahasver Fritsch (fürstlicher Rat)

– Informationen über politische Angelegenheiten sollten Fürsten und staatlichen Organen vorbehalten bleiben

• „Was aber Privatpersonen anlangt, so ist ihre allzu große Neugierde auch hierin wie in anderen Dingen überhaupt ein Fehler und verdient gerechten Tadel“ (zit. Blühm/Engelsing 1967: 52).

– Verbreitung unwahrer Nachrichten über Siege und Niederlagen durch Zeitungsmacher Volk favorisiert „kopflos“ falsche Partei

– „Darum liegt es im öffentlichen Interesse, die wahllose Verbrei-tung und Bekanntmachung von Neuen Zeitungen im Staate nicht zu gestatten“ (ebd.)

Tabubruchthese, Defizitthese, Täuschungsthese

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Unzeitige Neue-Zeitungs-Sucht / und Vorwitziger Kriegs Discoursen Flucht

(1679)• Autor: Johann Ludwig Hartmann (lutherischer

Superintendent)– Ebenfalls Kritik am ‚Nachrichtenhunger‘ der Bevölkerung:

• Antrieb: „Curiosität und Fürwitz“• Information über politische/militärische Angelegenheiten für

Bevölkerung nicht schicklich: „Die allergewissesten Avisen finden wir doch in Gottes Wort / nach solchem haben wir uns zu reguliren (...) da hingegen die Neue-Zeitungs-Sucht / wie auch die praepostera judicia und ungleiche Urtheil vom Krieg (...) unter die jenige Stück gehören / die wir sollen meiden“ (zit. nach Blühm/Engelsing 1967: 53)

– Zeitungsmacher suchen „allenthalben Gewinn (..) durch Warheit und falsche Spargimenta“ (ebd.)

Täuschungsthese, Suchtthese, Defizitthese

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Vergleich mit Buchangstdebatte

• 15. Jhd.: Kampf der (katholischen) Kirche gegen die allgemeine Zugänglichkeit der Bibel– „Wer wird einfältigen und ungelehrten Menschen und dem

weiblichen Geschlecht, in deren Händen die Bände der Heiligen Schrift gelangen, zugestehen, dass sie daraus einen richtigen Sinn lesen“(vgl. Sitzung vom 31.10.).

Hintergrund: Angst vor Machtverlust

• 17. Jhd.: Kampf eines (protestantischen) Geistlichen gegen die Zeitung mit Rückverweis auf Bibel– „Die allergewissesten Avisen finden wir doch in Gottes

Wort...“ Hintergrund: Angst vor Machtverlust

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Gegenrede in der Zeitungsangstdebatte

• Von Beginn an wurde auch Nutzengewinn durch die Zeitung aufgezeigt:– Betonung aktuellen Wissenserwerbs:

• „Als haben die jetzigen Historien von den Sachen und Handlungen, so sich bei unseren Lebzeiten und heutigen Tages begeben, nicht weniger ihren Nutzen als gar die uralten“ (Gregor Wintermonat 1609, zit. nach Blühm/Engelsing 1967: 21).

• ‚Fürsprecher‘ anfangs vorwiegend Zeitungs-macher selbst

• Politischer Bildungsnutzen aus Zensurangst nur zurückhaltend thematisiert

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Schediasma curiosum de lectione novellarum (1676)

• Autor: Christian Weise (Dichter und Pädagoge)– Zeitung als Bildungsmedium, u.a. für Geographie,

Geschichte und Politik• Es „wäre zu wünschen / es möchten sich junge Leute zuweilen

die Mühe nehmen / und aus den Gazetten mit einem oder mehrern ihres gleichen in einem Discours über die vorfallenden Begebenheiten sich erbauen“ (zit. nach Blühm/Engelsing 1967: 54).

– Zuweisung einer ‚Transparenzfunktion‘ an die Zeitung• „Wird auf einem Theatro eine Comoedie agirt / so gibt ein

jeglicher Zuschauer sein Geld / und judicirt ohngescheut von dem / was ihm an den Comoedianten gefallen hat / oder nicht. Ebenso gehet es in den Republiquen. Die Grandes oder Ministri (...) spielen gleichsam die Partes nach ihrem Belieben; Die Kleinen sehen auf ihre Kosten zu / und weil man ihre Dienste sonst zu nichts brauchet / so können sie ein mehrers nicht thun / als von der Action selber zu raisoniren“ (dies. 56).

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Zeitungs Lust und Nutz (1695)

• Autor: Kaspar Stieler (Dichter und Pädagoge)• Erstes ‚zeitungskundliches Werk‘ in drei

Büchern:– Geschichte, Begriffs- und Wesensbestimmung der

Zeitung– Möglichkeiten der Nutzbarmachung– Zeitungsrecht

• Anleitung zur (Selbst-)Bildung durch Zeitungen: – „Wir ehrliche Leute die wir itzt in der Welt leben /

müssen auch die jetzige Welt erkennen; uns hülft weder Alexander / Cäsar / noch Mohamet nichts / wenn wir klug seyn wollen“ (Stieler 1969: 4).

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Zeitungs Lust und Nutz (1695)• ‚Penetration der Gesellschaft‘ wird als Auslöser

von Medienangst erkannt:– „Nichts ist so gut / heilsam und löblich / das nicht

auch von gewissen Personen verachtet und geschändet werde / zumal / wenn es überall gemein wird / und sich dabei vielerhand Misbreuche einfinden“ (Stieler 1969: 56, Hervorh. SK)

• Differenzierter Ansatz: Lob des Zeitungsnutzens, Verurteilung ihres ‚Missbrauchs‘– gegen Ehrverletzung der Obrigkeit– gegen Veröffentlichung privater Angelegenheiten (!)– gegen Inhalte, die gegen die ‚guten Sitten‘ verstoßen

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Zeitungs Lust und Nutz (1695)

• Zur Violenzthese I:– „Nun ist nicht zu leugnen / daß in den Zeitungen (...) oft

von einem verübten Bubenstücke berichtet und die Art und Weise / wie solches angefangen und vollendet sey / so ümständlich beschrieben / daß / wer zu Bösem geneiget / daraus völligen Unterricht haben kann / dergleichen auch vorzunehmen“ (Stieler 1969: 61).

Keine Annahme direkter Medienwirkung im Sinne des ‚Stimulus-Response-Modells‘, stattdessen Einführung einer ‚intervenierenden Variablen‘:

Stimulus Interven. Variable Response

(Bericht über ‚Bubenstück‘) (‚Neigung zu Bösem‘) (Nachahmung)

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Zeitungs Lust und Nutz (1695)

• Zur Violenzthese II:– „Aber / was können die Zeitungen an und vor sich

selbst darzu? Die Heilige Schrift ist je voll von Exempeln der Blutschande / des Ehebruchs / des Diebstals und anderer vielen Laster mehr / sie setzet aber auch darzu die Strafe / zur Warnung: Gleich wie die Zeitungen nicht ermangeln (...) bald die schärfste Rache der Obrigkeit / und einen elenden Ausgang solcher Leute Verbrechen anzufügen“ (Stieler 1969: 61).

Erkenntnis: Vorwürfe an neue Medien werden an alte nicht (mehr) gerichtet

Annahme: dargestellte Sanktionen als weitere intervenierende Variable

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Fazit

• Zeitungsangst und –abwehr Ausdruck von Angst vor Machtverlust und Kulturpessimismus

• Frühe pragmatische/kritische/differenzierte Ansätze– unter anderem Relativierung der Violenzhypothese

durch den Verweis auf intervenierende Variablen• vgl. Diskussion um ‚Werther-Effekt‘, Sitzung vom 31.10.

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Verwendete Literatur

• Blühm, Elger/Engelsing, Rolf (Hrsg.) (1967): Die Zeitung. Deutsche Urteile und Dokumente von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bremen: Carl Schünemann.

• Maletzke, Gerhard (1963): Psychologie der Massenkommunikation, Hamburg: Hans-Bredow-Institut.

• Stieler, Kaspar (1969): Zeitungs Lust und Nutz. Vollständiger Neudruck der Originalausgabe von 1695. Herausgegeben von Gert Hagelweide, Bremen: Carl Schünemann.

• Wilke, Jürgen (2000): Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Köln u.a.: Böhlau.

• Wilke, Jürgen (2002): Pressegeschichte. In: Noelle-Neumann, Elisabeth u.a. (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik/Massenkommunikation, Frankfurt a.M.: Fischer, S. 460 – 477.