Antiberliner 19

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  • 8/9/2019 Antiberliner 19

    1/8

    K a m p f b l a t t f r e i n e g e r e c h t e U m v e r t e i l u n g / / N r. 1 9 / / O k t o b e r / N o v e mb e r 2 0 0 8

    2 KAMPF. Der deutsche Kino-streifen Baader Meinhof

    Komplex setzt auf Sex and

    Crime

    6 GEWALT. Die afrikanischeLinke und die Nachwirk-

    ungen des Kolonialismus

    bis heute

    4 FINANZKRISE. Der neolibe-rale Traum eines entfes-

    selten Marktes ist zer-

    schlagen

    ANTIBERLINER

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    In eigener Sache

    Der Anti-

    berliner ist

    eine Zei-

    tung fr

    linke Politik

    und Kultur, die alle

    zwei Monate erscheintund kostenlos in Ber-

    lin verteilt wird. Oft

    werden wir verstnd-

    nislos nach unserem

    Namen gefragt und

    was wir denn gegen

    die Berliner htten.

    Dabei leben wir sogar

    sehr gern in Berlin.

    Ihren Namen hat die

    Zeitung vom ehemali-gen Berliner CDU-Br-

    germeister Eberhard

    Diepgen, der die

    Kreuzberger als Anti-

    berliner brandmarkte,

    nachdem sie am 1.

    Mai 1987 nachdrck-

    lich darauf bestanden

    hatten, den Tag der

    Arbeit ohne Polizei zu

    feiern. Ein Ehrentitelalso fr anstndige

    Berliner ...

    Impressum: V.i.S.d.P.: E. Diepgen,

    Fasanenweg 30,

    10123 Berlin

    Redaktionskontakt:

    [email protected]

    www.antiberliner.de

    Untersttzt von: Antifa-schistische Linke Berlin

    Namentlich gekenn-

    zeichnete Artikel spie-

    geln nicht unbedingt

    die Position des Redak-

    tionskollektivs wider

    0 2 // / A n t i b e r l i n e r 1 9 / 2 0 0 8

    Die durch den Film vorgenommene

    Darstellung der RAF schwankt

    zwischen Mythos und Pathologisie-

    rung.Werden sich Baader und Enss-

    lin als deutsche Bonny & Clyde

    oder vielmehr als antidemokrati-

    scher Alptraum im kulturellen Ge-

    dchtnis der deutschen Mehrheitsbe-vlkerung festsetzen?

    Wenn du vom kulturellen Ge-

    dchtnis sprichst, dann triffst du

    es schon ganz gut mit Bonny &

    Clyde, die Story von der RAF

    hat sich ja inzwischen mehr oder

    weniger als Kanon einer Ru-

    berpistole etabliert. Ob dabei

    auch tatschlich von einem wir-

    kungsmchtigen Feindbild der

    gewaltttigen Antidemokratengesprochen werden kann, wage

    ich etwas zu bezweifeln. Denn

    fr die meisten Leuten hier, ist

    das eine Geschichte von gestern,

    aus der inzwischen Millionen

    Jahre entfernt scheinenden,

    schnarchigen Bonner Republik.

    Die politischen Umstnde und

    Beweggrnde fr eine Stadtgue-

    rilla sind ja auerhalb der linken

    Szene kaum jemandem mehrbekannt,weil diese gerade nicht

    Gegenstand der mystifizieren-

    den Abrechnung in den Medien

    sind. Natrlich ist der damalige

    bewaffnete Kampf inzwischen

    auch mehrfach im ffentlichen

    Diskurs berdeckt worden - von

    einer neuen Welle asymetrischer

    Konflikte durch al Qaida und

    Co. und inzwischen mehreren

    veritablen wars on terror. Damssen einem bei der Rck-

    schau die etwa 40 Toten in 30

    Jahren RAF doch weniger dra-

    matisch vorkommen.

    Welche gesellschaftliche Funktion

    erfllt die Banalisierung der Ge-

    schichte der RAF, die durch die ak-

    tuelle Geschichtsschreibung vorge-

    nommen wird?

    Ich bezweifle, dass es bei derheutigen RAF-Debatte noch

    um eine wesentliche gesell-

    schaftliche Funktion geht, denn

    eine hnlich radikale Linke wie

    in den 70ern ist ja heute nir-

    gends zu sehen. Natrlich ging

    es damals um eine Delegitimie-

    rung linker Politik, aber nicht

    nur dieser, sondern auch um eine

    Kampfansage gegenber der

    Neuen Frauenbewegung. Sowurde von den Frauen in der

    RAF beispielsweise behauptet,

    bei ihnen handele es sich um den

    Exzess der Befreiung der Frau.

    Generell gilt auch heute noch

    zum Teil, was damals galt: Der

    Terrorismus-Diskurs spricht

    nicht unbedingt von denen, die

    er benennt.Heute wird die Nie-

    derlage der RAF gerne ge-

    schichtspolitisch eingebettet indie verbreitete Sicht einer Er-

    folgsgeschichte der Bundesrepu-

    blik und dient so der groen

    Legitimationserzhlung: Dem-

    nach wre die RAF eine groe

    Herausforderung gewesen, und

    man habe eben mal sehen kn-

    nen, wohin all der Protest

    1967ff. fhre (siehe Gtz Aly),aber die noch junge und unsi-

    chere Bundesrepublik habe sich

    dieser Herausforderung gestellt

    und sie letztlich mit Bravour be-

    standen.

    Das Problem am Film scheint also

    vor allem das zu sein, was er nicht

    zeigt.Welche Themen httest du n-

    her beleuchtet, wenn du Regisseur

    gewesen wrst?

    Schwierige Frage.Will denn je-mand einen Film sehen, in dem

    sich z.B. eine Stadtguerilla in

    langen Diskussionen der Kritik

    einer linken Szene stellt? Gene-

    rell denke ich, ist ber die RAF

    schon soviel Fiktion hereinge-

    brochen, dass man es auch mal

    dabei belassen kann.

    Der neue Baader-Meinhof-

    Komplex Film hat immerhin ei-

    nige Szenen,die ich so von ihmnicht erwartet hatte. Das wre

    z.B. die detaillierte Darstellung

    der Polizeigewalt am 2. Juni

    1967, wobei natrlich jemand

    wie Kurras, der Benno Ohne-

    sorg erschoss,dabei zu gut weg-

    kommt. Auerdem werden auch

    andere Polizei-bergriffe ge-

    zeigt, z.B. nach der Festnahme

    von Holger Meins und auch der

    Transport des schwerverletztenSiegfried Hausners von Stock-

    Letzlich die gleichenPersonalisierungsstories

    H an no Ba lz i st Ku l-t u r w i s s e n s c h a f t l e r

    Seit September ist die Verfilmung von Stefan Austs Bestseller Der Baader Meinhof Kom-

    plex im Kino zu sehen. Der Film stellt den pop-kulturellen Hhepunkt eines Diskurses zur

    RAF dar, der im letzten Jahr mit unzhligen Dokumentationen und Verffentlichungen zum30-jhrigen Jubilum des Deutschen Herbstes losgetreten wurde. ber den RAF-Hype

    sprach der Antiberliner mit Hanno Balz, Kulturwissenschaftler und Historiker in Bremen

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    Nun setz ich mich in meine Kiste und dannfhle ich mich, wie Niki Lauda, nur der warwohl nie so voll wie ich ... sang die legen-dre Hamburger Punkkapelle Slime in ihrem 1,7Promille-Blues. Ich hatte immer in Frage gestellt, ob esberhaupt mglich wre, mit so viel Alkohol im Blut denSchlssel ins Trschloss zu bekommen. Ein weltweitbekannter, sterreichischer Rechtspopulist hat mich jedocheines Besseren belehrt und dabei den Slime-FrontmannDirk noch um 0,1 Promille getoppt. Obwohl mitSicherheit davon auszugehen ist, dass der gerade einmaldrei Monate alte VW Phaeton V6 seine Tren perKnopfdruck ffnen konnte.Wer schon einmal einen hn-lich modernen Schlitten als Mietwagen gefahren ist,wei, dass in solchen Autos auch Zndschlssel undZnder einfacher zusammen finden als zweiSchimpansen im Zoo.

    Und selbst fr diese sollte es mglich sein,quadratischeBaukltze in die dafr vorgesehende Form zu stecken.

    Kurzum: Als Schutz vor exzessiver Trunkenheit amSteuer taugen diese Schlssel nichts, aber sie haben durch-aus ihre Vorteile.Auch Gnther Beckstein, das bayrischePendant des ehemaligen krntner Landeshauptmannes,drfte sie zu schtzen wissen. Hat er doch zum Beginnder Oktoberfestsaison feuchtfrhlich in die Kamerasanwesender Journalisten gelallt, dass er zwei Ma Bier also zwei Liter vor dem Autofahren fr vertretbar hlt.Nicht zu fassen eigentlich, dass die Zahl der Unfalltotenin der BRD und sterreich seit Jahren abnimmt.

    Aber die Autos werden schlielich auch immer siche-rer.Volkswagen etwa lsst zum besagten Phaeton V6 wis-sen: Perfekter Schutz fr alle Insassen. Die Verarbeitungvon 16 verschiedenen Metallen und Spezialkunststoffenbietet Ihnen ein Hchstma an Stabilitt, beste Crash-Sicherheit und konkurrenzlose Torsionssteifigkeit. Bleibtnur zu hoffen, dass auch Becksteins Wagen derart gutausgestattet ist, wenn er demnchst von der Wiesn zuMutti fhrt.

    Tante Kthe plaudert aus dem Nhkstchen

    Lob der elektronischenTrentriegelung

    holm nach Stammheim, wo er

    kurz darauf starb.Trotz alledem:

    Letztlich die gleichen Persona-

    lisierungsstories, Sex & Crime

    und die blichen denunziatori-

    schen Abrechnungen.Dein Buch Von Terroristen, Sym-

    pathisanten und dem starken Staat

    handelt von der ffentlichen Debat-

    te zur RAF in den 70er Jahren.

    Worum ging es damals?

    Es ging um eine Selbstverstn-

    digung eigener Werte und letzt-

    lich um eine Gesellschaftsfor-

    mierung aus der Abgrenzung

    heraus. Sie isolierte die ganze

    radikale Linke, aber auch ein

    kritisch-liberales Brgertum,das

    sich doch nun bitte mal wieder

    etwas zurckhalten solle.

    Eine entscheidende Wirkung

    erzielten die Medien bei der dis-kursiven Erzeugung von Unsi-

    cherheiten. In spekulativen und

    mobilisierenden Zeitungsarti-

    keln und Schlagzeilen wurde

    damals, vor allem natrlich in

    BILD, ber Jahre hinweg eine

    furchterregende Stimmung auf-

    gebaut, da die Aktionen der

    RAF angeblich uns alle bedro-

    hen wrden.

    Siehst du Parallelen zur ffentlichen

    Darstellung des islamistischen Ter-

    rorismus nach dem 11.September?

    Prinzipiell ja. Das, was ich eben

    schon Gesellschaftsformierung

    durch Abgrenzung genannt

    habe, trifft hier in einem ande-

    ren Mastab auch zu.War es da-mals die innere Formierung ei-

    ner Gesellschaft, gilt das Ganze

    nun als globaler Kulturkampf

    um die Werte des Westens ge-

    genber einer angeblich islami-

    schen Bedrohung. Auch hier

    stellt sich wieder die Frage, ob

    mit dem Gerede ber den isla-

    mistischen Terrorismus nicht

    eigentlich auch viel mehr ge-

    meint ist als ein paar al-QaidaKmpfer. Vielmehr scheint es

    hier doch um fundamentale Fra-

    gen von (De-)Integrationspoli-

    tik nach Innen und imperialisti-

    scher Intervention nach Auen

    zu gehen.Und in welchen gr-

    eren Konflikten ging es auf der

    Propaganda-Ebene nicht auch

    um den jeweiligen Terroris-

    mus der anderen?

    Wall E statt Bleibtreu

    Der Baader MeinhofKomplex ist nach nur

    zwei Wochen Reality-

    Kino laut Zwischenbi-

    lanz bislang in jeder

    Hinsicht gescheitert.

    390.000 Zuschauer, gut

    100.000 weniger als

    Wall-E melden die

    Agenturen nach dem

    ersten Kinowochenen-

    de. Ob der RAF-Streifenseine Produktionsko-

    sten von 20 Millionen

    Euro bald wieder ein-

    spielt, steht in den

    Sternen. Sicher ist je-

    doch, dass es einer der

    aufwendigsten und

    teuersten Kinospots seit

    langem ist. Stefan Austs

    aktualisiertes Buch der

    Der Baader MeinhofKomplex verkaufte sich

    weitaus besser als die

    Kinokarten.

    Farbe gegen Aust

    Kurz vor dem Start des

    Films Der Baader

    Meinhof Komplex ha-

    ben Unbekannte einen

    Anschlag auf das Haus

    des ehemaligen Spiegel-

    Chefredakteurs Stefan

    Aust in Hamburg ver-

    bt. Mehrere Farbbeutel

    wurden in der Nacht

    zum 24.September ge-

    gen die Villa geschleu-

    dert. Die Tter warfen

    auch einige Scheiben

    mit Steinen und Glsern

    ein. Gegenber von der

    Villa wurde eine Rauch-granate gezndet.

    A n d re a s B ab y B a ad e r u n d G u d ru n K at z eE n ss l i n s or ge n f r S ex & C r im e im F il m

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    Finanzkrise: Nichts geht mehr

    Niemand kann die Schden genau beziffern,

    niemand wei,wen es als nchstes trifft.Die

    Spieler schleichen vom Feld und schreienum Hilfe auf einmal. Schlielich hie es

    jahrelang: Der Staat soll sich geflligst raus-

    halten,der Markt bestimmt die Regeln selbst.Die Zeiten sind vor-

    bei. Der neoliberale Traum eines entfesselten Marktes und von Ei-

    genkapitalrenditen um die 25 Prozent, Josef Ackermann lsst gr-

    en, hat sich ausgetrumt. Der Traum vom groen Geld einzelner

    Investmentbanker wird zum Albtraum jedes einzelnen Brgers.Ge-

    winne privatisieren Verluste sozialis ieren, so die nackte Realitt.

    Wie konnte das nur passieren, fragen im bis dato als grotesk anmu-

    tenden Einklang gescheiterte Bnker und verzweifelte Steuerzah-

    ler.

    Die Finanzkrise der Reihe nachNach den Anschlgen vom elften September reagierte die ameri-

    kanische Regierung mit Panik nicht nur auf dem Feld der Ter-

    rorismusbekmpfung.Um einen Zusammenbruch des Marktes zu

    vermeiden wurden die USA mit billigem Geld berschttet.Leit-

    zinsen wurden gesenkt und dadurch Kredite so gnstig wie selten

    zuvor. Schlielich sollte der Konsum, Amerikas tragende Sule,

    nicht zusammenbrechen. Investmentbanker rcken vor bis auf Los,

    es begann eine neue Runde des groen Spiels.Sie nutzten die Gunst

    der Stunde und kreierten Finanzkonstrukte, die in ihrem eigentli-chen Regelwerk kaum noch zu berschauen sind:Verbriefungen,

    Futures,Fonds. Eines ist jedoch allen gemein:Das Streben nach Ver-

    mehrung des eigenen Profits. Das Problem: Diese Finanzkonstruk-

    te fuen mehr auf einer Wette als auf harten wirtschaftlichen An-nahmen. Investmentbanking ohne Vergleich. So konnten US-Br-

    ger, auch jene ohne regelmiges Einkommen und mit schlechter

    Bonitt, sogenannte subprimes,Hypotheken auf ihre Huser aufneh-

    men, deren Raten durch steigende Preise auf dem US-Immobilien-

    markt beglichen werden sollten.Frei nach dem Motto:Ich kann heu-

    te einen Kredit auf mein Haus aufnehmen und bezahle ihn mit der

    fiktiven Wertsteigerung meines Hauses innerhalb der nchsten Jah-

    re.

    Diese Wertsteigerung ist so allerdings nie eingetreten. Folglich

    konnten Kredite nicht mehr zurckbezahlt werden, Bankinstitute

    blieben auf ihren Forderungen sitzen und nutzten den Hebel derZwangsversteigerungen. Tausende von US-Amerikanern mussten

    ihre Huser rumen und aufhren davon zu trumen, mit gepump-

    tem Geld ihr Leben zu finanzieren. Aber auch die Banken kamen

    ins Wanken. Denn die tausendfach ausgegebenen Immobilienhypo-

    theken blieben nicht bei den unmittelbaren Geldinstituten, die sie

    ausgegeben haben, sondern wurden in riesige Pakete zusammenge-

    schnrt und an interessierte Banken weiterverkauft die sogenann-

    te Verbriefung. Eine todsichere Anlage mit traumhaften Renditen,

    so die Verheiung. Doch sobald der Kredit tausendfach nicht getilgt

    werden kann,ist das Paket wertlos.Das mussten auch bereits im Som-

    mer 2007 hiesige Landesbanken feststellen, die sich massiv auf demamerikanischen Immobilienmarkt mit riskanten Geschften im Sub-

    SCHWERPUNKT

    Die Finanzkrise ist mit aller Wucht in Deutschland angekommen. Wie bei einem Dominospiel fallen nahezu tglich

    weitere Bankinstitute um. Und Spiel ist das richtige Wort. Es hat sich ausgezockt. Was als kleines Spiel begann, en-

    det als grte Krise der Weltwirtschaft in der Nachkriegsgeschichte. Dabei sind die Folgen bislang kaum abzuse-

    hen

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    We r d en P f e nn i g n i ch t e hr t, i s t d en Ta le r n i ch t w er t

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    prime-Bereich engagiert haben. Mit Steuergeldern und unter der

    Aufsicht vom Bundesfinanzministerium sowie der Bundesbank

    wohl gemerkt. Der Anreiz, mit wenig Einsatz viel Gewinn zu er-

    zielen, schien auch den auf diesem Gebiet vllig berforderten Ban-

    kern aus der Provinz schmackhaft.Um allerdings solche Geschfte

    nicht auf die normalen Bilanzen mit aufnehmen zu mssen,konn-

    ten sogenannte Zweckgesellschaften im Ausland gegrndet werden.

    Diese waren dann von der Gewerbesteuer befreit und weit weg von

    einer deutschen Bankenaufsicht, zumindest offiziell, wussten doch

    die entsprechenden Gremien nachweislich

    von ihrer Existenz. So ist im Koalitionsver-trag von 2005 nachzulesen, dass das Verbrie-

    fungsgeschft ausdrcklich auszubauen sei.

    Ein Schelm, der glaubt, dieser Ausbau sei

    von der Finanzaufsichten nicht registriert

    worden. Das Paradebeispiel fr das Engage-

    ment auf dem US-Immobilienmarkt ist die

    Dsseldorfer IKB,eine Mittelstandsbank,die

    sich in erster Linie der Finanzierung langfri-

    stiger Projekte mittelstndischer Betriebe

    verschrieben hatte. Genauer: Die IKB galt

    ber Jahrzehnte gerade als halbstaatlicheBank als der Mittelstandsfinanzierer schlecht-

    hin.Wenn irgendein Betrieb langfristige In-

    vestitionen, wie den Erwerb neuer Produk-

    tionsmaschinen,ttigen musste,stand die IKB

    mit gnstigen Krediten parat. Doch das

    schien dem neuen Vorstand zu profan, also

    entschloss man sich, mit Hypothekendarle-

    hen mehr Kapital zu generieren und sich

    auch auf internationalem Parkett zu bewe-

    gen.Ihrem beispiellosen Engagement auf dem amerikanischen Hy-

    pothekenmarkt folgten zahlreiche Landesbanken, wie die SachsenLB,die West LB oder die Bayern LB.Alle Institute mssen nun mit

    Milliarden an Steuergeldern vor der Pleite bewahrt werden und das

    vor dem Hintergrund, dass sie in nur all zu naher Zukunft zusam-

    mengelegt bzw. abgewickelt werden, weil sie keine zukunftsfhigen

    Geschftsmodelle vorweisen knnen.

    Blick in den AbgrundDie Finanzkrise trifft also zuerst traditionsreiche Investmenthuser,

    dann Landesbanken, Geschftsbanken und nun auch die Realwirt-

    schaft. In einer Zeit, in der sich die Banken nicht mehr unterein-

    ander vertrauen, werden auch keine Kredite mehr ausgegeben.DasInterbankengeschft kommt dadurch zum Erliegen und zwingt so-

    mit zahlreiche Banken in die Knie, die langfristige Anlagen kurz-

    fristig refinanzieren mssen.Auch Unternehmen und private Haus-

    halte werden mit hheren Zinsen bei der Kreditvergabe rechnen

    mssen, solange sie denn berhaupt noch welche bekommen.Die

    oft bemhte sprachliche Herleitung des Begr iffes Kredit trifft das

    Problem vollkommen:Es geht um Vertrauen.Wenn sich keiner mehr

    vertraut, weil niemand sicher sagen kann, was noch an wertlosen

    Papieren in den eigenen Reihen gehalten wird, werden auch kei-

    ne Kredite ausgegeben. Im Gegenteil. Die Banken horten ihr Ka-

    pital bei der Europischen Zentralbank,um

    so ihr Eigenkapital im Haus zu halten. r-ger droht aber auch an einer anderen Front.

    So legen beispielsweise Lebensversiche-

    rungen das Geld ihrer Klientel am Kapi-

    talmarkt an und mssen nun zusehen, dass

    sie fr ihre Versicherten berhaupt noch

    Ansprche garantieren knnen. Eine Spi-

    rale ins Bodenlose.

    Hilfe vom StaatNun soll sich nach Meinung der Zocker

    geflligst der Staat ums berleben des Fi-nanzsystems kmmern. Bei dieser neuen

    Bewegung luft der Chef der Deutschen

    Bank paradoxerweise ganz vorne. Ausge-

    rechnet derjenige,der sich stets fr das an-

    gelschsische Finanzmodell am meisten en-

    gagierte.Ein beispielloser Rettungsschirm

    von mindestens 500 Milliarden Euro wur-

    de geschnrt, um faule Kredite abzusi-

    chern. Die Summe scheint galaktisch, re-

    prsentiert aber nur einen Bruchteil dessen,was an faulen Finanz-

    krediten insgesamt gehandelt wurde: Sieben Billionen Euro. DasProblem dabei:Kein Wissenschaftler,kein Banker und schon gar kein

    Politiker kann einschtzen, was passieren wrde, wenn ein solcher

    Rettungsschirm nicht gespannt wrde. Die Angst vor einem par-

    tiellen Zusammenbruch des Kapitalismus ist allgegenwrtig. Die

    Zeit, ihm entgegenzuwirken, ist knapp. Deshalb wurde das Ret-

    tungspaket in einem atemberaubenden Tempo durchgewunken.

    Eine Geschwindigkeit, die eine groe Koalition in einer demokra-

    tischen Ordnung kaum noch berbieten kann und die wahren De-

    mokratiefreunden die Schweiperlen auf die Stirn treiben drfte.

    Wer allerdings glaubt, die Zeiten neoliberaler Ideen seien vorbei,

    drfte ziemlich alleine dastehen. Pragmatismus statt Paradigmen-wechsel bestimmt die Politik.

    0 5 // / A n t i b e r l i n e r 1 9 / 2 0 0 8

    Ge he n s i e zu r ck a uf L os

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    Solidaritt mit Cuba

    Cuba droht aufgrund

    der Verwstungen, wel-

    che zwei gewaltige Hur-

    rikans Anfang Septem-

    ber 2008 ber die Insel

    brachten, eine akute

    Nahrungskrise. Die Re-gierung spricht von der

    schlimmsten Katastro-

    phe in der Geschichte

    Cubas. Die Hurrikans

    zerstrten das Strom-

    netz und hunderttau-

    sende Wohnungen, ver-

    wsteten 135.000

    Hektar Ackerflche, ver-

    nichteten Nahrungsvor-

    rte, tteten Nutzviehund verunreinigten

    Brunnen. Fr die Not-

    fallhilfe auf Cuba wer-

    den nun dringend

    Spenden bentigt.

    www.medico.de

    Medico International,

    Frankfurter Sparkasse,

    Konto-Nr. 1800, BLZ

    500 502 01, Stichwort

    Cuba

    Ecuador whlt links

    In einem Referendum

    haben sich in Ecuador

    rund 65 Prozent der

    Whler fr eine neue

    Verfassung im Sinne desSozialismus des 21.

    Jahrhunderts ausge-

    sprochen. Ecuadors Pr-

    sident Rafael Correa

    (siehe Foto) bekennt

    sich zur Bolivariani-

    schen Revolution. Damit

    erhlt das Trio um Hugo

    Chvez (Venezuela), Fi-

    del Castro (Cuba), Evo

    Morales (Bolivien) wei-ter Untersttzung.

    0 6 // / A n t i b e r l i n e r 1 9 / 2 0 0 8

    O rganisationen wie dieTreatment ActionCampaign, die sichfr eine soziale Gesundheitspolitik

    und die Rechte von AIDS-Infi-

    zierten einsetzt, haben gefordert,

    die Lager zu schlieen.Andernfalls

    wrde es den Angreifern das Signal

    senden, dass sich die Attacken ge-

    lohnt htten.Andere linke Grup-pen wie die Anti-Eviction-Cam-

    paign aus Kapstadt, die fr Woh-

    nungsbau und gegen Huserru-

    mungen kmpft, und das Antipri-

    vatisierungsforum aus Johannes-

    burg hatten in Solidaritt mit den

    afrikanischen Migranten Demos

    gegen die Angriffe organisiert.

    Diese Aktionen knnen nicht dar-

    ber hinwegtuschen,dass die sd-

    afrikanische Linke von den Ereig-nissen geschockt ist.

    Black skin white guiltUm die Verhltnisse im Land zu

    verstehen,muss man einen Blick in

    die Geschichte werfen. Die 350

    Jahre von Kolonialismus und

    Apartheid gingen erst 1994 mit

    dem Wahlsieg von Nelson Mande-

    la und der Befreiungsbewegung

    African National Congress (ANC)zu Ende.Bis heute gehrt Sdafri-

    ka zu den Lndern, in denen das

    Geflle zwischen reich und arm

    am weltweit grten ist.Dies liegt

    zum einen in dem Erbe der Apart-

    heid begrndet, in der die Haut-

    farbe darber entschied, zu wel-

    cher gesellschaftlichen Klasse man

    gehrte.Auf der anderen Seite hat

    sich der ANC von frheren sozia-

    listischen Vorstellungen verab-schiedet und ist neoliberalen Kon-

    zepten gefolgt. Jenseits der Schaf-

    fung einer kleinen schwarzen

    Mittelklasse und einigen schwar-

    zen Multimillionren gilt fr den

    Groteil der Bevlkerung damit

    bis heute, dass schwarze Hautfar-

    be und Armut zwei Seiten der

    gleichen Medaille sind.So betrgt

    die Arbeitslosigkeit etwa 40 Pro-

    zent und ber 60 Prozent derSdafrikaner haben keinen Zu-

    gang zu mindestens einer Leistung

    der Grundversorgung wie Woh-

    nung, Wasser, Toiletten oder

    Strom.

    Gleichzeitig ist Sdafrika auf-

    grund der regionalen Nhe zu an-

    deren, hufig krisengeschttelten

    Lndern wie Simbabwe,aber auch

    aufgrund der Abschottung Euro-

    pas in den letzten Jahren zu einemAnziehungspunkt fr afrikanische

    Einwanderer geworden. Die da-

    mit verbundene Konkurrenzsi-

    tuation um die wenigen Jobs zwi-

    schen den Armen kann als

    Hauptgrund fr die Gewalt be-

    trachtet werden. Und die Hetze

    gegen Migranten durch Medien

    und Politiker, sowie die staatliche

    Entrechtung und Schikanen

    durch die Polizei trgt nicht dazu

    bei, dass sich die Angreifer imUnrecht fhlen mssen.

    Poor against poorGleichzeitig fllt auf,wie stark die

    Vorstellungen aus der Apartheid

    noch immer in den Kpfen sind.

    Whrend die rassistischen Ste-

    reotypen ber Schwarze auf die

    afrikanischen Einwanderer ber-

    tragen werden, sind die Einwan-

    derer aus Europa mit keinen xe-nophoben Reaktionen konfron-

    tiert.Diese verinnerlichten kolo-

    nialen Wertevorstellungen stehen

    einer Politik von sozialer Befrei-

    ung entgegen und mssen von

    den sozialen Bewegungen und

    linken Organisationen angegan-

    gen werden.Damit verbunden ist

    es, nationalistischen Vorstellun-

    gen,die auch die Armen erfassen,

    entgegenzutreten.Die Bewegungder Bewohner der Armenviertel

    Durbans hat diese Punkte auf die

    Agenda gesetzt. Sie forderten in

    einer Solidarittserklrung: Lasst

    uns fr einen sicheren Aufent-

    haltsstatus, fr Papiere fr unsere

    Nachbarn kmpfen, so dass wir

    uns alle fr die Rechte der Ar-

    men in gleicher Weise einsetzen

    knnen (Abahlali baseMjondo-

    lo, 2008). Romin Khanwww.amandla.blogsport.de

    History of violence

    A N C f o lg t n e ol i b er a le n Ko n ze p te n Sc h wa r zeH a u tf a rb e un d Ar m ut s i n d n o c h i m m er z w eiS e it e n d er g l e i c h en M e d a il l e

    Im Mai 2008 sorgte die auslnderfeindliche Gewalt in Sdafrika fr weltweites Entsetzen.

    Auf ber 60 Tote und fast 60.000 Vertriebene werden die Opfer des Mobs beziffert. Um Kap-

    stadt und Johannesburg herum wurden die Vertriebenen entgegen den anfnglichen Ver-

    sprechungen der Regierung in Lagern untergebracht

  • 8/9/2019 Antiberliner 19

    7/8

    Castortransport 2008

    Am 9. November 2008

    sollen elf Castoren aus

    der franzsischen Wie-

    deraufbereitungsanlage

    La Hague im Wendland

    ankommen. Ein berre-

    gionaler Zusammen-schluss bereitet den

    Widerstand u.a. nach

    dem Konzept des G8-

    Gipfels in Heiligen-

    damm vor, eine Koordi-

    nation vieler Bezugs-

    gruppen, um die Gleise

    zu besetzen. Am 8. No-

    vember gibt es eine

    Grodemo.

    Bustreffpunkt Berlin:8.11.,7.45 Uhr,Bhf. Zoo

    www.castor.de oder

    www.castor08.nadir.org

    Aus Trauer wird Wut

    Vor 16 Jahren wurde

    der junge Hausbesetzer

    und Antifaschist Silvio

    Meier auf dem Berliner

    U-Bhf. Samariterstrae

    bei einem berfall vonNeonazis gettet. Jedes

    Jahr gibt es um den To-

    destag eine groe Anti-

    fa-Demo. Dieses Jahr

    nutzt das Bndnis den

    Anlass nach Lichtenberg

    zu gehen und dort ak-

    tuelle Neonazistruktu-

    ren aus dem Spektrum

    des Rechtsrocks, der

    NPD und der Autono-men Nationalisten zu

    thematisieren. Auer-

    dem wird ein Trupp aus

    Prominenten als De-

    monstrationsbeobach-

    ter den Zug begleiten.

    Mahnwache: 21.11.,

    16 Uhr, U-Bhf. Samari-

    ter Strae, Demo:

    22.11., 15 Uhr, U-Bhf.

    Samariterstraesilviomeier.de.vu

    I nteressant dabei die rhetori-sche Wende:Von der Mg-lichkeit eines nuklearen Ar-mageddon im Bewusstsein von

    Hiroshima, Nagasaki und Tscher-

    nobyl, hin zum Klimakollaps, der

    nur noch durch die Nutzung derKernenergie abwendbar sei. So

    wird ohne inhaltliche Diskussion

    jede kritische Stimme diskredi-

    tiert. Doch wie steht es mit der

    viel gepriesenen Fortschrittlich-

    keit dieser Technologie?

    Derzeit gibt es weltweit 435

    AKW (17 mit Betriebsgenehmi-

    gung in der BRD), die drei Pro-

    zent (24 Prozent) des Energiebe-

    darfs abdecken. Das fr den Be-trieb bentigte Uran wrde bei

    derzeitigem Verbrauch laut

    BUND nur noch wenige Jahr-

    zehnte ausreichen. Immer gre-

    re Anstrengungen und somit im-

    mer mehr CO2-Aussto wird be-

    ntigt, um es aus immer grerer

    Tiefe zu frdern.Wird die gesam-

    te Nutzungskette bis zum Rck-

    bau des Kraftwerks betrachtet, so

    produziert ein AKW wesentlichmehr CO2 als bspw. beim Betrieb

    von Wind- oder auch Erdgasheiz-

    kraftwerken anfllt.Mit einer Ef-

    fizienz von lediglich 33 Prozent

    (67 Prozent der Energie verpuf-

    fen) stehen AKWs zudem weit

    hinter konventionellen Kraftwer-

    ken zurck.

    Teuer und gefhrlichBei der Einfhrung der Techno-

    logie wurde mit kostenfreier

    Energie geworben. Damals han-

    delte es sich quasi um ein Abfall-

    produkt aus der militrischen

    Nutzung, die auch heute noch

    Hand in Hand mit der zivilen

    Nutzung geht. Die Bilanz von

    Calder Hall, dem ltesten Meilerder Welt, verdeutlicht die Milch-

    mdchenrechnung: Auf 47 Jahre

    im Betrieb (bis 2003) folgen ge-

    plante 120 Jahre des Rckbaus, in

    denen mehr Personal beschftigt

    sein wird als zu Betriebszeiten.

    Unkalkulierbar sind die Ko-

    sten, die im Falle eines Betriebs-

    unfalls auf die ffentliche Hand

    zurckfallen. Nicht zu vergessen

    die Kosten, die durch die langfri-stige Unnutzbarkeit groer Ge-

    biete entstehen, wie Tschernobyl

    verdeutlicht hat.Der Betonsarko-

    phag muss dort bis in alle Ewig-

    keit in Stand gehalten werden.

    Gesundheitliche Auswirkungen

    lassen sich schwer in Zahlen mes-

    sen, Erbgutschdigungen knnen

    sich ber Generationen fortset-zen.Eine Studie des Bundesamtes

    fr Strahlenschutz ermittelte 2007

    eine insbesondere bei Kindern er-

    hhte Leukmierate in der nhe-

    ren Umgebung von AKWs, auch

    ganz ohne Unfall.

    Pleiten, Pech und PannenIm Juli 2006 kam es in Schweden

    fast zu einem GAU:Wenige Mi-

    nuten trennten das AKW Fors-mark nach einem Kurzschluss von

    der Kernschmelze und damit

    Europa von einem zweiten

    Tschernobyl.

    2007 musste das AKW Bruns-

    bttel nach einem Kurzschluss

    und das AKW Krmmel nach ei-

    nem Brand vom Netz genommen

    werden. 2008 wurden nach ei-

    nem Unfall im franzsischen

    AKW Tricastin erhhte Werte inder Umgebung gemessen; radio-

    aktives Wasser gelangte in die

    Rhone, baden und fischen wur-

    de verboten. Kurz darauf kam es

    zu weiteren Strfllen in anderen

    Meilern, Mitarbeiter wurden

    kontaminiert. In Deutschland

    wurde der Skandal um den

    Schacht AsseII, der als Probeend-

    lager fungiert, bekannt:Wahllos

    versenkte Fsser rosten vor sich

    hin, Wassereinbrche transpor-

    tieren u.a. Csium137 in die

    Umgebung. Die Bergung der

    Fsser ist quasi unmglich, der

    Betreiberfirma wurde die Auf-

    sicht entzogen. Folgen unabseh-

    bar.

    Weltweit gibt es keinen Ort

    um radioaktiven Mll Millionen

    Jahre sicher zu lagern. Je mehr da-

    von produziert wird, destoschwieriger wird es.

    In der momentanen ffentlichen Diskussion um den Klima-

    wandel drngt sich das Bild der Unvermeidbarkeit einerNut-

    zung ziviler Kernkraft auf, soll die Verantwortung fr den

    Kollaps des Planeten nicht an uns hngen bleiben

    Atomkraft weiterhinkeine Option

    0 7 // / A n t i b e r l i n e r 1 9 / 2 0 0 8

    A l l ei n d e r W u n s ch n a c h d e m H a lt e n r ei c h tn i c ht , e s m u s s a u c h m a l g ed r c kt w e r de n

  • 8/9/2019 Antiberliner 19

    8/8

    Free Afro Hesse

    Der aus Algerien stam-

    mende Afro Hesse floh

    mit seiner Familie als

    Kind vor dem Brger-

    krieg. Nachdem er 13

    Jahre in Deutschland

    gelebt hatte, wurdeseine Aufenthaltser-

    laubnis nicht verlngert

    und seine Abschiebung

    angekndigt. Es folgten

    vier Jahre illegalisier-

    ten Aufenthalts, in de-

    nen der Rapper trotz-

    dem zwei Alben verf-

    fentlichte. Mehr als

    Musik und Der ver-

    schollene Immigrantsetzen sich intensiv mit

    dem Leben als Papier-

    loser auseinander. Im

    August wurde er ver-

    haftet und nun droht

    seine Abschiebung.

    www.afro-hesse.de

    Free Tibor Sturm

    Vor zwei Jahren wurde

    Tibor Sturm wegen sei-

    ner Hautfarbe von

    sechs Neonazis ange-

    griffen. Er setzte sich

    zur Wehr und verletzteeinen der Angreifer

    schwer. Nun sitzt er im

    Gefngnis, weil er sich

    nicht zum Opfer der

    Rassisten machen las-

    sen wollte. Der Filme-

    macher Otu Tetteh be-

    gleitete ihn kurz vor

    seinem Haftantritt und

    drehte einen ergreifen-

    den Kurzfilm.www.alptraum.be

    0 8 // / A n t i b e r l i n e r 1 9 / 2 0 0 8

    Erna empfie lt heute : Antifaschist isches Infob latt wird 21 Jahre

    Holger Burner verpackt sei-

    ne Gesellschaftskritik in ein-

    gehende Hiphop-Reime. Der

    Antiberliner sprach mit ihmber Propagandarap, musi-

    kalischen class warund Lenin

    Du wirst als linker Poet,

    Propagandarapper,

    Hasstexter und Kom-

    munikationsguerillero beschrieben.

    Welche Beschreibung findest du am

    passendsten?

    Na ja, linker Poet klingt etwas

    hochgestochen und meine zweioder drei Aktionen,die als Kom-

    munikationsguerilla durchge-

    hen,rechtfertigen auch die letz-

    te Bezeichnung nicht insofern

    finde ich Propagandarapper am

    passendsten.Weil ich schon Agi-

    tation und Propaganda am Mi-

    krofon betreibe und definitive

    politische Statements mache

    ich steh nicht auf die moralische

    Zeigefinger-Schiene, dann lie-ber Mittelfinger. Hasstexter bin

    ich aber auch um mal einen

    unserer Slogans abzuwandeln:

    Fight the game and hate the

    player klar nderts grundstz-

    lich nichts am Kapitalismus,

    wenn z.B. Haider ne Leitplanke

    ksst.Aber manchmal vermittelt

    sich uns der Kapitalismus ber

    Hausbesitzer oder Gerichtsvoll-

    zieher, und dann lass ich mir esnicht nehmen auch die Einzel-

    personen Scheie zu finden.

    Oft werden deine Texte als musi-

    kalischer class war tituliert. Was

    meinst du mit deiner Musik errei-

    chen zu knnen?Ich denke, dass Musik helfen

    kann, Kmpfe bekannt zu ma-

    chen oder Situationen kollekti-

    ver bewusst zu machen Kapi-

    talismus individualisiert total

    heftig. Von daher ist allein die

    Erkenntnis, dass man mit man-

    chen Gedanken nicht allein ist,

    schon fr viele ein Fortschritt.

    Das Coolste ist auf Demos oder

    Streiks zu rappen, weil da eineSituation ist, wo man die

    Scheie nicht nur beschreibt,

    sondern aktiv bekmpft. Ich

    messe mich selbst daran, was

    ich unabhngig von der Musik

    aktiv mache wenn ich keine

    Flugbltter mehr verteilen oder

    Demos organisieren wrde,

    knnt ich mich nicht ernst

    nehmen. Insofern seh ich mich

    als Klassenkmpfer, der auch

    rappt.

    In einem Interview nennst du Le-

    nin als dein Vorbild. Ist das nicht

    etwas altbacken?

    Allein Vorbild klingt nach

    Starschnitt-Idol-Geschichte

    man sollte immer darauf guk-

    ken, auf welche Ideen und Ta-

    ten von Personen man sich po-sitiv bezieht.KeinE Revolutio-

    nrIn in der Weltgeschichte hat

    ein Abo auf Wahrheit und Un-

    fehlbarkeit, wer so was will,

    sollte Christ werden.Aber ich

    bezeichne mich als Sozialist,

    und als solcher muss man sich

    angucken, was es in der Ge-

    schichte an Bewegung gab.

    Und ich bin der Meinung,dass

    Ruland 1917 das einzige Landwar, in dem es eine wirkliche

    sozialistische Revolution gege-

    ben hat. Ich kann nicht in fnf

    Worten erklren, was meine

    Meinung darber ist und war-

    um es in den Jahren danach ge-

    scheitert ist. Aber ich denke,

    wenn es in Deutschland oder

    England 1918 oder 1919 ge-

    klappt htte,wr die Geschich-

    te anders verlaufen und dabeihtten ein paar mehr Lenins

    meiner Meinung nach gehol-

    fen. Was das betrifft, bin ich

    schon Oldschool-Marxist.Und

    hier noch ein paar Vorbilder:

    Huey Newton, Boots Riley,

    Angela Davis,George Jackson,

    Marx, Luxemburg & Trotzki,

    Last Poets, Bill Haywood, Phil

    Ochs,Rote Zora und die Rote

    Lucy (Redler).www.holger-burner.de

    Ich bin schonOldschool-Marxist

    H o lg er B u rn e r,R ap pe r a u s H am bu rg