„Paul Nizons Autofiktionen – in Theorie und Praxis“ · 2 Zweiteiliges Praxisseminar In der...
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„Paul Nizons Autofiktionen – in Theorie und Praxis“
Antrag für ein zweiteiliges Praxisseminar
im Sommersemester 2011
„Theorie und Geschichte der schriftlichen Kommunikation“
Institut für Germanistik IV
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Vertretungsprofessur
PD Dr. Stephan Kammer
Anne Schülke, M.A.
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Zweiteiliges Praxisseminar
In der zweiteiligen Lehrveranstaltung „Paul Nizons Autofiktionen – in Theorie und
Praxis “ wird den Studierenden in einem Blockseminar und einer anschließenden
Exkursion literaturwissenschaftliches Arbeiten zum Thema „Autobiographie“
vermittelt, eine Einführung in das Werk des Schweizer Schriftstellers Paul Nizon und
in Grundzüge der Archivarbeit angeboten.
Paul Nizons Autofiktionen
Paul Nizon, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schweizer Schriftsteller,
wurde 1929 in Bern geboren, ist promovierter Kunsthistoriker, war bis 1961
Chefredakteur des Kunstressorts der NZZ in Zürich und schrieb Kunstkritiken bis er
spätestens mit seinem Umzug 1977 nach Paris endgültig zum Schriftsteller wurde. Er
lebt nun seit 30 Jahren in Paris und schreibt Romane, Journale und Essays - in
deutscher Sprache. Und dennoch wird er in Frankreich viel intensiver rezipiert als in
den deutschsprachigen Ländern. Das mag an seinen Anrufungen an die Stadt Paris
liegen: Der Schriftsteller bewegt sich suchend durch diese Stadt, die ihm zur
Voraussetzung seines Schreibens geworden ist. Dabei leidet er an einer
Fabelschwäche, er erfindet nicht und nichts. Er ist sich sein Stoff. Seine Poetik: die
Autofiktion.
Damit ist das besondere Verhältnis zwischen Autor, Erzähler und Protagonist in
Nizons Prosa benannt, in deren Zentrum ein unbekanntes Ich steht. Der Protagonist
dieser Prosatexte ist nicht ohne weiteres vom Autor abzugrenzen, nicht mit ihm zu
identifizieren, aber auch nicht ohne Bezug zu ihm zu verstehen. Das Autor-Ich
eröffnet einen autobiographischen Erfahrungsraum, der gleichzeitig im Bezug zu
einer Romanfigur, zum Protagonisten-Ich steht. So sind biographisches und
fiktionales Ich zwar zu unterschieden, aber nie völlig voneinander geschieden.
Nizons schriftstellerisches Verfahren reflektiert die spätmodernen Veränderungen der
Erfahrung und Konzeption von Ich-Konstitution und kann als Autofiktion gelesen
werden. Er geht mit dem Wissen um, dass dem Menschen die Möglichkeit einer Ich-
Kontinuität fehlt und dass das Ich keine zuverlässige Quelle von Wissen mehr ist.
Eine partikulare Subjektkonstitution allerdings ist in seiner Literatur ablesbar: Er bildet
ein Identitätsmuster, das des Schriftstellers oder Künstlers, dekonstruiert das Ich also
nicht vollständig.
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Blockseminar
In dem zweitägigen Blockseminar, das von Anne Schülke (Mag.), die derzeit bei Prof.
Dr. Hans Georg Pott über Paul Nizon promoviert, geleitet wird, lesen und analysieren
die Studierenden Auszüge aus Romanen und Essays Paul Nizons und erarbeiten die
Grundlagen der aktuellen Autobiographieforschung. Im Zentrum steht dabei der
Begriff „Autofiktion“, der hier als eine spätmoderne Ausdifferenzierung des
Autobiographiebegriffs verstanden wird. Mit ihm lassen sich alte Fragen neu stellen:
Was ist ein literarischer Text? In welchem Verhältnis stehen Autor und Text, Leben
und Schreiben und welche Rolle spielt die Leserin, der Leser in diesem Verhältnis?
Die erzähltheoretischen Untersuchungen ausgewählter Texte Nizons orientieren sich
an den Funktionsweisen der literarischen Texte, auch in ihrem Verhältnis zu
Paratexten (Journalen, Essays), und fokussieren das Verhältnis zwischen Autor,
Erzähler und Figur als Komplizenschaft.
Die einleitende und begleitende Auseinandersetzung mit dem Autofiktionsbegriff
wird als Sensibilisierung für den Prozess des deutenden, des autobiographischen
und des biographischen Schreibens verstanden und kann vor der Falle
autobiographischen Schreibens – den Text mit Aussagen des Autors oder
biographischen Daten zu deuten oder Autor, Erzähler und Protagonist
gleichzusetzen und als Einheit zu betrachten – schützen.
Exkursion
Im Anschluss an das Blockseminar besuchen die Studierenden für drei Tage das
Schweizerische Literaturarchiv (SLA) in Bern. Dort werden sie durch
Mitarbeiter/innen (Hugo Sarbach, N.N.) des Archivs in die Grundzüge der
Archivarbeit und den Umgang mit den elektronischen Datenbanken am Beispiel des
Nachlasses der Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach eingeführt. Annemarie
Schwarzenbachs Nachlass ist bereits digitalisiert und eröffnet einen Einblick in ein
weiteres autofiktional deutbares Werk. Die Studierenden hören außerdem den
Vortrag eines aktuell am Vorlass Nizons forschenden Literaturwissenschaftlers (Dr.
Elio Pellin, Bern). In begleitenden Sitzungen in den Räumen des SLA setzen sie die
Beschäftigung mit ausgewählten Texten Nizons und dem Autofiktionsbegriff fort. Sie
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werden für Fragen der Archivarbeit sensibilisiert: Welche Rolle spielt der
Herausgeber für die Form eines literarischen Textes? Wie lassen sich Notizen für die
Analyse der Werkgenese nutzen? Wie kann man Lebensdokumente, Briefwechsel
oder Handschriften in den Deutungsprozess einbeziehen? In Gruppen erarbeiten sie
mögliche Forschungsthemen zum Vorlass Nizons. Eine intensive Archivarbeit, die in
Masterarbeiten münden kann, ist im Anschluss an das Praxisseminar geplant. Der
Aufenthalt im SLA wird von einer Assistentin organisatorisch betreut (Mag. Nina
Maria Glauser, Bern).
Um den Studierenden ein Erfolgserlebnis bei der Arbeit mit den Dokumenten zu
ermöglichen, schlägt die Seminarleitung (Mag. Anne Schülke) Themenschwerpunkte
vor, zu denen ein Mitarbeiter des SLA (Hugo Sarbach) im Vorfeld der Exkursion
Mappen vorbereitet.
Rahmenbedingungen und Kooperation Das Praxisseminar richtet sich an Studierende des Masterstudiengangs. Die
Teilnehmer/innenzahl ist auf 12 begrenzt, um eine intensive Betreuung der einzelnen
Vorhaben zu gewährleisten. Die Teilnahme an allen Teilen der Lehrveranstaltung ist
verpflichtend. Voraussetzung für einen Leistungsnachweis ist die Erarbeitung eines
mündlichen Referats, das im Anschluss an das Blockseminar während des
Aufenthalts im SLA präsentiert wird und einer Hausarbeit, die im Anschluss an die
Exkursion in Abstimmung mit den dort erarbeiteten Forschungsthemen geschrieben
wird. Das Seminar wird von Anne Schülke geleitet und betreut, die derzeit über Paul
Nizon promoviert und im SLA für Vorträge geforscht hat. Die Assistentin des SLA,
Nina Maria Glauser, promoviert ebenfalls über Paul Nizon und hat mehrere Projekte
im SLA betreut.
Die Hausarbeit wird von Dr. Stephan Kammer betreut und benotet.
Das Blockseminar beginnt jeweils um 9:00 und endet um 18:00. Die Exkursion in die
Schweiz dauert 3 Tage, jeweils von 10 bis 17 Uhr.
Die Lehrveranstaltung findet in Kooperation mit dem Schweizerischen Literaturarchiv
(SLA) in Bern statt (Leiterin Dr. Irmgard Wirtz). Eine langfristigere Zusammenarbeit
ist von beiden Seiten erwünscht.
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Ergänzende Veranstaltung
Als Ergänzung der Lehrveranstaltung lassen sich mit den Studierenden eine Lesung
und ein anschließendes Gespräch mit Paul Nizon an der Heinrich-Heine-Universität
oder im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern organisieren.
Kostenplan (alle Beträge in Euro)
Kosten
Honorar Vortrag „Vorlass Nizon“ Elio Pellin 250,00
Honorar Assistenz Nina Maria Glauser 250,00
Reisekosten 3.500,00 für 13 Personen
Unterkunft in Bern
für 13 Personen für 2 Nächte im Landhaus Bern 1.500,00
Honorar Lehrbeauftragte Anne Schülke 1.200,00 5 x 8 Std. à 30,00
Gesamtkosten 6.700,00
Die Verpflegung während der Exkursion ist von den Studierenden zu bezahlen.
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Programm Praxisseminar SoSe 2011
Blockseminar an der HHU Düsseldorf Freitag, 3. Juni 2011 und Samstag, 4. Juni 2011
(im Anschluss an Christi Himmelfahrt Donnerstag, 2. Juni 2011)
Freitag, 3. Juni 2011
9-11 Uhr Einführung Autofiktion
11-13 Uhr Lektüre Autofiktion
13-14 Uhr Pause
14-16 Uhr Lektüre Nizon
16-18 Uhr Lektüre Nizon Sekundär
Samstag, 4. Juni 2011
9-11 Uhr Lektüre Autofiktion
11-13 Uhr Lektüre Schwarzenbach
13-14 Uhr Pause
14-16 Uhr Vorbereitung Referatsthemen
16-18 Uhr Vorbereitung Exkursion
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Exkursion ins Schweizerische Literaturarchiv (SLA) Bern Donnerstag, 23. Juni 2011 (Fronleichnam), Freitag, 24. Juni 2011 und Samstag, 25.
Juni 2011
Anreise Mittwoch
Donnerstag, 23. Juni 2011
10-12 Uhr EF Archivarbeit Mitarbeiter/in SLA
12-14 Uhr Vortrag Vorlass Nizon Hugo Sarbach
14-15 Uhr Pause
15-17 Uhr Vortrag Canto / Journale Elio Pellin
Freitag, 24. Juni 2011
10-13 Uhr Arbeit am Vorlass in 4 Gruppen à 3
13-14 Uhr Pause
14-17 Uhr Seminararbeit: Lektüre, Referate
Samstag, 25. Juni 2011
10-13 Uhr Arbeit am Vorlass in 4 Gruppen à 3
13-14 Uhr Pause
14-17 Uhr Seminararbeit: Lektüre, Referate
Abreise Samstag, ggf. Nachtzug