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Theater Neumarkt, Neumarkt 5, CH-8001 Zürich / [email protected], +41 (0)44 267 64 64 / www.theaterneumarkt.ch DIE HAUPTSTADT Uraufführung des preisgekrönten Romans von Robert Menasse Mit: Marie Bonnet, Simon Brusis, Martin Butzke, Maximilian Kraus, Miro Maurer, Sarah Sandeh Regie: Tom Kühnel Raum: Jo Schramm Kostüme: Daniela Selig Dramaturgie: Ralf Fiedler Uraufführung am 18. Januar 2018 20., 26., 27. Januar 2018 Brüssel ist die vielverspottete Hauptstadt Europas, zugleich Utopie und Ort einsamer Seelen. Robert Menasse hat ihr und den dort Lebenden, den Experten, Expats, Kommissaren, Mördern, unzerstörbaren Karrieristen (genannt «Salaman- der») und privaten Existenzen einen Roman gewidmet. Er ist zugleich Tragikomödie, Farce, Erkundung einer Seelenland- schaft, ein schillerndes Panorama der europäischen Eliten. Im Oktober 2017 hat der Autor dafür den Deutschen Buchpreis erhalten, für den Österreichischen war er nominiert. In Brüssel laufen die Fäden zusammen – und ein Schwein durch die Strassen. Fenia Xenopoulou von der Generaldirek- tion Kultur (genannt «die Arche») soll das Image der Europäi- schen Kommission aufpolieren. Aber wie? Ihr Referent Sus- man entwickelt eine Idee, die schnell Gestalt annimmt – die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte, das für Unruhe in den EU-Institutionen sorgt. David de Vriend dämmert in ei- nem Altenheim gegenüber dem Brüsseler Friedhof seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug ge- sprungen. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu ver- gessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwieri- gen Aufgabe. Er wird aus politischen Gründen angehalten, einen Mordfall auf sich beruhen zu lassen. Und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Think-Tank der Kommission vor den Denkbeauftragten aller Länder Worte sprechen, die seine letzten sein könnten. Menasse macht nicht allein europäische Bürokratie lite- raturfähig, er schafft es auch, die EU als lebendigen Organis- mus von Menschen für Menschen darzustellen. Aber anders als in seinen politischen Essays ist sein Roman keine simple Verteidigung der europäischen Idee, sondern eine existen- zielle Auseinandersetzung. Heftig angeregt wird das Nach- denken über ein mögliches nachnationales Europa. – Das Theater Neumarkt freut sich über die Rechte für die Urauffüh- rung und Dramatisierung dieses grossartigen Romans und über das Engagement des Regisseurs Tom Kühnel für die In- szenierung. BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie, Bühne und Kostüme: Heike M. Goetze Raum: Team Jo Schramm Musik: Fabian Kalker Dramaturgie: Inga Schonlau Mit: André Benndorff, Marie Bonnet, Simon Brusis, Hanna Eichel, Melanie Lüninghöner, Miro Maurer 05., 06., 08., 24., 25. Januar 2018 «Nimmer verdient, Schicksal zu heissen, bloss weil er gesche- hen: Der Blödsinn.» Man wünscht sich manchmal tragische Helden, die für eine Überzeugung eintreten, auch wenn sie daran zu Grunde gehen. Verbreiteter sind allerdings Typen wie die Bieder- manns, die mit dem Motto «Nicht auffallen und es sich irgend- wie gut gehen lassen» durchs Leben gehen. Nie sagen die Biedermanns, was sie meinen. Das tut dann doch weh. Da bitte dreissig Fässer Benzin, hier bitte die Zündschnur und hast du mal Feuer? Eine subtile Mischung aus Drohung und Schmeicheleien genügt, und trotz aller Warnungen und Of- fensichtlichkeit des Bösen öffnen die Biedermanns den Brandstiftern die Türen. Wann sind sie Opfer und wann Täter? Die Regisseurin Heike M. Goetze verdreifacht das Ehe- paar Biedermann, und so klärt sich der Verblendungszusam- menhang dann auf: Die Bedrohung ist vielleicht genau nicht da, wo man denkt und genau da, wo man nicht denkt. Da wirkt das grosse Feuer am Ende fast wie eine Erlösung für den rechtschaffenen Gutmenschen aus der selbst verschuldeten Zwangslage. Nur reisst er am Ende nicht nur sich selbst ins Verderben, sondern auch seine Nachbarn. MEISTER UND MARGARITA Von Michail Bulgakow Fassung von Peter Kastenmüller und Inga Schonlau nach der Neuübersetzung von Alexander Nitzberg Regie: Peter Kastenmüller Raum: Jo Schramm Bühne: Regula Zuber Kostüme: Anna Maria Schories Video: Heta Multanen Live-Kamera: Janis Lionel Dramaturgie: Inga Schonlau, Lea Loeb Mit: Jan Bluthardt, Simon Brusis, Hanna Eichel, Maximilian Kraus, Miro Maurer, Sarah Sandeh 09. Januar 2018 «Was sich an der Figur des Teufels zeigt, gilt für die ganze In- szenierung: Sie zieht in den Bann mit ihren politischen An- spielungen und den zeitlosen Themen Liebe, Geld und Wahr- heit – ohne mit dem Zaunpfahl zu winken. Ein schillerndes Gesamtkunstwerk.» Neue Zürcher ZeituNg Der Teufel hat sich Moskau vorgenommen und lädt höchst- persönlich zu Satansball und schwarzer Magie. Und da fast jeder brave Bürger der Stadt seine Abgründe verbirgt, findet er massenhaft leicht zu verführende Opfer, überall und in allen Gesellschaftsschichten, mit oder ohne schlechtes Gewissen: bei Bürokraten und Kleinbürgern, die den stalinistischen Ap- parat bedienen ebenso wie in der versammelten poe- tisch-staatlich verstrickten Theater- und Literatenlandschaft. Nur zwei Menschen führt er nicht vor, sondern wieder zusam- men: den Meister und Margarita. Er ist wegen seines fesseln- den Romans vor Zensur und der damit opportunistisch ver- bundenen Kritikerschaft geflüchtet und hält es nur noch in der Irrenanstalt aus. Und sie, seine höchst eigenwillige Ge- liebte, kann in ihrem vorgeschriebenen und geordneten Schicksal als Ehefrau eines feinen Herrn den Sinn des Lebens nicht entdecken. Bulgakows phantastisches Meisterwerk, zwischen 1928 und 1940 geschrieben, wurde erst 1966, 26 Jahre nach sei- nem Tod veröffentlicht. Lange galt Stalin als einziger Leser dieses «russischen Faust». Das Spiel des Teufels mit der Wahrheit ist aber alles andere als destruktiv, eher weckt es den Freiheitssinn. Der Dichter entfesselt die menschliche Vorstellungskraft und setzt die Phantasie als letzte Waffe ein gegen eine ebenso komplett ideologisierte wie sinnentleerte Gesellschaft und eine ungreifbare und klischeehaft erlebte Realität. UNTERWERFUNG Nach dem Roman von Michel Houellebecq Regie: Katrin Hentschel Raum: Jo Schramm Ausstattung und Kostüme: Regula Zuber Dramaturgie: Ralf Fiedler Mit: Marie Bonnet, Martin Butzke 10., 22. Januar 2018 «Hat alles, was ein Theaterabend haben muss, um sein Publi- kum glücklich zu machen.» Neue Zürcher ZeituNg Frankreich 2022 in der Vision des gefeierten und gehass- ten Starautors Michel Houellebecq: Nach Macron wird der Kandidat der Islamischen Bruderschaft als einzige Alternati- ve zum Front National gehandelt. Der Akademiker François forscht über den dekadenten Schriftsteller Huysmans, der ihn sein Leben lang fasziniert, und verfolgt das politische Ge- schehen eher am Rande: Während es dem charismatischen Kandidaten der Bruderschaft der Muslime gelingt, immer mehr Stimmen auf sich zu vereinigen, kommt es in der Haupt- stadt zu tumultartigen Ausschreitungen. Als schliesslich ein Bürgerkrieg unabwendbar scheint, verlässt François Paris ohne ein bestimmtes Ziel. Es ist der Beginn einer Reise in sein Inneres mit vernichtenden Einsichten. Nach dem endgültigen Wahlsieg begegnet François der neuen islamischen Elite im Bildungsministerium. Unverhofft lichten sich seine tristen Aussichten: Ihn erwartet ein neues Leben in der jetzt polyga- men Welt. – «Unterwerfung» ist die Übersetzung des arabi- schen Wortes «Islam». Willenlos fügen sich die Menschen in Houellebecqs Roman in ein System, das alle Grundwerte der westlichen Welt verneint. Meisterhaft verwebe Robert Menasse das Private und das Politische mit- einander, heisst es in der Begründung der Jury des Deutschen Buch- preises 2017 für DIE HAUPTSTADT. Dann entlässt der Autor seine Le- ser ins Offene – wie geschaffen scheint dieser Stoff nach den grossen europäischen Themen von NEUMARKT MAXIMUS, um eine Brücke ins Jahr 2018 zu NEUMARKT GLOBE und dem Welttheater Shakespeares zu schlagen. Jeder Mensch ein Spieler, unverwechselbar, einzigartig, gross und winzig, Global Player und Wurm – und keiner weiss, ob Gott wirklich zuschaut. Mit Robert Menasses Personal – «Funktionäre», Ex- perten, Expats, Paare und Passanten aus der europäischen Hauptstadt Brüssel – ist man genau hier wieder angekommen, beim «menschli- chen Faktor». Von Nahem betrachtet ist die ungeliebte EU-Zentrale ein faszinierender Ort, ein schillernder Denk- und Erfahrungsraum. Die Produktionen vom Anfang der Spielzeit werden in diesem Zusammen- hang weiter zu sehen sein: UNTERWERFUNG von Michel Houellebecq, MEISTER UND MARGARITA nach Michail Bulgakow, ADULTS IN THE ROOM von Yanis Varoufakis und Max Frischs BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER. Weiter im Programm Ticketpreise (in CHF): Preise A: 45.– / 35.–* / 20.–** Preise B: 35.– / 30.–* / 20.–** Preise E: 25.– / 20.–** Ermässigungen: * Zürcher Theaterverein, ** Alle unter 30 Jahren, Legi, IV, Theaterclub Neumarkt, Schüler, Lehrlinge, Kulturlegi. – Ermässigte Tickets und Abonnements sind nur zusammen mit dem entsprechenden Ausweis gültig. Mit der Kundenkarte der Zürcher Kantonalbank erhalten Sie CHF 5.– Ermässigung. Nicht kumulierbar mit anderen Vergünstigungen. Neumarkt-Tag : Mittwochs zahlen Sie für alle Veranstaltungen die Hälfte des Normalpreises. Ausnahmen sind vorbehalten. Unterstützt durch das Migros-Kulturprozent mit freundlicher Genehmigung der Zürcher Kantonalbank. Neumarkt-Pass: Mit dem Neumarkt-Pass à CHF 89.– bezahlen Sie 12 Monate lang für sämtliche Veranstaltungen des Theater Neumarkt CHF 20.– Eintritt. Bar Theater Neumarkt: jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn sowie nach den Vorstellungen geöffnet. Sämtliche Vorstellungen für alle unter 30 Jahren zum ermässigten Preis JANUAR Fr 05. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. Goetze 20:30h PLANET TRILLAPHON Chorgasse — B Von David Foster Wallace Sa 06. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. Goetze Mo 08. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. Goetze Di 09. 20h MEISTER UND MARGARITA A Von Michail Bulgakow Regie: Peter Kastenmüller 20:30h PLANET TRILLAPHON Chorgasse — B Von David Foster Wallace Mi 10. 20h UNTERWERFUNG A Nach dem Roman von Michel Houellebecq Regie: Katrin Hentschel Do 11. 20:30h SOLO FÜR HERRN KOMAROV Chorgasse — B Die zweite autobiografische Fiktion von Arnold/Komarov Fr 12. 20:30h SOLO FÜR HERRN KOMAROV Chorgasse — B Die zweite autobiografische Fiktion von Arnold/Komarov Do 18. 20h DIE HAUPTSTADT URAUFFÜHRUNG Von Robert Menasse A Regie: Tom Kühnel Fr 19. 20h JAKOB AUGSTEIN TRIFFT — PETER STEUDTNER E Gesprächsreihe Sa 20. 19:30h EINFÜHRUNG 20h DIE HAUPTSTADT A Von Robert Menasse Regie: Tom Kühnel Mo 22. 20h UNTERWERFUNG A Nach dem Roman von Michel Houellebecq Regie: Katrin Hentschel Mi 24. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. Goetze Do 25. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. Goetze 20:30h A CLOCKWORK ORANGE: A PLAY WITH MUSIC ZUM LETZTEN MAL! Von Anthony Burgess Chorgasse — B Regie: Gabriel S. Zimmerer Fr 26. 20h DIE HAUPTSTADT A Von Robert Menasse Regie: Tom Kühnel Sa 27. 20h DIE HAUPTSTADT A Von Robert Menasse Regie: Tom Kühnel Di 30. 20h HOTTINGER LITERATURGESPRÄCHE: VON NAHEM ERLEBT E Charles Linsmayer im Gespräch mit Rosemarie Primault über Max Frisch 20:30h DER MENSCH ERSCHEINT IM HOLOZÄN ZUM 50. MAL! Von Max Frisch Chorgasse — B Sponsoren & Partner Das Theater Neumarkt dankt ganz herzlich Subventionsgeber: Stadt Zürich, Kultur Kanton Zürich, Fachstelle Kultur Partner des Theater Neumarkt Zürcher Kantonalbank Migros Kulturprozent Förderer Zürcher Festspielstiftung Schützengarten Gestaltung: Müller+Hess, Borel Bild Rückseite: Keystone/Apa/Aussenministerium/Dragan Tatic Druck: A. Schöb Druckerei AG CHORGASSE PLANET TRILLAPHON Von David Foster Wallace Mit: Martin Butzke Einrichtung: Team Neumarkt 05., 09. Januar 2018 – Chorgasse «Stell dir vor, jedem einzelnen Atom in jeder einzelnen Zelle deines Körpers ist es unerträglich schlecht». Mit 22 veröf- fentlichte David Foster Wallace («Unendlicher Spass») in einer Studentenzeitschrift eine akribische Darstellung der «üblen Sache», genannt Depression. Harte psychopharmakologi- sche Medikation befördert den Erzähler auf den Planeten Trillaphon, «sehr, sehr weit weg, sauerstoffarm und men- schenfern». Dennoch scheint das Leben dort das kleinere Übel – einen Weg zurück auf die Erde wird es nicht geben. «Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache», so der deutsche Titel in Langform, ist ein schonungsloser Text, in dem Wallace seine Krankheit in ihrer ganzen monströsen Ausweglosigkeit beschreibt. – Nach «Der Mensch erscheint im Holozän» widmet sich Martin Butzke in seiner zweiten So- loarbeit am Theater Neumarkt wieder dem (un-)geliebten Thema «menschliche Realität». Er verschränkt den abgründi- gen Text von David Foster Wallace mit den positivsten, auf- bruchsfreudigsten Worten, die dieser Autor hinterlassen hat, seiner College-Abschluss-Rede «Das hier ist Wasser». SOLO FÜR HERRN KOMAROV Die zweite autobiografische Fiktion von Arnold/Komarov Mit: Ilja Komarov Regie: Trixa Arnold Dramaturgie: Julia Hintermüller 11., 12. Januar 2018 – Chorgasse «Wir haben in zwei Zimmern gelebt, ein Schlafzimmer, wo mei- ne Eltern schliefen, und eine Stube mit Sofa, wo ich schlief. Jeden Abend mussten wir das Sofa ausziehen, Bett machen, schlafen, am Morgen aufstehen, Bett wegräumen, Sofa zu- sammenklappen, fertig. Dann wurde mein Schlafzimmer zur Stube. In diesem Zimmer war auch der Fernseher, mein Vater hat oft abends nach der Arbeit den Fernseher angelassen und ist davor eingeschlafen.» Ilja Komarov Ilja Komarov, geboren in Estland, emigrierte 1994 in die Schweiz. Er ist Musiker, Schauspieler, Komponist und Ton- techniker, u.a. am Theater Neumarkt. SOLO FÜR HERRN KOMAROV hatte 2012 Premiere im Fabriktheater. In der Chorgasse ist eine aktuelle Adaption der Arbeit zu sehen. Eine Koproduktion des Fabriktheaters Zürich, gefördert durch Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Ernst Göhner Stiftung, Georges und Jenny Bloch Stiftung, Pro Helvetia. A CLOCKWORK ORANGE: A PLAY WITH MUSIC Von Anthony Burgess Mit: Martin Butzke, Maximilian Kraus Regie: Gabriel S. Zimmerer Bühne: Besim Morina Kostüme: Anna Vyshnyakova Dramaturgie: Benjamin von Wyl 25. Januar 2018 – Chorgasse Zum letzten Mal! Alex mag klassische Musik, er mag Essen und Moloko Plus, auch Sex. Alex ist ein Unmensch. Nicht wegen dieser Vorlie- ben, sondern da ihm abgeht, was Einfühlung ist. Deshalb trifft er sich mit seinen Freunden nicht für gemütliche Abende im Keller, sondern um Leute zu vergewaltigen, Leute zu überfal- len; dem Zerstörungstrieb folgend. Er wird geschnappt und landet im Staatsgefängnis. Als Testobjekt für die neue Ludo- vico-Methode wird ihm jede Gewaltaktion verunmöglicht. Der neue Alex erlebt, wie es sich als Unschuldslamm anfühlt. Die Gesellschaft schlägt zurück, er wird gequält, geopfert. DER MENSCH ERSCHEINT IM HOLOZÄN Von Max Frisch Mit: Martin Butzke Einrichtung: Ralf Fiedler 30. Januar 2018 – Chorgasse Zum 50. Mal! Neben einem Aufenthalt in den Bergen – im Valle Maggio, abgeschnitten nach einem Unwetter – beschreibt «Der Mensch erscheint im Holozän» das Verhältnis des Menschen zur Zeit. Besser gesagt: eines bestimmten Menschen, näm- lich des Herrn Geiser aus Basel, den sein Gedächtnis anfängt im Stich zu lassen. Nichts als Zettel, Zitate, die er sammelt, Welt, die er festhalten will – ein Kosmos, aus dem er alsbald verschwindet. EXTRAS JAKOB AUGSTEIN TRIFFT — PETER STEUDTNER Gesprächsreihe 19. Januar 2018 Der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner war von Juli bis Oktober 2017 in Untersuchungshaft in der Türkei. Er wurde festgenommen, als er einen Workshop der türkischen Sektion von Amnesty International begleitete. Der Vorwurf: Steudtner habe eine bewaffnete Terrororganisation unterstützt. Mit Ja- kob Augstein spricht er über seine persönlichen Erfahrungen in der Türkei und die zunehmend gefährdeten Menschenrech- te in autoritär regierten Staaten. Jakob Augstein stösst als Ausnahme-Journalist und Her- ausgeber (Der Spiegel, Der Freitag u.a.) immer wieder Debat- ten an. Zusammen mit ihm lädt das Theater Neumarkt zu einer Gesprächsreihe ein. Mit Gästen aus Politik, Gesellschaft und Kultur spricht Augstein über soziale und politische Fragen. HOTTINGER LITERATUR- GESPRÄCHE: VON NAHEM ERLEBT Konzept und Moderation: Charles Linsmayer 30. Januar 2018: Rosemarie Primault erzählt von Max Frisch Nach Anfängen im Dunstkreis der geistigen Landesverteidi- gung hat der Zürcher Architekt Max Frisch, geboren 1911, nach 1945 als einer von wenigen Schweizern Holocaust und Weltkrieg mit auf die eigene Kappe genommen und wurde eine der wichtigsten Stimmen der Literatur. Mit den Tagebü- chern, der Infragestellung der modernen Technik in «Homo Faber» und dem Umgang mit der eigenen und allgemeinen Identitätskrise in «Stiller» und «Montauk» setzte er Massstä- be. Dass seine harsche Schweizkritik verkappte Heimatliebe war, wurde vielen erst nach seinem Tod 1991 bewusst. Rose- marie Primault erzählt an diesem Abend von der Arbeit mit Max Frisch, dessen Sekretärin sie 21 Jahre lang war. DIE EU: ein revolutionäres transnationales Projekt Auszüge aus Jakob Augsteins Gespräch mit Robert Menasse vom 15. Mai 2017 im Theater Neumarkt Anzeige JANUAR THEATER NEUMARKT GLOBE «ES GAB FÜR SIE KEIN PRIVATLEBEN MEHR, KEINE FES- SELN, ES GAB NUR DEN FREIEN WELT- HANDEL.» Robert Menasse, «Die Hauptstadt» Menschenrechte zu gestalten. In Europa wurde die Men- schenrechtsdeklaration zur Grundlage aller Rechtsprechung gemacht. Das finde ich ein schlagendes Argument für dieses Projekt. Der Nationalismus kann nur ein «Wir» herstellen über innere und äussere Feinde. Im Inneren sind es dann die Mus- lime und von aussen sind es zum Beispiel die «faulen, korrup- ten» Griechen. Friedensprojekt aber heisst: Die Unteilbarkeit der Menschenrechte, ohne dass man «Wir»-Gruppen durch die Konstruktion von Feindbildern herstellt. A: Wie erklären Sie sich denn die derzeitige Tendenz zum Nationalismus? M: Wir reden hier von 15 bis 25 Prozent pro Staat. Das ist zwi- schen einem Achtel und einem Viertel der Bevölkerung. Wir überschätzen das. Der Nationalismus ist tot! Die einzigen, die es noch nicht wissen, sind die Nationalisten. Für sie war die Nation eine Lebensrealität. Jetzt, wo alles ins Rutschen kommt, wo alles so schnell geht, bekommen sie Angst und glauben, man kann durch Abschottung und den Rückzug in die eigene kuschelige Nation, in der man Partizipationsrechte hat, die Demokratie garantieren. Sie sagen ja sogar, der Mensch braucht eine Nation, um eine Identität zu haben. Mich langweilt das mittlerweile. Wenn das so wäre, wenn die Nati- on ein ontologisches Bedürfnis wäre, dann wäre sie schon im Neolithikum entstanden, damals, als der Mensch sesshaft geworden ist. A: Aber nehmen Sie doch mal die Engländer. Sie werden nach dem Brexit Wohlstandsverluste hinnehmen müs- sen für den Zugewinn an nationaler Souveränität. M: Ja, sie werden bezahlen dafür. Und es wird ihnen eine his- torische Lehre werden. Ich bin natürlich der Meinung, dass England Mitglied der EU sein soll. Aber jetzt, wo sie raus müs- sen und erfahren werden, was das bedeutet, werden sie in 15 Jahren wieder einen Mitgliedsantrag stellen und sagen: Wir sind bereit, ohne Opt-Out-Regelungen und ständige Ausnah- men Mitglied der EU zu werden. Und dann haben wir einen grossen Fortschritt gemacht. A: Kann es nicht doch sein, dass in Brüssel die Lobbyver- treter der grossen Unternehmen eine viel zu grosse Macht haben? M: Den Satz, Europa sei ein Europa der Konzerne, höre ich andauernd von Linken. Und dieser Satz beweisst, dass «links» ein Synonym für «dumm» geworden ist. Ich weiss nicht, ob Sie wissen, dass in Brüssel wirklich tausende Lobbyisten herum- laufen, die mit viel Geld viel Einfluss auf Kommission, Parla- ment und Beamte nehmen. Und wissen Sie, was sie wollen? Sie wollen verhindern, dass Europa zusammenwächst. Sie blockieren und sabotieren, wo sie nur können. Mit Millionen. Und wissen Sie warum? Weil man Nationalstaaten gegenein- ander ausspielen und erpressen kann. Mit einem geeinten Europa kann man das nicht machen. Aus diesem Grund kann Österreich Microsoft nicht zu einer Steuer verpflichten. Die Unternehmen sagen dem Finanzminister: Wenn ich hier Steu- ern zahlen muss, dann geh ich nach Polen, da muss ich keine zahlen. Aber: Das vereinte Europa hat Milliardenzahlungen von Microsoft nachfordern können! Europa ist eine Bedro- hung für die multinationalen Konzerne, weil sie sich neuen Spielregeln beugen müssen. A: Aber nehmen diese multinationalen Konzerne nicht so grossen Einfluss, dass sie sich dieses Europa genau so hinbauen, wie sie es wollen? M: Das Europa, wie es sich heute darstellt, will ich auch nicht. Ich rede ja von der Idee Europas. Und von dem erstaunlichen Weg, der im Verlauf von 60 Jahren in kleinen Schritten möglich war. Und der gezeigt hat, dass viel, viel mehr möglich wäre. Es ist noch nicht ausreichend demokratisch legitimiert, wie wel- che Beschlüsse zustande kommen und noch nicht ausrei- chend transparent, wer an welcher Stelle welchen Einfluss nimmt. Aber die Grundidee ist ein Desiderat der Weltgeschich- te, um es mal pathetisch zu formulieren. (…) Eine Fiskal- und eine Sozialunion würden einen Magnetismus entfalten, so dass alle dabei sein wollen. Eine Sozialunion ist die einzige Möglichkeit, sozialen Frieden im Friedensprojekt EU zu ge- währleisten. Ich bin nicht optimistisch, ich glaube, dass die EU in zehn Jahren zusammenbricht. Nur, wenn alles in Schutt und Asche liegt, werden die Menschen sagen, das soll nie wieder geschehen – und alles machen, was ich jetzt erzählt habe. DIE HAUPTSTADT Uraufführung des preisgekrönten Romans von Robert Menasse am 18. Januar 2018 im Theater Neumarkt Jakob Augstein: Herr Menasse, warum kommt man auf die Idee, von einem Schriftsteller Antworten auf die Fra- gen der realen Gegenwart zu erwarten? Robert Menasse: Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich weiss es nicht. Ich kann Ihnen nur die Frage beantworten, warum ich glaube, dass das sinnvoll ist. Schriftsteller und Künstler unter- scheiden sich von Männern und Frauen mit anderen Profes- sionen in einem grundlegenden Punkt: Sie haben keine spe- zifischen Interessen ausser – das Ganze. Wenn ich zum Bei- spiel Bäcker wäre, dann würde ich die Welt so interpretieren, dass ich sie super finde, wenn es Bäckern gut geht. So hat jeder seine spezifischen Interessen und nimmt dadurch die Gegenwart wie durch einen Filter wahr. Künstler wollen das gesellschaftlich Ganze bzw. den Zeitgeist begreifen. Als Dich- ter möchte ich meine Zeitgenossenschaft reflektieren – und eben verdichten. Ich habe heftige biografische Gründe: Ich war von meinem sechsten bis zu meinem achtzehnten Le- bensjahr in einem Internat weggesperrt, das hätte statt in Wien auch auf dem Mars sein können. Ich bin mit 18 rausge- kommen und wusste nicht einmal, was am Ende der Gasse ist. Ich wollte einfach verstehen! Das hat sich dann immer mehr gesteigert, drum habe ich nicht nur Germanistik, sondern auch Philosophie studiert. A: Sind Sie heute noch links? M: Wenn ich mir anschaue, was heute als links bezeichnet wird, dann bin ich nicht links. Nach meiner Definition bin ich eher der letzte Mohikaner. Wer gilt heute als links? Mélenchon in Frankreich, die Linke in Deutschland, der linke Flügel der Sozialdemokraten in Österreich. Die sitzen aber alle in der Na- tionalismusfalle. Sie verteidigen den nationalen Arbeitsmarkt, sogenannte nationale Interessen. Soweit ich mich erinnern kann, hiess es aber: Proletarier aller Länder, vereinigt euch – und nicht: Liebe Menschen einer Nation, vereinigt euch. A: Ihr neuer Roman «Die Hauptstadt» – ist das ein politi- scher Roman? Und was bedeutet das eigentlich? M: Es gibt diese Floskel, dass im Grunde alle Kunst politisch ist. «Die Hauptstadt» ist kein Roman mit einer politischen Bot- schaft. Ich bin mit einer sehr simplen Idee nach Brüssel ge- fahren: Ich wollte schauen, ob es möglich ist, etwas zu erzäh- len, was ich plötzlich als unerkannte revolutionäre Bewegung empfunden habe. Noch nie in der Geschichte wurden in einer Stadt die Gesetze für einen ganzen Kontinent gemacht. Das passiert jetzt in Brüssel. – Nicht alle Gesetze, weil die Mit- gliedsstaaten der EU nicht alle Souveränitätsrechte abgege- ben haben. Aber es gibt doch Richtlinien, die auf dem ganzen Kontinent Gesetzeskraft haben. Ich habe mir gedacht: Das ist das Besondere meiner Lebenszeit. Ich wollte wissen: Wie funktioniert das? Ich hab mir eine Wohnung in Brüssel ge- nommen und viele Beamte kennengelernt. Ich wollte schau- en, ob man diese Beamten irgendwie typisieren kann. Sind sie literaturtauglich? Kann man das in eine Erzählbewegung bringen? Es wurde immer spannender. Ich war dann vier Jahre immer wieder für einige Monate in Brüssel. Ich habe Material gesammelt, mich in politische Diskussionen verstrickt und einen Europa-Essay geschrieben, bis ich schliesslich das Ge- fühl hatte, ja, man kann einen Roman daraus machen. A: Dieses Europa, ist das denn so toll? Dass wir alle ju- beln sollen, wenn – wie in Frankreich mit Macron – ein Pro-Europäer gewählt wird? Sollen wir uns freuen über Europa? M: Ich glaube, es gibt viele gute Gründe, die Europäische Uni- on heftig zu kritisieren. Aber die Idee ist faszinierend, und – das ist meine feste Überzeugung – die grösste Chance, die wir nach den Erfahrungen der jüngeren Geschichte haben. Wir haben gesehen, wohin der Nationalismus führt. Er hat eine Blutspur in der Geschichte hinterlassen, er hat zu den grössten Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt, zu zwei furchtbaren Kriegen, zu Rassismus bis hin zu Auschwitz. Die Konsequenz, die daraus gezogen wurde, war ja: Das soll nie wieder geschehen. Und das bedeutet, man muss die Ur- sache all dieser Verwerfnisse beseitigen, den Nationalismus. Das haben Jean Monet, Robert Schuman – die Gründergene- ration – klar erkannt. Sie haben auch gesagt: Friedensverträ- ge und Bündnisse zwischen Nationen nützen nichts, denn die hatten wir ja, und trotzdem gab es Krieg. Die Gründergenera- tion hat gesagt: Wir müssen den Nationalismus überwinden, in letzter Instanz die Nationen. Das ist ein hochspannendes und wirklich revolutionäres Projekt. Das bewundere ich, und das befördere ich im Rahmen meiner Möglichkeiten, weil ich es absolut notwendig finde. Die Gründergeneration hat das europäische Einigungsprojekt aufgrund ihrer historischen Erfahrungen auf die Schienen gestellt. Heute stellt sich her- aus, dass es auch perspektivisch, für die Zukunft, hochintelli- gent ist und die einzige Möglichkeit für unsere künftige politi- sche Selbstorganisation. Denn das, was heute stattfindet – die Globalisierung, was ja nichts anderes heisst als die Zer- störung der nationalen Grenzen, Ökonomien, Souveränitäten –, alles, was heute stattfindet, ist transnational. Die Wert- schöpfungsketten, die Finanzströme, die ökologischen Pro- bleme, der Terror, das Internet, die Verteilung von Nahrungs- mitteln – wir können die Liste endlos fortsetzen, wir werden nichts von Belang finden, was wir noch innerhalb von nationa- len Grenzen wirklich gestaltend ordnen oder an nationalen Grenzen abhalten können. A: Sind sie sicher, dass das stimmt, was Sie da sagen? Wirkt nicht Europa plötzlich wie eine Nation, die sich nach aussen hin abschottet? Und gibt es nicht gerade eine Renaissance des Nationalismus, weil die Menschen sagen: Die Nation ist der einzige Ort, den wir noch kon- trollieren können? M: Ich bin der Meinung, jeder, der heute nationale Interessen verteidigt, tut das in erster Linie, um nationale Eliten und da- mit nationale Wirtschaftseliten zu verteidigen. Das kann man machen, aber das ist ein Programm, und dann sollte man es auf den Tisch legen. Wir dürfen auch nicht vergessen: Europa ist der erste Kontinent, der sich das Gesetz gegeben hat, sei- ne rechtlichen Rahmenbedingungen immer auf der Basis der

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Theater Neumarkt, Neumarkt 5, CH-8001 Zürich / [email protected], +41 (0)44 267 64 64 / www.theaterneumarkt.ch

DIE HAUPTSTADTUraufführung des preisgekrönten Romans

von Robert MenasseMit: Marie Bonnet, Simon Brusis, Martin Butzke, Maximilian Kraus,

Miro Maurer, Sarah SandehRegie: Tom KühnelRaum: Jo Schramm

Kostüme: Daniela SeligDramaturgie: Ralf Fiedler

Uraufführung am 18. Januar 201820., 26., 27. Januar 2018

Brüssel ist die vielverspottete Hauptstadt Europas, zugleich Utopie und Ort einsamer Seelen. Robert Menasse hat ihr und den dort Lebenden, den Experten, Expats, Kommissaren, Mördern, unzerstörbaren Karrieristen (genannt «Salaman-der») und privaten Existenzen einen Roman gewidmet. Er ist zugleich Tragikomödie, Farce, Erkundung einer Seelenland-schaft, ein schillerndes Panorama der europäischen Eliten. Im Oktober 2017 hat der Autor dafür den Deutschen Buchpreis erhalten, für den Österreichischen war er nominiert. In Brüssel laufen die Fäden zusammen – und ein Schwein durch die Strassen. Fenia Xenopoulou von der Generaldirek-tion Kultur (genannt «die Arche») soll das Image der Europäi-schen Kommission aufpolieren. Aber wie? Ihr Referent Sus-man entwickelt eine Idee, die schnell Gestalt annimmt – die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte, das für Unruhe in den EU-Institutionen sorgt. David de Vriend dämmert in ei-nem Altenheim gegenüber dem Brüsseler Friedhof seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug ge-sprungen. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu ver-gessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwieri-gen Aufgabe. Er wird aus politischen Gründen angehalten, einen Mordfall auf sich beruhen zu lassen. Und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Think-Tank der Kommission vor den Denkbeauftragten aller Länder Worte sprechen, die seine letzten sein könnten. Menasse macht nicht allein europäische Bürokratie lite-raturfähig, er schafft es auch, die EU als lebendigen Organis-mus von Menschen für Menschen darzustellen. Aber anders als in seinen politischen Essays ist sein Roman keine simple Verteidigung der europäischen Idee, sondern eine existen-zielle Auseinandersetzung. Heftig angeregt wird das Nach-denken über ein mögliches nachnationales Europa. – Das Theater Neumarkt freut sich über die Rechte für die Urauffüh-rung und Dramatisierung dieses grossartigen Romans und über das Engagement des Regisseurs Tom Kühnel für die In-szenierung.

BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER

Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch

Regie, Bühne und Kostüme: Heike M. GoetzeRaum: Team Jo Schramm

Musik: Fabian KalkerDramaturgie: Inga Schonlau

Mit: André Benndorff, Marie Bonnet, Simon Brusis, Hanna Eichel, Melanie Lüninghöner, Miro Maurer

05., 06., 08., 24., 25. Januar 2018«Nimmer verdient, Schicksal zu heissen, bloss weil er gesche-hen: Der Blödsinn.» Man wünscht sich manchmal tragische Helden, die für eine Überzeugung eintreten, auch wenn sie daran zu Grunde gehen. Verbreiteter sind allerdings Typen wie die Bieder-manns, die mit dem Motto «Nicht auffallen und es sich irgend-wie gut gehen lassen» durchs Leben gehen. Nie sagen die Biedermanns, was sie meinen. Das tut dann doch weh. Da bitte dreissig Fässer Benzin, hier bitte die Zündschnur und hast du mal Feuer? Eine subtile Mischung aus Drohung und Schmeicheleien genügt, und trotz aller Warnungen und Of-fensichtlichkeit des Bösen öffnen die Biedermanns den Brandstiftern die Türen. Wann sind sie Opfer und wann Täter? Die Regisseurin Heike M. Goetze verdreifacht das Ehe-paar Biedermann, und so klärt sich der Verblendungszusam-menhang dann auf: Die Bedrohung ist vielleicht genau nicht da, wo man denkt und genau da, wo man nicht denkt. Da wirkt das grosse Feuer am Ende fast wie eine Erlösung für den rechtschaffenen Gutmenschen aus der selbst verschuldeten Zwangslage. Nur reisst er am Ende nicht nur sich selbst ins Verderben, sondern auch seine Nachbarn.

MEISTER UND MARGARITAVon Michail Bulgakow

Fassung von Peter Kastenmüller und Inga Schonlau nach der Neuübersetzung von Alexander Nitzberg

Regie: Peter KastenmüllerRaum: Jo Schramm

Bühne: Regula ZuberKostüme: Anna Maria Schories

Video: Heta MultanenLive-Kamera: Janis Lionel

Dramaturgie: Inga Schonlau, Lea LoebMit: Jan Bluthardt, Simon Brusis, Hanna Eichel, Maximilian Kraus, Miro Maurer, Sarah Sandeh

09. Januar 2018«Was sich an der Figur des Teufels zeigt, gilt für die ganze In-szenierung: Sie zieht in den Bann mit ihren politischen An-spielungen und den zeitlosen Themen Liebe, Geld und Wahr-heit – ohne mit dem Zaunpfahl zu winken. Ein schillerndes Gesamtkunstwerk.» Neue Zürcher ZeituNg Der Teufel hat sich Moskau vorgenommen und lädt höchst-persönlich zu Satansball und schwarzer Magie. Und da fast jeder brave Bürger der Stadt seine Abgründe verbirgt, findet er massenhaft leicht zu verführende Opfer, überall und in allen Gesellschaftsschichten, mit oder ohne schlechtes Gewissen: bei Bürokraten und Kleinbürgern, die den stalinistischen Ap-parat bedienen ebenso wie in der versammelten poe-tisch-staatlich verstrickten Theater- und Literatenlandschaft. Nur zwei Menschen führt er nicht vor, sondern wieder zusam-men: den Meister und Margarita. Er ist wegen seines fesseln-den Romans vor Zensur und der damit opportunistisch ver-bundenen Kritikerschaft geflüchtet und hält es nur noch in der Irrenanstalt aus. Und sie, seine höchst eigenwillige Ge-liebte, kann in ihrem vorgeschriebenen und geordneten Schicksal als Ehefrau eines feinen Herrn den Sinn des Lebens nicht entdecken. Bulgakows phantastisches Meisterwerk, zwischen 1928 und 1940 geschrieben, wurde erst 1966, 26 Jahre nach sei-nem Tod veröffentlicht. Lange galt Stalin als einziger Leser dieses «russischen Faust». Das Spiel des Teufels mit der Wahrheit ist aber alles andere als destruktiv, eher weckt es den Freiheitssinn. Der Dichter entfesselt die menschliche Vorstellungskraft und setzt die Phantasie als letzte Waffe ein gegen eine ebenso komplett ideologisierte wie sinnentleerte Gesellschaft und eine ungreifbare und klischeehaft erlebte Realität.

UNTERWERFUNGNach dem Roman von Michel Houellebecq

Regie: Katrin HentschelRaum: Jo Schramm

Ausstattung und Kostüme: Regula ZuberDramaturgie: Ralf Fiedler

Mit: Marie Bonnet, Martin Butzke10., 22. Januar 2018

«Hat alles, was ein Theaterabend haben muss, um sein Publi-kum glücklich zu machen.» Neue Zürcher ZeituNg Frankreich 2022 in der Vision des gefeierten und gehass-ten Starautors Michel Houellebecq: Nach Macron wird der Kandidat der Islamischen Bruderschaft als einzige Alternati-ve zum Front National gehandelt. Der Akademiker François forscht über den dekadenten Schriftsteller Huysmans, der ihn sein Leben lang fasziniert, und verfolgt das politische Ge-schehen eher am Rande: Während es dem charismatischen Kandidaten der Bruderschaft der Muslime gelingt, immer mehr Stimmen auf sich zu vereinigen, kommt es in der Haupt-stadt zu tumultartigen Ausschreitungen. Als schliesslich ein Bürgerkrieg unabwendbar scheint, verlässt François Paris ohne ein bestimmtes Ziel. Es ist der Beginn einer Reise in sein Inneres mit vernichtenden Einsichten. Nach dem endgültigen Wahlsieg begegnet François der neuen islamischen Elite im Bildungsministerium. Unverhofft lichten sich seine tristen Aussichten: Ihn erwartet ein neues Leben in der jetzt polyga-men Welt. – «Unterwerfung» ist die Übersetzung des arabi-schen Wortes «Islam». Willenlos fügen sich die Menschen in Houellebecqs Roman in ein System, das alle Grundwerte der westlichen Welt verneint.

Meisterhaft verwebe Robert Menasse das Private und das Politische mit­einander, heisst es in der Begründung der Jury des Deutschen Buch­preises 2017 für DIE HAUPTSTADT. Dann entlässt der Autor seine Le­ser ins Offene – wie geschaffen scheint dieser Stoff nach den grossen europäischen Themen von NEUMARKT MAXIMUS, um eine Brücke ins Jahr 2018 zu NEUMARKT GLOBE und dem Welttheater Shakespeares zu schlagen. Jeder Mensch ein Spieler, unverwechselbar, einzigartig, gross und winzig, Global Player und Wurm – und keiner weiss, ob Gott wirklich zuschaut. Mit Robert Menasses Personal – «Funktionäre», Ex­perten, Expats, Paare und Passanten aus der europäischen Hauptstadt Brüssel – ist man genau hier wieder angekommen, beim «menschli­chen Faktor». Von Nahem betrachtet ist die ungeliebte EU­Zentrale ein faszinierender Ort, ein schillernder Denk­ und Erfahrungsraum. Die Produktionen vom Anfang der Spielzeit werden in diesem Zusammen­hang weiter zu se hen sein: UNTERWERFUNG von Michel Houellebecq, MEISTER UND MARGARITA nach Michail Bulgakow, ADULTS IN THE ROOM von Yanis Varoufakis und Max Frischs BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER.

Weiter im Programm

Ticketpreise (in CHF):Preise A: 45.– / 35.–* / 20.–** Preise B: 35.– / 30.–* / 20.–**Preise E: 25.– / 20.–**

Ermässigungen: * Zürcher Theaterverein, ** Alle unter 30 Jahren, Legi, IV, Theaterclub Neumarkt, Schüler, Lehrlinge, Kulturlegi. – Ermässigte Tickets und Abonnements sind nur zusammen mit dem entsprechenden Ausweis gültig. Mit der Kundenkarte der Zürcher Kantonalbank erhalten Sie CHF 5.– Ermässigung. Nicht kumulierbar mit anderen Vergünstigungen.

Neumarkt­Tag : Mittwochs zahlen Sie für alle Veranstaltungen die Hälfte des Normalpreises. Ausnahmen sind vorbehalten. Unterstützt durch das Migros-Kulturprozent mit freundlicher Genehmigung der Zürcher Kantonalbank.

Neumarkt­Pass: Mit dem Neumarkt-Pass à CHF 89.– bezahlen Sie 12 Monate lang für sämtliche Veranstaltungen des Theater Neumarkt CHF 20.– Eintritt.

Bar Theater Neumarkt: jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn sowie nach den Vorstellungen geöffnet.

Sämtliche Vorstellungen für alle unter 30 Jahren zum ermässigten Preis

JANUARFr 05. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. Goetze 20:30h PLANET TRILLAPHON Chorgasse — B Von David Foster WallaceSa 06. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. GoetzeMo 08. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. GoetzeDi 09. 20h MEISTER UND MARGARITA A Von Michail Bulgakow Regie: Peter Kastenmüller 20:30h PLANET TRILLAPHON Chorgasse — B Von David Foster WallaceMi 10. 20h UNTERWERFUNG A Nach dem Roman von Michel Houellebecq Regie: Katrin HentschelDo 11. 20:30h SOLO FÜR HERRN KOMAROV Chorgasse — B Die zweite autobiografische Fiktion von Arnold/KomarovFr 12. 20:30h SOLO FÜR HERRN KOMAROV Chorgasse — B Die zweite autobiografische Fiktion von Arnold/KomarovDo 18. 20h DIE HAUPTSTADT URAUFFÜHRUNG Von Robert Menasse A Regie: Tom Kühnel Fr 19. 20h JAKOB AUGSTEIN TRIFFT — PETER STEUDTNER E Gesprächsreihe

Sa 20. 19:30h EINFÜHRUNG 20h DIE HAUPTSTADT A Von Robert Menasse Regie: Tom KühnelMo 22. 20h UNTERWERFUNG A Nach dem Roman von Michel Houellebecq Regie: Katrin Hentschel Mi 24. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. Goetze

Do 25. 20h BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER A Ein Lehrstück ohne Lehre Von Max Frisch Regie: Heike M. Goetze 20:30h A CLOCKWORK ORANGE: A PLAY WITH MUSIC ZUM LETZTEN MAL! Von Anthony Burgess Chorgasse — B Regie: Gabriel S. ZimmererFr 26. 20h DIE HAUPTSTADT A Von Robert Menasse Regie: Tom KühnelSa 27. 20h DIE HAUPTSTADT A Von Robert Menasse Regie: Tom KühnelDi 30. 20h HOTTINGER LITERATURGESPRÄCHE: VON NAHEM ERLEBT E Charles Linsmayer im Gespräch mit Rosemarie Primault über Max Frisch 20:30h DER MENSCH ERSCHEINT IM HOLOZÄN ZUM 50. MAL! Von Max Frisch Chorgasse — B

Sponsoren & PartnerDas Theater Neumarkt dankt ganz herzlich

Subventionsgeber:Stadt Zürich, KulturKanton Zürich, Fachstelle Kultur

Partner des Theater NeumarktZürcher KantonalbankMigros KulturprozentFördererZürcher FestspielstiftungSchützengartenGestaltung: Müller+Hess, BorelBild Rückseite: Keystone/Apa/Aussenministerium/Dragan TaticDruck: A. Schöb Druckerei AG

CHORGASSE

PLANET TRILLAPHONVon David Foster Wallace

Mit: Martin ButzkeEinrichtung: Team Neumarkt

05., 09. Januar 2018 – Chorgasse «Stell dir vor, jedem einzelnen Atom in jeder einzelnen Zelle deines Körpers ist es unerträglich schlecht». Mit 22 veröf-fentlichte David Foster Wallace («Unendlicher Spass») in einer Studentenzeitschrift eine akribische Darstellung der «üblen Sache», genannt Depression. Harte psychopharmakologi-sche Medikation befördert den Erzähler auf den Planeten Trillaphon, «sehr, sehr weit weg, sauerstoffarm und men-schenfern». Dennoch scheint das Leben dort das kleinere Übel – einen Weg zurück auf die Erde wird es nicht geben. «Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache», so der deutsche Titel in Langform, ist ein schonungsloser Text, in dem Wallace seine Krankheit in ihrer ganzen monströsen Ausweglosigkeit beschreibt. – Nach «Der Mensch erscheint im Holozän» widmet sich Martin Butzke in seiner zweiten So-loarbeit am Theater Neumarkt wieder dem (un-)geliebten Thema «menschliche Realität». Er verschränkt den abgründi-gen Text von David Foster Wallace mit den positivsten, auf-bruchsfreudigsten Worten, die dieser Autor hinterlassen hat, seiner College-Abschluss-Rede «Das hier ist Wasser».

SOLO FÜR HERRN KOMAROVDie zweite autobiografische Fiktion von Arnold/Komarov

Mit: Ilja KomarovRegie: Trixa Arnold

Dramaturgie: Julia Hintermüller11., 12. Januar 2018 – Chorgasse

«Wir haben in zwei Zimmern gelebt, ein Schlafzimmer, wo mei-ne Eltern schliefen, und eine Stube mit Sofa, wo ich schlief. Jeden Abend mussten wir das Sofa ausziehen, Bett machen, schlafen, am Morgen aufstehen, Bett wegräumen, Sofa zu-sammenklappen, fertig. Dann wurde mein Schlafzimmer zur Stube. In diesem Zimmer war auch der Fernseher, mein Vater hat oft abends nach der Arbeit den Fernseher angelassen und ist davor eingeschlafen.» Ilja Komarov Ilja Komarov, geboren in Estland, emigrierte 1994 in die Schweiz. Er ist Musiker, Schauspieler, Komponist und Ton-techniker, u.a. am Theater Neumarkt. SOLO FÜR HERRN KOMAROV hatte 2012 Premiere im Fabriktheater. In der Chorgasse ist eine aktuelle Adaption der Arbeit zu sehen. Eine Koproduktion des Fabriktheaters Zürich, gefördert durch Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Ernst Göhner Stiftung, Georges und Jenny Bloch Stiftung, Pro Helvetia.

A CLOCKWORK ORANGE: A PLAY WITH MUSIC

Von Anthony BurgessMit: Martin Butzke, Maximilian Kraus

Regie: Gabriel S. ZimmererBühne: Besim Morina

Kostüme: Anna Vyshnyakova Dramaturgie: Benjamin von Wyl

25. Januar 2018 – ChorgasseZum letzten Mal!

Alex mag klassische Musik, er mag Essen und Moloko Plus, auch Sex. Alex ist ein Unmensch. Nicht wegen dieser Vorlie-ben, sondern da ihm abgeht, was Einfühlung ist. Deshalb trifft

er sich mit seinen Freunden nicht für gemütliche Abende im Keller, sondern um Leute zu vergewaltigen, Leute zu überfal-len; dem Zerstörungstrieb folgend. Er wird geschnappt und landet im Staatsgefängnis. Als Testobjekt für die neue Ludo-vico-Methode wird ihm jede Gewaltaktion verunmöglicht. Der neue Alex erlebt, wie es sich als Unschuldslamm anfühlt. Die Gesellschaft schlägt zurück, er wird gequält, geopfert.

DER MENSCH ERSCHEINT IM HOLOZÄN

Von Max FrischMit: Martin Butzke

Einrichtung: Ralf Fiedler30. Januar 2018 – Chorgasse

Zum 50. Mal!Neben einem Aufenthalt in den Bergen – im Valle Maggio, abgeschnitten nach einem Unwetter – beschreibt «Der Mensch erscheint im Holozän» das Verhältnis des Menschen zur Zeit. Besser gesagt: eines bestimmten Menschen, näm-lich des Herrn Geiser aus Basel, den sein Gedächtnis anfängt im Stich zu lassen. Nichts als Zettel, Zitate, die er sammelt, Welt, die er festhalten will – ein Kosmos, aus dem er alsbald verschwindet.

EXTRAS

JAKOB AUGSTEIN TRIFFT  — PETER STEUDTNER

Gesprächsreihe19. Januar 2018

Der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner war von Juli bis Oktober 2017 in Untersuchungshaft in der Türkei. Er wurde festgenommen, als er einen Workshop der türkischen Sektion von Amnesty International begleitete. Der Vorwurf: Steudtner habe eine bewaffnete Terrororganisation unterstützt. Mit Ja-kob Augstein spricht er über seine persönlichen Erfahrungen in der Türkei und die zunehmend gefährdeten Menschenrech-te in autoritär regierten Staaten. Jakob Augstein stösst als Ausnahme-Journalist und Her-ausgeber (Der Spiegel, Der Freitag u.a.) immer wieder Debat-ten an. Zusammen mit ihm lädt das Theater Neumarkt zu einer Gesprächsreihe ein. Mit Gästen aus Politik, Gesellschaft und Kultur spricht Augstein über soziale und politische Fragen.

HOTTINGER LITERATUR­GESPRÄCHE:

VON NAHEM ERLEBTKonzept und Moderation: Charles Linsmayer

30. Januar 2018: Rosemarie Primault erzählt von Max Frisch

Nach Anfängen im Dunstkreis der geistigen Landesverteidi-gung hat der Zürcher Architekt Max Frisch, geboren 1911, nach 1945 als einer von wenigen Schweizern Holocaust und Weltkrieg mit auf die eigene Kappe genommen und wurde eine der wichtigsten Stimmen der Literatur. Mit den Tagebü-chern, der Infragestellung der modernen Technik in «Homo Faber» und dem Umgang mit der eigenen und allgemeinen Identitätskrise in «Stiller» und «Montauk» setzte er Massstä-be. Dass seine harsche Schweizkritik verkappte Heimatliebe war, wurde vielen erst nach seinem Tod 1991 bewusst. Rose-marie Primault erzählt an diesem Abend von der Arbeit mit Max Frisch, dessen Sekretärin sie 21 Jahre lang war.

DIE EU: ein revolutionäres

transnationales Projekt

Auszüge aus Jakob Augsteins Gespräch mit Robert Menasse vom 15. Mai 2017 im Theater Neumarkt

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januarTheaTer NeumarkT

GLOBE

«ES GAB FÜR SIE KEIN PRIVATLEBEN MEHR, KEINE FES­SELN, ES GAB NUR DEN FREIEN WELT­

HANDEL.»Robert Menasse, «Die Hauptstadt»

Menschenrechte zu gestalten. In Europa wurde die Men-schenrechtsdeklaration zur Grundlage aller Rechtsprechung gemacht. Das finde ich ein schlagendes Argument für dieses Projekt. Der Nationalismus kann nur ein «Wir» herstellen über innere und äussere Feinde. Im Inneren sind es dann die Mus-lime und von aussen sind es zum Beispiel die «faulen, korrup-ten» Griechen. Friedensprojekt aber heisst: Die Unteilbarkeit der Menschenrechte, ohne dass man «Wir»-Gruppen durch die Konstruktion von Feindbildern herstellt.

A: Wie erklären Sie sich denn die derzeitige Tendenz zum Nationalismus?M: Wir reden hier von 15 bis 25 Prozent pro Staat. Das ist zwi-schen einem Achtel und einem Viertel der Bevölkerung. Wir überschätzen das. Der Nationalismus ist tot! Die einzigen, die es noch nicht wissen, sind die Nationalisten. Für sie war die Nation eine Lebensrealität. Jetzt, wo alles ins Rutschen kommt, wo alles so schnell geht, bekommen sie Angst und glauben, man kann durch Abschottung und den Rückzug in die eigene kuschelige Nation, in der man Partizipationsrechte hat, die Demokratie garantieren. Sie sagen ja sogar, der Mensch braucht eine Nation, um eine Identität zu haben. Mich langweilt das mittlerweile. Wenn das so wäre, wenn die Nati-on ein ontologisches Bedürfnis wäre, dann wäre sie schon im Neolithikum entstanden, damals, als der Mensch sesshaft geworden ist.

A: Aber nehmen Sie doch mal die Engländer. Sie werden nach dem Brexit Wohlstandsverluste hinnehmen müs-sen für den Zugewinn an nationaler Souveränität. M: Ja, sie werden bezahlen dafür. Und es wird ihnen eine his-torische Lehre werden. Ich bin natürlich der Meinung, dass England Mitglied der EU sein soll. Aber jetzt, wo sie raus müs-sen und erfahren werden, was das bedeutet, werden sie in 15 Jahren wieder einen Mitgliedsantrag stellen und sagen: Wir sind bereit, ohne Opt-Out-Regelungen und ständige Ausnah-men Mitglied der EU zu werden. Und dann haben wir einen grossen Fortschritt gemacht. A: Kann es nicht doch sein, dass in Brüssel die Lobbyver-treter der grossen Unternehmen eine viel zu grosse Macht haben?M: Den Satz, Europa sei ein Europa der Konzerne, höre ich andauernd von Linken. Und dieser Satz beweisst, dass «links» ein Synonym für «dumm» geworden ist. Ich weiss nicht, ob Sie wissen, dass in Brüssel wirklich tausende Lobbyisten herum-laufen, die mit viel Geld viel Einfluss auf Kommission, Parla-ment und Beamte nehmen. Und wissen Sie, was sie wollen? Sie wollen verhindern, dass Europa zusammenwächst. Sie blockieren und sabotieren, wo sie nur können. Mit Millionen. Und wissen Sie warum? Weil man Nationalstaaten gegenein-ander ausspielen und erpressen kann. Mit einem geeinten Europa kann man das nicht machen. Aus diesem Grund kann Österreich Microsoft nicht zu einer Steuer verpflichten. Die Unternehmen sagen dem Finanzminister: Wenn ich hier Steu-ern zahlen muss, dann geh ich nach Polen, da muss ich keine zahlen. Aber: Das vereinte Europa hat Milliardenzahlungen von Microsoft nachfordern können! Europa ist eine Bedro-hung für die multinationalen Konzerne, weil sie sich neuen Spielregeln beugen müssen.

A: Aber nehmen diese multinationalen Konzerne nicht so grossen Einfluss, dass sie sich dieses Europa genau so hinbauen, wie sie es wollen?M: Das Europa, wie es sich heute darstellt, will ich auch nicht. Ich rede ja von der Idee Europas. Und von dem erstaunlichen Weg, der im Verlauf von 60 Jahren in kleinen Schritten möglich war. Und der gezeigt hat, dass viel, viel mehr möglich wäre. Es ist noch nicht ausreichend demokratisch legitimiert, wie wel-che Beschlüsse zustande kommen und noch nicht ausrei-chend transparent, wer an welcher Stelle welchen Einfluss nimmt. Aber die Grundidee ist ein Desiderat der Weltgeschich-te, um es mal pathetisch zu formulieren. (…) Eine Fiskal- und eine Sozialunion würden einen Magnetismus entfalten, so dass alle dabei sein wollen. Eine Sozialunion ist die einzige Möglichkeit, sozialen Frieden im Friedensprojekt EU zu ge-währleisten. Ich bin nicht optimistisch, ich glaube, dass die EU in zehn Jahren zusammenbricht. Nur, wenn alles in Schutt und Asche liegt, werden die Menschen sagen, das soll nie wieder geschehen – und alles machen, was ich jetzt erzählt habe.

DIE HAUPTSTADT Uraufführung des preisgekrönten Romans

von Robert Menasse am 18. Januar 2018 im Theater Neumarkt

Jakob Augstein: Herr Menasse, warum kommt man auf die Idee, von einem Schriftsteller Antworten auf die Fra-gen der realen Gegenwart zu erwarten?Robert Menasse: Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich weiss es nicht. Ich kann Ihnen nur die Frage beantworten, warum ich glaube, dass das sinnvoll ist. Schriftsteller und Künstler unter-scheiden sich von Männern und Frauen mit anderen Profes-sionen in einem grundlegenden Punkt: Sie haben keine spe-zifischen Interessen ausser – das Ganze. Wenn ich zum Bei-spiel Bäcker wäre, dann würde ich die Welt so interpretieren, dass ich sie super finde, wenn es Bäckern gut geht. So hat jeder seine spezifischen Interessen und nimmt dadurch die Gegenwart wie durch einen Filter wahr. Künstler wollen das gesellschaftlich Ganze bzw. den Zeitgeist begreifen. Als Dich-ter möchte ich meine Zeitgenossenschaft reflektieren – und eben verdichten. Ich habe heftige biografische Gründe: Ich war von meinem sechsten bis zu meinem achtzehnten Le-bensjahr in einem Internat weggesperrt, das hätte statt in Wien auch auf dem Mars sein können. Ich bin mit 18 rausge-kommen und wusste nicht einmal, was am Ende der Gasse ist. Ich wollte einfach verstehen! Das hat sich dann immer mehr gesteigert, drum habe ich nicht nur Germanistik, sondern auch Philosophie studiert.

A: Sind Sie heute noch links?M: Wenn ich mir anschaue, was heute als links bezeichnet wird, dann bin ich nicht links. Nach meiner Definition bin ich eher der letzte Mohikaner. Wer gilt heute als links? Mélenchon in Frankreich, die Linke in Deutschland, der linke Flügel der Sozialdemokraten in Österreich. Die sitzen aber alle in der Na-tionalismusfalle. Sie verteidigen den nationalen Arbeitsmarkt, sogenannte nationale Interessen. Soweit ich mich erinnern kann, hiess es aber: Proletarier aller Länder, vereinigt euch – und nicht: Liebe Menschen einer Nation, vereinigt euch.

A: Ihr neuer Roman «Die Hauptstadt» – ist das ein politi-scher Roman? Und was bedeutet das eigentlich?M: Es gibt diese Floskel, dass im Grunde alle Kunst politisch ist. «Die Hauptstadt» ist kein Roman mit einer politischen Bot-schaft. Ich bin mit einer sehr simplen Idee nach Brüssel ge-fahren: Ich wollte schauen, ob es möglich ist, etwas zu erzäh-len, was ich plötzlich als unerkannte revolutionäre Bewegung empfunden habe. Noch nie in der Geschichte wurden in einer Stadt die Gesetze für einen ganzen Kontinent gemacht. Das passiert jetzt in Brüssel. – Nicht alle Gesetze, weil die Mit-gliedsstaaten der EU nicht alle Souveränitätsrechte abgege-ben haben. Aber es gibt doch Richtlinien, die auf dem ganzen Kontinent Gesetzeskraft haben. Ich habe mir gedacht: Das ist das Besondere meiner Lebenszeit. Ich wollte wissen: Wie funktioniert das? Ich hab mir eine Wohnung in Brüssel ge-nommen und viele Beamte kennengelernt. Ich wollte schau-en, ob man diese Beamten irgendwie typisieren kann. Sind sie literaturtauglich? Kann man das in eine Erzählbewegung bringen? Es wurde immer spannender. Ich war dann vier Jahre immer wieder für einige Monate in Brüssel. Ich habe Material gesammelt, mich in politische Diskussionen verstrickt und einen Europa-Essay geschrieben, bis ich schliesslich das Ge-fühl hatte, ja, man kann einen Roman daraus machen.

A: Dieses Europa, ist das denn so toll? Dass wir alle ju-beln sollen, wenn – wie in Frankreich mit Macron – ein Pro-Europäer gewählt wird? Sollen wir uns freuen über Europa?M: Ich glaube, es gibt viele gute Gründe, die Europäische Uni-on heftig zu kritisieren. Aber die Idee ist faszinierend, und – das ist meine feste Überzeugung – die grösste Chance, die wir nach den Erfahrungen der jüngeren Geschichte haben. Wir haben gesehen, wohin der Nationalismus führt. Er hat eine Blutspur in der Geschichte hinterlassen, er hat zu den grössten Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt, zu zwei furchtbaren Kriegen, zu Rassismus bis hin zu Auschwitz. Die Konsequenz, die daraus gezogen wurde, war ja: Das soll nie wieder geschehen. Und das bedeutet, man muss die Ur-sache all dieser Verwerfnisse beseitigen, den Nationalismus. Das haben Jean Monet, Robert Schuman – die Gründergene-ration – klar erkannt. Sie haben auch gesagt: Friedensverträ-ge und Bündnisse zwischen Nationen nützen nichts, denn die hatten wir ja, und trotzdem gab es Krieg. Die Gründergenera-tion hat gesagt: Wir müssen den Nationalismus überwinden, in letzter Instanz die Nationen. Das ist ein hochspannendes und wirklich revolutionäres Projekt. Das bewundere ich, und das befördere ich im Rahmen meiner Möglichkeiten, weil ich es absolut notwendig finde. Die Gründergeneration hat das europäische Einigungsprojekt aufgrund ihrer historischen Erfahrungen auf die Schienen gestellt. Heute stellt sich her-aus, dass es auch perspektivisch, für die Zukunft, hochintelli-gent ist und die einzige Möglichkeit für unsere künftige politi-sche Selbstorganisation. Denn das, was heute stattfindet – die Globalisierung, was ja nichts anderes heisst als die Zer-störung der nationalen Grenzen, Ökonomien, Souveränitäten –, alles, was heute stattfindet, ist transnational. Die Wert-schöpfungsketten, die Finanzströme, die ökologischen Pro-bleme, der Terror, das Internet, die Verteilung von Nahrungs-mitteln – wir können die Liste endlos fortsetzen, wir werden nichts von Belang finden, was wir noch innerhalb von nationa-len Grenzen wirklich gestaltend ordnen oder an nationalen Grenzen abhalten können.

A: Sind sie sicher, dass das stimmt, was Sie da sagen? Wirkt nicht Europa plötzlich wie eine Nation, die sich nach aussen hin abschottet? Und gibt es nicht gerade eine Renaissance des Nationalismus, weil die Menschen sagen: Die Nation ist der einzige Ort, den wir noch kon-trollieren können?M: Ich bin der Meinung, jeder, der heute nationale Interessen verteidigt, tut das in erster Linie, um nationale Eliten und da-mit nationale Wirtschaftseliten zu verteidigen. Das kann man machen, aber das ist ein Programm, und dann sollte man es auf den Tisch legen. Wir dürfen auch nicht vergessen: Europa ist der erste Kontinent, der sich das Gesetz gegeben hat, sei-ne rechtlichen Rahmenbedingungen immer auf der Basis der

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