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Arbeiterstimme Zeitschrift für marxistische Theorie und Praxis Postverbertriebsstück B 12538 Entgelt bezahlt Winter 2002 Nr 138, 31. Jahrgang Nürnberg 3,– PDS – Gewerkschaften – Arbeitslosigkeit – Siemens Inhalt - Eine unheilige Allianz, Seite 1 - In eigene Sache, Seite 2 - PDS Wahldebakel und Parteitag, Seite 11 - Jahreskonferenz unserer Gruppe, Seite 17 - Die Bundestagswahl und die innenpolitische Lage nach Bildung der neu- en Regierung, Seite 19 - Wohin steuern die Gewerkschaften?, Seite 21 - Arbeitslosigkeit – was tun?, Seite 25 - Bericht aus Großbritannien, Seite 32 - Siemens – Bericht aus der Hofmannstraße S.33 Rezensionen: - Der Attentäter aus der Arbeiterklasse – Georg Elser, Seite 35 - Vertaner Aufwand: die West-FDJ, Seite 36 u.a. E s war nicht nur der zeit- weilige Fraktionsvorsit- zende der SPD Ludwig Stiegler, der die USA von heute mit dem Römischen Imperium und Bush mit Cäsar Augustus verglich. Kriti- sche Publizisten in den USA und in Großbritannien hatten es schon vor ihm getan. Tatsache ist, daß der mäch- tigste imperialistische Staat in der Welt seine Interessen überall durch- setzen kann, mit Druck oder kriege- rischer Gewalt, wie es der Zweckmä- ßigkeit oder dem Willen Washingtons entspricht. Die Rechtfertigungen dazu, die meist vor heuchlerischer Moral triefen, werden jeweils recht- zeitig durch die in ihrem Fahrwasser schwimmenden Medien publiziert. Bei der Durchsetzung des Faustrechts des Stärkeren, brauchen die USA kei- ne Rücksichten mehr zu nehmen, nicht auf Alliierte und schon gar nicht auf die schwachen. Länder im unter- entwickelten Weltteil, in denen die Mehrheit der Bevölkerung lebt, bzw. vegetiert. Teddy Roosevelt hatte einst mit dem „big stick“ im lateinameri- kanischen Hinterhof gewütet. Heute betrachten die Kriegstreiber um Ch- eyney, Bush und Rumsfeld die halbe Welt als ihren wirtschaftlichen und strategischen Hinterhof. Es gibt kei- ne Sowjetunion mehr, die den Impe- rialisten in den Arm fällt, wie einst am Suez-Kanal, in der Kuba-Krise und in Vietnam. Die UNO interessiert Washington nur insoweit, wie sie für die US-Politik zu gebrauchen, bzw. mißbrauchen ist. Die USA zahlen nicht einmal ihren vollen Beitrag. Sie weigern sich strikt den internationa- len Strafgerichtshof, der von 120 Staa- ten gegründet wurde, anzuerkennen. Kein Wunder, müssen die Vereinig- ten Staaten von Amerika doch be- fürchten, infolge der beabsichtigten Kriege und der damit verbundenen Eine unheilige Allianz bereit zum Totentanz? Aufmarsch der USA zur Aggression gegen den Irak: Nachdem die Plünderer der Welt das Land ausgebeutet haben, wenden sie sich dem Meer zu. Wenn der Feind reich ist, wollen sie seinen Besitz, ist er arm, wollen sie, daß er sich fügt. Nichts in Ost und West genügt ihnen. Sie begehren Hab und Gut aller anderen, auch wenn diese verarmen. Rauben, zerstören, plündern – das ist ihr Imperium. Und die Einöde die sie überall hinterlassen, nennen sie Frieden. (Tacitus, Agricola, im Jahre 30 n.Chr.) Fortsetzung auf Seite 3 Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

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ArbeiterstimmeZeitschrift für marxistische Theorie und Praxis

Postverbertriebsstück B 12538Entgelt bezahlt

Winter 2002Nr 138, 31. Jahrgang

Nürnberg3,– €

PDS – Gewerkschaften – Arbeitslosigkeit – Siemens

Inhalt- Eine unheilige Allianz, Seite 1- In eigene Sache, Seite 2- PDS Wahldebakel und Parteitag, Seite 11- Jahreskonferenz unserer Gruppe, Seite 17- Die Bundestagswahl und die innenpolitische Lage nach Bildung der neu-

en Regierung, Seite 19- Wohin steuern die Gewerkschaften?, Seite 21- Arbeitslosigkeit – was tun?, Seite 25- Bericht aus Großbritannien, Seite 32- Siemens – Bericht aus der Hofmannstraße S.33Rezensionen:- Der Attentäter aus der Arbeiterklasse – Georg Elser, Seite 35- Vertaner Aufwand: die West-FDJ, Seite 36u.a.

Es war nicht nur der zeit-weilige Fraktionsvorsit-zende der SPD Ludwig

Stiegler, der die USA von heute mitdem Römischen Imperium und Bushmit Cäsar Augustus verglich. Kriti-sche Publizisten in den USA und inGroßbritannien hatten es schon vorihm getan. Tatsache ist, daß der mäch-tigste imperialistische Staat in derWelt seine Interessen überall durch-setzen kann, mit Druck oder kriege-rischer Gewalt, wie es der Zweckmä-ßigkeit oder dem Willen Washingtons

entspricht. Die Rechtfertigungendazu, die meist vor heuchlerischerMoral triefen, werden jeweils recht-zeitig durch die in ihrem Fahrwasserschwimmenden Medien publiziert.Bei der Durchsetzung des Faustrechtsdes Stärkeren, brauchen die USA kei-ne Rücksichten mehr zu nehmen,nicht auf Alliierte und schon gar nichtauf die schwachen. Länder im unter-entwickelten Weltteil, in denen dieMehrheit der Bevölkerung lebt, bzw.vegetiert. Teddy Roosevelt hatte einstmit dem „big stick“ im lateinameri-kanischen Hinterhof gewütet. Heutebetrachten die Kriegstreiber um Ch-eyney, Bush und Rumsfeld die halbeWelt als ihren wirtschaftlichen und

strategischen Hinterhof. Es gibt kei-ne Sowjetunion mehr, die den Impe-rialisten in den Arm fällt, wie einstam Suez-Kanal, in der Kuba-Kriseund in Vietnam. Die UNO interessiertWashington nur insoweit, wie sie fürdie US-Politik zu gebrauchen, bzw.mißbrauchen ist. Die USA zahlennicht einmal ihren vollen Beitrag. Sieweigern sich strikt den internationa-len Strafgerichtshof, der von 120 Staa-ten gegründet wurde, anzuerkennen.Kein Wunder, müssen die Vereinig-ten Staaten von Amerika doch be-fürchten, infolge der beabsichtigtenKriege und der damit verbundenen

Eine unheilige Allianz bereit zumTotentanz?

Aufmarsch der USA zur Aggression gegen den Irak:

Nachdem die Plünderer der Welt das Land ausgebeutet haben, wenden sie sich dem Meer zu.Wenn der Feind reich ist, wollen sie seinen Besitz, ist er arm, wollen sie, daß er sich fügt. Nichtsin Ost und West genügt ihnen. Sie begehren Hab und Gut aller anderen, auch wenn dieseverarmen. Rauben, zerstören, plündern – das ist ihr Imperium. Und die Einöde die sie überallhinterlassen, nennen sie Frieden. (Tacitus, Agricola, im Jahre 30 n.Chr.)

Fortsetzung auf Seite 3

Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

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Arbeiterstimme22222 Winter 2002

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Seit dem Erscheinen unsererletzten Nummer im Herbst hatsich in der linken Bewegung inEuropa einiges getan. Da wir indiesem Heft keine eigenen Be-trachtungen darüber anstellen, sowollen wir wenigstens an dieserStelle einige davon erwähnen. Dagibt es die sich mehrenden Mas-sendemonstrationen: Millionendemonstrierten gegen den dro-henden Irakkrieg, vor allem in Ita-lien, in London, in Deutschland inKöln und in anderen europäi-schen Städten. Dann kam das gro-ße Ereignis von Florenz, wo sicheine halbe Million Menschen ausverschiedenen Ländern zum Pro-test traf. Hier vereinten sich nun

die Globalisierungskritiker mitden antikapitalistischen Demons-tranten in der Gegnerschaft gegenden drohenden Krieg der USA.Für die Mehrzahl der Bundesbür-ger war das ein Nichtereignis,denn die Presse hatte kaum eineachtel Seite dafür „verschwen-det“. Zum Schluß soll hier nochdie Streikbewegung in Italien her-vorgehoben werden. Am 18. Ok-tober hatten sich acht bis zehnMillionen Menschen am General-

streik betei-ligt.

Der Be-deutung ge-mäß steht einlängerer Irak-artikel, dersich auch mitden Hinter-gründen undK r ä f t e v e r -

hältnissen befaßt, am Anfang die-ser Nummer. Die Innenpolitiknimmt immer mehr krisenhafteZüge an. Wir geben ein Referatunserer Jahreskonferenz wider,das sich mit der Bundestagswahl,der Niederlage der PDS und mit

In eigener Sache der neuen Schröder-Regierungbefaßt. Ausführlich wird auf dieEntwicklung der PDS eingegan-gen, wie sie sich vor allem aufdem Parteitag in Gera abzeichne-te. Wir drucken zwei Referate un-serer Konferenz ab, wobei es umdie Themen Arbeitslosigkeit unddie Gewerkschaftspolitik geht.Ein Genosse aus England berich-tete vom Ende der Friedhofsruhebei den britischen Gewerkschaf-ten und in der Labour-Party. ZumAbbau von Arbeitsplätzen bei Sie-mens haben wir den Bericht einesInsiders zugesandt bekommen.Einige andere Betrachtungen undRezensionen schließen sich an.

Abschließend soll hier daswichtigste Ergebnis unserer Jah-reskonferenz dargestellt werden.Wir können unter anhaltendschwierigen Verhältnissen weiter-arbeiten. Die finanzielle Lage be-reitet uns Sorgen. Es gelang unsnach großen Anstrengungen, dieerweiterte Neuauflage unseresBuches „Der spanische Bürger-krieg“ fertigzustellen. Wir wür-den uns über rege Nachfrage freu-en...

Wir danken wieder allen Spenderinnen und Spender. Für das neueJahr ist die ABOZAHLUNG wieder fällig – bitte laßt uns nicht imStich!

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Kriegsverbrechen gerichtlich belangtzu werden. Deshalb weigern sie sichauch der Kontrolle von Biowaffenund der Weitergabe von Landminenzu unterwerfen und sabotieren dieAbrüstungsbemühungen.

Die Bush-Regierung plant nichtnur den Angriffskrieg gegen den Irak(den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen zum Hohn), son-dern hat eindeutig erklärt,daß sie sich das Recht aufständige Kriegshandlungenselbstherrlich herausnimmt.Alle unbotmäßigen Länderwerden zu vogelfreien„Schurkenstaaten“ erklärt,zwischen tatsächlichen Terroristenund Freiheitskämpfern wird absicht-lich nicht mehr unterschieden. Bushbenutzt den fürchterlichen Anschlagvom 11. September als Katalysator fürseine gewalttätige Weltbeherr-schungspolitik. Der Rechten in denUSA gelingt es damit, die eigene Be-völkerung in eine Kriegs- und Bedro-hungsstimmung zu versetzen und siehinter sich zu scharen. Auch die Be-völkerung in den anderen westlichenLändern unterliegt dieser Beeinflus-sung. Die Frage nach dem Nutzen des11. September beantwortet sich vonselbst. Es sind nicht nur Spekulatio-nen, sondern die Anhaltspunkte meh-ren sich, die daraufhin deuten, daßdie Anschläge den Geheimdienstenvorher bekannt waren, sie aber auspolitischen Gründen nicht verhindertwurden (mit Ausnahme des Angriffsauf das Weiße Haus). Wäre es so,dann müsste viele die es bisher nichtwussten mit Erschrecken feststellen:Eine Verbrecherbande regiert dieWelt...

In diesem Krieg, gegen alle, diesich der Politik der USA nicht unter-werfen, darf es nach dem Willen desdafür ins Präsidentenamt gehievtenBush´s keine Unbeteiligten oder garNeutrale geben. „Jedes Land, jedeRegion muß sich jetzt entscheiden:Entweder sie stehen auf unserer Sei-te oder auf der der Terroristen.“. SeinKriegsminister Rumsfeld hat dieseWeltbeherrschungs-Doktrin präzi-siert: US-Militärinterventionen wirdes in Zukunft auch in Ländern geben,„mit denen sich Amerika nicht imKriegszustand befindet, auch ohneVorwarnung“. „US-Killerkomman-dos sollen künftig weltweit aktiv wer-den“ berichten die „Nürnberger

Nachrichten“ vom 14.8.02. Dies imVerborgenen zu tun war bisher schonPraxis des CIA. Unter dem Bruch desVölkerrechtes ist dies nun im Jemenganz offen geschehen. Eine US-Rake-te hat dort das Auto eines El Qaida-Führers zerstört. Daß dabei vier wei-tere Menschen zerfetzt wurden,scheint die westlichen Menschen-

recht-Apostel kein bisschen zu stören.Im „Sieg“ der Republikaner bei denZwischenwahlen in den USA sehenauch europäische Regierungen unddie herrschende öffentliche Meinungeine Bestätigung des Irak-Kursesdurch die Bevölkerung in den USA.Nur ganz versteckt kommen in man-chen Kommentaren die wirklichenVerhältnisse zum Vorschein, die ei-nen Blick zulassen auf das Zerrbildder „Demokratie“ in diesem Lande.Denn nur 36 % der Wahlberechtigtengaben überhaupt ihre Stimme ab. Diegroße Mehrheit, zwei Drittel der 209Millionen Berechtigten, hielten eineAbstimmung für überflüssig. Diemeisten US-Bürger konnten keinenUnterschied zwischen den Parteiendes großen Geldes mehr erkennen,haben jede Zuversicht verloren, daßsich durch eine „Wahl“entscheidungan ihren persönlichen und sozialen

Problemen etwas ändert. Bush`s„Sieg“ besteht demnach nur in derZustimmung von etwa 19 % derWahlberechtigten. Und doch sind dieWeichen damit gestellt in Richtungeines noch stärkeren Rechtskurses,einschließlich aller Kriegspläne. Das

erste Ziel, der Irak, ist ja nur der An-fang. Fällt Bagdad, ist dem Pentagondie Einkreisung und Isolierung derIran gelungen. Israels RegierungschefSharon hat bereits gefordert, „am Tagnach“ einer Militäraktion gegen denIrak auch den Iran anzugreifen. Sau-di-Arabien, das wichtigste Ölland imNahen Osten, sähe seine Souveräni-

tät über Preis und Verfügbar-keit seines existenzsichern-den Rohstoffes gefährdet.Riad ist in einer tiefen Krise,auch durch die von den USAaufgedrückte Finanzierungdes 1. Golfkriegs. In den Au-gen Washingtons ist aus dem

engen Verbündeten ein unsichererKantonist geworden und ein Hort des„islamischen Extremismus“. Ein US-Protektorat direkt an der Nordgren-ze könnte das Saudi-Regime gehörigunter Druck setzen.

Was sind die Ursachen fürdie aggressive Politik derUSA?Die große Mehrzahl der Kapi-

talfraktionen steht hinter dieser Poli-tik von Bush, den sie dafür auf denSchild gehoben haben. Nur schwacheFraktionen, wie die Konsumgüter-oder Touristiklobby versuchen sichdagegen aufzulehnen, da sie auf derVerliererseite stehen. Hauptbetreibersind die Gewinner dieser Kriegspoli-tik, vor allem das Bündnis zwischendem Industriell-Militärischen-Kom-plex und den weltweit agierendenÖlkonzernen. Es geht um die Beherr-schung der Rohstoffquellen und umeine für die US-Wirtschaft günstigePreisgestaltung, die ihr auch einenVorsprung in der sich zuspitzendenWeltmarktkonkurrenz verschaffenkönnte. Es geht ebenso um eine Ab-lenkung von der Wirtschafts- undSozialkrise in den USA und um dasalte Spiel, eine Rezession durchKriegsproduktion überwinden zuwollen. Es geht um die strategischeund militärische Absicherung der US-Wirtschaftsinteressen generell undim besonderen im Hinblick auf diewegen ihrer Größe schwer zu beein-flussenden Staaten Russland undChina. Die militärischen und politi-schen Einnistungen vor deren Haus-türen sind für die US-ImperialistenAusgangspositionen, wenn sich dortdurch innere Erschütterungen Gele-genheiten der Einmischung ergeben.

Tschechische Sozialdemokraten nach dem 11.September:Premierminister Zeman erklärte „Wir sind imKrieg.“ Die tschechische Regierung, so Zemanweiter, bestehe schließlich nicht ausFeiglingen: „Uns zittern nicht die Knie.“

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Arbeiterstimme44444 Winter 2002

Das gilt besonders für China – für dieUSA Absatzmarkt, aber noch mehrein großer Rivale - wo große Krisen-aufbrüche sich ankündigen.

Mit den Angriffskriegen gegenJugoslawien und Afghanistan, habendie USA signalisiert, daß sie wederUnbotmäßigkeiten noch Feindschaf-ten hinzunehmen bereit sind.Nebenbei bemerkt wurden die erklär-ten Kriegsziele am Hindukusch je-doch nur teilweise erreicht. Sie scheu-en dabei nicht zurück, bis tief in ehe-malige Einflußzonen dortiger Groß-mächte Besitz zu ergreife. Die Domi-nanz in einer immer mehr der Glo-balisierung unterworfenen Welt ge-nügt der alleinigen Supermacht nunnicht mehr. Die USA sehen sich jetztauf dem Weg zur Weltherrschaft.Dafür haben sie wie eine Krake dieWelt mit Stützpunkten überzogenund bauen diese, oft tausende Kilo-meter von zu Hause entfernt, zu Of-fensivrampen aus.

Die soziale Kluft in denUSA und der Welt wirktsich ausDie Reichen werden immer rei-

cher, die Armen immer ärmer und dieMittelschichten befinden sich aufdem Weg in einen mehr oder minderlangen Abstieg. Das gilt für die Weltim allgemeinen, jedoch auch immermehr für die kapitalistischen Kern-länder. Die Krise des Weltkapitalis-mus äußert sich vorerst vor allem inForm einer Finanz- und Absatzkrise.Sie erschüttert Völker und Staaten inLateinamerika, in Afrika und in Tei-len Südostasiens bis in die Grundfes-ten. Am schlimmsten ist es in Ländernwie Argentinien, Uruguay, Ecuadorund Indonesien. Doch auch in Euro-pa und noch mehr in Japan häufensich die Probleme. Das Blatt hat sichauch in den reichen Industriestaatengewendet. Längst ist der schier im-merwährende Aufstieg und Fort-schritt Vergangenheit. Die Massenar-beitslosigkeit ist wiedergekehrt. DiePolitik der systemtragenden Parteienwird beherrscht von der sich steigern-den Demontage des Sozial- und Kul-turbereichs. Der, das System stabil-haltende Selbstlauf des Kapitalismus,mit der Befriedigung der Massenbe-dürfnisse, scheint seinem Ende ent-gegenzugehen. Gegen aufkommen-den Unmut und ersten Widerstandantwortet die herrschende Klasse in

den USA, aber auch anderswo, mitRepression, Gewalt und Abbau derbürgerlichen Demokratie. Die Mei-nungsfreiheit wird zur Schimäre.

Die Regierung in den USAmacht vor, wie man von inneren Pro-blemen ablenkt: mit Kriegshetze undPatriotismus. In den Vereinigten Staa-ten wurden die auf Pump aufgebau-ten Hausse-Jahre der Clintonära mitunvorstellbaren Börsengewinnen voneiner Baisse abgelöst – wie es ebenden Gesetzmäßigkeiten des kapitalis-tischen System eigen ist. Im Crashschmolzen tausende von MilliardenDollar dahin und mit ihnen gingendie Rentenanlagen von MillionenAmerikanern über Bord. Einzig dieRüstungs- und Ölaktien stiegen wei-ter. Riesenkonzerne brachen wie einKartenhaus zusammen. Große Fir-men wie Emron, Wold Com usw. of-fenbarten ihren kriminellen Charak-ter und ihre Verbindung zur Politikund zu dem von ihnen gesponserten

Bush. Skandale, Pleiten und Rezessi-onen beherrschen das Bild, wie auchArbeitslosigkeit, Reallohnverlusteund Steuergeschenke an die Reichen.Handelskonflikte mit den Europäernwerden in Kauf genommen. Die Leis-tungsbilanz verzeichnet ein Minusvon 432 Milliarden Dollar und dieDevisenflucht hält an. Obwohl dasHaushaltsdefizit wieder anschwillt,hat die Bush-Regierung den Militär-haushalt auf die gigantische Summe

von 320 Milliarden Dollar gesteigert.Die Hightech- und Rüstungsindustriekann sich freuen, potentielle Opfersollten sich fürchten...

Unter normalen Bedingungenhätten die Republikaner und die Re-gierung Bush politisch abgewirt-schaftet. Eine derartige Verschlechte-rung der wirtschaftlichen und sozia-len Lage hat es schon lange nichtmehr gegeben, ebenso wie die Ver-quickung führender Politiker in Skan-dale und kriminelle Machenschaften.Den fälligen Wechsel verhinderte al-lein jene Massenhysterie, die, vom 11.September ausging und die, zusätz-lich geschürt, sich als latente Angstvor terroristischen Angreifern nieder-schlägt. Sie ist auch die Ursache fürdie Kriegsbereitschaft der Mehrheitder US-Bevölkerung, die ständig vonden Medien neu angefacht wird unddie sich nicht nur gegen den Irak rich-tet.

Warum sind die UNO undAlliierte nötig?Die Feststellung, die gegenwär-

tige Aggressivität des US-Imperialis-mus komme sowohl aus der Stärkewie aus der Schwäche dieses Staatesist kein Widerspruch. Es ist die Stär-ke der USA mit ihren Hightech-Waf-fen eine auf lange Frist nicht einhol-bare militärische Überlegenheit zubesitzen, mit der es kein Staat auf derWelt aufnehmen kann. Diese Waffen-technik macht es auch möglich, inner-halb kürzester Frist und ohne großeeigene Verluste den Gegner nieder-zuwerfen. Die USA besitzen auch dieMittel, verbrauchtes Material zu er-gänzen. Aus dieser Übermachtheraus können die USA wieder denKrieg als Mittel der Politik benutzen.Sie können ihre strategischen Zielenun ungehindert verfolgen.

Aus ihrer Schwäche heraus –verursacht durch Wirtschaftskriseund mit den zunehmenden Proble-men einer gespaltenen Gesellschaftbehaftet – sind sie verleitet, als Ab-lenkungsmanöver im Inneren geradejetzt die Kriegstrommel zu rühren.

Zuerst hatte es den Anschein,sie wollten den Krieg allein führen.bzw. nur mit britischer Beteiligung.Wenn nun die UNO einbezogen wur-de und möglichst viele durch Druckund Köderung zur Komplizenschaftgenötigt werden, ist das ein weiterergeschickter Schachzug. Washington

Sie mögen sich wieder...

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will sich damit bessere Argumenteund die vermehrte Zustimmung imeigenen Land und in der Welt ver-schaffen. Doch der Hauptgrund ist,die Lasten des Krieges und die eige-nen Verluste zu minimieren und dieKosten des Krieges – die auf 100 - 200Milliarden Dollar geschätzt werden– auf die Mitläufer abzuwälzen. Da-mit würde einem künftigen Wider-stand im eigenen Land die Spitze ab-gebrochen und der prekäre Finanz-haushalt geschont. (Für das Weltraum-rüstungsprogramm wird Rumsfeldnoch viel Geld brauchen...)

Der Golfkrieg 1990/91 hat denUSA 61 Milliarden Dollar gekostet.Nur ganze 7 Milliarden haben siewirklich davon selbst bezahlt. Vor al-lem die Saudis und die Golfstaatenhaben den Löwenanteil daran auf-bringen müssen, aber auch alle ande-ren Alliierten wurden geschröpft, vonJapan bis Großbritannien. Deutsch-

land hatte 17 Milliarden DM zu ble-chen. Nachdem diesmal der Irak län-ger besetzt bleiben soll, lauten dieSchätzungen dafür 15 MilliardenDollar pro Jahr, was noch hinzu-kommt. Die europäischen Regierun-gen hatten sich lange gesträubt, sicham bevorstehenden Irakkrieg an derSeite der USA zu beteiligen, einzigBerlusconi wollte zumindest verbalbeistehen; der Brite Blair sowieso.Schröder blieb mit seinem kategori-schen Nein zwar allein, aber auch aus

Frankreich, Russland, der Türkei undJapan kamen Bedenken. Zu stark sindalle mit ihren eigenen innenpoliti-schen Krisen beschäftigt, zu starksind die meisten mit ihren eigenenÖl- und Wirtschaftsinteressen mitden Irak verquickt. Doch konnten siedas Sträuben nicht lange durchhalten.Hatte Bush im Hurra-Patriotismusnoch verkündet: „Wir werden voran-gehen und es machen. Nach den Tat-sachen werden die Europäer folgen“,fing es der - fälschlicherweise als„Taube“ apostrophierte Außenminis-ter Powell - schlauer an. Er wolltmehr, nämlich die volle Unterstüt-zung der „Vasallen und Tributpflich-tigen im amerikanischen ProtektoratWest- und Mitteleuropa“, wie es derehemalige Chefberater Carters, Zbig-new Brzienski, auszudrücken pfleg-te. Das Instrument dazu war die dannverabschiedete UN-Resolution, dieden USA trotzdem freie Hand ließ

und die Anwendung von Druck undVersprechen. Mit den einzelnen soge-nannten Partnern wurden aufwendi-ge Verhandlungen geführt. Die Pa-lette reicht von der Berücksichtigungrussischer und französischer Ölinte-ressen bis zur Zusage von Aus-gleichszahlungen an die Türkei, dieim Kriegsfall große wirtschaftlicheVerluste zu erwarten hätte. Aber auchpolitisch hatte Washington einiges zubieten., haben doch viele Staaten ihreeigenen Leichen im Keller, über die

man nun großzügig hinwegsah:Russland hat seinen grausamen Kriegin Tschetschenien, China seine Pro-bleme mit Sinkiang und Tibet, Indi-en und Pakistan gleichermaßen dieHerrschsucht über Kaschmir. Israelwurde schon seit längerem freieHand gegeben, den Palästinensernbrutal entgegenzutreten. Auch diekleineren Natoländer bekamen inPrag zu spüren, wer das Sagen hatund mussten sich einreihen. Der Ge-genpart in der Arabischen Liga wirdauch immer leiser, leben doch vieleihrer Staaten als Kostgänger der USA.Syrien, selbst im Fadenkreuz derKreuzzügler aus dem Pentagon,stimmte der Resolution zu; die Angsthatte Damaskus gefügig gemacht.Dafür dürfen sie bereits überstellte„Terroristen“ im Auftrag der CIA fol-tern. Nach erstem Sträuben sind diekleinen Golfstaaten, von Kuwait bisKatar, eingeschwenkt und stellen ihreLänder für den Aufmarsch zur Ver-fügung. An 50 Staaten wurden bisjetzt vom US-Außenministerium An-forderungslisten gesandt. Die Kom-plizen bekommen einen Happen,bzw. wird der IWF im Einzelfall gnä-diger gestimmt und die Verbündetenhaben nur zu parieren. Die Türkeibraucht keine selbständigen Kurden-provinzen im Nordirak zu befürch-ten, die in die Türkei ausstrahlenkönnten.

Die Aggression auf viele Schul-tern zu verteilen hat nicht nur mit denimmensen Kosten und den benötig-ten Aufmarschpositionen zu tun. DieUSA brauchen von ihren Verbünde-ten auch Bodentruppen. Denn andersals im Golfkrieg I muß diesmal nichtnur in der Wüste, sondern auch ingroßen Städten wie Bagdad gekämpftwerden. Anders ist das Regime nichtzu stürzen. Häuserkämpfe könnenauch für überlegen Bewaffnete ver-lustreich sein. Wenn aber viele Lei-chensäcke zurückkommen, unter-gräbt das die Kriegszustimmung inden USA, wie der Vietnamkrieg ge-lehrt hat. Die Einbeziehung von Alli-ierten ist für die USA auch deswegennützlich, weil beim unvermeidlichenStraßenkampf mehr „Kolalateral-schäden“ entstehen. Unter diesemhässlichen, verniedlichenden Wortversteht der Westen zivile Opfer:Frauen, Männer und Kinder im Irak.Auffällig ist, daß diese Opfer in derganzen Debatte über den geplanten

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Arbeiterstimme66666 Winter 2002

Krieg kaum benannt werden, was na-türlich kein Zufall ist. Je mehr Kriegs-alliierte die USA gewinnen, um sobreiter lässt sich die moralische Ver-antwortung verteilen. Mittäter wer-den sich hüten, allzulaut zu kritisie-ren.

ÜberMassenvernichtungsmitteldürfen nur dieMonopolisten verfügen...Einer der vorgeschobenen

Gründe für das militärische Vorgehengegen den Irak ist dessen angeblicherBesitz von Massenvernichtungswaf-fen. Das steht keineswegs im Zusam-menhang mit einer allgemeinen Ab-rüstung, der sich die USA vehementverweigern. Es geht um die Entwaff-nung eines Gegners, des Irak. Es gehtauch nicht um den Besitz dieser Waf-fen schlechthin, nicht um die ange-brachte grundsätzliche Infragestel-lung dieser fürchterlichen Waffen.Die Abschaffung in der ganzen Weltwurde überhaupt nicht angeschnit-ten. Von den Großmächten, allenvoran den USA, die in großem Maßeüber nukleare Waffen, aber auch überBiologische und Chemische Waffenverfügen, geht nach wie vor die Ge-fahr einer Apokalypse aus. Völligaußer Acht gelassen wird ferner,daß in der Vergangenheit dieseWaffen mit massenhaft furchtba-ren Folgen schon angewandt wur-den: Von den USA mit der atoma-ren Auslöschung zweier japani-scher Städte im II. Weltkrieg, mitder chemischen Verseuchung (Di-oxin) ganzer Landstriche im Viet-namkrieg, mit schlimmen Folgenfür die Menschen, die sogar nochheute anhalten.

Die USA, Russland, Frankreich,Großbritannien, China, Pakistan, In-dien und Israel verfügen über Atom-waffen und diese Tatsache wird alsSelbstverständlichkeit hingenom-men. Die USA entziehen sich dem B-und C-Waffenverbot und würdenhohnlachen, käme irgendein Staat aufden Gedanken, Kontrolleure dorthinentsenden zu wollen. Bezeichnender-weise gab die Organisation Sunshine(Austin) kürzlich bekannt, daß dieUSA heimlich neue Giftgase und mi-litärische Trägersysteme zum Einsatzdieser Giftgase entwickeln. So ist daseben: Die einen haben das Monopolund die anderen müssen parieren. So

einfach ist die Sache für die, die sichzu ihrem Vorteil die Rolle des Welt-polizisten anmaßen.

Die Zwischenschaltung der er-pressten Resolution des UN-Sicher-heitsrates (15:0) ist für Bush in keinerWeise ein Zugeständnis an das an-gebliche Machtmonopol der UNO.Den Kriegstreibern im Weißen Hauskommt diese Verzögerung durchausnicht ungelegen, ist doch der militä-rische und logistische Aufmarschnoch nicht abgeschlossen. Außerdemwird gegenwärtig noch versucht, dieAlliierten und Genötigten noch stär-ker am kommenden Krieg zu beteili-gen.

Kriegslegitimation durcheine Resolution des„Weltsicherheitsrates“?Wie oft Israel die Resolutionen

der UN-Vollversammlung missachtethat, lässt sich kaum mehr zählen.Ebenso erging es anderen Resolutio-nen, so auch den wiederholten Auf-forderungen an die USA das Embar-go gegen Kuba einzustellen. In allendiesen Fällen gab es keine Konse-quenzen. Diesmal ist es anders, weildie USA die Resolution als Freibriefzum Eintritt in einen neuen Golfkrieg

zu benutzen gedenken.Die UN-Sicherheitsratsresoluti-

on 1441 richtet sich gegen die Ent-wicklung und den Besitz von ABC-Waffen durch den Irak. Sollte bei denKontrollen auch nur im kleinstenAusmaß etwas gefunden werden, derZugang verwehrt, oder sollte die Re-gierung in Bagdad tatsächlich odervermeintlich falsche Angaben ma-chen, wollen die USA dies als Kriegs-grund auslegen. KriegsministerRumsfeld möchte sogar die Beschie-ßung angreifender amerikanischeroder britischer Kampfflugzeugedurch die irakische Luftabwehr alsKriegsgrund werten. (Die Flugver-botszonen sind übrigens durch kei-

nen UNO-Beschluß gedeckt.).Bis zu 300 Inspekteure werden

in den nächsten Wochen ca. 700Standorte mit modernsten Überwa-chungsgeräten überprüfen. Im Teamder 90er Jahre waren bekannterweiseCIA-Agenten dabei. Provozierte Zwi-schenfälle und „Funde“ sind auchdiesmal nicht ausgeschlossen. Dieteuflische Falle ist von Bush und Che-ney gelegt, sie braucht nur noch zu-zuschnappen.

Der US-Präsident sprichtübrigens offen aus, daß das Fehlenvon Massenvernichtungswaffen nichtausreicht. Es gehe vor allem um dieBeseitigung des irakischen Regimes.Saddam Hussein sei ein Diktator.Nun herrschen in etwa der Hälfte derStaaten der Welt Diktatoren und siesind mehr oder minder brutal. DieUSA hat es in ihrer Geschichte nichtgestört, sich mit brutalen Diktatorenzu verbünden, wenn es in ihrem In-teresse lag. Washington hat deshalbin den 80er Jahren auch den Irak imKrieg gegen den Iran unterstützt,trotz des Giftgaseinsatzes durch Sad-dam Husseins Regierung.

In der Sache selbst gibt es totalkonträre Standpunkte. Während esfür die Bush-Regierung ausgemacht

ist, daß Saddam Hussein an ABC-Waffen arbeitet und sie versteckthält, behauptet der Irak das Gegen-teil. Niemand bestreitet, daß derIrak vor dem Golfkrieg beträchtli-che Mengen an chemischen- (Gift-gas) und biologischen Waffen undScud-Langstreckenraketen beses-sen hatte. Durch den verlorenenKrieg musste der Irak jedoch dieUN-Waffeninspekteure ins Landlassen. Die UNSCOM setzte von

1991 – 1998 eine weitgehende Abrüs-tung der Massenvernichtungswaffendurch und zerstörte die Produktions-stätten und Forschungseinrichtun-gen. Die Bestände wurden fast völligvernichtet, 817 der 819 Scud-Raketenzerstört. Als die Kommission 1998 dasLand verlassen musste , hatte dieUNSCOM auch Anfänge eines Nuk-learwaffenprogramms vernichtet.Ehemalige Leiter des Abrüstungs-teams, wie Scott Ritter (ehemaligerUS-Oberst), Chef Rolf Ekens undauch deutsche Spezialisten wie Hansvon Sponeck usw. bestätigten dieseAbrüstung. Sie sehen im Irak vonheute ein verarmtes und verwüstetesLand, außerstande, Massenvernich-

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77777Arbeiterstimme Winter 2002

tungswaffen mit Trägerraketen insZiel zu bringen. Diese Spezialistenhaben darüber umfangreiches Mate-rial veröffentlicht, das beweist, daßdiese Waffenvernichtung weder tech-nisch noch finanziell in absehbarerZeit vom Irak wieder ausgeglichenwerden kann. Die seit Jahren ausge-übte intensive Überwachung mit Sa-telliten und US-Flugzeugen müsstedies eigentlich bestätigen.

US-Protektorat Golf-Region?Die Wichtigkeit der Erdöl und

Erdgasvorkommen für die Weltwirt-schaft ist nicht Neues. Auch früherwurden darum schon Kriege geführtund Regime von den USA gestürzt,

wie Mossadeq in Persien. Für denVietnam-Kriegsverbrecher und ehe-maligen US-Außenminister HenryKissinger stand schon immer fest:„Das Öl ist zu wichtig, als daß manes den Arabern überlassen kann.“Das Wochenmagazin „New Repub-lik“ hat das aktualisiert: „das Welt-bild von Bush ist das Weltbild vonÖlmännern“. In der Golfregion liegen70 % der Erdöl- und 40 % der Erd-gasreserven der Welt. Da die westli-chen „Zivilisatoren“ mit 20 % derWeltbevölkerung 80 % der Weltres-sourcen verbrauchen, wird diese Re-gion für die Industriemächte immerwichtiger. Das trifft besonders für dengroßen Verschwender USA zu, dertäglich 20 Millionen Barrel ver-braucht, wobei für 2020 schon ein 25Millionen Barrelverbrauch abzuse-hen ist. „Die US-Wirtschaft hängt amÖl wie ein Süchtiger an der Nadel“,

hieß es kürzlich in einer Zeitschrift.Und: 1973 deckte der Nahe Osten 38% des Weltölbedarfs, in zehn Jahren(2012) werden es über 50 % sein.

Während immer mehr Großver-braucher wie China hinzukommen,nehmen seit 20 Jahren die weltwei-ten Ölreserven ab. Berechnungen ge-hen davon aus, daß das Öl zu wirt-schaftlichen Preisen nur noch 35–40Jahre ausreicht. Die größten Erdölre-serven liegen am persischen Golf undverteilen sich auf einige Länder. DerWert der Ölreserven beträgt in Milli-arden Dollar: Saudi-Arabien 5300, inKuwait 2300, im Irak 2000 und in denVAE 1900. Mit 112 Milliarden BarrelReserven verfügt der Irak über dop-pelt soviel wie Russland und nahezu

doppelt soviel wie der KaspischeRaum. Die Reserven in dem ehema-ligen Ölland USA betragen nur etwaein Viertel derer des Irak.

Die Kapitalistenklasse in denUSA wird alles versuchen, um ausder Schere steigender Weltverbrauchund abnehmender Vorräte herauszu-kommen. Die zunehmende Aus-landsabhängigkeit löste bei den Yan-kees Alarm aus. Wenn schon Ver-knappung und Abhängigkeit, dannist es an der Zeit, daß die USA sichauf Kosten ihrer Weltmarktkonkur-renten rechtzeitig ein Privileg sichern.Die erreichte Hegemonialstellungmacht’s möglich...

Blut für ÖlDer Irak-Golf-Politik liegt, aus-

gehend von diesen Überlegungen,der „Cheyney-Bericht“ von 2001 zuGrunde. Es heißt darin, (lt. The Nati-

on), es müssten im Jahr 2020 zweiDrittel des Ölbedarfs der USA impor-tiert werden. Die zusätzliche Mengekönne nur aus dem persischen Golfkommen. Auf dieses Gebiet die Handzu legen würde auch bedeuten, stär-keren Einfluß auf das von Instabilitätbedrohten Saudi-Arabien zu gewin-nen und die OPEC in die Preisschran-ken zu verweisen. Nicht von un-gefähr plant die US- Regierung denRüstungshaushalt bis 2006 um 43 %auf 470 Milliarden Dollar zu erhöhen.Ein Irakkrieg, so Michael Klare in„The Nation“ könne der größte Öl-raub in der modernen Geschichtewerden, wodurch Hunderte von Mil-liarden an Dollar in die Taschen derUS-Ölkonzerne flössen, mit denenMitglieder der Bush-Regierungbereits personell verknüpft seien.

Mit Befremden ist in weiten Tei-len der europäischen Öffentlichkeitbemerkt worden, wie zielstrebig dieUSA den Krieg gegen den Irak anstre-ben, als gebe es keinen anderen Weg.Der Gedanke war, wenn es nur umdas Öl ginge, könnte sich doch sogardas Hussein-Regime – den eigenenUntergang vor Augen – mit der US-Regierung einigen. Es hat ja auch, alses ernst wurde, Versuche Bagdadsgegeben, den US-Ölkonzernen Kon-zessionen anzubieten. (Gegenwärtigbeziehen die Vereinigten Staaten 9 %ihrer Ölimporte aus dem Irak.) Doches geht den USA ja nicht nur um dasÖl des Irak, sondern um mehr. Zwi-schen der Bush-Familie und SaddamHussein hat sich im Laufe der Jahreeine enorme persönliche Feindschaftaufgebaut, die vom letzten Golfkriegherrührt. 1991 starben 150 000 Irakerin 42 Tagen und Nächten pausenlo-sen Bombardements. Mehr als eineMillion Menschen , vor allem Kindermußten in Folge des Embargos ver-hungern. Der Haß gilt also Bush Se-nior und Bush Junior gleichermaßen.Für die USA wiederum ist es keineGrundsatzfrage, sie haben mit vielenüblen Diktatoren Geschäfte gemachtund Bündnisse geschlossen. Dochsind sie heute Gefangene ihres eige-nen propagandistischen Trommel-feuers gegen das Hussein-Regime, alsdaß sie wieder zurück könnten. DerStaatssekretär im US-Außenministe-rium John Bolton spricht es ganz of-fen aus: „Unsere Politik drängt aufeinen Regimewechsel in Bagdad unddiese Politik wird nicht geändert wer-

Bomben die Soldaten und Zivilisten zerreißen und Kinder verbrennen werden!Flugzeugträger „Abraham Lincoln“ im Persisch-Arabischen Golf.

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Arbeiterstimme88888 Winter 2002

den, ob Inspektoren hineingehenoder nicht.“

Strategisch wesentlich ist aber,daß es den USA nicht nur um die Be-herrschung des Irak geht, sondernum die ganze Region, auch um dasÖlland Nummer 1 Saudi-Arabien.Dafür brauchen die USA das abschre-ckende Beispiel eines unterworfenenIrak und sie brauchen die Besetzungdes Zweistromlandes. Nur so könnensie die nötigen Stützpunkte aufbau-en, von denen aus dann die übrigenarabischen Länder und der Iran di-rekt oder indirekt in die Zange ge-nommen werden können. Wie vieleMenschenleben ist wohl dieses ange-strebte Öl- Liefer- und Preismonopolden USA wert ?

Der Aufmarsch derAggressoren vor derAbschlussphaseDer Aufmarsch zum Krieg ge-

gen den Irak ist im vollem Gange.Einer solchen Kriegsvorbereitungfolgte noch immer das blutig Gemet-zel. Der US-Generalstab wurde vonFlorida nach Katar verlegt. Er ließ 20Luftkorridore über dem Atlantik fürden Nachschub reservieren. In Riadhaben die USA für fünf MilliardenDollar (!) den modernsten Stützpunktder Region gebaut. In El Udeid/Ka-tar steht eine 4,5 km lange Starbahnfür die Bomber bereit. Dort und inKuwait sind bereits über 5000 US-Soldaten stationiert. Weitere US-Truppenteile befinden sich in Saudi-Arabien, Bahrein, der Türkei, Usbe-kistan und Kirgisien. Flugplätze in

den VAE, in Oman und Bahrein er-halten den letzten Schliff. Im Persi-schen Golf kreuzt eine ganze Flottevon US-Kriegsschiffen. Und die Bri-ten sind munter dabei. Blair verkün-dete, er sei bereit „für Britannien ei-nen blutigen Preis zu bezahlen“. Ge-fragt hat der Superdemokrat die Men-schen im Lande freilich nicht. 1,5 Mil-liarden Euro hat sein Schatzmeisterdafür schon beiseite geschafft. Was-hington hat auch für das Verschwei-gen der Kriegsgräuel schon vorge-sorgt: In Kuwait musste der arabischeNachrichtensender El Dschasira sei-ne Büros schließen. UnabhängigeZeugen kann man nicht brauchen, siekönnten den kommenden Lügenge-schichten im Weg stehen. US-Flug-

zeuge haben große Mengen Flugblät-ter über dem Irak abgeworfen. Darindrohen sie irakischen Offizieren, diezur Verteidigung „Massenvernich-tungswaffen“ anwenden, jenseits derKriegsrechtsvereinbarungen, ver-nichtende Strafen an.

Der Krieg ist bereits in sei-ner ersten Phase. Schon im Sep-tember haben Verbände mit biszu 100 Kampfflugzeugen mitmassiven Attacken im Westendes Irak Luftabwehrstellungenbombardiert. Auch der südiraki-sche Zivilflughafen in Basrawurde durch Bomben zerstört.Ständig fliegen Kampfmaschi-nen Scheinangriffe auf Ziele, dieim Ernstfall ausgelöscht werdensollen. Die genauen Angriffsplä-ne sind selbstverständlich ge-heim. Einiges soll durchgesickert

sein. Demnach soll die erste Angriffs-welle den noch nicht zerstörten Flug-abwehrstellungen gelten und denStädten Tigrid und Bagdad. Wetter-bedingt wird die Aggression im Feb-ruar erwartet. Die Zeitschrift „ForumWissenschaft“ brachte einige Details:„Am 5. Juli hatte die New York Ti-mes über den Inhalt eines Dokumentsdes Pentagon berichtet, wonach einUS-amerikanischer Angriff mit rund250 000 Soldaten erfolgen sollte. DerPlan sah einen Angriff von drei Sei-ten vor (Kuwait im Süden, Jordanienim Westen und Türkei im Norden),wobei die US-Kampfflugzeuge vonihren Stützpunkten in acht Länderneinen „gewaltigen Luftkrieg entfesselnund tausende von Zielen, einschließlichFlugplätze, Straßen und Telefonknoten-punkte, zerstören“ sollten. US-Spezi-aleinheiten würden darüber hinausim Hinterland irakische Depots undWaffenlagen angreifen.“ Noch brau-chen die USA etwas Zeit alle Trup-pen und alles Material aus 13 000 kmEntfernung heranzuschaffen. Im letz-ten Golfkrieg ging es um 450 000 Sol-daten plus 250 000 alliierter Hilfstrup-pen und um nicht weniger als dreiMillionen Tonnen Material: Muniti-on, Treibstoff, Verpflegung. Jede Di-vision brauchte drei Tonnen Nach-schub am Tag. Das veranschaulichtdie Dimension der logistischen An-strengungen zu denen die USA fähigsind!

Der Irak - nur noch einmilitärischer TorsoNach zwei Kriegen, dem acht-

jährigen Krieg gegen den Iran, demÜberfall auf Kuwait und dem an-schließenden Krieg gegen die West-alliierten, ist die einstige Kriegsstär-ke des Irak nur noch Vergangenheit.

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99999Arbeiterstimme Winter 2002

Die personellen, waffentechnischenund ökonomischen Ressourcen sinderschöpft. Trotz vieler Wiederaufbau-anstrengungen liegt das Land amBoden und das angesichts der bevor-stehenden US-Aggression. Die ausder Niederlage im „Wüstensturm“resultierenden Auflagen haben dieVerteidigungskraft nahezu gebro-chen. Die mit den Inspektionen ver-bundene Abrüstung führte zur Ver-nichtung von 39 000 Bomben, Rake-ten. Sprengköpfen und Gasgranaten.Die chemische Produktion und dieLabors wurden zerstört, ebenso wiedie nuklearen Forschungsstätten. 817Scud-Raketen wurden gesprengt. Der„Spiegel“ gab die Einschätzung derExperten wider: „Er hat nochungefähr 20 modifizierte Scud-Rake-ten „Al-Hussein“ im Wüstensandversteckt. Reichweite 650 Kilometer,Nutzlast 500 Kilogramm. EinenAtomsprengkopf hat er nicht, obwohler gern einen hätte. Er hat chemischeund biologische Waffen, aberhöchstens 20 % von dem was ereinmal hatte.“ Nach der verheeren-den Niederlage durch GeneralSchwarzkopf musste Saddam Hus-sein seine Streitkräfte auf ein Drittelder Vorkriegsstärke reduzieren. Dernächste militärische Aderlass kammit der Niederringung der Aufstän-de, die im März 1991 in 14 von 18 Pro-vinzen ausgebrochen waren, wobeivor allem der Kampf gegen die Schi-iten im Süden und gegen die Kurdenim Osten geführt werden mußte. 1995wurde eine Militärrevolte niederge-schlagen und 150 Soldaten hingerich-tet. In den letzten Jahren flohen über1500 mittlere und höhere Offiziere inden Westen.

Über die heutige Truppenstär-ke gibt es schwankende Angaben.Verfügte der Irak 1991 noch über 510000 Soldaten, so sollen es jetzt ca. 400000 sein. 4000 Panzer standen 1991 be-reit, jetzt sind es nur noch 2200. Statt500 Flugzeugen sind es noch 316. 1900Geschütz sind noch vorhanden. 1991wurden wichtige Teile der Infrastruk-tur zerstört, Produktionsbetriebe,Staudämme, E-Werke und Trinkwas-seranlagen. Die USA hatten damals7000 Ziele im Fadenkreuz. Nur einTeil konnte von den Irakern wiederaufgebaut werden. Die Trinkwasser-verseuchung des Euphrat hält bisheute an, die Verseuchung durch dieUranmunition machte Tausende

krank. 1991 brach die Wasser- undStromversorgung in den großen Städ-ten, in denen 60 % der Bevölkerungleben, schon nach wenigen Kriegsta-gen zusammen. Die ökologischenSchäden, teils auf dem Rückzugselbst verursacht, waren damalsenorm, viele sind jetzt noch spürbar.

Trotz der geschilderten starkgeschwächten Kampfkraft der Irakerkann es in den Städten, vor allem inBagdad, zu schweren und langwieri-gen Häuserkämpfen kommen. Es istzu erwarten, daß sich dort die 80 000gut ausgebildeten Soldaten der repu-blikanischen Garden verschanzen.Ausgeschlossen ist aber auch nicht,daß ganze Armeeeinheiten – die un-ausweichliche Niederlage vor Augen- schon in der Anfangsphase des Krie-ges desertieren.

Der Irak – nur noch einSchatten von einstDie militärische Schwäche

hängt auch mit dem wirtschaftlichenund sozialen Niedergang des 21 Mil-lionen-Volkes zusammen. Dieser hat-te nach dem Ende des ungeheurenAufschwungs eingesetzt, den derÖlboom nach dem Oktoberkrieg 1973gebracht hatte. Doch der richtige Ab-sturz kam erst später, nach dem kräf-tezehrenden Krieg gegen den Iran,und erhielt seine dramatische Schuß-fahrt nach der Niederlage im Golf-krieg.

Das Bruttosozialprodukt be-trägt nur noch 25 % im Vergleich zu1982. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen sank von 4200 Dol-lar 1993 auf 485 Dollar und liegt heu-te bei etwa 300 Dollar. Hyperinflati-on und Korruption verschlechtern dieLage zusehends. Vor 1991 beliefensich die Auslandsschulden des Staa-tes, vor allem aus Rüstungskäufen,auf 45 – 50 Milliarden Dollar. Die heu-tigen Schätzungen kommen auf etwa120 Milliarden Dollar. Die Abzahlungdieser Auslandsschulden wurde ein-gestellt. Ein reiches Land sank auf dieStufe eines Entwicklungslandes zu-rück, der Irak ist nur noch ein Schat-ten von einst.

Der den Staat tragende „Mittel-stand“ ist verarmt. Die Familien müs-sen ihre Kleider und Einrichtungenverkaufen. Das Gehalt eines Lehrerswürde nicht einmal für 6 Liter Trink-wasser reichen. Ein Schulleiter, dereinst 300 Euro verdiente bekommt

jetzt 10 Euro. 1987 noch betrug dieRente 600 Euro. Für die Miete inBagdad-Mitte sind 200 Euro aufzu-wenden. Normale Angestellte kom-men kaum über sechs Dollar hinaus.Für ein Kilo Fleisch muß die Hälfteeines Monatseinkommens herhalten.Während Superreiche prassen, wirddas Heer der Armen immer größer.Für viele reicht der Monatsverdienstnur für 20 Tage. Manche müssen sichvon Abfällen ernähren. Die Menschensind nach 12 Jahren Boykott undBombardierungen müde und abge-stumpft. Jeden Monat sterben durchden Boykott 5-6000 Kinder und alteMenschen.

Die Regierung erhöht die Steu-ern und lässt die Notenpresse laufen.Die auf den Öleinnahmen basieren-de Planwirtschaft wird immer brü-chiger. „Der Irak von heute ist voneiner Rentierökonomie geprägt. Esherrscht eher eine Mischung ausStaatskapitalismus und teilweisemafiöser Rentiersökonomie“, schriebRaid Fahmi (KPI) kürzlich im ak.

Im Irak leben mehrere Zeitalter

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Arbeiterstimme1010101010 Winter 2002

nebeneinander: Betonkultur, Internetund Mercedes 320 neben Eselskarrenund Basaren. Es gibt Gegenden, indenen die Menschen noch – wie vorfast 2000 Jahren – in Schilfhütten hau-sen.

Das politische System kannnicht an europäischen Maßstäbengemessen werden. Auch die herr-schende Bathpartei spielt bei weitem,nicht die Rolle, die man ihr zumisst.Ihr Selbstverständnis ist der arabi-schen Nationalismus und der Sozia-lismus, bzw. das was man dortdarunter versteht. Ihre Basis hat sieim Staatsapparat, in der Armee undvor allem in der mittleren Angestell-tenschaft. Nicht nur mit den Schiitenund den zwei verfeindeten Kurden-stämmen gibt es Probleme. Die vor-wiegende Struktur bilden sunnitischeClans, die sich gegenseitig brutal be-fehden und Stämme. SaddamsKunststück war es, die Interessenimmer wieder auszutaxieren. Wo dasnicht gelang wurden sie mit Gewaltunterdrückt. Mit den Öleinnahmenvon früher konnten breite Massen zu-friedengestellt werden. Das Embargoführte zu einem Zerfall des sozialenGefüges. Die Kriegsfolgen habenauch die politische Macht zersetzt.Der Staat kann die Oberhoheit derJustiz nicht mehr überall durchset-zen. Sicherheit, der Schutz von Lebenund Besitz sind nicht mehr gewähr-leistet. Die an sich lose Staatsbindungin verschiedenen Teilen des Landeszerfällt immer mehr, der Tribalismusgreift um sich. Bagdad delegiertwieder mehr Selbständigkeit an dieStämme, der Präsident entschuldigtsich bei den Scheichs für die Boden-reform. Der säkulare Staat sucht ei-nen neuen Kitt und gibt der Islami-sierung mehr Raum. Neue Moscheenwerden gebaut, Staatsrundfunk undFernsehen lassen wieder mehr religi-öse Sendungen zu. Das Regime ver-waltet das Programm „Öl für Nah-rungsmittel“. Die Verwendung dieserMittel für die Lebensmittel-Bezug-scheine, die jeder Bewohner erhält, isteines der wenigen Machtinstrumen-te, die dem Hussein-Regime nochverblieben sind. Denn auch die Par-tei zerfällt. Hatte sie 1990 noch 1,8Millionen Mitglieder, so kehrten ihrnach der Niederlage 40 % den Rü-cken, vor allem im Süden. Durch dieAbkehr vom Laizismus und durchdas Wegbrechen des sozialen Stan-

dards unterliegt die Bathpartei immermehr dem Widerspruch zwischenAnspruch und Wirklichkeit. Der po-litische Boden schwankt. Er kannbeim Ausbruch des Krieges auch insich zusammenbrechen. Eine Auf-spaltung des Landes ist dann nichtausgeschlossen.

Wie stark die oppositionellenKräfte sind ist schwer zu sagen. 180000 Gegner sollen von dem Regimeermordet worden sein. Es gibt eine,in sich uneinheitliche islamistischeStrömung, die Kurden und eine de-mokratische Strömung, die auch vonKommunisten getragen wird. Die ira-kische KP war eine der wenigen ara-bischen KP‘s, die einmal Massenein-fluß hatte. Sie wurde blutig verfolgt.Ihre Führer wurden in den 70er Jah-ren hingerichtet, ohne daß irgendei-ne Reaktion von Seiten des sowjeti-schen Verbündeten erfolgte.

Es sieht nicht so aus, als ob diesogenannten „Experten“ recht bekä-men, die bei einem Angriff der USAauf den Irak die arabische und isla-mische Welt in Aufruhr sehen, diedortigen Regimes bedrohend. OhneZweifel wäre ein Sturm der Entrüs-tung die Folge und der Volkszornkönnte hier und da überschwappen.Doch von Ägypten bis Jordanien, vonSyrien bis Saudi-Arabien haben dieRegime ihren Polizeistaat mit US-Hil-fe ausgebaut und werden sich nichtscheuen damit eventuelle Rebellio-nen gewaltsam niederzuwerfen.

Kein Proteststurm gegenden drohenden KriegUnd die Völker in der Welt? Es

gab Demonstrationen, einige große inLondon und Italien, auch in den USAgibt es eine Welle von Protesten und

Kundgebungen. Das ist wichtig, kannaber die Aggression nicht verhindern.Bush hat seine Macht ausgespielt undhat nach anfänglicher Gegnerschaftfast alle zum Mitmachen gezwungen.Die Europäer haben Stück um Stücknachgegeben. Politisch sind die Re-gierungen und die Medien schonweitgehend eingeschwenkt. Mit derVerweigerung einer direkten Beteili-gung ist Deutschland bereits nahe da-ran von Bush als Quasi-Schurkenstaatbehandelt zu werden. Kann Schröderauch nicht mehr zurück zur offenenKriegsbeteiligung, so ist die BerlinerRegierung und vor allem Union undFDP politisch auf US-Kurs einge-schwenkt. Die Koalition muß sichdauernd widersprechen und setztdamit den Eiertanz fort. Die indirek-te Beteiligung wird schon signalisiert.Von deutschem Boden kann auf die-se Weise wieder Krieg ausgehen:Überflugrechte, Nachschubdeponie-rung, alles wird den US-Behördengenehmigt. Truppenbereitstellungs-zentren wie Grafenwöhr werden um80 ha erweitert und ausgebaut. Wasalles noch kommt, auch in finanziel-ler Hinsicht ist offen. In Afghanistanwurden deutsche Truppen verstärkt,zur Entlastung der USA. Der Streitum die Fuchspanzer zeigt die ganzeErbärmlichkeit des Vorgangs. DasVerfassungsverbot von Angriffskrie-gen wird in der Debatte nicht malmehr erwähnt. Auch wenn sich eini-ge Aktive in den Gewerkschaften ge-gen den Krieg wenden, die deutscheArbeiterbewegung hat kein Klassen-bewußtsein mehr und ist deshalb un-fähig gegen den drohenden Kriegvorzugehen.

abgeschlossen am 1.12.

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1111111111Arbeiterstimme Winter 2002

Das Bundestags-Wahlde-bakel vom 22. Septem-ber und der Geraer Par-

teitag am 12./13. Oktober 2002 sindgravierend für die PDS-Entwicklung.Sie haben Gründe in Geschichte, Feh-lern und Versäumnissen der Parteiseit ihrem Entstehen, besonders wäh-rend der letzten Jahre. Praktisch be-deuten sie, dass die PDS in einer Zeitpermanenter Massenarbeitslosigkeit,des beginnenden Abbruchs verblie-bener Teile des Sozialstaats und aku-ter schwerer Kriegsgefahr, wo sie denarbeitenden und aus dem Erwerbs-leben ausgegrenzten Massen wichti-ge Dienste leisten könnte, kaum akti-onsfähig ist.

„Hausgemachte“ Ursachender WahlniederlageZu den Gründen für den Wahl-

misserfolg zählen solche außerhalbder PDS. So das Faktum, dass die Re-gierung Schröder durch Absage aneine direkte Beteiligung am geplan-ten Irak-Krieg der USAden Friedenswillen derüberwiegenden Bevöl-k e r u n g s m e h r h e i t ,durch geschickte Prä-sentation und schein-bar generöses Agierenwährend der Über-schwemmungskata-strophe die Not der anElbe und Mulde Be-troffenen für den Stim-menfang nutzen konn-te. Schon hierbei wirk-te sich der Kurs füh-render PDS-Vertreterzugunsten Schrödersund zu Lasten der eige-nen Partei aus. BeimHochwasser glänztendiese Vertreter mit wenigen Ausnah-men durch Abwesenheit, statt zu denFlutopfern zu gehen und zu helfen.Schröders und Fischers Schwenk inSachen Nibelungentreue zu den USAbegegneten sie mit zwar berechtigten,

aber nicht beweisbaren Verdächti-gungen, ob die Regierungsspitzendenn auch Wort halten würden. We-der wurde ermittelt, warum sich dieBundesregierung im konkreten Fallanders verhielt als im Fall Afghanis-tan, noch klargestellt, dass die PDSgegen jede imperialistische Militärak-tion ist und nicht nur gegen die eineoder andere. Größeren Schaden erlittdie Partei durch den Kurs ihrer Amts-und Mandatsträger in Berlin undMecklenburg-Vorpommern einer-seits, Sachsen-Anhalt andererseits.Entgegen eigenen Wahlversprechun-gen und dem eigenen Programm tru-gen sie durch Mitregieren oder Tole-rieren einen neoliberalen Sparkursmit und stießen – vor allem in derBundeshauptstadt-Sympathisantenund natürliche Verbündete dadurchvor den Kopf. Die Übernahme der so-zialdemokratischen Parole „LieberSchröder als Stoiber“ durch die PDS-Oberen, Anbiederungen an die SPD-und Grünen-Führer von der Art, man

werde im Bundestag auf jeden Fallfür den derzeitigen Kanzler votieren,wenn das zu seinem erneuten Amtie-ren nötig sei, das öffentliche „Nach-denken“ Gysis und André Bries überein Zusammengehen mindestens mit

einer Lafontaine-SPD und das Ab-bürsten dreier Bundestagsabgeord-neter durch den Fraktionschef wegenihres Protestes gegen Hauptkriegs-treiber Bush schadeten der Parteiebenso wie das Nein der Berliner Ver-bandsführer zu Demonstrationen ge-gen die Schuldigen am Bankenskan-dal bzw. das Versagen der PDS-Spit-ze in Umweltfragen. Gysis Rücktrittals Wirtschaftssenator und Stellver-treter Wowereits nach Aufdeckungseiner Bonusmeilen-Affäre truggleichfalls dazu bei, das Ansehen derPDS zu ramponieren – allerdings inweit geringerem Maß denn das Mit-regieren. Der „starke Mann“ selbstnahm in diesem Fall Gelegenheit, sichvon Verantwortung für den Senats-kurs zu befreien und als moralischsauber darzustellen.

Der spezielle Bundestagswahl-kampf der PDS war zum Steinerwei-chen trostlos. Mehr Geld als bei frü-heren Gelegenheiten diente u. a.dazu, Plakate mit geringer Aussage-

kraft, die besoldete„Fachleute“ nachschlechten Reklame-mustern gestaltet hat-ten, eine Kahnpartie in-nerparteilicher Nach-wuchskräfte und eineIllustrierte mit 4,2 Mill.Exemplaren Auflagezu finanzieren. Letzte-re zeichnete sichdadurch aus, dass al-lein der Rechten ge-nehme Größen, so dasdamalige Führungs-quartett aus Bundesge-schäftsführer undWahlkampfleiter Diet-mar Bartsch, dem Chefder Bundestagsfrakti-

on Roland Claus, der Vizechefin derPartei Petra Pau und der Bundesvor-sitzenden Gabriele Zimmer, ferner u.a. der fahnenschwenkende StefanLiebich beim Christopher Street Daysowie Gregor Gysi, abgebildet und

Dringende Wende oder Anfang vomEnde?Die PDS, ihr Wahldebakel und der Geraer Parteitag

Die Bundestagsabgeordneten Pau und Lötzschim Plenarsaal im Bundestag

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Arbeiterstimme1212121212 Winter 2002

angepriesen wurden, nicht aber Lin-ke wie die MdB Jelpke und Wolf oderdie Sprecherin der KommunistischenPlattform Wagenknecht resp. die un-liebsamen Vertreter der ParteimittePeter Porsch und Diether Dehm, bei-de stellvertretende Parteivorsitzende.Im Straßenbild dominierte ein Plakatmit dem erwähnten Vierergespannund Aussagen, man wäre „die linkeKraft“, „Sozial – gerecht – solida-risch“. Bald sollte sich herausstellen,dass dies nur bedingt oder gar nichtzutraf.

Die Zuversicht von dreien dervier „Reformer“, „Erneuerer“ und„Modernisierer“ an der Spitze,jedenfalls den Sieg zu erringen, ähn-lich wie Honecker am Ende der DDRan deren langen Fortbestand und 100Jahre Mauer glaubte, dauerte bis zumWahlabend an. Typisch waren Er-kenntnisse, die Claus am 11. 8. 2002dem Berliner „Tagesspiegel“ anver-traute, nämlich erstens: „Es ist völligunvorstellbar, dass wir nicht in denBundestag einziehen. Die PDS wirdnicht nur überleben, sondern mit ei-ner gestärkten Bundestagsfraktionagieren.“ Zweitens: „Wenn man sichallerdings vorstellte, die PDS wärenicht im Bundestag, ...wäre der Wahl-sieg der Union nahezu vorprogram-miert.“ Wahlforscher Michael Chra-pa aus Halle erntete heftiges Missfal-len, als er dartat, die PDS könnte auchverlieren. Das Ergebnis vom 22. 9.bestätigte ihn und entsprechende Be-sorgnisse vieler Mitglieder und Sym-pathisanten, die eben deshalb in grö-ßerer Zahl als je zuvor per Annonceaufgefordert hatten, unbedingt diesePartei zu wählen, wenn auch zähne-knirschend.

Große persönliche Beiträge zurNiederlage leisteten die Quadriga-Helden Bartsch, Pau und Claus mitihren Anhängern. Beispielsweisedadurch, dass sie vielfältig für soge-nannte Regierungsfähigkeit mittelsAnpassung an die Herrschenden undderen Politvertreter eintraten.Bartsch, einst an der Akademie fürGesellschaftswissenschaften beim ZKder KPdSU in Moskau, brachte am 28.8. in der „Süddeutschen Zeitung“ dasArgument vor, schon aus der Vorge-schichte der PDS erkläre sich, dass ihrWesen nie das „einer bloßen Protest-partei“ war. „Die SED hat ja nun wirk-lich diesen Staat (d. h. die DDR) mit-getragen. So verkehrt sich unsere

Herkunft sogar zu einem Vorteil.“Dieselben Helden drängten verstärktauf definitive Entscheidungen beimnächsten Parteitag, die den Berlin-Schweriner Kurs sowie das Anbie-dern an SPD und Bundesregierungrechtfertigen und die PDS voll insbundesdeutsche kapitalistische Sys-tem einfügen sollten. Gleichzeitigmobbten Bartsch, Pau und Claus in-tern ganz unsolidarisch gegen dasvierte Quadriga-Mitglied Gabi Zim-mer, dem wegen sinkenden Massen-einflusses der Partei infolge desRechtskurses Bedenken gekommenwaren. Zwar hatte auch die Vorsit-zende die „Erneuerung“ vorantrei-ben helfen, so indem sie im Jahr 2000den Gysi-Vorstoß zugunsten eineseventuellen Ja zu Militäreinsätzen mitUNO-Mandat unterstützte, fragwür-dige und z. T. wahrheitswidrige „Ent-schuldigungen“ für Vorgänge derSED- und DDR-Geschichte mit abgabund das rechte Brie-Klein-Brie-Papierals einzige Diskussionsgrundlage fürein neues Parteiprogramm festschrei-ben ließ. Doch behielt sie hinreichen-den Kontakt zur Basis, um mitzube-kommen, dass diese über den antiso-zialen Kapitulationskurs gegenüberder SPD-Spitze und neoliberalen„Sachzwängen“, über Claus’ Kotauvor Bush usw. verbittert war. Zimmertrotzte zunehmend dem Drängen der

anderen drei. Daraufhin grenztendiese den Wirkungsbereich der Par-teichefin ein und setzten Spekulatio-nen über die baldige Ablösung der„blassen Gabi“ in die Welt.

Beim zu Klampen Verlag in Lü-neburg ist kürzlich ein Buch PhilippScheidemanns, „Das historische Ver-sagen der SPD“, mit dessen Schriftenaus dem Exil nach 1933 erschienen.Sozialdemokratische Führer hattendie Veröffentlichung bis dahin ver-hindert. Die Lage seit 1918, welchedort zur Debatte steht, ist von derheutigen in vielem verschieden. Dochging es damals wie jetzt um Belangeder Herrschenden, die diese mit Hil-fe bisher oppositioneller Politikerabsichern wollten, gibt es interessan-te Parallelen in der Haltung damali-ger SPD- und heutiger PDS-Spitzenzur Frage Mitmachen durch Mitregie-ren oder nicht. Am Ende des erstenWeltkriegs, den er maßgeblich mitvom Zaun gebrochen hatte, ging esdem deutschen Imperialismus umeinen möglichst risikolosen Ausstiegaus dem unterdes verlorenen Waffen-gang. SPD-Kovorsitzender Scheide-mann wollte dem hierzu gebildetenKabinett Prinz Max von Badens nichtbeitreten, da er sich die schwerwie-genden Folgen einer SPD-Beteiligungam Kapitulieren vor der Entente fürdie eigene Partei ausmalen konnte.Sein Amtskollege Friedrich Ebert ver-langte, sich gerade jetzt nicht „derVerantwortung zu entziehen“. 1919machte Scheidemann, nun Reichsmi-nisterpräsident, mit den Worten:„Welche Hand müsste nicht verdor-ren, die sich und uns in diese Fesselnlegt“ gegen das Versailler Friedens-diktat mobil und trat zurück. Reichs-präsident Ebert und die wesentlichvon der Sozialdemokratie gestellteMehrheit in der Deutschen National-versammlung aber drückten die Ver-tragsunterzeichnung durch. Hieraufsetzte die Propaganda mit der Dolch-stoßlegende voll ein, die später Hit-ler gute Dienste geleistet hat. Histo-rische Parallelen stimmen nur be-dingt. Doch sollte man sie nicht un-terschlagen. Sie sagen in diesem Fallaus, dass der Dienst an den Herr-schenden bis zum politischen Selbst-mord gehen kann.

Bei der Wahl zum 15. Deut-schen Bundestag am 22. 9. 2002 büß-te die PDS fast alle Parlamentsman-date, den Fraktionsstatus, 200 Mitar-

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beiterposten für oft hochkarätige Ex-perten, die höchste Rednertribüne imLand sowie die Möglichkeit ein, Auf-klärung durch parlamentarische An-fragen ins Volk zu bringen, wie UllaJelpke das im Hinblick auf Neonazis-mus und Rechtsextremismus getanhatte. An Stimmen verlor die Parteidort am meisten, wo sie an Landes-regierungen beteiligt war bzw. länge-re Zeit eine toleriert hatte. Das warenin Mecklenburg-Vorpommern 7,3, inSachsen-Anhalt 6,3 und in Berlin-Ost5,5 Prozent. Gemessen an der Wahlzum Berliner Abgeordnetenhaus 2001halbierte sich ihr hiesiger Anteil auf24,5 Prozent. Bartsch, Claus und Pauerlitten in ihren Bezirken auch per-sönlich hohe Verluste. Hingegen ge-wann Zimmer in Suhl 0,8 Prozentdazu.

Die eigenen Misserfolge bewo-gen die Verfechter des neuen „Regie-rungssozialismus“ keineswegs zuwie auch immer gearteter Selbstkri-tik. Sie drangen noch massiver aufEntscheide beim kommenden Partei-tag in ihrem Sinn und versuchtennunmehr öffentlich, Zimmer zu de-montieren. Ein Bundesgenosse imApparat, der Gysi-Vertraute und Lei-ter der Grundsatzabteilung beim Par-teivorstand Thomas Falkner, gab vorMitarbeitern der Zentrale die Parole„Die Frau muss weg!“ aus. Mehrhei-ten in Berlin, Mecklenburg-Vorpom-mern, Sachsen-Anhalt und Branden-burg, die z. T. allerdings schwachwaren, mit ihren Führern und eineRiege jüngerer, karrierehungrigerNachwuchskader um Angela Mar-quardt und Sandra Brunner nahmenan der Kampagne teil. Wie vor derBundestagswahl war die rechteAvantgarde auch diesmal siegessi-cher. Gleichzeitig forderten der säch-sische, der thüringische und der baye-rische Landesverband Zimmers Wie-derwahl, verlangten viele PDS-Mit-glieder und -Sympathisanten eineehrliche Analyse der am 22. 9. erlitte-nen Schlappe, die für manchen Par-teioberen vernichtend ausgefallenwäre. Nächst dem Ehrenvorsitzendender PDS Hans Modrow bestand dersächsische Landesverband auf demRücktritt Bartschs als des Hauptver-antwortlichen innerhalb der Organi-sation für die Bundestags-Wahlnie-derlage. Bartsch verweigerte das mitdem kernigen Satz: „Es wäre ein Ver-rat an meiner Partei, wenn ich jetzt

einfach die Brocken hinschmeißenwürde.“ Stattdessen bot er sich alsKandidat für den Posten des nächs-ten Parteichefs an.

Zum bevorstehenden Kongressin Gera legten Vertreter beider Rich-tungen im sogenannten Reformerla-ger gesonderte Leitantragsentwürfevor. Der Gabi Zimmers wurde vomBundesvorstand in der ersten undeiner zusammen mit Wolfgang Gehr-cke überarbeiteten zweiten Fassungmit 9 : 7 zurückgewiesen. Der Vor-stand stimmte vielmehr einem Ent-wurf des Berliner Landesverbandeszu, den dessen auf Bartsch einge-schworene Führung unter Stefan Lie-bich kurzfristig unterbreitet hatte.

Ein Abwägen zwischen beidenDokumenten ist deshalb schwierig,weil sie einander so ähnlich sind.Genau wie ein von Gehrcke als Kom-promissvorschlag eingereichter drit-ter Antragsentwurf wiesen sie längstbekannte PDS-Forderungen und di-verse Sprechblasen auf. Jedoch ent-hielt der Berliner Antrag eine selbst-entlarvende Definition, die im Gegen-satz zum bisherigen Selbstverständ-nis der Partei stand. Sie lautet: „DiePDS ist, wie die SPD, eine demokra-tische und soziale Reformpartei.“Zimmers Entwurf erheischtedemgegenüber stärkste Oppositiongegen den Marktliberalismus, eigeneLernfähigkeit und die Kontrolle desBundesvorstands durch den Partei-rat, den Erstgenannter vordem insAbseits gedrängt hatte. Es ging alsobeim Kongress nicht nur um einewichtige personelle Entscheidung,sondern auch um eine strategische.Dem von der PDS inzwischen erreich-ten theoretischen Tiefstand entspre-chend war allerdings die Begründungfür den Entscheid denkbar dürftig.

Der Bundesparteitagin GeraBeim 8. Bundesparteitag der

PDS in Gera am 12./13. 10. 2002 straf-te das Gros der Delegierten all jeneLügen, die seit Jahr und Tag behaup-ten, dass von ihm nichts zu erwartensei. Noch beim LandesparteitagMecklenburg-Vorpommerns am 28.9. in Güstrow hatte die Apparat-Re-gie zur innerparteilichen Disziplinie-rung geklappt. In Gera versagte sieinfolge mangelnder Einigkeit der„Modernisierer“ und „Erneuerer“.Genau wie im April 2000 beim Par-

teitag in Münster, kam die Absage anden parteischädigenden Kurs derParteirechten aus der Mitte, währenddie Linke diese unterstützte. Durchihren Beifall für Zimmer bereits vorihrer Rede gaben die meisten Dele-gierten zu verstehen, dass sie dierechte Anpassungspolitik satt hatten.Das Referat der Vorsitzenden quittier-ten sie mit Bravorufen und rhythmi-schem Klatschen. Dies war neu beieinem PDS-Kongress, erinnerte aberauch an Gepflogenheiten der Stalin-Ära.

Nachdem sich schon Hans Mo-drow in der Eröffnungsrede kritischmit dem für die PDS schädlichen bis-herigen Kurs befasst hatte und für dieWiedereinführung innerparteilicherDemokratie eingetreten war, forder-te Gabi Zimmer im Grundsatzreferatdie Abkehr von einer Politik des„Weiter so“. Sie bedang sich vom Par-teitag erste Schlussfolgerungen ausder Wahlniederlage aus und fragte:„Haben uns die Leute denn wirklichals sozialistische Opposition in die-ser Bundesrepublik Deutschlandwahrgenommen? Oder erschienenwir nicht vielmehr doch als ‚Westen-taschenreserve’ von SPD und Grü-nen? ... Viele Leute sagen inzwischen:Ihr seid ein Teil des Problems! Ihr löstdas Problem nicht mehr mit uns, son-dern ihr seid ein Teil davon! Wir ord-nen euch inzwischen genauso ein wiealle anderen Parteien.“ Es gehe, so dieReferentin, „um den Unterschied:Wollen wir die PDS als sozialistischePartei oder als zweite sozialdemokra-tische Partei profilieren? Handeln wiranders als andere Parteien, oder ver-walten wir lediglich Sachzwänge?“

Die Vorsitzende orientierte aufein Bündnis zwischen „Mitte“ und„unten“ sowie auf „gestaltende Op-position“ in der Art, dass die PDSaußer- und innerhalb von Regierun-gen gleichermaßen demokratischeund soziale Ziele anstrebt – was Pauund andere, die das jahrelang selbstverlangt hatten, nun nicht mehr zuverstehen behaupteten -, ebenso aufdas Zusammenwirken mit außerpar-lamentarischen Bewegungen. „Regie-rungsbeteiligungen, Tolerieren, Kom-promisse sind nicht von vornhereinopportunistisch oder unsozialistisch.Aber: Bedingungslose Regierungsbe-teiligung, bedingungsloses Tolerie-ren, Zustimmung um jeden Preis –das ist Opportunismus!“ Mit diesem

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Satz, der bloßen Feststellung einerTatsache, löste die Rednerin bei ihrenKontrahenten im „Reformerlager“heftigen Protest aus. Das war ein Zei-chen dafür, dass sie ins Schwarze ge-troffen hatte und den Kontrahenten„die Jacke passte“. In einer wenigergut formulierten Passage ging Zim-mer auch auf ein im Januar verfass-tes Strategiepapier Falkners ein. Da-rin hatte dieser verlangt, den seit demMünsteraner Parteitag andauerndeninnerparteilichen Konflikt überAußen- und Sicherheitspolitik, denums Ja oder Nein zu bestimmten Mi-litäraktionen, nicht länger als Hinder-nis für Regierungsbeteiligungen undals „antimilitaristischen Schutzwallgegen die eigenen Reformer“ zu be-trachten, sondern ihn deren Intentio-nen entsprechend zu lösen. Zimmerbezeichnete den Satz vom „antimili-taristischen Schutzwall“ als PDS-Un-wort des Jahres. Allgemein konsta-tierte sie: „Wir dürfen es nicht mehrhinnehmen, dass unsere Politikimmer weniger aus der Partei herausentsteht und in die Öffentlichkeit ge-langt, sondern immer mehr aus infor-mellen Strukturen oder aus den Frak-tionen. Das ist eine verhängnisvolleEntwicklung in unserer Partei seitmehreren Jahren. Viele Konflikte, diewir jetzt endlich auch offen austragen– zumindest scheint es ja so – sinddem geschuldet.“ Es gelte Verände-rungen vorzunehmen, welche „dieMitglieder mehr an der Politikent-wicklung der Partei teilhaben lassen“.

Der Tenor des Referats wurdedurch einen Beitrag des Parteiratesunterstützt, den dieser erstmals ineiner derartigen Kongressphase vor-trug. In der anschließenden General-debatte ist aus Zeitgründen nur einViertel der 112 Wortmeldungen be-rücksichtigt worden. Es sprachen so-wohl Kritiker des bisherigen Partei-kurses, unter ihnen Sahra Wagen-knecht, Winfried Wolf sowie die stell-vertretenden Vorsitzenden PeterPorsch und Diether Dehm, die sich inihren Äußerungen betont zurückhiel-ten, als auch mehrfach aggressiv auf-tretende Verfechter dieses Kurses.Kerstin Kaiser-Nicht (Märkisch-Oderland) bewertete den Vorwurf,manche Genossen wollten die PDS zueiner schlechten SPD machen, als„Pappkameraden“, da es solche Ge-nossen nicht gebe. Marina Stahmann(vormals Bremen, jetzt Rügen), nann-

te die Rede Zimmers demagogisch,populistisch, teilweise unwahr undparteispalterisch. Steffen Harzer(Hildburghausen) behauptete, dieVorsitzende habe sich manipulierenlassen. Er zog einen – sachlich haltlo-sen – Vergleich zwischen ihrer Absa-ge an den Opportunismus und derSozialfaschismusthese der KPD zurWeimar-Zeit.

Als Reaktion auf Zimmers Re-ferat und die Beifallsbekundungenhierfür im Plenum zog Bartsch seineVorsitzendenkandidatur als aus-sichtslos zurück. Roland Claus trat alsErsatzkandidat an, unterlag aberGabi Zimmer. Der nun anstelle desBerliner Antrags vom rechten Flügelfavorisierte Leitantragsentwurf Gehr-ckes wurde mit 256 : 125 Stimmenzugunsten des vom alten Bundesvor-stand abgelehnten Zimmer-Papiers„Kein ‚Weiter so’: Zukunft durch Er-neuerung“ niedergestimmt. Wiedereinmal hatte sich die Rechte funda-mental über die Stimmung des Par-teizentrums getäuscht.

Andere Parteitagsbeschlüssewaren gegen das beschäftigtenfeind-liche Konzept der Hartz-Kommissi-on, auf Maßnahmen zur Verhinde-rung neuer Hochwasser- und Klima-katastrophen und eines Krieges ge-gen den Irak gerichtet. Der Kongressempfahl der Basis, Überlegungen deseinstigen Interbrigadisten und Aus-chwitzhäftlings Kurt Goldstein, wo-nach unbedingt an der Ächtung vonKrieg und Gewalt festgehalten wer-den muss, als Beitrag zur Programm-debatte zu diskutieren. (Kongressma-terialien in: Disput 10/02 - Pressedienst42/43, Sonderausgabe Geraer Parteitagder PDS – 12./13. Oktober 2002)

Dem neu gewählten Bundes-vorstand gehören keine direkten An-hänger von Bartsch, Claus und Pauwie auch diese selbst nicht mehr an,ebenso keine Berliner Vertreter, dafürweitere Anhänger Zimmers und dieLinken Dorothée Menzner und Wa-genknecht. Zur neuen Vizevorsitzen-den wurde Heidemarie Lüth, MdB inder letzten Legislaturperiode, zumneuen Bundesgeschäftsführer der ausBayern kommende frühere Sozialde-mokrat Uwe Hiksch bestimmt.

Das für den rechten Flügel nie-derschmetternde Ergebnis der Vor-standswahl wurde von diesem Flü-gel mitverursacht. Seine Vertreter,unter ihnen auch Gysis Kontrahentin

in Münster 2000 Sylvia-Yvonne Kauf-mann, zogen sich während des Par-teitags zur Sonderberatung in denKeller zurück. Danach verweigertensie, offenbar um die Delegierten-mehrheit unter Druck zu setzen, eineneuerliche Funktionsannahme. In derspäteren Aussprache darüber, wasnun zu tun sei, rieten einige wie Pauund Holter, weiter in der PDS zu wir-ken, also der jetzigen Führung ent-gegen. Andere sannen über eine neuePartei nach. Ein vertrauliches Ge-spräch der Strategen dieser Richtung,so Gysis und Bries, am 16. 10. ergab,dass derzeit für eine Neugründung„keine gesellschaftliche Basis“ vor-handen sei. Beim Verlautbaren die-ses Ergebnisses vor der Pressebrauchte Bartsch die Formulierung:„Niemand von uns hat die Absicht,die Partei zu verlassen.“ Er spielte soauf Ulbrichts Ausspruch von 1961kurz vor Schließung der DDR-Gren-ze an, keiner beabsichtige einen Mau-erbau.

Ein vom SPD-Bundesvorsit-zenden Kanzler Gerhard Schröderund vom Thüringer Landesvorsitzen-den Christoph Matschie stammendesAngebot, enttäuschte PDS-„Moderni-sierer“ bei sich aufzunehmen, wurdeinzwischen abgewiesen. Vorerst?

Entgegen Wachträumen derbeim Parteitag Unterlegenen undbürgerlicher Medien, welche die Zu-kunft der Partei schwarz in schwarzmalten und behaupteten, nach demGeraer Kongress drohe ihr ein raschesund trauriges Ende, sind deren Chan-cen momentan eher gewachsen. In-dem sie sich verbal von den Fesselnunbedingten untertänigen Mitma-chens bei weithin fremdbestimmterneoliberaler und antisozialer Politiklossagte, tat die PDS einen wichtigenSchritt nach vorn. Den zweiten posi-tiven Aspekt fasste Winfried Wolfdahingehend zusammen, dass „dieApparat- und Mobbing-Fraktion“verlor und auch ihre bürokratischenPositionen weithin einbüßte. „Gera-de weil die ‚Reformer’ sich in Gerains Abseits katapultierten, wurde dasAufbrechen einer offenen Parteikrisezunächst verhindert und sind die Per-spektiven für eine sozialistische Par-tei wieder offen.“ Wolfs anschließen-de Feststellung: „Die Parteilinke hatauf diesem Parteitag nicht ernsthaftversucht, mit einer Stimme zu spre-chen“, muss präzisiert werden.

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Erstens ist die Linke schon langeuneins, sie war es nicht nur währenddes Parteitags. Zweitens sprach siegerade beim Kongress doch „mit ei-ner Stimme“, insofern sie eigeneStandpunkte – einschließlich einesErgänzungsantrags von W. Wolf undanderen zum Zimmer-Papier – zu-gunsten des Gesamtergebnisses desParteitags hintanstellte.

DivergenteEntwicklungsperspektivenDen unterschiedlichen Grund-

auffassungen der Akteure entspre-chend divergieren die Perspektivender Parteientwicklung. Der rechteFlügel, dessen Delegierte in Gera sichnach dem Muster mit den USA koo-perierender afghanischer Halsab-schneider die „Nordallianz“ nannten,vermeidet weiter jeden Ansatz einerernstzunehmenden Analyse der Bun-destags-Wahlniederlage. Er malt dieZukunft der PDS schwarz in schwarz,das aber infolge der Parteitagsbe-schlüsse, und setzt auf unverminder-te Fortsetzung der vom Kongress zu-rückgewiesenen Politik. Vor allem inBerlin sind die „Modernisierer“ ge-meinsam mit rechten Sozialdemokra-ten bemüht, das antisoziale Sparpa-ket zugunsten von Großkapital undSchweinefondsinhabern anzurei-chern. Die Gewerkschaften, die einendementsprechenden „Sozialpakt“ablehnten, werden kritisiert und at-tackiert, Bürger mit geringem Ein-kommen noch ärger geschröpft.Demgegenüber hat der Senat die inskostspielig renovierte ehemaligeStaatsratsgebäude eingezogene„School of Management and Techno-logy“, eine Einrichtung der Unterneh-merverbände, von Mietzahlungenbefreit. Die ihm entgehende Summeentspricht etwa der, die den Nutze-rInnen von Kindertagesstätten zu-sätzlich abgepresst werden soll.

In Mecklenburg-Vorpommernhatte es am Bundestagswahltag aucheine Landtagswahl gegeben. Dahermusste neu über die SPD-PDS-Koa-lition unter Harald Ringstorff ent-schieden werden. Am 27. 10. 2002sprach sich ein aus Landesvorstand,Landesparteirat und Kreisvorsitzen-den bestehendes Gremium der PDSfür Fortsetzung des Regierungsbünd-nisses, aber gegen die Rückkehr vonHelmut Holter und Martina Bungeins Kabinett aus. Während das Ge-

schick der Letzteren die Parteirechtekalt ließ, war sie an der weiteren Mi-nistertätigkeit Holters im höchstenGrade interessiert, zählt dieser dochzu ihren Vorreitern. Wesentlich aufihr Betreiben stimmte am 2. 11. einSonderparteitag in Göhren-Lebbinfür seine Wiederaufnahme als Ar-beitsminister in die Landesregierung– auch zur Freude MinisterpräsidentRingstorffs, für den er leicht hand-habbar ist. Der in Gera bewirkteLinksruck der PDS fand derart imNordosten der BRD ein rasches Ende,während er den Berliner Landesver-band noch gar nicht erfasst hatte.

Zur propagandistischen Be-gleitmusik der „Nordallianz“ gehörtneben Eigenlob und Verweisen aufdie angebliche Unabwendbarkeit re-aktionärer Entscheidungen, zu denenoftmals Banker die Vorlagen und Ar-gumente liefern, eine sich verstärken-de Hetze gegen die Linke, neuerdingsauch gegen jene Leute vom eigenenFlügel und aus der Mitte, die sich wieZimmer gegen einen zu weitgehen-den Rechtskurs wenden, weil dieserder Partei und dem eigenen Ansehenschadet. Mit der Kampagne begon-nen hatte diesmal Gregor Gysi. SchonAnfang September erklärte er der„Leipziger Volkszeitung“, falls diePDS nicht wieder in den Bundestagkäme, würden sich „die linken Dog-matiker austoben“. Sie taten dasebenso wenig, wie der Geraer Partei-tag schlicht als „Sieg der Linken“ ge-wertet werden kann. Doch setztenProminente des rechten Flügels, vonden Tatsachen ungerührt, nach demKongress ihren Feldzug fort. In einemOffenen Brief vom 15. 10. bedauerteGysi, dass im neuen Bundesvorstanddie „so genannten Leistungsträger“zu wenig vertreten seien, wobei erunterschlug, dass sich diese selbstgeweigert hatten, Funktionen zuübernehmen. Es sei, so Gysi, „keinewirkliche Führung gewählt“ worden.„Eine Medienöffentlichkeit wird die-ser Vorstand nur noch sehr einge-schränkt herstellen können. Bundes-weit droht dieser Vorstand und da-mit die Partei in Vergessenheit zugeraten.“ Unter dem Motto „KeinenFrieden mit dieser Gesellschaft“ habedie Delegiertenmehrheit in Gera für„verschwommene Visionen, für eini-ge Prinzipien und gegen Pragmatis-mus“, derart aber für die Selbstisola-tion gestimmt. Übereinstimmend

hiermit behauptete die frühere Bun-destags- und jetzige BrandenburgerLandtagsabgeordnete Dagmar Enkel-mann, die PDS befinde sich im „fata-len Prozess der Selbstdemontage“.Der bisherige Apparatschik beim Par-teivorstand Falkner äußerte gar, sienehme wieder „totalitäre Züge“ an;es sei nicht verwunderlich, „wenn derVerfassungsschutz sich der Partei an-nimmt“.

Mit ihren Attacken lenkten dieParteitagsverlierer von der eigenenMitschuld an der Bundestags-Wahl-niederlage ab. Sie stärkten auch denKreis derer im Glauben, die sich im„Neuen Deutschland“ per Leserbriefdurch eine Mixtur aus Führervereh-rung, mangelnder Theorie- und Ge-schichtskenntnis, Pragmatismus, Vor-urteilen und unbewusster oder beab-sichtigter Fehlinterpretation der An-sichten jener hervortaten, die überden Tellerrand hinauszuschauen ver-mögen. „Es tut mir leid“, wurde z. B.konstatiert, „wenn sich der besonne-ne Herr Bartsch, die kluge Frau Pauund eine Persönlichkeit wie HerrGysi zurückziehen. Man sollte dochLenins Theorie folgen (!) und auchmal einen Schritt zurückgehen, wenndie Zeit noch nicht reif ist...“ In einemanderen Schreiben hieß es: „Die Re-den von Zimmer, Wagenknecht u. a.erinnerten mich an längst überwun-dene Zeiten. Ich lebe hier und heute,und ich möchte, dass hier und heutenach Möglichkeiten gesucht wird,das Leben solidarischer, freundlicherund gerechter zu gestalten. Und die-sen Gestaltungsspielraum haben wir,wenn überhaupt, nur, wenn wir unsin die Verantwortung einbinden las-sen“ – also mitregieren.

Der Ältestenrat sah demge-genüber in Gera die „Chance für einereale Erneuerung der PDS als gesamt-deutsche sozialistische Partei“; er ver-urteilte Angriffe gegen die demokra-tisch gefassten Beschlüsse des Partei-tags (die manche Vertreter der Rech-ten nicht zu halten versprochen ha-ben).

Besonders durch ein PapierDietmar Bartschs von Anfang No-vember hat die Rechte unterdes denKampf „innerhalb der PDS um neueMehrheiten“ propagiert, damit derParteitagskurs revidiert werde. Sieverurteilt den Kongress als „Parteitagder Selbstbefassung, fernab von denrealen Problemen der Menschen“,

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legt aber keinerlei Vorschlag zur Lö-sung solcher Probleme vor und folgtin der Praxis entgegen Interessen derBevölkerungsmehrheit den neolibe-ralen Vorgaben der Herrschenden.Ein erstes Treffen von Mitgliedernund Sympathisanten aus dem rech-ten Flügel, der sich jetzt „Reformlin-ke“ nennt, am traditionsreichen 9.November in Berlin diente der Vor-bereitung eines organisatorischenNetzwerks dieser Gruppe, dessenSchaffung für Februar 2003 geplantist. Die erlittenen Niederlagen derPartei und des Flügels selbst wurdenwieder nicht zu analysieren versuchtoder gar Selbstkritik geübt. Vielmehrwurde die Schuld an allem Übel den„Traditionalisten, Dogmatikern undKonservativen“ zugemessen, zu de-nen nun auch Zimmer, vor allem aberPorsch und Dehm gerechnet werden.Einige rechte Rebellierer räumten sichselbst wenig Chancen ein, da die an-tisoziale Politik einer als links firmie-renden Partei schwerlich Gewinne anAnhängern bringen kann. Bartschund andere Prominente ließen sichzeitweilig sehen, schwiegen jedoch.Die Europaabgeordnete Kaufmannempfahl erneut den Brie-Klein-Brie-Entwurf als Leitfaden für ein neues,„modernes“ Parteiprogramm, wiedas schon einmal der frühere Bun-desvorstand unter Zimmer getan hat-te. Der Berliner Abgeordnete Benja-min Hoff, ein neuer Shootingstar derParteirechten und enger Freund Lie-bichs, kritisierte Bundesgeschäftsfüh-rer Hiksch wegen seiner Ansicht, dieSpannweite der PDS reiche von derKommunistischen Plattform bis zuden Regierungsfraktionen der Partei.Das, so Hoff, dürfe sich keineswegsauf Programmfragen beziehen, wo„Klarheit herrschen muss“.

Von der alten und neuen Bun-desvorsitzenden kam nichts Trostrei-ches mehr. Sie hatte entdeckt, „dasses offensichtlich inzwischen Flügel inder PDS gibt“, und war über dieselängst bekannte, keineswegs aufre-gende Tatsache bestürzt. Im Bestre-ben, „Wogen zu glätten“ und die auf-sässige Rechte zurückzugewinnen,umwarb Zimmer diese in kaum ver-tretbaren Ausmaß. Dabei gab siewichtige Erkenntnisse ihrer GeraerParteitagsrede über den Opportunis-mus preis. Sie verzichtete auch aufden Versuch, Ursachen des dahinge-schwundenen Ansehens und jetzigen

Zustands der Partei zu ergründen.Pflichtgemäß attackierte Zimmer denneuen Koalitionsvertrag zwischenRosa und Blassgrün auf Bundesebe-ne, weil Wahlversprechen gebrochenworden seien und wiederum „dieKapitalökonomie den Takt“ angebe.Dass dies bei Regionalbündnissenvon PDS und SPD genauso ist, er-wähnte sie anders als in Gera mit kei-nem Wort. Liebich, Harald Wolf undHolter erteilte sie fürs Weiterregierenihren Segen. Es scheint, auch die Tä-tigkeit des neuen PDS-Vorstands undseiner Chefin müsse überwacht, imBedarfsfall korrigiert werden.

Die Mitte der Partei, ihr Zen-trum, wurde bisher bei Veröffentli-chungen über die PDS wenig beach-tet. Sie ist gegen sogenannte linkeSpinnereien, aber auch gegen einenRechtskurs, der die Existenz der Or-ganisation gefährdet. In Münster undGera gab ihr Votum den Ausschlag.Verbal äußert sie sich durch einigeihrer Führer, so Dehm und Porsch,nicht aber als Gruppe. Der bekanntePolitökonom Harry Nick rechnet sichdem Zentrum zu und hat diesen Be-griff, meines Wissens erstmals, am 8.11. in einem Artikel der „jungenWelt“ über die Parteisituation insSpiel gebracht. Es ist falsch, Existenzund Wirken dieser wohl stärkstenPDS-Gruppe zu ignorieren oder zuunterschätzen, wie es zeitweise auchmeinerseits geschah.

Gleich der Partei insgesamt hatauch die Parteilinke lange Zeit ver-sagt. Zu sehr mit sich selbst beschäf-tigt, unterstützte sie Gewerkschaften,Arbeitslose, Alleinerziehende, Haus-frauen und Rentner, antifaschistischeGruppen, Attac und die InitiativeBerliner Bankenskandal nicht oderungenügend. Sie nimmt kaum nochan der Erörterung wichtiger strate-gisch-taktischer Fragen teil und übtnur geringen Einfluss aus. Damit bie-tet sie auch keine Gewähr dafür, dassGenossInnen der Mitte nichtnochmals auf die Rechte hereinfallen,der eigene Flügel sich abkapselt undals politische Kraft stirbt. Zwar ist dievon Neostalinisten herrührende Irri-tation, die sich nach Gera in der For-derung „Zurück zur Partei neuenTypus’“ äußerte, derzeit geringfügig.Es fehlt aber der demokratisch-sozi-alistischen Linken an marxistischerTheoriearbeit, einer Feststellung derPunkte, in denen sich die verschiede-

nen Gruppen einig oder uneins sind,sowie an Kooperationsbereitschaft.Obwohl die Möglichkeit zur Einfluss-nahme nach dem rechten Desasterund angesichts der katastrophalerwerdenden nationalen und interna-tionalen Entwicklung eher gewach-sen ist, bleiben sie und der neuer-dings verstärkte Unwille über dieHerrschenden ungenutzt, bleibt dieLinke passiv, statt in die Offensive zugehen.

Ändern muss sich die PDSinsgesamt. Soll sie nicht wieder insSchlingern und in den Sumpf gera-ten, bedarf es ernster sachlicher Aus-einandersetzungen, einer Klärungdessen, was war und was daran falschwar, der Neubestimmung der Partei-strategie. Nach außen ist wieder en-ergisch gegen den neoliberalen, anti-demokratischen und kriegstreiberi-schen Kurs politischer Widersacheranzugehen. Das Parteiprogramm von1993 darf nicht, wie Pseudo-Moder-nisierer in der PDS das wollen, in denOrkus geworfen und durch einschlechteres ersetzt werden. Es istaber insofern revisionsbedürftig, alsder brutalere neue Raubtierkapitalis-mus dringend der Analyse bedarf,damit er wirksam bekämpft werdenkann, und jene Chancen ergründetwerden müssen, die sich durch dieinternationalen gesellschaftlichenBewegungen für das Zusammenge-hen aller antiimperialistischen Kräf-te in den Kernfragen ergeben. DiesesBündnis ist wichtiger als die Wieder-gewinnung verlorener Parlamentssit-ze und Posten für die Partei, obwohlauch das versucht werden muss.Fehlentwicklungen auf parlamenta-rischer Ebene und durch das Mitre-gieren eigener Opportunisten unterfremdem Kommando haben sich bit-ter gerächt. Sie sollten fortan vermie-den werden. Amts- und Mandatsträ-ger, die gleichermaßen sitzfest wie fürdemokratisch-sozialistische Politikungeeignet sind, sind nicht wieder zunominieren. Die noch agierendensollten abgelöst, mindestens am wei-teren Unheilstiften gehindert werden.So könnte der Plan aussehen, der zuverwirklichen ist, damit Gera denAnfang einer dringend notwendigenWende in der PDS und nicht den desEndes dieser Partei darstellt.

B. M., Mitte November 2002

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Der Zustand einer kom-munistischen Gruppeist weitgehend be-

stimmt vom Zustand der bestehen-den bürgerlichen Gesellschaft. An-schwellende soziale Bewegungensind der Resonanzboden, den Sozia-listen benötigen, um sich zu entfal-ten und vermehren zu können. DerNiedergang der Arbeiterbewegungist auch ihr Niedergang, der Verlustdes Klassenbewusstseins, ist auch derVerlust einer greifbaren sozialisti-schen Perspektive. Trotz der Kriegenach der Wende, trotz des bevorste-henden Krieges gegen den Irak, trotzneoliberaler Infragestellung aller Le-benssicherheiten, vor allem der Ar-beitsplatzgefährdung, sehen die Mas-sen ihr – in der Regel noch befriedi-gendes – gesellschaftliches Sein nochnicht so erschüttert, daß daraus An-sätze einer Rebellion entstehen könn-ten. Im Gegenteil, ihre Inaktivität läßtdas politische Leben und die Gewerk-schaften immer mehr verkommen.Neuen Widerstand gibt es von denGlobalisierungskritikern, die meistnur eine weniger rücksichtslose Formder Globalisierung anstreben. Dasmuß nicht mit Kapitalismusgegner-schaft gleichgesetzt sein, die eineMinderheit unter ihnen vertritt.Jedenfalls ist diese nicht von jenerRelevanz, die sozialistische Gruppenin Deutschland beleben könnte. Jemehr der Neoliberalismus sich globalausbreitet und festigt (trotz aller Kri-senerscheinungen des Kapitalismus),je mehr sich die Übermacht und Welt-dominanz des US-Imperialismusdurchsetzt und je schlimmer sichGewalt und Kriegsbereitschaft zei-gen, bereit alles zu vernichten, was anrelevantem Widerstand aufkommt,um so deprimierender schlägt das aufdie übrig gebliebenen kommunisti-schen Kräfte zurück. Für einen Erfolgdes eigenen Strebens gibt es im Zei-chen einer noch fortschreitendenRechtsentwicklung nicht einmal Lichtan Ende des langen Tunnels. Aus-sichtslosigkeit lähmt und fördert dasAbsacken in die Inaktivität, obwohlgerade Marxisten immer behauptethaben, die Dialektik der Geschichtenicht zu vergessen: Nichts bleibt ewig

und nichts bleibt wie es war, alles ist stän-dig in Fluß, auch wenn es oft langer Zeit-räume bedarf, bis sich die Verhältnisseändern. Die Menschheit mußte schonmehrmals in der Geschichte Periodenbleierner Zeit durchmachen, wo allesaussichtslos erschien. Wir dürfenaber nie vergessen, daß Neuanfängenur möglich sind, solange die Funkennicht völlig verglühen und Wider-standskader – oft über Generationenhinweg – es verstanden haben, sichzu erhalten. Nicht so sehr das hierund heute, sondern die Pflege dieserGlut bleibt die schwere Aufgabe derkommunistischen Kerne in Deutsch-land, bleibt Aufgabe auch unsererkleinen Gruppe. Dafür sind wiederumdie Reibungen und Einmischungenam hier und heute unentbehrlich. DiePriorität besteht allerdings darin, dasGeschichts- und Klassenbewußtseinnicht völlig verlöschen zu lassen.

Unter diese Bedingungen fandam 26. / 27. Oktober in Nürnberg die32. Jahreskonferenz der Gruppe Ar-beiterstimme statt. Wie auch in denletzten Jahren war eine Anzahl vonGruppenmitgliedern und Sympathi-santen – teilweise von weit her – zu-sammengekommen, um über aktuel-le Themen zu diskutieren und zu er-fahren, wie es um die Gruppe steht.Einige Genossinnen und Genossenkonnten aufgrund von Krankheitoder Terminüberschneidungen nichtan der Konferenz teilnehmen. DieAnzahl der Teilnehmer und Teilneh-merinnen entsprach der der letztenJahre. Erfahrungsgemäß war die per-sonelle Resonanz am Samstag größerals am Sonntag. Die vorgeschlageneTagesordnung wurde von der Ver-sammlung angenommen und ent-sprechend umgesetzt. Am Samstagstanden folgende Themen auf demProgramm:

Bericht und Diskussion zurGruppenlage. Neuwahl der Re-daktion

Diskussion über die innenpoli-tische Lage.

„Wohin steuern die Gewerk-schaften?“ (u.a. IGM-Zukunftsde-batte)

„Arbeitslosigkeit – was tun?“Ursachen der Arbeitslosigkeit /

Lösungen im Kapitalismus ?/Ge-genmaßnahmen / Absenkung derLöhne und Sozialleistungen?

Für den Sonntag waren vorge-sehen:

Diskussion um den kommen-den Irakkrieg.

„Die Blair-Regierung, der Irak-krieg, die Linke und die TradeUnions“.

Wir drucken die Referate wieimmer in leicht geänderter Form imAnschluß ab. Aus dem Bericht überdie Lage der Gruppe werden mancheEinzelheiten, die ins Detail gehen undfür den inneren Kern der Gruppe be-stimmt sind, weggelassen.

Wie schon in den Vorjahren be-schrieben, ist unsere personelle Lageaufs äußerste angespannt. Das betrifftvor allem die Zeitungs-, Umbruchs-und Redaktionsarbeit in Nürnberg,die im Kern von drei Genossen ge-tragen wird. Nach wie vor lassen sichfür den Versand und für andere Auf-gaben einige Genossinnen und Ge-nossen mobilisieren. Doch es bleibtder Zwang zur Improvisation undeine fruchtbare Diskussionsarbeitkann nur in Ansätzen geleistet wer-den. Auch die Monatstreffen werdenmeist aus dem Stegreif bestritten.Positiv ist hierbei weiterhin, daß dazueinige Genossen jeden Monat denweiten Weg nach Nürnberg in Kaufnehmen.

Wir hatten im Mai wieder einWochenendseminar mit den Grup-pen International Landshut und Dor-fen veranstaltet, eine in unseren Au-gen für beide Seiten fruchtbare Ver-anstaltung, die wir auch im nächstenJahr fortsetzen sollten.

In Richtung Zusammenarbeitmit anderen Gruppen hat sich im Be-richtszeitraum nichts ergeben. Das istnach wie vor schwierig.

Die „Arbeiterstimme“, als Ver-mittlerin unserer politischen An-schauung, steht nach wie vor im Mit-telpunkt unserer Arbeit. Daß wir dieuns selbst gesteckte Aufgabe, die re-gelmäßige Herausgabe bewältigenkonnten, gleicht manchmal einemMarathonlauf, an dessen Ende wirerschöpft zurück bleiben.

Auch die finanzielle Lage der

Die Jahreskonferenz unserer Gruppe

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Arbeiterstimme1818181818 Winter 2002

Gruppe ist sehr angespannt. Wir ha-ben einen Schwund an Abonnemen-ten, Abozahlungen, Beiträgen undauch am Spendenaufkommen zu ver-zeichnen. Wie schon angesprochen istdies auch Ausdruck des weiterenNiedergangs der Linken, des Alte-rungs- und Ausscheidungsprozessesunserer Anhänger- und unserer Le-serschaft, bzw. des weitgehendenFehlens von Neuzugängen jüngerenAlters. Andererseits ist das KapitelAltgenossen und ihre Hilfe nun leiderendgültig abgeschlossen.

Die Unkosten und Verteuerun-gen halten sich noch in Grenzen, ob-wohl die Post die Jahresgrundgebüh-ren vor zwei Jahren rigoros erhöhthat.

Der Verkauf unserer Broschü-ren ist ebenfalls stark zurückgegan-gen. Wir haben uns auch bei der„Brandler-Biographie“ und der Neu-auflage der KPO-Geschichte „Gegenden Strom“ engagiert, indem wir unseinen Vorrat davon anlegten. Eine1000 DM-Spende eines Genossenmachte dies möglich.

Trotz allem mußten wir in un-serer politischen und praktischenAufgabenbewältigung keine weite-ren Abstriche machen. Das warallerdings nur dadurch möglich, daßwir stark an unseren Reserven knab-bern mußten.

Es ist festzustellen, daß dieGruppe zur Zeit nicht mehr in derLage ist, ihre politische Arbeit, alsovor allem die Herausgabe der Zei-tung, selbst zu finanzieren.

Hier sei wieder einmal an dieZahlungsmoral und die Spendenbe-reitschaft unserer SympathisantInnenund LeserInnen appelliert: Unter-stützt uns auch weiterhin, damit wirwenigstens auf finanziellem Gebietein wenig Spielraum haben und nichtauch hier mit dem Rücken an derWand stehen. Nur so können wir dieArsti in der gewohnten Qualität undauch Quantität herausgeben.

Allen Spenderinnen und Spen-dern gilt unsere Anerkennung undunser Dank!

Als Erfolg dieses Jahres ist es zusehen, daß die Broschüre zum spani-schen Bürgerkrieg in erweitertemUmfang neu aufgelegt werden konn-te. Die umfangreichen Arbeitenhierzu erbrachten Genossinnen undGenossen aus dem Münchner Kreis,denen an dieser Stelle unser Dank

gezollt werden soll!Die Herausgabe des Buches ist

eine dringende politische Notwen-digkeit, um die vorherrschende stali-nistische Deutung zu widerlegen undder anhaltenden Verleumdung derPOUM entgegenzutreten. DieseFunktion hat uns bisher kaum je-mand abgenommen und es befriedigtschon, daß die Gruppe dazu noch dieKraft hat.

Vom 24.–26.1.03 findet in Nürn-berg die 7. Linke Literaturmesse statt.Hier treffen sich linke Verlage aus dersozialen Bewegung, der Friedensbe-wegung, der Internationalen Solida-rität, des Antifaschismus usw. Wirwurden schon jedes Jahr eingeladen,hatten aber immer absagen müssen.Diesmal fanden sich Genossen, dieden Stand betreuen, so daß wir unsmit der Neuauflage des Buches dar-an beteiligen. Natürlich werden wirmit unserem gesamten Sortiment anBüchern und Broschüren vertretensein.

Zusammengefaßt läßt sich trotzder negativen gesellschaftlichen Rah-menbedingungen feststellen, daß dieGruppe auch im Berichtsraum Erfol-ge zu verbuchen hatte. Das spiegeltesich dann auch bei der Entlastungund der Neuwahl der Redaktion wi-der, die einstimmig erfolgten. So ha-ben wir auch diesmal wieder den or-ganisatorischen Rahmen unsere Ar-beit fortzusetzen, was in diesenschwierigen Zeiten und bei den herr-schenden Bedingungen kein Zucker-schlecken werden wird.

Unter den heutigen Umständenmuß uns klar sein, daß die Phase desNiedergangs der marxistischen Lin-ken noch nicht beendet ist. Sie gehtweiter, was man auch am politischenZersetzungsprozess der PDS sieht.Man sieht es auch an den schwinden-den Aktivitäten in den kommunisti-schen Gruppen und an ihren Schwie-rigkeiten weiterhin nach außen wir-ken zu können. Die meisten kämpfendarum, ihre sozialistischen Publika-tionen im bisherigen Umfang auf-recht zu erhalten. Nicht nur unserewinzige Gruppe ringt ums Überle-ben. Auch Organisationen wie dieDKP, der immer noch 3–4000 Mitglie-der angehören (früher 40 000) stehtdas Wasser am Hals. Ist der prakti-sche Einfluß kommunistischer Grup-pen in Deutschland den Verhältnis-sen entsprechend sowieso gering,

wird dieser desolate Zustand amsichtbarsten in der Gefährdung ihrerPublikationsmöglichkeiten. Vor allemdie finanzielle Erdrosselung durchdas bisherige Umfeld, bzw. durch ih-ren gehabten Sympathisanten- undLeserkreis ist die Ursache. So muß-ten sich kürzlich die Verantwortli-chen der UZ mit einem dringendenAufruf an ihre Anhänger wenden, dadie Zahlungsfähigkeit des Verlagsnicht mehr gesichert war. Auch an-dere kleinere Gruppen, von der VVN-Antifa bis hin zu trotzkistischenGruppen, geht es ähnlich. Wenn derPDS nach ihrem Auszug aus demBundestag die Staatszuschüsse gestri-chen werden, sind mehr als 100 linkePublikationen und die Rosa-Luxem-burg-Stiftung gefährdet.

Kommunisten, nicht nur inDeutschland, leben in äußerstschlechten Zeiten. Statt Wind in denSegeln zu haben bläst uns der neoli-berale Zeitgeist ins Gesicht. Wir sindnoch nicht am Ende der Talfahrt an-gelangt. Wir können diese Zeiten nurüberstehen, wenn wir allen objekti-ven Bedingungen zum Trotz zusam-menhalten, auch wenn wir nahezuganz auf uns selbst zurückgeworfenwürden.

Immerhin: Wir können auchangesichts der aufgezeigten Rück-schläge und Schwierigkeiten alsGruppe im kommenden Jahr wiebisher weiterarbeiten. Das ist für unsals kommunistische Gruppe wichtig,mag die Zukunft des Sozialismusauch noch in weiter Ferne liegen.

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Es war keine Überra-schung, daß fast 96% fürdie Kapitalistische Ein-

heitspartei und ihre Fraktionen ge-stimmt haben, wobei die radikalste,die FDP, sogar etwas zugenommenhat. Alle sind auf neoliberalem Bo-den, sind Vertreter der Globalisie-rung. Die geringere Wahlbeteiligung– 3% - drückt zum Teil aus, (79,1), daßes für manche Wähler nichts auszu-wählen gab. Fast 2 Millionen PDS-Wähler, wurden durch das undemo-kratische Wahlrecht politisch ent-mündigt. Die 600 000 Stimmen Ver-luste der PDS sind eine schwere Nie-derlage der Linken insgesamt, auchwenn man sich als Kommunist deszwiespältigen Charakter dieser Par-tei bewußt ist. Die PDS und die zu-sammengeschrumpften Rechtsradi-kalen ( 900 000 ) sind zum beträchtli-chen Teil durch die gewaltige Polari-sierung im Wahlkampf (Schröder –Stoiber- Duell) ins Mark getroffenworden. Rechtsaußen-Sympathisan-ten gingen ins Stoiber-Lager, vieleehemalige PDS-Wähler zu den Grü-nen oder noch mehr zur SPD (im Os-ten 300 000).

Die Wahl wurde hauchdünnentschieden, durch 6 000 Stimmen,letztlich durch die SPD-Überhang-mandate. SPD und Union lagen fastgleich, bei 38,5%, obwohl die Mehr-heit der Kapitalistenklasse dem Stoi-ber-Lager den Vorzug gegeben hat-te. Gleich welches Lager den Überbaubestimmt (wobei der Spielraum mi-nimal ist) - leben, bzw. Profit machenkann die kapitalistische Klasse so-wohl mit einer Schröder-Regierungwie mit einer Stoiber-Regierung. Fürdie Linken war es nicht ganz einer-lei, ein Sieg Stoibers hätte der Rech-ten (bis rechts außen) Auftrieb gege-ben, die in noch größerer Allianz mitBush, Berlusconi und Chirac stehen,welche sich immer mehr von der bür-gerlichen Demokratie verabschieden.

Wäre es nach der schwierigenWirtschaftslage und der kritischen

Arbeitsmarktlage gegangen, hätte diebisherige Regierungskoalition dieWahl verloren. Die Flutkatastropheim Osten und die eindeutige Stel-lungnahme gegen den Irakkriegbrachten den Umschwung. Das zeigtauch die Oberflächlichkeit der Wäh-ler. Zudem machte die SPD wieder inalter Sozialdemokratie, da sie merk-te, daß viele Stammwähler zuhausebleiben wollten. Bei den Flutbetrof-fenen spielte sich die Schröder-Regie-rung als großer Macher auf, der Geldzu verteilen hatte. Dies und die nam-hafte Solidarität aus dem WestenDeutschlands (220 Millionen Spen-den) durchbrachen den Ost-West-Gegensatz, was der PDS dort Stim-men kostete, die die SPD gewann. Dieangebliche Kriegsgegnerschaft vonSPD und Grünen kam vor allem derSPD im Osten zu Gute (auf Kostender PDS und der CDU) und den Grü-nen im Westen, die sich auch in ihrerökologischen Politik bestätigt fühltenund so ihre Wähler doch noch mobi-lisieren konnten. (8,6%, statt 6,7) dritt-stärkste Fraktion. Die CSU feiertezwar ihren Zuwachs in Bayern (einPlus von 1 Million Stimmen), dieCDU aber mußte sich mit dem dritt-schlechtesten Ergebnis ihrer Ge-schichte abfinden und kam im Ostennicht über 29%. Den Westen, Nordenund Osten Deutschlands konnte Stoi-ber nicht für sich einnehmen. Da halfes auch nicht viel, daß Stoiber verbaldie SPD links zu überholen versuch-te, mit seinen Stellungnahmen gegen

das große Kapital, für die Kleinenund den Mittelstand. Sein Füllhornfür die Kinderreichen blieb angesichtsder leeren Kassen unglaubwürdig.Der politische Purzelbaum der Ge-werkschaften, die in der letzten Pha-se des Wahlkampfes die SPD massivunterstützten trotz deren unterneh-merfreundlichen Politik – hatte wohlnicht die erhoffte Wirkung. In Bay-ern jedenfalls wählte die Mehrzahlder Gewerkschaftsmitglieder die Re-gionalpartei CSU, in Baden-Württem-berg, Rheinland-Pfalz und Sachsendie CDU.

Die FDP (plus 1,2%) die sichnoch im Wahlkampf größenwahnsin-nig und skurril gebärdete, hatte denFehler gemacht, sich nicht im Vorausauf den Koalitionspartner Union fest-zulegen. Sie hatte wohl die Illusionsich meistbietend verkaufen zu kön-nen. Damit fehlten ihr die üblichenLeihstimmen potentieller Unions-wähler. Dies und ihr innerparteilichesZerwürfnis sorgten dafür, daß ihrErgebnis weit unter dem selbstge-stellten Ziel von 18% blieb. Wie schönfür uns, daß die FDP sich nundraußen vor der Regierungstür befin-det.

Eine Regierung desSozialabbaus undWeiterwurstelnsBevor wir auf die Niederlage

der PDS eingehen, ein Blick auf denneuen Bundestag und die neue Re-gierung. Im Bundestag gibt es eine

Die Bundestagswahl und dieinnenpolitische Lage nach Bildung derneuen Regierung

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Arbeiterstimme2020202020 Winter 2002

men weniger erhalten, allein im Os-ten ein Minus von 560 000, das istmehr als eine Wahlschlappe. In Meck-lenburg-Vorpommern war es amschlimmsten: von 257 464 auf 158 913(Holter-PDS). So hat die PDS in Meck-lenburg-Vorpommern und in Sach-sen-Anhalt 31 % ihrer Wähler verlo-ren. Besonders erschreckend ist, daßim Osten nur 4 % der Erstwähler fürdie PDS votierten. Insgesamt sindnicht weniger als 24% ihrer bisheri-gen Wähler zuhause geblieben oderhaben neoliberale Parteien gewählt!Welch schwankender Boden, derzeigt, daß die Misere der PDS nichtnur in einer rechtsabwanderndenFührungsclique zu suchen ist. (ZurPDS siehe auch den Artikel „PDSWahldebakel und Parteitag“ auf Sei-te 11)

Der Parteitag von Gera –eine ZwischenstationDer Schock in der PDS war un-

geheuer. Im Juni waren der Parteinoch 6% vorhergesagt worden. Des-halb gelang es auch der Parteihierar-chie auf dem Parteitag in Gera nichtdie Vorsitzende Zimmer zu stürzenund die Partei noch mehr nach rechtsin Richtung Sozialdemokratisierungzu drücken. Zumindest ist erst einmaleine Atempause eingetreten, bis sichdie Postenhuber und Politstarswieder sammeln. Vorerst haben sichdie Linken und Halblinken durchge-setzt, die Ursachen für das Wahlde-bakel lagen ja auch zu offensichtlichim bodenlosen Opportunismus derBartsch, Gysi, Brie, Holter usw. DieRechtsreformisten wollten Frau Zim-mer – die Integrationstante, wie siesie nannten – weghaben. Als das nichtgelang handelten sie nach dem Mot-to: Entweder wir kriegen die Mehr-heit in der Partei oder wir verweigerneine Mitarbeit. Die Claus, Pau, Sitte,Holter, Marquard und Kaufmann tra-ten gar nicht mehr zu Kandidatur an.Die Vorsitzende hatte den „Opportu-nismus“ für die Niederlage verant-wortlich gemacht, besonders prakti-ziert in Mecklenburg-Vorpommernund in Berlin. Die PDS habe im Bun-desrat Schröders Rentenreform undSteuerreform durchgebracht. DasProfil der Partei sei verloren gegan-gen. Es ginge aber darum, wiedereine Linie der „Gestaltenden Oppo-sition“ zu beschreiten, eine Aussage,die ziemlich vage ist. Andere Kritiker

knappe Mehrheit für die neue Koali-tion. Bei brisanten Entscheidungensind vier Stimmen nicht viel, befin-den sich bei dieser Mehrheit vier lin-ke Grüne und der direkt gewählteChristian Ströbele, der schon ange-kündigt hat, nur seiner Basis verant-wortlich zu sein, die ihn gewählt hat,sonst niemandem.

Andererseits besteht immernoch eine unionsbestimmte Mehrheitim Bundesrat, die vieles blockierenkann. Für die rosa-olivgrüne Regie-rung muß es deshalb eine der drin-gendsten Ziele sein, bei den viernächsten Landtagswahlen im Jahr2003 eine Änderung herbeizuführen.Der Koalitionsvertrag, der in etwadas Regierungsprogramm darstellt,sieht danach aus. Die schlimmstenGemeinheiten werden bis nach denLandtagswahlen aufgeschoben, vorallem die sogenannte „Reform“ desGesundheitswesens und die Renten-„Reform“. Angesichts des ach soplötzlich entdeckten Finanzlochs, von15 Milliarden € (30 Mrd. DM) und derÜberschreitung der Brüsseler 3%Grenze hieß deshalb die Hauptlinie:Feuerwehr spielen mit maßvollenBelastungen und vorerst rundumweiterwursteln. Alles Brisante bleibtin der ersten Phase ungelöst: Der dro-hende Bankrott der Kommunen, diesich forstsetzende Finanzkrise desBundes, der Länder und der Kommu-nen, die kommende Belastung durchdie EU-Osterweiterung und dieMehrkosten für die Bunderwehrbe-satzungsstreitkräfte in Afghanistanund auf dem Balkan. Ein triftigerGrund, sich aus der Komplizenschaftim kommenden Irakkrieg herauszu-winden, ist auch die Horrorvorstel-lung, an die Vormacht USA dafür Tri-butzahlungen in bisher beispielloserHöhe zahlen zu müssen. Der Finanz-plan in Berlin wäre nur noch Maku-latur, von den wirtschaftlichen Aus-wirkungen auf die Exportnation ganzabgesehen. Die Folgen für die Regie-rungsparteien wären politisch unü-bersehbar. Beim nun bestehendenKräfteverhältnis in der Welt ist esmehr als zweifelhaft, ob sie sich dawirklich heraushalten können. Wennnicht könnte dieser Golfkrieg die in-nenpolitische Szene in Deutschlandvon Grund auf verändern. Da hättedann auch die PDS eine neue Chanceaber mehr noch mehr noch dieRechtspopulisten.

Schröder hat eine ganze AnzahlMinister ausgewechselt und meistdurch altgediente Kämpen ersetzt.Einmal wollte er wohl damit einenNeubeginn vorgaukeln und gleich-zeitig sicher sein, daß er nicht wiederzu jener Pfuschphase kommt wie1998. Einer davon scheint wie ge-klont. Superminister Clement ähneltSchröder, nur ist er noch aggressiverund rücksichtsloser. Clement ist einSignal an das Kapital, eine Drohungfür Gewerkschafter, Linke und allesozial eingestellten Menschen. SeineAufgabe sollte die Umsetzung derHartzpläne – eins zu eins sein, wieverlangt – ein Konzept das ein Mi-schung von Reaktionär und Seifen-blase beinhaltet. Seine antisozialeStoßrichtung hat er bereits angekün-digt: Einen „sozial deregulierten, fle-xibleren Arbeitsmarkt“. Den Arbeits-losen werden 1,3 Mrd. € nächstes Jahrabgezwackt, der Bundesanstalt fürArbeit 4 Mrd. Die Grünen sindwieder einmal politisch schlecht weg-gekommen. Sie haben ja auch keineWahl mehr. Wen verwundert es danoch, daß sie sogar den Affront Ob-righeim geschluckt haben?!

Die Gewerkschaften stehenweithin zu den neuen Regierungs-maßnahmen. Als positiv sehen sie dieneue Konzernbesteuerung, striktereSteuerüberwachung, das Ganztags-schulkonzept, Krippenplatzbeschaf-fung, die Umweltpolitik usw. Sie wer-den sich noch wundern was kommt,geht es erst mal mit der Erfüllung derAufgabenstellung los, die von derKapitalistenklasse eingefordert wird.

Nun zur Linken in Deutschlandnach der Wahl. Das heißt vor allem,wie steht es um die Zukunft der ein-zigen gesellschaftlich relevantenLinkspartei PDS? Die Deprimierungunter den Linken, auch unter Kom-munisten ist groß. Es geht nicht nurdarum, daß die PDS mit ihren 4% denWiedereinzug in den Bundestag nichtgeschafft hat, denn die parlamenta-rische Bedeutung ist unter den Lin-ken umstritten. Die Erfahrungen dies-bezüglich waren ja zwiespältiger Art.Trotz allen Einwänden, die Zukunftder Linken in Deutschland ist auchein Stück Zukunft der PDS. Die Wahl-niederlage hat auch die Oberfläch-lichkeit von beträchtlichen Teilen ih-res Resonanzbodens – vor allem inder Ex-DDR - aufgezeigt. Die PDS hatim Vergleich zu 1998 ca. 600 000 Stim-

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Der erste große Schlag imstrategischen Vorgehendes Kapitals war 1986

die Änderung des Arbeitsförderungs-gesetzes (AFG). Mit der Verschlech-terung des §116 des Gesetzes wurdedie Streikfähigkeit der Gewerkschaf-ten erheblich eingeschränkt. EinStreik ist seit dieser Zeit ein existen-zielles Risiko für die IG Metall.

Weitere Angriffe und Einschnit-te in das soziale Netz folgten, auf diedie Gewerkschaften ebenfalls keinekonsequenten Antworten - nämlichdie massenhafte Mobilisierung derWerktätigen - fanden. Sie verharrtenin ihrer staatstragenden Traditionund orientierten ihre Klientel nichtauf Kampf, sondern auf die Sozialde-mokratie.

Mit einer massiven materiellenUnterstützung der SPD wurde dannauch 1998 die Regierung Kohl abge-wählt. Im DGB hatte man sich erhofft,daß wieder der soziale Ausgleich deralten Bonner Republik hergestelltwird. Für den DGB hieß das, wie imWahlkampf propagiert, Bekämpfungder Massenarbeitslosigkeit und Her-stellung von „sozialer Gerechtigkeit“.

In der Sozialdemokratie dachteman aber überhaupt nicht daran, andem neoliberalen Kurs der Vorgän-gerregierung etwas zu ändern. ImGegenteil: Schröder trieb diesen Kurs,

nach Vorbild der britischen Labour-Party energisch weiter. Erinnert sei andas Schröder-Blair-Papier von vordrei Jahren, mit der die SPD zu New-SPD gemacht werden sollte. Außerdem verhaltenen Protest von man-chen Gewerkschaftsspitzen war dazuallerdings nichts zu hören. Ein Bruchmit der Sozialdemokratie, eigentlichlogische Konsequenz angesichts deroffen angekündigten Präferenz desKapitals gegenüber dem Faktor Ar-beit, war außerhalb aller Vorstel-lungsmöglichkeiten der Gewerk-schaftsvorstände.

In der Folge war ihre Linie „me-ckern und mitmachen“. Auf keinenFall wurde an die Mobilisierung derMitgliedschaft gedacht. So war dasbei den Kriegen in Jugoslawien undAfghanistan oder bei dem neolibera-len Umbau des 100-Jahre-alten Ren-tensystems in Deutschland. Durchdas Einbinden der Gewerkschaften indas „Bündnis für Arbeit , Beschäfti-gung und Wettbewerb war es demKapital und dessen Statthalter Schrö-der gelungen, die Gewerkschaftenauch an die lohnpolitische Kandarezu nehmen. Vor allem bei der IG Me-tall gab es, wenn dieser Vorwurf er-hoben wurde immer heftige Demen-tis. Doch ist es ein Fakt, daß die Tarif-abschlüsse in den letzten Jahren fastpunktgenau bei dem Wert landeten,

Wohin steuern dieGewerkschaften?Seit den späten 80er Jahren befinden sich die deutschen Gewerkschaften inder Defensive, auf die sie keine Antworten haben. Sprachlos stehen sie derStrategie der Kapitalisten gegenüber, die sie mit immer neuen neoliberalenPolitikansätzen in ihren Handlungsspielräumen einengen. Besonders starkvon der Entwicklung ist die IG Metall betroffen, die als größte deutscheIndustriegewerkschaft die tarifpolitische Lokomotive des DGB ist.

wurden deutlicher. Die PDS habe sichüberflüssig gemacht als „Westenta-schenreserve“ der SPD. Sie sei auchnicht mehr wie früher eine Partei fürden Alltag und am Puls der sozialenBewegungen. Die Wut über den-Waschmittelwahlkampf war allge-mein.

Aber auch die alte und neueVorsitzende wusste so recht keinenRat, wie es weitergehen sollte: „Eshaben uns auch bislang nicht Alter-nativen gefehlt, aber sie sind zu we-nig handhabbar“, auch stellte sie ein-deutig klar, „sie habe keinesfalls alsBündnispartnerin“ von „Fundamen-talisten“ gehandelt. Viel mehr someinte Zimmer „haben wir einenKonflikt innerhalb des Reformla-gers“. Der Drahtseilakt wird alsoweitergehen. Demgemäß wurde auchWolfgang Gehrke in den Parteivor-stand gewählt, und es gibt schonStimmen, die verlangen, es gehe nundarum, die Boykotteure wieder zurParteiarbeit zurückzubringen. Voneiner Wende kann auch nach dieserNiederlage keine Rede sein. Die„Rechten“ in der Partei werden nichtaufgeben. Aufgeschoben ist nicht auf-gehoben. Diejenigen, die landauflandab Pöstchen bekleiden und jene,die praktischen Erfolgserlebnissennachjagen und Beifall von untenbrauchen, werden keine Linkswendezulassen. Auf dem Parteitag hattenzwar 70% für Zimmer gestimmt, aberGegenkandidat Claus hatte immerhin24% Zustimmung erhalten, trotz derdurchgemachten Misere. 30% stan-den also nicht hinter der Integrations-vorsitzenden Zimmer. Das „NeueDeutschland“ schrieb spöttisch voneinem Machtkampf zwischen „Rea-los und Realissimos“. Im letzten„Freitag“ war zu lesen: „Verbaler Ra-dikalismus auf der einen Seite undprinzipienloser Reformismus auf deranderen Seite – wer sich auf dieseAlternative einlässt, hat schon verlo-ren.“ Das wird ungefähr die Liniesein, die zu finden die neue Partei-mehrheit anstrebt. Die VorsitzendeZimmer ist dafür, „alles zu nutzen,vom Protest auf der Straße bis zumMitregieren“.

Das grundlegende Dilemma ei-ner linken Wahlpartei in einer bürger-lichen Gesellschaft ohne Begleitungdurch eine relevante soziale Bewe-gungen ist wieder einmal deutlichgeworden.

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den der Sachverständigenrat als „ver-nünftig“ vorgegeben hatte.

Anpassung führte zurSchwächungMit dieser Anpassungspolitik

gerieten die Gewerkschaften mehrund mehr in Widerspruch zur Inter-essenslage ihrer Mitglieder. Derenmaterielle Lage war durch die staat-lichen Einschnitte, durch die Umver-teilungspolitik von unten nach obenund durch die niedrigen Lohnab-schlüsse deutlich schlechter gewor-den.. Das hatte Konsequenzen. DieGewerkschaften verloren massiv Mit-glieder. Alleine in der IG Metall wares eine zeitlang dramatisch. Sie ver-lor monatlich bis zu 20 000 Mitglie-der, was im Grund genommen einerganzen Verwaltungsstelle entsprach.

Solche Entwicklungen schreck-te natürlich die Gewerkschaftsspitzenauf. Hektik und Lähmung war dieReaktion. Daß es eine Dialektik zwi-schen ihrer Politik und der Mitglie-derentwicklung gab, waren sie nichtin der Lage zu erkennen. Das Pro-blem ließ sich auch einige Jahre ka-schieren. Die Einverleibung der DDRin die BRD führte den Gewerkschaf-ten 100 tausende neue Mitglieder zu.Aber das war nur eine vorübergehen-de Entspannung. Der Niedergang derOstindustrie, der gewerkschaftlichnicht zu verhindern war, ließ daskurzfristige Mitgliederpolster weg-schmelzen, wie den Schnee in derMärzensonne. Dadurch waren dieGewerkschaften jetzt gezwungen ge-genzusteuern und zu handeln. Hät-ten sie nichts getan, wäre zu berech-nen gewesen, wann einzelne Gewerk-schaften vor dem finanziellen „Aus“gestanden hätten. Wir haben deshalbin den 90er Jahren große Strukturver-änderungen in den einzelnen Ge-werkschaften und zwischen den Ein-zelgewerkschaften erlebt. Es gab Zu-sammenschlüsse von Verwaltungs-stellen und Bezirken innerhalb derEinzelgewerkschaften bis hin zu Ge-werkschaftsfusionen, wovon diever.di-Gründung die bemerkenswer-teste war. Die Umstrukturierungenwaren ausnahmslos mit Personalab-bau im Apparat verbunden, was beimanchen Gewerkschaften undbesonders beim DGB bedeutet, daßdie Präsenz in vielen Regionen deut-lich schwächere, oder gar nicht mehrvorhanden ist.

Festzustellen ist, daß auf denMitgliederschwund in allen Gewerk-schaften nur administrativ reagiertwurde. Die Alternative wäre dasAgieren gewesen. Und zwar in derForm, daß man Strategien entwickelthätte, wie man im Verbund allerDGB-Gewerkschaften politisch in dieOffensive gegen die arbeiter- undangestelltenfeindliche Kapitalpolitikkommt. Aber natürlich ist es so, daßdie Anpassung an die Politik im Inte-resse des Kapitals ein solches Han-deln ausschließt.

Die einzelnen Gewerkschaftensuchen deshalb jetzt nach anderenWegen aus der Mitgliedermisere he-rauszukommen, ohne damit ihre Ko-operation mit der Bundesregierungund damit mit dem Klassengegneraufzugeben.

Die Zukunftsdebatte inder IG MetallDie IG Metall hat zu diesem

Zweck seit drei Jahren eine sogenann-te Zukunftsdebatte begonnen. EinZukunftskongress, der vorläufigeHöhepunkt dieser Debatte, fand imJuni diesen Jahres in Leipzig statt.Klaus Zwickel fasste dort den Standder Debatte zusammen und meinte:“Keine Gewerkschaft, keine Partei,kein Verein oder Verband hat bishereinen vergleichbaren Prozeß gewagt,so viel Beteiligung ermöglicht undMitwirkung erreicht.“ Soviel zur Ein-schätzung des Vorsitzenden der IGMetall. Die Süddeutsche Zeitungkommentiert den Kongress so: „Bravsitzen die Metaller im Stuhlkreis. Dassei schön kommunikativ, hatten dieModeratoren die Gewerkschafter er-muntert. Und dann kommunizierensie“. Die ironische Kommentierungtrifft die Situation ziemlich genau.Der Kongress sollte den stattgefun-denen BeteiligungsProzeß und undden Stand der Diskussionen in denVerwaltungsstellen und Bezirken zurZukunft der IG Metall darstellen. Miteiner in den Betrieben durchgeführ-ten Mitgliederbefragung, wo diesenach ihren Wünschen und Zukunfts-vorstellungen befragt wurden, solltenso viele Kolleginnen und Kollegenwie möglich in diesen Prozeß einbe-zogen werden. So löblich der Ansatzist, die Mitglieder zu mehr aktiverMitarbeit zu motivieren, zu versu-chen deren Passivität zu überwindenund die Organisation in Besitz zu

nehmen, so löblich wäre es dann Bi-lanz über das tatsächlich Erreichte zuziehen. Und da muß man , im Gegen-satz zu Zwickel feststellen, daß dasUnterfangen nur bruchstückhaft ge-lungen ist. Auf den verschiedenenEbenen der Gewerkschaft wurdenvon den Mitgliedern und Funktionä-ren die Veranstaltungen als aufge-setzt empfunden. Mancherorts fandzu dieser Zukunftsdebatte überhauptnichts statt, oder es wurden ganz ein-fach Veranstaltungen die aus denNotwendigkeiten der Tagesarbeit er-forderlich waren mit der Überschrift„Zukunftsdebatte“ versehen.

Auch die Mitgliederbefragungstieß dort wo sie gemacht wurde beider Mitgliedschaft auf ein weitgehen-des Desinteresse, so daß sie nicht alsrepräsentativ betrachtet werdenkann.

Die gesamte Zukunftsdebatteentspricht zur Zeit also nicht den Be-dürfnissen der Mitgliedschaft undFunktionäre. Sie war und ist eineKopfgeburt des Vorstands und hatdie Mitgliedschaft nicht erreicht.

Das war auch auf dem Kongressin Leipzig feststellbar. Zwar wurdenviele Felder diskutiert auf denen esProbleme gibt mit denen Gewerk-schaften konfrontiert sind und dieauch nach einer gewerkschaftlichenAntwort verlangen. Aber es bestandkeine Bereitschaft diese Problemegrundsätzlich zu diskutieren, näm-lich, daß sie zu den Kennzeichen ei-ner kapitalistischen Entwicklung ge-hören. Auf dem Kongress wurdeschließlich ein sogenanntes Zukunfts-manifest verabschiedet. In ihm kannman Sätze finden wie: „Jedes Unter-nehmen trägt Verantwortung Ar-beitsplätze zu erhalten und neue zuschaffen.“. Alleine an diesem Satzwird deutlich welche Illusionen sichführende Funktionäre der IG Metallüber das kapitalistische System unddie Bourgeoisie machen. Wenn einsolcher Satz niedergeschrieben wird,reflektiert man nicht einmal mehr dietägliche gewerkschaftliche Erfahrungin den Niederungen des betrieblichenAlltags. Die Verantwortung die dortsichtbar wird gilt alleine den Profit-interessen der Kapitalgeber! Wenneine solche Banalität in einem Zu-kunftsmanifest ignoriert wird, wennim Gegenteil statt dessen an die sozi-ale Verantwortung von Unterneh-mern appelliert wird, dann zeigt das

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welchen Tiefgang ein solches Mani-fest hat.

Abschied von derArbeiterbewegungNur zur Tarifpolitik wurde in

Leipzig die Zukunft diskutiert.Allerdings war diese Diskussionnicht ein Resultat der Zukunftsdebat-te, sondern der zurückliegenden Ta-rifrunde.

Der Abschluss der jüngsten Ta-rifrunde in der Metall- und Elektro-industrie wurde von den Beschäftig-ten in den boomenden Teilen der In-dustrie, hauptsächlich in der Auto-mobil- und Zuliefererindustrie, alsviel zu niedrig diskutiert. Schon beider Forderungsaufstellung kam ausdem Bezirk Stuttgart der Vorschlageiner gespaltenen Forderung, die derErtragslage der Betriebe Rechnungtragen sollte. Hinter dem Vorschlagstand der dortige Bezirksleiter Ber-told Huber, der als möglicher Zwi-ckel-Nachfolger in der Diskussionsteht. Der Huber-Vorschlag hatte in-nerhalb der IG Metall im Frühjahrallerdings keine Chance. Einmütigwar die Haltung, daß gespaltene For-derungen und Abschlüsse das Endedes Flächentarifvertrages bedeutenwürde. Nur noch die starken, großenBelegschaften wären in der Lage sichdurchzusetzen. Die Schwachen wür-den auf der Strecke bleiben.

Zwickel benutzte jetzt den Kon-gress dieses Thema wieder in denMittelpunkt zu stellen „Vor dem Hin-tergrund des technischen Wandelsund des anhaltenden Mitglieder-schwundes sollte die IG Metall ihregesamte Politik auf den Prüfstandstellen“. Stillstand bedeute Rück-schritt meinte Zwickel. Dem kannman nur zustimmen. Allerdingsanders wie von Zwickel gemeint. Mitseinem Differenzierungsvorschlaglegt Zwickel nicht den Vorwärtsgang,sondern den Rückwärtsgang ein.Zum Glück stieß dieser Vorschlag aufheftige Gegenreaktionen. Trotzdemmuß der Versuch die IG Metall tarif-politisch neu auszurichten sehr ernstgenommen werden. Denn hinter derForderung zukünftig differenzierte,an den Erträgen der Unternehmenorientierte Lohnforderungen zu stel-len, stehen neben der BezirksleitungStuttgart auch die Betriebsratsfürstender Automobilindustrie. Die habenkeinen zu unterschätzenden Einflussin der Organisation. Das Düsseldor-

fer Handelsblatt kann deshalb bei derKommentierung des Kongresses sei-ne Genugtuung nicht verbergen undfrohlockt: „Immer mehr einflussrei-che Funktionäre bekennen sich offenzu Hubers Kurs“. Das gleiche Blattsieht darin, sicher nicht zu Unrecht,auch einen Machtkampf um dieNachfolge Zwickel´s und meint: „Pe-ters (stellvertretender Vorsitzende)passt die ganze Richtung der Zu-kunftsdebatte nicht. Doch der Mann,der im Oktober 2003 Zwickel beerbenmöchte scheut die offene Kritik.Schließlich muß er bis dahin seinenKonkurrenten Huber aus dem Ren-nen werfen“.

Andere dagegen scheuen dieKritik nicht. Insbesondere HorstSchmitthenner, ebenfalls Vorstands-mitglied, macht sich gegen die Zwi-ckel- Huber´sche Politik stark. Ersieht darin den Abschied von der Ar-beiterbewegung und kritisiert, daßhinter dem Zukunftsmanifest eineandere IG Metall steh, mit einem neu-en strategischen Ziel.

Aber auch Schmitthenner istnicht bereit die Politik der Gewerk-schaft grundsätzlicher auf den Prüf-stand zu stellen. So wichtig es ist, einevöllige Neuausrichtung der IG Me-tall im kommenden Jahr durch denPersonenwechsel an der Spitze zuverhindern, so wichtig wäre es dannauch, wenn man über die Zukunft derGewerkschaften nachdenkt, sich klarzu werden, welche Rolle man in die-sem kapitalistischen System hat, wiees sich in naher Zukunft möglicher-weise entwickelt und was dann imInteresse der Arbeiterklasse zu tun ist.

Die Widersprücheverschärfen sichWenn man von der Zukunft der

Gewerkschaften spricht, gehört dazu,daß man die zukünftige Entwicklungdes Kapitalismus analysiert wird.Bürgerliche Wissenschaftler gehenvon einer zunehmenden Globalisie-rung der Weltwirtschaft aus und lei-ten daraus neoliberale Deregulie-rungsforderungen ab. Sie stellen die-se Globalisierung als etwas völligNeues dar. Als eine Erscheinung, dieeine neue Qualität in den kapitalisti-schen Wirtschaftsbeziehungen dar-stelle.

Aber bereits für Karl Marx wardie Globalisierung des Kapitals einWesensmerkmal des Kapitalismus,

ein durch endogene Mechanismenbedingter Prozeß (MEW 7 S.272).Auch der marxistische Historiker EricHobsbawm bestreitet die These, daßdie Globalisierung eine neuartigeQualität in den internationalen Wirt-schaftsbeziehungen darstellt. In demBuch „Zeitalter der Extreme“ schreibtHobsbawm: „Die Geschichte derWeltwirtschaft seit der industriellenRevolution ist die Geschichte einesimmer schnelleren technologischenFortschritts, eines ständigen auchungleichmäßigen Wirtschaftswachs-tums und einer zunehmenden Globa-lisierung.“ Sie ist also nicht Neues.Trotzdem wird sie ideologisch vonden Kapitalisten so benutzt. Jede For-derung des Kapitals und des Staatesan die Werktätigen wird mit demSachzwang, der von der Globalisie-rung ausgehe begründet.

Die Globalisierung ist somit dieideologische Keule der Kapitalistenund gleichzeitig eine Nebelkerze, mitder die wirklichen Ursachen der heu-tigen wirtschaftlichen Entwicklungverschleiert werden. Nicht erkennbarwerden soll, daß sich fast alle kapita-listischen Ökonomien seit den 70erJahren in einer längerfristigen Akku-mulationskrise befinden. Die Krise istvorwiegend durch Nachfragemangelbedingt. Auf der einen Seite bestehtbei den wohlhabenden Schichten undKlassen eine relative Sättigung anGütern. Auf der anderen Seite Ein-kommensschwäche- und Kaufkraft-schwäche in breiten Bevölkerungs-kreisen. Dies bewirkt zusammen mitder Massenarbeitslosigkeit einen spi-ralenförmigen AbwärtsProzeß. Nach-fragerückgang bewirkt Beschäfti-gungsrückgang und dieser verschärftdas Nachfrageproblem usw, usf. Diedurch den technischen Fortschrittständig steigende Produktivität ver-stärkt außerdem den Widerspruchzwischen steigendem Produktions-Potenzial und der tatsächlichenNachfrage. Somit wird durchaus be-stätigt, was die Verfasser des Kom-munistischen Manifestes bereits 1848analysierten.

„Die bürgerlichen Verhältnissesind zu eng geworden um den vonihnen erzeugten Reichtum zu fassen.Wodurch überwindet die Bourgeoi-sie die Krisen? Einerseits durch dieerzwungene Vernichtung einer Mas-se von Produktivkräften; andererseitsdurch die Eroberung neuer Märkte

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und die gründlichere Ausbeutungalter Märkte. Wodurch also? Da-durch, daß sie allseitige und gewalti-gere Krisen vorbereitet und die Mit-tel, den Krisen vorzubeugen vermin-dert (MEW 4 S.468).

Ist das nicht das was wir heutebeobachten können? Die Kapitalistensind in ihrem eigenen System gefan-gen und kommen nur über den Wegder Katastrophe davon heraus.

Diese zuzugeben ist für die Ver-treter des Kapitals unmöglich. Wür-den sie das tun, so würden sie einge-stehen, daß die Ursachen für Wachs-tumsschwäche, Arbeitslosigkeit, Ver-armung und Verelendung im kapita-listischen System selbst liegen. Unddas wäre dann der Anfang ihres En-des. Sie gehen deshalb einen anderenWeg. Sie schieben die Schuld an demganzen Ungemach jeweils einem an-deren in die Schuhe. Einem anderenLand, der unfähigen Regierung, denmaßlosen Gewerkschaften oder derReformunfähigkeit der Bevölkerung.Das Vehikel, das sie dabei benutzenist das Gespenst der Globalisierung.

Neben dieser Ablenkungsfunk-tion hat der neoliberale Globalisie-rungsbegriff die Aufgabe die Kapital-strategie zu legitimieren. Mit der Be-gründung die Globalisierung zwin-ge dazu, wurde in den letzten Jahreneine rigorose Umverteilungspolitikzu Gunsten der Bourgeoisie vollzo-gen, der Sozialstaat demontiert, dieLöhne gedrückt und in den Betriebendie Arbeitsbedingungen durch Leis-tungsverdichtung und Flexibilisie-rung verschlechtert.

Wie die Zukunft des Kapitalis-mus in den nächsten Jahren konkretaussieht, läßt sich an dieser Stellenicht prognostizieren. Nur soviel istgewiss. Die Krisenhaftigkeit diesesSystems wird trotz aller Kaffeesatz-leserei nicht geringer. Zu der langfris-tigen strukturellen Akkumulations-krise kommen zusätzlich noch Über-produktionskrisen. Wie die Geschich-te aber zeigt, gibt es für das Kapitalkeine auswegslose Situation. Weltpo-litisch ist der kapitalistische Blockstärker als je zuvor.. Von „außen“ gibtes für den Kapitalismus keine Gefahr.Seine Stabilität wird von seinen in-neren Widersprüchen bedroht. Dasbeherbergt das Risiko, daß innereKonflikte nach außen gekehrt wer-den, wie wir aktuell bei der Kriegs-vorbereitung der USA gegen den Irak

sehen. Im Sinne einer Ablenkungside-ologie werden Feindbilder aufgebaut,mit denen man kommende Kriegerechtfertigt und legitimiert. Gleich-zeitig kommt es nach innen zum Ab-bau demokratischer Rechte und po-lizeistaatlichen Repressionen.

Widerstand ist nichtangesagt!Angesichts solcher Perspekti-

ven für das Kapital müsste es für Ar-beiterInnen-Organisationen Pflichtsein Widerstandslinien aufzubauen.Politische Organisationen hat die Ar-beiterklasse in nennenswerter Größenicht mehr. Bleiben also nur noch dieGewerkschaften. In dem Zukunfts-manifest der IG Metall sucht manvergeblich Antworten auf den Zu-stand des Weltkapitalismus. Entwe-der will man oder kann man die Ent-wicklung der kapitalistischen Ökono-mie nicht analysieren. Nachvollzieh-bar wäre das. Eine reelle Einschät-zung der Situation würde Konse-quenzen verlangen, die weit über denPolitikrahmen hinausgehen würde,den man sich selbst gesetzt hat. Derbestehende Rahmen ist vielleichtnach dem Bundestagswahlsieg derKoalition erst recht vorgegeben. DerDGB-Vorsitzend Michael Sommer hatseine Freude über die Wiederwahlder Bundesregierung laut kund ge-tan. Ähnlich äußerten sich auch dieVorsitzenden der Einzelgewerkschaf-ten. Für die Zukunft der Gewerk-schaften heißt das: weitermachen wiebisher. Das heißt keine Abkehr vomAnpassungskurs an die Bedürfnissedes Kapitals. Widerstand steht nichtauf der Tagesordnung!

Im Gegenteil. Sommer fordert,daß die „Pläne der Hartz-Kommissi-on zügig umgesetzt werden! Er for-dert damit eine Politik, die sich ge-gen die Arbeitslosen richtet. Die dieArbeitslosen zur Billigkonkurrenzvon regulären Arbeitsverhältnissenmacht. Ausdehnen wird sich mit die-se Plänen auch der Anteil schlechtver-dienender Scheinselbständiger, auflängere Sicht nicht nur im Bereich„haushaltsnaher Dienstleistungen“.Und schließlich wird ein Ausbil-dungssystem zerstört, das die Kapi-talisten in der Vergangenheit mit qua-lifizierten Fachkräften versorgte. Vonden Jugendlichen und deren Elternwird in Zukunft verlangt, daß sie fürdie Ausbildung, wie das noch bei

deren Urgroßeltern der Fall war, einLehrgeld bezahlt wird.

Sollten die Hartz-Vorstellungenumgesetzt werden, ist den Herr-schenden der größte neoliberaleCoup gelungen. Die Realisierung die-ses Papiers bedeutet eine weiterge-hende Deregulierung der Arbeitsbe-ziehungen, wie allen anderen Ansät-ze die bisher in diesem Lande ge-macht wurden.

Und die Gewerkschaften ma-chen mit und fordern sogar noch aus-drücklich die zügige Umsetzung!Gleichzeitig diskutieren sie, wie dieIG Metall, ihre Zukunft und sehennicht, daß sie sich mit dem einge-schlagenen Weg selbst zerstören.

Für Gewerkschaften gibt es kei-nen Weg zu einer „neuen Mitte“ wieihn die Sozialdemokratie in ihrer Ver-kommenheit beschreitet. Wenn dieGewerkschaften diesen Weg gehen,bringen sie sich um die Grundlageihrer Existenz. Gewerkschaften kön-nen nur Klassenorganisationen sein.Entweder Organisation der Klasseoder gar nicht mehr. Alle anderenWege sind ihnen bei Strafe des Un-tergangs verbaut. Und sie sind zumErfolg verdammt. Setzen sie die Inte-ressen der Werktätigen nicht mehrdurch, sehen die keinen Grund mehrsich zu organisieren. Deshalb gibt esfür die Gewerkschaften nur eine Zu-kunft. Zurück zu einer offensivenTarifpolitik, die auf dem Prinzip derSolidarität basiert.

Hin zu einer Politik einer tat-sächlichen politischen Unabhängig-keit, insbesondere von der Sozialde-mokratie.

Hin zu einer Verpflichtung,nämlich die Interessen der Arbeiter-klasse uneingeschränkt zu wahrenund gemeinsam ein tatsächlicherMachtfaktor zu werden, der derMacht der Konzerne real etwas ent-gegenzusetzen hat.

Daß eine solche Zukunft für dieGewerkschaften zur Realität wird isteher unwahrscheinlich. Aber auchhier kann man keine konkrete Prog-nose abgeben. Weltweit stehen wirvor einer neuen Etappe von Klassen-auseinandersetzungen. Die Konflikt-linien werden global gezogen undkönnen Erschütterungen erzeugen,die auch bei uns neue Möglichkeiteneröffnen. Von daher brauchen wirnicht nur pessimistisch in die Zukunftschauen.

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Auch in unserer Zeit istArbeitslosigkeit einedem tendenziellen Fall

der Profitrate entgegenwirkende undder kapitalistischen Produktionswei-se unzertrennlich verbundene Er-scheinung. Seltene und vorüberge-hende Ausnahmen sind möglich wiez. B. in der Zeit des sogenannten Wirt-schaftswunders ca. 1956 bis 1966 inDeutschland. In dieser Zeit steigen-der Profitraten bestand nachkriegsbe-dingt bedeutende Nachfrage nachKonsumgütern, die die Akkumulati-on konstanten Kapitals antrieb, wasdurch Zufuhr von Geldkapital durchden Marshall-Plan und seit 1953durch Steigerung des Außenhandelsin Folge des Korea-Kriegs finanziertwerden konnte. Die Arbeitslosigkeitin diesem Zeitraum war geringfügig.

StrukturelleArbeitslosigkeitIm „normalen“ Kapitalismus

dagegen ist Arbeitslosigkeit unver-meidlich. Besonders stark wirken sichSprünge in der Produktivkraft der

Arbeit wie seit ca. 20 Jahren durch dieEinführung elektronischer Informati-ons-, Kommunikations- und Steue-rungstechnik aus. Solche sprunghaf-ten Entwicklungen der Produktiv-kraft der Arbeit sind an sich nichtsneues in der Geschichte des Kapita-lismus. Allerdings nimmt die Verbrei-tung auf die einzelnen Branchen (Pro-duktionssphären) zu. Die von Marxfür das 19. Jahrhundert beschriebeneindustrielle Revolution auf dem Ge-biet der Kommunikation (vgl. Kapi-tal Bd. 3, Kap. 4) setzte nur einen Teilder in dieser Branche beschäftigtenLohnarbeiter auf die Straße. Bedeu-tender war der Ersatz lebendiger Ar-beit durch Maschinerie wegen Elek-trifizierung und Fließbandfertigungsowie der Entwicklung des Verbren-nungsmotors seit den 20er bis in die50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Hierwar die gesamte Massenproduktionund Teile der Einzelfertigung wieWerkzeugmaschinenbau in den ent-wickelten Industrieländern betroffen.

Im Unterschied zu diesen his-torischen Sprüngen der Produktivi-

Arbeitslosigkeit – was tun?„Die relative Überbevölkerung (d. h. Arbeitslosigkeit, Anm. d. Verf.) Ihre Erzeugung ist unzertrennlich von der undwird beschleunigt durch die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, die sich in der Abnahme der Profitrateausdrückt. Die relative Überbevölkerung zeigt sich um so auffallender in einem Lande, je mehr die kapitalistischeProduktionsweise in ihm entwickelt ist.“ (Marx, Kapital Bd. 3, 14. Kapitel, S. 246)

tät sind durch die „elektronische Re-volution“ fast alle Produktionssphä-ren der Produktion und der Dienst-leistungen in größerem oder geringe-ren Maße einbezogen. „Das ist nebenanderem schon daran ermeßbar, daßim Unterschied zum Verbrennungs-motor, der in der Produktionssphärekeine breite Anwendung findet,Computer dort heute bis in die kleins-te Werkstatt und das bescheidensteBüro Eingang gefunden haben, derComputer mithin Produkt- und Pro-zeßinnovation zugleich verkörpert.“(Hansgeorg Conert, Vom Handelska-pital zur Globalisierung, S. 329).

Auch einige Branchen, in denenmenschliche Arbeit (noch?) nichtdurch Maschinerie ersetzt werdenkann, wie z. B. in den Heil- und Pfle-geberufen, werden indirekt durch dieBeschränkung der für Lohnzahlungverfügbaren Transfers, die an den ge-sellschaftlichen Lohnfond gebundensind, betroffen, weil die verfügbarenGeldmittel durch Arbeitslosigkeitund sinkende gesellschaftliche Lohn-quote gemindert werden.

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aber kontinuierlicher Rückgang fest-zustellen. Die Wechselwirkung zwi-schen ungenutzten industriellen Ka-pazitäten, mangelnder effektiverNachfrage, strukturellem Ersatzmenschlicher Arbeit durch elektroni-sche Maschinerie und steigender Pro-duktivität der Arbeit wird durch eineerhöhte Sparneigung der Konsumen-ten (in der Mehrheit Lohnabhängige)noch verstärkt. In richtiger Einschät-zung der Unsicherheit ihrer Lage, ih-rer Arbeitsplätze und ihres Einkom-mens stellt die Masse der Verbrauchergrößere Anschaffungen zurück, ver-sucht - soweit möglich - Verschul-dung zu vermeiden und bildet stattdessen Ersparnisse. Wer in diesemZusammenhang von Psychosen oderKäuferstreik spricht, wie dies die bür-gerlichen Medien tun, bestätigt damitnur seine Ignoranz gegenüber denInteressen der Lohnabhängigen.

Durch die berechtigte Vorsorge-haltung der Konsumenten verstärktsich die Unterkonsumtion noch zu-sätzlich.

Ausweitung der Exporte dürf-te mit hoher Wahrscheinlichkeit keinAusweg sein. Die Wachstumsraten inden 3 wichtigsten Wirtschaftsräu-men, USA, EU und Japan, sinken syn-chron - wenn auch in graduell unter-schiedlichem Ausmaß (siehe Bild 2).Ohne Aufschwung in wenigstens ei-ner dieser großen Wirtschaftszonenwird der Export keinen Aufschwungder Konjunktur in Deutschland aus-lösen können.

Überakkumulation oder Unter-konsumtion sind begrifflich für dieErklärung zyklischer Krisen getrenntzu betrachten. Praktisch besteht ehereine Wechselwirkung zwischen bei-den Ansätzen. Im ungünstigen Fallverstärken sich beide Tendenzen ge-genseitig. „Der konstatierte Wider-spruch zwischen einer Verwertungs-krise wegen sinkender Profitrate(Überakkumulation von Kapital) undeiner Verwertungskrise wegen man-gelnder Nachfrage (Unterkonsumti-on von Waren) ist kein Gegensatz.“(Michael Wendl, isw-report Nr. 49, S.31)

Bürgerliche RezepteDie klassische liberale Wirt-

schaftstheorie, die zumindest in derBetrachtung der Löhne, von den heu-te (noch?) herrschenden Neoliberalenübernommen wurde, sieht im Preis

Der Verlust an Arbeitsplätzenim produktiven Bereich kann alsonicht - jedenfalls nicht in vollem Um-fang - durch Arbeitsplätze im Dienst-leistungsbereich aufgefangen wer-den. Die bürgerliche Wirtschaftswis-senschaft konnte jedenfalls bisher die-se Behauptung, wie sie im Schlagwortvon der „Dienstleistungsgesellschaft“formuliert ist, nicht belegen. Die Em-pirie spricht augenscheinlich dage-gen, wie der Arbeitsplatzabbau beiDienstleistungen vor allem bei Ban-ken, Versicherungen und im Groß-und Einzelhandel beweist.

Die gegenwärtig hohe Arbeits-losigkeit ist zu einem erheblichen Teilstrukturell vom Fortschritt der Pro-duktivkraft - unabhängig vom Kon-junkturzyklus - verursacht. Auch beiguter Konjunktur, (Anfang der 90erJahre) d. h. relativ hoher Zuwachsra-ten des BIP (Brutto Inlands Produkt)blieb ein hoher Sockel an Arbeitslo-sen (vgl. Bild 1).

KonjunkturelleArbeitslosigkeitRealisierungsmöglichkeit des

produzierten Mehrwerts ist für dieKapitalisten Voraussetzung für dieAnhäufung von Produktionsmitteln,im wesentlichen Maschinerie (fixesKapital). Diese Reproduktion bzw.Akkumulation verlangt den Einsatz

lebendiger Arbeit, d. h. die Beschäfti-gung von Lohnarbeitern auf dem je-weiligen Stand der Produktivkräfte.

Der erwartete Aufschwung derProduktion durch die Erzeugung vonProdukten der „new economy“, alsovon immer effektiveren Kommunika-tionsmitteln und Unterhaltungspro-grammen stößt an seine Grenzen.Zwar wurden in den letzten Jahrenbeträchtliche Teile des privaten Kon-sums für Mobiltelefone und derenGebrauch, digitale Fotografie, Perso-nalcomputer usw. aufgewandt - dochdie effektive (kaufkräftige) Nachfra-ge scheint weitgehend gesättigt. DasKapital erwartete offenbar einen wei-teren Anstieg im gleichen Tempo undinvestierte weiter. Diese zusätzlichakkumulierten Produktionsmittel lie-gen zum großen Teil brach. Das in-vestierte Kapital verwertet sich nurteilweise. Die Profitrate sinkt bzw.verkehrt sich in Verluste. WeitereAkkumulation unterbleibt daher, wasandere Branchen der Produktions-mittelindustrie mit in die Krise zieht.„Mit der durch sie selbst produzier-ten Akkumulation des Kapitals pro-duziert die Arbeiterbevölkerung alsoin wachsendem Umfang die Mittelihrer eignen relativen Überzähligma-chung.“ (Kapital, Bd. 1, Kap. 23, S.660)

Die scheinbare Paradoxie, daßhohe Arbeitlosenquote zurVerlängerung des Arbeitsta-ges führt, erklärt sich aus demDruck der industriellen Re-servearmee auf die noch Ar-beitenden. Die höheren Ar-beitszeiten in Ost- gegenüberWestdeutschland bei gleich-zeitig höherer Arbeitslosen-quote beweist dies ebensowie die zahlreichen Betriebe,die tarifliche Arbeitszeitdurch Betriebsvereinbarungoder auch nur mit stillschwei-gender Duldung durch Be-triebsräte und Gewerkschaf-ten anheben (z. T. sogar ohneBezahlung).

Sinkende gesellschaftli-che Lohnquote in Verbin-dung mit hoher Arbeitslosig-keit setzen der kaufkräftigenNachfrage auch nach ande-ren Gütern Grenzen. Der Ein-zelhandelsumsatz stagniertseit ca. 3 - 4 Jahren. Preisbe-reinigt ist sogar ein leichterBild 1

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den Regulator zwischen Angebot undNachfrage (Angebotstheorie). Etwasverkürzt formuliert: Das Angebotschafft sich seine Nachfrage, wennnur der Preis niedrig genug ist. Wennsich „der Markt“ frei entfalten kannund nicht durch den Staat oder gardurch die bösen Gewerkschaften ge-hemmt wird, dann bewirkt er ein har-monisches Gleichgewicht, in dem alleWaren - einschließlich der Arbeits-kraft - Käufer finden werden.

Das stimmt schon für die meis-ten Waren nur innerhalb der Grenzendes Gebrauchswerts. Auch bei nochso geringen Preisen wird niemandunbegrenzte Mengen von z. B. Le-bensmitteln kaufen. Für den Preis derWare Arbeitskraft gilt die liberaleBetrachtung erst recht nicht. Ihr Ge-brauchswert ist die Fähigkeit Mehr-wert zu produzieren. Diese Fähigkeitfindet nur insoweit Nachfrage durchdas Kapital, als diese Produktion Pro-fit (zumindest die gesellschaftlicheDurchschnittsprofitrate) einbringt,und die Werte (die Waren), die vonder Arbeitskraft produziert werden,auf kaufkräftige Nachfrage stoßen.Hinzukommt, daß Arbeitskraft zwardurch das Kapital flexibel erwerbbarist (z. B. durch Zeitarbeit), aber nachdem Ankauf sofort im Produktions-prozeß konsumiert werden muß. Sieist nicht speicherbar.

Der Liberalismus verkennt denDoppelcharakter der Löhne. Sie sindeinmal Kostenbestandteil, ihre Steige-rung mindert den Mehrwert (untersonst gleichbleibenden Bedingun-gen), ihr Wert geht in den Warenwertein. Sie sind aber auch der Konsum-tionsfond für die Masse der Bevölke-rung, die effektive Nachfrage nachden Waren und damit die Realisie-rungsmöglichkeit für den produzier-

ten Mehrwert. Die liberale Wirt-schaftstheorie betont den ersten Teildieses Widerspruchs und negiert denzweiten.

Lohnsenkung kann also keinezusätzlichen Arbeitsplätze schaffen,wenn eine Ausweitung der Produk-tion nicht sinnvoll für das Kapital ist.Wenn das Kapital Ausweitung derProduktion für notwendig hält, ist dieLohnhöhe nur ein Gesichtspunkt indieser Entscheidung. Ob Produkti-onserhöhung wegen mangelnderkaufkräftiger Nachfrage oder wegenunterdurchschnittlicher Profitrateunterbleibt oder wegen beider inWechselwirkung zueinander stehen-den Faktoren wie dies m. E. gegen-wärtig der Fall ist, kommt auf dassel-be hinaus.

Die Hartz-VorschlägeZu den modernen Versionen

des Cäsarenwahns gehört die Vorstel-lung, daß bürgerliche Regierungen inder Lage wären, ökonomische Ent-wicklungen zu bestimmen. Die Ge-schichte der bürgerlichen Staaten be-weist, daß diese zwar die Kapitalis-tenklasse beschützen aber nicht dieKonjunkturzyklen oder gar struktu-relle Krisen beheben können. Trotz-dem hält sich dieser Aberglaube hart-näckig. Die bürgerlichen Regierun-gen können sich also günstige öko-nomische Entwicklungen gutschrei-ben (Schröder 1998: Mein Auf-schwung) und müssen versuchen, dieVerantwortung für ungünstige Ten-denzen (wie hohe und andauerndeArbeitslosigkeit) irgendwie loszu-werden.

Wie kam es zu der Hartz-Kommission?Die Entstehungsgeschichte der

Bild 2

Hartz-Vorschläge ist ein schönes Bei-spiel dafür, wie aus einer notwendi-gen Korrektur tatsächlicher Mißstän-de ein Luftballon von Versprechun-gen und Illusionen aufgeblasen wer-den kann.

Der Bundesrechnungshof stell-te in der Statistik der Vermittlungen,also der Erfolgsbilanz der Bundesan-stalt für Arbeit (BA), schwerwiegen-de Fehler und Manipulationen fest.Der Vorsitzende Jagoda mußte dafürden Kopf hinhalten und wurde ge-feuert. Nachfolger wurde der streb-same SPD-Nachwuchspolitiker Flori-an Gerster. Der war so unvorsichtig,gleich noch eine Reform der ausgeu-ferten Bürokratie in der BA zu ver-sprechen. Damit die öffentliche Mei-nung ihn und sein Reformprojektauch gebührend zur Kenntnis nehme,gab er einige allgemein gehaltene Sät-ze über eine daraus resultierendeVerringerung der Arbeitslosenzahlenzum besten. Das hätte er nicht tunsollen.

Die zur Wiederwahl anstehen-de Bundesregierung griff den Gedan-ken begierig auf. Schröder hatte jaden Mund recht voll genommen undempfohlen, ihn und seine Regierungan Erfolgen im „Kampf gegen dieArbeitslosigkeit“ zu messen. Damitdies nicht geschehe, mußte eine hoch-rangige Kommission aus „Sachver-ständigen“, Unternehmern, Gewerk-schaftern und Leuten, die immer beisowas dabei sind, das versprechen,was Schröder & Co nicht gehaltenhatten (und auch nicht halten kön-nen). Im Grunde ist die Hartz-Kom-mission nichts anderes als das Bünd-nis für Arbeit unter neuem Etikettdoch mit demselben Ziel: Sozialab-bau und volle Freiheit dem Kapital.Herr Gerster war seinen Auftritt als

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großer Reformator damit los; er sitztseither in seinem Vorstandszimmer inNürnberg und schmollt.

Um so größer waren nun dieErwartungen und Vorschußlorbeerenan die neue Kommission.

Diese warf sich gleich voll rein- im Wahlkampf zählt klotzen undnicht kleckern - und versprach eineHalbierung der Arbeitslosigkeit somal eben locker vom Hocker binnen2 Jahren. Eine Erklärung dafür, wieein solches Wunder ohne direktesEingreifen des lieben Gottes gesche-hen könne, unterblieb zunächstwohlweislich. Im Zeitalter der Medi-endemokratie genügt es, einemöglichst kühne Behauptung in dieWelt zu setzen - mit der Zeit verselb-ständigt sie sich, und für den Wahl-kampf genügte es, zumal sich dieOpposition nicht zu kritisieren ge-traute sondern zustimmte.

War das Hartz-Papier also nurWahlkrampf, wie eine linke Zeit-schrift in München meinte? Leidernein - denke ich.

Sozialabbau stattArbeitsplätzeDie Kommission setzte

zunächst an den tatsächlichen Miß-ständen an. Eine Fülle überflüssigerBürokratie in der Arbeitslosenverwal-tung kann ja tatsächlich ohne Nach-teile eingespart werden. Die dadurchentlasteten Beschäftigten der BAkönnten sich stärker der Arbeitsver-mittlung widmen. Doch „Stellenan-gebote in der Wirtschaft schaffen - daskönnen die Vermittler nicht“ bemerktdazu treffend Heinrich Alt, stellver-tretender Vorstandsvorsitzender derBA (zitiert nach DIE ZEIT v. 4. 7. 2002,S. 16).

Doch durch Verkürzung derVermittlungszeiten (derzeit 33 Wo-chen im Durchschnitt lt. Peter Hartz,zit. nach Spiegel 32/2002, S. 45) ließesich die Arbeitslosenzahl vielleichtdoch senken? „Selbst wenn die Bun-desanstalt optimal organisiert wäre,würden wir die Zahl der Arbeitslo-sen damit vielleicht um ein halbes,maximal um ein ganzes Prozent ver-mindern“ (ebd.) ist die Meinung desFachmanns Alt, der die Bundesanstaltseit vielen Jahren von innen kennt.

Trotzdem müssen sich Beschäf-tigte sofort nach Erhalt der Kündi-gung beim Arbeitsamt melden. Sonstwird das Arbeitslosengeld für jeden

Tag Verspätung gekürzt. Auchdadurch entsteht kein einziger neuerArbeitsplatz. Außer Schikane gegendie Arbeitslosen und Einsparungbeim Arbeitslosengeld kommt nichtsdabei heraus.

Die Halbierung der Arbeitslo-senzahl baut nicht auf konkreten Stra-tegien auf sondern auf der Übernah-me der liberalen Behauptung, daßsinkende Preise (=Löhne und Lohn-nebenkosten) größere Nachfragenach Arbeitskraft schaffen würden(siehe oben).

Die liberale Behauptung wirdnicht kritisiert oder an den histori-schen Erfahrungen mit deren Ergeb-nissen gemessen. Sie wird einfach als

Voraussetzung unterstellt. Senkungder Lohnkosten für die Unternehmerund Senkung der Kosten der Arbeits-losigkeit für den Staat auf seinen ver-schiedenen Ebenen wird mit Senkungder Arbeitslosenzahlen gleichgesetzt.Selbst die neoliberalen Ideen sonstnicht abgeneigten Wirtschaftsfor-schungsinstitute „rechnen nicht da-mit, daß die Umsetzung des Hartz-Konzepts deutlich mehr Menschen inArbeit bringen wird.“ (SZ v. 23. 10.02) Doch auch dies vermag Regierungund Kommission nicht zu beirren.

Der Vorteil ihrer Methode istnicht der Wahrheits- oder wenigstensder Wahrscheinlichkeitsgehalt son-dern der taktische Gesichtspunkt, je-

Die andere Variante bürgerlicher Wirtschaftswissenschaft, die Nachfragetheorie,spielt in der internationalen und in der deutschen Diskussion z. Zt. nur einegeringe Rolle. Die Memorandum-Gruppe und gelegentliche Vorschläge derGewerkschaften wie etwa die von IG Metall und ver.di nach einem Konjunktur-programm in Höhe von 30 Mrd. Euro werden kaum diskutiert.Der Vollständigkeit halber und weil ein Umschlagen des volkswirtschaftlichenmainstreams möglich ist, sei sie trotzdem kurz skizziert: John Maynard Keynesbietet in seinem Hauptwerk (Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinsesund des Geldes) unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er bisin die 30er Jahre die Stärkung der Nachfrage als Mittel zur Beseitigung derArbeitslosigkeit und zur Wiederbelebung der Konjunktur an. Nach Keynes sollder Staat sich verschulden, um öffentliche Aufträge in großem Umfang verge-ben zu können (deficit spending). Bisher Arbeitslose können nun wieder Löhnebeziehen. Geringe Zinsen verhindern, daß größere Teile dieser Löhne gespartwerden. Die so gesteigerte konsumtive Nachfrage regt die Unternehmer zuInvestitionen an, dies belebt die Nachfrage auch nach Investitionsgütern, führtdamit zu weiteren Einstellungen (Multiplikator-Effekt), Arbeitslosigkeit undKrise werden zurückgedrängt.Gewerkschaftern liegt der „Keynesianismus“ (und dessen Variationen) näher alsder Liberalismus. Neokeynesianer liefern Argumente für Lohnforderungen, dennLöhne sind weitgehend Nachfrage. Gewerkschaftliche Forderungen können sichso auf Keynes und dessen Nachfahren berufen.Ein Mittel gegen die Krisen sind keynesianische Theorien unter „normalen“kapitalistischen Bedingungen aber nicht. Empirisch belegen das die bescheide-nen Erfolge des „New Deal“ in den USA in den 30er Jahren. Die Arbeitslosigkeitwurde durch öffentliche Aufträge (z. B. im Rahmen der Tennessie-Valley Autho-rity) zwar etwas vermindert - beseitigt wurde sie erst durch die Kriegswirtschaftab 1942. Keynes lobte Deutschlands Reichsbankdirektor Hjalmar Schacht für diekonsequente Umsetzung seiner Rezepte. Daß die maßlose Überschuldunggroßenteils zu unproduktiven Investitionen (Hochrüstung) verwendet wurde,lag außerhalb seines Horizonts. Aktuell hat Japan im letzten Jahrzehnt mehrereKonjunkturprogramme (durch Staatsverschuldung finanziert) aufgelegt und dieZinsen fast auf Null gesenkt - die Konjunktur blieb mies.Als in den 70er Jahren Investitionserleichterungen in Deutschland allenfalls zuMitnahmeeffekten führten, kursierte das Bonmot: Man kann die Pferde zurTränke führen, aber saufen müssen sie selbst. Wann akkumulieren die Kapitalis-ten? Nur dann wenn die Profitrate mindestens durchschnittlich ist, und wennsie realisiert werden kann. Die Produktion und damit der tendenzielle Fall derProfitrate in Wechselwirkung mit den „entgegenwirkenden Ursachen“ (Marx,Kapital Bd. 3, Kap. 14) sind außerhalb des Blickfelds bürgerlicher Wirtschafts-wissenschaft. Ihre beiden Varianten sind daher gleichermaßen unfähig, Krisenzu erklären oder gar zu beheben.

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den Gegner, jede Kritik an den Sozi-alabbauplänen der Kommission alsGegner eines Abbaus der Arbeitslo-sigkeit denunzieren zu können. Da-mit gelang es jedenfalls vor der Wahlsowohl der CDU/CSU als auch denGewerkschaften (vorläufig) das Maulzu stopfen.

Die MaßnahmenVorbemerkung: Die angeführ-

ten Punkte der Hartz-Pläne basierenauf Veröffentlichungen bis Mitte No-vember 2002. Die gesetzliche Umset-zung wird sich voraussichtlich bisFrühjahr 2003 hinziehen. Verände-rungen sind also wahrscheinlich -auch wenn die neue alte Bundesre-gierung eine Umsetzung „eins zueins“ verkündete. Mittlerweile ist sieallerdings in wesentlichen Punktendavon abgerückt.

Statistik-Tricks: Daß ältere Ar-beitslose nur minimale Chancen ha-ben, wieder einen Arbeitsplatz zubekommen, ist sicher richtig. „Allewissen: Die Chance von Senioren, ei-nen Job zu finden, sind in vielen Be-rufen gleich null ... Bisher müssensie so tun als ob: Als ob sie wirklicheinen Job suchen, wenn sie sich beiihren Vermittlern melden, zu Vorstel-lungsgesprächen erscheinen, Bewer-bertrainings absolvieren.“ (Spiegel26/2002, S. 29)

Für Unternehmer sind Lohnab-hängige über 50 Jahren tatsächlichaltes Eisen - in manchen Branchenzählen schon über 40jährige dazu.Der mainstream der Jugendlichkeitmag da eine Rolle spielen. Wesentli-cher scheinen mir ökonomische Über-legungen des Kapitals: Die immernoch mehr zunehmende Arbeitsin-tensivierung, wie sie sich u. a. in denZielvereinbarungen ausdrückt, dieBeschäftigte auf (meist sehr kurze)Terminvorgaben verpflichten, ist fürÄltere in der Regel sicher schwererzu ertragen als für Jüngere. Zudemkönnen die Unternehmer auf dieseWeise Lohnkosten sparen, da die Jün-geren unter dem Druck der Jugend-arbeitslosigkeit keine hohen Forde-rungen stellen können.

Kehrseite dieser Auslese dürfteder raschere Verschleiß der Arbeits-kraft dieser jüngeren Lohnarbeiter/innen sein. „Burn-out-Syndrom“ nen-nen es die Mediziner.

Wenn ältere Arbeitslose über 55der Arbeitsvermittlung nicht mehr

zur Verfügung stehen, sollen sie Ar-beitslosengeld bzw. Arbeitslosenhil-fe ungemindert, einschließlich derdarauf entfallenden Sozialbeiträgeerhalten. Ob diese Prämisse eingehal-ten wird, ist ungewiss: „Kürzungenbei Fortbildungen und „...soll dasArbeitslosengeld für Jobsuchendemit Kindern (das können auch Älte-re sein) von derzeit maximal 67 % auf60 % des letzten Nettolohns gekürztwerden. Statt der 7 % Differenz zah-len die Arbeitsämter künftig eine Pau-schale von 35 Euro im Monat.“ (Spie-gel 44/2002, S. 23) Ansonsten wäre dassicher eine Erleichterung für dieseKolleginnen und Kollegen. Ungüns-tige Auswirkungen auf die Finanzender Sozialkassen bleiben natürlich,ebenso Minderungen der Altersren-te, doch dies wäre wenigstens keineVerschlechterung gegenüber dem jet-zigen Zustand. Anders verhält es sich,wenn solche Arbeitslose in Frühren-te gehen. Dann sind die Abschlägeauf die Rente erheblich.

Für die Möglichkeit der befris-teten Einstellung von über 52-jähri-gen kann man nicht so unbedingt vonFolgenlosigkeit sprechen. Falls diesüberhaupt zu nennenswerten Einstel-lungen führen sollte, werden diesvermutlich stressige Jobs zum Aus-gleich saisonaler Nachfrage nach Ar-

beitskraft sein. Ist die Nachfrage-schwankung nach Arbeitskraftvorbei, wird man die älteren Beschäf-tigten unproblematisch wieder los.

„Schlagartig würde die Statistikvon Hunderttausenden Menschenentlastet,“ schreibt der Spiegel (26/2002, S. 29). Wenn außer den älterenauch Arbeitslose „in den Leiharbeits-agenturen der Arbeitsämter nicht alserwerbslos, weil sie ein festes Jobver-hältnis haben.“ (Spiegel 44/2002, S.17) gelten würden, dann käme mander „Halbierung der Arbeitslosig-keit“ ziemlich nahe - natürlich nur aufdem geduldigen Papier der Statisti-ken und nicht in Wirklichkeit. Diesestatistische „Entlastung“ dürfte wohlder einzige vorzeigbare „Erfolg“ derHartz-Reformen bleiben.

LeiharbeitKernstück der Hartz-Reformen

ist die Leiharbeit. „Jedem Arbeitsamtsoll künftig eine Agentur angeglie-dert werden, die Erwerbslose an in-teressierte Unternehmen ausleiht,“(Die Zeit v. 15. 8. 02. S. 17). Um denBetrieb dieser „Personal-Service-Agenturen“ (PSA) können sich Aus-gliederungen der Arbeitsämter undprivate Verleihunternehmen bewer-ben. Letztere scheinen zumindestbisher nicht übermäßig interessiert zu

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Arbeiterstimme3030303030 Winter 2002

sein. Offenbar ahnen sie, daß dieNachfrage nach Leiharbeiter/innennicht nach den Vorstellungen desHerrn Hartz und seiner Kommissäresteigen wird. Die PSA sollen grund-sätzlich jedem Arbeitslosen einenZeitarbeitsjob anbieten. Woher dieserkommen soll, steht nicht inden Reformvorschlägen.Die „Zumutbarkeitsregelnwerden deutlich verschärft.Zum Beispiel: „Singles, diearbeitslos bleiben, weil sienicht umziehen wollen, be-kommen weniger Arbeitslo-sengeld. Nicht mehr die Ar-beitsämter, sondern die Ar-beitslosen müssen nachwei-sen, daß sie einen stichhal-tigen Grund hatten, ein Jo-bangebot abzulehnen.“ (SZv. 7. 11. 02) Die Beweislastwird also umgekehrt. Kür-zungen bzw. Sperrzeitentreten ein, wenn Arbeitslo-se den Beweis nicht zur Zu-friedenheit der Arbeitsäm-ter bzw. PSA antreten kön-nen.

„Beschäftigte“ derPSA werden für 6 Wochenuntertariflich, danach nachTarif bezahlt. Der Tarif derentleihenden Firma sollauch für Leiharbeiter (ein-schließlich derer, die vorhernicht arbeitslos gemeldetwaren) gelten. Das ist eindeutlicher Fortschritt gegenüber denursprünglichen Vorstellungen derHartz-Kommission und ein Erfolg ge-werkschaftlicher Einflußnahme.Allerdings kommt es darauf an, wel-che Tarife gelten. „“Die Gewerkschaf-ten haben versprochen, Verträge mitEinstiegstarifen auch abzuschließen.“(SZ v. 16./17. 11. 02) „Einstiegstarife“sind wohl Billigtarife. Was ist mitPSA-“Beschäftigten“, die nicht „ent-liehen“ werden können, also bei derEntleihfirma bzw. PSA bleiben?

Die Entgelte in der „Sklaven-treiberbranche“ sind minimal. Rand-stad ist eine der größten Firmen undhat immerhin mit der Gewerkschaftver.di einen Tarifvertrag abgeschlos-sen. Der sieht einen Stundenlohn von6, 20 Euro im Westen und 5,25 Euroin Ostdeutschland vor (lt. Die Zeit v.15. 8. 02, S. 17). Die Löhne der nichtbis jetzt nicht tarifgebundenen Leih-arbeitsfirmen dürften mit Sicherheit

noch niedriger liegen. Häufig hörtman von Fällen, in denen geschulde-te Löhne nicht oder mit erheblichenVerspätungen bezahlt werden. Ande-re Arbeitserschwernisse wie häufigerWechsel kommen hinzu. Eine Firma,die Leiharbeitskräfte braucht, hat

meist Arbeitsrückstände. Stress undArbeitshetze sind die Folge.

Diese Nachteile kann auch dieKommission und können die bürger-lichen Medien nicht leugnen. Gängi-ges Argument ist: Auch ein schlech-ter Arbeitsplatz ist besser als keiner.Diese Argumentation geht an der Tat-sache der Konkurrenz unter denLohnarbeiter/innen vorbei. Nicht al-lein die bisher Arbeitslosen sind be-troffen. Die Arbeiter/innen, die nocheinen festen Arbeitsplatz haben, sindder Billigkonkurrenz der PSA-Be-schäftigten ausgesetzt. Ein Unterneh-mer, der billige Leiharbeitskräfte (zu„Einstiegstarifen“ s. o.) bekommenkann, wird keine Arbeitskraft unbe-fristet und zu den Tariflöhnen und -bedingungen der jeweiligen Brancheeinstellen sondern versuchen,zumindest einen Teil der Festange-stellten durch Leiharbeiter/innen zuersetzen. Was nach Arbeitsbeschaf-

fung aussieht, wird per Saldo keinezusätzlichen Arbeitsplätze schaffen(bei gleichbleibender Konjunkturla-ge) aber das Lohnniveau der Lohn-abhängigen tendenziell senken.„Nicht nur Gewerkschaften, auchVolkswirte warnten vor dem ‘Dreh-

türeffekt’: Billige Leiharbei-ter verdrängen teure Ange-stellte.“ (SZ v. 15. 11. 02)

Das Ziel des Kapitals:Die Etablierung eines Nied-riglohnsektors ist damit ele-gant (wenn auch möglicher-weise mit Einschränkungendurch Tarife) gelöst. Der bis-herige Widerstand der Ge-werkschaften wäre unter-laufen.

Job-Center...sollen bessere Zusam-

menarbeit zwischen Ar-beits- und Sozialämtern si-cherstellen. Ein ersterSchritt zur Zusammenle-gung von Arbeitslosen- undSozialhilfe - auch wenn diesbisher noch bestritten wird.Für viele Arbeitslose wirdsich das allerdings nichtnachteilig auswirken, da dieArbeitslosenhilfe häufig un-ter dem Sozialhilfesatz liegtund ergänzende Sozialhilfebeantragt werden kann.Dies trifft besonders bei kin-derreichen Familien und Al-

leinerziehenden zu.Die Arbeitslosenhilfe soll nicht

gekürzt werden - so das Versprechender Hartz-Kommission und der Bun-desregierung. Mißtrauen ist geboten:„Schon im kommenden Jahr sollendie Kriterien verschärft werden, nachdenen Arbeitslosenhilfe ausgezahltwird. Das Sparziel liegt für 2003 bei2,3 Milliarden Euro - und für die Fol-gejahre sogar bei rund 5 MilliardenEuro.“ (lt. SZ v. 21. 10. 02) Mittlerweilewird das Kürzungsvolumen auf jähr-lich 6,5 Mrd. Euro geschätzt (lt. SZ v.31. 10/1. 11. 02). Wie dies ohne gene-relle Verminderung erreicht werdenkann, bleibt offen. Möglich wäre einederart exzessive Auslegung der Zu-mutbarkeits- und Mobilitätskriterien,daß die bei Ablehnung durch die Ar-beitslosen fälligen Sperrzeiten oderKürzungen solchen Größenordnun-gen nahekommen. Der Effekt für dieArbeitslosen wäre gleich ungünstig.

Spiegel meint, ein Held der Arbeiterklasse

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Ich-AG und Mini-JobsArbeitslose, die sich selbständig

machen und die dabei nicht mehr als25.000,- Euro verdienen, sollen weni-ger Sozialabgaben und eine Pauschal-steuer von nur 10 % zahlen. Ob dieSchwarzarbeit dadurch vermindertwerden wird, muß sich zeigen. Diehohe und immer mehr steigende Zahlder Insolvenzen wird nicht geradezur Gründung selbständiger Unter-nehmen verlocken.

Eine der wenigen positiven Re-formen der letzten Regierung - dieEinschränkung der Zahl der Schein-selbständigen - wird damit zu großenTeilen wieder zurückgenommen: Ich-AG kann natürlich auch ein „selb-ständiger“ Getränkeausfahrer odereine Datenerfasserin auf Honorarba-sis sein. Im allgemeinen werden die-se „Selbständigen“ sich kaum besserstellen als Leiharbeiter.

Die Sozialkassen werden durchdie geringeren Sozialabgaben zusätz-lich belastet.

Auch die Reform der damaligen630,— DM-Jobs wird zurückgeru-dert. Minijobs im Haushalt werdenbis zu 500,- Euro/Monat nur mit ei-ner Pauschalabgabe von 10 % belas-tet.

Job-FloaterUnternehmer sollen für die Ein-

stellung von Arbeitslosen in struktur-schwachen Gebieten mit günstigenDarlehen und Lohnzuschüssen be-lohnt werden. Das Geld dafür solldurch Anleihen aufgebracht werden.Diese Idee hat wohl kaum Chancenauf Verwirklichung. Die Union wirdim Bundesrat blockieren. Beim au-genblicklichen Stand der Kapital-märkte wären auch weitere Staatsan-leihen in Milliardenhöhe schwer zuplazieren.

Falls doch etwas floatet werdenes Mitnahmeeffekte der Unternehmersein. Für ausgeschiedene Arbeitskräf-te (natürlich auch für entlassene) kön-nen billige Arbeitslose eingestelltwerden und dafür wird noch beimStaat abkassiert. Zusätzliche Arbeits-plätze sind nicht zu erwarten, wenndie Konjunkturlage gleich bleibt.Wenn der Auftragseingang wiedereinmal steigt, dann müssen ohnehinEinstellungen (auch von Leiharbei-tern) erfolgen. Lohnarbeiter, die nichtfür steigendes Auftragsvolumen be-nötigt werden, sind dem Kapital auch

geschenkt zu teuer.

ZusammenfassungDie Vorschläge der Hartz-Kom-

mission sind ein umfassender Maß-nahmenkatalog, um die Kosten derArbeitslosigkeit für Staat und (überdie „Arbeitgeber“beiträge) Unterneh-men deutlich auf Kosten der Arbeits-losen zu verringern und gleichzeitigüber die Konkurrenz der Arbeitskräf-te untereinander das Lohnniveauauch der jetzt noch Beschäftigten ten-denziell zu senken.

Mit dem (uneinlösbaren) Ver-sprechen, die Arbeitslosigkeit inner-halb von 2 Jahren zu halbieren, sol-len Kritiker dieses Sozialabbausmundtot gemacht, sie sollen als Fein-de der Arbeitslosen und sowieso als„Besitzstandswahrer“ und Fortschritts-verhinderer dargestellt werden.

Zunehmend verschärfte Kon-trollen - als Mittel gegen die Arbeits-losigkeit angepriesen - sollen den Ein-druck hervorrufen, die Arbeitslosenseien zumindest in ihrer Mehrheit ar-beitsscheu. Die Medien (nicht nur dieBILD, auch sogenannte seriöse Zei-tungen) tun jetzt schon alles, dies inder öffentlichen Meinung undmöglicherweise in der Meinung derArbeitslosen selbst festzuschreiben.

Die Gewerkschaften mit ihren -selbstverständlich immer überhöhten- Lohnabschlüssen werden alszumindest Mitschuldige an der Ar-beitslosigkeit dingfest gemacht. Inder Tarifrunde im öffentlichen Dienstwerden wir das in den nächsten Wo-chen wieder erleben.

Ihre Möglichkeiten werdendurch eine Zunahme der Leiharbeiteingeschränkt. Leiharbeiter/innensind meist nur allein oder zu weni-gen und nur kurze Zeit in den Be-schäftigungsbetrieben. Individuali-sierung, wenig Kontakt zu den Kol-leginnen und Kollegen der Stammbe-legschaften sind die Folge. Leiharbei-ter sind schwer zu organisieren. ZuArbeitskämpfen sind sie kaum zu ge-winnen. Je mehr die Leiharbeit zu-nimmt, um so geringer wird die po-tentielle Basis der Gewerkschaften.

Was tun?Da die Gewerkschaften seit Jah-

ren vom Klassenstandpunkt abge-rückt sind, eine ehemals marxistische(zu Zeiten von Viktor Agartz) undspäter immerhin noch reformistische

Theorie aufgegeben haben, stehen sieder herrschenden neoliberalen Wirt-schaftslehre hilflos gegenüber. Stand-ortdenken bis in Einzelbetriebe undAbteilungen ersetzt nicht nur in denGehirnen der Vorstände sondernauch in denen vieler Kolleginnen undKollegen das Ziel einer konsequen-ten Interessenvertretung der Arbei-terklasse.

Gegen diese Grundeinstellungmuß argumentiert werden - auchwenn die Kräfte der linken Gewerk-schafter/innen schwach und hetero-gen sind.

Wo noch Positionen des Wider-stands erkennbar sind, müssen sieunterstützt werden. Der ver.di-Lan-desbezirk Bayern hat z. B. eine kriti-sche Stellungnahme „zu den Vor-schlägen aus der Hartz-Kommission“verfaßt. Auch wenn ich gegenüber ei-nigen Punkten dieser Stellungnahme(„expansive Finanzpolitik des Staatesund eine expansive Geldpolitik“)nicht ohne Skepsis bin - es wirdwenigstens eine Gegenposition zumNeoliberalismus bezogen. Auch dieForderung von IGM und ver.di nacheinem Konjunkturprogramm derBundesregierung fällt unter diese Ka-tegorie. (vgl. Exkurs zur Nachfrage-theorie)

Soweit irgend möglich müssengewerkschaftliche Gremien gegenden Katalog der Hartz-KommissionStellung beziehen. Das ständige Zu-rückweichen vor den scheinwissen-schaftlich begründeten Vorstößen derUnternehmer und ihrer christ- odersozialdemokratischen Agenten in denRegierungen hat weder den Lohnab-hängigen noch den Gewerkschaftenund am allerwenigsten den Arbeits-losen etwas gebracht. In der veröf-fentlichten Meinung haben wir ehnichts zu verlieren. Wenn gegen die-sen Angriff der Hartz-Kommissionauf die Lebensbedingungen derLohnarbeiter/innen nicht ausrei-chend Widerstand auftritt, wird dernächste Angriff folgen. Es ist alsonichts zu verlieren, wenn Gewerk-schafter gegen das Hartz-Papier auf-treten - doch vielleicht ein wenig zugewinnen.

20. 11. 2002

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Arbeiterstimme3232323232 Winter 2002

Wie bereits in den ver-gangenen Jahren warauch in diesem Jahr

der letzte Punkt der Tagesordnungder Bericht unseres Genossen ausEngland über die Lage und die politi-schen Entwicklungen in Großbritannien.Sein besonderes Augenmerk galtheuer der Entwicklung bei den Ge-werkschaften und der Stellung derBlair-Regierung besonders im Hin-blick auf einen möglichen Irak-Krieg.

Die bereits bei der letzten Kon-ferenz geschilderte Linksbewegungin den Gewerkschaften hat sich fort-gesetzt. Diese Tendenz ist stärker undallgemeiner geworden. Belegt wurdedies durch die Schilderung der Vor-standswahlen bei verschiedenen Ein-zelgewerkschaften, wo durchwegslinke Führer in Spitzenpositionengewählt wurden; etliche davon Kom-munisten oder Klassenkämpfer, inoffener Auseinandersetzung mitBlair-Anhängern.

So war z.B. die Wahl von DerekSimpson, der bis zur KP-Auflösungderen Mitglied war, zum Generalse-kretär von AM/CW (einem Zusam-menschluß zweier großer Gewerk-schaften , der Metallarbeitergewerk-schaft AEEU und der MSF, die vieleverschiedene Branchen organisiert)ein großer Schock für Blair, die Bosseund Sir Ken Jackson, den rechtenGeneralsekretär. Dieser wurde vonBlair mit einem Videofilm unter-stützt, in dem er Simpson als „Extre-misten“ bezeichnete.

Jacksons Gewerkschaftssekretä-re wurden obendrein beim Wahlfäl-schen ertappt. Sie hatten unter ande-rem die gleichen Mitglieder in ver-schiedenen Branchen der Gewerk-schaft jeweils abstimmen lassen (undsomit mehrfach), um Jackson zu un-terstützen. Der verantwortliche Ge-werkschaftssekretär für London wur-de gefeuert, der aber jetzt sagt, daßJackson bei den Treffen anwesendwar, bei denen der Schwindel geplantwurde.

Der Referent schilderte auchden Fall einer anderen Gewerkschaft,bei der ebenfalls ein linker Vorsitzen-der gewählt wurde. Der alte (rechte)

Vorsitzende berief daraufhin den al-ten (rechten) Vorstand ein und ließsich von diesem wiederum zum Vor-sitzenden „wählen“. Gegen das Er-gebnis der eigentlichen Neuwahlging er – entgegen dem Anraten sei-ner politischen Freunde – gerichtlichvor und wollte es nicht anerkennen.Das Gericht bestätigte aber die Wahldes neuen linken Vorstands.

Die Wahl vieler linker Gewerk-schaftsvorstände führte auch zu ei-nem Linksrutsch bei der jährlichenGeneralversammlung der Gewerk-schaften der TUC. Dieser Kongresswar im letzten Jahr ja wegen der Er-eignisse des 11. September abgebro-chen worden. Bei der ersten Abstim-mung per Akklamation über einedort vorgeschlagene Resolution ge-gen einen Krieg gegen den Irak erhieltdiese eine Mehrheit. Der Vorsitzen-de ließ jedoch die Wahl per Stimm-zettel wiederholen. Dabei heben dieEinzelgewerkschaften die Stimmen-zahl ihrer jeweiligen Mitglieder. Diegroßen Gewerkschaften stimmtengegen die Resolution, um Blair voreiner Blamage zu bewahren. Die Vor-lage erhielt aber immerhin auch hiernoch eine Zustimmung von 40 %.Angenommen wurde schließlich eineResolution gegen einen Krieg gegenden Irak, außer wenn er von der UNOgebilligt würde. Der Kongress warein wesentlich militanteres Treffen alser es jahrelang gewesen war.

Ähnlich war es beim diesjähri-gen Parteikongress der Labour-Party.Die Vorlage des nationalen Exekutiv-Komitees, das von Blair-Anhängerndominiert wird, zum Irak wurde zu-rückgezogen, als sich eine Niederla-ge abzeichnete. Stattdessen wurdeder Vorschlag angenommen, einemKrieg gegen den Irak nur zuzustim-men, wenn er von den Vereinten Na-tionen gebilligt würde (wie beimTUC-Kongress). Auch hier erhielteine Vorlage, die den Krieg vollstän-dig ablehnte einen, Stimmenanteilvon 40 %.

Mit seiner Stellung zum Irak-Krieg ist Blair völlig isoliert, sowohlin der Gewerkschaftsbewegung alsauch in der Bevölkerung. In Mei-

nungsumfragen wird der Krieg von70 % der Befragten abgelehnt. Aufdem Parteikongress durften auch nurDelegierte bei der Irak-Debatte spre-chen, die Blair unterstützten.

Nach Protestrufen erhielten nurganz wenige seiner Gegner Rede-recht. Als der Minister Paul Boatengeine Rede hielt, um die Regierung zuverteidigen, wurde er durch Buhru-fe und langsames Händeklatschengestört. So etwas hatte es seit langerZeit nicht mehr gegeben.

An der Demonstration gegeneinen Krieg gegen den Irak nahmenam 28. September 300 000 Menschenteil, manche sagen auch 400 000.

Eine weitere Niederlage erhieltBlair auf dem Kongress bei dem Vor-haben das Gesundheits- und Erzie-hungswesen für Privatfirmen zu öff-nen.

Im allgemeinpolitischen Sektorgibt es noch keine Auswirkungen desLinksrucks in Großbritannien. Blairist zwar unbeliebt, aber ohne Alter-native. Die Konservativen befindensich in einer existentiellen Krise. DieLiberaldemokraten verspüren zwaretwas Oberwasser, sie streiten sichaber darüber, ob sie Opposition voneinem Standpunkt links von Labourmachen sollen, wie ein Teil von ihnendas möchte, oder ob das eine Aufga-be der Parteiprinzipien bedeutet undihre Position nach wie vor in der Mit-te des Spektrums bleiben müsse., wieein anderer Teil fordert.

Auf der militanten Linken hatdie „Socialist Alliance“ keine Basis imGegensatz zur „Scottish Sozialist Par-ty“, die sogar im schottischen Parla-ment vertreten ist.

Die beste Perspektive für dieLinke in Großbritannien ist die Ge-werkschaftsbewegung.

Zusammenfassend stellte derGenosse fest, daß die Entwicklung inGroßbritannien eine positive ist: DieGewerkschaften bewegen sich nachlinks und gewinnen neue Arbeiter-schichten, ein durchaus positiver Pro-zeß.

Bericht aus Großbritannien

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Mitte August 2002 hatdie Betriebsleitungdes Standortes Sie-

mens Hofmannstraße mitgeteilt, dasssie plant, bis zum 30.09.2002, also bin-nen sechs Wochen, 2.600 von 10.300Arbeitnehmern zu entlassen. DieseAbsicht bezieht sich im Wesentlichenauf den Bereich ICN (Festnetz), wodurch die Entlassung weiterer 2.300Mitarbeiter die Belegschaft auf 4.300Mitarbeiter reduziert werden soll. ImBereich der Mobilen Netze (ICM N)sollen 300 Arbeitsplätze vernichtetwerden.

Dafür hat man sich ein raffinier-tes Entsorgungssystem, kombiniertmit einer kleinen Recycling-Anlageausgedacht. Damit der Bereichsvor-stand keine „betriebsbedingten“Kündigungen aussprechen muss, sol-len die 2.600 „freiwillig“ ihren Ar-beitsplatz räumen, zu Gunsten einesauf ein Jahr befristeten Jobs in einerexternen „Beschäftigungsgesell-schaft“. Ein reiner Etikettenschwin-del, denn Beschäftigung gibt es in die-ser nicht, sondern „Kurzarbeit 0“. Inden 12 Monaten sollen die Mitarbei-ter für den Arbeitsmarkt „qualifi-ziert“ werden. Was unter „Qualifizie-rung“ wirklich gemeint ist angesichtsder Tatsache, dass die betroffenenMitarbeiter allesamt hochqualifizier-te Fachkräfte sind, stellte sich schnellheraus: Die Mitarbeiter sollten ihren„mind set“, also ihre Einstellung zurErwerbsarbeit ändern, vor allem da-hingehend, dass sie zukünftig zurMarktbedingung, also mit 20 – 30 %weniger Lohn bei längeren und fle-xibleren Arbeitszeiten arbeiten müs-sen. Je nach Marktnachfrage werdendann geeignete Arbeitnehmer aus derBeschäftigungsgesellschaft in dieAuffanggesellschaft „übernommen“.„Auffanggesellschaft“ meint eineArbeitnehmerüberlassungsfirma, dieihre Angestellten auf dem Leiharbeit-nehmermarkt anbietet. Etwaige tarif-vertragliche Rechte stünden noch inden Sternen. Auch der Verleih zur

Siemens AG, selbst zu ICN, ist juris-tisch möglich. So kann ICN, sollte sichherausstellen, dass durch den Perso-nalabbau der Geschäftsbetrieb zu-sammenbricht, die eingearbeitetenArbeitskräfte von der Auffanggesell-schaft „leasen“. Die Firma geht davonaus, dass zu Beginn ca. 300 Mitarbei-tern ein projektbezogener, befristeterArbeitsplatz in der Auffanggesell-schaft angeboten werden kann. Die-ses System ist auf Dauerbetrieb an-gelegt. Siemens antizipiert hier dieVorschläge der Hartz-Kommissionzur Deregulierung des Arbeitsmark-tes. Nach Hartz soll die Einsatzzeitvon Leiharbeitern pro Betrieb unbe-grenzt sein. Bisher war das auf maxi-mal 2 Jahre limitiert. Siemens könntedadurch sukzessive seine Stammbe-legschaft abbauen und durch Leihar-beiter ersetzen. Im gesamten IT-Be-reich würde so ein krebsartig wu-chernder Billiglohn-Sektor geschaf-fen. Kein Wunder, dass die IT-Bran-che die Hartz-Vorschläge begeistertbegrüßte. Gerade in der IT-Branchekönnten befristete Arbeitsverträgeund das „Austesten von Leih-Mitar-beitern den Spielraum vieler Unter-nehmen vergrößern“, heißt es in ei-ner Presseerklärung. Das Siemens-

Modell dürfte auch bei anderen Kon-zernen und Branchen Schule machen.

Der Betriebsrat ist mit derarti-gen Modellen von Personalplanungganz und gar nicht einverstandenund schlägt stattdessen eine Arbeits-zeitverkürzung von 20 % in Formvon Kurzarbeit, evtl. auch gemäß Be-schäftigungssicherungstarifvertragder IG Metall vor. Dieser überausvernünftige Vorschlag wurde vomManagement rundweg abgelehnt.

Im Betriebsrat ist die IG Metalldie stärkste Fraktion. Die anderenGruppierungen sind die AUB (Ar-beitsgemeinschaft unabhängiger Be-triebsräte), Für UNS (Nichtraucher-schutz), UHL (auch Unabhängige)und ver.di (= ehemals DAG/AN).

Die Hälfte der Belegschaft istim übertariflichen Bereich beschäf-tigt. Der Organisationsgrad bei derIG Metall ist unter 10 %.

Der Betriebsrat entwickelte eineDoppelstrategie: eine außerbetriebli-che Öffentlichkeit schaffen undschnelle Informationen über den je-weiligen Verhandlungsstand an dieBelegschaft.

Der Betriebsrat schrieb einenBrief an den Bundeskanzler: „Sehrgeehrter Herr Bundeskanzler, bitte

„Die Familie Siemens gibt esnicht mehr“ (Heribert Fieber, Be-triebsratsvorsitzender)

Siemens AG München

Bericht aus der Hofmannstraße

Demonstration der Siemens-Beschäftigten auf dem Münchner Marienplatz

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Arbeiterstimme3434343434 Winter 2002

setzten Sie sich ganz persönlich fürunsere Anliegen ein. Wir wissen,dass sie zu Herrn Dr. von Pierer guteund sachliche Verbindungen haben.Diese zu nutzen, für unsere berech-tigten Anliegen, nämlich den Erhaltvon Arbeitsplätzen, ist unsere Bitteund dürfte auch in Ihrem Interesseliegen.“

Im Stadtrat von Münchenbrachte die CSU eine Resolution ein,in der sie den Stadtrat aufforderte,sich uneingeschränkt hinter die For-derung des Betriebsrats zu stellenund den Oberbürgermeister beauf-tragte, diese Forderung bei derKonzernzentrale vorzubringen. DerAntrag wurde einstimmig angenom-men.

Betriebsintern fanden je nachVerhandlungsstand Bereichs- bzw.Betriebsversammlungen statt. Auchdas Personalbüro und die Bereichs-leitung organisierten Info-Veranstal-tungen.

Die IG Metall startete eine Mit-glieder-Werbekampagne. Die Kolle-gInnen, die bis zu einem bestimmtenZeitpunkt die Beitrittserklärung un-terschrieben, hatten ab 1.10. bereitsKündigungsschutz. Über 800 neueMitglieder fanden den Weg zur IGMetall.

Das betriebsinterne Intranetwurde nicht nur von den Betroffenensehr rege für Informationsaustauschgenutzt. In einigen Abteilungen ent-standen selbstorganisierte Arbeits-gruppen, die konkrete Vorschlägezur Arbeitszeitverkürzung erarbeite-ten.

Im Oktober demonstrierten ca.2.500 SiemensianerInnen vor derKonzernzentrale am WittelsbacherPlatz. Die Münchner Presse und dieüberregionalen Tageszeitungen SZund Münchner Merkur berichtetenüber die Aktionen und den Verhand-lungsstand. Im Bayerischen Fernse-hen und Rundfunk wurden Betriebs-räte zu Interviews und Diskussions-sendungen eingeladen. Viele Betrof-fenen erlebten in dieser Zeit einenWandel ihrer Werte. Die von ihnengeleistete hochqualifizierte Entwick-lungs-, Forschungs- und Vertriebsar-beit war plötzlich nur noch Kosten-faktor. Das Individuum wird im ka-pitalistisch organisierten Arbeitspro-zess je nach Bedarf „freigestellt“. DieAuffanggesellschaft wurde durchausals „Billiglohnsektor“ im IT-Bereich

erkannt. Dass auf die in der SiemensAG verbleibenden MitarbeiterInnensich der Existenz- und Arbeitsdruckverschärfen wird, haben viele er-kannt.

Am 24.10.02 wurde nach vielenGesprächen in insgesamt 11 Ver-handlungsrunden zwischen Be-triebsleitung und Betriebsrat eineBetriebsvereinbarung geschlossen.Vorgesehen ist ein Maßnahmenbün-del, das aus vier Komponenten be-steht:

1. Insourcing externer Dienst-leistungen. Dies entspricht einemKostenfaktor von ca. 250 Arbeitsplät-zen, die dadurch erhalten werdenkönnen.

2. Die Verkürzung der Arbeits-zeit. 2,5 Stunden pro Woche. Dieskommt rechnerisch einer Personalan-passung von ca. 350 Stellen gleich.

3. Gründung einer bereichsin-ternen Einheit zur Qualifizierungund Vermittlung in den ersten Ar-beitsmarkt. In diese Einheit werdenca. 1.100 MitarbeiterInnen überführt.

4. Für weitere 300 MitarbeiterIn-nen werden einzelvertragliche Rege-lungen gefunden.

Dieser Kompromiss ist ein Aus-druck des Kräfteverhältnisses. DieKapitalseite konnte die geplantenMassenentlassungen und noch wei-tere Arbeitszeitverdichtung für dieRestbelegschaft nicht verwirklichen.Die externe Auffanggesellschaft istweg. Die Arbeitszeitverkürzungmuss für die außertariflichen Mitar-beiterInnen mit einem Einzelvertragakzeptiert werden. Für die tariflichenAngestellten tritt sie in Kraft. Es sind2,5 Stunden pro Woche ohne Gehalts-ausgleich. Die Veränderung für dieKollegInnen ist sehr groß. Für denEinzelnen oder auch im Team mussdie Arbeitszeitplanung gegen denTermindruck durchgesetzt werden.Das ist ein emanzipatorischer Schritt,der Mut und Ausdauer erfordert.Gelingt das nicht, oder nur ungenü-gend, sind bei der nächsten Kriseoder Rationalisierung wieder einigehundert MitarbeiterInnen in der be-reichsinternen Auffanggesellschaft,die dann später zur Arbeitslosigkeitführt.

Hans Reiserer

Quellennachweis:Broschüren der IG Metall

Nr. 137: 31. Jg., Herbst 2002, 40 S.· Keine Stimme den Kriegsparteien· Linke Anpassung an bestehende Verhältnisse· Wege und Holzwege (Klassenkampfaspekte)· Zur Mehdorns Bahn“reform“· Nachdruck zum NahostkonfliktNr. 136: 31. Jg., Sommer 2002, 40 S.· Der Streik in der Metallindustrie· Zur Entwicklung in der PDS· Die Linke in Deutschland· Vom Handelskapital zur Globalisierung· Interview mit dem Autor (s.o.)· Gegenden Strom (Rezension der Neuauflage)· Abendrothbiographie (Rezension)Nr. 135: 31. Jg., Frühjahr 2002, 48 S.· Von der Dominanz zur Weltherrschaft· Linke: Abkehr vom Antiimperialismus· Zum Demonstrationsverbot in München· PDS: Kapitulation in Berlin· Tarifrunde: „Es muss kräftig mehr Geldgeben“· Neonazis in SachsenNr. 134: 30. Jg., Dezember 2001, 40 S.· Staatsterrorismus der USA· Der PDS-Parteitag· Gewerkschaftsvorstände alsBereicherungsclique· Die Antiglobalisierungsbewegung· Kein Ende des Sozialabbaus· Die „Gnade der Ausbeutung“· KPD und andere in der Weimarer RepublikNr. 133: 30. Jg., September 2001, 40 S.· Intervention in Mazedonien· Zwickels Verrat· Vor dem PDS-Parteitag· Gesundheits„reform“· Neo-Nazis in der Sächsischen Schweiz· Brandler Biographie (Rezension)· KPOler in Moskau (Nachdruck)Nr. 132: 30. Jg., Juni 2001, 40 S.· 1. Mai in Augsburg: Gewerkschaften gehen- die Faschisten kommen· Solidarität für was? Gefühl oder marxistischeAnalyse· Revolutionäre Bewegungen in Kolumbien· Gedanken zur Globalisierung· Deutscher Rechtsextremismus (Rezension)Nr. 131: 30. Jg. ,März 2001, 40 S.· „Reformen“ und Gewerkschaften· Rentenreform = Lohnabbau + Rentenkürzung· Scharpings Kriegslügen· Vor 50 Jahren: Krieg in Korea· Die Kämpfe in Spanien 1937· Autobiographie Ted Bergmanns (Rezension)· Nachrufe: Hilde Keller / Heinz Kundel

Register: 1981 – 1989, 1971 - 1975, 1976 – 1981;zum Preis von je einem €

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Aus dem Inhalt der letzten Nummern:

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3535353535Arbeiterstimme Winter 2002

Die Meldung von einerBombenexplosion imMünchner Bürgerbräu-

keller erreichte den Hauptredner desAbends im Sonderzug bei einemZwischenhalt in Nürnberg auf demWege nach Berlin. „Glück muß derMensch haben“, kommentierte AdolfHitler den Umstand, früher als ge-wohnt den Ort seines Bierkellerput-sches vom 8. November 1923 verlas-sen zu haben. Nun, sechzehn Jahrespäter, herrschte seit dem Feldzuggegen Polen im September seit zweiMonaten wieder Krieg in Europa.Unstimmigkeiten mit dem Oberkom-mando der Wehrmacht über Angriffs-absichten gegen Frankreich bewogenden Faschistenführer zur pünktlichenPräsenz am anderen Morgen in Ber-lin. Ein geplanter Flug erst zu dieserZeit von Müchen aus wurde wegender unsicheren Herbstwetterlage ab-gesetzt.

Wer hatte die „sprengtechnischan günstigster Stelle“ platzierte Bom-be in einer Deckentragsäule hinterdem Rednerpult installiert, die am 8.November 1939 gegen 21.20 Uhr sie-ben sogenannte „alte Kämpfer“ undeine Aushilfskellnerin tötete?

Entgegen aller noch jahrzehnte-lang fortwährenden Legendenbil-dung stellte der Münchner Untersu-chungsrichter Dr. Naaf bereits 1950die Alleintäterschaft des aus Königs-bronn in Württemberg stammendenSchreiners Georg Elser (1903-1945)amtlich fest.

In der jetzt als Taschenbuch vor-liegenden neuesten Biografie des Ge-org Elser ist es dem Autor HellmutG. Haasis gelungen, mit einer an fil-mischen Sequenzen orientierten Ka-pitelfolge Ausführung, gesellschaft-lichen Hintergrund und Planung desAttentats so zu verdeutlichen, dasdem in seiner historischen Tragweitelängst nicht hinreichend begriffenenVorgang mehr Bedeutung als bisherzugemessen werden muß. Dem Er-kenntnisstand über den puren Her-gang des Attentats ist nichts mehr

hinzuzufügen. Wohl aber erlaubt dieSicht auf die Herausbildung der Mo-tivlage des Attentäters bislang unter-lassene Überlegungen auf die Stim-mungslage in der Arbeiterschaft imfaschistischen Deutschland in den„Erfolgsjahren“ des Regimes und wiesich diese Umstände in der Persondes Georg Elser gleichsam in denWillen zur Tat verdichten. Auch wennder Autor trotz seiner Belege es garnicht so in den Vordergrund stellt:Georg Elser wagte die alles überra-gende Tat des Arbeiterwiderstandsim deutschen Faschismus, motiviertaus seiner Klassenlage und im End-effekt fast „erfolgreich“, weil er au-ßerhalb etwaiger Widerstandszirkelder zerschlagenen organisierten Ar-beiterbewegung bewußt als „Einzel-täter“ operierte. Mit Glück und Geis-tesgegenwart bis kurz vor den An-schlag wäre beinahe etwas gelungen,was völlig jenseits der herkömmli-chen Handlungsoptionen der Arbei-terbewegung in Deutschland lag.Dies umso mehr, wo doch diese or-ganisationspolitisch so stolze Bewe-gung vor dem Aufkommen des Fa-schismus kampflos und schmählichversagte, denn eine Chance auf mas-senhafte Einheitsfrontaktionen, umdie Machtübergabe an die Nazi-Par-tei zu blockieren, war noch bis An-fang 1933 gegeben.

Der erhalten gebliebene Textdes Vernehmungsprotokolls vom19.11.1939 bietet für die biografischeRecherche eine Fülle von Hinweisenund wurde entsprechend vom Autorgenutzt. Die eingehende Textanalyseerlaubt dem Autor aber weit mehrAufschlüsse und bietet genug Bele-ge, um die Behauptung zu stützen:„Der zum Attentat entschlossene Pa-zifist wurde akzeptiert, der Kämpferfür Arbeiterinteressen fiel geflissent-lich unter den Tisch.“ Aus seinen Er-fahrungen als Heranwachsender imI. Weltkrieg wäre Elsers Einstellungals „Kriegsgegner“ hier präziser for-muliert. Soweit er sich recht geschicktbemühte, keine weiteren Personen im

Verhör als Verdächtige erscheinen zulassen, ist dem Autor jedoch voll zu-zustimmen: „Wenn er sich zur Poli-tik äußert, spricht er flüssig und aus-führlich über die wirtschaftliche Kri-tik der Arbeiter am Regime, und hiermuß die Gestapo ihm nicht alles ausder Nase ziehen.“ Elsers präzise Aus-sagen decken die soziale Funktiondes faschistischen Regimes besser aufals so manches Geheuchel an irgend-welchen Gedenktagen. „Nach meinerAnsicht haben sich die Verhältnissein der Arbeiterschaft nach der natio-nalen Revolution in verschiedenerHinsicht verschlechtert. So z.B. habeich festgestellt, daß die Löhne niedri-ger und die Abzüge höher wurden.Während ich im Jahre 1929 in derUhrenfabrik in Konstanz durch-schnittlich 50,- RM wöchentlich ver-dient habe, haben die Abzüge zu die-ser Zeit für Steuer, Krankenkasse,Arbeitslosenunterstützung und Inva-lidenmarken nur ungefähr 5,- RMbetragen. Heute sind die Abzügebereits bei einem Wochenverdienstvon 25,- RM so hoch. Der Stunden-lohn eines Schreiners hat im Jahre1929 eine Reichsmark betragen, heu-te wird nur noch ein Stundenlohn von68 Pfg. bezahlt. Es ist mir erinnerlich,daß 1929 sogar ein Stundenlohn von1,05 RM tarifmäßig bezahlt wordenist. Aus Unterhaltungen mit verschie-denen Arbeitern ist bekannt, daßauch in anderen Berufsgruppen nachder nationalen Erhebung die Löhnegesenkt und die Abzüge größer wur-den. (...) Die seit 1933 in der Arbeiter-schaft von mir beobachtete Unzufrie-denheit und der von mir seit Herbst1938 vermutete unvermeidliche Kriegbeschäftigten stets meine Gedanken-gänge. (...) Ich stellte allein Betrach-tungen an, wie man die Verhältnisseder Arbeiterschaft bessern und einenKrieg vermeiden könnte.“

Diese Aussagen mögen genü-gen, die These zu stützen, das die Tatvon einem Individualisten ausgeführtwurde, als solche aber auch aus ei-nem nicht zersetzten existenten Ar-

Der Attentäter aus der ArbeiterklasseGeboren am 04.01.1903: Zur neueren Biografie von Hellmut G. Haasisüber den Hitler-Attentäter Georg Elser

Zum hundertsten Geburtstag eines konsequenten Antifaschisten

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Arbeiterstimme3636363636 Winter 2002

Literatur und kleinere Ar-beiten über Leben, Wol-len und Wirken von Rosa

Luxemburg und Karl Liebknecht, lie-gen inzwischen in Deutschland in er-freulicher Breite vor. Wobei Rosa Lu-xemburg allerdings mehr Beachtunggefunden hat, was nicht zuletzt dar-an liegt, daß Karl Liebknecht viel tie-fer in der politischen Alltagsarbeitsteckte. Die Beurteilungen reichen vonverklärender Begeisterung bis zu voll-kommener Ablehnung. Es wird demneugierigen Leser also nicht ganz ein-fach gemacht, ein realistisches Bild zugewinnen.

So kommt nun der „Gewerk-schaftsfunktionär“ Manfred Scharrer(Leiter der ver.di Bildungsstätte Moos-bach/Baden) mit einem Buch von 192Seiten daher, um mit den positiven Le-genden um Rosa und Karl gründlichaufzuräumen. Es gelingt ihm nicht, eskonnte ihm auch gar nicht gelingen,da Scharrer voller Vorurteile an die Ar-beit gegangen ist. Das sorgfältige Stu-dium der Quellen hätte ihn eines Bes-seren belehren können, aber das ge-schah aus dem einfachen Grund, daßScharrer nur „Belege“ für seine Vor-urteile sucht und nutzt, nicht.

Scharrer denkt nicht daran, dieWelt, in der Rosa und Karl zu wirkenversuchten, auch nur ansatzweise re-alistisch darzustellen. Es fehlen fun-dierte Hinweise auf die ideologischeZerrissenheit der Sozialdemokratieschon im kaiserlich-militärischen Ob-rigkeitsstaat. Von einer nüchternenAnalyse, was sinnvoll und machbargewesen wäre, warum Rosa und Karlzu ganz anderen Ergebnissen kamenals viele ihrer politischen und gewerk-schaftlichen Zeitgenossen, findet sichbei Scharrer so gut wie nichts. Er hatseine Schuldigen gefunden, auf diewird eingedroschen, hübsch unter-mauert mit allen möglichen und un-möglichen, oft aus dem Zusammen-hang gerissenen Zitaten.

Bei dem nicht „vorbelasteten“Leser könnte der Eindruck entstehen,daß an allen Fehlentwicklungen in derSozialdemokratie und in Deutschlandvon 1900 bis 1919 Rosa und KarlSchuld waren. Dabei haben sie sich bis1914 gar nicht sonderlich gut gekannt.

Ihr Einfluß auf die Politik, auch nurder Partei war bescheiden. Im erstenWeltkrieg waren sie lange inhaftiert.Auf die sich mit dem Zusammenbruchder Kriegsdiktatur entwickelnden re-volutionären Bestrebungen hatten sienur wenig Einfluß, denn von der Ent-lassung aus Gefängnis und Zucht-haus, bis zu ihrer Ermordung bliebenihnen nur wenige Wochen.

Betrachtet man ihr Lebenswerkvorurteilsfrei, so kann man sie getrostzu den besten und originellsten Köp-fen der damaligen deutschen Arbei-terbewegung zählen. Sie haben sichnatürlich auch geirrt, sie haben Feh-ler gemacht, sie haben sich von ihrenTräumen und Wünschen oft überGebühr leiten lassen. Aber gilt dasnicht ebenso, wenn nicht noch vielmehr für ihre Gegner in der gespal-tenen Sozialdemokratie?

Der Schatten des Bismarck-schen Reiches, eines halbfeudalenMilitärstaates, mit einer Vielzahl ver-blendeter Politiker und Beamter inSpitzenfunktionen, lag von Beginn anüber der halbherzig gewagten Repu-blik von Weimar. Dort hätte angesetztwerden müssen! Das hatten Luxem-burg und Liebknecht klar erkannt.Die Sozialdemokraten aber suchtedas Bündnis mit den alten Mächten,die schon bald die Bühne wieder be-herrschen sollten.

Das führte zum Zerfall der Repu-blik, öffnete Hitler und seinen zahlrei-chen Helfershelfern Tür und Tor, führ-te in den nächsten Weltkrieg, mit Ver-brechen bis hin zu Massen- und Völ-kermord.

Aber das sieht Scharrer nicht, ihmreicht es eine „Legende“ zu zerstören!

Kurz: eine Veröffentlichung, dieprimär zur Vernebelung beiträgt, in derdie Subjektivität gelegentlich bis zurGehässigkeit ausartet, ein überflüssigesBuch, zudem noch so schlecht geschrie-ben, daß es zum Glück nicht viele Le-ser finden wird, die sich bis zum bitte-ren Ende durchkämpfen werden.

Peter BernhardiManfred Scharrer:„Freiheit ist immer ...“.Die Legende von Rosa & Karl.Verlag Transit.Berlin 2002, 192 Seiten, 16,80 €.

Manfred Scharrers „Aufklärung“Rosa Luxemburg, Karl Liebknechtbeitermilieu erfolgte. Bei alldem kom-

men dann zentrale Komitees undAuslandskonferenzerklärungen nichtvor. Ein Grund, so Haasis, das derAttentäter im antifaschistischenSchrifttum der DDR nicht auftaucht.„(...) den Anschlag hatte es für dieDDR-Geschichtsschreibung einfachnicht gegeben.“ Dies gilt jedoch auchfür westdeutsche Publikationen zurArbeiterbewegung. Der Stellenwertdes Georg Elser im Kontext des Ar-beiterwiderstandes gegen den Fa-schismus findet selbst in empfehlens-werten Gesamtdarstellungen keineBerücksichtigung.

Indem Hellmut G. Haasis sogarweitere Fakten zum Verständnis die-ses deutschen Dramas beibringt,dürfte jetzt die Quellenlage zu demThema weitgehend ausgereizt sein.Allein die Rekonstruktion der letztenPhase des Lebens von Georg Elser imKZ Dachau klärt wichtige Detailsüber die Umstände seiner Liquidati-on durch einen SS-Mann. Den Kriegüber „geschont“, um nach dem „End-sieg“ als Kronzeuge in einem insze-nierten Schauprozeß zu dienen, sag-te er dort angelangt einem Bewacher:„Meine Tage sind gezählt, das weißich längst.“

Versehen mit thematisch pas-senden Fotodokumenten liegt mit derpreisgünstigen Taschenbuchausgabeein sehr nützlicher Titel antifaschis-tischer Literatur vor, der allgemein-verständlich an die Lebenssituationim faschistischen Deutschland zu je-ner Zeit heranführt und dennochnicht an wissenschaftlicher Substanzverliert. Man mag die Haltung GeorgElsers nur schon deswegen vorbild-lich nennen, weil seine kritisch reflek-tierte eigene Interessenlage ihn be-wog, sein Vorhaben zielstrebig anzu-gehen. Bombenbasteln jedoch stehtunter heutigen Verhältnissen im po-litischen Kampf völlig außer Frage.Aber was wirksames politisches En-gagement mit der eigenen Interessen-lage am jeweiligen gesellschaftlichenOrt zu tun hat – dieser Frage ist nachder Lektüre dieses Buches nicht aus-zuweichen.

Hellmut G. Haasis:„Den Hitler jag’ ich in die Luft“Der Attentäter Georg ElserEine BiografieRowohlt Berlin 2001271 Seiten, 8,50 Euro

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3737373737Arbeiterstimme Winter 2002

Die Zunahme der Pro-duktivität im gesell-schaftlichen Durch-

schnitt um jährlich rund zwei Prozentfindet hierzulande in der öffentlichenDarstellung beständig beiläufige po-sitive Resonanz. In Bezug auf die Fra-ge, ob erhöhte Arbeitsproduktivitätnicht kürzere Arbeitszeiten für alle er-laubt, ist seit bald zehn Jahren inDeutschland ein gedanklicher Aus-setzer eingetreten. Mehr noch: Diegeleistete wöchentliche Arbeitszeithat seitdem wieder zugenommenund liegt durch Überstundenableis-tung im Schnitt bei vierzig Stunden.Das ist ein Rückfall auf den nach 1966bereits erreichten tariflichen Stan-dard. Möglich wird dies durch einegeltende Arbeitszeitgesetzgebung,die phasenweise eine 60-Stunden-Woche zuläßt. Der gewerkschaftlicheVerzicht auf weitere tariflich abgesi-cherte Arbeitszeitverkürzung seitbald zehn Jahren hat die Umkehrungder Arbeitszeitentwicklung begüns-tigt. Mit der Fixierung der 35-Stun-denwoche Mitte der neunziger Jahrein der Metall- und Druckindustrieschien die Phase einer allgemeinenArbeitszeitverkürzung für deutscheVerhältnisse vorerst abgeschlossen.Eine weite Auffächerung der tarifli-chen Fortschreibung kommt in-zwischen immer mehr den Flexibili-sierungsinteressen der Unternehmerentgegen. Die Abweichung vom all-gemeinen Standard der Arbeitszeitnach oben oder unten für Beschäftig-te und Betriebe gilt als Lösung der Be-schäftigungskrise. Fehlende Beschäf-tigungsalternativen zwingen die Be-legschaften, florierende Geschäftsent-wicklungen als dauerhafte Garantiedes eigenen Arbeitsplatzerhalts zubegreifen und deswegen eine hoheKonzessionsbereitschaft gerade inBezug auf die Arbeitszeitgestaltungeinzubringen. Und auch Gewerk-schaftsmitglieder wollen in erster Li-nie „Geld“ sehen. Geringe Lohnstei-gerungen bei mehrjährigen Laufzei-ten fördern nicht das Interesse an all-gemein geltenden Arbeitszeitverkür-

zungen mit positiven Effekten auf dieBeschäftigungsintensität, wenn dieEntwicklung der Lohneinkommenkeine spürbaren Kaufkraftzuwächseerwarten läßt. Mit seiner Studie „We-niger ist mehr – Arbeitszeitverkür-zung als Gesellschaftspolitik“ gibtder Sozialwissenschaftler SteffenLehndorff wichtige aktuelle Anstößezum gesellschaftspolitischen Stellen-wert von Arbeitszeitverkürzung alsVoraussetzung produktiver Arbeits-umverteilung und liefert überzeu-gende Argumente für die Wiederauf-nahme einer eben nicht nur tarifpoli-tischen Zielsetzung von Gewerk-schaftspolitik, sondern auch für diegesetzliche Verankerung und Flan-kierung arbeitszeitgesetzlicher Regu-lation, die eine wöchentliche Arbeits-zeit von höchstens vierzig Stundenvorschreiben müßte, um überhauptZeitkorridore abzusichern, in denenein möglicher wie notwendigerSechsstundentag als allgemeiner Nor-malarbeitstag gesellschaftliche Ge-stalt und Gewohnheit gewinnenkönnte. Um illusionäre Zieldefinitio-nen zu vermeiden, sind u.a. zwei ent-scheidende Tendenzen einzukalku-lieren: In der Tat gewinnt (Arbeits-)Zeit als Konkurrenzparameter wach-sende Bedeutung hinsichtlich ihrerunmittelbaren Verfügbarkeit in derbetrieblichen Verwertungslogik. „DieWachstumsbegrenzungen auf denProduktmärkten, die neue Schlüssel-rolle der Finanzmärkte sowie derunmittelbare Wettbewerb großer An-bieter auf dem Weltmarkt bewirkeneine enorme Verstärkung der Kon-kurrenz und des Kostensenkungs-drucks bis in die organisatorischenVerästelungen und Dienstleistungenhinein.“ Zudem verändert die zuneh-mende Erwerbsorientierung vonFrauen das gesellschaftliche Arbeits-kräfteangebot. „Unter gesellschaftli-chen Bedingungen, die Frauener-werbstätigkeit als Basis eigenständi-ger Existenzsicherung eher behin-dern (der britische Weg), droht eineAusweitung der Teilzeitarbeit als Er-satz für weitere Verkürzungen der

Standardarbeitszeit in die Sackgasseeiner geschlechtsspezifischen Ar-beitszeitpolarisierung zu führen. Dieskann sogar eine durchschnittlicheArbeitszeitverlängerung nach sichziehen.“ Unter Umständen, deren„naturwüchsiges“ Wirken sich selbstüberlassen bliebe, wäre eine egalitä-re Erwerbsbeteiligung von Männernund Frauen so nicht erreichbar. Ins-besondere der Einzelhandel als Sek-tor geschlechtsspezifischer Arbeits-zeitverteilung setzt hier negative Bei-spiele, wenn eine aus Kundenorien-tierung erwachsene individualisierteArbeitszeitorganisation außerge-wöhnliche Schwankungen des Ar-beitszeitsystems mit sich bringt undgeltende Arbeitszeitstandards per-manent unterlaufen werden. Dies isteine Seite der Polarisierung von Ar-beitszeiten und Tätigkeiten, die auffremdbestimmte festgelegte Einzelar-beiten oder kooperative, abwechseln-de partizipative Tätigkeiten am ande-ren Ende der Anforderungsskala hi-nauslaufen. Arbeitszeit am unterenEnde der Qualifikationsstandardswird immer stärker aufgeteilt, wäh-rend am oberen Ende hochqualifizier-te Arbeitskräfte immer länger arbei-ten. Ein verbreitertes gesellschaftli-ches Arbeitsvermögen für anspruchs-volle Arbeiten, für sich ein erhöhtesPotential der produktiven Elementeeiner modernen Gesellschaft, setztdemnach die Reduzierung der Ar-beitszeit von höher Qualifiziertengeradezu voraus. Denn wie sonst sollmehr Menschen die Chance zu mehranspruchsvollerer Arbeit gegebenwerden, wenn nicht eine Minderheitdiese Tätigkeiten auf Dauer in ent-grenzten Arbeitszeiten für sich mo-nopolisiert? Ohne weitergreifendeEinsicht in die eigene Motivlage wirdaber letztlich kein Wille bei den ab-hängig Beschäftigten dahingehendzu mobilisieren sein, weitere Arbeits-zeitverkürzung als für sich vorteilhaftzu begreifen. „Die Situation, in derdie Beschäftigten selber sich nicht fürihre Arbeitszeit interessieren, son-dern aus Spaß an der Arbeit, Ehrgeiz,

Kommt die arbeitszeitpolitische Debatte in den Gewerkschaften wieder inGang? Ein kürzerer Arbeitstag ist als wirkliches Reformprojekt für dielohnabhängig Beschäftigten wiederzuentdecken. Ein Hinweis auf eineunverzichtbare Studie zur Problemlage

Arbeitszeit und Lebensqualität

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Arbeiterstimme3838383838 Winter 2002

Sorge um den Arbeitsplatz und vie-len anderen Momenten jegliche Ar-beitszeitregulierung, sei sie tariflicheroder gesetzlicher Natur, als Behinde-rung und nicht als Schutz empfinden,wird gegenwärtig in den Mediengerne zu dem Typus zukünftigerArbeits(zeit)realität erklärt und gegenvermeintlich überholte Arbeitsstan-dards ins Feld geführt. In Bezug aufdie Arbeitszeiten dürfte damitallerdings bislang die Situation einerMinderheit beschrieben sein, wie dienach wie vor hohe Ausstrahlungs-kraft der tariflichen Arbeitszeiten inDeutschland zeigt.“

Mit seiner überaus lebendigenund mit verständig aufgearbeitetemempirischen Material (siebzehn Ab-bildungen, sechsundvierzig Tabellen)reichlich versehenen Bestandsauf-nahme der Arbeitszeitverkürzungund der Entwicklung der Beschäfti-gungspolitik seit zwei Jahrzehntenhat Steffen Lehndorff ein überzeu-gendes Beispiel dafür gegeben, wie

hilfreich die Tätigkeit kritischer So-zialwissenschaftler sein kann, zentra-le gesellschaftliche Anliegen neu zudurchdenken und damit handhabbarzu machen. Dabei weiß er die Erfah-rungen bei der gesetzlichen Einfüh-rung der 35-Stunden-Woche inFrankreich aufschlußreich umzuset-zen, die langfristigen speziellen Pro-bleme der Herausforderungen derFrauenerwerbstätigkeit zu benennenund klärt die Wechselwirkung staat-licher Arbeitszeitregulierung im Hin-blick auf eine tariforientierte Festle-gung der Regelarbeitszeit ab. Resü-mierend sei hier die Aufforderungbekräftigt, zu diesem thematisch un-verzichtbaren Buch zu greifen, umsich zu vergegenwärtigen: Eine Ver-knappung der Nutzung der individu-ellen Arbeitskraft trägt zur Verteilungdes Arbeitsanfalls auf weitere Ar-beitskräfte bei. Die Auseinanderset-zung um Arbeitszeitverkürzung mußdie Beschäftigten ermuntern, sie auchzu wollen! Arbeitszeitverkürzung hat

eine Basis, wenn dadurch Chancenauf Teilnahme am Erwerbsleben undeigenständige Existenzsicherung ge-zielter verteilt werden. Dies ziehtAnpassungen des Gesetzgebers inder Steuer- und Sozialversicherungs-politik nach sich. Familienpolitik mußnicht die Ehe, sondern das Leben mitKindern fördern. Die gesetzlicheHöchstdauer einer 40-Stunden-Wo-che findet ihren Sinn in der flankie-renden Voraussetzung für produkti-ve Arbeitsumverteilung des gesell-schaftlichen Arbeitsvermögens undentwickelt daher das gesellschaftlicheArbeitspotential qualitativ weiter.

Steffen Lehndorff

Weniger ist mehr – Arbeitszeitpolitikals GesellschaftspolitikVSA-Verlag Hamburg 2001,208 Seiten, 13,80 Euro

Hans Dieter Schütt, vorder „Wende“ 1989Chefredakteur des

FDJ-Organs „Junge Welt“, hat am18.11. im „Neuen Deutschland“ Gre-gor Gysis Forderung unterstützt,„Frieden mit dieser Gesellschaft“ zumachen. Er setzt Gesellschaft mit denMenschen gleich, was genauso kühnwie falsch ist, und behauptet vonLetztgenannten, sie wären unverän-derlich. Dafür, daß das in der Tat beimanchem so ist, lieferte Schütt selbstdas beste Beispiel. Zwar liegt schein-bar zwischen dem, der unter Hone-cker den stalinkritischen sowjeti-schen Film „Die Reue“ von Abulad-se verurteilte, und dem heutigen ND-Mitarbeiter, der lautstark Gysis Rufnach Einpassung in die neoliberaldirigierte kapitalistische Gesellschaftwiederholt, ein weiter Weg. Er istaber insofern nicht weit, als beideSchütts den „Realsozialismus“ Stalin-scher Prägung für reinsten Sozialis-mus halten. Nur verteidigt der jün-gere pauschal dasselbe, was der älte-

Selbstgetreuer Wendehalsre – ebenso pauschal und wiederumeiner Herrschaft treu – verwirft. Statt„differenzierter Geschichtsbetrach-tung“ verlangt er von PDS-Genossenden „Schmerz des radikalen Bruchs“mit allem, was den Osten ausmach-te, ergo auch des Besseren. Mit Dah-rendorf preist er die Menschenrechteund bürgerlichen Freiheiten. Sie sind– soweit vorhanden – tatsächlich einwertvolles Gut. Nur ist ihm glatt ihrin der BRD seit Jahrzehnten betriebe-ner Abbau entgangen. Schütt geselltsich sogar zu denen, die eine Fortset-zung des Abbaus für gut halten, be-hauptet er doch: „Der hohe Stand derMenschenrechte und der Freiheit(en)hat diese Gesellschaft an ihre derzei-tigen Gefährdungen geführt, nichtderen Mangel.“ Gleichzeitig beruft ersich auf Böll, Grass, Bloch, Mayer undHaffner als Kronzeugen für die eige-ne, prinzipiell bejahende Gesell-schaftsauffassung, obwohl dieseMänner ständig gegen Demokratie-abbau stritten. Sie wären auch nie aufvon Schütt propagierte Ideen wie die

gekommen, daß die Wandlung derGrünen zu Vorkämpfern sozialenAbbruchs und imperialistischer An-griffskriege etwas mit dem „Gesetzdes Demokratischen“ zu tun habeund Marx „der wunderbare Dichterdes faktisch Unmöglichen“ gewesensei. Im Drange, der „Gesellschaft“ zugefallen, sondert der Autor parado-xes Zeug ab, auch solches, mit demer sich selbst enttarnt. Für ihn ist tief-verwurzelte Treue zum Staat – egalob zum damaligen oder heutigen –charakteristisch. Nachdem die Dele-giertenmehrheit beim Geraer Partei-tag rechten PDS-Großkopferten dieGefolgschaft verweigerte, wirft er derPartei deswegen vor, „stalinistischeErfahrungen“ zu praktizieren.Hiervon sei abzugehen, damit mannicht von der „Gesellschaft“ links lie-gen gelassen werde. Ganz im Gegen-teil muß aber Gera fortgeführt wer-den, wenn der von Schütt als „Fremd-körper“ denunzierte demokratischeSozialismus weiterbestehen soll.

Fred Wilm

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3939393939Arbeiterstimme Winter 2002

Sonderheft China: Langer Marsch in den Kapitalismus? u. a. Die politische Kehrtwende, Das„Rennen auf Leben und Tod“, Deng Xiao-pings zu großer Sprung nach rechts, Revisionismus -oder schöpferische Anwendung des Marxismus?

Vorwort von Paul Frölich zum Werk von Rosa Luxemburg: Gegen den Reformismus

Register der „Arbeiterstimme“ 1971 - 1975, 1976 - 1981, 1981 - 1989

Isaac Abusch: Erinnerungen und Gedanken eines oppositionellen Kommunisten (Hrsg.Achim Kowalczyk)

Immer noch Kommunist? Erinnerungen von Paul Elflein

Theodor Bergmann: Gegen den Strom, Die Geschichte der KPD-Opposition (KPO) (Neuauflage)

August Thalheimer: Programmatische Fragen, Kritik des Programmentwurfs der kommuni-stischen Internationale (VI. Weltkongreß)

Die politische Theorie August Thalheimers 1919 - 1923 (Harald Jentsch)

Herausgegeben von der Gruppe Arbeiterpolitik: Einführung in den dialektischen Materialis-mus Vorträge an der Sun-Yat-Sen-Universität Moskau (August Thalheimer)

Zurück in die Eierschalen des Marxismus? Zum Existentialismus als bürgerliche Philosophie(August Thalheimer)

1923, eine verpaßte Revolution? Die deutsche Oktoberlegende und die wirkliche Geschichtevon 1923 (August Thalheimer)

Um was geht es? Zur Krise der KPD (August Thalheimer)

Plattform der Kommunistischen Partei Deutschlands (Opposition)

Wie schafft die Arbeiterklasse die Einheitsfront gegen den Faschismus? Eine kritische Un-tersuchung der Fragen: 1. Warum sind reformistische Methoden untauglich zum Kampf gegenden Faschismus? 2. Warum hat die bisherige kommunistische Taktik im Kampf gegen den Fa-schismus versagt, und wie muß sie geändert werden? (August Thalheimer)

Der Zusammenbruch der Weimarer Republik - und was weiter?

Volksfrontpolitik, ihre Ursachen und Folgen am Beispiel Frankreichs und Spaniens. Artikelaus dem „Internationalen Klassenkampf“ von 1935 - 1939. Eingeleitet von der Gruppe Arbeiter-politik

Die Potsdamer Beschlüsse, Eine marxistische Untersuchung der Deutschlandpolitik der Groß-mächte nach dem 2. Weltkrieg (August Thalheimer)

Grundlinien und Grundbegriffe der Weltpolitik nach dem 2. Weltkrieg (August Thalheimer)

Weiße Flecken, Über die Geschichte der Sowjetunion, u. a. Neue Ökonomische Politik, Indu-strialisierung, Kollektivierung, Opposition und Prozesse, Massensäuberungen, Belagerte Fes-tung

Grundlagen der Einschätzung der Sowjetunion (August Thalheimer)

Die Sowjetunion und die sozialistische Revolution (Heinrich Brandler)

Revolutionäre oder konterrevolutionäre Kritik an der Sowjetunion, Auseinandersetzung mitder Kritik Kravchenkos und Solschenizyns an der SU

Über die sogenannte Wirtschaftsdemokratie (August Thalheimer)

Der Weg der Gewerkschaften, Um eine richtige kommunistische Politik nach dem 2. Weltkrieg(Waldemar Bolze)

Ostblock - Westblock, Internationale monatliche Übersichten 1945 - 48 (August Thalheimer)

1985, 50 Seiten A4, 3,00 €

42 Seiten, 1,00 €

je 1,00 €

Sonderpreis 192 Seiten, 5,00 €

146 Seiten, 5,00 €

624 Seiten, 25,00 €

112 Seiten, 9,00 €

1993, 120 Seiten, 11,00 €

1927, 191 Seiten, 1993, 10,00 €

30 Seiten, 1,50 €

1931, 32 Seiten, 1,50 €

1929, 32 Seiten, 1,50 €

1931, 75 Seiten, 5,00 €

1932, 34 Seiten, 1,50 €

1932, 27 Seiten, 1,50 €

1974, 95 Seiten, 3,00 €

1945, 32 Seiten, 1,50 €

1946, 27 Seiten, 1,50 €

1991, 72 Seiten, A4, 4,00 €

1952, 43 Seiten, 1,50 €

1950, 140 Seiten, 8,00 €

1974, 68 Seiten, 1,50 €

1928, 54 Seiten, 2,00 €

1948, 181 Seiten, 5,00 €

15,00 €

Literaturliste

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Arbeiterstimme4040404040 Winter 2002

Die Niederlage der spanischenRepublik 1939 war eine Niederlagefür die spanische und internationaleArbeiterbewegung und ist bis heuteThema ungezählter Bücher.

Die Aufsätze in dem vorliegendenBuch sind erstmalig in der Arbeiter-stimme in den Ausgaben September1986 bis Oktober 1987 veröffentlichtund später in einer Broschüre zusam-mengefasst worden.

Uns war es wichtig diese längstvergriffene Broschüre mit einigen Er-gänzungen neu aufzulegen.

Denn es handelt sich um eine derseltenen Darstellungen der Ereignis-se in Spanien aus der Sicht der KPO(Kommunistische Partei – Oppositi-on), bzw. der sich in diese Traditionstellenden Gruppe. Die Position die-ses Teils der Arbeiterbewegung wirdin der bis heute andauernden Diskus-sion kaum zur Kenntnis genommen.Im Anhang werden einigeDiskussionsbeiträge aus unserer Zeitdokumentiert. Die Kämpfe in Barce-

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240 Seiten, Paperback,€ 12,-ISBN 3-00-010296-5

lona im Mai 1937, und die Kontrover-se um den „Fall Maurin“ werden un-ter Verwendung erst jetzt zugängli-cher Materialien dargestellt.

Wir sehen dieses Buch auch alseinen Beitrag zur Diskussion übereine der Ursachen, die zur weltwei-ten Niederlage der Arbeiterbewegungund der Ansätze zum Sozialismus ge-führt haben.

510 Seiten,Paperback,€ 25,-ISBN 3-87975-767-4

Bestelladresse:T. GradlPostfach 91030790261 Nürnberg

624 Seiten,Paperback,€ 25,-ISBN 3-87975-836-0