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1 Abfallwirtschaft Abfallwirtschaft I. Begriff und Zielsetzung; II. Abfallrecht und ab- fallrechtliche Regelungen; III. Abfallaufkommen und -entsorgung; IV. Abfalldeponierung; V. Abfall- verbrennung; VI. Landes- und regionalplanerische Aspekte der Abfallwirtschaft I. Begriff und Zielsetzung Unter Abfällen versteht man in der Regel alle festen und schlammförmigen Rückstände menschlicher Produktion und Konsumption, die nicht direkt wieder verwendet werden. Abfälle fallen schon seit Urzeiten in menschlichen Sied- lungen an und wurden bereits damals häufig außerhalb des Wohnbereichs abgelagert. Auch in unserer Konsum- und Wohlstandsgesellschaft war der Umgang mit Abfällen lange Jahre darauf beschränkt, sich dieser – in der Regel – durch Ab- lagerung zu entledigen. Dies hat zu Umweltprob- lemen wie Boden- und Wasserverunreinigungen (Bodenschutz; Altlasten) geführt. Zentrales Anliegen einer nachhaltigen Abfall- wirtschaft ist die Integration der Abfallwirtschaft in nachhaltige Produktions- und Konsumweisen, sowie die Integration einer stoffstromorientierten Sichtweise in die Abfallwirtschaft. Ziel einer solchen modernen Abfallwirtschaft ist es, die Entstehung von Abfällen möglichst zu vermeiden und dennoch anfallende Abfälle zu verwerten. Nicht vermeidbare oder verwertbare Abfälle sind – erforderlichenfalls nach Behandlung – umweltverträglich abzulagern. Der deutsche Gesetzgeber hat eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die zu entsorgenden Abfallmengen zu reduzieren, von denen die Verpackungsverordnung die bekann- teste Regelung ist. Ziel dieser Maßnahmen und des zugrunde liegenden Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW/AbfG) ist es, die Abfallwirt- schaft zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln. Dazu gehört neben der Produktverantwortung der Hersteller, die Ver- ursacher bezogen eine umweltfreundliche Pro- duktgestaltung und mittelfristig eine hochwertige stoffliche und energetische Verwertung zum Ziel hat, auch ein langfristiger Paradigmenwechsel von der oberirdischen Ablagerung zur untertägigen Ablagerung. Für Siedlungsabfälle soll die Kreislaufwirtschaft bis 2020 erreicht werden (BUNDESMINISTERI- UM FÜR UMWELT 1999). Bis dahin sollen alle Siedlungsabfälle einer vollständigen umweltver- träglichen Verwertung zugeführt und damit De- ponien überflüssig gemacht werden. Diese Zielstellung erfordert im Einzelnen, dass: – die Ablagerung unbehandelter Siedlungsabfäl- le in Siedlungsabfalldeponien so schnell wie möglich beendet wird und deshalb die vorhan- denen Vorbehandlungstechniken genutzt und neue Kapazitäten errichtet werden; – zur Vorbehandlung der Siedlungsabfälle ther- mische Verfahren oder hochwertige mecha- nisch-biologische Vorbehandlungsverfahren genutzt werden; A

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    Abfallwirtschaft

    I. Begriff und Zielsetzung; II. Abfallrecht und ab-fallrechtliche Regelungen; III. Abfallaufkommen und -entsorgung; IV. Abfalldeponierung; V. Abfall-verbrennung; VI. Landes- und regionalplanerische Aspekte der Abfallwirtschaft

    I. Begriff und Zielsetzung

    Unter Abfllen versteht man in der Regel alle festen und schlammfrmigen Rckstnde menschlicher Produktion und Konsumption, die nicht direkt wieder verwendet werden. Abflle fallen schon seit Urzeiten in menschlichen Sied-lungen an und wurden bereits damals hufig auerhalb des Wohnbereichs abgelagert. Auch in unserer Konsum- und Wohlstandsgesellschaft war der Umgang mit Abfllen lange Jahre darauf beschrnkt, sich dieser in der Regel durch Ab-lagerung zu entledigen. Dies hat zu Umweltprob-lemen wie Boden- und Wasserverunreinigungen ( Bodenschutz; Altlasten) gefhrt.

    Zentrales Anliegen einer nachhaltigen Abfall-wirtschaft ist die Integration der Abfallwirtschaft in nachhaltige Produktions- und Konsumweisen, sowie die Integration einer stoffstromorientierten Sichtweise in die Abfallwirtschaft. Ziel einer solchen modernen Abfallwirtschaft ist es, die Entstehung von Abfllen mglichst zu vermeiden und dennoch anfallende Abflle zu verwerten. Nicht vermeidbare oder verwertbare Abflle sind erforderlichenfalls nach Behandlung umweltvertrglich abzulagern.

    Der deutsche Gesetzgeber hat eine Reihe von Manahmen auf den Weg gebracht, um die zu entsorgenden Abfallmengen zu reduzieren, von denen die Verpackungsverordnung die bekann-teste Regelung ist. Ziel dieser Manahmen und des zugrunde liegenden Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW/AbfG) ist es, die Abfallwirt-schaft zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln. Dazu gehrt neben der Produktverantwortung der Hersteller, die Ver-ursacher bezogen eine umweltfreundliche Pro-duktgestaltung und mittelfristig eine hochwertige stoffliche und energetische Verwertung zum Ziel hat, auch ein langfristiger Paradigmenwechsel von der oberirdischen Ablagerung zur untertgigen Ablagerung.

    Fr Siedlungsabflle soll die Kreislaufwirtschaft bis 2020 erreicht werden (BUNDESMINISTERI-UM FR UMWELT 1999). Bis dahin sollen alle Siedlungsabflle einer vollstndigen umweltver-trglichen Verwertung zugefhrt und damit De-ponien berflssig gemacht werden.

    Diese Zielstellung erfordert im Einzelnen, dass: die Ablagerung unbehandelter Siedlungsabfl-

    le in Siedlungsabfalldeponien so schnell wie mglich beendet wird und deshalb die vorhan-denen Vorbehandlungstechniken genutzt und neue Kapazitten errichtet werden;

    zur Vorbehandlung der Siedlungsabflle ther-mische Verfahren oder hochwertige mecha-nisch-biologische Vorbehandlungsverfahren genutzt werden;

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    die heizwertreiche Teilfraktion aus der mechanisch-biologischen Vorbehandlung umweltvertrglich unter Einhaltung der Emissi-onsgrenzwerte der Abfallverbrennungsanlagen-verordnung energetisch genutzt wird;

    nicht oder nur mit unverhltnismig hohem Aufwand nachrstbare Deponien schrittweise bis Juni 2005 geschlossen werden und

    bis sptestens 2020 die Behandlungstechniken so weiterentwickelt und ausgebaut werden, dass alle Siedlungsabflle in Deutschland vollstndig und umweltvertrglich verwertet werden knnen.

    II. Abfallrecht und abfallrechtliche Regelungen

    Die Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen fr die Abfallentsorgung begann Anfang des 19. Jahrhunderts. Die damaligen abfallrechtlichen Regelungen waren auf einzelne Landesteile in Deutschland beschrnkt und dort in das Ord-nungs- und Polizeirecht eingebunden. Erst nach-dem die Zusammenhnge zwischen fehlender Stadthygiene und weit verbreiteten Krankheiten wie Cholera immer deutlicher erkannt wurden, legte man mehr Wert auf eine geordnete Abwas-ser- und Abfallentsorgung. Die Ttigkeitsfelder wurden von den Kommunen als hoheitliche Aufgabe wahrgenommen. Die eingesammelten Abflle wurden bis in die 1960er Jahre fast ausschlielich auf zahlreiche kleine Mllkippen gebracht.

    1. Abfallbeseitigungsgesetz

    In die Umweltpolitik der Bundesrepublik Deutsch-land haben bundesweite abfallwirtschaftliche Ziele erst ab etwa 1970 Eingang gefunden. Nach der im Umweltprogramm von 1971 dargelegten Analyse der damaligen abfallwirtschaftlichen Situation, die gekennzeichnet war durch den Betrieb von ca. 50.000 kleinen, hufig ungeord-neten Deponien, wurde 1972 das Abfallbesei-tigungsgesetz erlassen. Dieses war primr ein Organisations- und Planungsgesetz, welches zum Ziel hatte, die ungeordnete Kippenwirtschaft durch organisatorische Vorgaben in geordnete Bahnen zu lenken. In erster Linie wurde dies dadurch erreicht, dass die Zustndigkeiten fr die Abfallbeseitigung geregelt wurden. Das Gesetz war eindeutig beseitigungsbezogen. Die Begriffe

    Abfallvermeidung und Abfallverwertung waren in diesem Gesetz nicht enthalten.

    Erste konkrete Anstze zur Abfallvermeidung und Abfallverwertung wurden im Rahmen des Abfallwirtschaftsprogramms 1975 errtert und eine Rangfolge Vermeidung Verwertung Beseitigung formuliert (BUNDESMINISTERIUM DES INNEREN 1981). Dieses Programm kann als Startpunkt der modernen verwertungsorientierten Abfallwirtschaft angesehen werden.

    Im Rahmen der 4. Novelle des AbfG wurde 1986 das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 in ein Gesetz ber die Vermeidung und Entsorgung von Abfllen Abfallgesetz (AbfG) berfhrt. In dieses Gesetz wurden erstmalig Grundstze und Pflichten zur Vermeidung und Verwertung von Abfllen aufgenommen. Kernstck war die Auf-nahme des Gebotes zur Abfallvermeidung und -verwertung und dazugehriger Verordnungs-ermchtigungen, die vom Gesetzgeber genutzt wurden. Bekanntestes Beispiel ist die Verpa-ckungsverordnung, andere Beispiele sind weitere Verordnungen wie die Altlverordnung und die Lsemittelverordnung (WUTTKE 1993).

    2. Kreislaufwirtschaftsgesetz

    a) Ziele

    Die Erfahrungen mit den Produktverordnungen mndeten darin, die Abfallwirtschaft zur Kreis-laufwirtschaft weiterzuentwickeln. Dieses Projekt wurde mit dem 1996 in Kraft getretenen Kreislauf-wirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) voran-getrieben. Bislang waren Produktion und Konsum weitgehend getrennt von der Aufgabe, die dabei entstehenden erheblichen Mengen an Abfllen zu entsorgen, und bestand Abfallentsorgung berwiegend darin, End-of-the-Pipe-Verfahren nachzuschalten. Mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz sollte nun den Anstzen zur Vermeidung und zur Verwertung von Abfllen zum Durchbruch verholfen werden.

    Nach den Grundstzen des KrW-/AbfG sind Abflle in erster Linie zu vermeiden, in zweiter Linie stofflich oder energetisch zu verwerten. Was nicht verwertet wird, muss gemeinwohl-vertrglich beseitigt werden. Was die Vermei-dung anbelangt, so verweist das Gesetz auf die Pflichten der Betreiber immissionsschutzrechtlich

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    genehmigungsbedrftiger Anlagen, insbesondere auf die innerbetriebliche Kreislauffhrung sowie auf produktbezogene Rechtsverordnungen.

    Die weitgehende Verwertungspflicht von Ab-fallerzeugern oder -besitzern wurde gegenber dem bisherigen Recht erheblich konkretisiert. Wichtig ist vor allem die Verpflichtung zu einer nach Art und Beschaffenheit des Abfalls hoch-wertigen Verwertung, mit anderen Worten die Vermeidung des so genannten Downcycling, wo immer dies mglich ist.

    Neben der stofflichen Verwertung ermglicht das Kreislaufwirtschaftsgesetz ausdrcklich die energetische Verwertung und benennt die hierbei zu bercksichtigenden Randbedingungen. Hier-durch ergeben sich aber auch Schwierigkeiten fr die konkrete Umsetzung des Gesetzes, da die abfallbezogene Abgrenzung der stofflichen Verwertung und der energetischen Verwertung einerseits und der Verwertung und der Besei-tigung andererseits im Gesetz nicht eindeutig geregelt ist und sich in der Praxis als beraus problematisch erweist. Solange keine klrende Novelle des Gesetzes erfolgt, bleiben diese Fra-gen letztendlich der gerichtlichen Klrung durch nationale Gerichte, insbesondere aber auch durch den EUROPISCHEN GERICHTSHOF (2002/2003), vorbehalten.

    b) Abfallbegriff, Abfalldefinition

    Nach KrW-/AbfG sind Abflle bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will, entledigt oder entledigen muss, wobei auch solche Stoffe erfasst werden, die weder zielgerichtet produziert noch zweckentsprechend eingesetzt werden.

    Durch die bernahme des Abfallbegriffs der EG-Abfallrahmenrichtlinie in das KrW-/AbfG erfasst der Anwendungsbereich des Gesetzes grundstzlich auch Stoffe, die einer Verwertung zugefhrt werden (WUTTKE 1996). Der An-wendungsbereich des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes ist damit gegenber dem AbfG wesentlich erweitert worden.

    Nach KrW-/AbfG sind Abflle bewegliche Sachen, wenn sie in Anhang I des KrW-/AbfG gelistet sind (Q

    Gruppen) und der Besitzer sich ihrer entledigt, entledigen will

    oder entledigen muss.

    Das KrW-/AbfG setzt einer Entledigung ein kon-kretes Verhalten voraus. Dieses ist insbesondere dann gegeben, wenn der Abfallbesitzer: bewegliche Sachen einer Verwertung im Sinn

    des Anhangs II B zufhrt, einer Beseitigung im Sinn des Anhangs II A

    zufhrt oder die tatschliche Sachherrschaft ber sie unter

    Wegfall der weiteren Zweckbestimmung auf-gibt.

    c) Abfallklassifizierung, Abfallverzeichnis und Nachweispflichten

    Zur Bezeichnung der unterschiedlichen Abfallar-ten nutzt man Namen, die sich in der abfallwirt-schaftlichen Praxis herausgebildet haben. Eindeu-tige Namen wie bei Reinsubstanzen sind eher selten, da Abflle berwiegend Stoffgemische mit hufig schwankender Zusammensetzung sind. Jeder im Abfallverzeichnis aufgenommenen Abfallart ist ein eindeutiger sechsstelliger Abfall-schlssel zugeordnet.

    Das Europische Abfallverzeichnis (EAV), das die einheitliche Verwendung von Abfallbezeich-nungen und Abfallschlsseln europaweit fr alle Abflle regelt, wurde mit der Abfallverzeichnisver-ordnung (AVV) in nationales Recht umgesetzt.

    Das Verzeichnis gilt unabhngig davon, ob die Abflle zur Verwertung oder zur Beseitigung bestimmt sind. Die Aufnahme eines Stoffes in das Abfallverzeichnis bedeutet nicht, dass es sich bei diesem Stoff unter allen Umstnden um Abfall handelt. Der Eintrag im Verzeichnis ist nur dann von Belang, wenn die Abfalldefinition zutrifft.

    Gem KrW-/AbfG werden Abflle, je nach-dem, ob sie verwertet oder beseitigt werden, als Abflle zur Verwertung oder als Abflle zur Beseitigung bezeichnet. Darber hinaus werden sie danach unterschieden, ob sie besonders berwachungsbedrftig (d. h. gefhrlich), ber-wachungsbedrftig oder nicht berwachungs-bedrftig sind.

    Alle Abflle zur Beseitigung sind gem KrW-/AbfG mindestens berwachungsbedrftig, Abflle zur Verwertung dagegen nur, sofern sie in der Verordnung zur Bestimmung berwachungs-bedrftiger Abflle zur Verwertung enthalten sind. Die gefhrlichen (besonders berwachungs-bedrftigen) Abflle zur Beseitigung und zur Ver-

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    wertung sind in der Abfallverzeichnisverordnung mit einem Sternchen hinter der sechsstelligen Abfallschlsselnummer gekennzeichnet.

    d) Produktverantwortung

    Die im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) geregelte Produktverantwortung ist eng mit den Grundpflichten (Vermeiden, Verwerten und Beseitigen) verknpft und dient wie diese der Sicherung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft.

    Die als Grundsatz ausgestaltete Produktver-antwortung liegt bei Herstellern, Vertreibern und anderen an der Produktentwicklung und dem in Verkehr bringenden Beteiligten. Sie dient dem Zweck, Erzeugnisse mglichst so zu gestalten, dass bei deren Herstellung und Gebrauch das Entstehen von Abfllen vermindert und die umweltvertrgliche Verwertung und Beseitigung der nach Gebrauch entstandenen Abflle sicher-gestellt wird. Ein Auseinanderfallen der Verant-wortung fr Produkte, Produktion, Vertrieb und Abfallentsorgung soll es also nicht geben. Hinter-grund dafr, dass die abfallrechtliche Verantwor-tung des Herstellers fr sein Produkt nicht mit der Produktion enden soll, ist vor allem die Tatsache, dass dieser das grte Wissen um die von dem Produkt ausgehenden Umweltbelastungen hat

    und auch die Verwertungsmglichkeiten seines Produkts am ehesten verbessern kann.

    Produktverantwortung bedeutet also, dass bereits vor Aufnahme der Produktion auch die Fragen der Entsorgung betrachtet werden ms-sen. Bereits beim Produktdesign sind wichtige Entscheidungen ber einzusetzende Materialien, ber die Produktionsweise und ber die wei-tere Kreislauffhigkeit (einfache mglichst automatisierte Demontage, Verwertbarkeit der Materialien) des Produktes einzubeziehen. Damit wird auch dem Verursacherprinzip Rechnung getragen.

    III. Abfallaufkommen und -entsorgung

    Die im Rahmen des Umweltstatistikgesetzes er-hobenen Abfallmengen werden vom Statistischen Bundesamt zusammengefasst und verffentlicht. Vorlufige Ergebnisse der Abfallstatistik zeigen fr das Ende der 1990er Jahre ein nahezu konstantes Abfallaufkommen. Tab. 1 ist zu entnehmen, dass das Gesamtabfallaufkommen in Deutschland 1996 bei etwa 391 Mio. Tonnen lag und bis 2000 auf etwa 408 Mio. Tonnen anstieg. Eine Ausweisung des Anteils an Abfllen, die einer Verwertung zugefhrt bzw. beseitigt wurden, ist derzeit nur in Teilbereichen mglich.

    Tab. 1: Abfallaufkommen in Tsd. Tonnen

    Quelle: STATISTISCHES BUNDESAMT, Februar 2003

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    Bauschutt, Bodenaushub, Straenaufbruch und Baustellenabflle machten mit ca. 60 % (1996) bzw. ca. 61 % (2000) den Groteil des Ab-fallaufkommens aus. Den grten Anteil an dieser Abfallgruppe hat der Bodenaushub, der berwie-gend verwertet wird. Auch die restlichen minera-lischen Bauabflle werden zu einem erheblichen Teil verwertet. Die zweitgrte Abfallmenge fllt in der Industrie an und wird unter Abflle aus dem produzierenden Gewerbe und gefhrlichen Abfl-le ausgewiesen. Diese Industrieabflle nahmen von 1996 bis 2000 um rd. 2,7 % zu.

    Das Bergematerial aus dem Bergbau stammt grtenteils aus dem Steinkohlebergbau. Wegen der stark reduzierten Frdermengen ist das Auf-kommen an Bergematerial seit Jahren rcklufig. Seine Menge erreichte aber immer noch fast die der Industrieabflle. Der grte Teil des Bergema-terials wird aufgehaldet.

    Das Aufkommen an Siedlungsabfllen setzt sich im Wesentlichen aus den Abfallarten Hausmll, hausmllhnliche Gewerbeabflle, Sperrmll, Marktabflle, Garten- und Parkabflle, Kehricht und getrennt gesammelte, verwertbare Abflle wie Bioabfall, Papier, Pappe, Glas, Kunst-stoffe usw. zusammen. Es blieb im betrachteten Zeitraum fast konstant.

    Von den im Jahr 2000 angefallenen ca. 45 Mio. Tonnen Siedlungsabfall wurden ca. 25 Mio. Tonnen beseitigt, der Rest wurde ber-wiegend Verwertungsanlagen zugefhrt. Von den 25 Mio. Tonnen Siedlungsabfall zur Beseitigung

    wurden ca. 10,9 Mio. Tonnen verbrannt und ca. 14,6 Mio. Tonnen abgelagert (vgl. Tab. 2).

    An Anlagen der Entsorgungswirtschaft werden Abflle von der Mllabfuhr, von Handel, Gewer-be, Privatpersonen und der Industrie angeliefert. Abflle aus der Produktion werden auch in be-triebseigenen Anlagen entsorgt. Zu den in Tab. 3 aufgefhrten sonstigen Anlagen gehren che-misch-physikalische Behandlungsanlagen, Schred-deranlagen, Bodenbehandlungsanlagen und bio-logisch-mechanische Aufbereitungsanlagen.

    Die Anlieferung von Abfllen an Deponien ist weiterhin rcklufig. Die Behandlung und die Ver-wertung von Abfllen nehmen dagegen zu.

    IV. Abfalldeponierung

    1. Endlagerstrategie

    Trotz erheblicher Fortschritte der Deponietech-nik mit mittlerweile aufwndigen Manahmen zur Abdichtung, Sickerwassererfassung und Deponiegasnutzung ist die herkmmliche De-ponierung von Abfllen nach wie vor langfristig unbefriedigend und kann als mgliche Altlast fr die Zukunft angesehen werden. Bei Depo-nien darf deshalb nicht nur auf die Wirksamkeit einer Schutzbarriere vertraut werden, sondern aus Grnden der Sicherheit ist eine Konzeption mit vielen Barrieren umzusetzen. Aufbauend auf diesen berlegungen wurde das Multibarrieren-konzept entwickelt, das besagt, dass mehrere

    Tab. 2: Behandlung und Beseitigung von Siedlungsabfllen in Tsd. Tonnen

    Quelle: STATISTISCHES BUNDESAMT

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    Barrieren unabhngig voneinander wirksam sein mssen (STIEF 1986). Die wirksamste, dauerhaf-teste und damit wichtigste der vorgesehenen Barrieren gegen den Eintrag von Schadstoffen in die Umwelt ist dabei der abzulagernde Abfall (Deponiekrper) selbst.

    Ziel der oberirdischen Endlagerstrategie ist daher, das Schadstoffpotential der Abfallstoffe bereits vor deren Ablagerung soweit zu reduzie-ren, dass die Umwelt weder kurz- noch langfristig durch Emissionen negativ beeinflusst werden kann. Die in den Abfllen enthaltenen Schad-stoffe sind also in Verbindungen zu berfhren, die geochemischen Bindungsformen weitgehend nahe kommen. Die technische Barriere einer solchen Deponie hat in diesem Idealfall nur noch Kontrollfunktion, und die Standorteigenschaften dienen als Sicherheitsbarriere gegen das ver-bleibende Restrisiko. Dieses Restrisiko spielt bei Standortentscheidungen eine bedeutende Rolle (vgl. Kap. VI).

    2. Ablagerung von Hausmll und hausmllhnlichen Gewerbeabfllen

    Auf Hausmlldeponien werden berwie-gend feste Siedlungsabflle wie Hausmll, Sperrmll, hausmllhnliche Gewerbeabflle sowie entwsserter Klrschlamm abgelagert. Neben der Beanspruchung von Flchen und der Landschaftsvernderung durch die De-ponien gehen potentielle Umweltbelastungen von Sickerwasser und Deponiegas aus, da in Hausmlldeponien auf unbestimmte Zeit hin bio-

    logische Abbauprozesse der organischen Abflle stattfinden, wobei weitgehend offen ist, wann welcher Endzustand erreicht wird.

    Die konventionelle Siedlungsabfalldeponie, auf der Abflle allenfalls zusammengepresst (verdichtet) werden, hat in Zukunft ausgedient. Selbst mehrfach abgedichtete Deponien gewhr-leisten nicht, dass langfristig keine merklichen Umweltbeeintrchtigungen (beispielsweise Si-ckerwsser oder Deponiegase) auftreten.

    Um dies zu unterbinden, sehen die fr die Ab-falldeponierung geltenden rechtlichen Regelun-gen vor, dass Siedlungsabflle nur noch so abge-lagert werden drfen, dass auch langfristig keine schdlichen Sickerwsser das Grundwasser/Trink-wasser gefhrden und Deponiegas entweicht. Bestimmend hierfr sind vorrangig Zuordnungs-werte (vgl. Tab. 4) fr den Restgehalt an biolo-gisch abbaubaren organischen Bestandteilen im Restmll sowie Eluatkriterien, die ein Entstehen problematischer Sickerwsser verhindern sollen.

    Diese Regelungen sehen zwei Deponieklassen vor, die sich wie folgt beschreiben lassen:(1) Deponieklasse I (Mineralstoffdeponie): besonders hohe Anforderungen an den Inerti-

    sierungsgrad der lagernden Abflle, geringere Anforderungen an Deponiestandort

    und Deponieabdichtung,(2) Deponieklasse II: geringere Anforderungen an den Inertisierungs-

    grad der abzulagernden Abflle (einschlielich mechanisch-biologisch vorbehandelter Abfl-le),

    Tab. 3: Abfallentsorgung in Anlagen der Entsorgungswirtschaft1) in Mio. Tonnen

    Quelle: STATISTISCHES BUNDESAMT

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    deutlich anspruchsvollere Anforderungen an den Deponiestandort und an die Deponieab-dichtung als bei Deponieklasse I.

    Da ein nicht unerheblicher Teil der Siedlungs-abflle, auch wenn ihm stofflich verwertbare und kompostierbare Anteile entzogen worden sind, die Zuordnungswerte (Inputkriterien) der Deponie nicht erfllt, sind diese Abflle vor der Ablagerung vorzubehandeln. Enthalten die Abfl-le organische Bestandteile, war hierfr nach dem

    Stand der Technik bis 2001 nur die thermische Behandlung (Abfallverbrennung) geeignet.

    Diese Regelung der Technischen Anleitung (TA) Siedlungsabfall wurde jahrelang kontrovers diskutiert, da eine ganze Reihe entsorgungspflich-tiger Krperschaften keine Verbrennungsanlagen errichten, sondern biologische Verfahren (mecha-nisch-biologische Behandlung) einsetzen wollten. Im Jahr 1999 hat das UMWELTBUNDESAMT einen ausfhrlichen Bericht ber die kologische

    Tab. 4: Zuordnungswerte fr die Deponieklassen I und II (Auszug)

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    Vertretbarkeit verschiedener Verfahrenswege zur Vorbehandlung von Restabfllen vorgelegt. Dieser Bericht wurde Ausgangspunkt fr die Ent-wicklung einer neuen Strategie zur nachhaltigen Abfallwirtschaft mit vollstndiger Abfallverwer-tung, womit oberirdische Deponien berflssig gemacht werden sollen.

    Ein im Mrz 2001 erlassenes Verordnungspa-ket kann deshalb als erster Schritt des Ausstiegs aus der Abfallbeseitigung durch Deponierung verstanden werden. Grundstzlich wurde mit diesem Paket der bereits 1993 mit der TA Sied-lungsabfall vorgegebene Stand der Technik der Abfallbehandlung zum Mastab fr Mindestan-forderungen an andere Abfallbehandlungsverfah-ren gemacht.

    Das Verordnungspaket wurde ergnzt um eine Deponieverordnung, mit der Ablagerung und Langzeitlagerung von Abfllen entsprechend dem Stand der Technik abschlieend geregelt wurden. Dadurch, dass die Regelungen zur Abfallablagerung nicht in einem Regelwerk zu-sammengefasst sind, leidet allerdings die ber-sichtlichkeit ber das im Folgenden erluterte Regelungsgeflecht.

    a) Abfallablagerungsverordnung

    Mit der Verordnung ber die umweltvertrgliche Ablagerung von Siedlungsabfllen (Abfallabla-gerungsverordnung) wird die Deponierung von unbehandelten Abfllen aus Haushalten und Gewerbe ab 1. Juni 2005 verboten. Als Behand-lungsverfahren vor der Ablagerung sind knftig neben der thermischen Abfallbehandlung auch moderne mechanisch-biologische Abfallbehand-lungsverfahren zulssig.

    Die Verordnung formuliert Anforderungen an Standort und Abdichtung von Deponien sowie Standards fr die Errichtung und den Betrieb von mechanisch-biologischen Abfallbehandlungsanla-gen. Dabei wurden die Deponiezuordnungswerte (vgl. Tab. 4) fr beispielsweise thermisch behan-delte Abflle und die Anforderungen an Standort, Bau (Abdichtung) und Betrieb von Deponien aus der TA Siedlungsabfall unverndert in die Verord-nung bernommen.

    Fr die bergangszeit bis zum 1. Juni 2005 kann die Ablagerung unvorbehandelter Abflle in Ausnahmefllen nur noch dann zugelassen

    werden, wenn in zumutbarer Entfernung keine ausreichenden Behandlungskapazitten vorhan-den sind.

    Fr die Ablagerung von mechanisch-bio-logisch behandelten Abfllen gelten spezielle Bestimmungen. Um die Einhaltung der fr eine umweltvertrgliche Ablagerung mechanisch-bio-logisch behandelter Abflle festgelegten Mindest-voraussetzungen (TOC bzw. maximal zulssiger Heizwert) zu gewhrleisten, sind heizwertreiche Bestandteile vor der Ablagerung abzutrennen. Diese knnen stofflich oder energetisch verwer-tet werden.

    Nach Verfllung eines Deponieabschnittes sind bei der Ablagerung mechanisch-biologisch behandelter Abflle Manahmen gegen Reste-missionen von Deponiegas (z. B. durch Aufbrin-gung einer Methanoxidationsschicht) zu treffen. Die Abfallablagerung auf Deponien ohne ausrei-chende Basisabdichtungssysteme ab 2005 wird untersagt.

    Durch die Abfallablagerungsverordnung wer-den wesentliche Anforderungen der TA Sied-lungsabfall fr Deponien, besonders an deren technische Ausstattung und an die Qualitt abzu-lagernder Abflle sowie die hierfr maximal zuls-sigen bergangsfristen in die rechtsverbindlichere Form einer Verordnung bernommen. Weiterhin werden zustzliche Anforderungen an Qualitt und Einbau von mechanisch-biologisch behandel-ten Abfllen festgelegt.

    b) Verordnung ber Anlagen zur biologischen Behandlung von Abfllen

    Diese Verordnung (30. BImSchV) gilt fr geneh-migungsbedrftige Anlagen zur mechanisch-bio-logischen Behandlung von Siedlungsabfllen oder Gemischen von Siedlungsabfllen mit anderen biologisch abbaubaren Abfllen. Sie enthlt An-forderungen an die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb von mechanisch-biologischen Behandlungsanlagen, wie beispielsweise: ein Mindestabstand zu Wohnbebauungen

    (300 m) ist einzuhalten; die Einrichtungen zur Abfallannahme, mecha-

    nischen Aufbereitung, physikalischen Stofftren-nung, Lagerung, Transport und biologischen Behandlung sind zu kapseln oder einzuhau-sen;

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    die Abluft ist nach Mglichkeit (z. B. durch Mehrfachnutzung) zu minimieren und vollstn-dig einer Abluftreinigung zuzufhren und ber Kamin abzuleiten.

    c) Deponieverordnung

    Mit der Deponieverordnung wird die EG-Depo-nierichtlinie gemeinsam mit der bereits erlassenen Abfallablagerungsverordnung unter Einbeziehung der Neuregelungen des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-nderungsrichtlinie, der Richtlinie zur integrierten Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzungen (IVU) und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vollstndig umgesetzt.

    Die Deponieverordnung regelt smtliche orga-nisatorischen, betrieblichen, standortbezogenen sowie technischen Aspekte der Ablagerung nach dem Stand der Technik, soweit sie nicht bereits durch die Abfallablagerungsverordnung geregelt worden sind.

    Fr die Deponierung von gefhrlichen (be-sonders berwachungsbedrftigen) Abfllen wird in der Deponieverordnung das Multibarrie-renkonzept verankert. Da bei der oberirdischen Ablagerung der Eintrag von Schadstoffen in die Biosphre ausgeschlossen sein soll, sind allein technisch aufwndige Abdichtungsmanahmen nicht entscheidend, sondern vor allem die Ei-genschaften der abzulagernden Abflle. Abflle, deren Ablagerung unumgnglich ist, mssen deshalb ablagerungsfhig sein oder in eine abla-gerungsfhige Form gebracht werden, so dass sie selbst die wirksamste und dauerhafteste Barriere bilden.

    Gefhrliche Abflle, die durch Vorbehandlung nicht ausreichend mineralisiert und stabilisiert werden knnen und fr die bei einer oberirdi-

    schen Ablagerung keine dauerhaft wirksamen baulich-technischen Barrieren mglich sind, ms-sen durch entsprechende untertgige Ablagerung von der Biosphre abgeschlossen werden.

    3. Anlagen zu Abfallablagerung

    a) Hausmlldeponien

    Die Ablagerung von Siedlungsabfllen auf De-ponien ist zwar von 1997 bis 2000 um 3 Mio. Tonnen zurckgegangen, hat aber dennoch un-verndert eine groe Bedeutung. Da die Anzahl der Hausmlldeponien sich im Lauf der Jahre erheblich verringert hat (vgl. Tab. 5), werden auf den einzelnen Deponien heute sehr viel grere Abfallmengen abgelagert als frher.

    Derzeit gibt es noch ber 300 Siedlungsab-falldeponien. Nicht alle diese Deponien erfllen die Anforderungen an den neuesten Stand der Technik, sodass auch aus diesem Grund die Zahl lngerfristig weiter abnehmen wird.

    b) Sonderabfalldeponierung

    Zur Ablagerung von gefhrlichen Abfllen oder Sonderabfllen werden derzeit 14 oberirdische Deponien und 3 Untertagedeponien betrieben. Als Untertagedeponien werden insbesondere ehemalige Salzbergwerke genutzt. Im Salzberg-werk Herfa-Neurode (Hessen) kann seit 1972 ein groes Spektrum hochtoxischer Sonder-abflle abgelagert werden. Das Salzbergwerk Heilbronn (Baden-Wrttemberg), das seit 1987 in Betrieb ist, nimmt dagegen nur Rckstnde aus der Abgasreinigung von Abfallverbrennungs-anlagen an. Neben den ffentlich zugnglichen Sonderabfalldeponien gibt es eine Vielzahl von betriebseigenen Deponien, auf denen teilweise auch Sonderabflle abgelagert werden. Auf den

    heute betriebenen ffentlich zugng-lichen Sonderabfalldeponien wurden und werden Sonderabflle weitgehend gemischt eingebaut.

    c) Bergversatz

    Durch Verbringung in eine Vielzahl von Bergwerken werden bergbaufremde Abflle untertgig als Versatzmaterial in Hohlrume eingebracht. Es handelt sich dabei berwiegend um mineralische Ab-

    Tab. 5: Entwicklung der Anzahl der in Deutschland betriebenen Hausmlldeponien in den Jahren 1990 bis 1999

    Quelle: UMWELTBUNDESAMT 1999

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    Abfallwirtschaft

    flle, die frher verwertet bzw. auf oberirdischen oder untertgigen Deponien abgelagert wurden. Diese Art der Entsorgung bringt sowohl fr den Abfallbesitzer als auch fr den Bergbaubetreiber finanzielle Vorteile. 1996 wurden knapp 1,5 Mio. Tonnen bergbaufremde Abflle in untertgigen Bergwerken versetzt, im Jahr 1997 lag die Menge geringfgig niedriger.

    V. Abfallverbrennung

    1. Entsorgungsaufgabe

    Die Abfallverbrennung wurde erstmals vor mehr als 130 Jahren wegen damals herrschender Chole-ra- und Typhusepidemien zur thermischen Zerst-rung von Krankheitserregern und zur Hygienisie-rung der Abflle grotechnisch eingesetzt. Daraus entwickelte sich die Abfallverbrennungstechnik weiter, von der anfangs einfachen, handbetriebe-nen, diskontinuierlichen Verbrennung auf starren Rosten zur vollautomatischen und computerge-steuerten Abfallverbrennung mit entsprechender Abgasreinigung.

    Die Abfallverbrennung hat folgende Entsor-gungsaufgaben zu erfllen: schdliche oder gefhrliche Inhaltsstoffe in

    den Restabfllen zu zerstren, umzuwandeln, abzutrennen, zu konzentrieren oder zu immo-bilisieren,

    Volumen und Menge der Restabflle weitge-hend zu reduzieren,

    verbleibende Verbrennungsrckstnde in ver-wertbare Stoffe zu berfhren oder sie in eine ablagerungsfhige Form zu bringen und

    entstehende Wrmeenergie so weit wie mg-lich zu nutzen.

    Die Abfallverbrennung stellt somit einen unver-zichtbaren Teilschritt in der integrierten Abfallwirt-schaft dar, bei dem durch thermische Behandlung eine weitgehende Zerstrung organischer Schad-stoffe erreicht wird.

    Fr die thermische Behandlung kommunaler Abflle werden hauptschlich Rostfen einge-setzt, die in ihrer Wirkungsweise den Einzel-kohlefen von Haushalten hneln (REIMANN/HMMERLI 1992). Darber hinaus sind fr Siedlungsabflle drei andere thermische Ab-fallbehandlungsverfahren (Vergasung, Pyrolyse und Thermoselect, ein Kombinationsverfahren

    aus Vergasung und Pyrolyse) in Deutschland im Einsatz.

    Fr die thermische Behandlung von gefhrli-chen Abfllen (Sonderabfllen), die hufig ein Ge-misch aus festen, pastsen und flssigen Abfllen darstellen, hat sich der Drehrohrofen als universell einsetzbare Verbrennungseinrichtung erwiesen.

    2. Verbrennungsprozess

    Die Rostfeuerungsanlagen bestehen aus einem Feuerraum mit nachgeschalteter Nachbrenn-kammer und Abgasreinigungsanlage. Vor der Beschickung mit Abfall wird die vorgeschrie-bene Feuerraumtemperatur von 850C mit l- oder Gasbrennern erzeugt. Danach erfolgt die Abfallaufgabe, und es setzt der selbstgngige Verbrennungsprozess ohne Primrenergiezugabe bei einem Mindestheizwert des Abfalls von ca. 5 kJ/kg ein.

    Den fr den Verbrennungsvorgang bentigten Sauerstoff liefert die Verbrennungsluft, die an un-terschiedlichen Stellen gezielt zugefhrt wird. Die Verweilzeit der Abflle im Ofen richtet sich nach der bentigten Ausbrandzeit der zu verbrennen-den Abflle. Bei einer Feuerraumtemperatur von 8501100C wird das mehrfach heterogene, mit einer Vielzahl von Schadstoffen und organischen Substanzen durchsetzte, verschmutzte, oftmals undefinierbare und hygienisch uerst kritische Abfallgemisch in teilweise verwertbare Stoffe umgewandelt.

    In der Sonderabfallverbrennung werden die Abflle bei Temperaturen von bis zu 1200C und bei Reaktionszeiten des Verbrennungsgases von bis zu vier Sekunden und Verweilzeiten der Feststoffe von 30 bis 60 Minuten behandelt. Die Drehrohrfen werden durchweg mit einer Nach-brennkammer betrieben.

    a) Verbrennungsrckstnde

    Die bei der Verbrennung entstehenden Stoffe werden im Vergleich zum Ausgangsvolumen und -gewicht des Abfalls erheblich reduziert, so dass betrchtliches Deponievolumen eingespart wird, auch weil ein groer Teil der Schlacke verwertet werden kann. Fr die im Abfall enthaltenen oder bei der Verbrennung entstehenden Schadstoff-komponenten findet eine selektive Ausschleusung unter Erreichung hoher Abscheidgrade statt.

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    Abfallwirtschaft

    b) Abgasreinigung

    Die Abgasreinigung erfolgt in einer mehrstufigen Anlage, bestehend u. a. aus Entstaubung, Trocken-, Quasitrocken- oder mehrstufiger Nasswsche, Entstickung und adsorptiver Nachabscheidung, wobei Additive (z. B. H2O, Ca(OH)2, NaOH, Aktivkoks/-kohle, NH3) den Abgasen zugegeben werden. Das so gereinigte Abgas verlsst die Ab-fallverbrennungsanlage ber den Kamin.

    Alle thermischen Abfallbehandlungsanlagen mssen so ausgelegt, ausgerstet und betrieben werden, dass die in der 17. BImSchV festgelegten

    Emissionsbegrenzungen in den Abgasen nicht berschritten werden.

    Aufgrund der Ende 2000 verffentlichten Abfallverbrennungsrichtlinie der EU werden Mindestanforderungen vorgegeben, die in den Mitgliedstaaten umzusetzen sind (vgl. Tab. 6). Die entsprechende Anpassung der 17. BImSchV erfolgte 2003 und trat am 20.08.2004 in Kraft.

    Mit der Novelle wurden die Anforderungen an die Mitverbrennungsanlagen, wie Kraftwerke oder Zementwerke, die Abflle als Ersatzbrennstoff einsetzen, weitgehend an die der klassischen Ab-

    Tab. 6: Emissionsgrenzwerte fr Verbrennungsanlagen (in mg/m3 bei 11 % O2 trocken) gem der Abfallver-brennungsrichtlinie (2000/76/EG)

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    Abfallwirtschaft

    fallverbrennungsanlagen (Monoverbrennung) angeglichen. Dazu wurden insbesondere fr die Mitverbrennung neue anspruchsvolle Emissionsgrenzwerte festgelegt, welche die bisher geltende so genannte Mischungsregel ersetzen.Zentrale Bestandteile der neuen Richtlinie sind: die Zusammenfassung des Geltungsbereichs

    fr die Verbrennung von gefhrlichen und nicht gefhrlichen Abfllen in einer Richtlinie,

    die Festlegung von Emissionsgrenzwer-ten, die im Wesentlichen der deutschen Abfallverbrennungsanlagenverordnung ent-sprechen,

    die erstmalige Przisierung einer Ausbrand-qualitt fr Schlacke und Rostasche (als TOC oder Glhverlust),

    die Vorgabe von Grenzwerten fr die Ablei-tung von Abwasser aus der Abgasreinigung, die fr alle Anlagen gelten, die Abflle verbren-nen oder mit verbrennen, sowie

    die Festlegung detaillierter Anforderungen an die Emissionsminderung bei der Mitverbren-nung von Abfllen.

    3. Anlagen zur thermischen Abfallbehandlung

    In den insgesamt 56 thermischen Abfallbehand-lungsanlagen fr Siedlungsabflle in Deutsch-land wurden 2001 ca. 13 Mio. Tonnen Abflle behandelt, wobei es sich im Wesentlichen um Hausmll, hausmllhnliche Gewerbeabflle und Sperrmll handelte. In 10 bis 15 Anlagen wird kommunaler Klrschlamm gemeinsam mit Sied-lungsabfall behandelt. Die Kapazitt der einzelnen Anlagen bewegt sich zwischen 16.000 t/Jahr und 750.000 t/Jahr, wobei die einzelnen Verbren-nungseinheiten Abfallmengen von 340 t/h durch-setzen knnen.

    Die Kapazitten zur Verbrennung von ge-fhrlichen Abfllen (Sonderabfllen), davon acht ffentlich zugnglichen Anlagen, betragen ca. 1 Mio. t/Jahr in 30 Verbrennungsanlagen.

    VI. Landes- und regionalplanerische Aspekte der Abfallwirtschaft

    Die Abfallwirtschaft hat eine lange Tradition. Sie entstand als schlichtes Wegschaffen der Abflle aus den mittelalterlichen Stdten vor die Mauern, um die Ausbreitung von Seuchen einzudmmen

    oder zu verhindern. Heute ist, unter Bercksichti-gung einer dichteren Besiedlung und eines erheb-lich gestiegenen stofflichen Belastungspotentials (Schadstoffe), die Entstehung, Behandlung, Befr-derung, Beseitigung und Verwertung von Abfllen ein fest in den Wirtschaftskreislauf eingebundenes und diesen teilweise erst ermglichendes Teilsys-tem. Dabei sind auch heute noch die Stdte und Verdichtungsgebiete als Schwerpunkte der indus-triellen Produktion der Hauptproblembereich der Abfallentstehung. Ohne das Entsorgungspotential der Region wren die Abflle der heutigen Wirt-schaftsweise nicht entsorgbar.

    Aus der Sicht von Raumordnung, Landespla-nung und Stdtebau ist die Abfallwirtschaft eine flchen- und raumbeanspruchende Fachplanung. Auf die Darstellung der raumplanerischen In-strumente zur Standortvorsorge und der Ab-stimmungsverfahren bei Standortentscheidungen kann hier verzichtet werden (vgl. insbesondere: Fachplanungen, raumwirksame). Grundstzlich muss zwischen Raum-, Siedlungs-, Infrastruktur sowie der rumlichen Verteilung der Wirtschaft auf der einen und der Abfallwirtschaft auf der anderen Seite eine enge Interaktion vorhanden sein. Zum einen ist der Abfallanfall je nach Sied-lungs- und Wirtschaftsstruktur unterschiedlich, zum anderen beansprucht die Abfallentsorgung Flche und Raum fr ihre Aktivitten; sie ist ein immer anspruchsvollerer Nutzungsfaktor im Ab-wgungsprozess der Raumplanung geworden. Dabei haben die Flchen- und Umweltbelastung durch den Transport und die Entsorgung von Ab-fllen eine stark zunehmende Bedeutung .

    Aufgabe von Landes- und Regionalplanung ist es vor allem, im Zusammenwirken mit den betrof-fenen Kommunen geeignete Standorte fr Abfal-lentsorgungsanlagen auszuweisen und sich fr de-ren Akzeptanz bei der Bevlkerung einzusetzen. Dabei muss der Bevlkerung deutlich gemacht werden, dass Produktion und Abfallbehandlung, Versorgung und Entsorgung nur die zwei Seiten derselben Medaille sind.

    Man kann davon ausgehen, dass Regionen, die ber eine umweltvertrgliche Abfallentsorgung mit hinreichenden Kapazitten verfgen, von vornherein erhebliche Standortvorteile gegen-ber solchen Regionen haben, in denen noch mit den Argumenten von vorgestern gegen eine dem

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    Abwgung der Belange

    Stand der Technik entsprechende thermische Behandlung angekmpft wird. Hauptanliegen der Raumordnung ist und bleibt eine nachhaltige, raum- und umweltvertrgliche Abfallentsorgung (AKADEMIE FR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG 1993).

    Folgende landes- und regionalplanerische Konsequenzen kann man aus dem notwendigen bergang von der klassischen Abfallbeseitigung zur nachhaltigen Abfallwirtschaft skizzieren: auf der Ebene der Landesplanung die Festle-

    gung grorumiger infrastruktureller Manah-men;

    auf der Ebene der Regionalplanung die Fest-legung von Standorten fr bergemeindliche Ver- und Entsorgungsanlagen;

    auf der Ebene der Landes- und Regionalplanung Schaffung des erforderlichen Bewusstseins fr die Notwendigkeit der Abfallentsorgung und damit zugleich fr eine erhhte Akzeptanz fr Abfallentsorgungsanlagen sowie;

    auf der Ebene der Regionalplanung Suchen und Festlegen der notwendigen Flchen fr Abfallentsorgungsanlagen im Sinn einer sach-gerechten und zukunftsorientierten Standort-vorsorge.

    Literatur

    AKADEMIE FR RAUMFORSCHUNG UND LANDES-PLANUNG (1993): Aspekte einer raum- und umweltver-trglichen Abfallentsorgung. Forschungs- und Sitzungs-berichte, Bd. 195/196, Hannover.

    BILITEWSKI, B.; HRTLE, G.; MAREK, K. (2000): Abfall-wirtschaft Handbuch fr Praxis und Lehre. Berlin.

    BUNDESMINISTERIUM DES INNEREN (Hrsg.) (1981): Abfallwirtschaftsprogramm der Bundesregierung, mit einem Anhang zur abfallwirtschaftlichen Bilanz 1980. Bonn.

    BUNDESMINISTERIUM FR UMWELT, NATUR-SCHUTZ UND REAKTORSICHERHEIT (1999): Eckpunk-te fr die Zukunft der Entsorgung von Siedlungsabfllen. Pressemitteilung 27/99 vom 20.08.1999. Bonn.

    EUROPISCHER GERICHTSHOF (2002/2003): EuGH-Urteile in den Rechtssachen C-6/00 (ASA-Urteil); C-228/00 (Belgische Zementindustrie); C-458/00 (Haus-mllverbrennung)

    RAT VON SACHVERSTNDIGEN FR UMWELT-FRAGEN (1990): Abfallwirtschaft Sondergutachten. Stuttgart.

    RAT VON SACHVERSTNDIGEN FR UMWELTFRA-GEN (2002): Umweltgutachten 2002. Fr eine neue Vorreiterrolle. Stuttgart.

    REIMANN, D.; HMMERLI, H. (1992): Die Entwicklung vom Zellenofen zur vollautomatischen leistungsgeregel-ten Rostfeuerung. In: Abfallwirtschaftsjournal, Jg. 4, Nr. 8, S. 617629.

    STIEF, K. (1986): Das Multibarrierenkonzept als Grund-lage fr Planung, Bau, Betrieb und Nachsorge von De-ponien. In: Mll und Abfall, H. 1, S. 1520.

    WUTTKE, J. (1993): Erklrtes Ziel: Mehr Produktverant-wortung Manahmen zur Vermeidung und Verwer-tung von Abfllen nach 14 AbfG. In: Entsorgungs-Technik, Bd. 5, Nr. 4, S. 4145 und Nr. 5, S. 4246.

    WUTTKE, J. (1995): kologie der Abfallwirtschaft. In: Buchwald, K.; Braun, E.; Steubing, L. (Hrsg.): Natur- und Umweltschutz kologische Grundlagen, Methoden, Umsetzung. Jena, S. 295325.

    WUTTKE, J. (1996): Das Kreislaufwirtschaftsgesetz und sein Abfallbegriff. In: Korrespondenz Abwasser, Bd. 43, Nr. 10, S. 16981708.

    UMWELTBUNDESAMT (1999): Bericht zur ,kolo-gischen Vertretbarkeit der mechanisch-biologischen Vorbehandlung von Restabfllen einschlielich deren Ablagerung. Berlin.

    UMWELTBUNDESAMT (2001) (Hrsg.): Daten zur Um-welt. Der Zustand der Umwelt in Deutschland Ausgabe 2000. Berlin.

    Joachim Wuttke

    Abwgung der Belange

    I. Einfhrung; II. Grundlagen der Abwgung; III. Ab-wgung in der Raumordnung; IV. Konsequenzen von Abwgungsfehlern

    I. Einfhrung

    7 Abs. 7 S. 1 ROG verlangt von den Landes-gesetzgebern, fr die Aufstellung von Raumord-nungsplnen in ihren Landesplanungsgesetzen eine Klausel vorzusehen, nach der die Grundst-ze der Raumordnung gegeneinander und unter-einander abzuwgen sind ( Ziele, Grundstze, Erfordernisse der Raumordnung). Auerdem ist gem 7 Abs. 7 S. 2 ROG in den landesrecht-lichen Vorschriften zu regeln, dass sonstige f-fentliche Belange sowie private Belange () in der Abwgung zu bercksichtigen (sind), soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind. Somit mssen nunmehr alle Landesplanungsgesetze Abwgungsklauseln ent-

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    Abwgung der Belange

    halten, wie sie im Baugesetzbuch ( 1 Abs. 7 BauGB) und den meisten Fachplanungsgesetzen (z. B. 17 Abs. 1 S. 2 FStrG) schon seit langem vorhanden sind.

    II. Grundlagen der Abwgung

    1. Ursprung und Entwicklung des Abwgungsgebotes

    Das Gebot, bei der Aufstellung von staatlichen und kommunalen Plnen die berhrten Belange gegen- und untereinander abzuwgen, findet sei-nen Ursprung nach ganz berwiegender Ansicht im rechtsstaatlichen Verhltnismigkeitsgrund-satz (BVerfG, DVBl 2003, 192/193; BVerwGE 61, 295/301; BATTIS/KRAUTZBERGER/LHR 2002: 1 Rn. 87). Es stellt die Kehrseite der pla-nerischen Gestaltungsfreiheit des Planungstrgers dar. In der Rechtsprechung des Bundesverwal-tungsgerichts wurde daraus die Geltung des Ab-wgungsgebotes fr Planungsentscheidungen in einem grundlegenden Urteil (BVerwGE 34, 301/307) zunchst fr die Bauleitplanung hergelei-tet. Anschlieend wurde diese Rechtsprechung sowohl auf das Planfeststellungsrecht (BVerwGE 48, 56/59 ff.; BVerwGE 56, 110/116 ff.) als auch auf das Raumordnungsrecht (BVerwGE 90, 329/333) bertragen. Wegen seiner Veranke-rung im rechtsstaatlichen Verhltnismigkeits-grundsatz gilt das Abwgungsgebot auch ohne einfachgesetzliche Konkretisierung (CHOLEWA et al. 2002: 2 Rn. 35). Die durch das BauROG 1998 in 7 Abs. 7 ROG fr die Landesplanungs-gesetze geforderten Abwgungsklauseln haben mithin ebenso wie die des 1 Abs. 7 BauGB und der Fachplanungsgesetze letztlich nur eine deklaratorische Bedeutung.

    2. Inhalt des Abwgungsgebotes und korrespondierende Abwgungsfehler

    Das Abwgungsgebot gliedert sich nach stndiger Rechtsprechung in vier Teilelemente. Danach muss eine Abwgung berhaupt stattfinden, ist in die Abwgung an Belangen einzustellen,

    was nach Lage der Dinge in sie eingestellt wer-den muss,

    darf die Bedeutung der betroffenen ffent-lichen und privaten Belange nicht verkannt werden und

    darf schlielich der Ausgleich zwischen den ffentlichen und privaten Belangen nicht in solcher Weise vorgenommen werden, dass der Ausgleich zur objektiven Gewichtigkeit einzel-ner Belange auer Verhltnis steht (BVerwGE 48, 56/63 f.; BVerwGE 71, 166/171).

    Nach ganz berwiegender Auffassung erstrecken sich diese Teilelemente grundstzlich sowohl auf den Abwgungsvorgang als auch auf das Abw-gungsergebnis (BVerwGE 45, 309/315; BATTIS/KRAUTZBERGER/LHR 2002: 1 Rn. 95). Ausgenommen ist insoweit allerdings das Gebot, berhaupt eine Abwgung durchzufhren, da die Geltung dieses Teilerfordernisses begriffsnot-wendig auf den Abwgungsvorgang beschrnkt sein muss (BVerwGE 45, 309/315; HOPPE/SCHLARMANN/BUCHNER 2001: Rn. 746 f).

    Wird eines der soeben genannten Teilgebote missachtet, spricht man von einem Abwgungs-fehler. Dabei ist wie folgt zu differenzieren:

    a) Abwgungsausfall

    Findet eine Abwgung berhaupt nicht statt, so liegt ein sog. Abwgungsausfall vor. Denkbar ist hier insbesondere, dass der verantwortliche Pla-nungstrger das ihm eingerumte Planungsermes-sen berhaupt nicht erkennt, weil er zu Unrecht von einer gebundenen Entscheidung ausgeht.

    b) Abwgungsdefizit

    Um ein sog. Abwgungsdefizit handelt es sich, wenn ein nach Lage der Dinge relevanter Belang unbercksichtigt geblieben ist. Diese Ebene des Abwgungsgebotes, die eine sorgfltige Zusam-menstellung des Abwgungsmaterials verlangt, erscheint angesichts der teilweise unberschau-baren Zahl von berhrten ffentlichen und priva-ten Interessen besonders fehleranfllig. Allerdings kommt die Rechtsprechung dem Plangeber hier insoweit entgegen, als nicht schutzwrdige und objektiv geringwertige Belange von vornherein unbercksichtigt bleiben drfen. Auerdem muss der Belang dem Plangeber zum Zeitpunkt seiner abschlieenden Entscheidung erkennbar sein. Aus der letztgenannten Einschrnkung folgt fr die Trger der ffentlichen und privaten Belange eine Mitwirkungslast; sie mssen im Rahmen der Behrden- und ffentlichkeitsbeteiligung ihre In-teressen aktiv darlegen (vgl. zu den vorstehenden

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    Abwgung der Belange

    Einschrnkungen BVerwGE 90, 96/101; SCHOEN 2003: 274 ff.).

    Ob und mit welcher Intensitt Belange durch eine Planung positiv oder negativ berhrt werden, steht zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung hufig noch nicht sicher fest. Da die Aufgabe der rumlichen Planung nun aber gerade darin be-steht, die knftige Raumentwicklung zu steuern, kann es bei der Ermittlung der abwgungsrelevan-ten Belange nicht mit diesem Zwischenergebnis sein Bewenden haben. Die gesicherten Erkennt-nisse sind vielmehr um Prognosen zu ergnzen. Dies zieht es nach sich, dass Abwgungsdefizite auch auf mangelhaften Prognoseentscheidungen beruhen knnen. Allerdings ist es fr die Frage, ob ein Prognose- und damit Abwgungsfehler vorliegt, unerheblich, ob das Prognoseergebnis im Nachhinein durch die tatschlichen Entwick-lungen besttigt wird. Ein Prognosefehler liegt vielmehr nur vor, wenn die Prognosegrundlage unvollstndig war oder das Prognoseergebnis nicht in einer der Materie angemessenen und methodisch einwandfreien Weise ( Prognose-methoden) erarbeitet wurde (HOPPE/BNKER/GROTEFELS 2004: 5 Rn. 104 ff.).

    c) Abwgungsfehleinschtzung

    Von einer sog. Abwgungsfehleinschtzung spricht man, wenn die Bedeutung von einem der betrof-fenen Belange verkannt wird. Der Plangeber stellt in einer solchen Konstellation den Belang zwar grundstzlich in seine Abwgung ein, er ist sich aber ber seine Gewichtigkeit im konkreten Fall nicht im Klaren.

    d) Abwgungsdisproportionalitt

    Die sog. Abwgungsdisproportionalitt ist da-durch gekennzeichnet, dass einzelne Belange gemessen an ihrer objektiven Gewichtigkeit unverhltnismig bevorzugt oder benachteiligt werden. Zwar ist es fr die planerische Abw-gung charakteristisch, dass in einem vielschich-tigen Geflecht konfligierender ffentlicher und privater Belange einzelne Interessen u. U. sogar vollstndig zurcktreten mssen, doch soll durch das Gebot der Proportionalitt zusammen mit den zwingenden Rechtsstzen (vgl. Kap. II.3.b) ein rechtliches Minimum gewhrleistet werden. Wann eine planerische Abwgung dieses recht-

    liche Minimum unterschreitet, lsst sich letztlich nur im Einzelfall entscheiden.

    3. Sonstige Grenzen der planerischen Abwgung

    Die Mglichkeit, im Wege der Abwgung ein-zelne Belange vor- bzw. zurckzustellen, wird nicht nur durch die soeben skizzierten Gebote beschrnkt. Hinzu kommen richterrechtlich aner-kannte Institute und gesetzliche Regelungen, die gleichsam von auen der planerischen Ge-staltungsfreiheit und damit auch der Abwgung Grenzen setzen.

    a) Erforderlichkeit bzw. Planrechtfertigung

    Die Aufstellung von Bauleitplnen steht gem 1 Abs. 3 BauGB unter dem Vorbehalt, dass dies fr die stdtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Eine vergleichbare Anforderung hat die Rechtsprechung in Gestalt der sog. Planrechtfertigung fr die Fachplanung geschaffen. Danach muss fr das mit der Planung beabsichtigte Vorhaben nach Magabe der vom jeweiligen Fachgesetz allgemein verfolgten Ziele ein Bedrfnis bestehen (BVerwGE 56, 110/118; KHLING/HERRMANN 2000: Rn. 271).

    Die Erforderlichkeits- bzw. Planrechtfertigungs-prfung stellt nur eine uerst grobmaschige Beschrnkung der planerischen Abwgung dar. Nur wenn die verfolgten Ziele mit der Planung offensichtlich nicht erreicht werden knnen oder die beabsichtigte Planung evident auerhalb der gesetzlichen Zielsetzungen liegt, mag dieses Kriterium die Rechtmigkeit der planerischen Entscheidung hindern. In der rechtswissenschaft-lichen Literatur spricht man sich daher zum Teil dafr aus, auf diese Prfungsebene gnzlich zu verzichten (SCHOEN 2003: 235 ff.).

    Eine andere, nur terminologisch verwandte Fra-ge ist, ob fr ein Vorhaben im Einzelfall ein frm-liches Planungserfordernis bestehen kann, weil es Konflikte aufwirft, die ohne eine planerische Ko-ordination nicht gelst werden knnen (BVerwGE117, 25/29 ff.). In solchen Fllen wird nicht die Rechtfertigung eines vorhandenen Plans ber-prft, sondern die Zulssigkeit eines Vorhabens ohne vorangegangenen frmlichen Planungsakt angezweifelt. Dieses Erfordernis einer frmlichen Planung ist keine Grenze der Abwgung, da eine

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    Abwgung der Belange

    planerische Abwgung bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden hat.

    b) Beachtung zwingender Rechtsstze

    Von zwingenden Rechtsstzen teilweise wird in Anlehnung an die frhere Rechtsprechung auch noch der Terminus Planungsleitstze verwendet spricht man, wenn eine an den Plan-geber gerichtete Rechtsnorm die berwindung bestimmter Belange im Wege der Abwgung ver-bietet. Ein klassisches Beispiel fr einen solchen zwingenden Rechtssatz ist der 1 Abs. 3 S. 1 FStrG, der fr Bundesautobahnen ein Verbot h-hengleicher Kreuzungen statuiert. Auch Ziele der Raumordnung ( Ziele, Grundstze, Erfordernisse der Raumordnung) stellen nach Magabe des 4 Abs. 1 ROG und fachgesetzlicher Raumordnungs-klauseln fr ihre Adressaten zwingende Rechtsst-ze dar. Schlielich findet sich im Umwelt- und Technikrecht ( Umweltrecht) ebenfalls eine Vielzahl von zwingenden Rechtsstzen, die pla-nerische Entscheidungen restriktiv steuern.

    c) Beachtung vorgelagerter Planungsentscheidungen

    Bei mehrstufigen Planungsverfahren muss sich die eigentliche Planung im Rahmen der vorgelagerten Planungsentscheidungen bewegen. So ist etwa die fernstraenrechtliche Planfeststellung an die vorangegangene Linienbestimmung nach 16 FStrG gebunden. Auch die in Raumordnungspl-nen enthaltenen Ziele der Raumordnung stellen fr die Bauleitplanung und nachfolgende Fach-planungen vorgelagerte Planungsentscheidun-gen dar. Wegen des normativen Charakters der Ziele der Raumordnung kann man sie allerdings zugleich auch den zwingenden Rechtsstzen zuordnen; letztlich handelt es sich hierbei nur um eine terminologische Frage.

    Vorgelagerte Planungsentscheidungen mssen allerdings nicht unbedingt nur zwingende Vorga-ben enthalten. So kann beispielsweise ein Raum-ordnungsplan gem 2 Abs. 3 Hs. 2 ROG auch bloe Grundstze der Raumordnung enthalten, die auf nachfolgenden Planungsebenen im Wege der Abwgung berwindbar bleiben.

    d) Gesetzliche Gewichtungsvorgaben

    Schlielich gibt es noch gesetzliche Regelungen, die einem bestimmten Belang zwar keinen ab-

    soluten Schutz gewhrleisten, die ihm aber ein besonderes Gewicht in der Abwgung zukom-men lassen. Als Beispiel wird hier regelmig der 50 BImSchG genannt, der fr raumbedeutsame Planungen und Manahmen eine Flchenzuord-nung dergestalt verlangt, dass schdliche Um-welteinwirkungen () auf die ausschlielich oder berwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete sowie sonstige schutzbedrftige Gebiete so weit wie mglich vermieden werden. Anders als bei zwingenden Rechtsstzen und unberwindbaren planerischen Vorentscheidungen ist fr derartige Optimierungsgebote und Vorrangregelungen charakteristisch, dass eine Zurckstellung des pri-vilegierten Belanges nur erlaubt ist, wenn entspre-chend hochwertige Interessen gegenstreiten (vgl. zu Optimierungsgeboten und Vorrangregelungen auch HOPPE/BNKER/GROTEFELS 2004: 5 Rn. 32 ff.).

    III. Abwgung in der Raumordnung

    Die vorstehend dargestellten Grundlagen der Abwgung gelten wie schon eingangs ausge-fhrt grundstzlich auch fr die Aufstellung von Raumordnungsplnen. Gleichwohl gilt es einige ergnzende Besonderheiten zu beachten, die in der Stellung der Raumordnung im Gefge des rumlichen Planungssystems ihren Ursprung finden.

    1. Aufgabe und Leitvorstellung der Raumordnung

    Bei der Aufstellung eines jeden Raumordnungs-planes ist der in 1 Abs. 1 S. 1 ROG beschrie-benen Aufgabe der Raumordnung, nmlich den Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern, Rech-nung zu tragen. Das Bestreben, diese Aufgabe zu erfllen, stellt fr eine Raumordnungsplanung das rechtfertigende Element im Sinn der oben genannten Erforderlichkeitsprfung dar.

    Bei der Erfllung der Aufgabe der Raumord-nung ist gem 1 Abs. 2 ROG zudem die Leitvorstellung einer nachhaltigen Entwicklung ( Nachhaltige Raumentwicklung) zu beachten. Dieses fhrt gem 2 Abs. 1 ROG u. a. dazu, dass die in 2 Abs. 2 ROG aufgezhlten Grund-stze der Raumordnung nach Magabe der Leit-vorstellung zu konkretisieren sind (zu diesen und

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    Abwgung der Belange

    weiteren Einflssen der Leitvorstellung auf die raumordnerische Abwgung vgl. ROBERS 2003: 150 ff.; BIELENBERG et al. 2003: K 1 Rn. 92 ff.).

    2. Beschrnkung auf ebenenspezifische Abwgung

    Von entscheidender Bedeutung ist weiterhin, dass die raumordnerische Abwgung ebenenspe-zifisch zu erfolgen hat. Sie muss nachfolgenden Bauleit- und Fachplanungen eigene Gestaltungs-spielrume belassen (BVerwGE 90, 229/334). Vor diesem Hintergrund gilt bei der Aufstellung von Raumordnungsplnen das aus dem Bauplanungs-recht bekannte Gebot der Konfliktbewltigung nur modifiziert: Nur die bergeordneten und berrtlichen Konflikte sind durch gebietsscharfe Festlegungen zu lsen. Parzellenscharfe Festle-gungen darf ein Raumordnungsplan hingegen grundstzlich nicht enthalten (BIELENBERG et al. 2003: J 630 Anm. 5.7).

    3. Grundstze der Raumordnung als zentrale Abwgungsgegenstnde

    Bei der Aufstellung von Raumordnungsplnen bilden gem 7 Abs. 7 S. 1 ROG die in 2 Abs. 2 ROG aufgezhlten Grundstze der Raum-ordnung die zentralen Abwgungsgegenstnde. Insbesondere sind der Umweltbericht ber die in 7 Abs. 5 ROG vorgesehene Umweltprfung sowie die dazu nach 7 Abs. 6 ROG ergangenen Stellungnahmen in der Abwgung zu bercksich-tigen ( 7 Abs. 7 S. 2 ROG). Die Grundstze der Raumordnung reprsentieren vom Gesetzgeber fixierte ffentliche Belange. Die Abwgung ist allerdings nicht auf die Grundstze der Raumord-nung beschrnkt. Auch sonstige ffentliche Belan-ge mssen in die Abwgung eingehen, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind ( 7 Abs. 7 S. 3 ROG).

    berdies mssen unter den letztgenannten Voraussetzungen auch private Belange in die Abwgung eingestellt werden. Durch die entspre-chende Neufassung des 7 Abs. 7 S. 3 ROG, die erst durch das BauROG 1998 in das Raumord-nungsgesetz eingefgt wurde, ist ein wesentlicher Unterschied zur bauleit- und fachplanerischen Ab-wgung weitgehend beseitigt worden. Allerdings ist auch bei der Bercksichtigung privater Belange zu beachten, dass diese ebenenspezifisch zu er-

    folgen hat. Ausweislich der Gesetzesbegrndung der Bundesregierung soll eine stufenspezifische Bercksichtigung privater Belange ermglicht werden (BT-Drs. 13/6392, 85).

    IV. Konsequenzen von Abwgungsfehlern

    1. Planerhaltung

    Fr Planungen mit rechtsnormativem Charakter (auch: Planungsrecht) folgt aus einer Verlet-zung von verfahrens- oder materiell-rechtlichen Anforderungen grundstzlich eine Nichtigkeit; Planungsentscheidungen mit Verwaltungsaktscha-rakter wie z. B. ein Planfeststellungsbeschluss sind prinzipiell anfechtbar. Die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit ist an sich auch die Folge einer Verletzung des Abwgungsgebotes. Allerdings hat sich in der Bauleit- und in der Fachplanung bei Abwgungsmngeln diese regelmige Folge einer Rechtsverletzung teilweise in ihr Gegenteil verkehrt, indem dort Abwgungsmngel zum Teil fr gnzlich unbeachtlich erklrt werden ( 214 Abs. 3 S. 2 BauGB, 75 Abs. 1a S. 1 VwVfG), ihre Beachtlichkeit von der Einhaltung einer R-gefrist abhngig gemacht wird ( 215 Abs. 1 Nr. 3 BauGB) oder die Mglichkeit einer Heilung der Mngel in einem ergnzenden Verfahren erffnet ist ( 214 Abs. 4 BauGB, 75 Abs. 1 a S. 2 Alt. 2 VwVfG).

    Vergleichbare Regelungen fr Raumordnungs-plne enthalten auch 10 Abs. 2 und Abs. 3 ROG. Zu beachten ist bei diesen Bestimmungen aber, dass sie bloes Rahmenrecht enthalten, des-sen Umsetzung anders als das Rgeerfordernis bei der Verletzung von Verfahrens- und Formvor-schriften ( 10 Abs. 1 ROG) im Ermessen der Landesgesetzgeber steht.

    2. Rechtsschutz

    Schlielich kann die Missachtung des Abw-gungsgebotes sofern der Mangel nicht nach den Regeln ber die Planerhaltung unbeacht-lich ist oder wird auch Rechtsschutzfragen ( Planungskontrolle, gerichtliche) auslsen. Im Wesentlichen werden dabei die Gemeinden als Klger in Erscheinung treten. Sie knnen durch die Festlegungen im Raumordnungsplan u. U. in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschtzten kommunalen Planungshoheit verletzt sein.

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    Achsenkonzepte

    Allerdings wird in jngster Zeit im Zusam-menhang mit Abwgungsfehlern unter Verweis auf 7 Abs. 7 S. 3 ROG auch ein Rechtsschutz von Privatpersonen unmittelbar gegen Raum-ordnungsplne bejaht (KMENT 2002: passim). Ob und inwieweit die Rechtsprechung diesem Ansatz folgen wird, bleibt abzuwarten. Fr eine Klagebefugnis Privater spricht immerhin, dass das Bundesverwaltungsgericht fr die Bauleitplanung davon ausgeht, der Private habe ein subjektives Recht darauf, dass sein Belang seinem Gewicht entsprechend in die Abwgung eingestellt und dort abgearbeitet wird (BVerwGE 107, 215/221).

    Literatur

    BARTELSPERGER, R. (2000): kologische Gewichtungs- und Vorrangregelungen. In: Planung. Festschrift fr W. Hoppe zum 70. Geburtstag. Mnchen, S. 127 ff.

    BATTIS, U.; KRAUTZBERGER, M.; LHR, R.-P. (2002): Baugesetzbuch. Mnchen.

    BIELENBERG, W. et al. (2003): Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Lnder. Kom-mentar. Berlin.

    CHOLEWA, W. et al. (2002): Raumordnung in Bund und Lndern. Kommentar. Stuttgart.

    HOPPE, W. (1998): Die Beimessung eines besonderen Gewichts bei der Abwgung mit konkurrierenden raumbedeutsamen Nutzungen in Vorbehaltsgebieten nach 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 ROG. In: Deutsches Verwal-tungsblatt 1998, S. 1008 ff.

    HOPPE, W. (2004): Die Abwgung im EAG Bau nach Magabe des 1 VII BauGB. In: Neue Zeitschrift fr Verwaltungsrecht 2004, S. 903 ff.

    HOPPE, W.; BNKER, C.; GROTEFELS, S. (2004): f-fentliches Baurecht. Mnchen.

    HOPPE, W.; SCHLARMANN, H.; BUCHNER, R. (2001): Rechtsschutz bei der Planung von Straen und anderen Verkehrsanlagen. Mnchen.

    JUST, J.-D. (1996): Ermittlung und Einstellung von Belan-gen bei der planerischen Abwgung. Mnster.

    KMENT, M. (2002): Rechtsschutz im Hinblick auf Raum-ordnungsplne. Mnster.

    KHLING, J.; HERRMANN, N. (2000): Fachplanungs-recht. Dsseldorf.

    ROBERS, T. (2003): Das Gebot der nachhaltigen Ent-wicklung als Leitvorstellung des Raumordnungs- und Bauplanungsrechts. Mnster.

    SCHOEN, H. (2003): Die Planfeststellung zwischen Kontrollerlaubnis und Planungsentscheidung. Mnster.

    Susan GrotefelsHendrik Schoen

    Achsenkonzepte

    I. Achsen als Elemente von Raumordnungskonzeptionen

    Fr Achsen als Elemente von Raumordnungskon-zeptionen gibt es nach wie vor keine eindeutige, allgemein anerkannte Definition sicherlich auch ein Zeichen fr die mangelnde theoretische Fundierung, die noch nher aufzuzeigen sein wird. Sie sind generell gekennzeichnet durch eine Bndelung von Bandinfrastruktur (insbe-sondere Verkehrslinien) und eine Folge von Siedlungskonzentrationen. Die Anwendung des Achsenbegriffs erfolgt meist mit einem Zusatz, wie z. B. Verbindungs- bzw. Verkehrsachse, Siedlungsachse oder Entwicklungsachse, neuer-dings wird auch der Begriff Korridor verwendet.

    Achsen finden in der Regel im Rahmen des punktaxialen Systems Anwendung, sowohl in gro- als auch in kleinrumiger Ausprgung mit unterschiedlichem rumlichen Konkretisierungs-grad. Bezglich ihrer planungspraktischen Bedeu-tung waren sie stets umstritten, weshalb auf ihre Anwendung teilweise auch verzichtet wird. In 7 Abs. 2 Nr. 1 ROG werden Achsen als Soll-Inhalte von Raumordnungsplnen genannt; d. h. auf ihre Darstellung kann bei besonderer Begrndung verzichtet werden.

    Der begrifflichen Vielfalt entsprechen auch die verschiedenen, Achsen zugewiesenen Funktionen und Aufgaben. Diese lassen sich im Wesentlichen wie folgt umschreiben: Aufbau umfassender Verbindungsfunktionen

    durch leistungsfhige, weitgehend gebndelte Linieninfrastruktur;

    Schaffung bzw. Sicherung besonderer Stand-ortvorteile, insbesondere in den Schnittpunk-ten der Achsen und damit Strkung von Zentralen Orten;

    Verbesserte Verbindungen zwischen Verdich-tungsrumen;

    Anbindung peripherer Rume an die groen Zentren bzw. an den grorumigen Leistungs-austausch;

    Vorgaben zur Hauptrichtung der Siedlungsent-wicklung mit gleichzeitigem Freiraumschutz ( Freiraum/Freiraumschutz), d. h. keine durchgehenden Siedlungsbnder.

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    Achsenkonzepte

    Diese Zusammenstellung lsst erkennen, dass Achsenkonzepten vielfltige Entwicklungs- und Ordnungsaufgaben zugeordnet sind, was teil-weise zu einer normativen berfrachtung fhrt. berdies zeigen sich berschneidungen zu ande-ren Planelementen.

    Die unterschiedlichen Aufgaben von Achsen spiegeln sich auch in den jeweils dominierenden Merkmalen wieder: Visualisierung einer leitbildhaften Vorgabe

    ( Leitbilder in der rumlichen Entwick-lung) oder normative Ausgestaltung als Ziel bzw. Grundsatz der Raumordnung, was einen adquaten rumlichen und sachlichen Bestimmtheitsgrad erfordert;

    multifunktionaler oder weitgehend monofunk-tionaler Zielbezug;

    generalisierte Leitlinien bzw. schematisches Li-niennetz oder rumlich konkrete Ausformung.

    Die von einem Arbeitskreis der Akademie fr Raumforschung und Landesplanung (1976) schon vor lngerer Zeit vorgeschlagene Gliederung in grorumige Verkehrs- bzw. Verbindungsachsen einerseits und kleinrumige Siedlungsachsen an-dererseits hat sich inzwischen weitgehend durch-gesetzt. In der Planungspraxis gibt es jedoch wei-terhin verschiedene, vor allem frher entstandene Zwischenformen.

    Achsenkonzepten kann trotz verschiedener darauf ausgerichteter Versuche kein umfassender eigenstndiger Leitbildcharakter beigemessen werden. Sie sind vielmehr stets als Bestandteil breiter angelegter siedlungsstruktureller Rahmen-konzeptionen zu begreifen. Stand in frheren Phasen vor allem ihr Beitrag zur Schaffung bzw. Ausgestaltung gleichwertiger Lebensbedingungen im Vordergrund, so gehen derzeit die Bemhun-gen dahin, Achsen mehr auf die Leitvorstellung der Nachhaltigkeit auszurichten ( Nachhaltige Raumentwicklung). Die zielbezogenen Steue-rungsaufgaben der Achsen beziehen sich sowohl auf die Fachplanungen und hierbei insbesondere die Verkehrsplanung als auch auf die nachge-ordneten Raumplanungsebenen.

    Die Achsenkonzepte, wie sie vor allem in Deutschland Verbreitung fanden, wurden aus der planungspraktischen Arbeit heraus geschaffen. In den 1950er Jahren traten sie erstmals strker in den Vordergrund. Fr den Raum Hamburg

    wurde damals das Konzept der Aufbauachsen erarbeitet und weiterentwickelt, das auf frheren Planungsideen von Fritz SCHUMACHER basiert. Es findet heute seine Fortsetzung im Regionalen Entwicklungskonzept 2000 fr die Metropolregi-on Hamburg.

    Auf der Ebene der Landesplanung wurden 1964 im Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalen erstmals Entwicklungsachsen aus-gewiesen. Diesem Beispiel folgten anschlieend die meisten anderen Bundeslnder mit jeweils eigenen Konzeptionen, wobei sich schon damals vor allem im Ziel-Mittel-Bezug sowie hinsichtlich der einzelnen Funktionen ein verschiedenarti-ges Achsenverstndnis herausbildete, das sich vielfach bis heute erhalten hat. Entsprechend unterschiedlich gestalteten sich die Vorgaben ge-genber der Regionalplanung. Dies fhrte u. a. dazu, dass an den Grenzen der Bundeslnder unterschiedliche Achsensysteme aufeinanderstie-en. Inzwischen erfolgt eine bessere grenzber-schreitende Abstimmung. Es erwies sich zwei-fellos als Nachteil, dass man vonseiten der Ministerkonferenz fr Raumordnung (MKRO) im Gegensatz zu den Zentrale-Orte-Konzepten keine Entschlieungen zu den Grundlinien von Achsenkonzepten verabschiedete.

    II. Theoretische Grundlagen und Begrndungsanstze

    Eine befriedigende wissenschaftliche Begrndung der grundlegenden kausalen Zusammenhnge von Achsenkonzepten mit einem Erklrungsge-halt, welche z. B. der Zentrale-Orte-Theorie oder anderen Schwerpunktsystemen ebenbrtig wre, konnte bisher nicht erarbeitet werden. Inzwischen tritt deutlich zu Tage, dass sich eine eigenstndige theoretische Basis nicht gewinnen lsst, zumal die wesentlichen kausalen Beziehungsfelder letztlich immer auf punktuell ausgerichtete Standort-systeme zurckzufhren sind.

    Die verschiedenen Anstze, die fr eine wis-senschaftliche Begrndung herangezogen wer-den knnen, sind einerseits modelltheoretischer Natur und andererseits, von empirischen Unter-suchungen ausgehend, induktiv angelegt. Zu den ersteren sind insbesondere die Standortsysteme von CHRISTALLER und LSCH zu rechnen. Es zeigen sich hier theoretische Begrndungsanst-

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    Achsenkonzepte

    ze, die im Wesentlichen auf die Funktion von Verkehrslinien (Systemlinien) im Sinn einer wirt-schaftlichen Verbindung von Standorthufungen fr Produktion und Bevlkerung hinauslaufen.

    Von den Erklrungs- und Begrndungs-versuchen auf der Basis empirischer Un-tersuchungen seien vor allem die von ISBARY (1965) entwickelten Hauptlinien der Verdich-tung und des Verkehrs und das Adernetz der Verdichtungsbnder und Zentralen Orte erwhnt. Diese leitete er aus dem so genannten Kontraktionsprozess ab, der den Prozess einer relativ linearen Verdichtung durch Abziehen von Entwicklungspotential aus anderen Gebieten kennzeichnen soll. Derartige Anstze bleiben jedoch im Wesentlichen auf vordergrndige Darstellungen mit deskriptivem Charakter be-schrnkt, wobei Plausibilittserwgungen im Vor-dergrund stehen. Das von WHEBELL (1969) zur Erklrung der Siedlungsstruktur in Teilgebieten Kanadas entwickelte Korridor-Konzept, das ebenfalls gebndelte Verkehrsinfrastruktur sowie Siedlungsachsen umfasst, vermag demgegenber besser zu berzeugen.

    Bei derartigen Versuchen zeigt sich immer wie-der das grundstzliche Problem der Generalisie-rungsfhigkeit bestimmter rumlich-struktureller Erscheinungen. Weitreichende Annahmen dar-ber knnen nicht, wie dies vielfach geschehen ist, unkritisch planerischen Konzeptionen zugrunde gelegt werden.

    Die theoretischen Grundlagen von Ach-senkonzepten wurden im Rahmen eines Ar-beitskreises der Akademie fr Raumforschung und Landesplanung vertiefend aufgearbeitet und 1976 publiziert. Die darin getroffenen Fest-stellungen haben auch heute noch Gltigkeit, zumal die wissenschaftliche Diskussion darber zwischenzeitlich keine nennenswerte Fortsetzung fand bzw. Fortschritte brachte. Demgegenber finden in der Planungspraxis hin und wieder systematisch angelegte Untersuchungen mit fundierten Folgerungen und weiterfhrenden berlegungen statt, die in nicht verffentlichten Arbeitspapieren dokumentiert werden, wie z. B. anlsslich der Fortschreibung des Landesent-wicklungsprogrammes fr Thringen. Es wre zu wnschen, dass auf derartigen Grundlagen die dringend erforderliche Achsendiskussion im

    breiteren wissenschaftlichen Rahmen neu belebt wird.

    III. Grorumige Achsenkonzepte (Verkehrs- bzw. Verbindungsachsen)

    Diese Achsenkonzepte sollen in erster Linie die Erreichbarkeit von Zentren gewhrleisten bzw. verbessern sowie Verdichtungsrume unterein-ander und mit peripheren Gebieten verbinden (auch: Gebietskategorien). Grorumige Verkehrs- bzw. Verbindungsachsen werden als ein Grundgerst rumlicher Verflechtungen und der Weiterentwicklung der Siedlungsstruktur durch Schaffung von Erreichbarkeitsvorteilen im Rahmen eines vernetzten Zentrensystems angese-hen.

    Die beiden wichtigsten Elemente derartiger Verkehrs- bzw. Verbindungsachsen sind: kombinierte Bandinfrastruktur mit leistungsf-

    higen Fernstraen und Schnellbahnlinien und punktuelle Bndelung in den Knotenpunkten.

    Eine durchgehende lineare Parallelfhrung der Bandinfrastruktur ist nicht notwendig und aufgrund landschaftlicher Gegebenheiten und kologischer Erfordernisse vielfach auch nicht sinnvoll (zum Ganzen auch: Infrastruktur).

    Die Leistungsfhigkeit derartiger Achsenkonzepte muss vor allem im Hinblick auf ihre Steuerungs-wirksamkeit und Problemverarbeitungskapazitt beurteilt werden. In beiden Bereichen zeigen sich Schwchen. Daher drfen die normativen Anforderungen nicht zu hoch gesteckt werden.

    1. Achsenausweisungen auf europischer Ebene

    Grere Bedeutung genieen nunmehr gro-rumige Verkehrs- bzw. Verbindungsachsen als vorbereitende integrierte Planungsgrundlage auf europischer Ebene, zumal sich insbesondere im Rahmen der Osterweiterung der EU erheblicher Ausbaubedarf bei den Fernverkehrslinien zeigt. Besonders hervorzuheben ist, dass im Rahmen des EUREK mit den transeuropischen multimo-dalen Netzen (TEN) erstmals europaweit die In-tegration der nationalen Verkehrsnetze sowie der Zugang zu den Netzen, insbesondere auch zur Anbindung wenig erschlossener und peripherer Gebiete an die Schwerpunktrume konzeptionell angegangen wird (auch: Europische Raument-wicklungspolitik).

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    Achsenkonzepte

    Abb. 1: Europische Metropolregionen in Deutschland

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    Achsenkonzepte

    Eine Fortsetzung nach Osten finden die TEN in den paneuropischen Korridoren, in deren Rahmen die infrastrukturelle Erschlieung der mittel- und osteuropischen Staaten verbes-sert werden soll. Die Europische Raumord-nungsministerkonferenz (CEMAT) hob bereits 2000 in ihren Leitlinien fr eine nachhaltige rumliche Entwicklung auf dem europischen Kontinent die Bedeutung dieser paneuropischen Korridore fr eine gute grorumige Erreichbar-keit auf dem gesamten Kontinent hervor. Neben derartigen europaweiten Achsenkonzepten gewinnen Achsen derzeit auch fr die staatsgren-zenbergreifende Abstimmung von Verkehrs- und Entwicklungskonzepten im regionalen Mastab an Bedeutung.

    2. Achsenausweisungen auf Bundesebene

    Das einzige umfassende Achsenkonzept fr das frhere Bundesgebiet wurde 1975 im Rahmen des Bundesraumordnungsprogrammes mit der Ausweisung Grorumig bedeutsamer Achsen aufgestellt. Dieses Achsenkonzept fand nach der deutschen Vereinigung 1991 eine Ergnzung im Raumordnerischen Konzept fr den Aufbau in den neuen Lndern.

    Auch auf Bundesebene zeigt sich immer mehr eine europische Ausrichtung bei Achsen-darstellungen. So sei u. a. auf die von einer Ar-beitsgruppe der MKRO erarbeiteten berregional bedeutsamen Verkehrskorridore in Ausrichtung auf die in Deutschland liegenden Europischen Metropolregionen hingewiesen (vgl. Abb. 1). Der Raumordnungsbericht 2000 des Bundesamtes fr Bauwesen und Raumordnung enthlt europisch ausgerichtete Siedlungs- und Verkehrskorridore als Leitlinien mit internationalen, nationalen und regionalen Verkehrsknotenpunkten. In Verbin-dung mit diesen Darstellungen wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vorteile einer Konzentration durch stndig steigende Belas-tungen und Konflikte in den Korridorrumen konterkariert werden. Dies ist vor allem auf die wachsende Flcheninanspruchnahme, Zerschnei-dungseffekte, Abgas- und Lrmemissionen etc. zurckzufhren, welche insbesondere in Fluss-tlern schon seit langem in Erscheinung treten. Neuerdings zeigt sich ein Umdenken in der Raumordnung ( Raumordnung/Raumordnungs-

    politik) dergestalt, dass anstelle der Kennzeich-nung von Verkehrswegen die Anforderungen der Raumordnung an die Verbindungsqualitten zwischen Zentren und Rumen durch Achsen dargestellt werden.

    3. Verschiedene Achsenkonzepte in den Bundeslndern

    Die verschiedenen, ber einen lngeren Zeitraum hinweg entwickelten Achsenkonzepte der alten Bundeslnder lassen sich, wie bereits erwhnt, nach wie vor nur teilweise auf einen gemeinsamen Nenner bringen. hnliche Verschiedenartigkeiten zeigen sich inzwischen auch in den neuen Bundes-lndern. Die unterschiedlichen Begriffsinhalte und konzeptionellen Vorstellungen reichen von Ver-kehrsachsen bis zu kombinierten Verkehrs- und Siedlungsachsen im Sinn umfassender Siedlungs-strukturmuster. Mit dem letzteren Ansatz wird die instrumentelle Leistungsfhigkeit von Ach-senkonzepten weitgehend berfordert und eine schlssige Umsetzung erschwert. Unterschiede treten auch in der Netzdichte und in der Stufung der Achsen auf. Es erfolgt in der Regel auch keine Unterscheidung zwischen Planung und Bestand. Hinzu kommt der relativ hohe Abstraktionsgrad, der unterschiedliche Interpretationen in Bezug auf einzelne Achsenabschnitte zulsst bzw. erfor-derlich macht. Teilweise wird auf die Ausweisung von Achsen vonseiten der Landesplanung ber-haupt verzichtet.

    Bei den in letzter Zeit erfolgten bzw. derzeit in Vorbereitung befindlichen Fortschreibungen von Landesentwicklungs- bzw. Raumordnungsplnen zeigt sich, dass man vielfach an den bisherigen unterschiedlichen Achsenvorstellungen festhlt. Teilweise erfolgt allerdings auch eine Neuorien-tierung.

    hnliche Unterschiede zeigen sich bei den jeweiligen landesplanerischen Vorgaben ge-genber der Regionalplanung. Hier vermag insbesondere die nachrichtliche bernahme landesplanerischer Achsen, aber auch die dar-aus entwickelte Ausweisung schematisierter ge-schlossener Verkehrsachsennetze im Gegensatz zu verdichtungsraumbezogenen, originren re-gionalen Siedlungsachsen in der Regel nicht zu berzeugen. Die dieser Planungsebene adquate rumliche Zielkonkretisierung erfordert die n-

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    Achsenkonzepte

    here Abstimmung der jeweiligen Verkehrslinien-fhrung und Siedlungsentwicklung mit den bri-gen Flchenfunktionen und Nutzungen. Derartige Aufgaben sind meist besser durch die Ausweisung funktionaler Verkehrsnetze zu bewltigen.

    Die grorumigen Verkehrsnetze innerhalb Deutschlands sind inzwischen weitgehend reali-siert. Insofern werden Achsen auf der Ebene der Landesplanung immer mehr zu Bestandsdarstellun-gen mit rcklufiger Entscheidungserheblichkeit. Es geht nunmehr im Wesentlichen um Netzergn-zungen, um den verstrkten Ausbau bestimmter Hauptverkehrslinien und um die Ausrichtung auf transeuropische Achsen unter besonderer Bercksichtigung wachsender Umweltbelastun-gen. Starre Schemen sind dafr immer weniger geeignet, so dass die Frage in den Vordergrund rckt, was mit landesplanerischen Achsenaus-weisungen knftig geleistet werden kann (zum Ganzen auch: Verkehrsplanung).

    IV. Kleinrumige Siedlungsachsen

    Diese Achsen sind gekennzeichnet durch ein relativ kleinrumiges, regionales Siedlungskon-zept mit nahverkehrsbezogenen Achsen und verdichteten, punktfrmigen Siedlungsbereichen auf diesen Achsen. Da sie im Hinblick auf ein attraktives PNV-Angebot insbesondere auf der Schiene ein greres Bevlkerungspotential voraussetzen, knnen sie im Wesentlichen nur in Ordnungs- bzw. Verdichtungsrumen Anwen-dung finden. So empfahl auch die MKRO bereits 1977 in ihrer Entschlieung zur Gestaltung der Ordnungsrume, dass sich die regionale Sied-lungsentwicklung in diesen Rumen vorrangig an Siedlungsachsen ausrichten sollte. In Lndli-chen Rumen fehlen dagegen in aller Regel die Voraussetzungen fr derartige Ausweisungen sowohl bezglich der Siedlungsstruktur als auch der Bevlkerungspotentiale.

    Als einzelne Planungselemente enthalten die-se Konzeptionen, die in der Regel originr von der Regionalplanung ausgewiesen werden und keine flchendeckenden, geschlossenen Netze darstellen:

    a) Siedlungsachsen mit:

    axialen Nahverkehrssystemen und meist schienengebundenem attraktivem und damit

    ausgelastetem Taktverkehr zur Verbesserung der Erreichbarkeitsverhltnisse und zur teilwei-sen Verlagerung von Entwicklungsimpulsen in entferntere Umlandbereiche (Achsenendpunk-te);

    punktfrmig verdichteten Siedlungszonen im Bereich der Achsenstandorte sowie in Funkti-onsteilung zueinander stehenden Zentren, die aber keine durchgehende bandfrmige Besied-lung bilden drfen, sondern durch Grnzsu-ren gegliedert sind;

    b) freiraumschtzende Planelemente fr die Ach-senzwischenrume, wobei die dort gelegenen Gemeinden auf die Eigenentwicklung be-grenzt bleiben sollen.

    In einer neueren Untersuchung zu Struktur und zum Aufbau eines schlanken und effektiven Regionalplanes werden kleinrumige Sied-lungsachsen zu dessen Kernelementen in Ver-dichtungsrumen gezhlt, wobei verschiedene Ausweisungs- bzw. Darstellungsarten in Betracht kommen (BUNDESAMT FR BAUWESEN UND RAUMORDNUNG 2001). Bedeutende Beispiele von Siedlungsachsenkonzepten finden sich vor allem in den groen einpoligen Ballungsrumen, wie Hamburg oder Mnchen, wo sie ein stern-frmiges Grundmuster aufweisen. Aber auch in anderen Agglomerationen wurden derartige Achsenkonzepte verwirklicht.

    Die Ausweisung und Umsetzung von Sied-lungsachsen hat sich insgesamt betrachtet bewhrt. Es werden aber auch die Schwchen sichtbar, auf die schon frher hingewiesen wurde. Sie lassen sich vor allem durch folgende Faktoren erklren: Die dominierenden Wohnwnsche der

    Bevlkerung entsprechen nur teilweise den Dichtevorstellungen fr die engeren, meist immissionsbelasteten Achsenbereiche.

    Es zeigen sich wachsende Belastungserschei-nungen und Konflikte mit kologischen Funk-tionen in den Achsenbereichen.

    In weiten Bevlkerungskreisen wird der indivi-duelle Pkw-Verkehr bevorzugt.

    Aus diesen Faktoren resultiert ein Siedlungsdruck in gnstig gelegene Achsenzwischenrume.

    Inzwischen drfte die Ausweisung und auch die Realisierung von Siedlungsachsenkonzepten

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    Achsenkonzepte

    grtenteils abgeschlossen sein. Umsetzungs-manahmen und Netzergnzungen stehen nun-mehr im Vordergrund.

    V. Der Einsatz von Achsenkonzeptionen unter vernderten Entwicklungsbedingungen

    Betrachtet man die Anwendung von Ach-senkonzeptionen mit Blick auf Gegenwart und Zukunft, so ist festzustellen, dass ihre schon bis-her begrenzte Bedeutung als raumordnerisches Steuerungsinstrument zurckgegangen ist und tendenziell noch weiter abnehmen wird.

    Die bisherigen Achsenkonzeptionen mit ih-ren Bndelungs- und Verdichtungsvorstellungen sind in hohem Ma wachstumsorientiert und zur Koordination eines stagnierenden bzw. sich verringernden Entwicklungspotentials kaum ge-eignet, worauf schon 1976 hingewiesen wurde (AKADEMIE FR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG 1976). Der Ausbau des gro- und auch kleinrumigen an der Zentren- und Siedlungsstruktur orientierten Verkehrsnetzes ist weitgehend abgeschlossen. Die aufgezeigten aktuellen Aufgaben erfordern meist differenzierte Lsungsanstze, wofr Achsen angesichts des ih-nen innewohnenden Schematisierungsgrades nur noch sehr begrenzt geeignet sein drften.

    Wie bereits dargelegt, kommt Verkehrs- bzw. Verbindungsachsen zur Koordination transeuro-pischer zentrenorientierter Verkehrslinien auch in Verknpfung mit innerstaatlichen Netzen eine wachsende Bedeutung zu. Innerhalb Deutsch-lands werden kleinrumige Siedlungsachsen trotz gewisser Schwchen weiterhin ein wichtiges raumordnerisches Grundmuster fr Verdich-tungsrume darstellen. Fraglich erscheint jedoch die raumordnerische Relevanz einer weiteren Anwendung von geschlossenen, relativ dichten schematischen Achsennetzen bisheriger Art auf Bundes- oder Landesebene, vor allem in Form von Entwicklungsachsen mit ihrem breiten Koordinie-rungsanspruch. Es sollte u. a. geprft werden, ob Achsen eine Art Grundgerst fr einen teilweisen Rckzug aus der Flche bilden knnen, z. B. als Orientierungslinien eines Auffangkonzeptes fr lndliche Gebiete im Sinn von Auffangkorrido-ren oder Stabilisierungsachsen. Angesichts des demographischen Umbruchs, wirtschaftlicher Strukturprobleme und den kaum abwendbaren

    Entleerungstendenzen in verschiedenen Teilen Deutschlands ( Schrumpfung) bei gleichzeiti-ger Expansion weniger Metropolregionen und wachsenden rumlichen Spannungsfeldern wer-den sich die Anforderungen an raumordnerische Planungsinstrumente hinsichtlich ihrer Koordinie-rungskraft generell erhhen, was natrlich auch Achsenkonzepte betrifft.

    Wirft man darber hinaus den Blick auf spezi-elle Erfordernisse, wie nachvollziehbare rumliche Zielkonkretisierung, vor allem in Ausrichtung auf die Nachhaltigkeit, struktur- und priorittsbezo-gene Differenzierungen, inhaltliche Abstimmung mit anderen Planungsinstrumenten, Ausweisung in einem instrumentell handhabbaren Umfang etc., so zeigt sich erheblicher Forschungsbedarf bezglich der Anwendung von Achsenkonzep-ten. Dabei sollte mglichst zusammen mit den Nachbarstaaten geklrt werden, in welcher Form Achsen zuknftig wirkungsvoll Anwendung fin-den knnen.

    Literatur

    AKADEMIE FR RAUMFORSCHUNG UND LANDES-PLANUNG (Hrsg.) (1976): Zur Problematik von Ent-wicklungsachsen. Forschungs- und Sitzungsberichte, Bd. 113, Hannover.

    AKADEMIE FR RAUMFORSCHUNG UND LAN-DESPLANUNG (Hrsg.) (1980): Kleinrumige Sied-lungsachsen. Zur Anwendung linearer Siedlungsstruk-turkonzepte. Forschungs- und Sitzungsberichte, Bd. 133, Hannover.

    AKADEMIE FR RAUMFORSCHUNG UND LANDES-PLANUNG (Hrsg.) (1982): Endpunkte von Siedlungs-achsen. Beitrge, Bd. 67, Hannover.

    AKADEMIE FR RAUMFORSCHUNG UND LANDES-PLANUNG (Hrsg.) (1999): Grundri der Landes- und Regionalplanung. Hannover, Abschnitt 3123 und 3212.

    BUNDESAMT FR BAUWESEN UND RAUMORD-NUNG (Hrsg.) (2000): Raumordnungsbericht 2000. Bonn.

    BUNDESAMT FR BAUWESEN UND RAUMORD-NUNG (Hrsg.) (2001): Schlanker und effektiver Regionalplan. Forschungen, H. 101, Bonn.

    ISBARY, G. et al. (1969): Gebiete mit gesunden Struk-turen und Lebensbedingungen. Abhandlungen, Bd. 57, Hannover.

    KISTENMACHER, H. (1981): Achsen. In: Akademie fr Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Daten zur Raumplanung. Teil A, V.1.4. Hannover.

    KISTENMACHER, H. (1982): Achsen: Kleinrumige Siedlungsachsen als vorherrschende Konzeption fr

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    Agenda 21

    Verdichtungsgebiete. In: Akademie fr Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Grundri der Raumord-nung. Hannover, S. 263274 und 283288.

    WHEBELL, C. (1969): Corridors A Theory of Urban Systems. In: Annals of the Association of American Geographers, vol. 59, no. 1, S. 126.

    Hans Kistenmacher

    Agenda 21

    I. Ausgangsbedingungen und Inhalt

    Mit der Agenda 21 wurde auf der Weltkonferenz fr Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro eine Tagesordnung fr das 21. Jahr-hundert formuliert und beschlossen. Die wech-selseitige Abhngigkeit von konomischer, sozi-aler und kologischer Entwicklung wurde damit weltweit anerkannt.

    Der Grundstein fr die Weltkonferenz wurde bereits 1972 in Stockholm auf der Konferenz fr menschliche Umwelt gelegt, an der insgesamt 113 Staaten teilnahmen. Im Jahr 1983 grndeten dann die Vereinten Nationen (UN) die Welt-kommission fr Umwelt und Entwicklung. Die Kommission stellte zu Beginn ihrer Aktivitten fest, dass die Weltwirtschaft zwar die Bedrfnisse der Menschen befriedigen msse, ihr Wachstum aber gleichzeitig die kologischen Grundlagen der Erde nicht zerstren drfe. Damit wurde der Begriff der Nachhaltigen Entwicklung in die internationale Diskussion eingefhrt.

    An der Konferenz 1992 in Rio nahmen die Regierungschefs (oder deren Vertreter) aus ber 170 Staaten teil. Hinzu kamen Vertreter von UN-Organisationen, Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft, Verbnden, Kommunalverwaltungen, Nichtregierungsorganisationen und viele mehr, so dass insgesamt rund 18.000 Teilnehmer/innen gemeldet wurden.

    In Rio wurden neben dem Aktionsprogramm fr eine weltweite Nachhaltige Entwicklung (Agenda 21) auch zwei internationale Konventi-onen und zwei Grundsatzerklrungen beschlos-sen: die Klimarahmenkonvention, die Konvention ber biologische Vielfalt,

    die Rahmenprinzipien Wald und die Rio Erklrung.Ausgehend von den kologischen, konomi-schen, sozialen und entwicklungspolitischen Problemen befasst sich die Agenda 21 mit der Notwendigkeit, sich auf die Herausforderun-gen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. Dazu heit es in der Prambel (Kap. 1 der Agenda 21): Durch eine Vereinigung von Umwelt- und Entwicklungsinteressen und ihre strkere Beach-tung kann es uns ... gelingen, die Deckung der Grundbedrfnisse, die Verbesserung des Lebens-standards aller Menschen, einen greren Schutz und eine bessere Bewirtschaftung der kosyste-me und eine gesicherte, gedeihliche Zukunft zu gewhrleisten. Das vermag keine Nation allein zu erreichen, whrend es uns gemeinsam gelingen kann: in einer globalen Partnerschaft, die auf eine Nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist.

    Die Agenda 21 enthlt insgesamt 40 Kapitel, die in vier Teile gegliedert sind:Teil I: Soziale und wirtschaftliche Dimensionen

    (Kap. 2 bis 8),Teil II: Erhaltung und Bewirtschaftung der Res-

    sourcen fr die Entwicklung (Kap. 9 bis 22),

    Teil III: Strkung der Rolle wichtiger Gruppen (Kap. 23 bis 32),

    Teil IV: Mglichkeiten der Umsetzung (Kap. 33 bis 40).

    Entsprechend dieser Programmbereiche werden in den einzelnen Kapiteln jeweils die Ausgangs-basis, Ziele, Manahmen und Instrumente zur Umsetzung dargestellt.

    II. Nationale Nachhaltigkeitsstrategie

    Zur Umsetzung der Agenda 21 auf nationaler Ebene hat die Bundesregierung am 17.4.2002 eine nationale Strategie fr eine Nachhaltige Entwicklung beschlossen. Diese diente zugleich zur Vorbereitung und als deutscher Beitrag zum Weltgipfel fr nachhaltige Entwicklung im August/September 2002 in Johannesburg, auf dem 10 Jahre nach Rio Bilanz ber die weltweiten Aktivitten zur nachhaltigen Entwicklung gezogen werden sollte.

    Die Ziele und Indikatoren der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie dienen als Orientierungs-werte fr politische und gesellschaftliche Akteure.

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    Agenda 21

    Zentrales Kapitel der Strategie ist das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung. Die Strategie umfasst darber hinaus mehrere prioritre Handlungsfel-der, fr die Grundstze einer nachhaltigen Ent-wicklung konkretisiert werden. Die Erarbeitung der Strategie beruht auf einem breit angelegten Dialog mit Brgerinnen und Brgern und gesell-schaftlichen Gruppen sowie direkten Konsultati-onen mit den Kommunen. Fr eine erfolgreiche Umsetzung der Strategie ist von wesentlicher Bedeutung, dass immer mehr Kommunen ihre Aktivitten und Politiken anhand der Nachhaltig-keitsprinzipien berprfen und Aktionsplne fr lokale Nachhaltigkeit aufstellen.

    III. Von der Agenda 21 zur Lokalen Agenda

    In Kap. 28 der Agenda 21 wird die Teilnahme und Mitarbeit der Kommunen besonders hervorgeho-ben, da viele der in der Agenda 21 aufgefhrten Probleme, Ziele und Lsungen die lokale Ebene betreffen und dort umgesetzt werden mssen. Darber hinaus spielen die Kommunen als Politik- und Verwaltungsebene, die den Brgerinnen und Brgern am nchsten steht, eine entscheidende Rolle bei der Informierung und Mobilisierung der ffentlichkeit und somit ihrer Sensibilisierung fr eine nachhaltige, umweltvertrgliche Entwicklung (Kap. 28.1). Daher werden die Kommunen aufge-fordert eine Lokale Agenda 21 zu erarbeiten.

    Die deutschen Kommunen verfolgen viele Ziele einer zukunftsbestndigen Entwicklung nicht erst seit der UN-Konferenz 1992. Zahlreiche Aktivitten, die durch den kommunalen Umwelt-schutz ergriffen wurden, haben bereits seit den 1970er und 1980er Jahren zur Verbesserung der Umweltqualitt beigetragen und das Entstehen neuer Umweltschden verhindert ( Umwelt-politik). Im Zusammenhang mit der Agenda 21 muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass kologie zwar ein Bestandteil der Nachhaltigkeit, aber nicht identisch mit ihr ist. Ebenso im Fokus des Entwicklungsprozesses stehen soziale Ge-rechtigkeit, konomischer Wohlstand und globale Verantwortung.

    Jede Kommune weist unterschiedliche Aus-gangsbedingungen im Bez