Aspekt und Tempus im Frankokreol - Romanisches...

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Aspekt und Tempus im Frankokreol Semantik und Pragmatik grammatischer Zeiten im Kreol unter besonderer Berücksichtigung von Französisch-Guayana und Martinique Stefan Pfänder

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Aspekt und Tempus im Frankokreol Semantik und Pragmatik grammatischer Zeiten im Kreol

unter besonderer Berücksichtigung von Französisch-Guayana und Martinique

Stefan Pfänder

Meiner Großmutter

Herzlich danken möchte ich

den Professoren Wolfgang Raible und Ralph Ludwig, die das Entstehen der Arbeit ermöglicht und mit großem persönlichem Engagement sowie vielfältigen weiterführenden Anregungen begleitet haben,

Professor Edeltraud Werner für ihren steten Rat und wertvolle Kritik,

den Professoren G. Antos, A. Bollée, R. Chaudenson, M. Haspelmath, J. Lang, M.-C. und G. Hazaël-Massieux, G. Meiser, I. Neumann, sowie M. Barenberg, PD Dr. H. Böhmer, Dr. N. Díaz, L. Honorien und Dr. S. Michaelis, die den Fortgang der Arbeit mit wertvollen Hinweisen gefördert haben,

meiner Familie, meiner Frau und meinen Freunden für ihre weitreichende Unterstützung,

meinen guayanesischen, martinikanischen und russischen Bekannten, stellvertretend der Familie Némor-Henri, ohne deren muttersprachliche Kompetenz und Gastfreundschaft während meiner Forschungsaufenthalte diese Arbeit nicht hätte entstehen können,

der Studienstiftung des Deutschen Volkes, hier ganz besonders den Eheleuten Professor W. Eberbach und Frau Dr. G. Feige,

sowie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der Deutschen Forschungs-gemeinschaft für die finanzielle Unterstützung, die mir die Studienaufenthalte in Französisch-Guayana, Martinique und Aix-en-Provence ermöglicht hat.

Halle (Saale), im März 2000

Inhalt

Prolog: Oun 'òt tan – 'eine andere Zeit' .............................................. 1

I. Thema und Ziele.......................................................................... 14

II. Korpus............................................................................................ 21

III. Methode......................................................................................... 37

III.1. Onomasiologie und Semasiologie ........................................37 III.2. Text .......................................................................................39 III.3. Prototypikalität bei Aspekt und Tempus ..............................46

IV. Theoretische Überlegungen ...................................................... 57

IV.1. Zur Forschungsdiskussion ....................................................57 IV.2. Aspekt im Russischen...........................................................62 IV.3. Subjektivität, Schau und Deixis bei Aspekt und Tempus ....65 IV.4. Aspektuelle Opposition imperfektiv-perfektiv.....................75 IV.5. Präsens und Perfekt: Aspekte oder Tempora?......................81 IV.6. Zusammenfassung.................................................................84

V. Korpusanalyse.............................................................................. 88

V.1. Aspekt und Tempus im Guayana- und Martiniquekreol: zum Forschungsstand............................................................ 88

V.2. Einzelanalysen ......................................................................94

V.2.1. Prozessualität und Habitualität............................... 94 V.2.2. 'La passion selon St-Jean en langage nègre'......... 108 V.2.3. In ein laufendes Geschehen

einbrechende Aktion............................................. 112 V.2.4. Regreßpflicht ........................................................ 120 V.2.5. Statische Verben ................................................... 127 V.2.6. Zukünftige Handlungen........................................ 144 V.2.7. Aspekt und Subordination .................................... 151 V.2.8. Subordination und Schriftlichkeit ........................ 155

V.2.9. Vorerwähnte Handlungsaufforderungen ..............161 V.2.10. 'Res gestae' ............................................................162 V.2.11. Aspekte des Sterbens ............................................174

V.3. Zwischenbilanz ...................................................................181

VI. Vorarbeiten zu einer Teiltypologie 'Aspekt'........................192

VI.1. Zentrale vs. periphere Romania bzw. 'Kreolia'? .................192 VI.2. Vergleich mit spanischen, portugiesischen

und englischen Kreolsprachen............................................200

VII. Grammatikalisierung und Sprachkontakt: neue Hypothesen zur Partikel ka............................................210

VIII. Ergebnisse ...................................................................................226

Epilog: Grammatik und Zeit .............................................................240

Literaturverzeichnis ............................................................................247

Abkürzungen

Ø

A

ALFA

DETA

DYN

EGR

FN

FUT

F(UT)-PRF

HAB

I

IBAS

INGR

IMPF

ISEK

IT

Nullmarker

Aspekt

allgemein-faktisch

Details

dynamisches Verb

egressiv

Fußnote

Futur

Futur II

habitual

imperfektiver Aspekt

Inzidenzbasis

ingressiv

imparfait

Inzidenzsekante

iterativ

P

P.C.

P.S.

PAST

P(AST)-PRF

PRF

PROG

PRS

PRS- PRF

STAT

SUB

T

TMA

TOTA

perfektiver Aspekt

passé composé

passé simple

Präteritum

Plusquamperfekt

Perfekt

progressiv (=prozessual)

Präsens

Perfekt

statives Verb

Subordination

Tempus

Tempus-Modus-Aspekt

Totale

Prolog: Oun 'òt tan – 'eine andere Zeit'

"Sprich von der Zeit. Sie läuft nicht voran wie ein Faden, sondern wie ein Kettenhund, der nach vorn springt, zurückgerissen wird, erzittert [...]."

(P. Chamoiseau, Texaco, 1992)

Im Roman des martinikanischen Autors Chamoiseau ist zu lesen, wie ein karibischer weiser Mann von Zeit spricht:

Parle de Temps. Ça n'avance pas comme un fil mais comme un chien ferré, qui va devant, qui boule en arrière, qui frissonne, [...]. (P. Chamoiseau, Texaco, 1992: 322)

Dies ist ein ungewöhnlicher Vergleich zur Charakterisierung der Zeit. Der Autor unterstreicht im Kontext des in französischer Sprache verfaßten Romans Texaco, daß es sich hier nicht um eine individuelle bildliche Wendung, sondern um ein im südlichen frankokaribischen Kulturkreis (Kleine Antillen/ Französisch-Guayana) verbreitetes Reden von Zeit handelt. Wie aber soll beispielsweise Geschehenes erinnert werden, wenn es keinen Fluß gibt, den man erinnernd stromaufwärts gehen könnte, sondern einen Hund? So wie dieser angekettet ist, müssen wohl jene, die sich erinnern wollen, wohl oder übel im Jetzt bleiben. Spricht deshalb der von St. Lucia stammende Schriftsteller Derek Walcott vom ewigen Moment des Jetzt? Die Suche nach der vergangenen Zeit, nach der Geschichte, ist im Falle Télumées, der Protagonistin in einem Roman der guadeloupekreolischen Autorin Simone Schwarz-Bart, offenbar durch zwei sich auf den ersten Blick widersprechende Charakteristika geprägt. Zum einen gelingt es ihr, das Vergangene zu vergegenwärtigen, so daß der Leser den Eindruck gewinnt, die Toten lebten noch. Zum anderen bekommt sie trotz ihrer Stellung als weise Dorfälteste und schließlich trotz allen hartnäckigen Bemühens keinen Zugang zu den Kausalitäten und Zusammenhängen der (guadeloupe-) kreolischen Geschichte (1972: 244):

Je n'arrive pas à comprendre comment tout cela a pu commencer, comment cela a pu continuer, comment cela peut durer encore.

Die Älteste des Dorfes sucht in ihrem Gedächtnis nach den Anfängen der Gemeinschaft, doch sie kann sich nicht erinnern und daher nicht 'verstehen, wie alles begann'. Die vergangene Zeit, die Geschichte der Kreolen, liegt weitgehend im dunkeln, weil man nichts weiß von der

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Geschichte. Dann aber kann man nicht erinnern, sondern allenfalls erahnen, was geschah, so wie man bei uns davon spricht, die Zukunft zu erahnen, vorherzusehen. Im kreolischen Kulturraum wird gar davon gesprochen "vorherzusehen, was geschah" (Glissant 1964). "Es ist eine andere Zeit [...], es ist eine andere Zeit, nicht dieselbe"1; so äußerte sich mir gegenüber eine ältere Informantin im Regenwaldgebiet Französisch-Guayanas. Die 'andere Zeit' ist für die Sprecherin an die Hauptstadt Cayenne geknüpft; hierher – d.h. aus einem stärker durch den kulturellen Einfluß Frankreichs geprägten Raum – kommt das Neue. Es ist also nicht so sehr eine historische Entwicklung gemeint, sondern ein synchronisches Phänomen im Sinne von Kulturkontakt. Die kreolische Dame meinte, wie die weitere Nachfrage ergab, nicht etwa metonymisch die Lebensumstände, sondern im engeren Sinne Zeit. Sollte man folglich, so wie für Guayana im Vergleich zu Frankreich von einer anderen Musik und einer anderen Küche gesprochen wird, auch von 'einer anderen Zeit' (oun 'òt tan) sprechen müssen?

Zunächst, bevor ich der aufgeworfenen Frage nachgehe, sei kurz begründet, weshalb in einem Prolog zu einer grammatischen Untersuchung von "Zeit" die Rede ist. Es verhält sich nicht so, daß Grammatik etwa als calque erfahrbarer Wirklichkeit verstanden würde; eine solche Prämisse liegt der Arbeit nicht zugrunde2. Allerdings haben sowohl Tempus als auch Aspekt mit Zeit zu tun; es geht bei diesen Kategorien mit Gerold Hilty um die Darstellung von Handlungen mit Bezugnahme auf Zeit3. Bei Tempus 1 A oun 'òt tan ki rivé, oun 'òt tan, a pa menm-an. Man Georgette, Savanne Maya, 12.

August 1995. 2 Das Ziel soll folglich nicht sein, Beziehungen zwischen Aspekt/ Tempus und dem

Sprechen von Zeit zu suchen, um spezifische Verbindungen zwischen Sprache und Denken auszuloten. In der Sprache konstituiert das Zentrum des Sprechens gleichzeitig den Ausgangspunkt für die Darstellung von Zeit. Dieses Zentrum wird traditionell durch die Parameter ich-hier-jetzt definiert (Bühler 1934); diese ego-hic-nunc-origo wird als Koordinatenkreuz für die deiktische Relationierung der Tempora zum Sprechzeitpunkt aufgefaßt. Aspekt hingegen wird definiert als die Innen- oder Außensicht auf die zeitliche Konstitution eines Geschehens. So gesehen wird mit Schrott 1997 für das Aspekt- und Tempussystem "in der sprachwissenschaftlichen Untersuchung [...] traditionell ein eigenes Zeitkonzept"

angenommen, welches (zumindest für die Tempora) durch das deiktische Zeigen von der origo aus zu beschreiben ist. Dieses spezifische 'Zeitkonzept der Sprache' soll als strikt von historischen, literarischen, psychologischen und philosophischen Zeitkonzeptionen geschiedene Größe verstanden werden.

3 Siehe Hilty 1965. Anders freilich Weinrich 1964/ 1994. Vgl. auch die häufigen Hinweise am Beginn von Tempusarbeiten auf Überlegungen bei Augustinus im XI. und XX. Buch der Confessiones; vgl. Flasch 1993: 196ff.

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geht es um die Deixis, mithin um den Bezug auf das ich-hier-jetzt des Sprechers. Bei Aspekt geht es nicht um deiktisches Zeigen, sondern um den Blick auf ein vom Verb wiedergegebenes Geschehen. Dieser Blick kann mit oder ohne Fokussierung der inneren zeitlichen Struktur einer Verbalhandlung dargestellt werden. Wenn auch in je spezifischer Weise, so dienen also Aspekt und Tempus der grammatischen Enkodierung von Bezugnahmen auf Zeit im weitesten Sinne4. Doch sollen die grammatischen Analysen nicht mit den folgenden Überlegungen zur Zeit vermischt werden; sie sind daher in Form von Prolog und Epilog der Arbeit zusätzlich beigefügt. Hierbei kann keine umfassende (kultur-)wissenschaftliche Analyse angestrebt werden; es geht vielmehr um ein Zusammentragen von kurzen Beobachtungen, die anhand der Literatur des untersuchten Gebietes erfolgen sollen. Mithin steht keine Argumentation im Mittelpunkt, an deren Ende man zu einem wohlgeformten Begriff von Zeit gelangte5, sondern eine kleine Sammlung von Beispielen, wie in zwei voneinander entfernten Arealen (Europa und Französisch-Guayana/ Kleine Antillen) von Zeit gesprochen wird.

Ziel dieser Überlegungen ist es, das gerade bei der Feldarbeit in der Karibik als 'anders' empfundene Umgehen mit bzw. Sprechen von Zeit zu reflektieren. Es geht mit anderen Worten darum, das Fremde nicht nur als exotisch, sondern in einem kulturhistorischen Zusammenhang stehend zu betrachten. Wenn die oben zitierte Kreolin von einer 'anderen' Zeit spricht, so ist damit offenbar mehr als eine bloße laudatio temporis acti gemeint. Um das 'andere' inhaltlich zu füllen, will ich anhand literarischer Beispiele Zusammenhänge herausarbeiten, indem ich folgenden Fragen nachgehe:

1. Angekettet in der Gegenwart: "[Die Zeit] geht nicht voran ... [sie ist wie] ein angeketteter Hund" – steht die Zeit in der kreolischen Gemeinschaft still? Heißt dies, daß ein Erinnern unmöglich ist – angesichts des erzwungenen Vergessens der Sklavenzeit?

2. Zeit, die hin- und herspringt: "[Die Zeit] geht nicht voran wie ein Faden ..." – wie ist Zeit ohne Linearität und Chronologie zu denken? Inwiefern spielt die mündliche Prägung der Gesellschaft hier ein Rolle?

4 Genauer hierzu Kapitel I und IV. Vgl. auch Maslov 1985: 2: "Evidently both types

of meaning are connected with the general idea of time, but tense and aspect give concrete expression to this idea in different ways".

5 Vgl. hierzu aus der Fülle der Literatur zur Zeit besonders Ariès 1988, Borst 1990, Elias 1994, Mecke 1990, Paungger/ Poppe 1995, Russell 1915, Ullrich 1998, Weinrich 1997, Whitrow 1991.

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3. 'Zeitvergleich': Deutet das in 1 und 2 Überlegte auf ein in der Karibik anders zu nennendes Erleben von Zeit als in Europa? Ein französisches und ein russisches Beispiel scheinen dem zu widersprechen.

1. Angekettet in der Gegenwart Folgt man den Untersuchungen von Jan und Aleida Assmann und Richard Price, so werden in 'mündlichen' Gesellschaften die res gestae in einer spezifischen Form erinnert. Zu dieser Spezifik gehört u.a. das an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten erfolgende Wiedererzählen einer Begebenheit, welche die Verbindung der Kulturgemeinschaft mit dem bewohnten Ort begründet. Diese Erzählungen können die Form eines Mythos aufweisen (Assmann/ Assmann 1988). In Anlehnung an Mircea Eliade können einige dieser Geschichten, welche zur Identitätsbildung einer Gruppe beitragen, auch als 'fundierende Mythen' bezeichnet werden. Doch die kreolische Geschichte beginnt mit der gewaltsamen Entwurzelung afrikanischer Menschen. Am Anfang der kreolischen Gesellschaftsentstehung steht kein fundierender Mythos, sondern – im Hinblick auf das Grauen der Versklavung – eher die Infragestellung der Menschlichkeit an sich: "Ich frage mich, ob wir Menschen sind, denn wenn wir Menschen wären, hätte man uns vielleicht nicht so behandelt" (Schwarz-Bart 1972; vgl. Glissant 1992). Nicht wie Menschen, allenfalls wie 'Hunde' wurden die Sklaven behandelt; ganz wie Hunde wurden die Menschen angekettet. Bei Chamoiseau aber liest man dasselbe von der Zeit, welche mit einem angeketteten Hund verglichen wird. Die Zeit erscheint jenem weisen Mann im oben zitierten Roman Texaco (1992: 322)6 als etwas durchaus nicht ruhig Dahinfließendes. So selbstverständlich uns das Bild vom Zeitstrom erscheinen mag, es ist offenbar nicht universal. Die 'angekettete' Zeit jedenfalls kann die Räume nicht fließend durchziehen, sie ist auf den Raum begrenzt, den der Radius der Eisenkette zuläßt. Die Zeit läuft zudem nicht ruhig im Kreise, sie 'springt hin und her' und wird von der sich spannenden Kette immer wieder zurückgerissen. Eine Dimension dieses Bildes könnte das folgende sein: Da es nahezu keine schriftliche Überlieferung gibt, ist die Vergangenheit, die in zweihundert von dreihundert Jahren das unfaßbare Leid von Sklaven darstellt, nicht erreichbar. Die nichtschriftliche Erinnerung läßt nur ein begrenztes 'Zurückreisen' zu. So ist es, als drehe der Suchende sich im Kreise, als umkreise er die erinnerten Menschen, ohne sich ihnen wirklich nähern zu können: "Je soulève la lanterne pour chercher le visage de mon ancêtre, et tous les visages sont les mêmes et ils sont tous miens, et je

6 Vgl. Ludwig 1999.

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continue à chercher et je tourne autour d'eux", sagt die schon zitierte Télumée (1972: 244). Wenn nun der martinikanische Philosoph und Schriftsteller Édouard Glissant fordert, die kreolische Geschichte aus dem Grabe des Vergessens zu befreien7:

Notre histoire, il nous reste à la déterrer ou à l'élever, en nous et parmi nous. Ce qui nous donne, pour le moment, le plaisir trouble de fréquenter cette illusoire éternité (1993: 17),

so liefert er mit diesem Postulat eine mögliche Interpretation der 'angeketteten Zeit'. Diese Zeit könnte wie eine Aufhebung ihrer selbst, und damit wie Zeitlosigkeit oder Ewigkeit, verstanden werden. Doch diese Ewigkeit sei eine Illusion, so Glissant. An ihre Stelle solle die Befreiung der Geschichte treten, und damit überreicht der Philosoph das Staffelholz an die Historiker.

Die Beziehung zwischen Gesellschafts- oder Staatsbildung und Zeiterleben wird von Norbert Elias wie folgt gedeutet (1994: 25): "Die Entstehung langdauernder und relativ stabiler Staatseinheiten war [...] eine Bedingung für das Erleben der Zeit als eines fortlaufenden Flusses". In dieser Sicht ist die Schaffung von Zeitregulatoren8 – nicht allein mit Hilfe von Uhren und Kalendern, sondern auch von Zeitskalen, die Jahrhunderte erfassen und sich auf fundierende Ereignisse (Assmann 1992) beziehen ('wir leben heute im 20. Jahrhundert nach Christi Geburt') – die Bedingung für das Erleben der Zeit als einen ruhig strömenden Fluß. Wie Assmann geht es auch Glissant offenbar um Ursprungsmythen im Sinne von Mircea Eliade9. Solche Mythen aber liegen mit Glissant noch im Grabe des kreolischen Vergessens, so daß der Aufbau einer Beziehung zum bewohnten Raum und der damit verbundenen Geschichte sehr schwerfällt. Pausch schreibt dazu: "Die 'békés' seien nur an der Ausbeutung des Bodens interessiert, während die Schwarzen sich weigerten, jenes Land als das ihre zu akzeptieren, auf dem ihre Vorfahren Sklavendienste hätten verrichten müssen [...]; der Wind, die Erde, die Pflanzen und das Meer lehren sie [die Kreolen], Topographie und Vegetation als Spiegel der Vergangenheit wiederzuentdecken" (1996: 168f.). Eine kreolische Identität herauszubilden, scheint heute ein Bedürfnis zu sein, zumal im Zuge des Aufbaus der Plantagengesellschaft eine gewaltsame Mischung verschiedener entwurzelter Kulturen stattfand.

7 Vgl. Weinrich 1997. 8 Begriff nach Elias 1994: 5f. 9 Vgl. Halbwachs 1959 und zur Deutung auch Raible 1988 und Ludwig 1999.

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So kann die Suche nach der kreolischen Geschichte als die Suche nach fundierenden Geschichten (im Plural) verstanden werden, mit Hilfe derer eine eigene, d.h. kreolische Identität entstehen könnte, indem die Zeit einem Raum zugeordnet, ja an einen Raum fest angeknüpft wird: "Et Mathieu voyait le Temps [!] désormais noué à la terre" (Glissant 1964: 279)10. Die historiographische 'Befreiung' der Geschichte aus dem Vergessen erweist sich möglicherweise als ein sehr schwieriges Unterfangen, wenn die Zeit unstrukturiert und wie ewig erscheint. Ein Zugriff auf die Zukunft oder die Vergangenheit ist verwehrt, solange die Zeit (wie es der auf St. Lucia geborene kreolische Nobelpreisträger Derek Walcott formuliert) gleich einem eternal moment of now empfunden wird. Interessanterweise wurde im europäischen Mittelalter ein auf den ersten Blick in das diskutierte Bildfeld passender Begriff als Ausdruck für Ewigkeit benützt: nunc stans ('stehendes Jetzt'). Doch handelt es sich in der kreolischen Kultur genaugenommen nicht um ein stillstehendes Jetzt, sondern um ein sehr bewegtes, ja wild hin- und herspringendes; darum soll es in der Folge gehen.

2. Zeit, die hin- und herspringt Im folgenden soll überlegt werden, welcher Zusammenhang zwischen dem kreolischen Dunkel der Erinnerung und der nur in gesprochener Sprache erfolgenden Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses besteht. Für Europa ist der 'Strom der Zeit' ein vertrautes Bild11. Wir denken an einen Fluß, der in irreversibler Richtung aus der Vergangenheit kommend durch den Sprechmoment hindurch in die Zukunft fließt12. Linear ist die

10 Vgl. den port d'âme im Kontrast zum Motiv des Herumirrens bei Schwarz-Bart

1972: 241-245. 11 Viele Zitate wären möglich; ich möchte hier aus einem wenig bekannten Gedicht aus

der russischen Literatur, datiert 6. Juli 1816, zitieren. Das Gedicht wurde von Deržavin verfaßt, dem "geistigen" Vater Alexandr Puškins: 'Der Fluß der Zeiten trägt in seinem Strome fort / all das, was den Menschen wichtig ist im Leben / und wirft in die Schlucht des Vergessens / [die] Völker, Zarenreiche und Zaren [...]'. ("Reka vremen v svoem stremlen'i / Unosit vse dela ljudej / I topit v propasti zabven'ja / Narody, carstva i carej [...]").

12 Der Fluß der Zeit ist somit auch für das menschliche Vergessen verantwortlich, wie es etwa eine bekannte Schlußformel mittelalterlicher Urkunden zeigt: "Die Dinge, die den Zeitgenossen sehr gut bekannt sind, sind zweifelhaft und dunkel für die kommenden Generationen durch den Fluß der Zeit" (MG Const. II, No. 84, 105). Es handelt sich hier um die Erklärung Friedrichs II. über das Königreich Sizilien vom

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Zeit auch im Bild des Fadens aufgefaßt; linear und zusätzlich gerichtet ist auch der sog. Zeitpfeil. Anders im oben zitierten Auszug aus dem Roman des Kreolen Chamoiseau: "[Die Zeit] geht nicht voran wie ein Faden ...". Wie aber ist Zeit ohne Linearität und Gerichtetheit (Chronologie) erlebbar? Im zitierten Roman wird von Zeit als einem Hund gesprochen, genauer einem durch die Kette unfreien Tier, das sich nur innerhalb eines begrenzten Raumes bewegen kann. Die Bewegung selbst, bleibt man im Bild, ist keine gleichmäßige oder gerichtete, eher eine ruckartige, ein Hin und Her in einem runden oder halbrunden Raum. Aus europäischer Perspektive ist dieser Vergleich vor allem deshalb besonders ungewöhnlich, weil ein Kettenhund gefangen ist, wild umherspringt und immer wieder zurückgerissen wird, während das uns wesentlich vertrautere Bild vom 'Fluß der Zeit' eher auf eine unaufhaltsame, ruhig fließende und gerichtete Bewegung deutet. Das karibische Reden von Zeit verweist nicht typischerweise auf eine gleichmäßig strömende, gerichtete Bewegung, sondern eher auf eine wirbelartige Bewegung (z.B. Glissant 1993: 74); um diesem Zeiterleben Ausdruck zu verleihen, zieht Chamoiseau den Vergleich mit dem springenden, aber angeketteten Hund heran. Es erscheint unangemessen, die Ereignisse der vergangenen Zeit in chronologischen Faktenketten wiederzugeben und die erinnerte Vergangenheit als 'Fakten' zu inventarisieren, zumal Geschichte nicht geschrieben, sondern erzählt wird. Der Prägung von Chronologien, Kausalitätsketten und Begriffen scheint sich gerade das gesprochene kreolische Wort, die kreolische parole, zu verweigern. Folgt man Glissant, so reihen sich diese paroles nicht linear im Fluß der Rede, sondern ordnen sich "wie ein Wirbelsturm"; und nur der Zugang zu diesem Wortwirbel ermöglicht eine Vorstellung von der geschichtlichen Dimension der frankokaribischen Kultur: "Vous tournez la parole non plus comme un fil mais comme un tourbillon [...] et là vraiment vous imaginez le monde alentour" (1993: 20). Da 'verlebendigende' Erzählkunst im kreolischen Kulturraum immer seltener anzutreffen ist, werden die Erzählungen der Alten mit

November 1220; in diesem Text, der sich in eine Urkundentradition einreiht (vgl. z.B. MG Const. II, Nr. 73, 86ff.), verzichtet Friedrich aus politischer Taktik auf den kaiserlichen (nicht königlichen) Anspruch auf Sizilien. Diese Formel erinnert an ein bekanntes Bild aus der Mythologie; ich meine den Unterweltfluß Lethe, der den Seelen der Verstorbenen Vergessen schenkt: "In diesem Bild und Bildfeld ist das Vergessen ganz in das flüssige Element des Wassers eingetaucht. Es liegt ein tiefer Sinn in der Symbolik dieses magischen Wassers. In seinem weichen Fließen lösen sich die harten Konturen der Wirklichkeits-Erinnerung auf und werden so liquidiert" (Weinrich 1997: 19; Hervorhebung im Original).

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sprachwissenschaftlichen oder literarischen Mitteln verschriftlicht. Doch diese Verschriftlichung, welche die Worte fixiert und zeitlich situiert, führt offensichtlich entgegen ihrer Intention zu einer mise à mort du passé. Vor dem Hintergrund dieser Gefahr fragt sich der Erzähler des bereits zitierten Romans Texaco, ob es eine Schrift gebe, die sich mit den gesprochenen Worten und den Momenten des Schweigens auskennt und die sich wie die gesprochene Rede die ganze Zeit im Kreise bewege (1992: 354). Die Frage bleibt bislang offen, eher scheint es so zu sein, daß die unterschiedlichen Zeitabschnitte im linear geprägten Medium der Schrift nicht mehr 'gleichzeitig existieren' können, sondern sich auf dem Zeitpfeil bestimmten chronologisch in Beziehung stehenden Punkten zuordnen. Wäre es also die Schriftlichkeit, die das Erleben der Zeit als linear progredierender Entität fördert (vgl. Ludwig 1999: 41)?

3. 'Zeitvergleich' Stephen Gould führt das europäische lineare Zeiterleben auf einen biblischen Ursprung zurück (1990: 27f.): "Der Zeitpfeil ist die Urmetapher der biblischen Geschichte. Gott hat einst die Erde erschaffen, er hat Noah befohlen, eine einmalige Sintflut in einer einzigen Arche zu überstehen, er übergibt Moses in einem bestimmten Augenblick die Gesetzestafeln, und er sendet seinen Sohn zur festgesetzten Zeit an einen besonderen Ort, auf daß er für uns am Kreuz sterbe und am dritten Tage wiederauferstehe. Viele Gelehrte sehen im Zeitpfeil den wichtigsten und charakteristischsten Beitrag des jüdischen Denkens; denn die meisten anderen Kultursysteme, die früheren wie die späteren, geben der Immanenz des Zeitkreises den Vorzug vor der Kette linear verlaufender Geschichte". Der althebräische Zeitpfeil ist nach Gould (30) wie folgt zu beschreiben: "Er kann gedacht sein als Kette von einmaligen Ereignissen zwischen dem Fixpunkt der Schöpfung und dem Fixpunkt des Weltendes, aber auch – ein viel jüngerer Gedanke – als inhärente Gerichtetheit der Zeit". Der Zeitpfeil steht für die Intelligibilität unterscheidbarer und unwiderrufbarer res gestae13. Gould

13 Für Elias ist auch der Zeitbegriff der Physik in diesem Zusammenhang zu sehen:

"Heute setzen Philosophen und vielleicht auch Physiker oft selbstverständlich voraus, daß 'die Zeit in eine Richtung fließt und daß der Ablauf der Zeit nicht umkehrbar ist' - obgleich Einsteins Theorie, auch wenn sie am Nacheinander der Zeit festhielt, deren einliniges Fortschreiten in Zweifel zog. Es ist kaum vorstellbar, daß Physiker auf ihrem Gebiet den Begriff eines fortlaufenden, irreversiblen Zeitflusses hätten entwickeln können ohne die langsame und mühevolle Herausbildung sozialer Zeitskalen, mit deren Hilfe man die nichtwiederkehrende, kontinuierliche Folge von Jahren, Jahrhunderten und Jahrtausenden exakt bestimmen konnte" (1994: 24f.;

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zitiert in diesem Zusammenhang Richard Morris, der die Vorstellung der Gerichtetheit der Zeit als für die abendländische Gesellschaft typisch kennzeichnet: "Wir [...] stellen uns die Zeit gewöhnlich als etwas vor, das sich in gerader Linie in die Vergangenheit und in die Zukunft hinein erstreckt [...]. Der lineare Zeitbegriff hatte tiefgreifende Wirkungen auf das abendländische Denken. Ohne ihn wäre es schwierig gewesen, den Gedanken des Fortschritts zu fassen oder von kosmischer oder biologischer Evolution zu sprechen". Doch auch die Bibel verwendet konkurrierend zum Zeitpfeil den Zeitkreis, vor allem im Buch Salomo (1,5-9):

Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, daß sie wieder daselbst aufgehe. Der Wind geht gen Mittag und kommt herum zur Mitternacht und wieder herum an den Ort, da er anfing. Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller; an den Ort, da sie her fließen, fließen sie wieder hin [...] Was ist's, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist's, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird [...].

Der Zeitkreis hat mit Kettenhund eine Art der Permanenz gemein, kann sich aber – anders als der Hund – auf wiederkehrende Zyklen isolierbarer Ereignisse beziehen. Die uns so selbstverständlich erscheinende Vorstellung vom Strom der Zeit, in dem "Dinge und Ereignisse auftauchen, mitschwimmen und untergehen, einander bedrängend, befördernd, verdrängend" (Schröder 1969), soviel ist deutlich geworden, hat für das kreolische Zeiterleben eine eher marginale Bedeutung. Doch wird das Konzept vom Zeitfluß auch in Europa selbst kritisch hinterfragt. Ansatzpunkt dieser Kritik ist die Feststellung, der leiblich verfaßte Mensch sei selbst sich entfaltende Zeitlichkeit: "Wieso eigentlich kann diese Konstruktion uns überhaupt je so einsichtig erscheinen? Einzig deshalb nämlich, weil der Lauf des Zeitstromes immer schon einen Beobachter zum Zeugen hatte, der freilich lange Zeit vom offiziellen Denken nicht zur Kenntnis genommen wurde. Allein diesem Beobachter aber ermöglicht sich die Feststellung, etwas sei vergangen, gegenwärtig oder zukünftig.

meine Hervorhebung). Zum Zeitpfeil in der Physik vgl. Steven Hawking 1997: 192: "Die Naturgesetze machen keinen Unterschied zwischen der Vorwärts- und der Rückwärtsrichtung der Zeit. Es gibt jedoch mindestens drei Zeitpfeile, die die Vergangenheit von der Zukunft unterscheiden: der thermodynamische Pfeil, die Zeitrichtung, in der die Unordnung zunimmt; der psychologische Pfeil, die Zeitrichtung, in der wir die Vergangenheit und nicht die Zukunft erinnern; und der kosmologische Pfeil, die Zeitrichtung, in der das Universum sich ausdehnt und nicht zusammenzieht."

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Vergangenes, Gegenwärtiges oder Zukünftiges [...] existiert [somit] je nur für ein Leibbewußtsein" (Barenberg 1980: 116)14. Es scheint Vorsicht mit der bisher vorgenommenen holzschnittartigen Zuordnung vom Reden über (vergangene) Zeit geboten, da auch in Europa von der Zeit nicht immer als Fluß oder Pfeil gesprochen wird. Es sind bei genauerem Hinsehen interessante Parallelen zur kreolischen Rede von der Zeit auszumachen. Die Erfahrung der Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem einzigen Bewußtseinsmoment wird zum Beispiel in einem Textausschnitt bei einem der Väter des französischen Nouveau Roman, Robbe-Grillet, dargestellt. In Le rendez-vous (1981: 67f.) heißt es von dem kleinen Jean: "Il se rappelle, avec une précision extraordinaire, ce qui n'est pas encore arrivé: ce qui lui arrivera demain, ou même ce qu'il fera l'année prochaine." So treffen sich im Gedächtnis des Jungen eine junge verstorbene Frau namens Djinn, die der Vergangenheit des Kindes angehört, und ein junger Mann, Simon, welchen der Junge eigentlich erst in der Zukunft kennenlernen wird, an den er sich aber bereits im Zustand des Komas erinnert.

14 Anders formuliert z.B. noch der englische Sprachwissenschaftler Iakob Harris sein

Verständnis von der Zeit; Harris geht dabei von einem vom Individuum zu lösenden Zeiterleben aus: "Zeit und Raum kommen darin überein, dass sie, ihrer Natur nach, beyde ununterbrochen zusammenhängen, und folglich ausgedehnt sind. So ist zwischen London und Salisbury eine Ausdehnung des Raums, und zwischen gestern und morgen eine Ausdehnung der Zeit, deren Unterschied bloss darin besteht, dass alle Theile des Raums auf einmal und zusammen, die Theile der Zeit hingegen nur nach einander, und in einer Folge existiren. Wir erhalten also einen Begriff von der Zeit, wenn wir sie uns als etwas nach und nach existierendes Stetiges denken" (1751; hier zitiert nach der Übersetzung von 1788: "Hermes oder philosophische Untersuchung über die allgemeine Grammatik", Kapitel "Von der Zeit und den Temporibus", Seite 82; meine Hervorhebung). Harris geht hier von der Schwierigkeit aus, Zeit zu fassen, da sie nicht mit einem Blick als Existierendes wahrgenommen werden kann. Beim Raum ist es nun möglich, durch Distanz zum Darzustellenden einen gewählten Abschnitt 'unter einen Blick' zu nehmen. Zeit aber entzieht sich diesem Verfahren scheinbar, da sie nur nach und nach existiert. Das einzig Zuverlässige scheint die 'Stetigkeit' zu sein. Genau hier setzt Harris nun an: Dank dieser Stetigkeit kann er annehmen, daß zwischen dem Moment des Aufgehens der Sonne an einem Montag und dem Augenblick des Sonnenaufgangs am Dienstag 'blosse Zeit' liegt, etwa ein natürlicher Tag. Das heißt, daß Harris hier mit aus der Raumbetrachtung entlehnten 'Abschnitten' arbeitet, um zu einem Begriff der Zeit zu kommen. Dieser Zeitbegriff beruht darauf, "dass wir zwey oder mehrere Augenblicke mit dem Zwischenraum von Stetigkeit, der sich zwischen ihnen befindet, unter Einen [sic] Blick zusammenfassen" (1788: 88-89).

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Ein gänzlich geändertes Zeiterleben wird auch von dem russischen Autor Dostoevskij in seinem Roman Idiot berichtet. Der Protagonist, ein junger Mann aus höchstem Adel, leidet an epileptischen Anfällen. An zentraler Stelle des Romans erinnert sich dieser Fürst Myškin an die lange Sekunde vor einem wenig zuvor geschehenen Anfall, die sog. Aura, und konstatiert: "In diesem Moment wird mir irgendwie das sonderbare Wort verständlich, daß hinfort keine Zeit mehr sein soll" (328)15. Nun ist das Situiertsein in der Zeit sicher eine Voraussetzung für das Situiertsein in der Logik, so daß erkenntnistheoretisch in der zeit-räumlichen Begrenzung auch die Begrenzung der Erkenntnis gefaßt werden kann. Wenn Myškin nun in dem Moment der Aura die von ihm einst gelesene Aussage verständlich wird, "daß hinfort keine Zeit mehr sein soll", so liegt gleichsam eine Loslösung von den Grenzen der zeitlichen Einbindung vor. Dieses Heraustreten aus der Zeit wird für den Protagonisten auch zum Heraustreten aus den Grenzen der gewohnten menschlichen Wahrnehmung: "Das Gefühl des Lebens und des eigenen Bewußtseins verzehnfachte sich beinahe in solchen Augenblicken, die wie Blitze waren" (1869: 326). Mit anderen Worten: Wenn für den Fürsten während der Aura ein Zustand eintritt, in welchem "keine Zeit mehr" ist, so wird dies nicht nur als Heraustreten aus der Zeit oder aus den Grenzen der menschlichen Wahrnehmung empfunden, sondern auch als Überwindung der Grenzen der menschlichen Erkenntnis: Der epileptische Myškin erreicht in der Aura Weisheit und 'letzten Grund', d.h. das Gefühl prophetischen Sehens: "Den Kopf, das Herz erhellte ein unvorstellbares Licht; alle Erregungen, alle seine Zweifel, alle Unruhe lösten sich gleichsam in einem Frieden, waren aufgehoben in einer höchsten Ruhe voll klarer, harmonischer Freude und Hoffnung, voller Weisheit und letztem Grund. Aber diese Augenblicke, dieses Aufscheinen, waren erst die Vorahnung jener letzten Sekunde (nie länger als eine Sekunde), mit der der eigentliche Anfall begann" (1869: 32616). Und diese 'volle Weisheit' ist im Sinne eines prophetischen 'Sehens' – wenn auch nur für die Dauer einer einzigen Sekunde – gemeint:

15 In der Tat berichtet Dr. Blankenhorn vom Epilepsiezentrum Kehl-Kork, daß ein

spezifischer Zug der Epilepsie der Verlust der zeit-räumlichen Orientierung vor, nach und während des eigentlichen Anfalls ist. An den Anfall selbst kann sich der Epileptiker später in der Regel nicht entsinnen, Vorboten (Prodromi) des Anfalls und der unmittelbare Beginn (Aura) werden jedoch vom Kranken wahrgenommen und auch erinnert. Die Zeit des Anfalls selbst fehlt jedoch in der Erinnerung; oft wird beschrieben, daß die Zeugen des Anfalls 'etwas ganz anderes tun als eben noch'.

16 "Um, serdce ozarjalis' neobyknovennym svetom; vse volnenija, vse somnenija ego, vse bespokojstva kak by umiretvorjalis' razom, razrešalis' v kakoe-to vysšee spokojstvie, polnoe jasnoj, garmoničnoj radosti i nadeždy, polnoe razuma i

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Es ist jene Sekunde, die nicht lang genug war, damit der Wasserkrug des Epileptikers Mahomet auslief, jedoch lang genug, um in der Sekunde sämtliche Wohnungen Allahs in Augenschein zu nehmen17..

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisdimension des Fürsten wird auch die folgende von der Forschung meist als 'enigmatisch' eingestufte Aussage des Fürsten verständlich. Als Myškin sich am ersten Abend in Petersburg mit einem Heiratsantrag an Nastasja Filipovna wendet, die er nur wenige Stunden zuvor kennengelernt hat, sagt er: "Ich habe heute vormittag Ihr Portrait gesehen und glaubte, ein mir vertrautes Gesicht wiederzuerkennen. Und ich hatte sogleich das Gefühl, als hätten Sie mich schon gerufen" (245). Der Fürst kann Menschen 'wieder-erkennen', die er noch nie gesehen hat, weil er sie in einem der Momente der entgrenzten, nicht an die Zeitachse gebundenen Erkenntnis doch bereits gesehen hat. In einer Umkehrung der vertrauten Erkenntnisweise wird es – zusammenfassend gesagt – möglich zu erinnern, was sein wird, und vorherzusehen, was passiert ist. Dies erinnert an den kreolischen Ansatz 'vorherzusehen, was geschah'; nur daß es hier 'geschieht' und nicht als bewußte Handlung eingefordert wird. Es handelt sich zudem eher um Ausnahmeerscheinungen und Grenzfälle. Wir treffen eine ähnliche Darstellung wie im kreolischen Kulturraum somit auch in Europa an, sie ist aber hier die Ausnahme18; sie ist nicht als Anspruch für kollektive Erinnerungstätigkeit des Geschichte-Schreibenden zu verstehen.

okončatel'noj pričiny. No eti momenty, eti probleski byli ego tol'ko predčuvstviem toj okončatel'noj sekundy (nikogda ne bolee sekundy), s kotoroj načinalsja samyj pripadok" (188).

17 Dostoevskij 1869/ 1996: 328: "Eto ta že samaja sekunda, v kotoruju ne uspel prolit'sja oprokinuvšijsja kuvšin s vodoj epileptika Magometa, uspevšego, odnako, v tu samuju sekundu obozret' vse žilija Allaxovy" (189). Myškin ist allerdings bewußt, daß diese Glückserfahrung durch die Krankheit bedingt ist. Diese Form der mystischen Glückserfahrung wird im Epilepsiezentrum in Kork äußerst selten beobachtet, die Verbindung mit dem Eindruck höherer, ja höchster Erkenntnis ist gar gänzlich unbeschrieben. Gleichwohl hält Dr. Blankenhorn (persönliche Mitteilung) diese Form der Wahrnehmung besonderer Erkenntnis medizinisch für durchaus plausibel, da – sehr vereinfacht gesprochen – die kurzfristige Vernetzung der unterschiedlichsten Gehirnfunktionen durchaus z.B. Synästhesien hervorrufen kann, d.h. eine andere Form der Wahrnehmung, also möglicherweise auch eine andere Art der Erkenntnis.

18 Diese Sichtweise auf die Zeit ist bei Dostoevskij zwar an eine Krankheit gebunden, aber an eine besondere Krankheit, die als göttlich und dämonisch zugleich empfunden wird. Die Klassifizierung der Visionen im Sinne einer Krankheit ist allerdings zeit- und kulturgebunden. In diesem Zusammenhang sei auf ein ähnliches Beispiel aus der italienischen Literatur verwiesen. Auch in Elsa Morantes Roman La Storia wird geschildert, wie es nach einem epileptischen Anfall der Protagonistin zur

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Eine andere Zeit? Es sollten in diesem Prolog mögliche Anhaltspunkte dafür gesucht werden, wie in der 'eigenen' und der 'fremden' Kultur19 von Zeit gesprochen und geschrieben wird. Dies scheint um so wichtiger, als die kreolische Sprache im Spannungsfeld zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit analysiert wird, so daß es naheliegt, auf kulturelle Entwicklungen einzugehen20. Somit ging es ganz wörtlich um einen Zeitvergleich, ganz so, wie ihn Bankräuber typischerweise vor einem Coup vornehmen, indem sie prüfen, ob ihre Armbanduhren dieselbe Zeit anzeigen. Allerdings scheint ein solcher Zeitvergleich – anders als der Uhrenvergleich bei der Vorbereitung für einen Bankraub – nur bedingt durchführbar; kulturell gebundenes 'Sprechen' ist im Vergleich zu Armbanduhren ungleich schwerer 'auf Null' zu stellen bzw. auf einen gemeinsamen oder neutralen Ausgangspunkt zu justieren. Für das Ungewohnte der Vorgehensweise (d.h. Prolog und Epilog) möchte ich mit den Worten des Sprachwissenschaftlers und Theologen Johann Severin Vater (1808: VIII) um Nachsicht bitten: "Tadle mich Niemand blos deshalb, weil ich hier und da einen neuen Weg gieng; ich that es in der redlichsten Absicht, zu nützen".

Verschiebung des gewohnten Zeiterlebens kommen kann: "Wie immer nach ihren Anfällen blieb beim Erwachen nur der Schatten einer Erinnerung zurück, die Erinnerung an einen chaotischen Überfall, der nur wenige Augenblicke gedauert hatte. [...] auch die ganze vorangegangene Zeit, nicht nur die angstvolle Stunde, die dem Anfall vorausgegangen war, sondern die ganze Vergangenheit, stellte sich in ihrer Erinnerung wie etwas Zukünftiges dar und auf verwirrende Weise etwas ungeheuer Entferntes" (zitiert nach Engelhardt 1996: 11). Doch nicht nur die grundlegende Situierung der Ereignisse in dem 'Fluß der Zeit' oder auf dem 'Zeitpfeil' (vor-, gleich- oder nachzeitig zum ego-hic-nunc) scheint aufgehoben, auch Länge und Kürze der Zeit fallen zusammen: "Sie hatte sich vom überfüllten, lärmenden Ufer ihres Gedächtnisses in einem Boot entfernt und war in dieser Zwischenzeit rund um die Erde gefahren" (hier zitiert nach Engelhardt 1996: 11; meine Hervorhebung). Der extrem kurze Anfall wird als äußerst lang erlebt.

19 Siehe Ludwig 1996, 1997, 1999, Burac 1994, Rieger 1994, Castor/ Othily 1994. 20 Vgl. z.B. Raible 1995, Ludwig 1997, Jean-Louis 1987, Rattier 1990, M.-C. Hazaël-

Massieux 1993.

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I. Thema und Ziele Der Begriff Frankokreol bezeichnet eine Gruppe von Kreolsprachen, die in der Kolonialzeit im mehrsprachigen Spannungsfeld französischer, westafrikanischer und indigener Sprachen entstanden sind und heute im Indischen Ozean (Seychellen, Mauritius, Rodrigues, Réunion) und in der Karibik (Louisiana, Haiti, Saint-Barthélémy, Guadeloupe, Dominica, Martinique, St. Lucia, Französisch-Guayana) gesprochen werden. Kreolsprachen sind also vergleichsweise junge Sprachen, die vor etwa dreihundert Jahren aus dem Verständigungsbedürfnis hervorgingen, das zwischen europäischen Kolonisten, afrikanischen Sklaven und – gegebenenfalls – der indigenen Bevölkerung einiger Kolonialgebiete bestand. Im Unterschied zu den Pidginsprachen dienen Kreolsprachen nicht in spezifischen Sprechsituationen (Handel, Befehle u.ä.) dem rudimentären Austausch, sondern sind vollständige Systeme, die zur ersten Sprache einer Gemeinschaft geworden sind. Aspekt21 und Tempus gelten als zentrales Thema in der Kreolsprachenforschung22, nicht zuletzt deshalb, weil beide Kategorien in vielen Kreolsprachen offenbar untereinander auffallend ähnlich, zu den jeweiligen Kolonialsprachen (Französisch, Spanisch, Portugiesisch,

21 Zum Begriff vgl. z.B. Maslov 1985: 1: "The French term 'aspect', now used

internationally, dates back to the first half of the 19th century. It was first used by C. P. Reiff [...] to translate the Russian term vid used by Grech to indicate firstly the perfective and imperfective aspects and secondly some of those features of the Russian verb which are now called 'modes of action' (sposoby dejstvija - Aktionsarten). Much later, after the appearance of Agrell's book (1908) the term 'aspect' meaning vid as opposed to 'modes of action' gradually became internationally accepted. From the 1930s 'aspectology' came into use to describe the study as a field of scholarship".

22 Siehe z.B. Holm: "The verb phrase has been of central importance in creole studies. While it is true that no particular set of syntactic features will identify a language as a creole without reference to its sociolinguistic history, it is also true that the structure of the verb phrase has been of primary importance in distinguishing creole varieties from non-creole varieties of the same lexical base" (1995: 168). Die Forschungskontroverse über Tempus und Aspekt im Kreol hängt zudem mit der Annahme zusammen, daß in diesem Bereich der Grammatik, in welchem besonders große Unterschiede zu den jeweiligen Kolonialsprachen ins Auge fallen, wertvolle Hinweise auf die Genese der Kreolsprachen gefunden werden könnten. Vgl. die Arbeiten von Damoiseau 1994a, Schlupp 1997, Arends et al. 1995, Ludwig 1996, Matthews 1993, Michaelis 1993, Mufwene 1984.

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Englisch oder Niederländisch) hingegen sehr unterschiedlich erscheinen23: "In the Caribbean, the non-creoles have their European system of tense marking (e.g. auxiliary verbs and verbal inflections) more or less intact, whereas the creoles have a radically different way of dealing with tense and aspect" (Holm 1995: 168). Aus diesem Grund werden die Aspekt- und Tempussysteme recht einhellig als "one of the most strikingly consistent properties of creole grammars" gewertet (Matthews 1993: 233)24. Gleichwohl klaffen im Bereich der Aufarbeitung der Funktionen von Aspekt und Tempus in den Frankokreols noch entscheidende Lücken, von denen ich zwei in der Forschung als wesentlich konstatierte nennen möchte:

• Obgleich das Regenwaldgebiet Französisch-Guayanas die größte territoriale Ausdehnung innerhalb der frankokreolischen Gebiete aufweist25, fehlen bisher eine Beschreibung des Aspekt-/ Tempussystems ebenso wie ein Korpus des hier gesprochenen Kreols.

• Es liegt meines Wissens keine jüngere vergleichende Studie der Frankokreolsprachen im Bereich Aspekt/ Tempus vor, welche die in den vergangenen zehn Jahren entstandenen Korpora dieser Sprachen auswertet26.

Als Grund für das Fehlen von Beschreibungen des Guayanakreols werden zumeist die besonders eingeschränkten Reisemöglichkeiten (die meisten Siedlungen sind nur per Hubschrauber, Postflugzeug und Kanu zugänglich) und die in den isolierten Waldgebieten 'unzureichende' Infrastruktur angegeben (Schlupp 1993). In bezug auf den ausstehenden

23 Die Bezeichnung der (ehemaligen) Kolonialsprachen als lexifier-Sprachen verweist

auf die Beobachtung, daß im Bereich der Lexik z.B. der verschiedenen französischen Kreolsprachen die Herkunft der meisten Elemente aus französischen Varietäten des 17. und 18. Jahrhunderts herzuleiten ist; entsprechendes gilt auch für die spanischen und portugiesischen Kreolsprachen (vgl. z.B. Stein 1984, Arends et al. 1995).

24 Vgl. McWorther 1998. 25 Guayana ist etwa so groß wie Ungarn. Es liegen überhaupt nur zwei

sprachwissenschaftliche Monographien zu Guayana vor, von denen keine auf die grammatischen Zeiten spezialisiert ist. Beide grammatischen Arbeiten beziehen sich ausschließlich auf das Kreol des schmalen Küstenstreifens Guayanas, das von einem starken Kontakt mit dem Französischen und dem Martiniquekreol geprägt ist. Zudem stützen sich weder Fauquenoy 1972 noch Schlupp 1997 auf ein Korpus gesprochener Sprache, sondern auf Übersetzungsfragebögen und transkribierte Märchen. Dies greift jedoch m.E. zu kurz, vgl. III.2. zu 'Textsorten'.

26 Ältere Skizzen bei Goodman 1964, Boretzky 1983, Holm 1989 und für die Karibik sehr wesentlich: G. Hazaël-Massieux 1992. Seitdem sind neue Korpora enstanden, vgl. die Zusammenstellungen in Ludwig 1997 und M.-C. Hazaël-Massieux 1996.

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Vergleich grammatischer Zeiten in den Frankokreolsprachen wird hingegen auf methodische Schwierigkeiten verwiesen. Zum einen sei die Beschreibung der Kategorie Aspekt bisweilen von temporalen Übersetzungen in die vertraute Sprache (z.B. Französisch) geprägt und daher nicht präzise. Zum anderen würden bestehende Tempus-/ Aspektbeschreibungen von einem Teil der native speakers nicht akzeptiert; dies wurde etwa als Indiz für eine bedeutsame Variabilität von Aspekt und Tempus in Abhängigkeit von der jeweiligen high variety (also etwa des Französischen) gedeutet27. Aus diesen Überlegungen ergeben sich drei grundlegende Fragestellungen für die vorliegende Arbeit.

1. Wie ist das Aspekt-/ Tempussystem des Kreols strukturiert, welches in den isolierten Regenwald- und Savannengebieten Französisch-Guayanas gesprochen wird?

Während eines Forschungsaufenthaltes 1995 habe ich in den Küstenbereichen, vor allem aber in mehreren isolierten Gebieten im Savannen- und Regenwaldgebiet Französisch-Guayanas sowie in Martinique ein neues Korpus gesprochener Sprache erstellt28. Dieser Arbeit liegen nun für Guayana und Martinique insgesamt 81 Aufnahmen mit einer durchschnittlichen Länge von etwa 60 Minuten zugrunde, an denen je zwei bis drei Sprecher beteiligt sind. Ein Vergleich zwischen mündlichen und schriftlichen Dokumenten ist u.a. möglich durch Untersuchung der ersten in kreolischer Sprache verfaßten und jüngst in Martinique abgeschlossenen wissenschaftlichen Arbeit zur gesellschaftlichen und mythisch-religiösen Rolle der kreolischen Geburtshelferinnen, die einen hohen Grad an Planung aufweist, also nah am Pol der konzeptionellen Schriftlichkeit anzusiedeln ist29. In der Beschreibung der Semantik der Aspekte und Tempora wird auf Ansätze der Prototypensemantik rekurriert, da die vorliegende Analyse sich auf die gesprochene Sprache konzentriert, von der zu erwarten ist, daß aufgrund von Polysemie bzw. Merkmallosigkeit (vgl. Kap. IV.4.) eine 27 Diese Problematik scheint einer der Gründe für die Kontroverse zwischen Günther

1981, Boretzky 1983 und Maurer 1998 zum Príncipekreol zu sein. 28 Bei der Auswahl war ich um möglichst spontane Sprache bemüht, wie z.B. in

Situationen, in welchen Kreolsprecher nur untereinander sprechen, Emotionen Ausdruck verleihen u.ä., siehe Kapitel II.1.

29 Vgl. zu den Begriffen konzeptionelle/ mediale Mündlichkeit/ Schriftlichkeit z.B. Ludwig 1986 und 1996, Raible 1987 und 1998, Koch/ Oesterreicher 1985.

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hohe Anzahl an peripheren oder metaphorischen Funktionen festzustellen ist30.

2. In welcher Relation steht dieses Kreol zu anderen Frankokreolsprachen im Bereich Aspekt/ Tempus?

Das Kreolische Französisch-Guayanas ist häufig mit den Sprachen Martiniques und Guadeloupes verglichen und in Arbeiten über diese beiden recht gut erforschten Kreolsprachen 'am Rande' mitbehandelt worden (z.B. Bernabé 1983). Es besitzt jedoch Charakteristika, die es deutlich von diesen Sprachen unterscheiden, wie Guy Hazaël-Massieux bereits 1990 angedeutet hat. Diese Unterschiede liegen im Bereich Aspekt und Tempus jedoch weniger auf der formalen als vielmehr auf der funktionalen Ebene. Die gemeinsamen Aspekt- und Tempusmarker weisen unterschiedliche Bedeutungsschattierungen auf, deren Abgrenzung – etwa bei Präsens/ imperfektiver Aspekt – bisher aussteht. Dies hat auch damit zu tun, daß im Guayana- und Martiniquekreol (wie auch in vielen anderen Sprachen) Aspekt und Tempus so eng interagieren, daß man von einem einzigen Aspekt-Tempus-System oder wenigstens hybriden Aspekt-Tempus-Formen auszugehen geneigt ist. Dennoch können Sprachen danach unterteilt werden, ob sie fast ausschließlich, auch oder gar nicht aspektuelle oder temporale Funktionen grammatikalisiert haben (vgl. Raible 1990a). Die Unterscheidung wird in jedem Fall an der inhaltlichen Ebene festgemacht. Beide inhaltlichen Funktionen, Aspekt und Tempus, sind mit einer generellen Idee von Zeit verknüpft, wenngleich nicht in identischer Art und Weise31. Tempus drückt die Lokalisierung einer Handlung32 in der Zeit aus. Diese Verortung wird verstanden im Sinne eines deiktischen Zeigens vom hic-et-nunc des Sprechers. Eine Verbalhandlung kann z.B. als vorzeitig 'ich spielte' oder nachzeitig 'ich werde spielen' – bezogen auf das hier-und-jetzt des Sprechers oder Schreibers – dargestellt werden33. Im Gegensatz zu 30 Vgl. Kap. III.3., Ludwig 1992, 1996, Winford 1996, Schrott 1997, Granda 1995,

Hilty 1965. 31 Vgl. zum Verhältnis von Tempus/ Aspekt und Zeit z.B. Bull 1960, Kuhn 1988,

Lehmann 1992, Vendler 1957 sowie den Epilog der vorliegenden Arbeit. 32 Der Begriff 'Handlung' bezieht sich hier und im folgenden auf das VERBALGESCHEHEN

im weitesten Sinne, unabhängig von Statik, Dynamik, Telik etc. Vgl. zu diesen Unterscheidungen Kap. V.2.5.

33 In diesem Sinne wird im folgenden auch das Futur primär als Tempus verstanden, ohne die in vielen Sprachen bzw. in einer Sprache in verschiedenen diachronen Stadien häufig auftretenden modalen Werte zu übersehen.

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Tempusbedeutungen haben aspektuelle Bedeutungen keine deiktische, lokalisierende Funktion. Der Zeitbezug wird bei Aspekt anders hergestellt: Im Frankokreol sind z.B. die Hauptfunktionen des imperfektiven Aspektes die Prozessualität, die Habitualität und die allgemeine Faktizität. In Anlehnung an Jurij Maslovs sprachvergleichende Studie soll Aspekt definiert werden als Einschätzung oder qualitative Darstellung einer Verbalhandlung durch den Sprecher, bezogen auf den Verlauf der Handlung in der Zeit, aber ohne Bezug zum hier und jetzt des Sprechers (1985: 4)34. Diese Definition ist sehr abstrakt und muß vorläufig so sein, um den sehr vielfältigen Funktionen der aspektuellen Opposition gerecht zu werden.

Aspekt und Tempus werden in der vorliegenden Untersuchung als 'grammatische Zeiten' zusammengefaßt, da sie als grammatische Ausdrucksmittel der Situierung (Tempus) oder der qualitativen Darstellung (Aspekt) von Handlungen in der Zeit verstanden werden35. Aspekt ist in allen Kreolsprachen grammatikalisiert; in vielen Kreolsprachen ist Aspekt die gegenüber Tempus dominante Kategorie36. Da die Forschungsdiskussion um Aspekt im Kreolischen relativ jung ist, sollen die theoretischen Überlegungen dieser Arbeit außer aus der romanistischen und allgemeinen Sprachwissenschaft auch aus der weit fortgeschrittenen wissenschaftlichen Aspekt-Kontroverse der slavistischen Forschung ergänzt werden. Anders als in den romanischen Sprachen ist die Kategorie in den slavischen Sprachen eine weit verbreitete und für die einzelnen Systeme zentrale grammatische Kategorie: "The existence of aspect as a grammatical category is most unequivocal in the Slavonic languages, and Slavonic aspectology, dating as far back as the seventeenth century, is probably the most developed field at the present day" (Maslov

34 Vgl. Kap. IV.3. zur Deixis. Die große Menge der Bedeutungsnuancen einerseits

(siehe Kap. VIII) und andererseits die Schwierigkeit, eine Kategorie zu fassen, wenn diese in der jeweiligen Erstsprache des Analysierenden nur marginal verfügbar ist (z.B. für das Deutsche nur in der Phrase 'am Tun sein' in (regionalen) Varietäten der gesprochenen Sprache), können die sehr unterschiedlichen Definitionen in der Forschungsliteratur vielleicht verständlich machen. Für die Definition, die für die vorliegende Untersuchung vorgeschlagen wird (vgl. Kapitel IV.4.), soll kein Anspruch universaler Gültigkeit erhoben werden, sie soll die Funktionen der Aspektmarkierungen im Kreol beschreiben können, wobei der Schwerpunkt auf dem Kreolischen Französisch-Guayanas liegt.

35 Vgl. z.B. Włodarczyk 1997, Schrott 1997, Smith 1991: XVI: "Aspect is the domain of the temporal organization of situations"; siehe auch Maslov 1985, Comrie 1976.

36 Siehe beispielsweise Arends et al. 1995, Bickerton 1981, Goodman 1964, Matthews 1993, Ludwig 1996, Singler 1990 und Stein 1984.

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1985: 1). Wenn von dieser Forschungsdiskussion profitiert werden soll, so auch deshalb, weil im Übersetzungsvergleich auffallende Übereinstimmungen zwischen dem Russischen und dem Kreol festzustellen sind37.

Ein älteres kreolisches Dokument wird im Rahmen der Arbeit erstmals in bezug auf Aspekt und Tempus untersucht. Es handelt sich bei dem Text um die Entdeckung eines Historikers, die 1994 für Aufsehen sorgte. Der Wissenschaftler hatte zufällig die Handschrift eines Evangeliumstextes in Kreol entdeckt, überschrieben mit Passion selon St-Jean en langage Nègre. Dieses Dokument gilt als einer der ältesten zusammenhängenden Texte des Frankokreolischen und wird nach den jüngsten Untersuchungen Mitte des 18. Jahrhunderts datiert38. Ort und Sprache der Abfassung sind bisher unbekannt; es handelt sich wohl entweder um ein Protokreol, das von einer frühen koinè zeugen könnte (Fattier 1996) oder um ein hybrides Dokument, das für die Evangelisation zwischen den frankokaribischen Kolonien zirkulierte und zu diesem Zweck mit Elementen verschiedener Frankokreols angereichert wurde. Die Analyse dieses kürzlich edierten Textes ergibt interessante Parallelen mit dem Kreol, das heute in den isolierten Gebieten Guayanas gesprochen wird. Vor diesem Hintergrund soll eine dritte Grundfrage der vorliegenden Untersuchung wie folgt lauten:

3. Kann das Kreolische Französisch-Guayanas als Zeuge älterer kreolischer Sprachstufen gedeutet werden?

G. Hazaël-Massieux untersucht in einem Beitrag von 1990 ausgewählte linguistische Phänomene im gesamten karibischen Raum von Guayana bis Louisiana, um sie im Sinne der Überlegungen Matteo Bartolis (1945) als These wie folgt zu formulieren: "Une fois posées comme aires centrales les aires insulaires, d'abord de Martinique et de Guadeloupe et à un moindre degré de Saint-Domingue, on peut considérer que la Louisiane et la Guyane constituent des aires latérales, comme dans la Romania, l'Ibérie et

37 Es sollen allerdings nicht russische Kategorien auf das Kreol projiziert werden;

vielmehr wird ein außereinzelsprachliches Analyseraster erstellt, das durch steten Abgleich von onomasiologischer und semasiologischer Perspektive kontrolliert und ggf. modifiziert wird, siehe Kap. III.1.

38 Fattier 1996; Prudent 1998 (Kongreßbeitrag Regensburg 1998) datiert auf 1750; Marie-Christine Hazaël-Massieux auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts (vgl. Cybercours auf der Homepage des Institut d'Études Créoles in Aix-en-Provence, http://www.superdoc.com/aidel/iecf/Cours/index.htm).

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la Dacie, ce qui laisse attendre des témoignages de traits plus anciens que dans l'aire centrale"39. Mit anderen Worten: Für die romanischen Sprachen wird angenommen, daß die 'Randzonen' (Iberische Halbinsel, Rumänien) ältere Entwicklungsstufen innerhalb der Romania abbilden. Überträgt man die Annahme, daß eine Randzone einen konservativeren Sprachstand spiegelt, auf die atlantischen Kreolsprachen, so können im Sinne einer Arbeitshypothese die Sprachen Französisch-Guayanas und Louisianas als Zeugen älterer Entwicklungsstufen der Kreolsprachen im karibischen Raum gelten. Da das hier gesprochene Kreol im Vergleich zu anderen Kreolsprachen (aber auch zu den Küstendialekten Guayanas) als konservativ gelten kann, ist das oben erwähnte Vergleichskorpus in Martinique erstellt worden, da das Martiniquekreol im Rahmen der Arealtheorie als besonders progressiv eingestuft wird.

39 1990: 97; meine Hervorhebung; vgl. auch G. Hazaël-Massieux 1996. Hier wird nur

eine der Bartolischen Arealnormen referiert, vgl. zur Kritik Kap. VI.1.

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II. Korpus

"Früher waren wir alle nackt, die Frauen, die Kinder, die Hunde, die Hühner: alle nackt, selbst der Bürgermeister ..." (Informant, Roura/ Guayana)

Die vorliegende Untersuchung wird sich vor allem auf Tonaufnahmen gesprochener Sprache stützen. Während der Vorbereitungsphase hatte ich während verschiedener Bibliotheksrecherchen in Aix-en-Provence Personen kennengelernt, die Kontakte zu je einer kreolophonen Familie in Französisch-Guayana und Martinique herstellten. Beide Familien, bei denen ich während der Forschungsarbeit in der Karibik wohnen durfte, halfen mir vor Ort bei der 'Orientierung', bei praktischen Fragen und bei der Suche nach Informanten. Das Kreolische kann sowohl auf Martinique als auch in Französisch-Guayana in Abgrenzung zur offiziellen Sprache Französisch als 'Sprache der Nähe und des Vertrauens' gelten. Daher war die Einbindung in einheimische Gastfamilien von unschätzbarem Wert: Die Tatsache, daß ein Student aus Deutschland das Kreolische in einigen Wochen lernen und gar noch Aufnahmen machen will, führte nicht selten zu Verwirrung und Mißtrauen, die es zu überwinden galt40. Als weiteres Vergleichsmaterial konnte ich bisher unveröffentlichte Korpora und Analysen Thomas Klinglers zu einer jüngst von ihm entdeckten kreolophonen Gemeinde in Pointe Coupée/ Louisiana in die Untersuchung einbeziehen; seine Arbeit ist in der Untersuchungsperspektive deshalb sehr interessant, weil sie das Kreolische einer ebenfalls als konservativ geltenden Varietät beschreibt41. Ferner stehen eigene Aufnahmen des Kreolischen von St. Lucia und kürzlich veröffentlichtes Material zu St-Barthélémy (Calvet/ Chaudenson 1998) für

40 Für Vertrauensaufbau ist Ehrlichkeit m.E. unabdingbar. So habe ich nur eine einzige

heimliche (nachträglich autorisierte) Aufnahme mit gleichaltrigen Studenten durchgeführt. Bei offenen Aufnahmen gilt für mein Korpus, daß die Sprache dann am wenigsten der Selbstkontrolle unterliegt, wenn die Informanten 'schaudern', 'schimpfen' oder 'speisen'. Vgl. Ralph Ludwig 1997: 5ff. und John Lipski (persönliche Mitteilung), die versteckte Aufnahmen ablehnen.

41 Klingler 1992. Diese Arbeit ist insofern eine wichtige Ergänzung zu der Grammatik des Louisianakreols von Neumann 1985, als sie ebenfalls nicht nur eine mit Bartoli laterale Kreolsprache untersucht, sondern zusätzlich die Varietät eines Isolates innerhalb der Randlage.

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die Analyse zur Verfügung42. Der Untersuchung liegen somit in erster Linie mündliche Texte zugrunde; transkribierte Korpora liegen für das Französische43 und einige französische Kreolsprachen vor, fehlen aber für die Kreolsprachen von Martinique und Französisch-Guayana44. Es liegen auch kaum schriftliche Dokumente für Französisch-Guayana vor. Als Ausnahme kann der erste 'Roman' in kreolischer Sprache gelten, der 1885 unter dem Titel Atipa erschienen ist. Mit diesem Roman, dessen Autorschaft bis heute umstritten ist, wurde die Literatur der Karibik erstmalig nicht bloß linguistisch, sondern auch als Dokument für Kulturkontakt "wahr- und ernstgenommen"45. Für Martinique wird erstmalig eine konzeptionell nah am Pol der Schriftlichkeit anzusiedelnde Arbeit in die Analyse einbezogen; es handelt sich um eine im Umfeld des G.E.R.E.C. (Groupe d'Études et de Recherches en Espace Créolophone) bei Jean Bernabé und Juliette Smeralda-Amon entstandene 'Magisterarbeit' mit dem Titel "Akouchèz nan

42 Die drei letztgenannten Gebiete sind im Sinne der von Bartoli entwickelten

'Raumnormen' interessante Gebiete, weil in ihnen die zwei wichtigsten Normen kollidieren, da sie im Zentrum (also progressiv?) liegende Isolate (also konservativ?) sind. Obgleich für Martinique die vergleichsweise umfangreichste Grammatikbeschreibung vorliegt (Bernabé 1983, 1987), ist mein Korpus kurioserweise auch hier das erste, da Bernabé kein Korpus vorgelegt hat und sich überwiegend auf Sprecherbefragungen stützt (persönliche Mitteilung). Bei den Frankokreolsprachen des Indischen Ozeans stütze ich mich auf die gründlichen Vorarbeiten von Bollée, Chaudenson, Kriegel und Michaelis u.a. Es werden vor allem die Sprachen der Seychellen sowie des Isolates Rodrigues in die vergleichende Untersuchung einbezogen, da mir für diese Kreolsprachen Korpora vorliegen (Bollée, Michaelis, Chaudenson, Pfänder). Zu den Aspekt-/ Tempus-Systemen von Mauritius und Réunion entsteht derzeit eine Dissertation bei R. Chaudenson (Leila Capron), zu Réunion liegen Aufnahmen bei Prof. Dr. A. Bollée vor. Für die Karibik wird ebenfalls bei Chaudenson eine vergleichende Promotion von Kate Howe zum Tempus-Modus-Aspekt-System Papiamento vs. Haïtien geschrieben werden. Ich werde auf Haiti nur wenig eingehen, da die vorhandenen Daten sehr umstritten sind und Dominique Fattier, die kürzlich einen sehr umfangreichen Sprachatlas Haitis fertiggestellt hat, mir mitteilte, daß die Variation auf der Insel im Bereich auch der Aspekt-/ Tempus-Marker bedeutend sei.

43 Vgl. die Übersicht in Ludwig 1997. 44 Allerdings ist auch das immense Réunion-Korpus Chaudensons nicht zugänglich,

vgl. M.-C. Hazaël-Massieux 1996. 45 Thomas Bremer in einem Vortrag der Halleschen Ringvorlesung im Wintersemester

1997/ 98, in einer Rezension von Hugo Schuchardt. Bremer 1997 sieht in dem Roman ein erstes Dokument der "(karibischen) Kultur der kolonialen Objekte, die sich in den letzten Jahren zunehmend als Subjekte konstituiert haben und ihre eigenen, auch regionalen Identitäten nunmehr aktiv, nicht offensiv vertreten".

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sid Matnik (Lavyè-Pilòt) ek dinamik kiltirèl. Rityèl lantou lanésans an ti manmay"46 – die erste im Raum Antilles-Guyane in kreolischer Sprache verfaßte wissenschaftliche Arbeit. Ebenfalls zum ersten Mal zumindest in die Analyse grammatischer Zeiten wird der wohl älteste erhaltene schriftliche Text des antillanischen Kreols integriert. Es handelt sich um ein 1994 veröffentlichtes Manuskript einer Evangeliensynopse von anonymer Hand, das nach der Analyse von Dominique Fattier (1996) zum Zwecke der Evangelisation in mehreren kreolophonen Gebieten von Haiti über Martinique und Guadeloupe bis nach Französisch-Guayana kursierte. Fattier wertet es daher als eine Art "scripta, c'est à dire à mi-chemin entre un idiolecte régional et une koinè idéale, une scripta plus ou moins dialectalisée, trace d'une époque où les créoles de la Caraïbe étaient moins différenciés qu'ils ne le sont aujourd'hui, tant au plan interne que dans la perception des locuteurs" (Fattier 1996: 10). Der Text ist nach Papieranalyse und soziohistorischen Erkenntnissen übereinstimmend nach 1700, spätestens aber 1740 zu datieren47. Außer den zuletzt genannten konzeptionell wie medial schriftlichen Texten48 sollen – wie eingangs ausgeführt – vor allem transliterierte Tonaufnahmen gesprochener Sprache Gegenstand der Untersuchung sein, die im folgenden vorgestellt werden.

46 Geburtshelferinnen im Süden Martiniques (Rivière-Pilote) und kulturelle Dynamik.

Rituale im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes', DULCR: Diplôme universitaire de la langue et culture régionale. Von insgesamt 232 Seiten sind 166 in Kreol geschrieben; die inhaltlich anspruchsvolle Arbeit des überwiegend Kreol sprechenden Hugues Atine enthält einen Anhang mit von ihm zu diesem Zweck geprägter Lexik. Der Autor verwies mich im Gespräch auf die Vielzahl der Diskussionen und Überlegungen, die die Anforderungen der wissenschaftlichen Textsorte gerade im Bereich Morphosyntax von ihm verlangten. So beginnt die Arbeit mit der Frage, ob ein Forscher durch den Gebrauch einer bestimmten Sprache, des Kreols, in seiner Arbeit nicht behindert bzw. begrenzt werde ("Es an wouchachè limité pas i ka sèvi an lang...?").

47 Der Titel (Johannespassion) ist irreführend, handelt es sich doch um eine Synopse der Passionen aus Markus, Matthäus und Johannes. Dieses Dokument stammt möglicherweise von zwei verschiedenen Schreibern und wurde evtl. aus zwei Texten zusammengefügt. Sollte es kein Protokreol reflektieren (s.o.), so könnte auch eine andere Hypothese zutreffen, nach der es sich um ein auch in sprachlicher Hinsicht hybrides Dokument handelt; vgl. zur Analyse Kap. V.2.2.

48 Die kreolische Johannespassion wurde möglicherweise auch zum Vorlesen konzipiert.

24

Die Untersuchung stützt sich auf 81 kreolische Gespräche, die auf Tonkassetten aufgezeichnet wurden. Sie umfassen im Schnitt etwa je 60 Minuten; 29 Aufnahmen entfallen auf Martinique und 52 auf Französisch-Guayana49. Diese Tonaufnahmen wurden in vier Schritten für die Arbeit aufbereitet. Zunächst wurden Passagen zur Transkription ausgewählt, die zwei Kriterien erfüllen: Es sind zum einen längere zusammenhängende Passagen, um ein textuelles Arbeiten zu ermöglichen, d.h. um z.B. anaphorische Bezüge verfolgen zu können. So kann etwa Vorerwähntes von situationellen Gegebenheiten und Präsuppositionen getrennt werden. Zum anderen wurden insbesondere Tonaufzeichnungen zur Transkription ausgewählt, die vom 'Wohlbefinden' der Sprecher (im Urteil anderer Muttersprachler) zeugen, da diese dann spontaner sprechen bzw. ihre Sprache weniger 'kontrollieren'. Die Transkription der so ausgewählten Aufnahmeabschnitte umfaßt etwa 230 Seiten. Da aufgrund der genannten Kriterien gerade solche Passagen in Frage kamen, in denen sehr schnell und expressiv gesprochen wird, liegen die von den Sprechern auch zur Tonweitergabe autorisierten Aufnahmen in Form von zwei CDs vor. Zur Kontrolle der in diesen Transkripten vorgefundenen Strukturen wurden alle übrigen Aufnahmen durch mehrfaches Hören nach bestimmten Formen durchsucht, welche dann lediglich mit dem jeweils notwendigen Kontext handschriftlich transkribiert wurden.

Durch meine jeweilige Gastfamilie konnte ich vor allem solche Aufnahmen durchführen, bei denen einzelne Familienmitglieder oder deren Freunde sich mit Nachbarn oder Verwandten unterhielten. Um eine Vergleichbarkeit des Materials in sprachlicher Hinsicht zu begünstigen, sprach ich mit einem der Gesprächsbeteiligten zuvor vier Themenbereiche ab, die aufgrund von Überlegungen zum Abbau sozialer Distanz im Laufe eines längeren Gespräches in einer vorüberlegten Reihenfolge und mit assoziativen 'Brücken' versehen waren50:

49 Bei sieben Aufnahmen in Französisch-Guayana handelt es sich bei den Informanten

um Immigranten oder deren Nachfahren, deren Kreol durch die Sprachen St. Lucias oder Martiniques beeinflußt ist.

50 Vgl. Rieken 1998: 23: "Es gilt [...] die problematischen Seiten der Befragung möglichst gut abzufangen. Dazu ist die von Jürgen Macha und in der Folge von Martin Kreymann praktizierte 'Form des relativ offenen, gleichwohl von einem Leitfaden themenzentrierten Interviews' sehr gut geeignet. Es handelt sich um einen Kompromiß zwischen einem starren Fragekatalog und einem - abgesehen von der Initialzündung des Forschers - völlig freien Gespräch. So bleibt einiger Raum, auf 'Ungereimtheiten und Widersprüche' zu reagieren, Mißverständnisse zu klären und den Informanten einen Großteil der Gesprächssteuerung zu überlassen. Dennoch

25

1. Arbeit auf dem Lande. Hier kam die Rede meist 'wie von selbst' darauf, wie schwer die Arbeit ist, wie sehr die zur Landgewinnung nötige Brandrodung eine gut funktionierende Gemeinschaftsarbeit und die Solidarität der Dorfgemeinschaft voraussetzt.

2. Gemeinschaftsarbeit früher und heute. Dieser Vergleich führte zumeist zu einer allgemeinen laudatio temporis acti, die dann auf die kreolische (Kräuter-)Medizin gelenkt wurde. Beide Themenbereiche – Arbeit und Medizin – verbanden sich durch das oft ausgedrückte Bedauern, daß die alten Arbeitsmethoden und Heilrezepte den Kindern nicht weitergegeben werden.

3. Von hier konnte die Frage nach dem "Wo soll das noch alles hinführen?" gestellt werden, um Futurformen zu provozieren; dies erwies sich erwartungsgemäß als nicht leicht, da das Reden über die Zukunft ungern angenommen wurde. Eher wurde das Gespräch zurückgelenkt auf die heute aufgrund der weniger strengen Erziehung, der wachsenden Mobilität und des Fernsehens wenig verantwortungsbewußten Kinder, denen das mündliche Wissen der älteren Generation aus Sorge vor Mißbrauch nicht mehr weitergegeben wird.

4. Zu dem mündlichen (Geheim-)Wissen der 'Alten' gehört auch ein Schatz an magischen Formeln zum Schutz vor unheimlichen Wesen, wie Zombies, Werwölfen, wandelnden Särgen und nächtlich marodierenden Kükenherden. Über solche Themen wird im Alltag oft gesprochen, allerdings selten in Anwesenheit von Fremden. Gelang am Ende ein solches Gespräch, konnte dies heißen, daß ein gewisser Vertrautheitsgrad erreicht war. Dann enthalten die Aufnahmen Passagen der erinnerten Angst oder Wut, die sich für die Analyse deshalb besonders gut eignen, weil die Sprecher am ehesten die Aufnahmesituation vergessen und schneller und spontaner sprechen.

Wenngleich sich die Analyse in erster Linie auf Transliterationen möglichst spontaner gesprochener Sprache stützt, wurde zusätzlich ein Übersetzungsfragebogen eingesetzt, um die im Korpus oft langwierige Suche z.B. nach einem ganz bestimmten Verb abzukürzen. In dem Fragebogen sind 42 kleine Gesprächssituationen zusammengefügt, die den Informanten zur Übersetzung ins Kreolische vorgelesen wurden. Ein Teil dieser Gesprächssituationen ist mit der Fragebogenarbeit Östen Dahls (1985) kompatibel, um die Vergleichbarkeit von Daten mit dem

werden natürlich auch hier durch die Orientierung an einem Leitfaden vom Explorator im voraus gewählte Aspekte akzentuiert und andere ausgeblendet".

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international bekannten Sample Dahls zu ermöglichen. Dieser wurde teils mündlich, teils schriftlich ausgeführt, wobei interessante Unterschiede festzustellen sind. Bildergeschichten wurden ebenfalls mündlich und schriftlich nacherzählt. In der Folge nun – bevor ich näher auf die Aufnahmesituation eingehe – eine Übersicht über das mündliche Korpus in

1. Karten; die Punkte verweisen auf die Aufnahmeorte und sind meist bezogen auf eine isoliert gelegene Siedlung in der Nähe des genannten Ortes 2. Tabellen der Aufnahmen.

Martinique

Französisch-Guayana

A t l a n t i s c h e r

O z e a n

0 1000 km

27

Französisch-Guayana

(Brasilien)

(Suriname)

Maripasoula SaülSaint-Georges-de-l’Oyapock

Tampak

Ouanary

RouraRémire

CayenneSavanne Maya

KourouSinnamary

CorossonyIracoubo

OrganaboMana

0 300 km

Martinique

Lamentin

Le Fran oisç

Saint-Esprit

Le Vauclin

Rivière-Pilote

Sainte-Marie

Basse Pointe

Sch lcherœFort-de-France

30 km0

28

Aufnahmen von Kreolsprechern aus Französisch-Guayana:

Nr.

Beruf/ Arbeitsplatz oder Textsorte

Ort m./ f. Alter

131 Landwirtin, Krankenschwester

Savanne Maya f., f. 75 u. 50

132 Haushälterin (lange Cayenne) Roura f. 70

133 Landwirtin Sinnamary f. 68

134 Postangestellte Mana f. 80

135 arbeitslos Ouanary m. 18

136 Bäcker (Auszubildender) Ouanary m. 17

137 Landwirt Ouanary m. 60

138 Landwirtin, Beamtin Ouanary/ Cayenne f., f. 40 u. 43

139 Landschaftsgärtner Ouanary m. 33

140 Landwirt Ouanary m. 74

141 Landwirt Ouanary m. 79

142 Goldsucher St-Georges m. 82

143 Maniok/ Landwirt Tampak m. 70

144 Landwirt St-Georges m. 78

145 Schulkantine u. Hotelleitung St-Georges f. 50

146 Landwirt St-Georges m. 68

147 Elektrotechniker St-Georges m. 22

148 Krankenschwester Saül f. 74

149 Elektrotechniker Saül m. 30

150 Grundschullehrerin (oft Cayenne)

Saül f. 46

151 Physikdoktorand/ Lehrer Cayenne/ Sinnamary m., m. 28 u. 34

152 Verwaltung Kourou/ Cayenne f., f. 27 u. 36

153 Landwirtin Mana f. 63

154 Landwirtin Iracoubo f. 64

155 Jäger (Galibi) Organabo m. 55

156 Landwirt Iracoubo m. 66

157 Versicherungskaufmann/ Landwirt

Sinnamary m. 53

158 Naturheilerin Cayenne f. 70

159 Krankenpflegerin (lange in Cayenne gelebt)

Maripasoula f. 39

29

160 Schüler (Mutter Aloukou) Maripasoula m. 15

Nr.

Beruf/ Arbeitsplatz oder Textsorte

Ort m./ f. Alter

161 Gelegenheitsarbeiter51 Maripasoula m. 36

162 Fährmann Roura m. 65

163 Landwirtin/ Gastronomin Roura f. 70

164 Landwirtin Makouria f. 75

165 Landwirtin, Sozialarbeiterin Korossony f., f. 55 u. 38

166 Viehzüchter Korossony m. 76

167 Landwirte Korossony m., f. 55 u. 57

168 Schüler Cayenne m. ca. 19

169 Lehrer Cayenne m. 37

170 Lehrer (Englisch), Doktorand Cayenne (Paris) m. 36

171 Lehrer Cayenne/ Iracoubo m., m. 29 u. 27

179 Lehrer Cayenne u. Rémire m., m. 37 u. 27

180 Politiker Radio Guyane m. 48

Aufnahmen von Kreolsprechern aus Martinique:

Nr.

Beruf/ Arbeitsplatz oder Textsorte

Ort m./f. Alter

201 Schülerin Le Lamentin f. 18

202 Berufsschullehrerin Fort-de-France f. 42

203 Leiterin Vorschule Le François f. 52

204 Hochrechnungen Rivière-Pilote m. Radio

205 Interview Fort-de-France m. Radio

206 Diskussion Fort-de-France m., f. Radio

207 Brotausfahrer Le Vauclin m. 36

208 Hochseefischer Le Vauclin m. 33

209 Märchen/ Diskussion Schœlcher m., f. Podium

210 Vorschulkinder Josseaud m., f. 4 u. 5

211 Landwirte Josseaud m., f. 52 u. 73

212 Fabrik, Schulküche Desmartinières (R.-Pilote) f., f. 60 u. 51

51 Einwanderer aus Haiti.

30

213 Landwirt, Universität, Kulturverwaltung

Sainte-Marie m., m., f. 70, 45, 38

Nr.

Beruf/ Arbeitsplatz oder Textsorte

Ort m./ f. Alter

214 Hausfrau Terres-Sainville (F.-de-F.) f. 70

215 Student (Spanisch) Rive Droite (F.-de-F.) m. 22

216 Bananengroßhändler Abondance (R.-Pilote) m. 38

217 Mutter Terres-Sainville (F.-de-F.) f. 70

218 Obstanbau Le Vauclin m. 73

219 Bananen-Lohnarbeiter Rivière-Pilote m. ca. 50

220 Postbeamter, Berufsschullehrer

Saint-Esprit m., m. 61 u. 48

221 Hochseefischer Le Vauclin m., m. 68 u. 50

222 Sozialbeamtin Lamentin f. 40

223 Rentner (ehemaliger Saisonarbeiter)

Texaco (F.-de-F.) m. 62

224 Zuckerfabrikarbeiter Le Vauclin m. 73

225 Mutter (von 13 Kindern) Le Vauclin f. 70

226 Fabrikarbeiter, Landwirt Basse Pointe m. 72

227 Fabrikarbeiterin, Landwirtin Basse Pointe f. 68

228 Gelegenheitsarbeiterin Le Vauclin f. 71

229 Landwirtin, Schriftsteller Le François f., m. 80, 43

Aufnahmen von Kreolsprechern aus St. Lucia, aufgenommen in Französisch-Guayana:

Nr. Beruf/ Arbeitsplatz oder Textsorte

Ort m./ f. Alter

372 Goldsucher Saül m. 77

373 Goldsucher, Zimmermann Saül m. 79

374 Goldsucher, Gelegenheitsarbeiter

Saül m. 59

375 Goldsucher Maripasoula m. 80

376 Goldsucher, Landwirt Maripasoula m. 80

377 Goldsucher Maripasoula m. 70

378 Goldsucher, Jäger Maripasoula m. 98

31

Aufnahmen: Auswahlkriterien, Schwierigkeiten, Lösungsansätze Zusammenfassend zu den in den Tabellen und Karten vorgestellten Aufnahmen gesprochenen Kreols ist zu betonen, daß es das vornehmliche Ziel der Forschungsreise 1995 war, Tonbandaufnahmen von (möglichst) einsprachigen Kreolsprechern vorzunehmen52. In der di- oder triglossischen Situation von Martinique (französisch, regionalfranzösisch, kreolisch) und der pluriglossischen Sprachgemeinschaft von Französisch-Guayana ist der Gebrauch von nur einer Sprache sehr selten. Daher ist für die Beschreibung der untersuchten Kreolsprachen ein Sprecher zu bevorzugen, der überwiegend diese Sprache spricht und hört, der möglichst ein vom Französischen entferntes, sog. basilektales Kreol spricht. Vor diesem Hintergrund ergeben sich fünf Kriterien, die bei den meisten der oben aufgelisteten Aufnahmen maßgeblich sind53:

1. Kreolisch als hauptsächliche Sprache

2. wenig Kontakt mit anderen Sprachen

3. schon sehr lange wohnhaft am ausgesuchten Ort

4. keine oder nur kurze Reisen außerhalb des Landes

5. deutliche Aussprache (guter Zustand der Zähne)

Besonders die Kriterien 1 und 5 kollidieren häufig. Eine wichtige zusätzliche Frage in Französisch-Guayana ist die Frage nach den Eltern: Es erweist sich als äußerst schwierig, einen Sprecher zu finden, der keinen martinikanischen Elternteil hat. Die Immigration hat eine starke Tradition seit dem Ausbruch des Vulkans auf Martinique 1902. Die Integration ist zudem problemlos, da die Sprachen gegenseitig sehr gut verstanden werden und das politisch-soziale System ähnlich ist (französische Überseedepartements). Während die Menschen in beiden Ländern zuvorkommend und hilfsbereit waren, stieß mein Forschungsvorhaben in Einzelfällen auf klare Ablehnung. Mir scheint eine über einhundert Jahre alte Erläuterung des guayanesischen Schriftstellers Alfred Parépou auch heute Erklärungswert 52 Das zweite, weniger wichtige Vorhaben waren Gespräche in geographisch

voneinander entfernten Orten Französisch-Guayanas, da zur dialektalen Verteilung des Kreolischen keine Veröffentlichungen vorliegen.

53 Ein kleinerer Teil der Aufnahmen beugt sich nicht diesen Kriterien; hier war mir eine möglichst große Varietät der Alters-, Berufs- und sozialen Gruppen (sowie für Französisch-Guayana: Unterschiedlichkeit der Muttersprachen) wichtig, um ein entsprechendes Vergleichsmoment innerhalb der Sprache zu erhalten. So lassen sich Varietäten oder (möglicherweise) Entwicklungen innerhalb der Sprachen untersuchen.

32

zu haben. Während des elften der insgesamt zwölf Spaziergänge Atipas, des Titelhelden des ersten Romans in kreolischer Sprache (von 1885), unterhält sich dieser mit Jean Gaillard. Die Rede kommt auf die wißbegierigen Weißen:

Il y a un tas de Blancs, commença Atipa, qui ne savent rien de nous ni de Cayenne; [cependant] ils veulent parler de nous et prétendent connaître les affaires du pays mieux que ceux qui y sont nés. Aussi, la plupart d'entre eux sont des menteurs qui n'écrivent que des choses fausses.54

Es herrscht eine tiefgehende Furcht, der Weiße komme, bleibe nicht lange, komme nicht mehr wieder und glaube aber, alles verstanden zu haben und heftig kritisieren zu müssen. Dies ist mit dem Begriff menteurs gemeint. Der Verdacht, daß die Weißen die Kreolen nicht kennen, sich aber gleichwohl im Recht glauben, über sie zu reden ([ye] pas connaite ni nous, ni Cayenne; yé wlé palé di nous) trägt möglicherweise zur Ablehnung von Interviews mit einem Weißen bei. Eine Schwierigkeit bestand in dem für die meisten Kreolen ungewohnten Anliegen, das Kreolische als L2 lernen zu wollen. Ich mußte oft ungefähr folgende Aussage hören: "Du kannst Kreolisch nicht lernen, denn man muß hier aufwachsen, um Kreolisch zu sprechen. Kreolisch gibt es nur als Muttersprache, verstehst du? Man kann Kreolisch nicht lernen, als Fremder. Man muß damit groß werden, damit leben. Ich kann dir also nicht helfen, es zu lernen, kann dir nichts erzählen, ... nicht auf kreolisch"55. Sind schließlich Sprecher zur Aufnahme bereit, ist es nicht selten, daß äußere Störgeräusche den Tonmitschnitt technisch unmöglich machen, wenn z.B. der Nachbar fernsieht, die Grillen und Frösche ihr lautes Nachtkonzert beginnen oder tropischer Regen fällt. Dieser letzte Faktor ist nicht geringzuschätzen: Durch die Verwendung von Holz und Wellblech u.ä. als Baumaterialien sind Aufnahmen bei starkem Regenfall unmöglich, 54 "Li gain oune tas blangue, coumencé Atipa, qui pas connaite ni nous, ni Cayenne; yé

wlé palé di nous, yé wlé savé zaffai di peyi la, passé ça yé lombri entéré landans. Aussi, pi beaucoup, a mentò, a zaffai qui pas vrai, oune so, yé ca écrit" (1885: 176).

55 Diese Zusammenhänge kann ich hier nur als dauernden Begleitumstand meiner Arbeit nennen, ohne die Hintergründe umfassend zu erläutern. Zu diesen gehört auch die Tatsache, daß das Kreolische ganz überwiegend informell gelernt wurde und also ein Erwachsener, der die Sprache erst erlernt, schlicht Staunen hervorruft. Allerdings stieß ich mit meinem Vorhaben in Martinique öfter auf Mißtrauen oder Ablehnung als in Französisch-Guayana; die Diskussion um den Status der kreolischen Sprache wird in Martinique länger auf der politischen Ebene geführt als in Französisch-Guayana. Der von mir 1995 als entspannter empfundene Umgang mit dem Kreolischen in Französisch-Guayana ist möglicherweise auch auf die wichtige Funktion als Verkehrssprache zurückzuführen (nicht so in Martinique).

33

da die Geräuschkulisse enorm ist. So hatte ich speziell in Französisch-Guayana ausgesprochenes Glück, daß die Regenzeit zunächst ausblieb. Schließlich beteiligen sich Hunde und Hühner und der Wind ebenso an der Unterhaltung wie z.B. auch das zahme Wildschwein, das ich in Saül/ Französisch-Guayana kennenlernte. Zum alltäglichen Leben gehört in Französisch-Guayana das 'Buschmähen', das aufgrund des durchdringenden Geräusches der Handrasenmäher für Aufnahmen ein erhebliches Problem darstellt. Diesen Problemen standen jedoch auch die Arbeit fördernde Faktoren gegenüber. Mein relativ junges Alter erleichterte die Arbeit wesentlich (oft hörte ich: 'Ich habe einen Sohn, der ist wohl so alt wie Sie ...'), ebenso, daß ich bei der Arbeit mit 'zupackte' sowie landwirtschaftliche Grundkenntnisse besitze (über Pflanzzeiten im Zusammenhang mit der Mondwirkung, aber vor allem praktische Kenntnisse im Reparieren von Werkzeugen und Einfangen von Federvieh). Wichtigster arbeitserleichternder Faktor war immer die Zeit, d.h. die Möglichkeit, Vertrauen zu gewinnen: Die Menschen, mit denen ich Gelegenheit hatte, häufiger zusammenzuarbeiten, sahen mich nicht mehr so sehr als Fremden. Bei Gesprächen mit älteren Informanten war es hilfreich, wenn jüngere Leute dabei waren, da sie schneller Vertrauen aufbauen und vermitteln konnten56. Bei einem Treffen mit einem Bewohner Rouras (Guayana) z.B. dauerte es sehr lange, bis es zu einem lockeren Gespräch kam. Der Informant wollte die Kontaktperson nicht verärgern, wollte aber auch nicht mit mir sprechen; deshalb erzählte er mir offensichtliche Fiktionen: "Früher waren wir alle nackt, die Frauen, die Kinder, die Hunde, die Hühner: alle nackt, selbst der Bürgermeister ...". In manchen Fällen kamen ein Mann oder eine Frau mittleren Alters hinzu und spürten, daß das Gespräch stockend lief, versuchten daraufhin einzugreifen und zerstörten aber durch die Bevormundung der älteren Person oft das gerade im Entstehen begriffene Vertrauen. Dennoch waren es oftmals diejenigen Begegnungen, die anfangs von besonders starkem Mißtrauen geprägt waren, die schließlich zu guten Gesprächen führten. So gewann ich einen freundschaftlichen Kontakt zu einem Informanten, der vor mir erst zwei Weißen Zutritt in sein Haus gewährt hatte – und dies in den vergangenen 35 Jahren57. Den Informanten bin ich zu großem Dank verpflichtet, da

56 Manchen älteren Informanten erschien es z.B. befremdlich, daß ich gegen die

Gewohnheit des Landes während eines Gesprächs Dinge notierte; dies war für die jüngeren Gesprächspartner 'normal'.

57 Bei beiden handelte es sich um Jazzmusiker.

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mich alle Gastgeber trotz ihres anfänglichen Mißtrauens immer sehr zuvorkommend behandelten. Nun zu den Möglichkeiten und Grenzen der Fragebogentechnik. Die Fragebogentechnik ist für die Untersuchung stigmatisierter, kaum kodifizierter Sprachen wie der meisten Kreolsprachen m.E. nur bedingt einsetzbar. Diese Bedenken formuliert z.B. der Autor der 66 Seiten umfassenden kritischen Lektüre der Syntaxe de l'haïtien Claire Lefebvres (et al.), Yves Dejean (1982: 10), sehr klar: "Sauf dans les cas les plus évidents et les plus élémentaires, la plupart des questions relatives à la langue maternelle provoquent chez le locuteur moyen une réaction d'embarras, de trouble, d'incertitude, d'insécurité linguistique et de désarroi". Dejean weist vor allem auf die Gefahren der Informantenbefragung anhand kontext-entbundener Sätze hin: "On dirait que le seul fait d'être interrogé dans un domaine qui ne fait d'ordinaire pas l'objet de ses réflexions et qui semble simple et évident le porte à ne pas y voir clair, lui embrouille les idées, lui fait perdre sa sécurité linguistique, diminue sa faculté de juger les énoncés de sa langue, lui enlève sa facilité de jugement habituelle sur la possibilité ou l'impossibilité de certains énoncés" (1982: 10)58. Diese von Yves Dejean beschriebene Gefahr der Verwirrung der Sprecher durch Fragen zur Grammatikalität (ja/ nein) von vorgelegten Beispielen kann gemindert werden, wenn Sätze mit Kontext zur Übersetzung vorgelegt werden59.

58 Zur Überprüfung dieser Probleme hatte ich für die die Forschungsreise 1995

vorbereitenden Kurzreisen zu in Südfrankreich studierenden Kreolen bereits einen kleinen Fragebogen zusammengestellt, der Aussagemuster enthielt, die den analysierten Korpusbeispielen strukturell verwandt sind; während der Reise bemühte ich mich, mit möglichst vielen Muttersprachlern zu sprechen, um so eine bessere Grundlage zu schaffen.

59 Auch zu diesem Vorgehen sind Einwände zu bedenken: Die Sprecher könnten dazu neigen, nicht spontan, sondern aufgrund erlernter Analogien zu übersetzen (vom Typ passé composé = Nullmarkierung im Martiniquekreol). Um diese Analogien zu vermeiden, schlagen etwa Östen Dahl und Kate Howe die Darbietung der Verben im Infinitiv vor. Diese Anregung nahm ich auf, sie stellte sich jedoch als nicht sehr hilfreich heraus, da die Sprecher beim Lesen des Französischen sofort die flektierte Verbalform einsetzten. Manche Ergebnisse Dahls sind m.E. deshalb heterogen, weil die Ausgangssätze durch den fehlenden Kontext mehrdeutig sind; z.B. wird der Satz "Je suis sur le point de partir" sowohl mit der Imperfektiv- als auch mit der Futurpartikel ausgedrückt (z.B. im Französisch-Guayana-Kreol: Mo ka pati./ Mo ké pati.) Daraus darf aber nicht geschlossen werden, die Partikeln seien in diesem Fall synonym, da im Beispiel der Imperfektivpartikel z. B. ein Mensch mit Koffer auf der Türschwelle mitgedacht wird, im anderen Beispiel (Futurpartikel) etwa jemand im Streitgespäch, der mit seinem Rückzug droht.

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Aufgrund dieser Beobachtungen nahm ich im Laufe der Arbeit zwei weitere "Testformen" auf, die helfen sollten, den désarroi und die Übersetzungsprobleme zu vermeiden; ich legte einerseits eine kurze Szenenbeschreibung vor und ließ andererseits eine Bildergeschichte erzählen60. Die pluriglossische Lage des Landes wäre ein lohnenswertes Thema für eine nächste Untersuchung, gerade auch der sonst seltene Fall Kreolisch als L2 wäre sehr interessant. Einige Hinweise zur geolinguistischen Situation, über die sehr viel spekuliert wird61, aber sind schon möglich. Die im Regenwald gelegenen und nur per Luftweg erreichbaren Orte Saül und Maripasoula bergen keine älteren Zeugnisse (mündliche oder schriftliche) für das Französisch-Guayana-Kreol. Im Umfeld beider Orte wird vor allem ein Kreol gesprochen, das großem Einfluß des Kreols von

60 Für die Szenen wählte ich u.a. solche Situationen, die z.B. typische Iteration oder

Progressivität enthielten. Interessant waren die Reaktionen der Sprecher, die sich zwei Typen zuordnen lassen; die einen lehnten die Übung als zu schwer ab, die anderen vollführten sie mit viel größerer Leichtigkeit als die Übersetzungen. Die Leichtigkeit ist mit dem Verweis auf die ja primär mündliche Sprache schnell erklärt, die Schwierigkeit der anderen Sprecher verwundert zunächst. Die betroffenen Sprecher hatten zwar angegeben, das Kreolische zu beherrschen, hatten es jedoch nicht in der Familie gelernt, sondern dans la rue, avec les copains oder gar in drei Fällen erst in Frankreich mit Kommilitonen. Viele der in Frankreich studierenden Antillaner, Guayanesen oder Mauritier kommen aus Familien, in denen das Kreolische verboten war, damit es nicht durch Interferenz den Erwerb des Französischen behinderte.

61 Bei der Auswahl der Aufnahmeorte und der Sprecher konnte ich mich in Französisch-Guayana nicht auf die Literatur, sondern allein auf mündliche Äußerungen stützen. Die Empfehlungen waren zahlreich und widersprachen einander. So erschien es mir sinnvoll, möglichst viele verschiedene Orte anzusehen, um einen klareren Eindruck zu gewinnen und die Meinungen selbst zu beurteilen, die ich hier kurz zusammenfasse:

Das reinste Kreol spricht man in Sinnamary und St. Georges. DAGEGEN: Die Indianer sprechen das beste Kreol, in St-Georges spricht man ein portugiesisches Kreolisch.

In Saül gibt es noch einzelne Sprecher eines alten Idioms, aber vor allem in den kleinen Fünf-Häuser-Siedlungen spricht man ein altes Kreolisch.

Im Hinterland spricht man ein anderes Kreol. ODER: Im Hinterland spricht man gar kein Kreol.

Die Feldarbeit in Orten im tropischen Regenwald Französisch-Guayanas stellte daher ein Kernstück der Forschungsreise dar.

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St. Lucia ausgesetzt ist. Dies begründet sich historisch vor allem durch die Entstehung dieser Orte als Goldgräberstädte, die Goldsucher aber kamen zu einem hohen Prozentsatz aus St. Lucia. Auch innerhalb Französisch-Guayanas ist bis heute eine starke, meist berufsbedingte Migration zu verzeichnen. Dies führt zu einer nur bedingt möglichen Verwendung des Stadt-Land-Parameters. Derselbe Umstand mag auch dafür verantwortlich sein, daß zumindest auf der morphosyntaktischen, in etwas geringerem Maße auch der lexikalischen und lautlichen Ebene nur geringe Unterschiede zwischen den sehr entfernt voneinander liegenden Orten festzustellen sind, und dies trotz der oft sehr isolierten Lage der Untersuchungsorte. Auffallend ist jedoch eine recht spezifische prosodische Struktur des Kreolischen in den im Einfluß einer der Arawakfamilie zugehörigen Sprache liegenden Orten Ouanary und St-Georges. Hier wären Sprachkontaktphänomene zu untersuchen, zumal gerade in den Grenzbereichen der für das Kreolische eher seltene Fall einer L2-Erlernung des Kreols vorliegt. Insgesamt sind die Urwaldgemeinden für Aufnahmen eines Kreols, das wenig mit dem Französischen in Kontakt steht, sehr ergiebig. In der Nähe der Küste ist der Sprachkontakt eher auf europäische Sprachen und das Martiniquekreol beschränkt. Interessant ist, daß die in den Karten verzeichneten sog. 'Fünf-Häuser-Siedlungen' für die Suche nach wenig im Kontakt mit anderen Sprachen stehendem Kreol trotz ihrer meist isolierten Lage unergiebig sind, da die jüngeren Bewohner in Cayenne oder Kourou arbeiten und pendeln. Viele dieser kleinen Siedlungen sind bereits verlassen worden. Menschen, die wenig Kontakt mit dem Französischen haben, finden sich in Küstennähe eher in den Städtchen (Iracoubo, Sinnamary) oder auf den Ansiedlungen, die sehr isoliert liegen. Hier konnte ich interessante Aufnahmen machen. Eine systematische Untersuchung zur diatopischen Variation war zwar eine Grundidee der Arbeit, muß aber noch ein Desideratum bleiben. Da allerdings die Erhebungspunkte an möglichst verschiedenen Orten gewählt wurden, sind Forschungen in diesem Sinne anhand der Transkripte nun möglich.

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III. Methode

III.1. Onomasiologie und Semasiologie

"Man kann keine fremde Sprache vorurteilslos beschreiben. Wer der Sprache keine intelligenten Fragen stellt, bekommt auch keine intelligenten Antworten von ihr. Es handelt sich also nicht darum, alle Vorurteile abzustreifen, sondern schlechte Vorurteile durch bessere zu ersetzen." (Weinrich 1994: 307)

In der vorliegenden Untersuchung wird angestrebt, im Weinrichschen Sinne "schlechte Vorurteile" sukzessive "durch bessere zu ersetzen", indem versucht wird, eine strenge Verbindung von onomasiologischer und semasiologischer Perspektive umzusetzen. Da bislang keinerlei präzise Beschreibung des guayanesischen Verbalsystems vorliegt62, müssen die Kategorien erstmals bestimmt werden, so daß eine Kategorienerstellung am Schreibtisch (a priori) vorgenommen werden muß, wenn nicht die Kategorien einer europäischen Sprache auf das Kreolische projiziert werden sollen. Die Erstellung eines außereinzelsprachlichen63 Kategorienrasters, mit welchem in den einzelnen Kreolsprachen nach möglichen Ausdrucksformen der jeweiligen Kategorie 'gefahndet' werden soll, erscheint durch die komparatistische Perspektive dieser Arbeit geboten. Eine solche onomasiologisch geprägte Arbeitsweise läuft jedoch Gefahr, bei einem zu engen 'Fahndungsraster' wichtige einzelsprachliche Systemstellen zu übersehen. Hier kann mit einem sehr weit gefaßten Netz Abhilfe geschaffen werden. Doch birgt diese scheinbare Abhilfe sogleich eine nächste Unannehmlichkeit. Die außereinzelsprachlichen Möglichkeiten werden nicht in jeder Einzelsprache durch grammatische Kategorien abgedeckt, so daß das Raster viele 'theoretisch mögliche', aber tatsächlich nicht vorliegende Unterkategorien aufweist64. Daher soll in der 62 Fauquenoy 1972 und Schlupp 1997 beschreiben ausschließlich das Kreol der Küste,

das in starkem Kontakt zum Französischen und Martiniquekreolischen steht, wohingegen der vorliegenden Analyse umfangreiches Material der Regenwaldregion zugrunde liegt (siehe Kapitel II).

63 Siehe zu den Begriffen außereinzelsprachlich und übereinzelsprachlich Heger 1981 und Ludwig 1988.

64 Vgl. etwa Hiltys Kritik (1965) an Heger 1963; siehe auch Coseriu 1976, Dietrich 1973, Greive 1992.

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vorliegenden Arbeit ein fortwährendes Abgleichen zwischen onomasiologischer und semasiologischer Perspektive erfolgen, wie am nächsten Beispiel demonstriert wird:

1. Zuerst werden 'am Schreibtisch' Kategorien a priori definiert, z.B.: "Das Präsens ist ein Tempus. Es drückt aus, daß ein Ereignis [z.B. Ein Ziegel fällt] zu einem Referenzzeitpunkt [in diesem Moment vom Dach] und dem Sprechzeitpunkt [Else sieht zu und ruft: Schau mal, Eugen, da ...] in einem Verhältnis der Gleichzeitigkeit steht"65.

2. Anschließend wird in der Korpusanalyse nach Formen der Einzelsprachen gesucht, welche die jeweilige Kategorie ausdrücken (onomasiologisch): [z.B. il tombe]. Werden in der Analyse Beispiele gefunden, in denen dieselbe Form ganz offensichtlich nicht die ihr zugeschriebene Kategorie ausdrückt [z.B. présent auch im Sinne von 'in der Lage sein'/ potentiell-qualifizierend: Sophie joue au violon], so werden diese Abweichungen vom Plan nicht als Ausnahmen gewertet, sondern als Anlaß, die Kategorien zu reflektieren.

3. In einem dritten Schritt werden folglich die Leistungen und Grenzen der Ausgangskategorien überprüft, indem die Ergebnisse der einzelsprachlichen Analysen auf das zuvor erstellte Kategorienraster zurückbezogen werden (semasiologisch). Dabei kann z.B. festgestellt werden, daß in il tombe ('er fällt') ein Präsens im Sinne der Kategorien vorliegt, aber in Sophie joue au violon ('Sophie spielt Geige') die gleiche Verbform auch das gewohnheitsmäßige Tun oder das Beherrschen einer Fertigkeit ausdrücken kann.

4. Nun beginnt die Arbeit wieder im ersten Schritt, d.h., ein verbessertes Kategoriensystem wird definiert (Präsens: (1) Gleichzeitigkeit von Ereignis, Referenzpunkt und Sprechzeit; (2) habituell; (3) potentiell-qualifizierend).

5. Es folgt die erneute Analyse des einzelsprachlichen Formenbestandes.

6. Wieder werden die Ergebnisse auf das Kategorienraster zurückprojiziert usw. ...

Diese Arbeitsweise soll dazu dienen, Zirkelschlüsse zu vermeiden, indem sie durch den fortgesetzten Vergleich zwischen onomasiologischer und semasiologischer Perspektive eine spiralförmige Gestalt erhält66. In der Folge sollen nun die der Analyse zugrunde liegenden Überlegungen zu (Teil-)Texttypen und den Prototypen bei Aspekt und Tempus ausgeführt werden.

65 In Anlehnung an Reichenbach 1947, siehe Kap. IV.3. 66 Diese Bewegung erinnert an ein Phänomen, das aus der Astronomie bekannt ist;

gemeint ist die Beobachtung, daß Sterne auf ihrer Umlaufbahn nur an die ungefähr gleiche Stelle zurückkehren, wofür im Französischen auch der primär gesellschaftlich/ historisch konnotierte Begriff révolution verwendet wird.

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III.2. Text Aus den in den letzten Jahren erschienenen Beiträgen zu Aspekt und Tempus ist abzulesen, daß die Untersuchung dieser Kategorien auf der Textebene stärker ins Interesse der Forschung gerückt ist67. So sollen auch in der vorliegenden Analyse neben den phrastischen und transphrastischen Beispielen solche Korpuszitate untersucht werden, die als eigener kleiner Teiltext verstanden werden können68. Die Untersuchung wird zeigen, daß sich diese Teiltexte einer geringen Zahl von Typen zuordnen lassen. Im Kreol von Französisch-Guayana und Martinique sind unterschiedliche Gebräuche der Aspekt- und Tempuspartikeln in jeweils verschiedenen Teiltexttypen augenfällig; diese Gebräuche sollen als Ergebnisse komplexer Interaktionen der Aspekt-/ Tempussemantik mit dem jeweiligen Kontext und der Redesituation beschrieben werden69. Bei der Analyse wird untersucht, weshalb ein bestimmter Aspekt oder ein bestimmtes Tempus in einem gegebenen Kontext verwendet werden; daher werden die Korpuszitate oft lang sein. Bei kürzeren phrastischen oder transphrastischen Beispielen wird der situationelle und diskurspragmatische Kontext möglichst präzise beschrieben. Durch dieses Herangehen kann die vorliegende Analyse Mechanismen und Regularitäten in Bereichen aufzeigen, die bisherige Arbeiten zu Aspekt/ Tempus im Kreolischen noch als nicht systematisierbar oder als zufällig einstuften70.

67 So etwa Vetters 1993a, 1993b und Vet/ Vetters 1994, Laca 1996 und sehr

konsequent Schrott 1997, die ihre Arbeit im Spannungsfeld von Semantik und Pragmatik situiert, wobei Pragmatik mit Levinson 1983: 24 als die "Fähigkeit der Sprecher" verstanden wird, "sprachliche Äußerungen mit den angemessenen Situationen zu verbinden". Vgl. auch Raible 1990a; für das Russische Forsyth 1970, Thelin 1990, Holk 1991. Für andere Sprachen: Fielder 1991, Hopper 1979, Raible 1992, Moeschler 1993. Anders freilich Berthonneau/ Kleiber 1993, Pollak 1988.

68 Vgl. zu Textdefinitionen, die auf Teiltexten aufbauen, z.B. Gülich/ Raible 1977, Raible 1996c, Püschel 1997.

69 Siehe etwa Weinrich 1994: 307, Raible 1996c, Schrott 1997. 70 Vgl. Schrott 1997: 12 zu den Futura im Französischen: "[Die] Konzentration auf die

Interaktion von Tempussemantik und Kontext vermag zu belegen, wie eine abstrakte Tempussemantik in Interaktion mit bestimmten Kontextelementen ein Spektrum von semantisch-pragmatischen Werten erzeugen kann, und verdeutlicht zudem, daß diese Interaktion kein beliebiges Wechselspiel ist, sondern über bestimmte Mechanismen verläuft, die das Zusammenwirken von Tempus und Kontext strukturieren".

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Die Analyse der Aspekte und Tempora im Kontext71 wird neben der Korpusarbeit zusätzlich durch die Methode der Sprecherbefragung (Kommutationen) ergänzt (s.u. III.3.). Nur wenige statistische Auszählungen werden vorgenommen, da aussagekräftige Urteile über die Verwendung einer Aspekt- oder Tempusform nur dann möglich sind, wenn exakt derselbe Texttyp und Teiltexttyp vorliegen. Für diese Analyse ist die Definition eines Textes von seinen Teiltexten her von Bedeutung: "Dies bedeutet, daß Texte Gebilde sind, die in der Regel im Bereich bestimmter Stufen der sprachlichen Hierarchie anzusiedeln sind, eine entsprechende Kohärenz aufweisen und im Rahmen eines noch größeren Kontexts ihren Sinn haben. Texte sind dementsprechend auch Sinneinheiten. Nach oben hin ist der Umfang sprachlicher Texte unbeschränkt. Dies bedeutet, daß kleinere Texte in größere Texte, also kleinere Sinneinheiten in größere Sinneinheiten eingebettet sein können oder daß Texte sich auch als Abfolge von Sinneinheiten präsentieren können"; Textsorten sind in diesem Sinne zu beschreiben "nach der Art ihrer Teiltexte, nach der Abfolge ihrer Teiltexte und der Art und Weise, in der ihre Teiltexte miteinander verbunden sind" (Raible 1979). Nur mit dieser Differenzierung ist es möglich zu entscheiden, ob die Häufigkeit einer Aspekt- oder Tempusform tatsächlich aus dem sprachlichen System abzuleiten oder vielmehr durch die vorliegenden Texttypen bzw. Kontexte bedingt ist, welche die Verwendung einer bestimmten Form begünstigen72. Weiterhin werden bei statistischen Untersuchungen oftmals nur solche kontextuellen Elemente berücksichtigt, die bei einer Auszählung gut greifbar sind, wie etwa Negation, grammatische Person und temporale Adverbien. Komplexere Interaktionen zwischen grammatischen Zeiten und Teiltext73 sind jedoch besser durch genaue Einzelbeispielanalysen zu enthüllen (vgl. auch Schrott 1997: 12f.). Im Korpus liegen unterschiedliche Texttypen74 vor, so z.B.:

71 Mit Schrott 1997: 13f. gehe ich von der Prämisse aus, daß sprachliche Äußerungen

"stets mit einem Äußerungskontext verbunden sind und daß daher auch scheinbar kontextlose Beispiele des Typs Pierre va chanter stets einen Kontext evozieren, sei er auch noch so rudimentär".

72 Dies sei an einem extrem gewählten Beispiel verdeutlicht: Wenn in deutschen Backrezepten das Plusquamperfekt sehr selten anzutreffen ist, so darf diese Beobachtung nicht verallgemeinernd auf die deutsche Schriftsprache übertragen werden.

73 Zum Begriff Teiltext siehe unten in diesem Kapitel. 74 Im folgenden wird von Texttypen, -mustern und -sorten synonym gesprochen. Vgl.

Raible 1996c.

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Lebensgeschichten Märchen Absprache über Warenbestellung 'Nachmittags-Nachbarn-Plausch' Debatte über Sprachverwendung Wahlkampfrede Evangelium Roman Kulturelles Manifest Magisterarbeit Vorwort Sportbericht Heilrezepte

Diese Texte können wiederum nach konzeptionell/ medial schriftlich oder mündlich klassifiziert werden. Bei den so aufgeführten Texttypen kann zudem jeweils weiter präzisiert werden, denn etwa innerhalb der Lebensgeschichte können verschiedene Formen des Erzählens unterschieden werden, wie z.B.

... kurz/ ausführlich

... was einmal passiert ist/ wie es allgemein war

... chronologisch, distanziert/ synchron, sich hineinversetzend

... früher geschehen und schon oft erzählt/ neulich geschehen und erstmalig erzählt

... erzählt von sich aus/ auf Aufforderung hin

... selbst erlebt / andere oder Fernsehen

Innerhalb der Erzählungen und in anderen Korpustexten in Teiltexten dominieren jeweils unterschiedliche Sprechakttypen, wie z.B.:

erklären, wie etwas gemacht wird (in erster oder dritter Person) argumentieren bewerten überzeugen schimpfen begrüßen Zukunftswünsche aussprechen Entwerfen von Problemlösungen

Aufgrund dieser komplexen Lage von unterschiedlichen Parametern stellt sich die Frage, wie und ob man zu einer handhabbaren Texttypologie kommen kann. J. Molino (1990: 161) z.B. nimmt an, daß eine Typologie nicht möglich sei75. Doch den Vertretern eines vorgegebenen, empirischen

75 Molino nimmt an, daß eine brauchbare Texttypologie schlicht nicht denkbar sei:

"Malgré les nombreuses recherches consacrées à cette question, les conclusions auxquelles on aboutit ne sont guère encourageantes: les classifications maniables - celles par exemple qui distinguent description, récit, exposition, argumentation, instruction - ne sont pas distinctives et ne fournissent qu'un cadre vague sans garantie d'homogénéité ni de régularité, tandis que les classifications qui visent à être

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Vorgehens ohne 'Vorab-Setzungen' halten Ehlich/ Rehbein (1986: 251) entgegen, daß das Erstellen von Typen (bei den Autoren: Mustern) "eine wichtige Voraussetzung dafür [sei], daß die Rekonstruktion des Konkreten als ganze gelingen" könne. Für Ehlich/ Rehbein (1986: 251) ist eine Mustererstellung deshalb legitim, da es nicht darum gehe, 'vorgerasterte' Kategorien auf sprachliche Erscheinungen abzubilden. Vielmehr liege hier ein Erkenntnisprozeß zugrunde, "der die Zwecke gesellschaftlichen Handelns in der zufällig vorliegenden Wirklichkeit entdeckt und den Formcharakter des zugrunde liegenden Handelns, das heißt die allgemeinen Strukturen, einsichtig macht"76. An der klassischen Einteilung von Texten in Typen oder Muster anhand von Merkmalsrastern wird oft kritisiert, daß sie der je nach Texttyp nötigen unterschiedlichen Gewichtung der Merkmale nicht gerecht werden. Für small talk sind z.B. die Informationsseite, Verifizierbarkeit und Länge usw. nicht interessant. Vor diesem Hintergrund ist Mackeldeys Beschränkung auf Sprechakttypen zu verstehen. Der Autor begründet diese Beschränkung auf einen Aspekt damit, daß im Fall umfassender Merkmalsemantiken die einzelnen Merkmale einerseits auf verschiedenen Ebenen anzusiedeln und hinsichtlich ihres theoretischen Status heterogen seien und daß andererseits ihre Auswahl dem Zufall geschuldet scheint. Schließlich würden die Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den Merkmalen nicht deutlich (1987: 78)77. Aus dieser Kritik folgert

homogènes, rigoureuses, monotypiques et exhaustives sont contraintes de se perdre dans une ramification sans limites qui les rend rapidement inutilisables sans qu'elles soient plus assurées" (meine Hervorhebung).

76 Die zugrunde gelegten 'Muster' bestimmen im Sinne dieser Autoren als "Organisationsformen gesellschaftlichen Handelns, als Resultat gesellschaftlicher Prozesse [...] das individuelle Handeln". Im Rahmen einer solchen Überlegung sind die der Analyse probehalber zugrunde gelegten Muster letztlich die zugrunde liegenden Muster (oder diesen doch angenähert) und somit keine rein theoretischen Konstrukte, sondern eher 'Re-konstruktionen'; sie sind damit 'objektiv', bloß nicht an der Oberfläche des Handelns manifest. Vgl. Ehlich/ Rehbein 1986: 250: "In den einzelnen Erscheinungen des Handelns sind die Muster also präsent; sie sind also nicht eine [...] theoretische Fiktion, die den Erscheinungen oktroyiert wird. Sondern die Muster werden [in] der gesellschaftlichen Wirklichkeit selbst aufgefunden und in der Analyse bewußtgemacht". Die Diskussion berührt ähnliche Bereiche wie die Debatte um die Aspektdefinition, die ebenfalls eine Auseinandersetzung zwischen Aprioristen und Aposterioristen im Sinne Włodarczyk 1997 kennt, vgl. Kapitel IV.3.

77 Vgl. Brinker/ Sager: "Von der Aufstellung einer in sich stimmigen Gesprächstypologie [...] [sind wir] noch weit entfernt" (1989: 113). Diese Autoren verzichten folgerichtig auf Ansätze zu einer Typologie in ihrer Einführung in die Gesprächsanalyse.

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Mackeldey die Beschränkung auf einen Bereich; für seine Arbeit beschränkt er sich auf Sprechakttypen. Doch ist diese Einschränkung nicht hinreichend, wenn man von der Prämisse einer grundlegenden Ordnungsannahme ausgeht. Für Bakhtine (1984: 285) z.B. erscheint der Erwerb von Textmustern ebenso selbstverständlich – und interessanterweise sowohl phylo- als auch ontogenetisch – wie der Erwerb von Satzbaumustern:

Apprendre à parler c'est apprendre à structurer des énoncés (parce que nous parlons par énoncés et non par propositions isolées et, encore moins, bien entendu, par mots isolés). Les genres du discours organisent notre parole de la même façon que l'organisent les formes grammaticales (syntaxiques).

Vor dem Hintergrund dieser Überlegung sollte statt einer Beschränkung auf ein Merkmal, etwa die Sprechakttypen wie bei Mackeldey, eher versucht werden, die Vielfalt und Divergenz der Perspektiven als grundlegende Beschreibungsaufgabe zu begreifen. In diesem Sinne stellt Raible (1996c) die Weiterentwicklung eines Dimensionenmodells vor. Dieses Modell sieht die Möglichkeit der Vertiefung der jeweils relevanten Dimensionen vor. In diesem Sinne wird das Modell für die vorliegende Arbeit im Bereich der ersten Dimension u.a. um die unten erläuterten Faktoren Vertrautheit/ Vertrauen erweitert. Zusätzlich wird eine achte Dimension nach Ludwig (1996) hinzugefügt, da für die Analysen von Aspekt- und Tempusmarkern im Kreol besonders auch die Dimension der konkreten sprachlichen Textorganisation von Bedeutung ist. Auf der folgenden Seite ist das Dimensionenmodell tabellarisch abgebildet:

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Dimensionenmodell zur Typisierung der Korpus(teil)texte78 1. Beziehung und Kommunikationssituation zwischen Sender und Empfänger

a) direkt/ indirekt b) Vertrautheit/ Vertrauen c) Anfang/ Ende des Gesprächs d) zwei oder mehrere Personen e) Öffentlichkeit/ institutionell/ Ort f) Adressaten (Kinder/ Erwachsene; weiß oder schwarz) g) Intention (belehren/ unterhalten ...) h) von sich aus/ nach Aufforderung erzählt i) Einstellung gegenüber dem Inhalt (lobend ...) j) schon oft oder erstmalig erzählt

2. Gegenstand

a) Arbeit auf dem Land b) Gemeinschaftsarbeit früher und heute c) Kindererziehung d) Zombies, Werwölfe, wandelnde Särge und Kükenherden ...

3. Medium

a) mündlich oder schriftlich b) live, Radio, Fernsehen, Buch, ...

4. Verhältnis zur Wirklichkeit

a) Sprecher selbst oder andere haben es erlebt b) Res gesta/ ficta c) Res ficta quae tamen fieri potuerat ...

5. Verhältnis zu anderen Texten a) Zitate b) verkürzt, verlängert c) aus Fragmenten (Dokumentation, Kompilation) d) parallel (Parodie z.B.) ...

6. Sprechakttypen

a) erzählend b) beschreibend, berichtend, charakterisierend c) anweisend, vorschreibend d) argumentierend, Stellung nehmend, erörternd ...

7. Ordnungsmuster

a) halb-gelenktes Interview b) chronologisch oder hineinversetzend ...

78 Nach Raible 1996c: 66-67, 69 und Ludwig 1996.

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8. Konkrete sprachliche Textorganisation

a) Merkmallosigkeit/ -haltigkeit b) Polyfunktionalität der Elemente c) Parataxe d) Teiltexthierarchien/ Voraussagbarkeit der Folge e) Ellipse/ Implizitheit des Verbs f) hesitation phenomena ...

Anders als in älteren Ansätzen wird in diesem Modell zwischen Merkmalen und Dimensionen insofern unterschieden, als nicht die Merkmale, sondern ausschließlich die Dimensionen als invariabel angenommen werden (Raible 1996c: 70-72). Bestimmte Dimensionen können allerdings je nach Bedarf stärker gewichtet werden; vor allem aber können bestimmte Merkmale 'prototypisch' funktionieren. So ist es z.B. möglich, daß in einer sonst entspannten Unterhaltung die 'Distanz' zwischen Informant und Explorator wieder deutlich wird, wenn es zu etwas prekäreren Themen wie Nacktheit kommt. So nimmt der Informant im folgenden Auszug mit Respektbezeugungen regelrecht 'Anlauf', um die Unbekleidetheit der Kinder im Detail darzustellen:

R [ ou tou ni ou pa té konnèt zafè bagaj pou divan pou mété/ a ké rèspé mo ka dèvé ou du bist ganz nackt du kanntest das nicht ein Dings für vorne um/ mit dem Respekt den ich Ihnen schulde

R [ pou ganyen mété oun bagaj mété oun silip mété oun kilòt asou/ zot tout tou ni . ni tifi um ein Dings anzuziehen eine Unterhose ein Höschen über/ ihr seid ganz nackt weder kleine Mädchen

R [ ni tigarson zot pa konnèt baré zot divan non . pa konnèt zafè divan pou baré pou gran/ noch kleine Jungs ihr kennt das nicht vorne zu verstecken kennt das nicht vorne zu verstecken damit die Älteren

R [ pou moun pa wè . ou pa konnèt sa . non . ou pa konnèt zafè pardon rèspé pou di konsa damit die Leute es nicht sehen du kennst das nicht nein, du kennst das nicht Entschuldigung daß ich das so sage

R [ ou ké séré ou tipwason . tifi-a ké séré so tatou pa vrè ( ) zot tout/ zot kalé adégra tou ni daß du dein Glied versteckst daß das Mädchen seine Scheide versteckt nicht wahr ihr geht ganz nackt zum Anleger

Doch auch beim Fremden kann es sein, daß Vertrautheit und Vertrauen entstehen. So wurde mir in einer Situation im Regenwald zusammen mit dem kreolischen Kollegen nur sehr distanziert berichtet, mir aber bedeutet, ich möge alleine wiederkommen. Bei jenem zweiten Treffen war die Atmosphäre entspannter, nicht zuletzt weil der kreolische Kollege aus der Stadt kam und bestimmte Regeln des Respekts, die auf dem Lande gelten, verletzt hatte. Zudem konnte ich, da ich mit der Landarbeit teils vertraut war, bei der Arbeit helfen. Es ist mithin zu beobachten, daß zur Untersuchung des vorliegenden Korpus geprochenen Kreols

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beispielsweise der Vertrautheits-Parameter die übrigen überlagern kann, so daß bei gleichem Thema (z.B. 'die Herstellung von Fladenbrot') im gleichen Sprechakttyp auf je sehr unterschiedliche Strategien der grammatischen Bezugnahme auf Zeit, also der Verwendung von Tempus und Aspekt zurückgegriffen werden kann. Die Parameter, welche die jeweilige Verwendung auslösen, stehen in einem komplexen Zusammenspiel; ein wichtiger Faktor bezieht sich dabei auf die Beziehung zwischen Sender und Empfänger. Diese Beziehung wird in der kreolischen Gesellschaft in spezifischer Weise von dem Faktor 'Nähe' beeinflußt: "L'oralité est caractérisée par une situation de proximité sociale qui est (re)produite dans la communication; les interlocuteurs soulignent le fonctionnement du canal de communication [...], et ils expriment leurs sentiments et jugements, ce qu'ils ne feraient pas en face d'un étranger" (Ludwig 1991: 97).

III.3. Prototypikalität bei Aspekt und Tempus Der von Borges imaginierte Ireneo Funes79 konnte die Dinge mit einer erstaunlichen Genauigkeit erinnern: "Funes no sólo recordaba cada hoja de cada árbol de cada monte, sino cada una de las veces que la había percibido o imaginado. Resolvió reducir cada una de sus jornadas pretéritas a unos setenta mil recuerdos, que definiría luego por cifras" (1988: 118). Dieses hypertrophe Gedächtnis ermöglicht Funes zwar erstaunliche Kunststücke, stellt ihn aber vor zwei sehr schwerwiegende Probleme: "Lo disuadieron dos consideraciones: la conciencia de que la tarea [das Auflisten der Einzelerinnerungen] era interminable, la conciencia de que era inútil. Pensó que en la hora de la muerte no habría acabado aún de clasificar todos los recuerdos de la niñez" (1988: 118).. Greifen wir das Problem des nicht enden wollenden Klassifizierens, d.h. hier des Auflistens, auf. Wie ist Funes in dieses Dilemma geraten? Die Antwort wird im folgenden Zitat deutlich: "No sólo le costaba comprender que el símbolo genérico perro abarcara tantos individuos dispares de diversos tamaños y diversa forma; le molestaba que el perro de las tres y catorce (visto de perfil) tuviera el mismo nombre que el perro de las tres y cuarto (visto de frente)" (1988: 119). Das Problem des Memorioso besteht darin, daß es ihn stört, daß ein Hund, welchen er eines Tages um 15 Uhr 14 beobachtete, sowie ebenderselbe Hund 'eine Minute später' die gleiche

79 Funes el memorioso, in: Jorge Luis Borges (1988): Narraciones, Madrid [Catedra].

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Bezeichnung tragen, obwohl er sie doch als verschiedene erinnert: den einen schräg von vorne gesehen, den anderen von der Seite. Die Beunruhigung entsteht jedoch nur oberflächlich betrachtet durch dieselbe Bezeichnung; Funes wird vielmehr nicht einsichtig, daß zwei offensichtlich verschiedene Elemente (1. ein Hund schräg von vorn, 2. ein Hund im Profil) ein und derselben Kategorie zugeordnet werden. Es ist ihm durch das übermäßig detailgenau arbeitende Gedächtnis verwehrt, abstrahierend zu kategorisieren80. In den Augen seiner Zeitgenossen ist es Funes daher nicht möglich zu denken. Und das ist es, was Funes verunsichert: Die Wirklichkeit bricht mit einer nicht enden wollenden Menge an Dingen über ihn ein, da es ihm scheint, daß er nicht einmal die zahllosen Eindrücke der fernen Vergangenheit verarbeiten kann. Erst das abstrahierende Kategorisieren erlaubt es dem Menschen offenbar, mit einer gewissen Ruhe das jeweils Neue aufzunehmen, denn ohne Kategorien wäre die von uns wahrgenommene Umwelt "chaotisch und beständig neu" (Cauznille-Marmèche et al 1990: 93). Das ist der Eindruck, den Funes stets hatte: eine chaotische, unüberschaubare Welt, in welcher es unmöglich scheint, die neuen Erfahrungen einzuordnen und ihnen so einen Sinn zu geben. Daher nennt Lakoff den Vorgang des Kategorisierens "the main way we make sense of experience". Ähnlich verwirrt wie Funes angesichts des Hundes könnte man sein, selbst wenn man gar kein gutes Gedächtnis besitzt (und gelernt hat, kategorisierenderweise zu arbeiten), wenn man beim Tempus Präsens 'Sinn aus der Erfahrung schöpfen' soll. Ein und dieselbe Form und damit also dieselbe Kategorie Präsens kann so unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, daß kaum mehr einleuchten möchte, wie alles dies einer Kategorie zugehören soll. Zur Illustration soll das folgende (zusammen mit Norma Díaz konstruierte konzeptionell mündliche) Beispiel aus dem Spanischen angeführt werden, das auf engem Raum acht der möglichen Funktionen des Präsens versammelt81:

Pepe: Mira, allá atrás están1 José y María! mmm Olivia: ¿Así que están juntos? No sabía ni que se conocían perooo/

80 Dies ist es auch, was Funes' realem "Zwillingsbruder" Šereševskij, einem

langjährigen Patienten des russischen Psychologen Lurija, schwerfällt (Lurija 1991: 131).

81 Siehe für Tempus und Aspekt im Spanischen Alarcos Llorach 1973, Bull 1960, Cartagena 1978, Cerny 1969, Escobar 1997 und Granda 1995 (beide zu Aspekt in Sprachkontaktsituationen), Guitart 1978, Rallide 1971, Roca Pons 1968, Rojo 1988, Rona 1973, Sánchez Ruipérez 1962, Silva Corvalán 1983 und 1984.

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Pepe: Ah, tengo que contarte una cosa, la semana pasada estuve/ estaba con José en eeh en el estudio, porque, el quinteto Basaman justo acaba de grabar el nuevo cass/ digo el nuevo compact y/ Olivia: ¿Basaman? ¿Ese es el grupo donde toca2 María? Pepe: Sí, exactamente. Yo voy a veces a los ensayos, se encuentran3 todos los jueves para tocar. ¡Ja! Y justo ESE jueves, la semana pasada, estoy yo ahí/ fui con José, y entonces estoy4 atrás del vidrio ¿viste? ahí tienen como una ventana enooorme de vidrio, y de ahí podés escuchar a los músicos pero ellos no te oyen, bueno, y estoy ahí parado con José, escuchando cómo/ Olivia: ¿Mientras ensayaban? Pepe: Sí, cómo graban y eso y de golpe eehh ... José me dice: "A ésta la conozco, estuvo ayer en/" Olivia: ¿Quien? ¿María? Pepe: Claro, porque no pensé que José la co/ no la conoce nada, pero entonces me dijo "la conozco, estuvo ayer en mi oficina de viajes, sale5 el sábado que viene para Canadá; pero es tan frágil ... ¡y toca6 el cello!" pero/ Olivia: Y ahora ya andan agarraditos de la mano, el gradote de José con ese palo de escoba. ¡Y bueh! Dicen que los polos se atraen7 ¿no?

Pepe: Mejor cierras8 el pico ... si ellos son felices ...

Alle acht fettgedruckten Verben stehen im Präsens, doch drücken sie beim näheren Hinsehen alle etwas anderes aus. Man kann also von einer beachtlichen Polysemie des Präsens sprechen; die Präsensform kann neben dem Ausdruck vergangener und zukünftiger Zeit (4, 5) auch aspektuelle (2, 3, 6), modale und andere Funktionen (5, 7, 8) ausfüllen. Nur Beispiel (1) zeigt ein Präsens im Sinne der Simultaneität in bezug auf den Sprechzeitpunkt (und den Referenzzeitpunkt). Warum aber drückt das Präsens z.B. gerade auch das Können und warum ein stark assertiertes Futur im Spanischen aus?82 Anstatt nun zu fordern, das Präsens sei gar kein Tempus83, möchte ich nach Verbindungen zwischen den acht Funktionen suchen. Denn die Funktionen sind nicht willkürlich mit dem Präsens verbunden, wie wir sehen werden. Über die Zugehörigkeit von Elementen zu einer Kategorie wird in der Sprachwissenschaft in der auch als klassisch bezeichneten Herangehensweise (J. Taylor 1995) im Rahmen der Semanalyse oder Merkmalsemantik auf der Basis von notwendigen und hinreichenden Merkmalen entschieden. Die Kategorisierung von HUND erfolgt notwendigerweise über Merkmale wie 'Tier, gezähmt, einer Familie zugehörig, eingeschränkt freiheitsliebend, aufmerksam'. Doch alles dies könnte bisher auch noch auf einen Wellensittich zutreffen. Erst ein

82 Im Deutschen liegen die Verhältnisse für das Futur anders. 83 Vgl. dazu Włodarczyk 1997 und Bybee et al. 1994.

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hinreichendes Kriterium wie 'bellt' grenzt die Kategorie deutlich genug ab84. Diese Methode der Merkmalsemantik oder Semanalyse wird von John Taylor (1995: 22) als klassische Bedeutungslehre bezeichnet, da sie einerseits auf Aristoteles zurückzuführen sei und andererseits im 20. Jahrhundert Sprachwissenschaft und Psychologie dominiert habe. Die Parameter, auf denen diese Theorie fußt, fasse ich im folgenden knapp zusammen, da die Weiterentwicklung im Sinne der Prototypensemantik mit ihrer Kritik hier ansetzt (J. Taylor 1995: 23-26):

- categories are defined in terms of a conjunction of necessary and sufficient features - features are binary - categories have clear boundaries - all members of a category have equal status - features are primitive - features are universal - features are abstract - features are innate

Die Merkmalsemantik hat Wesentliches gerade im Bereich der Lexikographie geleistet, da sie (im Gegensatz zum Memorioso Funes) verschiedene bellende Lebewesen auf überprüfbare Weise einer Kategorie Hund zuweisen kann und so jene Ruhe und Ordnung schafft, derer der Besitzer des unerbittlichen Gedächtnisses entbehrt. Hier zeigt sich im Umkehrschluß, was genau Funes so schwerfällt. Es ist das Vergessen. Um zu kategorisieren, muß vernachlässigt (gewissermaßen aktiv vergessen) werden, daß ein Dackel und ein Windhund allein bezüglich ihrer Beine immense Unterschiede aufweisen. Beide zeigen sich jedoch im Hinblick auf die oben erstellten notwendigen und hinreichenden Bedingungen als würdige Vertreter derselben Kategorie HUND. So gesehen könnte die Merkmalsemantik als eine ars oblivionis85, als Vergessenskunst bezeichnet werden. Eine jüngere Vergessenskunst in der Semantik ist die Prototypentheorie86. Nach diesem Ansatz sind die Elemente einer Kategorie nicht gleichberechtigt, sondern hierarchisch geordnet; auf der höchsten

84 Dieses Vorgehen kann je nach Bedarf weitergeführt werden, indem etwa die zur

Lautnachahmung begabten Wellensittiche eindeutiger aus der Kategorie der Hunde ausgegrenzt werden durch die Präzisierung des hinreichenden Merkmals für Hund als 'bellt instinktiv' usw.

85 Vgl. Weinrich 1997, Eco 1987. 86 So geht gerade die Abgrenzung von perfektiv zu Perfekt und von imperfektiver

Aspekt zu Präsens über ein Minenfeld von Affinitäten, so daß einzelne Autoren zu dem Schluß kommen, es bestehe zwischen den jeweiligen Kategorien letztlich kaum ein Unterschied. Vgl. z.B. Bybee et al. 1994.

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Hierarchiestufe steht der Prototyp als bestes Exemplar einer Kategorie87. Was leistet die Prototypentheorie an Neuem für die Beschreibung von Aspekt und Tempus? In der Merkmalbeschreibung ist z.B. die von Taylor als 'pragmatic softening' beschriebene Verwendung des past wie im folgenden Beispiel schwerlich zu erfassen, wenn als notwendiges Sem [+ vergangen] angenommen wird:

Yo quería preguntarle ...

Diese Verwendung hat nichts von Vergangenheit, denn der Wunsch zu fragen kann sich durchaus auf das JETZT der Äußerung beziehen und muß nicht lange geplant sein. Im Sinne der Prototypentheorie, die sich weniger für harte Abgrenzungen als für die Überlappungen und 'Ähnlichkeiten' der Elemente einer Kategorie interessiert, könnte hier folgendes überlegt werden: Die Höflichkeitsgeste ist gekennzeichnet von einem Sprecher, der gleichsam einen Schritt im Raum zurückgeht, um dem Angesprochenen 'Raum für die Entscheidung' zu geben. Dies aber hat die pragmatic softening-Funktion mit dem Prototyp (in metonymischer Weise) gemeinsam, der ja ebenfalls von einem Zurückgehen – wenngleich in der Zeit – gekennzeichnet ist (vgl. J. Taylor 1995; Diewald 1997). So kann im Rahmen der Prototypentheorie die Zugehörigkeit peripherer Elemente zur Kategorie vom Prototyp her erläutert werden. Zudem muß es nicht beim bloßen Konstatieren von einer Polysemie der Tempus- (bzw. Aspekt-) Kategorien bleiben, sondern es können die Vernetzungen innerhalb einer Kategorie beschrieben werden. Diese Vernetzungen können einzelne Übergangsbereiche im Sprachwandel aufscheinen lassen, wenn etwa die 87 Zur Forschungsdiskussion siehe Mangasser-Wahl 1997 sowie John Taylor 1995 (1.

Auflage 1989) und Georges Kleiber 1990; zur verspäteten Rezeption im deutschsprachigen Raum siehe Mangasser-Wahl 1996a, 1996b; zur theoretischen Diskussion vgl. auch Ramat/ Ricca 1994, Taylor/ MacLaury 1995 und Bondarko 1995. Von einer Tendenz in Richtung auf die Prototypensemantik auch im Bereich der Grammatik ist z.B. im Vorwort zu den Kongreßakten zum Romanistentag (1997: XIVf.) die Rede: "Obwohl die während des Kolloquiums vorgestellten neueren Beschreibungsmethoden der Syntax romanischer Sprachen vielfach divergierten, schälten sich doch auch gemeinsame Züge und Tendenzen heraus: Das von der Strukturalistischen Linguistik favorisierte Prinzip binärer Merkmaloppositionen ist in vielen Bereichen nicht länger haltbar. [...] An die Stelle des Binarismus tritt die Vorstellung der Skalierung, die Annahme gleitender Übergänge zwischen zwei Polen. [...] Komplementär zur Skalierung zieht sich ein anderes Konzept wie ein roter Faden durch einen Großteil der Beiträge, die Prototypikalität. [...] Deutlich wurde auch, daß die Beschreibung syntaktischer Phänomene gelegentlich gezwungen ist, den eigentlichen Bereich der Syntax zu überschreiten, [...] in Richtung Semantik und Pragmatik, bis hin zur Wahrnehmungstheorie und der mentalen Konzeptualisierung".

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Netze derselben Kategorie zu verschiedenen Diachroniestufen nebeneinandergelegt werden (vgl. die Kugelschemata im Anhang). Die Prototypentheorie soll für die vorliegende Arbeit mit Anleihen aus der Merkmalsemantik und der Familienähnlichkeitsidee ergänzt werden. Der Aufbau des Prototypennetzes scheint dann sehr viel überprüfbarer, wenn mit Merkmalen gearbeitet wird, ohne daß diese als notwendig oder hinreichend klassifiziert werden. Für das Präsens können z.B. folgende Merkmale angenommen werden:

- gleichzeitig zum hier-und-jetzt des Sprechers, im weitesten Sinne (also auch etwa: in diesem Jahrhundert)

- faktisch - sicher, überprüfbar - lebendig, geschieht vor Augen (auch: erinnert) - gewohnt - als nicht in der Zeit begrenzt gedacht - Essenz, z.B. bleibende Eigenschaft einer Sache oder Person - zukünftig

Aus der Prototypentheorie hat sich eine von Kleiber so genannte 'erweiterte Prototypentheorie' enwickelt, welche stärker als die Standardversion auf das Wittgensteinsche Prinzip der Familienähnlichkeit88 eingeht und auf den Prototyp verzichtet. Von dieser Erweiterung wird in der vorliegenden Untersuchung nicht der Verzicht auf den Prototyp, wohl aber die Betonung der 'familiären Bande' übernommen. Zur Erläuterung sei das Beispiel (6) aus dem spanischen Dialog aufgegriffen: "toca el cello". Pepe könnte Maria in einer anderen Regieanweisung durchaus statt im Studio auch in einem Sessellift wiedertreffen, in einem Gespräch von ihrer musikalischen Kunstfertigkeit erfahren und erstaunt ausrufen: '¿Tocas el cello?' Das Präsens kann hier eine potentiell-qualifizierende Bedeutung haben, die lediglich etwas über das Können einer Person aussagt, ohne daß dieses Können an einen Zeitpunkt gebunden wird: Es ist nicht anzunehmen, daß Maria im Moment des Gesprächs im Sessellift Cello spielt. Dies ist nur ein Beispiel für die Beobachtung, daß im Bereich von Aspekt und Tempus nicht alle Elemente einer Kategorie gemeinsame Merkmale mit dem Prototyp aufweisen (etwa (6) 'Cello spielen können' mit (1), dem typischen 'gleichzeitigen' Präsens). In diesen Fällen wird das Prinzip der Nähe oder Ähnlichkeit im Sinne Wittgensteins erweitert. (6) hat mit (1) offenbar nichts gemeinsam, beide aber mit (3), dem gewohnheitsmäßigen

88 Die Idee ist gleichwohl älter, siehe Kleiber 1990.

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Cellospielen89. So erklärt sich über die Familienähnlichkeit (hier das Merkmal a, das für (1) und (3) gilt, dann das Merkmal e, welches für (3) und (6) gilt), daß auch (6) zur 'Familie', d.h. zur Kategorie gehört. Es wird also im Sinne der erweiterten Prototypentheorie die Möglichkeit des Fehlens einer Verbindung eines peripheren Elementes zum Prototyp eingeräumt: Ein Element kann auch ausschließlich über andere Elemente mit dem Zentrum der Kategorie verbunden sein; hier wird also die Prototypentheorie aus den Überlegungen zur Familienähnlichkeit ergänzt. Das Familienähnlichkeitsprinzip wird aber nur zusätzlich genutzt, ohne den Prototyp aufzugeben90, da dieser eine höhere Erklärungskraft für die Kategorie hat. Der guten Erklärungsmacht wurde in der Forschung die geringere Beschreibungskraft der Prototypensemantik im Vergleich mit der Semanalyse vorgeworfen, da nicht immer deutlich werde, wie die Feststellung des Prototyps operationalisierbar sei91. Zur Feststellung des Prototyps in der konkreten Analysetätigkeit werden daher vier objektivierbare Tests vorgeschlagen: 1. Die prototypische Funktion ist an der höchsten Frequenz zu messen. In

der vorliegenden Arbeit ist Frequenz dabei bezogen auf bestimmte Teiltexttypen gemeint92.

2. Der Prototyp ist der von Sprechern erstgenannte Vertreter; dieses Kriterium ist allerdings bei grammatischen Kategorien (z.B. Präsens) schwieriger anzuwenden als etwa bei Substantiven (z.B. Vogel). Zudem ist die Gefahr der Übertragung von Kategorien aus der institutionell

89 Vgl. zur umgekehrten Verwendung die spanische 'saber'-Periphrase im Sinne von

'soler' im mittelalterlichen Spanisch, amerikanischen Varietäten und im Palenquero. 90 Hier liegt eine andere Schwerpunktsetzung vor als in der erweiterten Theorie bei

Kleiber, wo das Familienähnlichkeitsprinzip zum zentralen Mechanismus erhoben wird.

91 Brenda Laca zeigt solche Unschärfen in einem Beitrag von 1996 anhand bekannter Tempus/ Aspekt-Studien von Dahl 1985 und Bybee/ Perkins/ Pagliuca 1994 auf: "Der Prototyp eines Progressivs ist die expanded form des heutigen Englischen, und die Identifizierung von Progressiv-Grammemen erfolgt letztlich auf der Grundlage der Ähnlichkeit, die die Distribution und die Semantik dieser Grammeme mit denjenigen der englischen expanded form aufweisen. [...] Dies ergibt sich in aller Deutlichkeit aus der Methode für die Bestimmung der 'diagnostischen' Distributionskontexte bei Dahl 1985: insb. 33, 52-56, 90-94 und, weniger explizit, aus der Tatsache, daß Bybee/ Perkins/ Pagliuca 1994: 133-137 für ihre semantische Beschreibung des Progressivs auf eine Beschreibung der Semantik der expanded form im heutigen Englisch zurückgreifen" (Laca 1996: 31).

92 'Frequenz' ist aber zugleich der vielleicht konfliktgeladenste Parameter; vgl. zur Diskussion zusammenfassend Borzi 1997: 35.

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erlernten Sprache Französisch groß, so daß bezogen auf das Gesamt der Sprecher ein sehr heterogenes Bild entstehen kann. Interessanterweise erweisen sich aber die Antworten von Sprechern, die nicht oder nur sehr kurze Zeit zur Schule gegangen sind, als miteinander übereinstimmend93.

3. Beispiele mit prototypischer Verwendung eines Aspekt-/ Tempusmarkers werden schneller von den Sprechern paraphrasiert94.

4. Bei den Kommutationen gilt, daß die Prototypikalität der Aspekt- oder Tempusverwendung abnimmt, wenn die spezifische Semantik vom Kontext weniger verlangt wird. In der Peripherie können also leichter Überschneidungen mit konkurrierenden Formen auftreten, so daß Kommutationen am Rande, bei peripheren Verwendungen, teils nur geringe Sinnänderungen bewirken (vgl. Schrott 1997: 16f.). Beim Prototyp ist die Kommutation schwerer möglich als bei Elementen der Peripherie. Im folgenden Beispiel aus Theodor Storms Schimmelreiter ist z.B. die Antwort 'Sie stirbt' prototypisch für die Kategorie des Präsens95 (gleichzeitig zum hic-et-nunc des Sprechers)96:

"Am Fußende des Bettes kauerte die kleine Wienke und hielt mit der einen Hand sich fest an der ihres Vaters, der daneben stand [...] 'Was macht sie? Was ist das, Vater?' flüsterte sie angstvoll und grub die Fingernägel in ihres Vaters Hand. 'Sie stirbt!' sagte der Deichgraf. 'Stirbt!' wiederholte das Kind und schien in verworrenes Sinnen zu verfallen. [...] Das Kind tat einen tiefen Seufzer und warf die blassen Augen zu ihrem Vater auf: 'Stirbt sie noch immer?' frug es. 'Sie hat es vollbracht!' sagte der Deichgraf und nahm das Kind auf seinen Arm."

93 Vgl. genauer dazu für das Kreol Kapitel V.1.; bei diesen Sprechern schlägt das hohe

Prestige des Französischen weniger zu Buche. Vgl. zur Bewertung von Sprecherurteilen Werner Besch 1983: "Man war und ist zum Teil heute noch geneigt, den Laien-Äußerungen über Sprache wenig Gewicht beizumessen. Sie gelten als subjektiv bestimmt und klischeegeprägt. Das trifft nach unseren Erfahrungen nur sehr bedingt zu, in manchen Fällen überhaupt nicht. Spracherfahrungen berühren den Menschen in seinem innersten Kern. Es steht der Wissenschaft gut an, nicht nur die Sprache selbst, sondern auch die Spracherfahrungen einzelner oder von Gruppen zur Kenntnis zu nehmen [...]". Vgl. auch Rieken 1998: 22.

94 Beispiele mit prototypischer Verwendung eines Aspekt-/ Tempusmarkers werden zwar schneller von den Sprechern paraphrasiert, nicht in jedem Fall aber schneller übersetzt, denn dies kann z.B. dann länger dauern, wenn die Zielsprache die entsprechende Kategorie nicht aufweist.

95 In diesem Zitat liegt allerdings ein nicht prototypisches Verb für dieses Tempus vor. 96 Storm o.J.: 89.

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Eine Ersetzung durch *Sie starb ist nicht möglich, ohne den Sinn stark zu verändern; bei "Viele von Napoleons Soldaten sterben in Rußland" (Peripherie; historisches Präsens) hingegen ist die Kommutation mit dem Präteritum ohne weiteres möglich; die Darstellung wäre vielleicht weniger lebendig, der Sinn aber änderte sich nicht97. Für den oben aufgeführten spanischen Dialog kann als Prototyp erwartungsgemäß der Typ (1) – gleichzeitig zum ego-hic-nunc – vorgeschlagen werden98. Alle peripheren Funktionen ergeben sich aus dem Kontext (z.B. Futur aus 'sale el sábado que viene') oder sind wie im Falle der hohen Regreßpflicht beim Futur durch Kommutation mit anderen Beispielen zu ermitteln. So kann das praesens pro futuro durch ein periphrastisches Futur, das verlebendigende Präsens durch ein Imperfekt, das Beherrschen einer Sache durch das Modalverb 'können' usw. ersetzt werden, ohne daß sich der Sinn stark ändert. Beim Prototypen (Beispiel 1) ist eine Kommutation zugunsten einer anderen Tempusform hingegen schwerlich möglich. Die Verbindungen zwischen den Elementen einer Kategorie sowie die Anordnung von Elementen in relativer Nähe oder Ferne zum Prototyp ergeben sich außer durch Kommutationen und Sprecherbefragungen durch die Bestimmung von Merkmalen. Im Kugelschema "Präsens" symbolisieren die Verbindungslinien zwischen den Elementen einer Kategorie diejenigen Merkmale, die den mit einer Linie verbundenen Elementen gemeinsam sind. Die unterschiedlichen Ebenen weisen auf die verschiedene Nähe zum Prototyp. Es ist ohne Bedeutung, an welchem Ort innerhalb einer Ebene eine Kugel, d.h. eine Funktion, situiert ist. Interessant sind vielmehr die Verbindungen der Kugeln untereinander.

97 Zu den Begriffen Sinn, Bezeichung und Bedeutung vgl. z.B. Coseriu 1979. 98 Beim spanischen Präsens stimmt der Prototyp mit der Erstnennung der meisten

traditionellen Beschreibungen überein; beim Aspekt liegen die Dinge schwieriger, vgl. Kapitel VIII.

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Fassen wir zusammen: Für die Korpusanalyse von Aspekt- und Tempusmarkern wird von einer sog. Basissemantik99 ausgegangen; die Basisbedeutung der Aspekte und Tempora wird hier verstanden als Prototyp, welchem als typischem Vertreter einer Kategorie andere 99 Vgl. zum Begriff 'Basissemantik' beispielsweise Dahl 1985: 9f. Die Leistung dieser

Basissemantik (des Prototyps) ist von der Leistung der Inferenzen zu trennen, welche durch Kontextbedingungen entstehen und damit nicht zur in der jeweiligen Form enkodierten Semantik gehören, etwa wenn ein imperfektiver Aspekt perfektiv verwendet wird.

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Vertreter derselben Kategorie per Ähnlichkeit zugehören. Basisbedeutung wird hier also verstanden im Sinne Douglas Taylors, welcher in seinem Beitrag von 1989 den Ansatz der Prototypensemantik für grammatische Kategorien fruchtbar macht100. Die Grenzziehung zwischen Prototyp und Peripherie erfolgt über Kommutation der Form oder des Kontextes, da Aspekte und Tempora – wie z.B. Heger (1963) betont – als konkurrierende Stellen eines Aspekt-Tempus-Modus-Systems verstehbar werden. Durch das Auffinden paralleler Stellen im Korpus sowie durch Kommutationen und weitere Sprecherbefragungen sollen in den Korpusanalysen die jeweiligen Funktionen im 'Konkurrenzverhalten' deutlich gemacht werden.

100 Vgl. J. Taylor 1995: 173ff., aber auch Kleiber 1990, Blumenthal 1986: 14ff., Borzi

1997: besonders 29-39 und Schrott 1997.

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IV. Theoretische Überlegungen

IV.1 Zur Forschungsdiskussion "Disagreement and lack of consensus are normal among scholars in any academic discipline, and for the most part can be taken as a sign of health and vibrancy in the field. Creole studies are not, and should not be, an exception. Yet creolists sometimes seem to take more than their fair share of delight in disagreement, and appear almost proud of the fact that no two creolists appear to agree on anything, or that sometimes the same creolist disagrees with him/ herself." (Winford 1996: 71)

Bei kreolistischen Aspekt- und Tempus-Arbeiten fällt eine große Diskordanz in der verwendeten Terminologie auf, so daß es sich oft als schwierig erweist, die einzelnen Untersuchungen miteinander zu vergleichen101. Dies ist für die vorliegende Arbeit insofern erschwerend, als das Ziel der Untersuchung außer in der erstmaligen Beschreibung des Verbalsystems von Französisch-Guayana auch in einem Vergleich mit dem System Martiniques und anderer Kreolsprachen besteht. Für diese Sprachbeschreibung sollen nun in der Folge statt der kreolistischen Termini 'anterior tense' oder 'non-punctual aspect' die Bezeichnungen der allgemeinen Sprachwissenschaft wie past perfect und imperfektiver Aspekt Verwendung finden. Dies geschieht einerseits, um Vergleichbarkeit – auch mit Nicht-Kreolsprachen – zu ermöglichen. Andererseits soll nicht a priori von der Prämisse eines eigenen kreolischen Sprachtyps (der anders als soziolinguistisch bestimmt werden könnte, vgl. Ludwig 1997) ausgegangen werden102. Ein dritter Grund ist das Anliegen, Erkenntnisse der Typologie- und der Grammatikalisierungsforschung zu nutzen103. Besonders wird schließlich außer der Romanistik auch die

101 Ähnlich kritisch äußert sich Singler 1990: 70f.: "In about 90 % of the cases [the

terminology] did not match that which was current among non-creolists. For instance, labels like 'anterior' tense [and] 'non-punctual' aspect [...] appear almost exclusively in the creole literature". Bei O'Flynn de Chaves 1990: 122-125 ist anterior das past perfect. Bybee et al. benutzen jedoch für das Perfekt den Terminus anterior (1994: 54f.)101.

102 Vgl. jedoch jüngst McWorther 1998. 103 Vgl. z.B. Bache/ Basbøll/ Lindberg 1994, Binnick 1976, 1991, Bull 1960, Byrne

1993, Closs Traugott 1993, Comrie 1990, Croft 1990, Dressler 1986, Drossard/Haase 1991, Givón 1982, 1984, 1990, Holt 1943, W. Klein 1994,

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Slavistik in das Blickfeld gerückt, weil hier eine sehr alte und auf hohem Niveau geführte wissenschaftliche Diskussion um die Kategorie Aspekt vorliegt104. Viele der für die Kreolistik jungen Diskussionen sind in der Slavistik ähnlich geführt worden, und es liegen Ergebnisse vor, die für die kreolistische Debatte von Interesse sind. Zudem ist es interessant zu beobachten, daß russische (und nicht französische!) Muttersprachler bei der Produktion vorgegebener Textmuster ähnliche Strukturen produzierten wie Frankokreolsprecher. Diese Kongruenzen gehen über das Zufällige hinaus, da ähnliche Kategorien grammatikalisiert sind. Daher soll das Russische zur Hilfe genommen werden, das ebenso wie die Kreolsprachen eine deutlich stärkere aspektuelle Prägung hat als die meisten romanischen Sprachen105. Daher werden die folgenden Ausführungen mit dem Russischen beginnen (Kap. IV.2.). Die Abgrenzung zwischen Tempus, Aspekt (und Aktionsart) fällt nicht leicht. Da aber im Sinne eines Vergleichs bestimmt werden soll, ob eine Sprache primär Tempus oder primär Aspekt ausdrückt, müssen die Kategorien im Sinne von Arbeitsdefinitionen deutlich voneinander geschieden werden. Nur dann können eventuelle (diachronische) Wechsel – beispielsweise von Aspekt zu Tempus – aufgezeigt werden106. Stärker als für Tempus weist die Literatur für die Aspektdefinition große Unterschiede auf. Die Grunddefinitionen für Aspekt sind nur auf den ersten Blick ungefähr gleich107:

Kortmann 1991, Ludwig 1996, Maslov 1978, 1984, 1985, Matthews 1991, Raible 1990a, 1992, 1996a, 1996b, C. Smith 1991, Thieroff 1994, Zeller 1994.

104 Agrell 1908, Aitzetmüller 1991, Avilova 1976, Bondarko 1971a , 1971b, 1990, 1995, Forsyth 1970, Isačenko 1962, 1967, Jakobson 1957, Koschmieder 1928, V. Lehmann 1984, 1992, Lomonosov 1764, Ludolf 1696, C. Smith 1991, Stegu 1985, Thelin 1990, Vater 1808, Veyrenc 1968a, Vinogradov 1947, Włodarczyk 1997.

105 Das mit slavischen Sprachen in Kontakt stehenden Istro-Rumänischen und diejenigen lateinamerikanischen Varietäten des Spanischen, welche mit indianischen Sprachen wie z.B. dem Quechua (z.B. in den Regionen Puno in Peru oder Cochabamba in Bolivien), dem Aymara (Nord-West-Bolivien) oder dem Guaraní (Ostbolivien, Uruguay) in Kontakt stehen, weisen hingegen ein Aspektsystem auf. Vgl. Granda 1995: 345: "[En español], del mismo modo que en el resto de las lenguas románicas, salvo alguna curiosa excepción [das Istro-Rumänische], la categoría de aspecto no tiene expresión explícita propia en el paradigma verbal sino que se marca en él de modo simultáneo a los valores de tiempo y modo [...]".

106 Diese Wechsel können sich allerdings gerade aus den Affinitäten zwischen den einzelnen Kategorien ergeben.

107 Hier zitiert nach Włodarczyk 1997: 135; meine Hervorhebungen. Vgl. auch Vinogradov 1947/ 1972: 391: "L'opinion la plus généralement répandue est que

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Les aspects sont les manières diverses de concevoir l'écoulement du procès même. (Holt 1943: 6)

L'aspect est une modalité qui exprime la manière dont se déroule le procès. (Golian 1977: 106, hier zit. nach Włodarczyk)

L'aspect est une catégorie grammaticale qui exprime la représentation que se fait le sujet parlant du procès exprimé par le verbe: durée [...] déroulement [...] achèvement [...]. (Cohen 1989: 21)

Le temps et l'aspect des verbes sont deux catégories grammaticales qui se réfèrent à la notion extra-linguistique du temps. Mais si le temps verbal fonctionne comme une sorte de déictique (il situe le procès de l'énoncé par rapport au procès de l'énonciation), l'aspect, en revanche, est déterminé par la représentation que se fait le sujet parlant de la manière dont se déroule dans le temps réel le procès exprimé par le verbe. (Włodarczyk 1997: 136)

Die Definitionen sind einander sehr ähnlich; allein die letzte betont noch einmal explizit den Bezug zur Zeit. Doch wenn diese allgemeine Definition für Aspekt einmütig zugelassen wird, so deshalb, weil sie recht vage bleibt. Zumindest drei Fragen bleiben in den zitierten Definitionen unbeantwortet:

- Wie ist die Rolle des sujet parlant genau zu bestimmen?

- Was ist präzise unter dem déroulement dans le temps zu verstehen?

- Wie viele und welche Unterkategorien sind anzunehmen, und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander?

Diese drei Fragen sind in den verschiedenen Untersuchungen sehr unterschiedlich beantwortet worden; gerade die dritte Frage hat viele Lösungsansätze hervorgebracht, von denen einige im folgenden Schema zusammengestellt sind108:

l'aspect est une catégorie grammaticale, sinon universelle, du moins propre à de nombreuses langues, et que sa principale particularité dans les langues slaves réside non dans son contenu sémantique, mais dans ses moyens d'expression. [...] C'est pourquoi la plupart des travaux sur l'aspect slave admettent tous pour point de départ [...] une définition de l'aspect mise au point dans les études indo-européennes et considerée comme un concept de linguistique générale [...]. En ce qui concerne la définition générale de la catégorie de l'aspect, il n'y a pas eu de divergences de vue ni entre les différents spécialistes du russe eux-mêmes, ni entre ces derniers et les linguistes d'Europe occidentale".

108 Für diese Zusammenstellung vgl. die Arbeiten, die in den Fußnoten dieses Kapitels aufgeführt werden.

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ÜBERSICHT VON MERKMALEN FÜR

PERFEKTIV: IMPERFEKTIV:

Totalität Prozessualität und Habitualität

Erreichen einer inneren abstrakten Grenze Streben nach einer Grenze

zeitlich begrenzt unbegrenzt, Tatsache an sich

Punkt Linie/ Ausdehnung/ Dauer

Iteration begrenzt Iteration unbegrenzt

Inzidenzsekante Inzidenzbasis

Vordergrund Hintergrund

Das Schema zeigt eine Vielfalt von Begriffspaaren; der Übereinstimmung in der Grunddefinition steht also eine große Diversität bei der genaueren Bestimmung der Unterkategorien gegenüber. In der Forschung ist als ein Ausweg aus dem Dilemma die Anpassung der Kategorien an die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Analysen vorgenommen worden (vgl. Cohen 1989, O'Flynn de Chaves 1990: besonders 122-144). Dieser Weg führt jedoch zu einer kaum möglichen Nachvollziehbarkeit der jeweiligen Untersuchung, da je nach sprachlichem Material ganz unterschiedliche Begriffe verwendet werden; zusätzlich wird dasselbe Phänomen einmal als durativ, einmal als kontinuativ, wieder einmal als progressiv bezeichnet. Ein zweiter Weg beläßt es bei der Grunddefinition, um jeglichen Streit zu umgehen. Doch besteht hier die Gefahr einer zu großen Vagheit. So wird etwa bei Bybee et al. 1994 nicht deutlich, wie der imperfektive Aspekt genau vom Präsens abzugrenzen ist, da er zwar im Text als nicht-deiktisch, in den Definitionen des Anhangs aber mit Bezug zum hic-et-nunc beschrieben wird. Ein dritter Weg ist der Verzicht auf die aspektuelle Terminologie zugunsten einer räumlichen (Basis und Sekante bei Pollak 1988; Nähe und Ferne bei Paul Larreya 1996, persönliche Mitteilung); doch ist die räumliche Terminologie nur für einen Teil der Beispiele nutzbar und wird deshalb hier nicht weiterentwickelt. Ein vierter Lösungsansatz besteht in der Ablehnung der Kategorie Aspekt zur Beschreibung bestimmter Einzelsprachen. Als Forscher, der jegliche

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Relevanz der Aspektlehre für die romanistische Sprachwissenschaft leugnet, wird Harald Weinrich 1964 zitiert109:

Die Aspektlehre ist, wenigstens in der romanistischen Sprachwissenschaft, ein Irrtum und ein Irrweg. (Weinrich 1964: 155) 110

Dieses Zitat ist dem Aspekt-Kapitel der ersten Ausgabe entnommen; da es in den folgenden Auflagen 1971ff. fehlt, wird das Tempusbuch hier in der Erstauflage von 1964 zitiert. Das genannte Zitat ist innerhalb des Textzusammenhanges weniger pointiert; Weinrich geht es hier um seine sich von Wolfgang Pollaks aspektueller Interpretation des Inzidenzschemas (Pollak 1960 und 1988: 107ff.) absetzende Deutung der Beziehung passé simple/ composé vs. imparfait in bezug auf die Dichotomie 'besprochene' vs. 'erzählte' Welt111:

Die Aspektlehre ist, wenigstens in der romanistischen Sprachwissenschaft, ein Irrtum und ein Irrweg. Sie ist genauso falsch wie die Zeitlehre.112

Dazu gehört an erster Stelle, daß Weinrich (in etwas provokativer Weise) von der Prämisse ausgeht, daß Tempus nichts mit Zeit zu tun habe. Stimmt man dieser Annahme zu, muß man wohl in der Tat mit dem Autor formulieren, die gesamte bisherige 'Zeitlehre' der Romanistik sei "falsch".

109 Vgl. zu Tempus im Französischen: Berthonneau/ Kleiber 1993, Blumenthal 1986,

Both-Diez 1985, Boyer 1985, Christmann 1968, Confais 1990, J. Dietrich 1972, Helland 1993, B. Lorenz 1989, S. Lorenz 1989, Lorenz-Bourjot/ Schecker-Lami 1997, Touratier 1992, Vet 1980, Vetters 1993a, 1993b, Vikner 1985, Wunderli 1976. Zu Aspekt im Französischen: Cellier 1985 (mit einem Vergleich zwischen Kreol und Regionalfranzösisch), Coseriu 1976, 1980 (Tempus und Aspekt, mit einer spezifischen Verwendung der Begriffe 'Schau' und 'Phase'), Dauses 1981, David/ Martin 1980, W. Dietrich 1973, Engel 1990, Golian 1979, Greive 1992, Heger 1963, 1967, Hilty 1965, Imbs 1960, Kunert 1984 (mit einem Vergleich zwischen Französisch und Russisch), Manessy 1994, Martin 1971, Pollak 1960, 1968, 1988, Pottier 1980, I. Roberts 1993 (mit einem Vergleich Französisch-Englisch), P. A. Roberts 1971, Stegu 1991 (auf Coseriu aufbauend).

110 Die Tatsache, daß zwei auf den ersten Blick und nach Aussage ihrer Autoren so gegensätzliche Interpretationen der Opposition französischer Vergangenheitstempora seit 1960 in Form eines wissenschaftlichen 'Schlagabtausches' nebeneinander bestehen, mag auf die für die folgende Analyse wesentliche Schwierigkeit verweisen, daß der Aspekt im Französischen keine spezifische flexionelle Markie-rung aufzuweisen scheint, während er im Slavischen grammatikalisiert ist.. Es ging Weinrich hier ganz wesentlich um einen textuellen Ansatz (Pollak argumentiert hingegen meist auf der Satzebene).

111 Vgl. die Diskussion bei Berchem 1968, Berthonneau/ Kleiber 1993, Hilty 1965, Vet 1980 und Vetters 1992.

112 Weinrich 1964; allerdings greift der Autor später in seiner Textgrammatik des Französischen ein Inzidenzmodell im Sinne Pollaks auf (Weinrich 1983).

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Mir scheint es also eher um eine Provokation zu gehen, mit dem Ziel, Tempus nicht von zeitlicher Situierung aus zu erklären, sondern allein auf zwei Grundhaltungen in der Sprechsituation fußend, dem BESPRECHEN und dem ERZÄHLEN.

Während die Kategorie Aspekt (im Vergleich zum Tempus) als traditionell weniger bedeutsam für die Beschreibung etwa des Französischen gelten kann, nimmt sie in der Beschreibung der Kreolsprachen die prominentere Rolle ein. Doch weder in der Kreolistik noch in der Typologieforschung der letzten Jahre (Singler 1990, Bybee/ Dahl 1989, Bybee/ Perkins/ Pagliuca 1994) wurden bisher die Ergebnisse der wissenschaftlichen Diskussion in der Slavistik in die Überlegungen miteinbezogen (siehe jedoch Comrie, Maslov). Betrachtet man nun die besonders in Rußland geführte Diskussion, so finden sich dort (wie oben bereits angedeutet) ähnliche zentrale 'Streitpunkte' wie in der Kreolistik. Daher sollen in der Folge einzelne Blicke in die slavistische (zumeist um die Einzelsprache Russisch geführte) Diskussion dazu helfen, die jüngeren Beiträge der Kreolistik bzw. der Typologieforschung klarer zu akzentuieren und im Hinblick auf die Analysen im folgenden Kapitel ein außereinzelsprachliches Analyseraster zu erstellen. Zunächst soll jedoch die Kategorie Aspekt im Russischen knapp beschrieben werden.

IV.2. Aspekt im Russischen Das russische Verbum weist eine recht durchsichtige Struktur auf, wenn man in Rechnung stellt, daß es nur zwei Reihen von Tempusformen zeigt, in der ersten Reihe auf drei Zeitstufen (pisal ich schrieb; pišu ich schreibe; budu pisat' ich werde schreiben), in der zweiten Reihe nur für zwei Zeitstufen (napisal ich schrieb; napišu ich werde schreiben). Diese Struktur ist um so einfacher, wenn man mit dem Französischen vergleicht: j'avais écrit, j'écrivis, j'écrivais, j'ai écrit, j'écris, je vais écrire, j'écrirai, j'aurai écrit etc.113 Auf der anderen Seite besitzt das Russische eine Komplexität, die dem Französischen fremd ist, da es allgemein gesprochen zwei parallele "sets of verbforms" (Forsyth 1970: 1) gibt, die eine identische lexikalische Bedeutung tragen, d.h. auch derselben Aktionsart

113 Die folgende Darstellung bezieht sich im wesentlichen auf Forsyth 1970: 1ff. Vgl. zu

den romanischen Sprachen Coseriu 1976.

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angehören114; diese parallelen Verbsets oder Verbpaare unterscheiden sich in ihrer aspektuellen Ausrichtung. Zu jedem Verb werden zwei Partner, ein imperfektiver und ein perfektiver, unterschieden. Man spricht daher z.B. von dem Verb (oder Verbpaar) pisat'/ napisat'115, wobei es der Konvention entspricht, an erster Stelle den imperfektiven, an zweiter Stelle den perfektiven Partner zu nennen. Wird nur einer der beiden Partner im Text genannt, wird ein hochgestelltes i oder p notiert, um den Aspekt zu verdeutlichen, also etwa: pisat'i. Wann immer ein russischer Sprecher auf eine Handlung referieren will, die im Französischen mit dem Verb écrire wiedergegeben würde, so muß er eine der beiden Formen pisat'/ napisat' wählen. Diese Wahlmöglichkeit ist in ähnlicher Weise in allen slavischen Sprachen, nicht aber im Französischen, Englischen oder Deutschen gegeben, so daß die Kategorie Aspekt als der schwierigste Schritt beim Erlernen des Russischen bei nichtslavischer Muttersprache gehandelt wird116. Die Schwierigkeit erhöht sich noch durch die subjektive Ausformung der Wahl durch den jeweiligen Sprecher, so daß beklagt wird, der russische Verbalaspekt sei "a mystery which no non-Slav can hope to master, since it seems capricious and dependent upon the 'subjective choice' of the Russian speaker or writer" (Forsyth 1970: 2)117. Die Freiheit der subjektiven Wahl 114 Aktionsart wird im Sinne E. Werners als Sem am Verb verstanden, siehe unten in

diesem Kapitel. Ob diese beiden Verbformen als zwei verschiedene Verben aufzufassen sind, ist viel diskutiert worden, vgl. Maslov 1959: 167-172. Dies soll hier nicht vertieft werden, da es um ein morphosyntaktisches Problem des Russischen geht.

115 Der Apostroph bezeichnet den palatalisierten Charakter des vorstehenden Konsonanten. Anders als das Französische kennt das Russische also bei jedem Verb eine Doppelform; anders gesagt, weist der Infinitiv zwei Stämme auf, einen vollendeten/ perfektiven (p) und einen unvollendeten/ imperfektiven (i) Stamm, z.B. pisat' (i), napisat' (p) – 'schreiben'; stroit' (i), postroit' (p) - 'bauen'. Man spricht hier von Aspektpartnern ein und desselben Verbums. Nicht jedes Verb verfügt jedoch über beide Partner; in diesem Fall spricht man von Aspektdefektivität, da das betreffende Verb entweder nur den perfektiven oder nur den imperfektiven Aspekt ausdrücken kann. Es sind allerdings auch solche Verben zu verzeichnen, bei denen eine Form beide Aspekte auszudrücken vermag.

116 Vgl. Mulisch 1993. 117 Dies könnte man statt durch ein Mysterium auch durch die Tatsache erklären, daß es

sich um ein Beispiel dafür handelt, daß die Grammatik der L2 weiter differenziert ist als diejenige der L1. Mit anderen Worten handelt es sich für den Sprecher mit Deutsch als L1 um ein ihm kaum als Grammatik bekanntes Phänomen; lexikalisch sind aspektuelle Züge auch im Deutschen ausdrückbar. Ähnliche Schwierigkeiten des Nachvollzugs der Entscheidung für die eine oder andere Form sind auch beim Erwerb des Französischen für die Wahl zwischen passé simple/ passé composé und

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ist insofern nicht überzubewerten, als eine systematische Unterscheidung zugrunde liegt, vgl. die folgende Übersicht nach Mulisch (1993: 191):

Tempus Aspekt imperfektiv perfektiv

Präteritum imperfektives Präteritum perfektives Präteritum

Präsens imperfektives Präsens ----

Futur imperfektives Futur perfektives Futur

Im Russischen ermöglichen die Aspekte es118, "die Handlung-Zeit-Beziehungen im Rahmen der drei Zeitstufen differenzierter [...] auszudrücken". Verben des imperfektiven Aspekts drücken aus, daß eine Handlung "als nicht abgeschlossen und als zeitlich unbegrenzt betrachtet wird. Im Blickfeld des Sprechers/ Schreibers liegt die Handlung in ihrem Verlauf, ihrer Fortdauer bzw. ihrer Wiederholung (gewohnheitsmäßig oder nicht gewohnheitsmäßig) und nicht in ihrer Ganzheit. Die Betrachtung bezieht sich auf alle drei Zeitstufen (Präsens, Präteritum und Futur)". Verben des perfektiven Aspekts drücken im Unterschied zum imperfektiven Aspekt die Handlung als "begrenztes, unteilbares, abgeschlossenes Ganzes aus, d.h., der Sprecher/ Schreiber betrachtet die Handlung [...] nicht unter dem Gesichtspunkt der einzelnen Handlungsphasen (Anfang, Verlauf und Ende/ Abschluß), sondern nur als (ab)geschlossenes unteilbares Ganzes. Die Handlung liegt in der Vergangenheit bzw. Zukunft und ist zum Zeitpunkt der Äußerung bereits abgeschlossen (Präteritum) bzw. wird als abgeschlossen gedacht (Zukunft)". Am Beispiel des Russischen ist oben gezeigt worden, daß der Sprecher einem Sachverhalt eine bedingt subjektive Form der Darstellung geben kann, je nachdem, wie die darzustellende Aktion 'geschaut' werden soll. Diese aspektuelle Schau steht – trotz naheliegender Affinitäten des imperfektiven Aspekts zur Gegenwart und des perfektiven Aspekts zur Vergangenheit -nicht mit einer Zeitstufe im Zusammenhang. Es bleibt nun zu klären, inwieweit die aspektuelle Schau an die Sprecherorigo angebunden ist.

imparfait bekannt. Auch diese Opposition wird oft aspektuell gedeutet, besteht aber anders als im Russischen nur auf der Zeitstufe der Vergangenheit.

118 Die folgenden Definitionen sind Kohls et al. 1989: 86-88 entnommen.

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IV.3. Subjektivität, Schau und Deixis bei Aspekt und Tempus

"Ich hoffe immer noch, daß gestern besser wird."119

Während die Forschung sich recht einhellig auf Tempus als deiktische Kategorie bezieht (z.B. Comrie 1976, Sacker 1983: 239, Cohen 1989: 92 und Herweg 1990: 314), sind zur Charakterisierung des Aspekts als deiktisch oder nicht-deiktisch grundlegende Unterschiede in den einzelnen Darstellungen zu konstatieren. Die Referenz zu einem Sprecher, der ein Ereignis in spezifischer Weise betrachten kann, scheint zwar auf den ersten Blick vorhanden zu sein; dennoch schließen Comrie (1976) und später Dahl (1985: 25) das Subjekt wieder aus, verstehen folglich Aspekt (im Gegensatz zum Tempus) als nicht-deiktisch. Schon Frei kann in diesem Sinne interpretiert werden, wenn er vom Tempus als temps subjectif, von Aspekt aber als temps objectif spricht; hier heißt 'objektiv', daß der Sprecher beim Aspekt nicht die Möglichkeit habe, seiner individuellen Darstellungabsicht Ausdruck zu verleihen120. Das folgende Beispiel aus dem Russischen macht deutlich, daß es sich bei Aspekt nicht um eine definitorische Kategorie handeln kann, da der Sprecher mit der Wahl des einen oder anderen Aspektes einer bestimmten Art von Schau auf die Handlung Ausdruck geben kann (vgl. Forsyth 1970: 2, 10, 357): Die folgenden russischen Beispiele (1) und (2) werden im Französischen ohne Unterschied übersetzt: la mère a cousu la robe.

(1) Kto cil tebe eto plate? Moja mat ' cila ego. qui i /coudre/PAST te cette robe ma mère i/coudre/PAST/F la

«Qui t'a cousu cette robe? Ma mère l'a cousue.» (imperfektiver Aspekt)

(2) Kto šcil tebe eto plate? Moja mat ' šcila ego. qui p/coudre/PAST te cette robe ma mère p/coudre/PAST/F la

«Qui t'a cousu cette robe? Ma mère l'a cousue.» (perfektiver Aspekt)121

119 Linus, in: Charles M. Schulz (o.J.): Charlie Brown und seine Freunde. 120 Hier zit. n. Coseriu 1976: 85ff. Die Kontrastierung wird allerdings im Original im

Text (welcher der zitierten Stelle nachfolgt) relativiert. Eine entschiedene Betonung der Objektivität von Aspekt findet sich bei K. Brugmann: Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen, Straßburg: "[Aspekt bezeichnet] die Handlung so, wie sie geschieht", hier zit. n. Cohen 1989: 35.

121 Beispiel in Anlehnung an Kohls et al. 1989: 105.

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Die in der jeweiligen Antwort verwendete Aspektform scheint in den Beispielen (1) und (2) durch die Frage vorbestimmt zu sein. Wenn der fragende Sprecher sich nun weniger für die Handlung <nähen> interessiert, sondern vor allem das Resultat der Handlung, d.h. das (schöne) Kleid, betrachten möchte, wählt er den perfektiven Aspekt (2). Wenn es ihm aber um das Nähen und die Ausführende der Handlung geht, wählt er den imperfektiven Aspekt (1). Auch bei Tempus scheint es eine Form der Subjektivität zu geben. So könnte man jedenfalls den auf den ersten Blick unangemessenen Gebrauch der Tempora im jeweils zweiten Satz anhand der folgenden Beispiele deuten122:

(3a) Do you know where John is? Well, he was in the garden.

(3b) Then these figures were multiplied. The result was ninety-four.

(3c) They found John in the bathtub. He was dead.

Allen drei Beispielen ist gemeinsam, daß das im jeweils zweiten Satz verwendete Präteritum unangemessen wirkt. Im ersten Beispiel ist ja danach gefragt, wo sich der Gesuchte gerade im Moment des Fragens aufhält; so erscheint es wenig kooperativ, Angaben darüber zu machen, wo John früher einmal gesehen wurde: he was in the garden123. Dennoch ist die Tempusform in einem näher zu spezifizierenden pragmatischen Kontext durchaus legitim, weil präsupponiert wird, daß nur zu einem vor dem Sprechzeitpunkt S liegenden Zeitraum eine Aussage gemacht werden kann (deren Gültigkeit ja eventuell bis zu S andauert). Ähnlich im zweiten Beispiel: Da das Produkt aus z.B. sieben mal sieben (bislang) stets 49 ergibt, würde ein Präsens typischerweise diese Zeitlosigkeit ausdrücken. Wenn hier ein Vergangenheitstempus gewählt wird, so vermutlich124, weil auf einen bestimmten vergangenen Zeitraum referiert wird, in welchem das mathematische Ergebnis (etwa im Schulunterricht) aktualisiert wurde; genau dazu möchte der Sprecher eine Aussage machen, nicht zu der mathematischen 'Tatsache' an sich. Schließlich ist der in der Badewanne aufgefundene Zeitgenosse sehr wahrscheinlich auch zum Sprechzeitpunkt noch in leblosem Zustand, dennoch steht hier was dead, weil der Sprecher auf die Zeit des Auffindens referiert.

122 Beispiele nach W. Klein 1994: 21-23; meine Hervorhebungen. 123 Es kann allerdings im gegebenen Fall durchaus hilfreich sein zu wissen, wo der

Gesuchte zuletzt gesehen wurde. 124 Klein bleibt leider den Kontext der Äußerungen schuldig.

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Die Subjektivität des Tempus verweist somit auf die Möglichkeit des Sprechers, ein Ereignis zum hic et nunc der Äußerung in Beziehung zu setzen, indem auf eine wählbare Referenzzeit zurückgegriffen wird. Dieser Beobachtung trägt das Reichenbachsche Modell Rechnung. Drei Zeitpunkte werden in der Theorie von Reichenbach (1947) unterschieden, welche seitdem oft aufgegriffen wurden: Es sind dies R point of reference, S point of speech, E point of event. Zu dieser Trias äußert Reichenbach (1947: 289f.): "We see that we need three time points even for the distinction of tenses which, in a superficial consideration, seem to concern only two time points. The difficulties which grammar books have in explaining the meanings of the different tenses originate from the fact that they do not recognize the threeplace structure of the tenses". Der Referenzpunkt ist es, der die Tempora eindeutig zu bestimmen hilft; er ist im Kontext gegeben und ändert sich beständig. So kommt Reichenbach zu einem Schema, das auf die Reihenfolge und Nähe/ Distanz der drei Zeitpunkte aufbaut125. Die Kommata bezeichnen Zusammenfall, die Unterstriche Distanz:

PRS: I see John S,R,E

FUT: I shall see John S,R_E

PAST I saw John R,E_S

FUT-PRF: I shall have seen John S_E_R

PAST-PRF: I had seen John E_R_S

PRS-PRF I have seen John E_S,R

Die Distanz wird in der Reichenbach nachfolgenden Forschung zumeist deiktisch definiert126: In der Kommunikationssituation können die

125 Dieses Schema wird auch vom textuell geprägten Ansatz Kamp/ Rohrer 1983

aufgenommen, siehe auch Michaelis 1993, Ludwig 1996, Muysken 1981. 126 Für das Französische vertritt jedoch in jüngerer Zeit Helland 1994: 199 eine

gegenteilige Hypothese, der im Unterschied etwa zu Schrott 1997 und Sundell 1991: 21 die von ihm untersuchten französischen Futura als nicht-deiktisch klassifiziert. Das von Schrott kritisch beleuchtete Beispiel, das oben bereits erläuterte "They found John in the bathtub. He was dead" wertet die Autorin als Kleinsches Argument "gegen die deiktische Natur der Tempora" (1997: 21), da hier keine korrekten deiktischen Zeitreferenten zugeordnet würden; Klein aber spricht sich in seinem Buch durchaus für den von ihm in der Tat sehr kritisch gesehenen Terminus Deixis aus, gewissermaßen faute de mieux: "I cannot see a straight forward way to replace it [i.e. deixis] by a better one" (1994: 67). Klein 1994: 22 geht es mit dem erwähnten Beispiel m.E. jedoch um etwas anderes: Er will die hohe Bedeutung der Referenzzeit R betonen und im Vergleich zum Reichenbachschen Modell aufwerten;

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Handlungen oder Zustände auf einer Zeitachse situiert werden, und dies ausgehend von der Sprecherorigo (ich-hier-jetzt, Bühler 1934). Die zu situierenden Aktionen können dann gleich-, vor- oder nachzeitig zu dieser origo verstanden werden127. Nur wenige Forscher gehen wie Heger davon aus, daß das gerade beschriebene deiktische Situieren auch für Aspekt gilt. Der Vorteil bei Hegers Ansatz besteht darin, daß Tempus und Aspekt auf einem Niveau anzusiedeln sind, d.h. beide innerhalb der Bühlerschen Dichotomie dem Zeigfeld zugeordnet werden können, um sie von der definitorischen Aktionsart scharf abzugrenzen. Denn wenn Comrie (1976) im Sinne der Mehrheit der Forschung den Aspekt mit Bühlers Begriff als subjektsentbunden versteht, so u.a. deshalb, weil er die definitorisch auf-zufassende Kategorie Aktionsart unter den Aspektbegriff subsumiert128. In der Tat scheint es auf den ersten Blick nachvollziehbar, aufblühen/ verblühen (Aktionsart) und am Blühen sein (Aspekt)129 in eine einzige Kategorie zu ordnen. In allen Fällen werden Phasen einer Handlung bezeichnet. Schaut man jedoch genauer, so wird klar, daß bei aufblühen/ verblühen die inchoative bzw. egressive Phase Teil der lexikalischen Verbbedeutung ist, während bei am Blühen sein eine Sicht auf die Dinge zusätzlich gegeben wird, d.h. je nach Wahl des Sprechers auch nicht ausgedrückt werden könnte: blühen. In der vorliegenden Analyse sollen

er spricht daher statt von der Referenzzeit von topic time, einer Zeit, über welche der Sprecher eine Aussage machen will.

127 Siehe auch Michaelis (1993: 9f.): "Lorsqu'il s'agit de représenter une action, l'énonciateur a le choix entre deux perpectives: se placer à l'intérieur même de l'action, qui est ainsi vue de l'intérieur [imperfektiver Aspekt], ou bien considérer l'action à décrire de l'extérieur et la saisir comme un tout, quelque chose d'accompli [perfektiver Aspekt]". Diese Sichtweisen sind es, die Comrie 1986 als "different ways of viewing the internal constituency of a situation" beschreibt. Es handelt sich also um eine subjektiv konstituierbare Dichotomie (vgl. auch Hilty 1965: 289). Deiktisch wird bei Heger 1967: 552ff. und bei Raible 1990a nicht nur Tempus, sondern auch Aspekt verstanden. Nur Tempus, nicht aber Aspekt als deiktisch fassen hingegen Klein 1974: 77, Comrie 1981: 5ff., Bybee/ Dahl 1989.

128 Vgl. Comrie 1976: 6, Anm. 4. Zu einem ähnlichen Erklärungsversuch siehe Herweg 1990: 32. Mitchell möchte die Aktionsart nicht als eigene Kategorie gelten lassen, da sie teuflische Verwirrung stifte: "The whole conceptual area of Aspect is [...] bedevilled by the notion and term of Aktionsart" (1979: 159, hier zit. n. Kortmann 1991: 9; meine Unterstreichung).

129 Es handelt sich um eine diastratisch, diaphasisch und diatopisch markierte Form.

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Aspekt und Aktionsart als getrennte Kategorien verstanden werden, um Interaktionen zwischen beiden Kategorien zeigen zu können130. Raible greift die Definitionen von Herrmann und Heger auf, um – ebenfalls unter der Prämisse der Deixis auch bei Aspekt – zu folgender Abgrenzung von Tempus und Aspekt zu kommen: "Tenses refer to the temporal relation holding between the speech event and the represented event, aspect locates the speech event with respect to the narrated event". In diesem Sinn sei nach Heger Aspekt folglich ebenso wie Tempus eine deiktische Kategorie. Es gehe hier allerdings mit Bühler nicht um eine originale Deixis, bei der sich der Ausgangsort der Betrachtung und die gezeigte Wirklichkeit im Blickfeld der Kommunikation befinden, sondern um eine Deixis am Phantasma 131: "Das isolierte Wort jetzt zeigt wie das hier seinen Stellenwert selbst an, wenn es ausgesprochen wird. [...] Und genauso wie das hier kann auch das jetzt im Phantasma an eine beliebige Stelle versetzt werden" (Bühler 1982: 132). Beim Aspekt schaue der Sprecher folglich nicht von seinem hier-und-jetzt auf die Handlung, sondern er versetze sich in den Bereich der Handlung, um in einer bestimmten Weise auf sie zu zeigen. Tempus und Aspekt werden von Heger folglich als deiktisch aufgefaßt, allerdings mit dem Unterschied, daß Aspekt der phantasmatischen Deixis zuzuordnen sei. Dagegen sind zwei Bedenken anzumelden. Zum einen: Wenn nicht mehr von originalem S, sondern von kopiertem S aus 'gezeigt' werden soll, ist dies noch Deixis? Zum anderen: Ist das phantasmatische, also abwesend erinnerte Zeigen wirklich spezifisch für Aspekt oder nicht auch bei Tempus vorhanden? Bezüglich des ersten Einwandes soll auf Lyons' Deixisbegriff zurückgegriffen werden. Deixis leistet mit Lyons (1977, vol. II: 249) die Bestimmung von Personen und Dingen, aber auch von Handlungen, über die gesprochen wird "in Relation zum zeitlich-räumlichen Kontext, der durch den Äußerungsakt und die Teilnahme von üblicherweise einem 130 Vgl. etwa Michaelis (1993: 11f.): "En effet, le problème devient très épineux dès que

l'on se sert, comme Heger, de l'axe temporel pour fournir une définition de l'aspect. L'aspect considéré comme catégorie temporo-déictique, si catégorie temporo-déictique il y a, se situe sur un tout autre plan que la déixis temporelle des repérages temporels. A notre avis, les deux perspectives différentes [Innen- oder Außenbetrachtung] reposent avant tout sur la déixis axée sur l'instance du MOI et sur une déixis locale soi-disant 'décalée' dans le sens d'un changement de position".

131 Die Deixis am Phantasma ist personal zu verstehen, denn Erzähler und Leser orientieren sich in der Fiktion der Äußerung, da diese Zeigefunktion im Bereich der konstruktiven Phantasie und des abwesend Erinnerten zu situieren ist (Bühler 1982: 124); siehe auch Hüllens Darstellung der Deixis (1985: 62). Zur Kritik an der phantasmatischen Deixis-Konzeption vgl. z.B. Weinrich 1976.

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Sprecher und wenigstens einem Adressaten entsteht"132. Im engeren Sinne des Terminus werden unter Deixis nur solche Ausdrücke gefaßt, die eine Zeigefunktion, d.h. die einen von ihrer Bedeutung nicht zu trennenden Bezug zum Ort oder zum Zeitpunkt des Sprechens aufweisen. Dieser Bezug aber ist gerade nicht mehr gegeben, wenn S kopiert gedacht wird, so daß im Sinne der Lyonsschen Definition Aspekt nicht als deiktisch eingestuft würde. Zu dem zweiten Einwand könnte angemerkt werden, daß auch bei Tempus eine phantasmatische Verschiebung als eine mögliche Deutung denkbar ist, wenn z.B. ein Kind eine Notlüge findet: Klar Papa, habe ich gemacht – etwa bezogen auf Hausaufgaben. Die Aufgaben sind zwar zum Sprechzeitpunkt noch nicht angefertigt, aber aus der vorgestellten zukünftigen Warte schon erledigt; der Vater hat in diesem Sinne lediglich zu früh nachgefragt. In analoger Weise könnten auch Futurformen gedeutet werden, welche strenggenommen keine Nachzeitigkeitsbedeutung haben, wie etwa das futur historique (Begriff nach Schrott 1997) im folgenden Beispiel aus dem Nouvel Observateur (1387, 48)133:

(4) Le 14 mars 1990, Philippe Delnatte, un apprenti pâtissier de 20 ans, passe aux aveux dans un commissariat de Roubaix: il a poignardé le père de sa petite amie avec un couteau de cuisine. Il sera condamné à cinq ans de prison. L'équipe de télévision de Daniel Karlin et Tony Laine [...] va filmer cette affaire criminelle du début à la fin, de la garde à vue jusqu'au procès d'assises. Une première en France. Le document de Karlin-Laine sera diffusé sur la Cinq les 12 et 19 juin, à 20 h 50.

Der Autor der Filmkritik kennt den Film, versetzt sich an einen gewählten Moment des Drehbuches – mit anderen Worten: er verschiebt seine hier-jetzt-origo auf den Punkt134, da der Mord bereits geschehen ist (a poignardé), der Täter aussagt (passe aux aveux) und erst noch verurteilt werden wird (sera condamné). Das kann der Kritiker so formulieren, weil er schon das vollständige Drehbuch oder den Film kennt. Eigentlich sind vom Schreibzeitpunkt aus alle drei Handlungen bereits vergangen und nur die Ausstrahlung des Films zukünftig, die ja auch im futur wiedergegeben wird. Dieses futur (sera diffusé) hat also eine andere origo als das futur sera condamné, das sera diffusé weist eine nicht verschobene origo auf – den Schreibzeitpunkt.

132 Vgl. Schnelle 1996: 615. 133 Beispiel zit. n. Schrott 1997: 20. Man könnte von hier auch einen Beleg im imparfait

de politesse sehen: je voulais vous demander, s.o. 134 Man könnte allerdings auch zwei Ebenen des hic-et-nunc unterscheiden.

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Das Phantasma für Tempora soll nun an dem eingangs zitierten Satz aus Charles M. Schulz weiter erläutert werden:

(5) Ich hoffe immer noch, daß gestern besser wird.

Dies klingt zunächst wie ein nur bedingt akzeptabler Satz des Deutschen. Der stets melancholische Linus aber gibt hier einem für ihn klaren Sachverhalt angemessenen sprachlichen Ausdruck. Das scheinbare Paradox entsteht durch die komplexe Zeitlichkeit der Aussage: Das präsentische Verb des Hauptsatzes 'hoffe' verlangt (als volitiver Sprechakt verstanden) ein Präsens mit nachzeitiger Kontextbedeutung im Nebensatz, da sich ein hoffender Wunsch typischerweise auf die Zukunft richtet; das Verb steht in einem in vielen Sprachen üblichen praesens pro futuro (vgl. Kap. III.3. zum Prototyp des Präsens). Die futurische Blickrichtung wird zusätzlich verstärkt durch das adverbiale 'immer noch', welches sich auf einen aus der Vergangenheit kommenden und in die Gegenwart andauernden Wunsch bezieht, der der Erfüllung harrt. So gesehen gerät der mit 'gestern' eindeutig als <VERGANGEN> charakterisierte Zeitraum der Wunscherfüllung mit der Rahmenbedingung in Widerspruch. Im Kontext der Äußerung kann der Widerspruch jedoch insofern gelöst werden, als hier zumindest sprachlich ein Wunsch erfüllt wird, nämlich die Hoffnung, post festum noch auf das Geschehene einwirken zu können, gleichsam den Fluß der Zeiten als Handelnder stromaufwärts gehen zu können (vgl. Prolog). Linus aktualisiert also sprachlich das menschliche Sehnen, Dinge ungeschehen machen zu können. Sehr viel umfassender und subtiler ist das Spiel der Zeiten bei Eckhard Ulrich in einem Gedicht, das seine Frau gleichsam als Abschiedsbrief nach dem Freitod des Dichters 1992 gefunden hat:

(6)

das war genug an einem tag, den niemand recht vermißt, wird sich die sonne im gewölk verlieren - dann werde ich den regen nicht mehr spüren, ich hoffe, daß es sommerregen ist,

daß in den gossen vor den braunen türen die kinder spielen – streiten – sich vertragen, daß schwalben tief am boden zickzack schlagen und vögel – jung im nest – nach futter gieren.

ich bin nicht mehr – mein buch ist zugeschlagen, und niemand wird auf seinen seiten lesen den schlichten satz: Du bist mit mir gewesen – das war genug -

ich wollte es Dir sagen

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Liest man zunächst nur die letze Strophe, so scheint das lyrische Ich bereits nach dem Tode zu sprechen (ich bin nicht mehr) und sich zu erinnern (Du bist mit mir gewesen). Das Präsens leistet also ein fühlendes Vorwegnehmen der Zukunft; von einem in der Zukunft etablierten Referenzpunkt aus gesehen ist auch die 'vollendete Gegenwart' (mein buch ist zugeschlagen) zu situieren. Die Aussage ich bin nicht mehr wird gleichsam von einem in die Zukunft verschobenen hier-und-jetzt getätigt, von welchem aus gesehen das nicht-sein gleichzeitig erscheint. Der Todestag, welcher in der zweiten Strophe evoziert wird, erscheint wie ein Hineinversetzen aus der Sicht des Toten, der das Leben 'an sich heranholt'. Gleichzeitig wird ein Alltag – und von daher kein bestimmter Tag – beschrieben, sondern eine Art von Zeitlosigkeit. Diese Zeitlosigkeit aber kann auf die Aufhebung der Zeit im Tod verweisen135. Nimmt man die oben genannten Beispiele zusammen, so kann man offenbar – wenn man die phantasmatische Deutung annimmt – diese nicht auf Aspekt begrenzen, sondern muß sie auch auf Tempus anwenden. Darüber hinaus zeigt sich wiederum, daß Tempora als auffallend polysem gelten können. Gerade die Polysemie erscheint hier als Mittel der Sinnbildung für den Text; oder anders formuliert: Das behutsame Spiel mit Bedeutungsschattierungen der Tempora ist konstitutiv für die Aussagenkomplexität. Die unterschiedlichen Bedeutungswerte der Tempora werden nicht auf der Satzebene, sondern erst in einem Gefüge aus Teiltexten bzw. bei Kenntnis des diskurspragmatischen Kontextes bestimmbar. So gesehen ist also die origo-Verschiebung auch bei Tempus möglich, und zwar nicht nur bei past perfect oder futur perfect. Im Sinne dieser Argumentation ist dem zweiten Einwand stattgegeben: Die origo-Verschiebung ist nicht spezifisch für Aspekt. Das phantasmatische Zeigen bei Tempus ist zu unterscheiden vom subjektiven Referieren (siehe oben Reichenbach 1949). Es kommt offenbar unabhängig von der realen Chronologie auf den Situierungswunsch des Sprechers an. Der lexikalische Gehalt einer Aussage wird mittels der referierten Zeit R in die Zeit eingebettet. Die referierte Zeit R kann eine Eingrenzung vornehmen; so etwa in dem Satz Ich habe im Robert

135 Die Ergriffenheit beim Lesen mag gerade durch den Kontrast mit dem vorgestellten

Handlungsablauf dieses Todestages entstehen. Die Ereignisse deuten auf Leben (spielen – streiten – sich vertragen), auf Beginn (kinder; vögel - jung im nest) und Fruchtbarkeit/ Lebenswillen (nach futter gieren; sommerregen); in diesem Sinne könnte auch der Flug der Schwalben interpretiert werden, welche "an einem solchen Tag ein Festessen feiern" (C. Ullrich 1998: 89) und der Insektennahrung wegen "tief am boden zickzack schlagen".

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nachgesehen, aber das Wort 'kwak'136 stand nicht drin. Auch zum Sprech-zeitpunkt S fehlt der betreffende Lexikoneintrag, dennoch ist es völlig korrekt, das Präteritum zu benützen, d.h., die referierte Zeit ist auf die Zeit des Nachschauens eingeschränkt137. Die Bühlersche Konzeption der Sprecherorigo ist bisher kaum in Frage gestellt worden. Eine Ausnahme bildet Helmut Schnelle (1996) mit einer grundlegenden Kritik an Bühlers origo-Konzept, das letztlich auf früheren Überlegungen z.B. der Grammatiker Wegener und Brugmann aufbaut. Schnelle greift zwar Bühlers Grundannahme auf, daß die Erörterung der Deixis nicht an der Wirklichkeit selbst, sondern an der Wahrnehmungs- und Handlungssituation des einzelnen ansetzen muß. Schnelle geht dann aber einen anderen Weg. Für ihn enthält diese Wahrnehmungs- und Handlungssituation des Sprechers zwar das Bühlersche ich, dieses ich aber sei unbewußt, selbstverständlich138 – und mithin nicht so wichtig wie die Evaluierung der Situation des Kommunikationspartners (1996: 582). Folgerichtig sind die Grundkoordinaten der Kommunikation bei Schnelle statt des ich das du, statt des hier das dort/ dahin und aufgrund dieser Blickrichtung zusätzlich noch das so des Erblickten. Allein das jetzt bleibt erhalten, so daß Schnelle von einem Vierspänner ausgeht: du-da-jetzt-so (1996: 616). Gegen Schnelle sprechen die jüngeren Ergebnisse der Spracherwerbsforschung, die einhellig den Befund Piagets bestätigen, daß das Sprecher-ich grundlegend ist139. Karl Bühlers triadische Konzeption der Sprecherorigo wird in der folgenden Untersuchung zugrundegelegt. Bezieht man diese allerdings nicht auf die grundlegende Kommunikationssituation, sondern auf den Aspekt, ergeben sich folgende an Schnelle angelehnten Überlegungen: Das jetzt ist insofern nicht entscheidend, als es Aspekt im Prinzip auf allen Zeitstufen je nach Sprache geben kann; genauer wird über die Zeitstufe

136 Gemeint ist hier 'geröstetes Mandioka-Mehl', nicht 'unangenehmer Ton'. 137 Ähnlich argumentiert W. Klein 1994: 40-44. 138 "Das Anschauungsbild des Organismus ist das primäre Moment, und dieses hat in

jedem Moment einen bestimmten Inhalt, den das jetzt markiert. Es ist aber ebenso in jedem Moment irgendwohin ausgerichtet, d.h. auf ein da gerichtet. Mehr als diese Kombination des da-jetzt ist nicht gegeben, wobei sich sowohl der Inhalt des Anschauungsbildes (z.B. wegen Veränderungen in der Umwelt) als auch der momentan markierte Aufmerksamkeitsausschnitt ändern kann" (Schnelle 1996: 616; Hervorhebung im Original).

139 Vgl. z.B. Fletcher/ MacWhinney 1995. Möglicherweise entschärft sich das Problem aber auch im Sinne einer Betrachtungsweise, welche die Antonymität der genannten Koordinaten betont.

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keine Aussage gemacht; es ist nur so, daß der perfektive Aspekt eine Affinität zur Vergangenheit, der imperfektive Aspekt eine Affinität zur Gegenwart besitzt. Diese Affinitäten sollen aber für die vorliegende Untersuchung als Bedeutungseffekte verstanden und nicht zur prototypischen Bedeutung der Aspekte gerechnet werden. Ebenso wie das jetzt spielt auch das hier für den Aspekt eine geringere Rolle als beim Tempus. Dies ist damit zu erklären, daß es nicht um das Situieren durch einen Sprecher geht, sondern um die Schau auf die Qualität der Aktion selbst. Die Verbalhandlung selbst als Objekt des perspektivierenden Schauens wird so oder so dargestellt. Aus dieser Überlegung wird bereits deutlich, daß auch das ich für Aspekt nachgeordnet wichtig ist. Allerdings ist die Abgrenzung zum ich schwieriger als diejenige zum hier und zum jetzt. Denn wie ist ein Schauen ohne schauendes Subjekt zu denken? Um die Unterscheidung zur Sprecherorigo zu akzentuieren, verwendet Edeltraud Werner (1980) den Begriff des Betrachtungspunktes. Werner spricht von Aspekt als einer Kategorie, welche Innenschau (imperfektiver Aspekt140) oder Außenschau (perfektiver Aspekt) ausdrückt; als Aus-gangspunkt der Schau aber nimmt die Autorin einen Betrachtungspunkt P an. Allerdings bleibt bei dieser Annahme offen, wo dieser Betrachtungspunkt liegt bzw. wie ein Betrachten ohne Sprecher denkbar sein kann: "Der Betrachtungspunkt P ist dabei nicht näher definiert, nur eben, daß er einmal außerhalb und einmal innerhalb des Geschehensablaufs liegt. Eine genauer spezifizierbare Relationierung des Verbalgeschehens zu diesem Punkt existiert nicht. Wichtig ist, daß P auf keinen Fall mit der Sprecherorigo identisch ist" (Werner 1980: 94). Der Sprecher kann also nicht nur zeigen und bezogen auf sich selbst situieren (deiktisches Tempus); er kann auch dahin – d.h. auf das Verbalgeschehen – schauen, und zwar aktiv im Sinne eines Perspektivierens (nicht-deiktischer Aspekt). Fassen wir die Überlegungen zur Deixis bei Tempus und Aspekt zusammen. Wenn wie in der vorliegenden Arbeit ein enger Deixisbegriff angesetzt wird, wenn deiktisch meint: 'auf die origo bezogen', dann ist Aspekt nicht als deiktisch zu verstehen141. Es hat sich gezeigt, daß Deixis dem Tempus vorbehalten werden muß.

140 Bei Werner 1980 werden die Begriffe kursiv vs. komplexiv verwendet. 141 In einem weiten Deixisbegriff, wenn Deixis heißt: 'wird auf die

Wahrnehmungssituation bezogen', könnte auch Aspekt als deiktisch definiert werden.

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• Deixis wird verstanden als das Zeigen von der Sprecherorigo aus, dies trifft für Tempus zu, nicht für Aspekt.

• Beim Aspekt geht es um eine perspektivierende Schau im Sinne einer qualitativen Einschätzung der Verbalhandlung als Fakt (Außenschau; perfektiv) oder Prozeß (Innenschau; imperfektiv).

Um eine genauere Bestimmung dieser binären aspektuellen Opposition soll es im folgenden Abschnitt gehen.

IV.4. Aspektuelle Opposition imperfektiv–perfektiv Deutlicher als in der Universalienforschung ist die häufigste Annahme in der romanistischen und der slavistischen Diskussion die einer privativen Opposition, d.h., der imperfektive Aspekt wird als das merkmallose Glied einer binären Opposition angenommen142. Nach Isačenko (1962: 350), Bondarko (1995) und Maslov (1985) beispielsweise bezeichnet das perfektive Oppositionsglied die Ganzheitlichkeit (celostnost') der Verbalhandlung, während der imperfektive Aspekt dieses Merkmal unausgedrückt läßt:

Nesoveršennyj vid ne obladaet kakim libo položitel'nym semantičeskim priznakom, kotoryj on vyražal by postojanno. (Bondarko 1971b: 20)

'Der imperfektive Aspekt besitzt kein positives semantisches Merkmal, das er unveränderlich ausdrückte.'

Bereits Nikolai Trubetzkoy, formuliert in einem Brief an Jakobson 1930, daß binäre Oppositionen "im Sprecherbewußtsein eine besondere Form [annehmen können]: Man stellt die Anwesenheit eines bestimmten Merkmals seinem Fehlen [...] gegenüber". Daraus folgt, daß man "nur einem der Terme die Möglichkeit zuerkennen kann, [...] positiv ein bestimmtes Merkmal zu besitzen; was den anderen Term angeht, so kann man von ihm nur sagen, daß er dieses Merkmal nicht besitzt"143. Das heißt, das merkmallose Glied ist unspezifischer; die privative Opposition ist hierarchisch zu verstehen. Zwei Jahre später präzisiert Jakobson den

142 Im Gegensatz zu diesen Ansätzen der Petersburger Schule hält eine herausragende

Vertreterin der Moskauer Linie, Natalja Avilova, die Aspektopposition keineswegs für privativ. Für diese Forscherin sind vielmehr beide Aspekte positiv zu definieren, so daß eine äquipollente Opposition vorliegt. D.h. die beiden Aspekte wären auf einer näher zu bestimmenden Ebene zwei logisch gleichberechtigte Glieder. Vgl. für das Französische z.B. Pollak 1988: 117.

143 Zit. n. Jakobson/ Pomorska 1982: 85f.; meine Hervorhebung.

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Ansatz dahingehend, daß zwei Kategorien I und II nicht gleichberechtigt sein müssen, und dies in folgendem Sinne: "In fact the general meanings of correlative categories are distributed in a different way: if category I expresses the presence of meaning A, then category II does not express the presence of meaning A, i.e. it does not state whether A is present or not"144. In der Slavistik hat Jurij Maslov (1959: 309) die Jakobsonsche Konzeption der privativen Opposition auf den Aspekt des Bulgarischen angewendet. Diese Definition wird in ähnlicher Weise später (Maslov 1985) auch für die Beschreibung des russischen Aspekts Verwendung finden; die Kategorie des perfektiven und imperfektiven Aspekts sei der "Reflex der objektiv konditionierten Wahlmöglichkeit des Sprechers (oder Schreibers)" zwischen zwei Perspektiven auf die Verbalhandlung: Sie kann als unteilbares Ganzes (kak ... nedelnimoe celoe) – perfektiv – oder ohne Referenz auf die Totalität (celostnost') der Handlung – imperfektiv – dargestellt werden145. Bei Maslov (1985: 30) werden diese Überlegungen dann auch für den außereinzelsprachlichen Aspekt fruchtbar gemacht: "The perfective aspect is the strong member of the opposition (semantically marked ..., i.e. less polysemantic)". Unterschiedliche einzelsprachliche Analysen ergeben, daß der imperfektive Aspekt oftmals eine weit größere Menge funktionaler Möglichkeiten umfaßt als der perfektive, wie z.B. die konkret-prozessuale, die begrenzt und unbegrenzt iterative, die unveränderlich-faktische oder die potentielle Funktion (vgl. Bondarko 1971b: 11, 24ff.). Unter diesen möglichen, meist kontextinduzierten Merkmalen des in diesem Sinne unmarkierten Gliedes der grammatischen Opposition dominiert jedoch nach Bondarko das Merkmal der Prozessualität (s.u.)146.

144 Jakobson 1932, hier zit. n. Forsyth 1970: 80. Markiertheit nach Jakobson heißt für

den Aspekt also: "[...] if a situation warrents the use of the perfective viewpoint, the imperfective may also be used. But use of the imperfective does not necessarily warrant the perfective" (Smith 1991: 16).

145 Der imperfektive Aspekt kann somit verschiedene Wertigkeiten annehmen, über die der Sprecher recht frei verfügt. Dafür spricht auch die Beobachtung, daß es etwa im Russischen häufiger der imperfektive Aspekt ist, der für den perfektiven Aspekt eintritt als umgekehrt, und daß es in vielen Fällen zur Neutralisation der vom perfektiven Aspekt ausgedrückten Funktion kommt (vgl. Jakobson 1932, s.o.), wenn der imperfektive für den perfektiven Aspekt eintritt (vgl. Włodarczyk 1997: 141).

146 Vgl. Maslov 1985: 30ff. Für den Begriff 'Prozessualität' steht in dieser Arbeit synonym auch 'Progressivität'.

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Zunächst genauer zum perfektiven Aspekt. Die oben bereits angeführte Vorstellung, daß die Opposition auf dem Merkmal 'Totalität' (celostnost')147 ruhe, wird etwa von Bondarko (1971: 11) vertreten, vorher aber schon von A. Dostal (1954: 18)148. Dieser Ansatz ist in der

147 Forsyth 1970, Rassudova 1968. 148 Über die Definition des perfektiven Aspekts herrscht in der slavistischen Forschung

die vielleicht größte Uneinigkeit innerhalb des Themenkomplexes Aspekt. Isačenko geht wie Bondarko davon aus, daß der perfektive Aspekt "einen Vorgang als ganzheitliches, zusammengefaßtes Geschehen" ausdrückt (1962: 53). Der perfektive Aspekt verweist für N. Avilova auf das Erreichen der abstrakten inneren Grenze einer Handlung oder das Erreichen eines Ziels (vgl. ähnlich Vinogradov). Für diese Entscheidung führt Avilova 1976: 23 zwei Gründe an: "Gesteht man dem perfektiven Aspekt das Merkmal der Ganzheitlichkeit, der Totalität zu, so kann man hiermit nicht alle perfektiven Verben adäquat beschreiben, z.B. bereiten eine Reihe von perfektiven Verben Schwierigkeiten, die einen komplizierten Prozeß nachzeichnen, der aufgrund einer allmählichen Entwicklung eine Grenze erreicht, z.B. popadat' ( =nacheinander hin-, herunter-, umfallen); povytalkivat' ( =stoßweise hinausschieben); ponastroit' (=willkürlich hinbauen). Weiterhin berücksichtigt man bei der Anwendung des Merkmals der Ganzheitlichkeit der Handlung die lexikalische Verbsemantik nicht genügend; diese bedingt aber die Fähigkeit (bzw. das Unvermögen) eines Verbs, eine aspektuelle Opposition einzugehen. Die Verben, die man als semantisch 'begrenzt' (predel'nye glagoly - telische/ terminative Verben) identifizieren kann, drücken im perfektiven Aspekt das Erreichen einer abstrakten, qualitativen, grammatischen Grenze der Handlung aus, wobei sich die Handlung nach Erreichen dieser Grenze erschöpft hat und aufhört". Das Hauptmerkmal des perfektiven Aspekts ist bei diesem Ansatz daher nicht Totalität, sondern das Erreichen einer inneren abstrakten Grenze (russisch predel) einer Handlung (perfektiver Aspekt). Der imperfektive Aspekt hingegen enkodiert das Streben nach dieser Grenze. Volker Lehmann wird diese These später aufgreifen und sie in folgendem Sinne weiterverfolgen. Er benennt die Grenze als aktuelles Ereignis, das etwa zwischen lovit' rybu ('angeln') und dem Aspektpartner pojmat' rybu ('mit Erfolg angeln') liegt. Semantisch 'begrenzte' Verben (predel'nye glagoly) drücken also eine Handlung aus, die sich nach Grenzerreichung erschöpft hat und aufhört. Eine eindeutige Trennung von Aspekt und Aktionsart ist bei diesem Autor nicht möglich. Für andere Forscher hingegen ist das zentrale Charakteristikum des perfektiven Aspektes weder die Ganzheitlichkeit, noch die innere abstrakte Grenze, sondern die "Resultativität" (so zuletzt Nübler 1992: 71). Anders argumentiert Vinogradov, der bereits sehr viel früher (1947: 487) die These zurückwies, die Resultativität sei das zentrale Kriterium, für ihn ist sie nur eines unter vielen. Als Hauptargument führt er die Verben mit inchoativer Aktionsart an (z.B.: zu schreien anfangen), die - obgleich perfektiv - mit der Kategorie Resultativität nicht zu fassen seien. Weiterhin verweist der Autor auf die Nähe der Kategorien Tempus und Aspekt zueinander: Ein mit einem Verb bezeichneter Vorgang in der Vergangenheit kann eher resultativ verstanden werden als ein Vorgang in anderen Zeitstufen. Es bleibt festzuhalten, daß nicht alle perfektiven Verben zwingend resultativ sind und daß eine Trennung zwischen Aktionsart und Aspekt hier nicht sauber durchzuhalten ist. Daher sollen

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französischen Slavistik schon seit Saussure in ähnlicher Weise vorgestellt worden: "[...] le perfectif représente l'action dans sa totalité, comme un point, en dehors de tout devenir; l'imperfectif la montre en train de se faire, et sur la ligne du temps" (Saussure 1915: 162). In der Punktmetapher liegt die Vorstellung eines Sicherfüllens (frz. achèvement) der Aktion begründet149. Bei Heger (1963), Raible (1990a) und Schrott (1997) wird ebenfalls eine räumliche Metapher verwendet, und zwar statt Punkt vs. Linie nunmehr Außen- vs. Innensicht: "[Unterschiedliche] Fokuseinstellungen erzeugen [...] Innensicht und Außensicht, denn ein vom Fokusintervall umgebener Sachverhalt erzeugt den Eindruck einer Außensicht auf ein geschlossenes Ganzes, während ein Fokusintervall, das von einem Sachverhalt umschlossen ist, eine Innensicht vermittelt. Imperfektive und perfektive Aspekte fokussieren bzw. defokussieren also die temporale Struktur des Sachverhalts [...] (Schrott 1997: 103)150. Bei Carlota Smith (1991) wird der Ansatz des Fokussierens für die aspektuelle Opposition mit einer Kameralinse verglichen, welche dasselbe außersprachliche Geschehen auf verschiedene Weise fokussieren kann. Diese Metaphern der Außen-/ Innensicht und des Kamerazooms sollen für die vorliegende Arbeit aufgegriffen werden (vgl. Kap. IV.6.). Die vorgenannten räumlichen Metaphern erlauben sowohl eine privative als auch eine äquipollente Auffassung der aspektuellen Opposition.

Hier soll nun der oben bereits erwähnte Ansatz Bondarkos (1995: 23-30; vgl. auch 1971b: 22-32) aufgegriffen werden. Alexandr Bondarko bezeichnet die aspektuelle Opposition zwar als privativ, da die Merkmale des perfektiven Aspekts besser hierarchisierbar seien; dennoch sollen auch dem imperfektiven Aspekt Merkmale zugewiesen werden151. Zum imperfektiven Aspekt soll Bondarko etwas ausführlicher referiert werden,

Avilovas, Lehmanns und Nüblers Ansätze für die vorliegende Untersuchung nicht weiterverfolgt werden.

149 Diese Annahme findet sich in den Definitionen Antoine Meillets 1903/ 1937: Kap. V und André Mazons 1914: 101 wieder.

150 Die Metapher der Außen-/ Innensicht verbindet so unterschiedliche Ansätze wie Comrie 1976, Coseriu 1976, Raible 1990a und Smith 1991. Anders freilich W. Klein 1994.

151 Die Rangfolge hat sich je nach Publikation geändert; so ist die unbegrenzt-wiederholte, auch usuell genannte auf Platz zwei gerückt und zur zweiten Hauptbedeutung erklärt worden in der jüngsten Publikation, dies paßt gut zu Bybees und Dahls Ergebnissen (1989).

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erstens, weil dieser Teil die wesentliche Neuerung gegenüber anderen Ansätzen enthält ('merkmallos mit Merkmalen'), und zweitens, weil dem imperfektiven Aspekt die wohl wichtigste, in jedem Falle häufigste Form in den untersuchten Kreolsprachen entspricht, die Partikel ka. Bedingung für die typische Funktion 'konkret-prozessual' ist laut Bondarko (1995: 26f.), daß die Aktionsart erlaubt,

• einen fließenden Lauf auszudrücken (etwa nicht bei 'hinterlistig sein')

• einen konkreten Prozeß zu bezeichnen (nicht bei 'saß dort')

• die Situation wahrzunehmen (perzeptiv)

• die Aussage auf die Darstellung der Situation und ihrer Zerschlagung auszurichten (nicht auf die Information über den Fakt oder die Bezeichnung eines Gesetzes oder unveränderlicher Beziehungen).

Der imperfektive Aspekt wird verstanden als tendenziell merkmallos, d.h. merkmalloser als der perfektive Aspekt. Diese Form der Merkmallosigkeit erklärt der Autor an folgendem Beispielpaar (1995: 27):

(7a) Ja uže zavtrakali. ('Ich habe schon gefrühstückt')

(7b) Ja uže pozavtrakalp. ('Ich habe schon gefrühstückt')

Die besondere Bedeutung von (7a) wird bei gleicher Übersetzung im Deutschen aus dem Kontrast zu (7b) im Russischen deutlich. Der imperfektive Aspekt nennt hier nur die Tatsache an sich. Will man jedoch die Sicht der Totale ausdrücken, muß man hingegen den perfektiven Aspekt wählen. Eine prototypische Herangehensweise ist in Ansätzen – nicht explizit – schon bei Bondarko vorzufinden, wenn er vom Zentrum der semantischen Sphäre des imperfektiven Aspekts ("centr semantičeskoj sfery nesoversennogo vida") und später etwa von der nahen Peripherie ("bližnaja periferija") spricht (1995: 26f.). Für Bondarko gibt es keine scharfen Grenzen zwischen Zentrum und Randfunktionen der Kategorie: "rezkoj grani meždy central'noj i periferijnoj zonami net". Dazu paßt auch die Vorstellung, daß die konkret-prozessuale Funktion die häufigste laut Bondarko ist und daß die anderen als aus dieser zentralen abgeleitet verstanden werden (proizvodnost'). Dieser Ableitungsmechanismus soll an den folgenden (aus dem Russischen übersetzten) Beispielen illustriert werden:

(8a) Er gingi langsam die Treppe hoch.

(8b) Er gingi jeden Tag langsam die Treppe hoch.

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In (a) wird ein Prozeß dargestellt, in (b) ein gewohnheitsmäßiger Prozeß. Die Gewohnheit kann sich also hinzufügen, ohne daß das prozessuale Merkmal verlorengeht. Aber hier ist nicht immer leicht zu entscheiden, was betont ist:

(9) Le poète écrivaiti chaque jour quelques pages dans l'après-midi.

Für (9) kann auch eine Deutung akzeptiert werden, die besagt, daß der Prozeß nicht mehr im Blick ist, wodurch sich erklärt, daß der imperfektive Aspekt auch für Verben genutzt wird, die sich nicht für das Prozeßhafte eignen:

(10) Il remarquait souvent que ...

Und daraus kann – ähnlich wie beim Präsens (vgl. Kap. III.3.) – die Bedeutung des Könnens entstehen:

(11) Jean jouait au violon.

D.h., Jean spielte oft und beherrschte mithin das Instrument. Ulrike Schwall hat in ihrer Überblicksarbeit zu unterschiedlichen Aspektualitäts-Theorien Bondarkos Beschreibung in einem Schema (1991: 338f.) zusammengefaßt, das ich hier in veränderter Form aufnehme. Statt der [+/–]-Klassifizierung des Ansatzes von Bondarko (1971b: 11, 16f.), die dem implizit prototypischen Ansatz von Bondarko (1995) nicht mehr gerecht wird, setze ich Keile, deren dickes Ende heißt: 'affin zu dieser Bedeutung'.

Aspekte

Semantische Merkmale imperfektiv perfektiv

Totalität < Prozessualität > Lokalisiertheit der Handlung in der Zeit < Andauern > plötzliches Einsetzen der Handlung < Nach-/ Vorzeitigkeit < Gleichzeitigkeit >

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Aus diesem Schema wird deutlich, daß z.B. die Totalität typischerweise vom perfektiven Aspekt ausgedrückt wird, aber auch vom imperfektiven Aspekt ausgedrückt werden kann.

IV.5. Präsens und Perfekt: Aspekte oder Tempora? In der Literatur werden Präsens und Perfekt vereinzelt nicht als Tempora, sondern als Aspekte eingestuft (vgl. Comrie 1976, Smith 1991). In der vorliegenden Arbeit sollen beide Kategorien als Tempora verstanden werden, da sie einen deiktischen Bezug zur origo aufweisen (vgl. Kap. IV.3.). Es wird in der Folge kurz gezeigt werden, daß diese Tempora in der Tat viele Gemeinsamkeiten mit den benachbarten aspektuellen Kategorien aufweisen. Eine schematische merkmalsemantische Auflistung allerdings soll zeigen, daß jeweils auch wesentliche Unterschiede benannt werden können:

Präsens imperfektiver Aspekt GEMEINSAMKEITEN:

geschieht vor den Augen, lebendig, Affinität zur Gegenwart, simultane Handlungen

Gewohnheit, allgemein-faktisch, Können

auf allen Zeitstufen möglich

merkmallos

UNTERSCHIEDE:

typischerweise gleichzeitig zum hic-et-nunc des Sprechers

typischerweise Innensicht

steht mit statischen Verben, interagiert nicht mit Aktionsart

steht selten mit statischen Verben, interagiert mit Aktionsart

--- implizierte innere Pluralität

gnomisch ---

schnelle Handlungskette ---

hohe Regreßpflicht durch origo-Bindung, sicheres Futur, strenger Imperativ

subjektiv, konativ, reduzierte Regreßpflicht, unsicheres Futur, gemilderter oder vorerwähnter

Imperativ

Trotz der Überschneidungen sind eine Reihe von Kriterien zur Unterscheidung zwischen Präsens und imperfektivem Aspekt vorzufinden152. Eine ähnliche Situation ist beim Perfekt in Abgrenzung zum perfektiven Aspekt festzustellen.

152 Dies ist wichtig in bezug auf die Diachronie, siehe Kap. VII und VIII.

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Dahl (1985: 139) gibt folgende drei Kriterien zur Bestimmung des Perfekts in Abgrenzung zum perfektiven Aspekt an die Hand:

• PRF is very rarely used narratively.

• PRF can [...] be used in combination with progressive constructions.153

• PRF is [...] marked syntactically, whereas [...] P [... ] morphologically.

Im Vorgriff auf die Korpusanalyse ist zu Dahls Kriterien das folgende festzuhalten: Da im Kreol Aspekt und Tempus in fast allen Fällen analytisch-syntaktisch enkodiert sind, ist das dritte Kriterium für eine kreolistische Untersuchung wenig brauchbar. Auch Kriterium (2) ist im Bereich der Kreolsprachen schlecht zu prüfen, da der perfektive Aspekt zumeist formal nullmarkiert ist154. So ist das erste Kriterium das beste, wobei Bybee et al. (1994: 54f.) in Anlehnung an Givón (1982) das Kriterium schärfer fassen: "[Perfect] differs from perfective [aspect] in that it would not be marked on several verbs in succession that are reporting a sequence of events but would only be used to show that some action is prior to the others in the narrative". Ein Testverfahren zur Abgrenzung von Perfekt und perfektivem Aspekt ergibt sich aus dem von Östen Dahl für den Sprachvergleich zusammengestellten Tempus-Aspekt-Modus-Fragebogen155. Hier seien nur in Form einer Gegenüberstellung die von Dahl als prototypisch gewerteten Sätze (Dahl 1985: 78, 131-132) für Perfekt und perfektiven Aspekt einander gegenübergestellt:

Perfekt Perfektiver Aspekt

53. (A. I want to give your brother a book to read, but I don't know which. Is there any of these books that he READ already?) B: (Yes,) he READ this book.

175. Do you know what happened to my brother yesterday? ... (narrative) ... [The snake] DIE.

54. It seems that your brother never finishes books. (That is not quite true.) He READ this book (= all of it).

56. Q: Is the king still alive? A: (No,) he DIE.

42. Q: You MEET my brother (at any time in your life until now)?

64. Child: Can I go now? Mother: You BRUSH your teeth?

165. wie 175, aber ... to me ...

91. Q: What your brother's reaction BE to the medicine (yesterday)? He COUGH once.

92. Q: What your brother's reaction BE to the medicine (yesterday)? He COUGH twice (siehe 91).

162. Do you know what happened to me yesterday? ... (narrative) ... Suddenly I STEP

153 Z.B.: I have been sleeping. 154 Als Ausnahme gilt das Papiamentu, siehe Kap. VI.2. 155 Siehe auch oben Kap. II und dazu Matthews' Anmerkung (1993: 240): "Dahl used a

questionnaire designed to elicit tense/ aspect forms, administered by an investigator competent in the target language. Informants were presented with miniature contexts, and categories established in terms of typical contexts of occurrence, assuming a prototype mode of categorization".

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your teeth? on a snake.

67. Q: What did you find out when you came to town yesterday? A: The king DIE ...

99. Q: How long did it take for your brother to finish the letter? He WRITE the letter in an hour.

136. A person who has heard but not seen the event says: The king ARRIVE ...

101. Last year, the boy's father sent him a sum of money. When the boy GET the money, he BUY a present for the girl.

139. When I COME home (yesterday), he WRITE two letters (= that is what he accomplished during my absence).

100. The boy's father sent him a sum of money some days ago and it arrived yesterday. When the boy GET the money, he BUY a present for the girl (siehe 101).

Somit unterscheidet sich das Perfekt vom perfektiven Aspekt darin, daß es nichts über die qualitative Sicht der Situation selbst aussagt, sondern eher einen jetzt-Zustand zu einer früheren Handlung in Beziehung setzt, d.h. "[the perfect] indicates the continuing present relevance of a past situation" (Comrie 1976: 52). In diesem Sinne fasse ich Perfekt als Tempus, da es einen deiktischen Bezug aufweist156. Ein Indiz für Perfekt als Tempus ist die Beobachtung, daß es mit dem imperfektiven Aspekt kombinierbar ist:

(12) I have (PRF) just this minute been talking (I) to Bill. (Comrie 1976: 62)

Im Russischen kann der imperfektive Aspekt zwar perfektive Bedeutungen durch seine Unmarkiertheit übernehmen (vgl. voriges Kapitel), er ist aber nicht mit dem perfektiven Aspekt kombinierbar.157 Z.B.: Ein Freund sitzt im Garten, ich komme dazu:

(13a) I see you 've been whitewashing the house. (Comrie 1976)

D.h., das halb weiße Haus und der 'farbenbekleckerte' Freund deuten auf dessen Arbeit hin. Der Anstreicher, der sich kurz ausruht, ist noch nicht mit der Arbeit fertig.

(13b) Vy pobelilip dom.

(13b) wäre im Russischen in dem hier gegebenen Kontext nur dann möglich, wenn die Arbeit fertig vorläge, das gesamte Haus also weiß

156 Einen anderen Standpunkt vertritt freilich Comrie, der das Perfekt als Aspekt

einstuft. Siehe auch Smith 1991: 146-154. Von Comrie übernehme ich allerdings die Dreistufigkeit des Perfekts als present, past und future perfect, die einen gegenwärtigen Zustand zu einer vergangenen Situation in Beziehung setzen; nur daß dieser 'gegenwärtige Zustand' als verschobener gedacht werden kann (vgl. Kap. IV.3.).

157 Ein analoger Fall liegt für das Präsens vor, welches nicht mit dem Futur kumulierbar ist. Einheiten, die zu einem Paradigma gehören, können nicht syntagmatisch kumuliert werden.

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gestrichen wäre. Dies ist ja nicht der Fall, so daß hier nur der imperfektive Aspekt verwendet werden kann:

(13c) Vy pobelitei dom.

Dann aber wird zwar das Unvollendete der Handlung versprachlicht, nicht aber die Tatsache des zeitweiligen Unterbrechens, die aus dem Kontext erschlossen werden muß. Fassen wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede noch einmal schematisch zusammen:

Perfekt perfektiver Aspekt GEMEINSAMKEITEN:

auf allen Zeitstufen möglich

Affinität zum past, resultativ, experientiell

merkmalhaft

UNTERSCHIEDE:

typischerweise jetzt-Zustand bezogen auf frühere Handlung

typischerweise Außensicht

kombinierbar mit imperfektivem Aspekt ---

deiktisch ---

steht selten mit statischen Verben steht mit statischen Verben

--- schnelle Handlungskette, narrativ

--- gnomisch, hohe Regreßpflicht, sicheres Futur

IV.6. Zusammenfassung Bevor das für diese Arbeit verwendete Aspekt- und Tempuskonzept zusammengefaßt wird, soll noch knapp die Abgrenzung des Aspektes von der Aktionsart akzentuiert werden. Während Tempus und Aspekt als grammatische Kategorien verstanden werden, ist Aktionsart Teil der lexikalischen Verbsemantik (Raible 1996a), welche nach Aktionstypen (z.B. statisch-dynamisch; inchoativ-egressiv, etc.) gegliedert werden kann (Vendler 1957, Beck 1987, Andersen 1990). Eine der ausführlicheren Behandlungen von Tempus und Aspekt im Kreol ist Bickerton (1974, 1981). Die Terminologie des Autors verwendet nicht statisch vs. dynamisch, sondern: durativ vs. punktuell und bezieht sich sowohl auf Aktionsart als auch auf Aspekt. Ich verstehe Aktionsarten – anders als Bickerton – als definitorische Kategorien, die im Gegensatz zu

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Tempus subjektentbunden sind, d.h. nicht-deiktisch, und deren für die Kreolsprachen wichtigste Unterscheidung statisch vs. dynamisch ist158. Mit anderen Worten: Ich möchte die Unterscheidung erhalten, um Interferenzen zu zeigen. Z.B.: Es ist eine natürliche Affinität zwischen dem imperfektiven Aspekt und einer statischen Aktionsart festzustellen (z.B. genießen, schnarchen). Schnarchen ist gut von innen zu betrachten. Glei-ches läßt sich auch von dem perfektiven Aspekt und der dynamischen Aktionsart sagen (z.B. niesen, schlucken, aufschreien); es ist eher ungewöhnlich, jemanden zu beobachten, der gerade dabei ist, nach und nach 'aufzuschreien'. Hier läßt sich der Unterschied besser mit der Opposition transformativ vs. nicht-transformativ zeigen. Französisch chasser hat eine nicht-transformative Aktionsart, d.h., kombiniert mit der Innensicht erlaubenden Form des imparfait, ergibt sich eine Handlung, die keine Grenze überschreitet. Das Verb attraper jedoch hat eine trans-formative Aktionsart; il attrapa un rhume heißt, daß er zuvor gesund war, nun aber niest. Betrachtet man nun die nicht-affinen Kombinationen, so zeigt sich für il chassa eine Bedeutungsänderung im Sinne von 'er war jagen' oder 'er hat erjagt'. Chasser bekommt also in der Kombination mit dem perfektiven Aspekt eine transformative Aktionsart. Im anderen Fall würde das transformative Verb attraper mit dem imperfektiven Aspekt kombiniert. Il attrapait le papillon hieße entsprechend, daß er trotz verschiedener Versuche den Schmetterling nicht fing oder ihn wiederholt zu erhaschen suchte, ohne daß etwas über den endgültigen Ausgang der Jagd gesagt werden soll (nach Raible 1990a: 199-201)159.

Nach dieser Abgrenzung zwischen Aspekt und Aktionsart nun zu Aspekt und Tempus: Beim Tempus kann der Sprecher ein Ereignis E in der Zeit mit Bezug zum Sprechzeitpunkt S und zur Referenzzeit R situieren; dies ist 158 Zu dieser Grundunterscheidung vgl. Lyons 1977. 159 Für das Russische könnte hier analog das Aspektpaar lovit'/ poimat' zitiert werden:

lovil baboček drückt aus, womit jd. sich beschäftigt hat, on lovil, no ne poimal, daß dieser Jemand den Falter nicht gefangen hat (wörtlich: er fingi, ab fingp nicht). Zum russischen Aspekt vgl. Kap. IV.2. Hier wird ein enger Aspektbegriff verwendet, der nur die Opposition imperfektiv-perfektiv umfaßt. Die Affinität beispielsweise zwischen perfektivem Aspekt und resultativer oder egressiver Aktionsart wird nicht geleugnet. Aber wenn man "Interferenzen sichtbar machen möchte, muß man [...] zuvor gerade die Kategorien unterscheiden" (Raible 1996a: 69). Von hier ist jedoch ein Grund für die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der Kategorien Aktionsart und Aspekt zu erkennen, nämlich, daß aus der Grammatikalisierung der mittleren Phase (Aktionsart) ein imperfektiver Aspekt werden kann.

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der deiktische Charakter des Tempus (Reichenbach 1947, W. Klein 1994). Die subjektive Wahl der Darstellung einer Handlung leistet auch die Kategorie Aspekt (Forsyth 1970, Maslov 1985). Allerdings in anderer Weise: Eine Aktion kann als von außen oder von innen erblickt dargestellt werden (Bondarko 1995). Anders als beim Tempus spielt hier das Zeigen vom ego-hic-nunc aus keine Rolle, Aspekt ist nicht deiktisch (Comrie 1976, Werner 1980). Die Subjektivität wird hier vielmehr durch die 'Schau' möglich160. Während beim Tempus Vor-, Nach- und Gleichzeitig-keitsrelationen ausgedrückt werden, geht es beim Aspekt um eine binäre Opposition (Maslov 1985, Ludwig 1996). Da es in dieser Arbeit vor allem um den Aspekt geht, sollen im folgenden der perfektive und imperfektive Aspekt gegenübergestellt werden, wie sie dieser Analyse zugrunde liegen: Die prototypische Funktion des perfektiven Aspekts wird in dieser Untersuchung als 'konkret-faktisch' bezeichnet, der Sprecher wählt einen Betrachtungspunkt außerhalb der Handlung, um diese 'in der Totale' abzubilden. Auf der Ebene der Textstrukturierung eignen sich perfektiv dargestellte Aktionen für Handlungsketten, welche zumeist das Vordergrundgeschehen bestimmen und mithin das jeweils Neue, das rhematische Element ausdrücken (Weinrich 1995); das neue Element kann in eine bereits laufende Handlung einbrechen, es wird dann Inzidenzsekante genannt (Pollak 1988). Die bereits laufende, thematische Handlung (Inzidenzbasis) wird hingegen typischerweise vom imperfektiven Aspekt ausgedrückt, der somit eine Affinität zu Hintergrundhandlungen, simultanen Aktionen und Beschrei-bungen aufweist (Włodarczyk 1997). Vom Betrachtpunkt aus wird das Innere des Handlungsablaufes fokussiert. Damit ist gemeint, daß der Sprecher das Geschehen nicht von der Ferne, als Totale betrachten will, sondern (in bildlicher Sprechweise) mit der Kamera heranzoomt, um die Details der Aktion wiederzugeben. Die Abbildung in Details (prozessuale bzw. in dieser Arbeit synonym auch progressive Abbildung) ist die eine prototypische Funktion des imperfektiven Aspekts (Bondarko 1995); aufgrund des außereinzel-sprachlich tendenziell merkmallosen Charakters dieses Aspekts gesellt sich

160 Diese Schau auf ein dort (= auf die Handlung) verweist darauf, daß Aspekt eher

objektorientiert ist (Schnelle 1996), während Tempus durch das aktive Situieren/ Zeigen eher subjektorientiert scheint.

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eine zweite prototypische Funktion hinzu, die allgemein-faktische/ habituelle161 (Dahl 1985, Bybee et al. 1994).

Im folgenden Schema sind diese typischen Funktionen der Aspekte noch einmal aufgeführt, gegliedert nach Prototyp, Sprecherblickwinkel und Textstrukturierung:

SCHEMA: ASPEKTOPPOSITION 'PERFEKTIV-IMPERFEKTIV' (AUßEREINZELSPRACHLICH)

PERFEKTIVER ASPEKT IMPERFEKTIVER ASPEKT

prototypische Funktionen

• konkret-faktisch, 'Abbildung' in Totale

• prozessual (= progressiv), 'Abbildung' in Details

• allgemein-faktisch, habituell

Sprecher- perspektive

Betrachtungspunkt außerhalb des Handlungsablaufs

Betrachungspunkt innerhalb des Handlungsablaufs

Text- struk-turierung

Handlungskette

Vordergrund

Rhema/ Inzidenzsekante

Beschreibung

Hintergrund

Thema/ Inzidenzbasis

161 Habitualität bezieht sich dabei auf eine wiederholte Handlung zu unterschiedlichen

Momenten [nach dem Essen eine Zigarette rauchen], Iterativität auf eine wiederholte Handlung in einem Moment [husten, husten, husten]. Allgemeine Faktizität ist aus der Habitualität abzuleiten; es geht um eine zu unterschiedlichen Momenten wiederholte Handlung, doch steht die innere Pluralität weniger im Blick [die Erde dreht sich um die Sonne].

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V. Korpusanalyse

V.1. Aspekt und Tempus im Guayana- und Martiniquekreol: zum Forschungsstand

Das Kreolische wird in der Forschung heute einhellig als eigene Sprache gesehen, nicht als Dialekt des Französischen162. Die Distanz zum Französischen wird im Verbalsystem vergleichsweise besonders deutlich; das Kreolische kennt in der Regel keine Konjugation, wie sie in den romanischen Sprachen vorhanden ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen weisen die Frankokreols nur noch fossilisierte Spuren der französischen Flexion auf, wie etwa in Louisianakreolisch vandi ('verkaufen') < frz. vendu (participe passé). Statt dessen werden der unveränderlichen Verbform Partikeln vorangestellt163. Diese unveränderlichen präverbalen Marker drücken Tempus, Modus und Aspekt aus. Es handelt sich in den meisten Fällen – der Form nach – um (Auxiliar-)Verben des Französischen. Funktional sind diese Marker jedoch eher mit den präverbalen Partikeln in einigen westafrikanischen Sprachen zu vergleichen (Holm 1995: 148)164.

Trotz dieser offensichtlichen Unterschiede zum Französischen sind die Beschreibungen, die für das Kreolische Guayanas vorliegen, oft stark durch die französischen Kategorien geprägt165. Dies mag die von den Autoren oftmals selbst konstatierten Inkohärenzen erklären. Bisher liegt für das Verbalsystem des Guayanakreols außer einem Kapitel in Fauquenoy (1972) lediglich eine Monographie vor (Schlupp 1997), die sich auf das an der Küste Guayanas gesprochene Kreol bezieht und sich ganz überwiegend auf ein Märchenkorpus (Tchang/ Jean Louis) stützt166. 162 Vgl. Holm 1995: 148, Corne 1971: 102, Fauquenoy 1972: 76. 163 In einigen Kreolsprachen werden allerdings Lang- und Kurzformen unterschieden,

vgl. Michaelis 1993, 1994, Klingler 1992 und Neumann 1983. 164 Anders freilich Chaudenson 1992. 165 Vgl. besonders Saint-Quentin 1872: 163, Horth 1948: 40, Contout 1973. Diese

Autoren übertragen die gesamten französischen Paradigmen auf das Kreolische; ka etwa wird als Präsens benannt, obgleich die Übersetzungen der Beispiele selbst eher auf eine aspektuelle Kategorie deuten.

166 Einen Sonderfall stellt ein Aufsatz von Corne 1971 dar, der mit nur einer Informantin in Neukaledonien entstanden ist und sich an der Beschreibung des

89

Ausführliche Beschreibungen sind indes für Martinique zu nennen: Damoiseau (1981) und Bernabé (1983). Auf den ersten Blick könnte man geneigt sein, die Unterschiede zwischen dem Martinique- und dem Guayanakreolischen auf diese terminologischen Unstimmigkeiten zurückzuführen; so könnte man in einem ersten Herangehen für beide Sprachen dasselbe Übersichtsschema annehmen (vgl. G. Hazaël-Massieux 1996167):

Ø, KA i manjé («il a mangé, il mangea»)

i ka manjé («il est en train de manger, il mange»)

TÉ, TÉ KA i té manjé («il avait mangé»)

i té ka manjé («il mangeait, il était en train de

manger»)

KÉ, KÉ KA i ké manjé («il mangera/ va manger»)

i ké ka manjé168 («il sera en train de manger»)

Vergleicht man jedoch die beiden folgenden einzelsprachlichen Schemata miteinander, so fallen doch Unterschiede auf – sowohl im Formenbestand als auch in den zugewiesenen Funktionen.

Aspekt-/ Tempusmarker Martinique (nach Damoiseau 1984: 26)

aspect perfectif aspect imperfectif

duratif, général, itératif

prospectif

temps ------ Ø ka kay, kèy, ké

temps passé té té ka té kay, té kèy, té ké

Mauritiuskreols orientiert; vgl. 1971: 81: "Lors d'un séjour à Nouméa, Nouvelle-Calédonie, en décembre 1970 – janvier 1971, nous avons pu faire une brève enquête sur ce créole français parlé par une jeune guyanaise [...] Mme Hureau est originaire de St-Laurent-du-Maroni. [...] son père, originaire de la Martinique, et sa mère, originaire de Ste-Lucie [...] ont toujours insisté sur l'emploi du français comme langue maternelle [...]". Auf dem Korpus nur einer Informantin basiert auch die unveröffentlichte Thèse Damoiseaus 1979 zum Martiniquekreolischen.

167 Dieses Schema trifft auch für die Kreols von Guadeloupe und Dominica zu. 168 Diese Form ist in meinem Korpus nicht nachzuweisen.

90

Aspekt-/ Tempusmarker Französisch-Guayana (nach Fauquenoy 1972: 85)

aspect accompli

aspect non-accompli

temps présent Ø ka

temps passé té té ka

temps futur ké

Wie in den voranstehenden Schemata, so fällt auch in folgendem Auszug aus dem Guayana-Korpus ein wichtiger Unterschied zum Martiniquekreol ins Auge. Die hier nullmarkierten Verben sind präsentisch zu übersetzen169; sie würden im Kreolischen von Martinique eher mit ka gekennzeichnet:

(1) TGuy 132 L wè sa komansé myé sa komansé myeu wi [...] sa Ø alé byen ja es beginnt besser zu werden es beginnt besser zu werden es geht gut B <? ÇA VA MIEUX ?> L sa Ø alé byen zot Ø pasé zot ka fè <? 'n pitit promnad ?> es geht gut ihr kommt vorbei ihr macht einen kleinen Spaziergang C OUI ON SE PROMENE L AH BON <? UNE MINUTE ?> ah bé ÇA VA B é mè si nou pasé rantré <! UNE MINUTE !> aber ja wir kommen auf einen Sprung vorbei

Im Vergleich scheinen in der Isolatvarietät Guayanas 53 % der Verben nullmarkiert, in Martinique etwa 35 %! Doch nicht nur ka kennt einen – relativ – geringeren Gebrauch, sondern auch die Partikel té. Dieses 'Fehlen' betrifft nicht etwa nur Märchen oder andere erzählende Texte. Auch funktional ist für beide Partikeln zu vermuten, daß sie nicht dasselbe Spektrum abdecken wie im Martiniquekreol. Zum einen kann té in Guayana offenbar auch für past, nicht nur für past perfect stehen – und

169 Übersetzt wird das Kreolische, nicht das Französische. Die Übersetzung lehnt sich

dem gesprochenen Deutschen an, versucht aber so nah wie möglich an der kreolischen Wendung zu bleiben. Auf Interpunktion wurde bei der interlinearen Version verzichtet, um nicht eine Interpretation vorwegzunehmen. Pausen werden durch Punkte, Abbrüche durch Slashes angezeigt. Fettgedruckt sind die für den Gang der Argumentation genutzten Formen. Sind also nur einige ka- bzw. Ø-markierte Verben fettgedruckt, so ist dies absichtlich, denn nur diese werden an dieser Stelle analysiert. Die übrigen Formen sind dennoch im Sinne einer kontextuellen Einbettung und Überprüfbarkeit für den Leser erhalten. Die Sprache ist in Siglen (Guy: Guayana etc.) vor jedem Beispiel angegeben, die nachfolgende Zahl bezieht sich auf die Transkript-Nummer, die letzte Zahl auf die Seite im Korpus.

91

zwar auch bei dynamischen Verben. Zum anderen tritt ka in Guayana häufig auch bei statischen Verben auf, und dies nicht nur in iterativer (oder inzeptiver) Funktion170. Dies mag der Grund dafür gewesen sein, daß Fauquenoy die für das Kreol der Kleinen Antillen unbestrittene Trennung des Paradigmas nach zwei aktionsartlich bestimmten Verbtypen (statisch-dynamisch) für Guayana als irrelevant ablehnt. Dies wäre ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Kreolsprachen, so daß hier bei den Analysen ein besonderes Augenmerk liegen soll. Ein weiterer Unterschied ergibt sich im Gebrauch der Imperfektivpartikel ka in Opposition zu ké bzw. kay zum Ausdruck zukünftiger Handlungen. Es ist zu fragen, ob diese unterschiedlichen Funktionen miteinander zusammenhängen. Hinweise auf die Notwendigkeit einer präziseren Untersuchung der zahlreichen Bedeutungsnuancen der Partikeln im Zusammenspiel ergeben sich auch aus den für Guayana augenfälligen Übersetzungsproblemen ins Französische oder Deutsche. Bereits Ludwig et al. (1990) und Raible (1990a, 1992) weisen nachdrücklich darauf hin, daß z.B. té + dynamische Verben aus der Sicht der europäischen Sprachen als Plusquamperfekt interpretiert und übersetzt werden. Doch fällt die Übertragung aus der Aspektsprache Guadeloupekreol in die Tempussprache Deutsch noch relativ leicht, da z.B. der perfektive Aspekt eine starke Affinität zur Vergangenheit besitzt und etwa mit Perfekt übersetzt werden kann. Diese Parallelen scheinen für das Guayanakreol geringer zu sein; die Aspektmarker Ø und ka können sich auf alle Zeitstufen beziehen und werden also je nach Kontext mit drei verschiedenen Tempora im Deutschen wiedergegeben. Hier ist ebenfalls der Ausdruck der Prozessualität bei sog. Zuständen zu nennen: *am Weit sein, *am Haben sein. In diesem Fall fällt die Übersetzung wohl deshalb schwerer, weil die Konzeptualisierung befremdlich erscheint und der Erklärung bedarf.

170 Zur Definition von 'statischen' Verben siehe Kap. V.2.5.

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Sprecherbefragungen "Um die Bedeutung einer Sache zu erfassen, muß ich sie sehen. [...] Nehmen wir zum Beispiel das Wort nichts. Ich las es und dachte, es müßte sehr tiefgründig sein. Ich dachte, es wäre besser, nichts etwas zu nennen [...], denn ich sehe ja dieses nichts, und es ist etwas." (Lurija 1991: 131)

Die oben genannten Beobachtungen und die fast obstinate Behauptung der Muttersprachler, die Funktion der Partikeln sei nur 'je nach Situation' zu bestimmen, lassen folgendes Vorgehen vorschlagen. Die Marker ka, Ø, té, ké und té ka sollen zusammen untersucht werden, da sie je nach Zusammenspiel jeweils ihre Funktionen zu ändern scheinen. Zudem ist dieses Zusammenspiel auf den Kontext, Teiltexttypen sowie die Situation ausgedehnt171. Das Hauptaugenmerk wird auf der Opposition Ø-ka liegen, die eine sehr große Zahl der Verben betrifft. Von allen 9.164 bei der Korpusauswertung gezählten Verben sind fast 80 % mit Ø oder ka markiert. Die Befragung der Sprecher (im Sinne der Prototypensemantik) hatte drei wesentliche Schwierigkeiten zu überwinden. Zum einen ist die häufigste Antwort auf die Frage: "Was bedeutet ka?" – "Das kommt auf den Kontext an". Eine ausgeprägte Polysemie liegt bei der genannten type-token-Relation in der Tat nahe. Zum anderen nennen Sprecher, die das Französische in der Schule gelernt haben, nicht spontan eine von ihnen selbst gefundene Bezeichnung, sondern eine der aus dem Französisch- oder Englischunterricht bekannten. Ein drittes Problem liegt in der fehlenden formalen Substanz des perfektiven (nullmarkierten) Aspekts. Da zudem die Wortklassengrenzen weniger formal markiert sind als etwa im Französischen (vgl. Kapitel V.2.5.), fällt es nicht leicht, auf eine Frage zu antworten, die zugespitzt formuliert lautet: "Was bedeutet vor dem Verb stehendes NICHTS?" Eine Lösung bietet sich allerdings dort an, wo die Sprecherbefragungen anfangs am schwierigsten sind: in den Isolaten, bei den Informanten, die nicht oder nur sporadisch zur Schule gegangen sind. Die Durchführung gestaltet sich zwar dadurch zunächst schwierig, daß statt paradigmatischer Kommutationen lieber syntagmatisch 'die Geschichte weitererzählt wird'. Hier ist es allerdings möglich, nach einem 'typischen Beispiel' zu fragen, 171 Mir geht es nicht um die außersprachliche Wirklichkeit im Sinne von

Situationstypen (Avilova), sondern um den Status im Textzusammenhang.

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ohne daß dieses vom Französischen her erläutert würde. Diese typischen, d.h. häufigsten und erstgenannten Beispiele sind in der folgenden Tabelle in hierarchischer Form (die erste ist die häufigste Nennung) in der linken Spalte notiert worden. In der rechten Spalte werden den jeweiligen Beispielen Kategorien zugeordnet:

Sprecherbeispiele Kategorisierungen

'tu la vois passer, tu dis: regarde ...' räumliche Nähe, ein Geschehen als Prozeß wahrnehmen

'il lui arrive d'être'; 'elle n'est pas toujours comme ça'

akzidentiell, iterativ

'elle imagine la chose' Vergegenwärtigung, Sichhineinversetzen

'elle veut dire que pour elle, c'est grand' subjektive Einschätzung

'c'est du présent, comme en français' Präsens

Diese Tabelle, welche auf der Sprecherintuition und der Vermittlung durch die Kategorienbenennung basiert, soll als Vorinformation genutzt werden. Die häufigste Nennung für die Partikel ka ist die konkret-prozessuale, hier befindet sich also der Ausgangspunkt der Untersuchung. Bei der Analyse soll in der Folge versucht werden,

• die kontextuellen Zusammenhänge zu sehen,

• die diskurspragmatischen Hintergründe zu beleuchten und

• die Unterschiede je nach Teiltexttypen herauszuarbeiten,

• der Frage nach dem Typ (primär Aspekt/ Tempus) nachzugehen.

94

V.2. Einzelanalysen

V.2.1. Prozessualität und Habitualität Die Imperfektivpartikel ka hat zwei Hauptfunktionen, Bernabé (1983) spricht sogar von zwei kas; dies stellt man auch für das Guayanakreol fest, nämlich außer der Progressivität/ Prozessualität die Habitualität/ allgemeine Faktizität. Die von den Sprechern erstgenannte Funktion des Aspektmarkers ka ist die Prozessualität einer Handlung, die mit einem perfektiv-markierten Perzeptionsverb (typischerweise der visuellen Wahrnehmung) eingeleitet wird, wie in Beispiel (2):

(2) TGuy 154 M [ mo manman! a i Ø gadé moun . moun ka manjé Meine Güte! er sieht zu den Leuten hinüber die Leute sind dabei zu essen M [ moun ka brè épi nou ka pran bati ay planté die Leute sind dabei zu trinken und dann gehen wir zur Brandrodungsstelle um zu pflanzen M [ la mo ka bat to . yé pa dakò? yé ka di pa kolè da schlage ich dich sie sind nicht einverstanden sie sagen sei nicht wütend M [ wonm . mo bat ou wonm . ki sa ou ka kolè . Mann ich habe dich geschlagen warum bist du jetzt gerade so wütend?

Auch die letzte Aussage mit dem statischen desubstantivischen Verb kolè steht mit der Imperfektivpartikel. Hier ist keinesfalls Iteration oder Habitualität gemeint, sondern Progressivität oder vorübergehende Dauer172. Ähnliches wird im Korpus auch bei anderen statischen Verben begegnen, die – von der prototypischen Verwendung der Lexie her argumentiert (vgl. Kap. V.2.4.) – deadjektivisch oder deadverbial sind:

(3a) Guy

i Ø ròt/ i ka ròt -'er/ sie ist hoch/ er/ sie wächst'

(3b) Guy

i Ø lwen/ i ka lwen – 'es ist weit/ um von hier dorthin zu gehen, ist es weit'

(3c) Guy

nou Ø byen/ nou ka byen – 'es geht uns gut/ wir benehmen uns gut'

Bei diesen drei Beispielen wird mehr noch als bei dem ka kolè in (2) deutlich, daß sich durch die Imperfektivpartikel die Verbsemantik ein

172 Begriff nach Mufwene 1984: transient duration. Hier ist nicht an eine inchoative

Bedeutung zu denken, denn die vorangehende Frage nach der Wut deutet darauf, daß der Betroffene schon wütend ist.

95

wenig verschiebt, so daß eine Prozessualität denkbar wird. In der Folge und in Kapitel 2.5. ist diesbezüglich eine genauere Untersuchung vorgesehen. Zunächst noch zur zweiten häufigen Bedeutung von ka, der Habitualität173. Im folgenden Auszug ist je ein Beispiel mit den entsprechenden Kürzeln markiert:

(4) TGuy 165

F [ Iracoubo Sinnamary toupatou a la yé ka vin kontréHAB/ALFA mèn sétè komen Iracoubo Sinnamary überall dort versammeln sie sich174 aber das war ganz üblich F [ hen mo manman ka palé mo istwar lougarou komen bokou meine Mutter erzählt mir Geschichten von Werwölfen [das war] üblich [man begegnet F [ lougarou dé moman yé ka pasé hen yé ka pasé hen an volan175 ihnen] oft Werwölfe manchmal gehen sie vorbei fliegen sie vorbei F [ sé moun lontan-yan yé konnèt hen yé ka tann 'n fanm a 'n madanm die Leute früher kennen sich da aus sie hören eine Frau es ist eine Frau F [ men so tété . ka blak blak blak blakPROG (lacht) schau ihre Brust sie schlägt mit den Flügeln

Das letzte 'Verb', das mit dem imperfektiven Aspekt steht, versprachlicht eine Art von Hineinversetzen, weil men ('schau mal') darauf verweist, daß der Betrachter jeden einzelnen Flügelschlag mit den Augen begleitet. Das Fliegen wird nicht als Gleiten, sondern als Flattern mit innerer Pluralität dargestellt. Das erste Verb hingegen drückt eine den Werwölfen eigene Gewohnheit aus, ist also habituell oder allgemein-faktisch zu deuten. Nun handelt es sich aber bei Progressiv und Habitualis um voneinander deutlich verschiedene Bedeutungen. Wie ist es zu verstehen, daß sie in derselben Form enkodiert sind? Bernabé nimmt zwei homonyme kas an. Die Beobachtung, daß beide Funktionen in vielen Sprachen in derselben Form enkodiert sind, spricht jedoch eher für Polysemie nur eines kas. Der Zusammenfall so unterschiedlicher Semantik in einer Form wird in den folgenden Beispielen verständlicher:

173 Diese entspricht nur teilweise der von den Sprechern an zweiter Stelle genannten

Bedeutung, siehe oben. 174 Wenn nur ka steht, wird präsentisch übersetzt, weil dies das Hineinversetzen am

ehesten nachgestalten kann und weil sonst der Unterschied zu té ka nicht deutlich wird und weil ein narratives Präsens auch im Deutschen möglich ist, die Erzählung mit 'am Tun sein' aber nur in diamarkierten Varietäten.

175 En mauvais esprit, es ist hier kein Gerund.

96

(5) Guy

Annan lékol-a gen roun gran lakou koté timoun-yan kontan anmizé li gen roun timoun so tchò toujou Ø tris pars i pa gen ti boug ki lé jwé ké li. 'In der Schule gibt es einen großen Hof, wo die Kinder gerne spielen; es gibt ein Kind, dessen Herz immer traurig ist, weil es keine Kinder gibt, die mit ihm spielen wollen.'

(6) Guy

Jako-a rété i di: "Non, a pou mo trapé roun rémèd pou mo kolèg-a. I ka tris tro bokou. A pou mo fè l' kontré ké roun moun ka ari, pou vé géri li". [Le perroquet ...] se dit: "Non, je dois guérir mon ami. Il est trop triste. Il doit rencontrer quelqu'un qui est gai et qui le guérira".176

Bei (5) wird im Kontext betont, daß zu dem kleinen Jungen gehört, traurig zu sein; es ist gleichsam sein Charakter. Er hat immer Kummer, ist immer allein, keiner will mit ihm spielen, keiner sich neben ihn setzen, selbst die Lehrerin 'verachtet' ihn. Das Geschehen wird in Außensicht präsentiert, hier stehen der perfektive Aspekt Ø und die Tempusmarkierung té. Anders präsentiert sich die Situation im Fortgang der musikalisch untermalten Erzählung. Erneut wird in (6) die traurige Lage des Jungen dargestellt, aber diesmal aus der Sicht eines Papageis, der die Gewohnheit hat, sich auf dem besagten Schulhof aufzuhalten. Eines Tages hält der Vogel inne und überlegt, was zu tun sei. Anders als in Beispiel (5) steht tris ('traurig sein') hier mit der Imperfektivpartikel ka. Eine Übersetzung gäbe keine Verständnishilfe, zumal im Französischen être triste kaum mit en train de kombinierbar wäre. Aus der Perspektive des einleitenden Erzählers stellt sich das Geschehen so dar, als gehörte es unwiderruflich zu diesem Kind, traurig zu sein; dies sieht aus der Perspektive des Papageis anders aus. Textuell gesehen ist die Traurigkeit im ersten Fall das Neue, im zweiten schon bekannt; das thematische Element steht im imperfektiven Aspekt. Semantisch ist es für den Papagei eben nicht das Schicksal des Jungen, sondern eine Art Krankheit und von daher temporär (oder akzidentiell); d.h. aber, er bezieht sich nicht auf ein äußeres Bild von ferne, sondern er bezieht einen Gesichtswinkel, aus dem er die einzelnen Stadien des Traurigseins beobachtet, da er jeden Tag die Schüler besuchen kommt. Hier werden nun der Prozeß, der innere Aufbau, die innere Pluralität einerseits und Habitualität andererseits als durch den Kontext nahe beieinanderliegend sichtbar. Auch die folgenden Beispiele (7) und (8) sind als Opposition untersuchbar. Hier wird jeweils imperfektiv das kleinschrittig erblickte Aufblähen des

176 Für dieses Beispiel ist eine französische Übersetzung vorhanden, deshalb wird sie

wiedergegeben; Beispiel (5) ist im CD-Cover unübersetzt.

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Magens (ou ka rédi l') durch den übermäßigen Verzehr von Gummibärchen von je einem anderen Verb eingeleitet, das in (7) perfektiv wiedergegeben wird (Ø tchenbé), in (8) aber im imperfektiven Aspekt (ka manjé).

(7) TGuy 132

L [ 'n tibèt élastik ti makak ti senj tout ti bagaj tout kouleur yé ka vandé'l par ein kleines elastisches Ding ein kleiner Affe ganz kleines Ding in allen Farben sie verkaufen das L [ kilo mo pa konnèt so nom . mè lò ou tchenbé l' ou ka rédi l' kiloweise ich weiß nicht wie das heißt aber wenn du es in die Hände bekommst wirst du dick davon L (lacht) mo pa konnèt so non mo di to oun bonbon wi ich weiß nicht wie das heißt sage ich dir ein Bonbon ja G ¿oun bonbon? ein Bonbon?

(8) TGuy 132

L a 'n espès dé chigòm pa chigòm ki dous dous sé sa das ist eine Art Kaugummi kein Kaugummi der süß ist das ist es G i ka fè janr . gòm/ es ist so eine Art Gummi L [ mo-menm pa jen wè sa é mo menm ka wè ti senj-ya . mo di ich selbst hatte das niemals gesehen und ich sehe diese kleinen Affen da ich sage L [ gadé yé non mo ka achté kilo . tout pandan mo ka manjé mo schau mal die nein ich kaufe ein Kilo während ich esse werde ich L [ ka rédi épi you!! mo ka manjé ti tifi lò mo té gen kenz (Lachen) dick und ah ich esse kleines Mädchen als ich fünfzehn Jahre war L [ mo vant vini gro . pyès ròb pa ka antré sou mo . mein Bauch blähte sich auf kein Kleid paßte mir mehr

Im folgenden Beispiel heißt es lò mo ka wè, weil ein konkreter Prozeß gemeint ist im Sinne von: immer wieder hingehen, nach und nach verstehen. Eine Kommutation kann es verdeutlichen: bei lò mo Ø wè ginge es eher um ein plötzliches Einer-Sache-gewahr-Werden.

(9) TGuy 132

L [ moun aprézan pa ka sasé riméd kréyòl rar pou yé sasé rémèd kréyòl die Leute heute suchen keine kreolische Medizin mehr selten daß sie kreolische Medizin suchen L [ mo-mem mopa pitit yé malad . m'pa ka mennen yé dokteur konsa hen ich selbst meine eigenen Kleinen sie sind krank ich gehe nicht mit ihnen zum Arzt einfach so

98

L [ mè si 'n maladi mo bat ké li mo pa konnèt lò mo ka wè i pa ka djéri aber wenn eine Krankheit ich kämpfe mit ihr ich kenne sie nicht wenn ich sehe sie werden nicht gesund L [ a la mo ka alé dòkteur a la mo k'alé touvé dòkteur . dann gehe ich zum Arzt dann suche ich einen Arzt auf L [ mè i rar pou mo alé koté dòkteur aber es ist selten daß ich zum Arzt gehe

In Beispiel (10) ist die hier temporal zu deutende Subjunktion lò nicht mit ka, sondern mit Ø kombiniert:

(10) TGuy 132

L [ mo alé À Paris ich bin nach Paris gefahren L [ lò mo rivé ou di/ mo mo pa konnèt so nom kouman zòt k'aplé'l als ich ankam ich ich weiß seinen Namen nicht wie ihr es nennt L [ 'n ti bèt élastik ti makak ti senj tout ti bagaj tout kouleur yé ka vandé'l par ein kleines dehnbares Ding kleiner Affe ganz kleines Ding in allen Farben sie verkaufen es L [ kilo mo pa konnèt so nom kiloweise ich kenne seinen Namen nicht

Bei rivé müßte, wenn ka stünde, das Ankommen in Ruhe und mit Details berichtet werden. Hier aber ist es nullmarkiert, weil nur die Voraussetzung für die Gummibärchengeschichte gegeben wird. Die Opposition Ø vs. ka erscheint auch im nächsten Beispiel. Hier ist eine Gruppe von Leuten bereits unterwegs (d.h. 'dabei zu gehen'), als sie plötzlich angesprochen und auf die Gefahren des Weges aufmerksam gemacht wird. Das perfektiv (in der Totale – TOTA) dargestellte Ansprechen bricht gleichsam in das imperfektiv (prozessual) wiedergegebene Gehen ein177:

(11) TGuy 165

S <? yé ka fè to mal ?> non fügen sie dir Schaden zu? nein F yé pa ka fè to mal lougarou ka pasé pou fé to sie fügen dir keinen Schaden zu der Werwolf geht vorbei um dich

177 In dieser Arbeit wird prozessual synonym mit progressiv verwendet, s.o. Vgl. zum

Inzidenzschema genauer Kap. V.2.3. Eine Deutung wäre hier auch als Hintergrund im Sinne Weinrichs möglich, vgl. Kap. V.2.11.

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F [ méchansté pou fè to pè . bon . lò to wè konsa men la la la to wè zu ärgern um dir angst zu machen wenn du siehst so schau mal da da da siehst du F [ yé k'aplé l' Bois Dénise . la a la lò to wè nou vin la yé Ø diISEK/TOTA koté sie nennen es Denise-Wäldchen da da ist es als wir gingen da sagten sie wohin F zot ka aléIBAS/PROG annan chan lougarou a a la lougarou ka kontré lougarou geht ihr gerade zum Werwolf-Feld dort ist es daß sie sich versammeln die Werwölfe S mhm mhm F [ tout koté . a la yé ka vin kontré la Bois Dénise a la nou té ka pasé la überall dort ist es daß sie sich versammeln da am Denise-Wäldchen dort gingen wir lang dort

In diesem Fall sind mehrere Hinweise auf das Hineinversetzen gegeben: das Deiktikum la, das Perzeptionsverb wè, das Adverb konsa (alle im Transkript kursiviert). Der oben für Beispiel (11) verwendete Begriff der Totale soll in der Folge im Sinne einer Kamerametaphorik weiterentwickelt werden. Die Darstellung einer Handlung von außen oder innen ist vergleichbar mit der für das Fokussieren mit der Kamera typischen Opposition von Totale (hier: perfektiv) und Details (hier: imperfektiv): Entsprechend sind die Verben mit TOTA ('Totale', d.h. von außen gesehene Handlungskette) und DETA ('Details', Geschehen wiedererleben, vergegenwärtigen, als einen konkreten Prozeß darstellen) gekennzeichnet:

(12) TGuy 131

C [ moun ki ka kondwiALFA kabouré-a wonm la-to-wè178 i désannTOTA la-to-wè179 i d(i) TOTAto dé der Mann der den Karren lenkt ist ein Mann da steigt er ab da sagt er zwei Worte C [ mo . la i ka diDETA annan/ anlè/ annan kabouré-a . a so zafè i ka fèDETA . i sa pitit

[zum Karrenlenker] da sagt er vom Karren herunter es sind seine Angelegenheiten die er erledigt er ist ein Kind

C [ Bondyé . sa ki divan180 . bay lè pou i pasé . i ka diDETA so trwa kat

Gottes das was da vorn ist181 mach Platz damit er 182 weitergehen kann er sagt seine drei vier

178 Hier realisiert als [latue]. 179 [late]. 180 Bezieht sich auf den Werwolf, der nicht mit seinem Namen angesprochen werden

darf. 181 Der Werwolf. 182 Der Karrenlenker.

100

C [ mo parol to ka tandéDETA <ryan vlian to ka tandé bèf-a ka kjenbéDETA konsa blogodo

Worte du hörst riang vliang du hörst den Ochsen der den Karren anzieht so blogodo C [ blogodo vlow>183 mouché-a tout moun paséTOTA . mè si i pa di sa

blogodo vlow der Karrenlenker alle gehen vorbei aber wenn er das nicht sagt C [ si (i) pa konnèt parol pou to dia . i diTOTA a sa nou tandéTOTA

wenn er die Worte die man sagen muß nicht weiß er sagt das was wir hören C [ mè i diTOTA ròt parol nou pa savéTOTA sa i diTOTA . to wèTOTA .

aber er sagt andere Worte wir wissen nicht was er sagt siehst du C [ épi la-a to kaDETA tandé <fiou>184nou ka apléALFA sa lougarou . bèt-a i sotiTOTA

und dann hörst du fiuuu wir nennen das Werwolf das Ding es geht runter C [ di lari-a nou ka wèDETA difé ka filé konsa to jèn timoun to chivé-tèt ka dréséDETA

von dem Weg wir sehen ein Feuer das fliegt so wir sind Kinder unsere Haare stellen sich aufrecht

C to pè pasé pè fèt mè to aléTOTA difé/ to ka wè lougarou-a konsa ka paséDETAkonsa wir haben große Angst aber wir gehen weiter Feuer/ du siehst den Werwolf der vorbeifliegt so G ké difé ka volé mit fliegendem Feuer C [ k'aléDETA volé/ mè ka/ li té baré chimen li té baré kabouré pou kabouré kabouré-a geht fliegt aber er ist/ der Werwolf hatte den Weg blockiert hatte den Karren blockiert C [ pa té pé pasé mè moun ki ka kondwiALFA kabouré-a a té moun/ té wonm pou so konnte nicht durchkommen aber der Mann der den Karren lenkt war ein Mann C [ kò i paséTOTA . la nou hivé . i t' senk'ér dmaten . nou rivéTOTA . kano-a pranTOTA pasajé er geht vorbei da kommen wir an es war fünf Uhr morgens wir kommen an das Boot nimmt die Passagiere auf C [ nou diboutTOTA désann nou aléTOTA Kayèn wir stehen bereit um loszufahren wir fahren nach Cayenne

Um das Erzählte noch einmal zusammenzufassen: Der Ochsenkarren hält unvermittelt an, weil ein Werwolf den Weg versperrt. Die Menschen befinden sich in großer Gefahr; um diese bedrohliche Situation zu bestehen, ist es besonders wichtig, die 'richtigen Worte' zu kennen. Dem Mann, der den Ochsenkarren führt, sind diese 'richtigen Worte' bekannt.

183 Sequenz in hoher Stimmlage und mit großer Sprechgeschwindigkeit. Die im Text

vorkommenden Onomatopoetika erscheinen auch in anderen Kontexten; so kündigt etwa die Form 'blogodo', wenn sie sich auf einen Tanz bezieht, einen Wechsel im Schritt oder im Rhythmus an und wird zumeist mit einem Klatschen in die Hände begleitet.

184 Frau C. imitiert ein langes hohes Pfeifgeräusch.

101

Sie verleihen ihm die Macht, den Werwolf in die Flucht zu schlagen. Karren, Tante, Kinder sind somit gerettet, der Ochsenkarren fährt weiter: i pasé. Betrachtet man den Transkriptauszug im Hinblick auf die Totale-Details-Markierungen der Aspekte, so fällt ein Alternieren von Sequenzen ins Auge, die dem Schema TOTA-DETA-TOTA-DETA-TOTA entsprechen. Dieses Alternieren von perfektiven und imperfektiven Sequenzen ist hier nicht mit der Weinrichschen Hintergrund-/ Vordergrund-Struktur zu fassen. Die imperfektiv markierten Sequenzen müßten mit Weinrich außerhalb der Handlungskette stehen und somit Hintergrund ausdrücken. Dies aber trifft nicht zu; es ist hier gerade das Wichtige mit ka markiert, nämlich jeweils ein Geschehen, dessen innere Entwicklung wieder-erlebt wird. Vom Vorgehen des Karrenlenkers hängt das Schicksal der Kinder ab; die Erzählerin versetzt sich noch einmal in die Situation und erlebt das ganze Geschehen erneut – wie ein gedehntes jetzt. In den perfektiven Sequenzen erfolgen Erläuterungen zu meist nacheinander stattfindenden Handlungen, die für die Dramatik des Erzählens jedoch weniger wichtig sind. Diese Sequenzen sind nullmarkiert, d.h. im Sinne der Kamerametaphorik in der Totale gefilmt. Es liegen die von Raible (1990a) vorgeführten imperfektiven und perfektiven Sequenzen oder kleinen Teiltexte vor. In Weinrich (1964) findet sich in diesem Zusammenhang ein anschauliches Beispiel aus Pirandello, zu dessen Verständnis Weinrichs kurze Zusammenfassung der Novelle La buon'anima hier wiedergegeben sei: "Bartolino Fiorenzo hat die energische Witwe Lina geheiratet und muß nun Tag um Tag erfahren, wie er von dem Bild des verstorbenen ersten Ehemannes Cosimo Taddei ('la buon'anima') erdrückt wird. Unmöglich, diesem Bild, das auch sichtbar an der Wand hängt ('lachend und mit dem Hute grüßend'), zu entgehen. Das wird in den Tempora des erzählerischen Hintergrunds erzählt: imperfetto und plusquamperfetto. Verzweifelt verfällt der arme Bartolino Fiorenzo nun auf den Ausweg, seine Frau zu betrügen. Er findet schnell eine willfährige Freundin. Als er bei ihr weilt, fällt sein Blick auf ein Medaillon. Er öffnet es und erschrickt":

(13) Ita 1964: 182f.

Un ritrattino piccolo piccolo di Cosimo Taddei, anche lì. Rideva e lo salutava.

Während Harald Weinrich die letzten beiden Verbformen im Sinne eines imperfetto di rottura deutet, widerspricht Gerold Hilty und erläutert an demselben Beispiel seinen Ansatz der 'erlebten Wahrnehmung' (1965:

102

273f.): "Ich kann im letzten Satz kein imperfetto di rottura sehen. Vielmehr sehe ich in diesem Satz erlebte Rede, genauer: erlebte Wahrnehmung" (meine Hervorhebung). Hilty betont ausdrücklich, daß diese Deutung nur Weinrichs Auffassung im gerade vorliegenden Beispiel widerspreche, nicht aber der Theorie, wonach das Imperfekt Hintergrundhandlungen, das passé simple hingegen Vordergrund-handlungen ausdrücke: "Auch bei erlebter Wahrnehmung würde Weinrich wohl einfach von Hintergrund sprechen. Nun zeigen aber die beiden verschiedenen Deutungen des Satzes Rideva e lo salutava gerade die Problematik der Scheidung in Vordergrund und Hintergrund. Auch wenn wir bei erlebter Wahrnehmung den Begriff Hintergrund beibehalten, [...] so wird mit dem Begriff Hintergrund gerade nicht das Wesentliche in den Blick gebracht. Die besondere Perspektive der erlebten Wahrnehmung, welche hier die Setzung des Imperfekts rechtfertigt, ja bedingt, erschöpft sich nicht in so etwas wie Hintergrund". Zusammenfassend gesagt, ist Hilty sich mit Weinrich einig in der Wichtigkeit der Reliefgebung, nur wird die Ursache-Wirkungs-Relation von beiden Forschern unterschiedlich gewertet; anders als bei Weinrich ist das Relief bei Hilty die Ursache. Der Wirkgrund aber ist die Tatsache, daß hier verschiedene aspektuelle Gesichtswinkel vorliegen, unter denen die Handlungen betrachtet werden. Diese unterschiedlich perspektivische Sicht ist die Ursache für das Relief und damit das Wesentliche. Das heißt, daß im Italienischen bzw. Französischen ganz wie im Kreol mit einem imperfektiv (aspektual) gedeuteten imperfetto bzw. imparfait eine Verlebendigung dargestellt werden kann. Dies ist im Kreolischen auf phrastischer Ebene auch in folgendem Sinne möglich: a kriyé i ka kriyé – 'il ne fait que crier'. Die folgenden Beispiele können als fokussierend oder besser als emphatisch gedeutet werden.

(14) Guy

i ka kontan li 'er mag es doch'

(15) Guy Jean-Louis 1987: 401, 404

Tout moun pran fè! A, yé ka savé yé kanmarad ka pran fè, mé yé lé alé ... 'Tout le monde échoue. Ils savent pourtant que leurs camarades échouent, mais ils veulent y aller quand même.'

Das letzte Beispiel ist genauer zu übersetzen mit 'obwohl sie doch wissen ...'. Dieselbe Funktion wie in (15) ist auch im Kreolischen der Kapverden anzutreffen: ta konosé 'er kennt [es] sehr wohl doch' (persönliche

103

Mitteilung Prof. Dr. Jürgen Lang). Andersen (1990) zeigt, daß auch ta im Papiamentu neben Progressiv und Habitualis die Funktion eines Fokusmarkers übernehmen kann185:

(16) Cap Andersen 1990: 92

Basta n' ta over di politik bo ta papia ku mi, no? provided not FOCUS about of politics you T/ A talk with me, no 'Provided you 're not going to talk to me about politics, right?'

So kann, zusammenfassend gesagt, der Imperfektivmarker in seiner progressiven Ausprägung formal und funktional das markierte Glied der Opposition sein, mit welchem die Fokussierung oder Emphatisierung erfolgt. Bei längeren Erzählungen kann diese Fokussierung oftmals im Sinne eines Hineinversetzens in den Handlungsprozeß gedeutet werden. Doch ist diese Funktion im Guayanakreol nicht auf das Erzählen beschränkt. Den fettmarkierten Verben im folgenden Beispiel entspricht eine Form des Hineinversetzens, aber diesmal in einer Erläuterung, nicht in einer Erzählung:

(17) TGuy 132

L [ mé sa fini . i di mo i pa gen zafè aber das ist vorbei er hat mir gesagt es gibt das nicht mehr L moun ki ka bay téhen ankò non a pa bay daß der Leuten Land gibt nein es geht nicht um Schenken G non mo pa ka doumandé bay nein ich verlange nicht daß er es schenkt L [ kou aprézan . konsidiré to ka di mo sa . mo k'alé trouvé l' wie jetzt sagen wir mal du sagst mir das ich suche ihn auf L i ka bay to to ka péyé to téren er gibt es dir du zahlst dein Grundstück G péyé voilà voilà voilà voilà zahlen genau genau genau genau L [ i pa ka bayALFA . yé pa ka bayALFA moun pou bon tchò en . non a pa er gibt es nicht sie geben es den Leuten nicht umsonst nein es ist nicht L [ pou bon tchò yé ka fèALFA to péyé . wè alò pa mo . to ka gen umsonst sie lassen dich bezahlen ja also ich nicht du bekommst L [ téren-an . mè aprézan C'EST FINI pa palé .

das Grundstück aber jetzt ist das vorbei nichts zu machen

185 Vgl. auch Fauquenoy 1972: 78: "Dans certains dolos [Sprichwörter], la particule ka

a une valeur expressive ou d'insistance".

104

Hier handelt es sich nicht um eine schnelle Handlungsfolge im Sinne von 'Tür öffnen, auf die Straße gehen, Autotür öffnen, losfahren, vor dem Rathaus scharf bremsen etc.', sondern in den hier nach und nach abgeschrittenen Etappen ist gewissermaßen bei jedem Schritt Zeit im Sinne von Prozessualität mitgedacht. Wenn statt einer aspektuellen eine temporale Interpretation – so geschehen bei sehr wenigen Sprechern – zugelassen wird, könnte in Beispielen wie in (17) auf den ersten Blick auch statt vom progressiven Aspekt von einem présent historique ou de narration186 gesprochen werden, das die Situation ebenfalls für den Erzähler wie den Rezipienten besonders lebendig werden läßt. Dies ist auch für das Französische gut bekannt. So wird etwa im folgenden Auszug dargestellt, wie anläßlich einer Taufe ein unheimlicher Gast mit der Kutsche vorfährt; die Taufgesellschaft wartet gespannt auf die noch unbekannte Dame, die den ebenfalls geladenen Gottvater begleitet; hier soll sie gerade aus dem geschlossenen Wagen aussteigen:

(18) Fra

Quand [Notre-Seigneur] fut descendu, il se retourna vers le carosse en disant: – Sortez, madame la marraine, c'est le moment. Aussitôt, descend un squelette qui avait les os plus blancs que la neige: c'était la Mort. A cette vue, tous les mangeurs qui s'étaient invités s'enfuirent de tous côtés; [...].

Eine temporale Erklärung ist jedoch nicht immer ganz einleuchtend, wie der folgende Textausschnitt zeigt. Ti-Jean erinnert sich nicht an ein Zauberlied, welches das Boot in Bewegung versetzt, das die Kinder dringend benötigen, um vor kannibalischen Teufeln zu fliehen. Das Boot aber fährt nicht mit Rudern, sondern nur mit einem Lied, das die Teufel auf der Herfahrt sangen, doch die Kinder suchen verzweifelt nach dem Text:

(19) Gua Telchid Man talaway 36

Mé ka i te ka chanté la? Eseyé chonjé épi mwen, an ka obliyé. Aber was er T T/A singen da? Versucht Ø erinnern mit mir ich T/ A vergessen.

'Aber was sangen sie da[mals]? Versucht euch mit mir zu erinnern, ich vergesse es gerade/ bin dabei, es zu vergessen.'

In der Situation geht es um Leben oder Tod, das Vergessen wird sozusagen von innen betrachtet. Diese Stelle aus einem guadeloupekreolischen conte, 186 Der Erzähler präsentiert die Dinge, als würden sie im Moment des Erzählens

passieren, so daß der Leser sich als direkter Zeuge des Geschehens fühlen kann. Vgl. Chevalier et al. 1964: 338. Im Rodrigueskreol z.B. ist dieses Mittel der Verlebendigung schwieriger nachzuweisen, da nach einem anfänglichen ti keine Zeitstufenmarkierung folgt. Der Vorzeitigkeitsmarker kann jedoch als Wiedereinreihungsmerkmal (Begriff nach Raible) im Textverlauf funktionieren.

105

die zuerst sehr fremd anmutet, da Vergessen hier mit der Verlaufsform verwendet wird, macht klar, wie wichtig die Idee des Heranzoomens, Erneut-Dabeiseins und im konkreten Verlauf Beobachtens ist. Die Aktionsart ändert sich hier gleichsam von telisch zu atelisch (vgl. Kap. V.2.5.). In anderen Sprachen scheint das Verb vergessen kaum mit einer progressiven Bedeutung gebraucht werden zu können:

(20) Fra-Spa-Deu

(a) ?Je suis en train de l'oublier.

(b) ?Estoy olvidandolo.

(c) ?Ich bin dabei, es zu vergessen.

Me estoy olvidando geht für Spanien nur bei längerem Zeitraum, über Jahre, in Bolivien ist es jedoch auch im Sinne von beinahe hätte ich vergessen belegt. Die Sprecher erläutern dazu folgendes: 'Ich werde mir bewußt, daß das Vergessen fast geschehen wäre, das zu Erinnernde taucht gewissermaßen langsam noch einmal auf, bevor es eventuell ganz verschwindet'. Dies erscheint als semantisch verwandt mit dem imperfectum de conatu, mit dem Beinahe eines französischen il chassait (gejagt, aber nichts gefangen). Es geht um die Sache an sich, das Resultat ('nicht mehr wissen') wurde nicht erreicht. Die Vergegenwärtigung dieses drohenden Vergessens hat in der zitierten Textstelle einen dramatischen Zug, da die Kinder, wenn sie das magische Lied tatsächlich vergäßen, den Kannibalen hilflos ausgeliefert wären. Hier nun der Kontext der zuvor angesprochenen Vergessens-Szene, der die Dramatik deutlich werden läßt:

(21) Gua-Telchid

Yo té ka maché yonn dèyè lót, ou pa té ka tann onsèl dézòd. Yo halé kannót-la an dlo. Mé rivé yo vwè pa ni zaviron. Mésyé, moun konmansé pèd lakat. "Bondyé ségnè lavyèj mari, ka nou kay fè? Sé Dyab-la kay manjé nou!" Ti-Jan ay èché [sic] sé zaviron-la. "Nou pé ké ni tan chapé!" Ti-Jan té kay woupati lè i chonjé, kannót-la té ka maché san zaviron. I di konsa: "Chonjé, pa té ni zaviron; Misyé-la [sic] té ka chanté pou fè kannót-la vansé. Mé ka i té ka chanté la? Eseyé chonjé épi mwen, an ka obliyé." [...] Mesyé! lestonmak a-yo té ka fè labouyi-mayis, kyè a-yo té ka bat bidibim, boum. 'Sie gingen einer hinter dem anderen, du hörtest nicht den kleinsten Laut. Sie ziehen das Boot ins Wasser. Aber als sie fertig sind, sahen sie, es gibt keine Ruder. Meine Herren, den Kindern wurde angst und bange. 'Guter Gott, heilige Jungfrau Maria. Diese Teufel werden uns fressen!' Ti-Jean geht die Ruder suchen. 'Die Zeit wird nicht reichen, um zu fliehen!' Ti-Jean wollte gerade umkehren, als ihm einfiel, das Boot fuhr ohne Ruder. Er sagte: 'Erinnert euch, es gab keine Ruder; die Männer sangen, damit das Boot fuhr. Aber was sangen sie da? Versucht euch mit mir zusammen zu erinnern, ich vergesse es gerade.' Meine Herren! In den Bäuchen der Kindern brodelte es nur so, ihr Herz schlug bidibim boum.'

Hier geht es um das Überleben. Dies könnte eine Erklärungshilfe sein, denn im Französischen oder im Deutschen ist der Gebrauch des Verbs

106

vergessen im (bejahten) Präsens ungewöhnlich. Doch im Kreol erscheint der Satz durchaus akzeptabel – auch z.B. im Kreol von Französisch-Guayana; die Übersetzung würde lauten: "Mé sa i té ka chanté la? Eseyé sonjé ké mo, mo ka bliyé". Es geht hier wie oben darum, daß ganze Textpassagen prozessual dargestellt werden (vgl. Raible 1990a). Wenngleich die Fokussierung einer Handlung in ihrem Verlauf auch im Französischen durchaus ausgedrückt werden kann, so geschieht dies offenbar seltener durch Verbflexion als vielmehr im Sinne einer Deutung der Konkurrenz äußerungsseitig als temporal beschriebener Morphologien. Interessant ist nun ein Vergleich mit dem Kreolischen von Rodrigues; hier dient pé in einer engeren Funktionsbreite als guayanesisch ka ausschließlich als Progressivmarker187, der nicht auf eine Zeitstufe festgelegt ist188.

(22) Rod Soudin 104

Lé tan ki li alé, a bé, zénéral finn trouv Soudin pé alé. Während er Ø gehen, nun ja, der General P sehen Soudin I gehen.

'Während er geht, nun ja, hat ihn der General gesehen, eben als Soudin dabei war zu gehen/ hat der General Soudin weggehen sehen.'

Hier ist der Kontrast sehr deutlich: Das nullmarkierte alé im ersten Teilsatz nennt nur die Handlung an sich, während beim zweiten Satz die punktuelle Wahrnehmung des Generals dem in seinem Verlauf gesehenen Gehen des eben nüchtern gewordenen Soudin gegenübergestellt wird189. Eine vergleichbare Gegenüberstellung findet sich auch hier:

187 Allein Valdman 1978: 214 spricht für das créole mauricien von einem kombinierten

Progressivität/ Habitualität-Marker. 188 Für Baissac 1880: 34, der das Kreolische noch als vereinfachtes Französisch

charakterisiert, warf der Gebrauch des französischen Verbums mit Modus, Tempus, Numerus und Person derartige Schwierigkeiten auf, daß das System stark vereinfacht werden mußte. Gleichwohl konstatiert Baissac auch die Existenz neuer Kategorien, wie etwa (für das Mauritiuskreol) die préposition auxiliaire apé, die Gleichzeitigkeit ausdrücke, und zwar auf allen Zeitstufen; vgl. zu ähnlichen Deutungen für das guayanesische ka etwa Contout 1973 und Horth 1948.

189 Der Imperfektivmarker mit der ausschließlichen Bedeutung 'prozessual' kommt im Korpus auch in seiner Variante apé vor: Ki ou apé per? (Soudin 106). Beide sind offenbar auf das regiolektale französische Etymon être après (à) faire zurückzuführen; vgl. Kap. VIII.1. Der Marker kann hier auch als Subordinationsmarker verstanden werden, vgl. Ludwig 1992.

107

(23) Gua-Ti pay vèr 70

Mèsyé a pa ti wont fanm-la té wont, i pa té sav ola pou mété kó a-y. Sé moun-la i té la la, té ka gadé-y, [...]. Papa Ti Pay Vèr fè-y foumwalkan. I mandé pitit a-y padon. 'Meine Herren, die Frau [die böse Stiefmutter] schämte sich sehr, sie wußte nicht, wo sie sich verstecken könnte. Die Leute standen um sie herum und blickten sie an. Der Vater von Ti Pay Vèr verstieß sie. Er bat sein Kind um Verzeihung.'

Gerade die durch apa ti wont [i] té wont und té ka gadé-y ausgedrückten Sequenzen vermitteln den Eindruck, daß der Erzähler sich in das Geschehen hineinversetzt, es gleichsam in Zeitlupe von innen sieht. Hintergrundgeschehen wird hier wie schon in den Beispielen (12-14) nicht ausgedrückt. Die folgenden Aktionen sind nur Folgen des eigentlichen Geschehens, die von außen gesehen wiedergegeben werden (perfektiver Aspekt). Sehr klar ist die Betonung der Sichtweise der Handlung von innen durch den Marker pé auch im folgenden Rodrigues-Beispiel: Ein Holzkreuz unter dem einen, eine Kokospalme unter dem anderen Arm, kommt Soudin nichtsahnend eine Anhöhe herunter und erschreckt ungewollt die unten lauernden, feindlichen Soldaten; diese glauben, ihr letztes Stündlein habe geschlagen:

(24) Rod-Soudin 108

Bouré, nou alé! Get Bon Dyé pé désand. Oje, wir Ø gehen! Schaut Gott IPF herunterkommen.

'Nichts wie weg! Seht doch, Gott ist im Begriff herunterzukommen.'

Wichtig ist, daß dies eben zusätzlich, fakultativ dann hinzutreten kann, wenn der Verlauf besonders betont werden soll. In den weitaus meisten Fällen stehen auch imperfektive Handlungen mit der multifunktionalen Nullmarkierung des Verbes. Anders im Guayana-, aber auch im Guadeloupekreol, wo die Entscheidung (ähnlich wie im Russischen) vor der Äußerung für einen bestimmten Aspekt gefallen sein muß. Im folgenden Beispiel für den imperfektiven (progressiven) Aspekt wird die Aufregung der kleinen Mädchen, die zum ersten Mal in einem Boot ihre Insel verlassen, dargestellt:

(25) Gua-Telchid Man talaway 34

Sé manmzèl-la té si tèlman kontan pati, yo pa menn ni tan di fanmi a-yo ovwa. Diese Mädchen PAST so sehr zufrieden abzufahren, sie nicht selbst Ø haben Zeit, Ø sagen Familien ihren Auf Wiedersehen

Asi ti kannòt-la, yo ka ri, yo ka chanté, yo ka palé Sitzend [in] kleinem Boot, sie T/ A lachen, sie T/ A singen, sie T/ A unterhalten.

Während einerseits mit té das Signal für Vergangenheit gegeben ist, sind die folgenden Verben morphologisch zeitlich unmarkiert. Andererseits

108

werden dynamische Verben mit dem Progressivmarker fast immer präsentisch gedeutet. Hier erscheint die Grenze zwischen Tempus und Aspekt ausdrucksseitig zunächst nicht eindeutig. Wenn die temporale Interpretation zugelassen wird, kann wie oben ausgeführt von einem présent de narration (der Erzähler präsentiert die Dinge, als würden sie im Moment des Erzählens passieren, so daß der Leser sich als direkter Zeuge des Geschehens fühlen kann) gesprochen werden, das die Situation für den Erzähler wie den Hörer besonders lebendig werden läßt. Und dies ist im Kreolischen von Guayana auch mit sog. statischen Verben möglich, wie wir bereits an dem Beispiel (5/ 6) mit tris/ ka tris sehen konnten.

V.2.2. 'La passion selon St-Jean en langage nègre' Nun zu einem der ältesten Sprachdenkmale der karibisch-frankokreolischen Sprachen, denn die hier untersuchte vergegenwärtigende prozessuale Funktion spielt dort eine besondere Rolle: Es handelt sich um ein elfseitiges Manuskript, den wohl ältesten langen frankokreolischen Text, der uns bekannt ist. Dieser Text wurde zum Zwecke der Evangelisation von anonymer Hand verfaßt, wohl Anfang des 18. Jahrhunderts, spätestens aber 1740. Dominique Fattier greift die Überlegungen G. Hazaël-Massieux' (1992: 647) auf, der annahm, daß der Text wohl zwischen den Inseln zirkulierte, Charakteristika verschiedener Dialekte aufwies, allerdings mit einer Prädominanz des Dialektes der Kleinen Antillen. Fattier geht einen Schritt weiter, indem sie vermutet, es handele sich hier um die Mutter der französischen Kreolsprachen (1996: 24). Die Autorin nimmt einen interessanten Vergleich mit dem 1802 veröffentlichten Manuel des Habitans de Saint-Domingue des Jesuiten S. J. Ducœurjoly vor, der im Bereich Aspekt und Tempus Ähnlichkeiten aufweist. Beiden Texten ist gemeinsam, daß gemessen am heutigen Sprachgebrauch auf den Antillen 'zu viele' Verben nullmarkiert sind. In der Tat lassen sich in dem Passionstext vierzehn Verben zählen, die nullmarkiert sind, heute aber im antillanischen Kreol mit ka markiert werden müßten. Wenn es sich nicht um Inkohärenzen handelt, könnte dies auf eine andere Distribution der Partikeln verweisen190. Die funktionale Analyse sämtlicher Verbalformen ergibt die interessante Beobachtung, daß

190 Zu notieren ist auch die Einfügbarkeit von la und toujours zwischen té und qu'a.

Fattier: "Dans les deux textes, le système aspectuel repose sur une opposition binaire (forme nue du prédicat versus forme précédée d'une marque aspectuelle) et les valeurs des formes sont, en dépit de leur différence phonique, très voisines (17)".

109

die Verwendungsweisen der Partikel ka (hier in der Schreibweise qu'a [sic])191 in diesem Text in für die Antillen und Guayana ungewohnter Weise 1. nicht die Bedeutung habitual, sondern nur prozessual aufweise und 2. in dieser Funktion auch mit statischen Verben stehen. Beides aber sind Charakteristika des Guayanakreolischen, das also möglicherweise einen älteren Sprachstand konserviert192. In der Folge seien einige Beispiele aufgeführt:

(26) Ant Passion 12

quand tout fini prêt, avla io tous sisés lentour mangé la. alors io tout en trin mangé comme ça. bongué Ø commencé l'ouvrir bouche palé [...] avla nous tous semblés, nous qu'a pleins, vente nous bin bin, nous qu'a badiné, nous qu'a ris, nous tous qu'a palé, hé bin, zottes pas savé, vrai, tini ion moune dans mitan zottes qui douet trahi moé [...] cila [der Verräter] qui qu'a metté lamain dans gamelle avec moé, c'est li meme qui va trahi moé. 'Quand tout fut enfin prêt, voilà que tous s'assirent autour du repas, alors que tous étaient en train de manger comme cela, Dieu ouvrant la bouche, se mit à parler [...]; voilà que nous sommes tous rassemblés, nous nous gavons, notre ventre se remplit, nous plaisantons, nous rions, nous parlons tous; hé bien, vous ne le savez pas, mais il en est un parmi vous qui doit me trahir [...]; celui qui met la main à la gamelle en même temps que moi, c'est lui précisément qui me trahira.'

Im Kontext wird die Bewegung und Aufregung der Jünger in der hier geschilderten Szene deutlich. Im Vergleich zum heutigen Kreol ist auch der Gebrauch der Periphrase en trin + Verb für die Prozessualität auffällig. Wenn es sich nicht um eine ad-hoc-Entlehnung aus dem Französischen handelt, ist von einer Konkurrenz mit qu'a auszugehen. Aus dieser Situation wäre die letztere Form im Sinne der Grammatikalisierung als erfolgreich hervorgegangen und hätte en trin verdrängt. Neben den genannten Übereinstimmungen mit dem heutigen Guayanakreol (ka-progressiv und in dieser Eigenschaft auch mit statischem Verb gebraucht (plein193)) fällt ein weiteres Charakteristikum ins Auge, das in Guayana und Louisiana, nicht (mehr) aber auf den Kleinen Antillen anzutreffen ist. Der Marker té steht für past, nicht für past perfect, und dies nicht nur für statische Verben (barassés), sondern auch für dynamische (dire), das Ungewohnte vom Standpunkt des Antillenkreolischen zeigt sich schön im 'Zögern' der Übersetzung Guy Hazaël-Massieux':

191 Die Schreibung wird hier nicht als Beleg für französischen Ursprung gewertet,

zumal der Text von französischen Jesuiten geschrieben wurde. 192 Von einer Monogenese muß deshalb nicht ausgegangen werden, nur von ehemals

größeren Ähnlichkeiten. 193 Vermutlich ändert sich die Aktionsart von 'voll sein' zu 'füllen' (vgl. Kap. V.2.5.).

110

(27) Ant Passion 11

dans tems la, comme jour paque té proche, tous preres jouifs la ïo tous faire complot pour quiember jesi: mais ïo té bin barassés. ïo té dire, comment nous va faire? 'En ce temps-là, comme le jour de Pâques était proche, tous les prêtres juifs complotèrent pour attraper Jésus: mais ils étaient bien embarrassés. Ils avaient dit [ils disaient]: Comment ferons-nous?'

Dieses Beispiel könnte noch eine Deutung (wenigstens vom Französischen her) im Sinne eines plus-que-parfait erhalten; im nächsten Beispiel aber nicht, denn 'jdn. nennen/ rufen' ist gerade das typische Beispiel für Habitualis:

(28) Ant Passion 11

jour la jesi té la case ion bequié qui té tini pian, io té (1) crié li simon; comme io té qu'a (2) mangé lentour table, ioune femme Ø (3) vini entré (es folgt die Beschreibung der Frau). 'Ce jour-là, Jésus était chez un béké qui avait le pian – on l'appelait Simon; comme ils mangeaient autour d'une table, une femme vint à entrer.'

In (28) votiert auch die Übersetzung eindeutig für das imparfait194. Hier wird also té mit dynamischen Verben klar in der Funktion eines past verwendet, té ka hingegen, das heute meist diese Funktion erfüllt, ist hier im Sinne des Pollakschen Inzidenzschemas als Inzidenzbasis zu sehen, in die als Sekante die Handlung vini entré einschneidet, dies kann auch mit Weinrichs Hintergrund-vs.-Vordergrund-Reliefschema gedeutet werden. Wie bereits ausgeführt, bedeutet qu'a nie Habitualis (dieses wird durch té, Ø oder koutimé ausgedrückt), sondern immer Progressiv, und zwar typischerweise immer in direkter Rede, wenn jemand über etwas spricht, das vor seinen Augen gerade abläuft:

(29) Ant Passion 12

jesi gardé li, di li, ... toé meme qui qu'a faire tant vanté, avant coq chanté dés fois tant selement, toé allé dire [...] 'Jésus le regarda, lui disant ... Toi même qui te vantes tant, avant que le coq n'ait seulement chanté deux fois, tu diras [...].'

(30) Ant Passion 15

li dire: aye, soif qu'a touyé moé 'Aïe, je meurs de soif.'

194 Guy Hazaël-Massieux hatte schon die teils ungewöhnliche Nutzung der TMA-

Marker in einem sonst recht modern anmutenden Text angemerkt, ohne sie im Detail zu analysieren. Erstaunlich hingegen ist die etwas oberflächliche Deutung Prudents 1993, der 'kaum Abweichungen' zum heutigen Usus vorfindet.

111

Präsens oder Habitualis aber wird mit Ø versprachlicht, z.B.: "zottes cusé li pour ayen" (14; 'vous l'accusez pour rien'), auch: "zottes prend moé pour bin sot" (13; 'vous me prenez pour bien sot'). Nun könnte es ja sein, daß in diesem Text gar keine Habitualisfunktion vorkommt. Es sind aber 14 Fälle zu verzeichnen, in denen verschiedene Formen den Habitualis ausdrücken; ka ist jedoch nicht dabei. Acht Fälle werden mit Vollverb ausgedrückt; diese stehen alle ohne ka. Also besitzt die Partikel ka in diesem Text ausschließlich die Funktion konkret-prozessual. Interessant ist, daß es eine heute verschwundene Form koutimé gab (?> frz. être accoutumé de). Diese ist in meinem Korpus nur einmal, nämlich in Saint-Quentin, zu finden:

(31) Guy-Atipa 3

Souvan Bonguié koutmé vini // Pou palé ké sa moun ki bon ... 'Souvent le Bondieu venait // Pour parler aux bonnes gens ...'

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß anders als im Kreol der Kleinen Antillen der Marker ka im Kreol der guayanesischen Isolate vor allem progressive Bedeutung hat und in dieser Funktion mit dem Gebrauch des wohl ältesten kreolischen Textes übereinstimmt. Die in der Forschung zu findenden Beschreibungen als Präsens beachten nicht, daß der progressive Aspekt eine starke Affinität zum Präsens haben kann (was ich in Details bzw. im Prozeß beobachten kann, spielt sich oftmals eben vor meinen Augen – und das heißt 'hier und jetzt' – ab). Dies aber ist nicht der prototypische Gebrauch, sondern gleichsam ein Bedeutungseffekt. Diese Überlegung trifft in analoger Form auch für die Nullmarkierung zu: Handlungen, welche sich besonders gut in der Totale darstellen lassen, sind vergangene Handlungen, wie etwa im folgenden Beispiel:

(32) TGuy 132

L [ mo Ø levé isi . mo Ø né isi . mo Ø levé isi . mo Ø maryé isi ich bin hier aufgewachsen ich bin hier geboren ich bin hier aufgewachsen ich habe hier geheiratet L [ mo Ø fèt tout bagaj isi . apré mo mari Ø mori jèn . mo mari Ø mori i té gen ich habe alles hier gemacht dann starb mein Mann jung mein Mann starb er war L [ trantsiz an lò mo Ø wè sa mo té ganyen wit timoun . mo mari Ø lésé mo 36 Jahre alt als ich das erlebte hatte ich acht Kinder mein Mann ließ mich schwanger L [ ansent . gro vant . mo Ø pati . mo Ø alé Cayenne sasé travay zurück mit dickem Bauch ich bin fortgegangen ich bin nach Cayenne gegangen Arbeit suchen

In dieser Kurzform der vita in Form einer Geschehenskette sollen die Ereignisse nur aufgezählt und nicht im Detail geschildert werden. Typisch

112

für die guayanesische Nullmarkierung ist nicht die (auch hier als Effekt vorliegende) Vergangenheitsreferenz, sondern die Darstellung in der Außensicht/ Totale (vgl. Kap. V.2.7. und V.2.10.).

V.2.3. In ein laufendes Geschehen einbrechende Aktion In diesem Kapitel soll deutlicher als in den Kapiteln V.2.1. und V.2.2. eine Kontrastierung zwischen Kreol und Französisch vorgenommen werden. Dafür sollen zwei für das Französische entwickelte Modelle (Weinrichs Reliefschema und Pollaks Inzidenzschema) an Beispielen erläutert und in ihrer Anwendbarkeit auf das Kreolische getestet werden. Es geht nicht um eine Übertragung von französischen Kategorien auf das Kreol: Zum einen sind beide Modelle explizit als außereinzelsprachliche Ansätze konzipiert; zum anderen soll eine kritische Erprobung der Modelle und nicht des Kreols vorgenommen werden195. Schließlich soll die Spezifik des Kreols – aber auch mögliche Parallelen – im Kontrast zum Französischen akzentuiert werden. In Kapitel IV.1. ist referiert worden, daß Harald Weinrich den Aspektbegriff für unglücklich hält; folgerichtig lehnt er auch die von ihm als klassisch bezeichnete Deutung der Opposition imparfait vs. passé simple als 'Linie vs. Punkt' ab. Weinrich unterscheidet statt dessen Tempora, die in der erzählten Welt dominieren, und solche, die dann vorherrschen, wenn nicht erzählt wird. Die erstgenannte Tempusgruppe dient nach Weinrich dem Ausdruck der besprochenen Welt (Tempusgruppe I), die Tempusgruppe II bezeichnet die erzählte Welt. Einem présent in der ersten Tempusgruppe entspricht nach diesem Modell ein imparfait oder ein passé simple in der Tempusgruppe II, die also quantitativ reicher ist, insofern sie z.B. Varianten von Rückschauperspektiven enthält (Weinrich 1964: 151). Demnach kann der Erzähler in seiner Rückschau wählen, was zum Erzählkern gehören soll und was Nebenumstände sind. Dies sei an einem Beispiel aus dem Französischen illustriert. Ein König eröffnet seinem Sohn, daß dieser in sechs Monaten heiraten und seine Nachfolge antreten solle:

195 Mit dieser zugespitzten Formulierung ist eine Absetzung gegenüber den als

Defizithypothesen faßbaren Beschreibungen gemeint, welche ausgehend vom Französischen zeigen, was dem Kreolischen an Kategorien fehlt. Vgl. z.B. Goux 1842, Saint-Quentin 1872.

113

(33) Fra Reine 59

La reine écoutait sans rien dire. Mais elle pensait: – Ah! Dans six mois, je ne serai plus maîtresse au château. Nous verrons. Après souper, elle prit son fils à part.

Zum Erzählkern gehört, wie aus dem Kontext hervorgeht, ein Gespräch Vater (König) – Sohn, während der Nebenumstand darin besteht, daß die Mutter zuhört. Nach dem Essen übernimmt die Mutter die aktive Handlungsrolle196. Auf formaler Ebene steht hier der Tempuswechsel. In diesem Sinne hätten die Tempora hier primär die Funktion, dem Leser Signale zu geben. So konstituiert etwa das imparfait am Anfang oder Ende einer Erzählung einen Rahmen, das Tempus kann u.a. also auch die Grenze zwischen besprochener und erzählter Welt markieren: "Auf diese Weise erhält die Erzählung Relief und gliedert sich nach Hintergrund und Vordergrund. Das imparfait ist in der Erzählung das Tempus des Hintergrunds, das passé simple ist das Tempus des Vordergrunds"197. Auch die beiden folgenden Beispiele lassen sich mit diesem Reliefschema erklären, nach welchem die Verben im imparfait auf Hintergrund-handlungen, die Verben im passé simple auf Vordergrundgeschehen verweisen:

(34) Fra Drac 232

Tandis que la voiture roulait, elles ouvrirent la portière doucement, bien doucement, et, sans être vues des deux frères, lancèrent la Belle Jeanneton dans un bourbier.

196 Das Geschehen könnte szenisch umgesetzt werden. Die Vordergrund-Hintergrund-

Elemente würden so besonders deutlich. 197 Weinrich 1964: 159: "Die Reliefgebung nach Hintergrund und Vordergrund ist die

eine und einzige Funktion, die die Opposition von imparfait und passé simple in der erzählten Welt hat". Wenngleich das Kapitel zum Aspekt in den späteren Auflagen unterdrückt wurde, so ist dieses Modell der Reliefgebung auch in der vierten Auflage 1985 der zentrale, wenn nicht ausschließliche Erklärungsansatz. Ich gehe nicht auf den Exklusivitätsanspruch ein (Pollak 1968: 402), sondern interessiere mich für die Anwendbarkeit des Weinrichschen Erklärungsansatzes auf mein Korpus. Boyer 1985: 82 modifiziert die rigide Aufteilung Weinrichs in eine mehrfache Reliefgebung. Der Autor zeigt z.B., daß in einem autobiographischen Text das passé simple auch das subjektiv Spektakuläre ausdrücken kann, das sonst funktionsgleiche passé composé nicht. Der Autor geht hier nicht von 'klassischen' literarischen Texten aus, sondern von einem allenfalls alltagsliterarischen, in welchem der Tempuswechsel schlicht dazu diene, einzelne Momente des Berichtes gegeneinander abzusetzen. In seiner Schlußfolgerung postuliert Boyer, daß die narrativen Tempora oft allein einen Bruch im Erzählfluß kennzeichnen, also reine pragmatische Signalfunktion haben. Dieser Ansatz weist auf die anfangs dargestellte Funktion der Textsegmentierung zurück.

114

(35) Fra Drac 234

Un jour, le Fils du Roi de France aperçut, de sa fenêtre, la Belle Jeanneton qui retournait chez sa maîtresse. Aussitôt, il en tomba amoureux fou.198

(36a) Fra Drac 233

La créature obéit. Mais ce n'était pas le blé, c'étaient les poux, qui tombaient de ses cheveux, par boisseaux.

Doch eine weitere, kontextuell offenbar ganz parallele Stelle fällt aus dem Schema heraus:

(36b) Fra Drac 239

Les valets obéirent. La Belle Jeanneton se peigna. De ces cheveux, le blé tomba par boisseaux.

Auf der Erzählebene ist diese Handlung auf den ersten Blick nun aber ebenso dem Vordergrundgeschehen zuzuordnen wie die parallele Stelle. Aus narrativer Sicht handelt es sich jedoch bei den ersten Beispielen um Vorgänge, die dem Erzählstrom keinen Impuls verleihen: In bezug auf die Belle Jeanneton und ihre boshafte Stiefschwester geht es um das Zeichnen mehr oder weniger schöner Porträts. Die eigentliche Handlung ist anderswo (das Aufbrechen in den Krieg, der dem König geleistete Gehorsam etc.). Im letzten Beispiel jedoch ist dieselbe Handlung entscheidend für die Lösung der intrigue (Begriff nach V. Propp) und wird vielleicht deshalb in den Vordergrund des Erzählreliefs gerückt. Möglicherweise vermag hier ein aspektueller Deutungsansatz zusätzliche Klärung zu schaffen. Einen aspektuellen Ansatz, der ähnliche Beispiele zum Gegenstand hat und sich speziell auf die Opposition imparfait vs. passé simple bezieht, hat für das Französische Wolfgang Pollak erarbeitet. Er bezeichnet seinen Ansatz als "Inzidenzschema". Ein solches Schema ist dann gegeben, wenn eine Handlung in ihrem Verlauf dargestellt wird (Inzidenzbasis, imperfektiv), in die eine zweite Handlung hineinbricht (Inzidenzsekante, perfektiv; Pollak 1988: 107): "Eine Handlung ist in ihrem fieri dargestellt, und nun bricht ein Geschehen herein, das in seinem 'surgissement' [...] erfaßt wird" (1988: 219). Das folgende bereits zitierte Beispiel scheint die Nutzbarkeit dieses Modells zu bestätigen. Als der junge König plötzlich um Mitternacht erwacht, steht das Gespenst schon bereit und schaut ihn an:

198 Hier wird die Interferenz zwischen Aktionsart und Aspekt deutlich: apercevoir und

tomber amoureux sind inhärent ausdehnungslos (siehe Kap. V.2.5. und IV.6.).

115

(37a) Fra Reine 63

Le roi se coucha, et s'endormit. Le premier coup de minuit le réveilla. Un fantôme le regardait.

Dieses Beispiel ist insofern jedoch kein typischer Inzidenzfall, als das Hintergrundereignis nachgestellt ist. Ähnliches gilt auch für die folgenden Beispiele. Eine textuell analoge Struktur wie in (37a) ist anscheinend in einem guadeloupekreolischen conte nachweisbar. Das Phantom ist diesmal nicht der Geist des verstorbenen Vaters, sondern eine gute Fee. Auch sie steht bei Ankunft des Helden schon bereit:

(37b) Gua Ti pay vèr 68

Timoun-la maché twa jou pou rivé an bwa-la. I touvé marenn a-y ka atann li [...]. 'Nach drei Tagen Fußmarsch kommt das Kind zu dem kleinen Wald. Es erblickt die Patin [= die gute Fee], die auf ihn wartet.'

Wendet man das Pollaksche Modell an, so wäre von einem semantischen Blickpunkt das Warten die Inzidenzbasis, das Erblicken/ Auffinden die Inzidenzsekante. Auch auf der Ausdrucksseite entsprechen der nullmarkierte perfektive Aspekt (touvé) und der mit ka markierte imperfektive Aspekt (ka atann) dem Schema. Auch in größeren Texteinheiten ist diese Deutung möglich; der folgende Teiltext ist perfektiv zu deuten:

(37c) TGuy 154

M [ agouti-a volé di mo lanmen plak (lacht) das Hasenwiesel fliegt mir aus der Hand plak M [ i troté i démaré i pa té byen maré . chen-an vini pran agouti-a es läuft es reißt sich los es war nicht festgebunden der Hund fängt das Wiesel M [ mété l' annan menm trou ankò . a mo di wè !sa chyen-an! steckt es in dasselbe Loch noch mal ah ich sage ja dieser Hund

Alle Verben sind nullmarkiert, es liegt eine Handlungskette vor, bei der jede Handlung nur als Glied der Kette gesehen, d.h. nicht im Detail vergegenwärtigt wird: Agouti gefangen, Agouti reißt sich los, Agouti wieder verloren – Episode zu Ende. Da fällt der Blick der Jägerin auf einen Bekannten, der gerade des Weges kommt, dies ist die prototypische Verwendung der Progressivität: Der Bekannte ist schon länger dort unterwegs, aber sie nimmt ihn gerade erst wahr, er bleibt aber deshalb nicht sofort stehen.

116

(37d) TGuy 154

M [ mo wè 'n kompè té ka paséIBAS . mo diISEK kompè . souplé vin maré mo ich sehe einen Nachbarn der vorbeigeht ich sage Nachbar bitte komm das Agouti M [ agouti-a ba mo non für mich festbinden

Hier läßt sich gut das Modell des Pollakschen Inzidenzschemas anwenden. Das Gehen des Mannes ist die Inzidenzbasis (Kürzel: IBAS), eine im Laufe befindliche Handlung, in die eine zweite Handlung, hier das Erblicken in der Darstellung aus einer bestimmten Perspektive (nämlich die der alten Dame), wie eine Sekante hineinschneidet (Inzidenzsekante; ISEK). Das Inzidenzschema kann im Guayanakreolischen jedoch nicht nur in erzählenden Texten, sondern – wie das folgende, bereits in Kap. V.1. zu anderem Zweck zitierte guayanesische Beispiel zeigt – auch in der Alltagskonversation zur Beschreibung herangezogen werden. In den Spaziergang bricht gleichsam das spontane Vorbeischauen bei der Großmutter hinein (Majuskeln: Französisch):

(38) TGuy 132 L wè sa komansé myé sa komansé myeu wi [...] sa Ø alé byen ja es beginnt besser zu werden es beginnt besser zu werden es geht gut B <? ÇA VA MIEUX ?> L sa Ø alé byen zot Ø pasé zot ka fè <? 'n pitit promnad ?> es geht gut ihr kommt vorbei ihr macht einen kleinen Spaziergang C OUI ON SE PROMENE L AH BON <? UNE MINUTE ?> ah bé ÇA VA B é mè si nou pasé rantré <! UNE MINUTE !> aber ja wir kommen auf einen Sprung vorbei

Hier wird ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Kreol und dem Französischen deutlich. Die aspektuelle Differenzierung ist grammatisch im Kreolischen sowohl auf der Zeitstufe der Vergangenheit (té ka vs. Ø) als auch der Gegenwart (ka vs. Ø) möglich. Im Französischen hingegen läßt sich eine aspektuelle Bedeutung im Sinne des Inzidenzmodells aus-drucksseitig im présent nicht nachweisen, da sie morphologisch nicht greifbar ist:

(39) Fra Drac 229

Quand elle se peigne, le blé tombe de ses cheveux par boisseaux [...].199

199 S.o. zu parallelen Beispielen auf der Stufe der Vergangenheit.

117

Im Sinne des Inzidenzschemas kann auch ein Rodrigues-Beispiel genannt werden: Ein Schäfer ist im Begriff, langsam mit seinen Tieren weiter-zuziehen, als er plötzlich Pagla entdeckt:

(40) Rod Roi 4

Gardyin mouton ti apé pas, apé vey enn troupo mouton li Ø dir: [...]. Der Hirte war am Vorbeigehen, ist dabei, eine Schafherde zu sehen, er sagt: [...]

Inzidenzsekante ist also das Sprechereignis (Ø dir), Basis das Schafehüten (apé vey). Hier liegt ein typisches Inzidenzschema vor, das die Reihenfolge Hintergrund-Vordergrund aufweist. Das gleiche Modell ist jedoch auf der Signifikantseite auch ohne den Marker apé denkbar; auch die Nullmarkie-rung kann für einen vergleichbaren Fall stehen: Der in einen Sack einge-nähte Held erspäht durch ein von Mäusen gefressenes Löchlein plötzlich die Außenwelt wieder und sieht Leute, die 'im Begriff sind' vorbeizugehen.

(41) Rod Roi 4

kan li Ø regard déor, li trouv dimoun Ø pasé als er hinausblickt, sieht er Leute vorbeigehen

Die nachstehende Untersuchung zur Progressivität soll hier Klärung schaffen (vgl. jedoch auch die Kapitel zur Subordination). Das folgende Textstück – wieder aus einem französischen conte – erfordert eine komplexere Deutung:

(42) Fra Drac 230

Les deux frères montèrent à cheval, et partirent au grand galop. Trois jours après, ils arrivaient à la maison de leur père.

Arriver wird hier nicht in die Handlungskette monter-partir-arriver eingefügt, da es gleichsam die Voraussetzung, d.h. der Hintergrund für die ohne Transition folgende direkte Rede ist. Eine zweite Deutung wäre aspektuell: Die Handlung wird von innen, in ihrem Verlauf befindlich geschildert; die Brüder sitzen noch auf ihren Pferden, und während sie noch die Tiere 'versammeln', sprechen sie schon zu ihrem Vater – so wichtig und vordringlich ist die Botschaft. Eine mögliche Deutung ist die der 'Versetzung': Der Leser fühlt sich durch die Unterbrechung der Kette passé simple/ passé simple/ imparfait in die Vergangenheit versetzt200. In anderen Fällen jedoch greift das Hineinversetzen nicht als Erklärung:

200 Dauses 1981. Hier treffen sich beide Erklärungen. Vgl. auch die parallele Stelle bei

der Ankunft der Kutsche am Meer (Drac 230). Vgl. Dietrich 1973: 132, Grevisse 1980: §§ 717f.

118

(43) Fra Drac 229

Quand mes deux frères seront riches, ils reviendront me chercher, et ils me marieront à mon gré. Tandis que la Belle Jeanneton pensait ainsi, ses frères servaient à la guerre.

Hier werden zwei gleichzeitig im Hintergrundgeschehen ablaufende Handlungen dargestellt. Es läßt sich aber auch zusätzlich deuten, daß das Mädchen jeden Tag so dachte, da sie jeden Tag wieder Leid zugefügt bekam: La marâtre et sa créature lui faisaient souffrir nuit et jour (iterative Bedeutung). Aus einem erzähltechnischen Blickwinkel gesehen, scheint es naheliegend zu notieren, daß der Erzähler den Sprechakt mit Bezug auf die erzählte Handlung orientiert und seine Rezipienten an die Seite sowohl der Brüder als auch der Schwester setzt; weder ist an den Beginn der Situation gedacht, noch ist ein Ende abzusehen. In diesem Sinne will der Sprecher nicht über dem Geschehen stehen, sondern er läßt es gleichsam von innen miterleben. Die Verbsemantik ließe auch eine Außensicht zu. In jedem Fall kann die Entscheidung über die Sichtweise dem Sprecher überlassen sein; dies zeigt sich noch einmal deutlich, wenn nun das bereits in bezug auf seine Tempusstruktur untersuchte Beispiel aufgegriffen wird. Die Prüfung des Kämmens entlarvt die 'falsche Braut':

(44) Fra Drac 233

La créature obéit. Mais ce n'était pas le blé, c'étaient les poux qui tombaient de ses cheveux, par boisseaux.

Bei der Darstellung im imparfait ist dem Erzähler daran gelegen, den Vorgang des Kämmens in seinem Verlauf darzustellen, während der Akt des Gehorsams zuvor als von außen gesehene Tatsache wiedergegeben wird. Im folgenden Beispiel ist es nun 'die richtige Braut':

(45) Fra Drac 239

Les valets obéirent. La Belle Jeanneton se peigna. De ces cheveux, le blé tomba par boisseaux.

Der Erzähler entschließt sich, das Kämmen nicht als von innen gesehenes Geschehen wiederzugeben; nunmehr ist nur noch der Beweis nötig, die Handlung wird gleichsam als Tatsache von außen gesehen. Auch das folgende Beispiel sieht formal zunächst nach einem Inzidenzschema aus:

(46a) Fra Reine 58

Et le roi prenait un bâton, et frappait à grands tours de bras. Cela fait, il envoyait son fils en prison, coucher par terre, avec de l'eau pour boire, avec du pain noir pour manger. C'est pourquoi le jeune homme devint vite si sage, si honnête, que tout le monde disait: [...]

119

Zwar können die – wie der Kontext ergibt – regelmäßigen Diszipli-nierungsmaßnahmen des Vaters als Inzidenzbasis gelten, doch drückt das Verb devint hier kein 'surgissement' aus, sondern den Abschluß eines Reifeprozesses. Dies aber ist die Voraussetzung für den nächsten Handlungsschritt, so daß in diesem Beispiel die Vordergrund-Hintergrund-Metapher die adäquatere Erklärung ist. Nicht so in folgendem Textstück, das ich noch einmal, diesmal unter dem Blickwinkel der Inzidenz, be-trachten möchte. In dem vorausgehenden Text ist die Rede von den neuen Gewohnheiten des nunmehr in einer Berghütte wohnenden jungen Königs.

(46b) Fra Reine 62

Un soir, le roi priait Dieu dans sa cabane. Il pria longtemps, bien longtemps, et s'endormit.

Die Semantik schließt hier die Anwendung des Inzidenzmodells aus, insofern als es wenig sinnvoll erscheint, ein langes Beten in ein Beten unvermittelt eintreten zu lassen201. Hier führt eine aspektuelle Deutung im Sinne der im vorigen Kapitel entwickelten Kamerametaphorik eher zu einer schlüssigen Erläuterung: Das Beten wird zunächst in der Nahaufnahme gezeigt, dann fährt die Kamera gleichsam zurück, um das Geschehen in der Totale zu filmen.

201 Aber auch die Weinrichsche Reliefmetapher scheint wenig geeignet, den Sachverhalt

zu klären, es sei denn, dieselbe Handlung solle direkt hintereinander Hintergrund- und Vordergrundgeschehen sein.

120

V.2.4. Regreßpflicht Im folgenden geht es nicht um aspektuale oder temporale Basis- oder Nebenwerte (d.h. prototypische oder periphere Funktionen) einer bislang als Aspekt-Marker klassifizierten Partikel, sondern um modale Werte des Markers ka. Wenngleich Modalität nicht eigentlich Thema der vorliegenden Arbeit ist, so soll diese Funktion der Partikel ka der Vollständigkeit halber dennoch erläutert werden. Zudem ist das Auftreten dieser modalen Randfunktion ein guter Indikator für die Klassifizierung von ka als Aspekt- oder als Tempusmarker. Ein Imperfektivmarker kann typischerweise leichter eine eingeschränkte Gültigkeit oder reduzierte Regreßpflicht ausdrücken als ein an das hier-und-jetzt der origo gebundenes Präsens.

(47) QGuy 34202

(a) Mo frè fin soti laplaj. I Ø di lanmè-a bon. 'Mein Bruder kommt gerade vom Strand zurück. Er sagt, das Wasser ist angenehm.'

(b) Mo fré fin soti laplaj. I ka di lanmè-a bon. 'Mein Bruder kommt gerade vom Strand zurück. Er sagt, das Wasser sei angenehm [aber ob das so

stimmt?].'

In (b) ist die Aussage weniger assertiert, es gibt nicht etwa einen zeitlichen Unterschied, sondern eher einen modalen (vgl. zu anderen Sprachen Heine et al. 1993). Der imperfektive Aspekt drückt hier also aus, daß die Aussage des Bruders referiert wird, ohne daß für die Richtigkeit dieser Aussage Gewähr übernommen wird. In der Quechua-Linguistik spricht man in ähnlichen Beispielen nicht von reduzierter Regreßpflicht, sondern von non-testimonial reportativ. Interessanterweise liegt z.B. im Quechua der Provinz Cochabamba (Bolivien) dieser grammatischen Markierung in diachroner Perspektive offenbar ebenfalls der imperfektive Aspekt zugrunde203. In ähnlicher Weise kann auch das Verb 'glauben' in verschiedenen Korpusbeispielen mit Ø oder ka markiert werden:

202 Das folgende Beispiel ist nicht dem Korpus spontaner Sprache, sondern dem

Fragebogen entnommen und daher statt mit T (Text) mit Q (Questionnaire) bezeichnet.

203 Vgl. Escobar 1997.

121

(48) TGuy 136 D1 [ [...] dé ti bèt pa bokou hen mè yé ka wè dé ti bèt kanmèm . kleine Sachen nicht viel aber sie sehen kleine Dinge trotzdem D2 [ kon dé flanm difé . bèt/ sa sa a 'n lougarou i gen machen Paul204 la mit Flammen Feuer Dinge das ist ein Werwolf es gibt Dings Paul da D3 [ ki té ka espliké mo i wé sa anlè so kaz la la bò dégra la anlè der mir gesagt hat er hat so etwas auf seinem Haus gesehen da da beim Anleger da D4 [ dispansèr-a . é anvan mo té ka plito/ anvan mo ka pansé i gen moun über der Krankenstation und früher [...]/ früher glaube ich gab es Leute die es D5 [ té ka fè'l . pitèt vrè wè . mo pa savé si revé si a révé i ka révé machten das ist vielleicht wahr ich weiß nicht ob sie es träumen einfach bloß sich einbilden D6 [ mo pa ka pansé yé té ké révé konsa a pito léswar osi yé té ka fè sa bèt-ya ich denke nicht daß sie sich das bloß ausdenken würden so es ist eher Abend auch daß sie es machten D7 [ mo ké d'to mo ka krè 'n ti moso . mo ka krè moun-yan 'n ti moso ich werde dir sagen ich glaube es ein bißchen ich glaube den Leuten ein bißchen D8 [ si sé moun-yan byen sérieu wenn diese Leute ernsthaft sind

(49) TGuy

A: mè an tan lontan sé timoun-yan té ka krè sa bokou? aber früher glaubten die Kinder das oft

B: dé ran té ka krè ... einige glaubten es

(50) Guy Verderosa s.d. b:3

Mouché Prospè pa ka krè ki li gen pyay. 'M. Prosper ne croit pas qu'il a [sic] des maléfices.' (übersetzt von Verderosa)

(51) Mar Damoiseau 1979: 166

i Ø kwè yo mené Roger lopital – 'elle pense qu'ils ont conduit Roger à l'hôpital'.

(52) TGuy 150 V5 [ mè zot vini zot trouvé bèt-a konsa aber ihr seid gekommen ihr findet die Dinge so vor V6 [ respekté . . respekté'y [...] mo ka di zot pa ka respekté nou . . ou alò respektiert respektiert sie ich sage ihr respektiert uns nicht entweder also

204 Name geändert.

122

V7 [ paské zot krè ki zot an péyi konki . zot pa ka alé fé sa an Frans205 . ou a weil ihr glaubt daß ihr im eroberten Land seid ihr macht das nicht in Frankreich oder es ist V8 [ paské nou nwè pitèt . nou pa gen bon konprann . nou ingnoran pitèt weil wir schwarz sind vielleicht wir haben nicht viel im Kopf wir sind dumm vielleicht V9 [ donk zot ka alé zot ka empozé zot kò . mo pa kontan moun empozé yé kò also geht ihr her und spielt euch auf ich kann es nicht leiden wenn Leute sich aufspielen

Vergleicht man die Beispiele (48) bis (52) miteinander, so fällt auf, daß sie sich nicht allein im Hinblick auf die aspektuelle Markierung (Ø oder ka) unterscheiden. In den nullmarkierten Fällen scheint die Semantik eine andere zu sein: Hier muß krè eher mit 'denken' übersetzt werden. Bei den mit ka markierten Beispielen ist die Bedeutung hingegen eher 'Glauben schenken'. Dies leuchtet insofern ein, als denken kaum abstufbar im Sinne von 'mehr oder weniger' gebraucht wird, wohingegen Glauben schenken als 'mehr oder weniger' konzeptualisierbar ist206. Interessant ist eine Parallele aus dem Russischen, wo auch der imperfektive Aspekt eine geringere Sicherheit ausdrückt:

(53) Rus Mengel

Gde ty pokupali (kupilp) etot slovar'? Na Kuzneckom Mostu? Ja včera tam byl. Tam net. 'Wo hast du dieses Wörterbuch gekauft? An der Kusnjetzkij-Brücke? Ich war gestern dort, da gab es keine.'

Im imperfektiven Fall wäre die Aussage zu paraphrasieren als: 'Ich kann dir nicht so recht glauben, daß es dort wirklich Wörterbücher zu kaufen gab'. Eine andere Bedeutung ergibt sich mit dem perfektiven Aspekt; die Paraphrase hieße etwa: 'Schade, es gab wohl welche, aber als ich kam, schon nicht mehr, ich kam zu spät'; das Faktum an sich wird also im perfektiven Falle nicht angezweifelt207. Noch ein weiteres Beispiel zum kreolischen krè mit ka bzw. Ø sei angeführt:

205 Sehr schnell gesprochen. 206 Man muß berücksichtigen, daß der epistemische Gehalt von wissen oder glauben in

der Vergangenheit verschieden ist. 207 Hier sei Frau Professor Dr. Svetlana Mengel gedankt, die mich auf diesen Gebrauch

im gesprochenen Russischen aufmerksam machte. Bei diesem Verbpaar handelt es sich für das Russische vom morphologischen Gesichtspunkt aus um einen Sonderfall, da hier der imperfektive Partner präfigiert ist. Die regelmäßig imperfektive Form kupat' ist erhalten, hat aber eine andere Semantik ('jd. baden'). Gerade die Form des 'Übergangsperfektivums' hat deshalb nicht immer futurische Bedeutung: kuplju vse ('ich kaufe alles'), sagt das Gold [sic] in dem berühmten Gedicht bei Puškin; hier wird der perfektive Aspekt nicht als futurisch verstanden, sondern als generell. Funktional ist das Beispiel jedoch weniger singulär, da es um

123

(54) Guy Rattier 5

A koloni vakans, yé ka alé, to ka pati ké yé, to ké byen anmizé to ké wè! réponn manman Bèbèt. Tipolo rété estébékwé. I té ka krè, i té ké pati li rounso, men li blijé pati kè [sic] sa bann ti-moun-yan. (Rattier 5) 'Sie [=die anderen Kinder] fahren ins Ferienlager, und du wirst mit ihnen fahren, du wirst viel Spaß mit ihnen haben, antwortete Mama Bèbèt. Paulchen blieb mit offenem Mund. Er hatte geglaubt, er würde allein fahren, aber [nun] muß er mit dieser Rasselbande fahren.'

Im Französischen stünde hier wie auch in der deutschen Übersetzung past perfect208. Dies heißt dann soviel wie 'hatte fälschlich geglaubt'. D.h., hier ist so etwas wie eine bloß temporäre Gültigkeit enkodiert (vgl. Kap. V.2.1., Beispiel (2) ki sa ou ka kolè? 'warum bist du so wütend?'). Der Angesprochene war nicht an sich Choleriker, sondern aus gegebenem Anlaß vorübergehend in Wut, weil die Frauenmannschaft die Männer übertrumpft hatte. Hier wird die semantische Nähe zwischen progressivem Aspekt und reduzierter Regreßpflicht oder reduzierter Gültigkeit verstehbar: Zum einen ist eine Handlung, die zu keinem Abschluß gekommen ist, sondern imperfektiv dargestellt wird, weniger assertierbar als eine Aktion, deren Resultat vorliegt (perfektiv). Zum anderen werden beim imperfektiven Aspekt Anfang und Ende eines Geschehens zwar nicht fokussiert, sind aber immer mitgedacht, so daß sich die Funktion 'temporäre Gültigkeit' erklären läßt (siehe auch Kap. IV.4. und V.2.5.). Dies sei in Beispiel (55) illustriert:

(55) Guy Atipa

Meinme ça qui pas savé palé, ça qui pas savé lit, ni écrit bon bon, ca rich. 'Même ceux qui ne savent pas parler, ceux qui ne savent pas lire ni bien écrire arrivent à êtres riches.'

(56) TGuy 146

R [manjé si ou wè 'n boug gen 'n asyèt . a sa ki rich .ki ka gen asyèt tandé nou-menm annan kwi essen wenn jemand einen Teller hat das sind die die reich sind die einen Teller haben wir selbst in der Kalebasse

R [a la nou ka manjé zafè kuiyèr a moun ki pouvé té ka gen kuiyèr mè a ké nou lanmen nou ka daraus essen wir was Löffel betrifft das sind Leute die reich sind die einen Löffel hatten aber es ist mit unseren Händen

die Aufhebung der resultativen Bedeutung des perfektiven Aspekts geht und sich der imperfektive Aspekt von daher als weniger sicher präsentiert.

208 Sowohl Ø als auch té könnte man hier im Schriftlichen mit past verwechseln.

124

R [ manjé . mé tout bagaj pwason vyann . a sa nou té ka manjé . | wir essen alles mögliche Fisch Fleisch das war es was wir aßen

S [ <?a sa zot té ka manjé ?> und was haben Sie gegessen?

R [kochon-bwa pakira agouti pak anfen zafè béf mo-menm mo pa lévé ké sa . bèf a-an . Wildschwein Pakira Agouti Pak nun ja was Rind angeht damit bin ich selbst nicht groß geworden Rind nee

R [kochon-bwa kochon-kaz ké sa moun lévé non sa bèt-a pa té gen sa | Wildschwein Hausschwein damit sind die Leute groß geworden nein das Zeug das gab es nicht |

S [ <? pa bèt jivré pa bèt konsa pa bèt konjlé?> nicht Tiefgefrorenes so was Eingefrorenes

In (55) wird ausgesagt, daß nicht alle des Lesens und Schreibens Unkundigen reich sind, aber: 'es gibt auch solche'. In (56) wird gesagt, daß nur die Reichen über einen Löffel verfügten. Eine besondere Form der Einschränkung der Gültigkeit liegt auch bei Negation (vgl. Bsp. 50) und bei einem 'NOCH-NICHT-ENTSCHIEDEN-OB' vor, wie im folgenden Beispiel:

(57) TGuy 132

L [ nou nou pa té konnèt sa . nou menm ka fè rimèd . wir wir kannten das nicht [= zum Arzt gehen] wir selbst machen Medikamente L [ é mo tchenbé sa bagaj jik a mentnan . mo gen dé dòkter-a pou mo und ich habe mir das bis heute erhalten ich habe zwei Ärzte für mich L [ mo gen C . mo gen dokter S. mo pran mo kou . ich habe C. ich habe den Arzt von S. ich habe meine Schläge eingesteckt L [ mo di yé yé lésé mo wè si mo ka djéri mo kò pas sa simen-an ich sage es ihnen sie lassen mich sehen ob ich meinen Körper heile weil diese Woche L [ mo byen . i di209 mo enben . lò to ké pi mal to ké vin koté mo . geht es mir gut er sagt mir na gut wenn es dir schlechter gehen wird wirst du zu mir kommen L [ mo di non . m'pa ké vin koté to . mo ké débriyé ké mo kò . ich sage nein ich werde nicht zu dir kommen ich werde allein mit meinem Körper zurechtkommen

209 Hier ist Ø präsentisch zu übersetzen.

125

L [ enben mo bwè mo remèd . tranpé210 mo . fè tout mo bagaj . na gut ich trinke meine Medikamente mache Schwitzbäder mache alle meine Dinge L [ mo Ø djéri . aprézan mo ka santi mo kò byen . konsa nou menm ka djéri ich bin geheilt jetzt fühle ich mich wohl (in meinem Körper) so heilen wir uns selbst

Die Opposition Ø djéri vs. ka djéri läßt sich wie folgt erläutern: Im imperfektiven Fall ist die Lage 'offen', d.h., es ist nicht klar, ob die Dame gesund wird; sie 'kann' gesund werden. Im perfektiven Fall wird dargestellt, daß ein gutes Resultat vorliegt (die Dame ist genesen). Zu dieser Verwendung des imperfektiven Aspekts scheinen mir folgende Überlegungen Hiltys zutreffend, die bei dem Autor selbst auf den subjonctif im Französischen bezogen sind (1965: 286): "Mit Unsicherheit, Ungewißheit einer Handlung gegenüber ist völlige Aktualisierung in dem Sinne unvereinbar, als diese die gesicherte Zuweisung eines bestimmten Platzes in dem genannten Koordinatensystem in sich schließt. Subjektivität schließlich kann gerade dadurch als solche erfahren und gekennzeichnet werden, daß die von ihr getränkten Handlungen als virtuell in den Blick kommen. Indem ihnen die abgeschlossene Aktualisierung vorenthalten wird, wird ihre objektive Gültigkeit eingeschränkt". In diesem Sinne ist djéri nicht nur als zum Vollzug und Ende gekommener Heilungsprozeß zu verstehen, sondern als eine nunmehr vorliegende inhärente und relativ stabile Qualität (oder Essenz). So könnte sich erklären, daß in einigen Kreolsprachen – gewissermaßen im Umkehrverfahren – sogenannte statische Verben, die letztlich Attributionen sind (im Ø bad im Sanandresino: 'er/ sie ist schlecht, bösartig'), durch die Kombination mit der Imperfektivpartikel in Zustände von nur temporärer Gültigkeit umgewandelt werden (im de bad – 'es geht ihm/ ihr gerade schlecht; er/ sie benimmt sich gerade schlecht')211. Die Perfektivmarkierung drückt im Gegensatz zum imperfektiven ka eine hohe Regreßpflicht aus. Stärker als in den Kreolsprachen der Kleinen Antillen stehen etwa Sprichwörter im Guayanakreol mit Ø, so daß man hier von 'gnomischer Wahrheit' sprechen könnte.

210 Es handelt sich um Schwitzbäder. 211 Dies ist auch für das Englische belegt: he is difficult vs. he is being difficult tonight

'er stellt sich heute aber komisch an' (Professor Dr. Bernd Kortmann; persönliche Mitteilung).

126

(58)

(a) Guy Atipa 1885: 106

To toujou Ø trouvé cabrit monté roche. 'Tu trouves toujours des raisons de te monter [litt.: Tu trouves toujours que les chèvres escaladent les rochers].'212

(b) Guy Haurigot 1893: 168

Piti rhache Ø coupé gro bois. 'Petite hache coupe un gros arbre.'

(c) Guy Anon. 1840: 26

Tigue mouri, chiens Ø prends pays. 'Le tigre meurt, les chiens occupent le gouvernement [Le puissant tombe, les faibles lèvent la tête].'

(d) Guy Atipa 1885: 94

A ça yé ca dit to, rendé sèvice Ø baille chagrin la. 'Voilà pourquoi on dit, rendre service rapporte des ennuis.'

(e) Guy Atipa 1885: 106

Quand pitit zoseau wlé volé, branche toujou Ø cassé qué li. 'Quand le petit oiseau doit s'envoler, la branche casse toujours sous lui.'

In diesen als dolo bezeichneten Sprichwörtern wird der Aussage eine zeitlose (und damit hohe) Gültigkeit gegeben, dies geschieht mit dem perfektiven Aspekt.

212 Wörtliche und freie Übersetzung sowie Zitate der folgenden Beispiele nach Schlupp

1997: 156.

127

V.2.5. Statische Verben In der Kreolistik wird zumeist zwischen statischen und dynamischen Verben unterschieden. Dies begründet sich u.a. dadurch, daß zwei Verbparadigmen zu unterscheiden sind; die bei weitem größere Gruppe der dynamischen Verben kann dem einen, die Gruppe der statischen Verben dem anderen Paradigma zugeordnet werden (vgl. z.B. Ludwig et al. 1990). Die Termini statisch und dynamisch beziehen sich hierbei auf die lexikalische Semantik, d.h. die Aktionsart des Verbs (siehe Kap. IV.6.). Die Differenzierung Aktionsart – Aspekt geht bereits auf Sigurd Agrell zurück213, welcher 1908 ausgehend von der von ihm empfundenen Notwendigkeit einer Differenzierung der Funktion der polnischen Verbalpräfixe folgende Definition vorgeschlagen hat:

Unter Aktionsart verstehe ich [...] nicht die beiden Hauptkategorien des slawischen Zeitwortes, die unvollendete und die vollendete Handlungsform [...] – diese nenne ich Aspekte. Mit dem Ausdruck Aktionsart bezeichne ich bisher fast gar nicht beachtete [...] Bedeutungsfunktionen der Verbalkomposita [...], die genauer ausdrücken, wie die Handlung vollbracht wird, die Art und Weise ihrer Ausführung markieren. (Agrell 1908: 78)

Der Begriff Aktionsart ist in der slavistischen Sprachwissenschaft geläufig, um derivationsmorphologische Phänomene des Verbs terminologisch zu fassen (vgl. z.B. Comrie 1976: 7), wobei die Bedeutung eines Verbums durch Suffigierung bzw. Präfigierung verändert wird, ohne daß die Ausgangsbedeutung verlorengeht214. In der nichtslavistischen Literatur verweist Aktionsart oft eher nicht auf morphologische Kategorien, sondern auf lexikalisch kodierte und durch die Wortbedeutung festgelegte Eigenschaften von Handlungen215. An der folgenden vergleichenden Gegenüberstellung David Cohens für das Russische und das Französische wird deutlich, daß eine Beschränkung auf verbmorphologisch realisierte Distinktionen für das Französische nicht sinnvoll ist (vgl. Cohen 1989):

213 Kortmann 1991: 10-11 allerdings verweist auf Karl Brugmann 1885. 214 Siehe Schwall 1991: 93; vgl. im Lateinischen vincere/ devincere; mutare/

permutare; im Deutschen ankaufen, anmieten. 215 In dieser Arbeit ist der Begriff "Handlung" im weitesten, d.h. im neutralen Sinne

verstanden und subsumiert ebenso dynamisches wie auch zustandsbetontes (Verbal-) Geschehen.

128

Notion Aspect Mode d'action Valeur lexicale

zapet' "chanter" PFV Inchoatif "se mettre à chanter"

pogovorit' "parler" PFV Atténuatif "avoir une petite conver-sation"

napivat'sja "boire" IPFV Résultatif "boire à satiété"

Gemeinsam ist der Kategorie Aktionsart für das Russische und für das Französische, um Agrells Definition aufzugreifen, daß es sich um ein Sem am Verb handelt. Mit Koschmieder drücken die Aktionsarten folglich "[...] nicht aus, wie eine Handlung betrachtet wird [Aspekt], sondern wie sie vor sich geht" (1928: 282). Wird Aktionsart in dieser Weise als lexikalisch-semantische Kategorie des Verbs verstanden, die Phasen (bestimmte zeitliche Abschnitte) und Modalitäten der Handlung wiedergibt (Raible 1990a: 195), so müßte also jedes Verb die Tendenz zu einer eigenen Aktionsart haben. Also sind blühen, aufblühen, verblühen Verben, deren jeweilige Aktionsart auf eine bestimmte Phase einer abstrakt gedachten Handlung <blühen> verweist ('erblühen-blühen-verblühen'; Beispiele nach Raible 1990a)216. Eine bedeutende Grundlage semantischer Klassifikationen von Verben und Verbalphrasen gemäß den Aktionsarten, bzw. genauer den Eigenschaften der bezeichneten Handlungen hat Zeno Vendler (1957) gelegt. Mit den Grundkriterien der zeitlichen Ausrichtung und der Zielgerichtetheit unterscheidet Vendler vier Verbalklassen (mit Beispielen des Autors):

1. state, z.B. know, have, desire, want, like, love

2. activity, z.B. run, draw, swim, walk, push

3. accomplishment, z.B. run a mile, draw a circle, grow up, write a novel

4. achievement, z.B. win the race, recognize, lose, find217

216 Zwischen diesen Phasen werden ggf. Grenzen überschritten; das Erreichen oder

Überschreiten dieser Grenzen kann als Klassifikationskriterium gelten. In der Literatur wird gerne auf menschliche Schlüsselerfahrungen wie spielen/ ertrinken/ schlagen rekurriert. So wird beispielsweise für die Transformativiät der folgende Test angewendet: 'Wenn jemand spielt und er dabei unterbrochen wird, hat er gespielt? Ja.' (Spielen ist nicht transformativ.) Dieselbe Frage müßte für das Verb ertrinken verneint werden (transformatives Verb).

217 Eine übersichtliche Darstellung findet sich in Raible 1990a: 208-211.

129

Die Unterscheidung von Klassen 3 und 4 erscheint auf den ersten Blick weniger augenfällig als die ersten beiden; gemeint ist das folgende: Beide Klassen sind im Unterschied zu 1 und 2 telisch, der Unterschied besteht darin, daß bei accomplishments dem telischen Zielerreichen eine längere Aktion oder eine Reihe von Aktionen vorangeht, während beim achievement die Aktion selbst der Endpunkt ist, ohne daß über das Vorhergehende etwas ausgesagt wird. Diese Klassifikation ist in der Folge oft aufgegriffen und weiterentwickelt worden218. Hier scheint mir Östen Dahls Kritik wegweisend, der von Aktionsarten als Potentialen spricht, da Verben flexibel sind, d.h. oft erst im Kontext ihre Bedeutung entfalten (1985: 26). Betrachtet man nun etwa das letzte Beispiel des o.g. Schemas, so kann man zeigen, daß das primär atelisch aufzufassende Verb boire (auch im Sinne von il boit, 'er ist Alkoholiker') je nach Kontext auch resultativ im Sinne von se soûler oder telisch (boire un Pastis) verstanden werden kann, oder mit Vendlers Beispielen: he ran (atelisch) ist verschieden von he ran a mile (telisch). In diesem Sinne haben Verben eine zwar inhärente, aber modifizierbare Aktionsart219. Ich möchte in der Folge nun jedoch insofern die Vendlersche Klassifikation vereinfachen, als ich nicht die vierfache, sondern eine binäre Unterscheidung von John Lyons (1977) aufgreife. Lyons nennt ebenfalls eine erste statische Gruppe; die drei weiteren Klassen Vendlers werden allerdings unter den Begriff dynamisch subsumiert220. Statische Verben, so wie z.B. wissen, wollen, haben, hassen und scheinen, verweisen auf physische oder psychische Zustände, die keiner Energiezuführung bedürfen, sind sie einmal erreicht. Dynamische Verben hingegen, wie laufen, springen, werfen, schreiben, benötigen Energie, damit die Handlung stattfinden oder weitergeführt werden kann (vgl. Andersen 1990: 63). Soweit zum Begriff statisch in bezug auf Verben; die Begriffsreflexion soll nun auch auf den zweiten Teil der Kapitelüberschrift ausgedehnt werden,

218 Siehe z.B. Beck 1987, Andersen 1990: 64-66, Herweg 1990. 219 Michael Herweg unterscheidet nicht so sehr Verb- als vielmehr Handlungstypen

(1991: 33). In einem ähnlichen Ansatz hatte schon Gabriele Beck 1987: 93 die Vendlersche Verbklassifikation in eine "Klassifikation von Aussagen" weiterentwickelt. In diesem Sinne argumentieren auch Michaelis 1988: 13 und Pollak 1988: 27f. Die genannten Modifizierungen können aber nicht nur von Ergänzungen auf der Prädikats- oder Satzebene ausgehen (vgl. Andersen 1990: 64), sondern auch von Text, Kontext und Präsupposition.

220 Vgl. in ähnlicher Weise auch Ludwig et al. 1990, Ludwig 1996, Raible 1990a, 1992, Bernabé 1987, Herweg 1990: 55.

130

da die Wortklasse Verb für das Kreolische einiger Bemerkungen bedarf. In einer Kritik der "Roots of Language" (Bickerton 1981) formuliert G. Hazaël-Massieux (1983: 113), es wäre wünschenswert gewesen, Bickerton hätte die Existenz der klassischen Wortarten für die Kreolsprachen überprüft. Hazaël-Massieux hat das Wortartenproblem für das Guadeloupekreol ("langue de position") im Rückgriff auf einen Beitrag Paul Gardes zur Universalienforschung untersucht221. Aufgrund einer für das Kreol typischen weitgehenden Wortklassenneutralität können fast alle autosemantischen Wörter222 im Kreol von Guadeloupe als Verb aufgefaßt werden. Für Hazaël-Massieux lassen sich in diesem Kreol nur die Wörter "ni-se-ye-fè-mi-fo" eindeutig einer Klasse 'VERB' zuordnen; die Elemente dieser geschlossenen Liste können keine Subjektfunktion übernehmen. Nun kann man jedoch Baudelaires Metapher des Verbs als "ange du mouvement" (L'Homme Dieu) als bildliches Beispiel für die allgemeine Auffassung deuten, daß Verben prototypisch solche Handlungen bezeichnen, die Aktionen im Sinne dynamischer, transformativer Bewegungen verkörpern. So gesehen aber sind die von Hazaël-Massieux als Verben genannten Wörter eher "Konnektoren mit stark reduzierter semantischer Seite [...]. Wofern sie aspektuell-temporal überhaupt mit dem vollständigen Partikel-Paradigma kombiniert werden können, sind es Verben der Gruppe B [= statisch], also – aus der Sicht des guadeloupekreolischen Systems – keine Handlungsbezeichnungen; damit haben sie keine prototypischen Verbbedeutungen" (Ludwig 1996: 146223). Insofern findet sich hier Ralph Ludwigs Ansatz bestätigt, daß für Aggregation224 eine Mehrzahl von jeweils kontextdeterminierten Funk-tionen charakteristisch sei225. Ludwig spricht weiter von Verboiden, d.h. Ausdrücken, "die aufgrund ihrer semantischen Beschaffenheit dazu neigen, eine bestimmte syntaktische Funktion auszuüben, ohne durch eigentliche morphologische Wortklassenzugehörigkeit auf diese Funktion eingeschränkt zu sein" (Ludwig 1996: 131). Dies soll bewußt sein, wenn im folgenden gleichwohl vom 'Verb' im Guadeloupekreol gesprochen wird. Bezogen auf meine Fragestellung heißt dies, daß ein Wort, wenn es eine

221 G. Hazaël-Massieux 1983: 74; Garde 1977. Zu 'parties de discours' siehe auch M.-C.

Hazaël-Massieux 1983: 90. 222 Ausgenommen sind Interjektionen. 223 Hier zitiert nach der Manuskriptfassung 1994. 224 Vgl. zu diesem Begriff Ludwig 1996. 225 Ludwig 1986: 25. Vgl. G. Hazaël-Massieux 1983: 82 und G. u. M-C. Hazaël-

Massieux 1986: 8.

131

verbale Funktion hat, durch links vom Verb stehende Marker gekennzeichnet ist, die Tempus, Modus und Aspekt ausdrücken können226. Für das Martiniquekreol sind wie für das Guadeloupekreol zwei funktio-nale Verboid-Prototypen zu unterscheiden: Die quantitativ deutlich dominante Gruppe der dynamischen Verben ist in ihrer nullmarkierten Form perfektiv zu deuten. Um eine gegenwärtige bzw. in ihrem Verlauf gesehene Handlung auszudrücken, wird der Imperfektivmarker ka vorangestellt. Dies gilt nicht für die kleine Gruppe der statischen Verben227, die in ihrer nullmarkierten Form Imperfektivität ausdrücken228. In diesem Sinne wäre etwa Guadeloupekreol an vlè mit 'ich will' zu übersetzen; um hingegen 'ich sehe' zu sagen, muß ka hinzutreten: an ka vwè. Ohne den Imperfektivmarker entspräche also an vwè dem deutschen 'ich habe gesehen' (vgl. Ludwig 1996: 88).229 Bernabé (1983: 1051) unterscheidet zwei homonyme kas, von denen eines progressiven (1987: 95ff. "durativen") und das andere iterativen (1987: "frequenta-tiven") Charakter habe. Die statischen Verben würden das progressive ka blockieren, nicht aber das iterative. Bernabé (1983: 1034) geht von zwei Gruppen von Verben aus, wobei die statischen Verben kein progressives ka haben können wie kontan:

(59) Gua/ Mar Bernabé 1983: 1034

nou pa ka kontan lè ou ka pati 230 'Nous ne sommes pas contents quand tu pars.'

226 Da sie fast immer in dieser Reihenfolge auftreten, hat sich (vor allem in der

englischsprachigen Literatur) die Abkürzung "TMA" eingebürgert; vgl. z.B. Dahl 1985: 1.

227 Diese sind tini/ ni ('haben'), vlé ('wollen'), anvi ('Lust haben'), bizwen ('nötig haben'), enmé ('lieben'), konnet ('kennen'), sav ('wissen'), kwè ('glauben'), konpwann ('sich vorstellen'; konpwann im Sinne von 'verstehen' ist dynamisch zu deuten), pé ('können'), pè ('Angst haben') u.a., vgl. Bernabé 1987: 99, Ludwig et al. 1990. Wenn ein statives Verb mit ka steht, so ist eine iterative oder inchoative Deutung anzunehmen (Stein 1984: 80). In der Folge wird dies für das Guayanakreol neu zu bedenken sein.

228 Vgl. Ludwig et al. 1990 und Bernabé 1987: 99. 229 So erklärt sich die morphologisch auf den ersten Blick uneinheitliche Markierung

gleichwohl semantisch-kontextuell parallel zu ordnender Geschehen. 230 Unglücklich, aber vermutlich nicht zufällig, daß ein Beispiel mit Negation gewählt

wurde, da in vielen Sprachen Negationen meistens mit imperfektivem Aspekt stehen, weil es pragmatisch häufiger ist, eine Aktion gar nicht angefangen zu haben. Eine perfektive Negation stünde, wenn eine Aktion zwar begonnen, aber nicht zu Ende geführt wurde; dies ist pragmatisch markierter.

132

(60) TGuy 36-6 D [ sa pòté istwar jis tribinal palé é nou pa té gen cela a créé des problèmes jusqu'au débat judiciaire et nous n'étions pas D [ labitid konnèt sa bèt-ya (VOILA) nou-menm nou pa ka kontan habitués à ce genre de choses nous-mêmes n'en sommes pas contents D [ pa ka kontan . fo toujou gen’n gangnen ké’n perdan bè il faut toujours y avoir un qui gagne et un qui perd D [ sa pòté DES problèm en bokou moun ènmi akoz di sa cela a apporté des problèmes beaucoup de gens sont devenus ennemis à cause de cela

Diese für das Guadeloupe- und Martiniquekreol so charakteristische Unterscheidung zwischen dynamischen und statischen Verben treffe für das gern als diatopische Varietät subsumierte Guayanakreol nicht zu, so Fauquenoy (1972). In der folgenden Erzählung einer Bildergeschichte finden sich zwei Beispiele, die diese These illustrieren: Die statischen Verben sou und dibout ('betrunken sein' und 'stehen') werden hier mit ka verwendet, und zwar nicht iterativ, sondern progressiv.

(61) BGuy

Papa . . i ka bwè i ka sou to wè l' i ka jis sou. timoun-a menm ka gadé . épi i ka di to wè kouman mo sou mo pa lé to menm bwè sa pou to menm vin konsa non! i menm ka di . non papa, mo pé ké janmen bwè sa non . sa pa bon pou m' papa ... alò pitit-a ka obéi . i pa ka bwè . pas si soukou ka vin . kouman yé ka fè alé? yé pé pa! paské yé ké tout lé dé sou . alor la si s/ papa sou pitit-a ka mennen papa alé a so kaz . [...] alor la papa ka alé pran so tafia li menm i k'alé bwè so tafia li 'nso épi timoun-a ka dibout gadé l' ka bwè tafia mhmh épi si papa sou . li menm ka di papa . annou alé lakaz . soukou ka vini annou alé papa . a konsa . 'Der Vater – er trinkt, er betrinkt sich, siehst du ihn, er betrinkt sich richtig, das Kind selbst schaut zu. Und dann sagt der [der Vater]: "Siehst du, wie betrunken ich bin. Ich will nicht, daß du selbst das trinkst, damit du selbst so wirst. Nein!" Er [der Junge] selbst sagt: "Nein, Papa, ich werde das niemals trinken. Nein, das ist nicht gut für mich, Papa." Also der Kleine gehorcht seinem Vater, er trinkt nicht; weil, wenn die Nacht kommt, wie machen sie es! Sie können nicht [nach Hause finden]! Weil sie beide betrunken sein werden. Also da, wenn der Vater betrunken ist, bringt ihn der Kleine zu seinem Haus [...], also da geht der Vater seinen Rum trinken, er selbst geht seinen Rum trinken, er ganz allein, und der Kleine steht dabei und sieht ihm zu, wie er Rum trinkt, und dann, wenn der Vater betrunken ist, sagt er selbst: "Papa, laß uns nach Hause gehen, die Nacht kommt, laß uns gehen, Papa"; so ist das.'

Die Auswertung des Korpus wird ergeben, daß einer pauschalen Ablehnung von zwei Verbgruppen (statisch/ dynamisch) für das Guayanakreol nicht zugestimmt werden kann. Allerdings scheint die Qualität dieser beiden Verbgruppen in Guayana eine gänzlich andere als auf Martinique zu sein.

133

Welches sind nun die für Guayana zu nennenden statischen Verben? Es sind ganz ähnliche Verben wie im Guadeloupe-/ Martiniquekreol:

- lieben/ hassen (kontan/ rayi) - wissen/ kennen/ glauben (savé/ konnét/ krè) - haben/ sich befinden (gen/ fika) - 'Modalverben' wollen, sollen, müssen, können, brauchen (lé, divèt,

fo, pouvé, bezwen) - deadjektivische, deadverbiale, desubstantivische Verben,

Onomatopoetika

Adjektivoide als Verben

Adverboide als Verben

Substantivoide als Verben

Onomato-poetika als

Verben

bo, gra, tris, sek, malad,

plen, las, cho, vyé, rèd, lwen, gro (enceinte),

pròp, anmè, rich, malad,

larj, fou, konparézon

byen, ademi, ansenm, la,

déyè, ryenki, rounso

pè, kolè, kjenbé-kiò,

lékol, lamizè, chik

krokro, pyampyam,

kloklok, blakblak, hhmhhm

Allerdings wäre im Sinne der weniger abgegrenzten Wortklassen und der Gefahr der etymologisierenden Sicht jedes 'Verb' für sich zu untersuchen. So wird etwa guayanesisch konparézon im Guayanakreolischen kaum als Substantiv genutzt, sondern eher als Adjektiv im Sinne von 'arrogant'. Im folgenden sei den einzelnen Hypothesen mit beispielhaften Analysen nachgegangen: Außer bezwen und miyo sind alle statischen Verben (s.o.) im Korpus mit der Imperfektivpartikel ka belegt. Eine häufige Funktion ist hierbei der Habitualis:

(62) TGuy

F [ lougarou ka kontré la chouval tout bèt tout moun kant a die Werwölfe treffen sich dort Pferde alles mögliche was die Frauen betrifft F [ madanm madanm ka pè pa ka vwayajé konsa . hiiiiihiiiii lougarou die Frauen haben Angst reisen nicht ohne weiteres hiiiiihiiiiii ein Werwolf

134

F [ difé lò to wè limen oun difé limen oun difé to ka pè ... Feuer wenn du ein Feuer leuchten siehst hast du Angst ...

(63) TGuy

yé ka malad, to ka ba yé ... 'immer wenn sie krank sind, gibst du ihnen ...'

lò 'n moun té ka malad ... 'wenn die Leute krank waren'

(64) QGuy

lò i antré aswè-a i ka las 'wenn er abends heimkommt, ist er müde'

Durch den TMA-Fragebogen konnte ermittelt werden, daß der Gebrauch statischer Verben mit der Imperfektivpartikel im Sinne von habituell/ iteriert in Guayana quantitativ häufiger ist als auf Martinique. Beispiele für eine eher inchoative Verwendung der imperfektiven Marker finden sich z.B. in Ludwig (1996) für Guadeloupe, in Bernabé (1983) für Martinique und bei Corne (1981: 112) für Isle [sic] de France; letztere seien hier wiedergegeben:

(65) Corne 1981: 112

(a) mô pe dakor ek li 'I am beginning/ coming/ getting to agree with him'

(b) mô pe â-koler 'I am getting angry'

(c) mô pe fatige tan sa tapaz 'I am getting tired of hearing that noise'

Außer der iterativen und der inchoativen Bedeutung sind zwei weitere Funktionen für die Imperfektivpartikeln zu nennen, nämlich temporär und progressiv, welche nicht immer deutlich voneinander zu trennen sind; so in (66a), wo die spanische Übersetzung zudem die Ungebundenheit in der Zeit ausdrückt; wobei dies vermutlich auch in Beispiel (66b) gilt, wenngleich hier nicht in diesem Sinne übersetzt wurde; es wurde vielmehr ein anderes Verb gewählt:

(66a) San: im laik di jab 'a él/ ella le gusta/ gustaba/ gustó el puesto'/ 'he/ she likes the job' (66b) San: im de laik di jab 'a él/ ella le está gustando el puesto'/ 'he/ she is enjoying the job'

Vergleichbare Beispiel finden sich auch bei Corne (1981: 112):

(67a) mo pe kôntan li (M) 'I'm crazy about her (at this very moment)'

(67b) mo pe araze (M) 'I'm very angry (now)'

(67c) mo pe fê (M) 'I'm starving'

135

Corne kommentiert die Beispiele (67a-c) allerdings so, daß in allen Fällen der progressive Basissinn von (a)pe noch erhalten sei (1981: 112). Die Rückübersetzung aber führt zur Betonung der prozessualen bzw. temporären Perspektive durch vin(i):

(68a) li pe vin pli zoli (M) 'she is getting prettier'

(68b) mo pe araze (M) 'I'm becoming/ getting very furious'

(68c) mo pe fatige (M) 'I'm getting tired'

Im kapverdischen Kreol beobachtet Jürgen Lang ganz ähnliche Phänomene wie ich für Guayana (persönliche Mitteilung):

(69a) er bekommt Geld – i ka gen soumaké

(69b) er hat Geld mit – tene dinheru

(69c) er hat Geld – i Ø gen soumaké; ten dinheru

Allerdings haben i ka fou und i ka malad im Sinne einer transient duration keine direkten Entsprechungen im Kapverdischen, weil dort noch die Differenzierung von estar/ ser erhalten ist: Djon sta dodu/ duenti (Jean ka fou/ malad); Don (e) duenti (Jean fou/ malad). Sehr interessant sind in diesem Sinne die Beobachtungen bei Sabine Ehrhart (1993: 161) für das Tayo, das sehr viele Marker kennt. Die progressive Sicht wird im Tayo mit atra de ausgedrückt. Dieser Marker steht auch mit stativen Verben im Sinne der Progressivität (nicht mit inchoativem Wert): "la atra de malad" bedeutet nicht 'er/ sie wird krank/ erkrankt', sondern in der Übersetzung der Autorin: "il/ elle est malade en ce moment" (temporär, im Verlauf). Während hier noch beide Deutungen möglich sind – temporär und progressiv –, ist in den folgenden Beispielen aus dem Guayanakreol deutlich Prozessualität zu interpretieren:

(70) TGuy

Ti boug-a monté i monté , i monté ... amizu ti boug-a ka monté, amizu pyébwa ... ka rot ...

Das prozessuale Werden ist deutlich: Je höher der Held klettert (amizu ti boug-a ka monté), desto höher wächst der Baum (ka rot – 'wächst in die Höhe'; wörtlich hocht) (Tchang 1988: 54.2). So wie die Höhe kann auch die Entfernung im Guayanakreol als etwas Temporär-Prozeßhaftes versprachlicht werden; man unterscheidet

136

(71) QGuy

(a) koté Francine i Ø lwen

(b) pou alé koté Francine i ka lwen

Während in (a) ohne Kontextbezug die Entfernung angegeben wird, ist in (b) gleichsam das Gehen thematisiert. Man könnte wie folgt paraphrasieren: Von einem Punkt aus gesehen, an dem man sich gerade aufhält, muß man lange gehen, um zu Francine zu gelangen. Auch im folgenden Beispiel ist ein Prozeß anvisiert, hier der des Trocknens:

(72) Guy Francius s.d.: 21, nach Schlupp 1993: 73

Toupannan lenj-a ka sèk asou zèrb-a, timoun-yan ka tranpé annan dilo-a 'Pendant que le linge sèche sur l'herbe, les enfants se trempent dans l'eau.'

Im folgenden Beispiel mit fou ist die werden-Bedeutung sehr deutlich:

(73) Guy Lohier 1960: 196/ 334

Kouman aryen? Alò to ka fou, bagaj ka pasé a to tèt, to ka ri pou bon kyò. 'Comment de rien? Alors tu deviens fou! Quelque chose te passe par la tête, tu ris sans motif ni raison.'

Prozessual oder temporär ist wiederum das folgende Beispiel: chaloup ka plen ké moun ('das Boot füllt sich mit Leuten/ ist vorübergehend bzw. jetzt gerade voll'). Im nächsten Beispiel wird blan ('weiß sein') als Prozeß mit ka kombiniert; es müßte wohl übersetzt werden mit 'wird beim Schälen weiß':

(74) TGuy 131

C [lè dé moun ka vin ba to koudmen krokro . krokro manyòk-a [...] la to fin wenn Leute kommen um dir zu helfen beim Reiben Mandioka-Reiben da bist du fertig C [krokro manyòk-a . to ka lavé'l byen prop pis i ka blan . to ka tiré lapo-a mit dem Reiben du wäschst es schön sauber weil es weiß wird du ziehst die Haut ab C [i ka blan lè to fin lavé'l a sa moman i pa té gen motèr a ké graj . es wird weiß wenn du es fertig gewaschen hast damals gab es keinen Motor es war mit einer Reibe C [graj-a té anba to vant épi té gen graj-koko to konnèt graj-koko . sa ki ka die Reibe stellte man sich unterhalb des Bauches und dann gab es die Kokosreibe die die Kokos

137

C grajé koko-a RÂPE konsa . 'n divan planch i ka larj231 . sé wonm-yan reibt Reibe so ein Vorderteil von einer Holzplanke es ist breit die Männer G RÂPE Reibe C [ka mété'l anba yé vant . épi la yé ka pran mannyòk-a épi la yé ka grajé'l klemmen es unter den Bauch und da nehmen sie die Mandioka und da reiben sie sie C [ké graj konsa épi lò i fè farin . lè i fè farin mannyòk-a landemen mit der Reibe so und dann wenn sie Mehl wird wenn sie Mehl wird die Mandioka am nächsten Tag C [to ka fè kwak machst du 'kwak'

Der Hinweis darauf, daß der Sprecher die Handlung von innen fokussiert, ist auch im Rodrigueskreolischen nicht nur bei Verben mit dynamischer Aktionsart möglich:

(75) Rod Soudin 106

Ki ou apé per? Wovor du I Angst haben?

[Soudin fragt den König, wovor dieser gerade Angst habe.]

Im Guadeloupekreol hingegen können bestimmte Verben mit nicht-dynamischer Aktionsart wie pè ('Angst haben') nur in Ausnahmefällen mit dem Imperfektivmarker ka kombiniert werden. Für Martinique weist mein Korpus keine Kombinationen von Zustandsverben mit progressivem ka auf, dies entspricht der Hypothese Bernabés (1983). Damoiseau jedoch notiert ein einziges Beispiel, wo ka mit stativem Verb "exprime le désir du locuteur d'attirer l'attention sur le déroulement de ce procès" (Damoiseau 1979: 165): "timanmay la ka bèl 'cet enfant devient beau'". Im folgenden Dialog deutet Schlupp das ka kontan als "vérité générale". Hiermit ist terminologisch wohl das sog. 'generic' gemeint, das sich in der Tat mit dem imperfektiven Aspekt ausdrücken läßt. Nur scheint mir die Deutung vom Kontext her fraglich zu sein, da die vorstehende negierte Liebe zu jener allerdings etwas bitteren Palmfrucht gerade nicht mit ka steht. Vor allem aber deutet das der Antwort voranstehende 'mais oui' den Widerspruch des Herrn Prosper an, der von sich in der 3. Person mit Nachdruck zum Ausdruck bringt, daß er die Palmfrucht komou eben doch gern hat:

231 Die Formulierung i ka larj wird von den Sprechern als subjektive Einschätzung

gewertet: "Elle veut dire que pour elle c'est grand".

138

(76) Guy Verderosa s.d. b: 18

Ceneline: -Mouché Pròspè di mo ou pa kontan komou, ou pa kontan poson boukànen? Prosper – mé wi Pròspè ka kontan bagaj konsa 'Monsieur Prosper, dites-moi, vous n'aimez pas le comou, vous n'aimez pas le poisson fumé? Mais oui, Prosper aime des choses comme celles-là.'232

Ka hat hier also – wie auch im folgenden Textbeispiel – eine emphatische Funktion:

(77) Jean-Louis 1987: 418/ 422

Aa! tig ka aryen ka alé, i ka tchenbé tout jibyé ... 'Ah, Tigre ne fait qu'attraper ... le gibier.'

Im Kapverdischen funktional analog liegt ein emphatischer Gebrauch von ta im Sinne von 'doch' vor:

(78) Cap Lang

N ka konxe-l 'Ich kenne ihn nicht' Bu ta konxe-l 'Du kennst ihn doch'233

Eine emphatische Funktion von ka ist nicht bei Bernabé, aber bei Damoiseau für das Martiniquekreolische nachgewiesen:

(79) Mar Damoiseau 1979: 164

(a) se li i ka konèt 'c'est lui qu'il connaît'

(b) an timanmay ka nesesè 'un enfant c'est vraiment nécessaire'

(c) kimanyè an ka pe fè manjé ankò? 'comment puis-je faire pour [sic] manger encore?'

Im folgenden Beispiel ist im ersten Fall Innensicht ausgedrückt, im zweiten Fall aber Außensicht.

(80) TGuy 180

V [ DONC a dé moun ki ka jalou . yé θθθθ jalou paské [...] yé pé pa palé ké zot donc ce sont des gens qui sont jaloux ils sont jaloux parce qu'ils ne peuvent pas vous parler V [ ké yé tchò ké yé nanm de leur cœur de leur âme

Die Kommutation im Sinne von (6a)

(80') ? yé ka jalou paské ...

232 Ich würde eher Mais si ... übersetzen. 233 Zu ta und sa ta vgl. genauer Kap. VI.2.

139

wird von den meisten Sprechern für diesen Kontext zurückgewiesen. Die Innensicht ist auch eine mögliche Erklärung für das folgende Beispiel:

(81) TGuy 136

D [ é sinon léswar nou ka la nou ka ansanm nou ka réini . pa toultan . und sonst abends sind wir da wir sind zusammen wir treffen uns nicht immer D [ kom i pa gen bwat nou Ø la nou ka ansanm nou ka maché nou ka bladyé da es keine Disko gibt sind wir da sind wir zusammen wir gehen wir machen Späße D bòf pas' nou pa ka fè ròt bagaj hen . . ki sa nou ka voyé blag si bòf si gen na ja weil wir sonst nichts tun nur das wir machen Witze wenn na ja wenn S mhm D dé timadanm la . Mädchen da sind

Eine kompatible Deutung wäre die der Akzidenz; es geht hier darum, daß etwas nicht immer – pa toultan – (Essenz), sondern immer mal (Akzidenz) geschieht. Das Verb gen (< frz. gagner) bedeutet 'haben, besitzen' (in der 3. Pers. Sg. auch 'es gibt') und wird daher den statischen Verben zugerechnet. In der Kombination mit dem Imperfektivmarker kann eine iterative Bedeutung entstehen wie in "to ka travay to ka gen soumaké" ('du arbeitest, du hast [stets] Geld', vgl. Tchang 1988: 154.1). Dieses Beispiel zeigt, wie es zur Änderung der Semantik kommen kann; hier könnte auch übersetzt werden: 'du bekommst [jeden Monat] Geld'. Die Änderung der Semantik – und der Aktionsart – durch die Kombination mit der Imperfektivpartikel wird im folgenden Korpusbeispiel deutlich:

(82) TGuy 132

L é jis aprézan ¿ki sa i Ø gen? und bis heute was gibt es [denn]? G i pa gen annyen . mé i ja gen pon-an es gibt nichts aber es gibt schon die Brücke L ében wè i gen oun gran bagaj en pon-an ah ja es gibt ein großes Ding ja die Brücke G i gen tout fasilité pou vini aprézan du kannst ohne Probleme herkommen jetzt L wi wi wi wi || wi dépi to natal isi ou toujou ka gen oun téren ja ja ja ja ja wenn du hier geboren bist bekommst du immer ein Grundstück G ki anvan als früher

140

Im ersten Fall ist gen in der Bedeutung von 'es gibt' ein statisches, im zweiten im Sinne von 'bekommen' ein dynamisches Verb. Ein vergleichbares Beispiel ist die Verwendung von plen ('voll sein') in einem von Tchang notierten Märchen:

(83) Guy Tchang 1988: 154.1

me a n ti bous ... toutan i plen i plen! lò wou tiré tout soumaké i ganyen annan, kou wou fin tiré l' i ka plen ankò ... wou tiré ou dépasé tout soumaké i ganyen, lò wou fin tiré dernyé-a i rouplen ankò! 'sieh mal, es ist eine kleine Geldbörse ... sie ist immer ganz voll! wenn du alles Geld herausgenommen hast, das drin war, wenn du gerade alles herausgenommen hast, füllt sie sich wieder ... du nimmst alles Geld heraus, das drin ist, und gibst es aus, wenn du gerade das letzte Geld herausgeholt hast, ist sie schon wieder gefüllt!'

Hier geht es um eine Geldbörse, welche die angenehme Eigenschaft (Essenz) besitzt, stets gefüllt zu sein (vgl. toutan i plen: 'sie ist immer voll'). In der Kombination mit ka in der zweiten Zeile müßte eher mit 'füllen' übersetzt werden: 'sie füllt sich stets aufs neue', und drittens ist sie dann wieder gefüllt (lò – 'nachdem; kaum daß du ...'). Der alte Mann im folgenden Beispiel zeigt einem Jungen landwirtschaftliche Geräte und erklärt deren Funktionsweise, da erwartet er die Rückmeldung, ob das Gesagte verstanden ist, um entsprechend erneut zu erklären oder mit neuen Erläuterungen fortzufahren:

(84) TGuy 146

R [ yé ka èh . . sa yé ka aplé lakrèm . mè nou-menm lontan nou té ka aplé sie tun äh sie nennen das 'lakrèm' aber wir selbst früher wir nannten

R [ sa matété .a pou sa moun lontan té ka aplé sa matété . oubyen yé ka aplé das 'matété' deshalb nannten die Leute das früher matété oder sie nennen

R [ sa lakrèm koumou . lakrèm a-a-a a matété moun lontan té ka aplé sa matété es 'lakrèm koumou' lakrèm nee nee matété nannten die Leute das früher matété

R [ ¿ou komprann? | verstehst du?

S [ komprann wi verstanden ja

Im folgenden Beispiel jedoch kann komprann nicht ganz richtig mit 'verstehen' übersetzt werden: Der 18jährige Sprecher redet von Junge zu Junge über Mädchen; es müßte besser übersetzt werden: 'du kennst das ja'.

141

(85) TGuy 136

D . . bòf pas' nou pa ka fè ròt bagaj hen . . ki sa nou ka voyé blag si bòf si gen na ja weil wir sonst nichts tun nur das wir machen Witze wenn na ja wenn S mhm D dé timadanm la . nou k'alé bladyé ké yé anfen voyé blag ! to ka konprann Mädchen da sind machen wir Späße mit ihnen machen halt Witze du verstehst S mhm D [ bèt-a! dé tijèn nou ka bladyé ké yé . voyé blag . mè la yé 'n pé difisil i pa djen Dings junge Mädchen wir lachen mit ihnen machen Witze aber da ist es ein bißchen schwierig es gibt D gen bokou madanm nou k'alé an kaz sala wi fast nie viele Mädchen wir gehen ins Haus von jemandem ja S gen plis gàson pasé/

gibt es mehr Jungs als

Dies mag erklären, weshalb Bernabé das Verb konpwann für das Martiniquekreolische sowohl der dynamischen als auch der statischen Gruppe zuordnet, in der Bedeutung 's'imaginer' ist es statisch, in der Bedeutung 'comprendre' dynamisch (Bernabé 1987: 99). Der aktionsartliche Charakter der Aussagen ist also nicht immer nur auf die jeweilige Verbsemantik zurückzuführen (Touratier 1992: 48), sondern oft auch aus Kontextfunktionen zu erschließen; er bleibt jedoch definitorisch, da der Sprecher keinen direkten Einfluß darauf hat. Genauer gesagt kann er indirekt, d.h. vermittels der Aspekte Einfluß ausüben. So kann auch im Französischen das Verb connaître im ersten Beispiel dynamisch, im zweiten statisch klassifiziert werden:

(86) Fra Beck 1987: 132f.

(a) Je l'ai connu au collège.

(b) Nous connaissons mal l'effet des substances chimiques contenues dans les aliments.

Eine Änderung der Semantik ist für das Guayanakreolische auch für pouvé ('in der Lage sein') zu verzeichnen, das an sich ohne ka steht:

(87) Guy Tchang 1988: 157.2

a mèm pwa-a, kouman i ka pouvé konhan ...? 'C'est la même poire, comment arrive-t-elle à être ainsi?'

Auch bei dèyè ist eine prozessuale Semantik im Sinne von 'sind hinter mir her' möglich:

142

(88) Guy Jean-Louis 1987: 295

E yé ka dèyè mo pou mo batizé yé pitit. 'Ils insistent pour que je baptise leur enfant.'

Dieselbe Beobachtung der unterschiedlich stark ausgeprägten Interaktion von Aspekt und Aktionsart wird nun für viele andere Sprachen berichtet, so etwa für das Lingala. Im Lingala werden die an sich statisch zu klassifizierenden Verben wie schlafen, mögen, hassen und andere (aber nicht alle Stativa lassen dies zu) mit der Progressivmarkierung zal+í als Betonung der transient duration oder der Inchoativität gewertet:

(89) Lin Mufwene 1984: 17 a) a zal í ko lál a 'he is sleeping' b) a zal í ko yin a nkútu mw ána na yé 'he hates even his child'

Im englischen Kreol von Jamaika ist die progressive Markierung (a) mit allen Verben möglich, dennoch ist eine Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen vorzunehmen, da die Partikel unterschiedliche Funktionen erfüllt: so z.B. inchoativ für Stativa. Wie im Französisch-Guayana-Kreol kann diese Kombination aber auch verstanden werden als vorübergehender Zustand:

(90) Jam Mufwene 1984: 18

a) Di kaafi a kuol. Der Kaffee ist [jetzt gerade] kalt. Oder: Der Kaffee wird [jetzt gerade] kalt.

b) Mi no kuda lef, mi a sik. Ich konnte nicht fortgehen, ich war [in dem Moment] krank. Oder: ..., ich wurde gerade krank.

c) Mi na shiem fi wa mi sie yeside. Ich schäme mich [jetzt gerade] nicht über das, was ich gestern gesagt habe.234

Ähnliche graduelle Abstufungen im Gebrauch der Imperfektivpartikel, wie oben für die Frankokreolsprachen beschrieben, beobachtet Mufwene (1984: 41) auch im Vergleich zweier englischer Kreols:

The non-progressive habituative may be described as a generic-universal while the progressive habituative may be described as a transient habit. The same holds for Jamaican creole, whereas Guyanese creole seems to have generalized the use of the progressive to any kind of longlasting state of affairs, from the transient to the repeated.

Aus Mufwenes Ausführungen läßt sich in Anwendung auf das Frankokreol nun folgende Hypothese aufstellen:

234 Na ist Kontraktionsform aus no a. Der Progressivmarker behält also seine Funktion,

die Bedeutung der Verben selbst ändert sich.

143

Je weiter der progressive Aspekt grammatikalisiert wird, je abstrakter also seine Bedeutung wird (> Habitualis > Präsens), desto mehr verliert er typische Eigenschaften des Aspekts und nähert sich dem Tempus an. Auf diesem Weg verringert sich die Interaktion mit der Aktionsart, welche bei typischem Aspekt sehr variabel sein kann.

Im Vergleich zwischen Martinique- und Guayanakreol ergeben sich aus den Korpusanalysen folgende Ergebnisse:

- Häufiger als im Martiniquekreol steht die Imperfektivpartikel ka (in der Bedeutung habituell/ iterativ) mit statischen Verben.

- Anders als auf Martinique ist die sich aus der Kombination von statischem Verb mit imperfektivem Aspekt ergebende Funktion nicht in aller Regel habituell oder iterativ, sondern auch:

- inchoativ - temporär235 - progressiv - emphatisch - von 'innen' gesehen - subjektiv

- Bei den unter Punkt 2 genannten Funktionen kann es durch den Einfluß des Aspektes oftmals zur Änderung der Aktionsart (im Beispiel oben: betrunken sein > sich betrinken; stehen > aufstehen) kommen.

235 Mufwene 1984 verwendet den Begriff transient duration. Vgl. Laca 1996: 42.

144

V.2.6. Zukünftige Handlungen Im Kreolischen Guayanas werden heute vor allem zwei Partikeln benutzt, um zukünftige Handlungen auszudrücken, ka und ké, sowie seltener auch Ø. Eine ähnliche Situation liegt für Martinique vor, wobei allerdings mit Varianten für ké zu rechnen ist (kèy, kay). Die Analyse wird sich in der Folge weiterhin auf Guayana konzentrieren, wo eine recht unübersichtliche Forschungslage anzutreffen ist. Die Opposition von ka und ké wird mit so unterschiedlichen Beschreibungen versehen wie: nahe vs. ferne Zukunft236, projiziertes Präsens vs. Futur237, eingeschränkte vs. uneingeschränkte Assertion238 oder "austauschbare" "stilistische" Varianten239. Diese Beschreibungsdivergenz ist offenbar nicht nur ein terminologisches Problem, da auch Sprecherurteile einander zu widersprechen scheinen. Doch zunächst genauer zur Forschung. Horth (1948: 47) betont, ka könne ké ersetzen, wenn die Aussage besonders assertiert oder als Folge einer anderen Handlung zu verstehen sei, welche ihrerseits in der Zukunft liegt. Contout (1973: 88) unterscheidet ka von ké durch die semantische Opposition nahe vs. ferne Zukunft. Dieser Auffassung nähern sich auch Fauquenoy (1972) und Peyraud (1983) an; diese Autorinnen sprechen übereinstimmend bei futurischem ka von einem projizierten Präsens. Nun ist aber nach der bisherigen Korpusanalyse ka nicht als Präsens zu verstehen, der Gegenwartsbezug ist nur ein prototypischer Sinneffekt. Beide Autorinnen betonen, daß im Falle von ka statt ké der Zukunfsbezug durch Zeitangaben wie dimen ('morgen') gekennzeichnet werde. Doch nach meiner Korpusanalyse ist dies bei ka kaum mehr als bei ké zu bemerken, zumal in möglichst spontaner Sprache pragmatisch die zeitliche Situierung meist klar ist. Schlupp (1997) unterscheidet bezüglich des Futurs nicht deutlich zwischen Tempus oder Modus240. Möglicherweise hängt hiermit die Zweiteilung der

236

Contout 1973: 88. 237 Fauquenoy 1972: 78 und Peyraud 1983: 300. 238 Horth 1948: 47; Schlupp 1993: 106. 239 Schlupp 1997: 99, 96, 97. 240 In meiner Analyse wird zunächst von einem Tempus Futur ausgegangen, siehe Kap.

IV. Vgl. auch Maslov 1985: 3: "The future tense according to many contemporary theories is not considered to be a tense at all but is regarded as a modal form. I do not deny the presence to a significant and sometimes overwhelming degree, of modal components in the semantics of future forms in many languages, but I think nevertheless that there are no grounds for denying the future the status of a tense in a

145

Schlußfolgerung zusammen; es werden zwei Ergebnisse angeboten, wobei nicht klar ist, ob alternativ oder gleichzeitig: ka und ké unterschieden sich letztlich bloß "stilistisch"; ka drücke einen höheren Grad an Assertion aus. Nach den folgenden Korpusanalysen zur Regenwaldvarietät des Guayanakreols wird sich zeigen, daß ka zu ké in funktionaler Opposition steht und ka gerade in gering assertierten Ausdrücken benützt wird. Zur von Schlupp ermittelten höheren Assertion bei ka paßt sehr schön folgendes Beispiel: "Voici un passage où ka exprime l'aspect [+ accompli] du futur. Cet emploi a été jugé moins approprié par certains de nos informateurs" (1993:107). Es folgt als Beleg dieses Beispiel:

(91) Guy Tchang 1988: 6.3

Lò to wè Lapen ké antré, wou ké jwé déò. Lè i ka antré, wou ké fèmé lapòt. 'Lorsque Lapin entrera, tu joueras dehors. Quand il sera entré [sic], tu fermeras la porte.'

Schlupp (1997: 99) übersetzt hier ka antré mit Futur II und deutet es als "aspect [+ accompli] du futur". Die Hauptfunktion kas als imperfektiver Partikel könnte hier aber durchaus gewahrt sein (Handlungskette mit einem Prozeßumstand), so daß man übersetzen würde: 'während er eintritt, wirst du die Tür schließen'241. Die Schlußfolgerung folgt nach diesem Beispiel, ka und ké seien stilistische Varietäten: "[...] il semble que l'emploi de ka et ké relève d'un choix stylistique qui n'implique aucun changement de sens de la phrase" (1997: 99). Von den für die vorliegende Arbeit befragten Informanten hingegen wird folgende Sinnänderung beschrieben: Stünde viermal ké, würde es sich um eine Handlungskette handeln, eins geschieht nach dem anderen; bei ka jedoch fände das Schließen der Tür während des Eintretens statt. In folgendem Punkt stimmen meine Beobachtungen mit denen Schlupps überein. Die Sprecher sind sich oftmals uneinig bezüglich der Beurteilung der jeweiligen Funktion bzw. der Änderung des Sinns bei Kommutationen. Das folgende Schema zeigt, daß eine Gruppe von Sprechern ka eine größere Assertion zuschreibt, eine andere Gruppe von Sprechern gerade eine geringere Sicherheit:

general theory". Siehe auch die guten Ergebnisse der Arbeit Schrotts, die ebenfalls vom Tempus Futur ausgeht und modale Bedeutungen des Tempus Futur untersucht.

241 Zur reduzierten Finitheit im Nebensatz vgl. Kap. V.2.6. und V.2.7. Das Beispiel ist jedoch möglicherweise einer hybriden Sprache entnommen, da das hier als Guayanakreol bezeichnete Idiom phonetisch-phonologische Züge des Martinikanischen aufweist: lè (statt lò), déò (statt dérò), wou (statt to, ou).

146

(92) mo ka téléfoné to dimen vs. mo ké téléfoné to dimen

a) er wird anrufen er wird vielleicht anrufen (Gruppe A)

b) er wird vielleicht anrufen er wird anrufen (Gruppe B)

Für die folgende Untersuchung wird zunächst das Urteil der Sprechergruppe B weiterverfolgt, da es sich um in isolierten Gebieten lebende Sprecher handelt, welche wenig Kontakt zum Französischen und zur Schrift haben; zudem ist ja das von diesen Sprechern gesprochene Kreol Hauptgegenstand der Untersuchung. Die bisherigen Analysen haben ergeben, daß in diesem Kreol die Partikel ka besonders die progressive Funktion erfüllt und als Nebenbedeutung eingeschränkte Regreßpflicht ausdrücken kann. Vor diesem Hintergrund soll als Arbeitshypothese angenommen werden, daß auch auf der Ebene des Futurs der Marker ka – in Opposition allerdings zu ké (und nur selten in Opposition zu Ø) – Prozeßhaftes und gering Assertiertes versprachlicht. Als ersten Hinweis auf die Richtigkeit dieser Annahme kann die Beobachtung gewertet werden, daß das 'Modalverb' pouvé nicht mit ké stehen kann, so daß ein französischer Satz wie z.B.

(92a) Fra

Il se peut que cet homme (si énervant qu'il soit) écrive un bon livre.

nur mit

(92b) Guy

Wonm-an troumantan pasé troumantan fèt – i pouvé ka ékri roun bon liv.

übersetzt werden kann, während eine Übersetzung mit ké nicht denkbar wäre. Diese Beobachtung ist vom Russischen her gut zu verstehen: Übersetzt man das Verb im Russischen mit napiset (perfektiver Aspekt), so ist die Aussage "sicherer", als wenn der imperfektive Aspekt budet pisat' stünde. Umgekehrt ist es im folgenden Beispiel, in dem jemand aufgefordert wird, doch bitte am folgenden Tag zum Markt mitzukommen, um sich selbst von dem Vorhandensein einer äußerst seltenen Fischsorte zu überzeugen, unangebracht, ka zu setzen. Der Sprecher ist ganz sicher, den Beweis erbringen zu können, und sagt:

(93) QGuy

Vini ké nou dimen hen, to ké wè l' wi, to ké wè l' ké topa wèy.

147

Im Kreolischen ist hier der imperfektive Aspekt (ka) nicht möglich, im Russischen ebensowenig, es müßte uvideš (perfektiver Aspekt) stehen, nicht etwa budeš videt' (imperfektiver Aspekt). Eine ganz ähnliche Versicherung über das un-bedingte (oder mit Angela Schrott 1997 "aktuell konditionierte") Eintreten einer zukünftigen Handlung liegt im folgenden Beispiel vor. Der Hintergrund der Aussage ist ein Wettpflanzen zwischen einer Frauen- und einer Männergruppe im Sinne der im Regenwald kulturell sehr bedeutenden Gemeinschaftsarbeit, mit dem afrokreolischen Wort mayouri bezeichnet. Die Anführerin der Frauen kündigt hier den (in der Tat später eintretenden) Sieg der Frauenmannschaft an. Dazu ruft sie dem Sprecher der Männermannschaft zu: "ich werde dich kriegen (besiegen)" – mo ké gen to.

(94) TGuy 154, Iracoubo, im Haus 1 [ alò mo ka d'to <! mo ké gen to !> mo ka di oh . to sòt pasé mo also ich sage dir ich werde dich besiegen ich sage oh du bist dümmer als ich 2 [ a mo ki ké gen to mo ka di mo ké mannyen to mo ké mannyen to ich bin es die dich besiegen wird ich sage ich werde dich überrunden 3 [ anba anba . mo ka pasé koté koumè tant sò si . ganz heimlich ich gehe bei den Nachbarinnen vorbei bei den Tanten Schwestern usw. 4 [ pou mo planté . sanmdi mo ka planté . wi koumè dakò . wi wi wi damit ich Samstag pflanze ich pflanze ja Nachbarin in Ordnung ja Das futurische ka in Zeile 4 ist mit Schrotts Begriff virtuell konditioniert: Die Sprecherin ist ja gerade dabei, die Leute 'zusammenzutrommeln'; nur wenn alle kommen, kann auch gepflanzt werden242. In den folgenden Beispielen (95 und 96) ist die aspektuell-temporale Textstruktur in einer rechten Spalte längs des Textes beschrieben, sie bezieht die von Angela Schrott als prototypisch für Futuroppositionen herausgearbeiteten Merkmale der aktuellen vs. virtuellen Konditionierung mit ein. Im Beispiel (95) möchte der Sprecher in Ouanary die von ihm als friedlich entworfene Zukunft (kurz vor dem Interview war es in dem Dorf zu einer Schießerei zwischen verfeindeten Familien gekommen) als sicher eintretende, d.h. als aktuell konditionierte dargestellt wissen.

242 Auffällig ist hier das Nachempfinden der direkten Rede, man konstatiert wechselnde

Sprecher in den Zeilen 1, 4 (zweimal), 7, 9 (zweimal).

148

(95) TGuy 136, Ouanary, in der Schule

1 [ mo ka pansé pi tà timoun-yan kompangnen tout timoun ké byen ego-hic-nunc: ich denke später die Kinder werden sich gut verstehen sie werden alle gut auskommen

Ich denke, daß ...243

AKTUELLE CONDITIO

2 [ ké yé . pa ké gen sa diverjans-an sala1 an so kwen sala/ <! non !> es wird nicht diese Meinungsverschiedenheiten geben der da in seiner Ecke nein ASSERTIERT 3 [ tout moun ké réuni mo ka pansé . sa ké byen maché . sa ké rouvin alle werden sich vertragen denke ich das wird gut laufen das wird wieder werden

... in der Zukunft

4 [ kou avan . a sa mo ka pansé é a sa mo ka sweté osi . tout bèt wie früher das ist es was ich denke und das ist es was ich auch wünsche alles sich alle gut

verstehen werden 5 [ ké rouvin kou anvan . tout moun byen ké konpangnen . pa Ø gen wird wieder wie früher alle werden sich mit den Bekannten gutstellen das wird es

6 [ sa gen problèm ké sa . sala séparé . bèt konsa non . mo ka pansé tout nicht geben der hat Ärger mit dem der hält sich abseits solche Geschichten nein ich denke

7 [ bèt ké roupran byen maché . menm si a pa ké mayouri konsa mè alles wird wieder gut laufen wenn auch nicht mit Gemeinschaftsarbeit so aber 8 [ onivo ròt travay toupatou bèt ké byen maché mo ka pansé was andere Arbeit betrifft auf allen Gebieten wird das gut laufen denke ich

Anders als in (95) ist im Beispiel (96) die von einem Politiker während des Wahlkampfes für die Zukunft getroffene Aussage 'ihr werdet nicht mehr dumm sein' an eine Bedingung geknüpft: 'lesen, lesen, lesen'. Die futurische Aussage in Zeile 10-12 ist somit virtuell konditioniert:

(96) TGuy 180 Radio, Politiker

WAS BISHER GESCHAH

1 [ ET DONC i fo nou fè oun éfor paské ev/EFFECTIVEMENT i pa évidan ki nou

folglich müssen wir uns anstrengen in der Tat es ist nicht einfach daß wir Wähler fühlen sich nicht

ernstgenommen 2 [ rété kouté oun radyo PENDANT DEUX HEURES DE TEMPS i pa évidan hinsetzen und Radio hören zwei Stunden lang es ist nicht einfach Ego-hic-nunc Ich Politiker

weiß, daß... 3 [ nou rété kouté oun moun ka palé PENDANT DEUX HEURES DE TEMPS sich bilden = daß wir bleiben-hören einen Menschen der spricht zwei Stunden lang mühsam, deshalb:

Prozeß 4 [ mé nou ka koumansé oun kardeur oun DEMI-HEURE2 épi aprè aber wir beginnen eine viertel Stunde eine halbe Stunde und dann später Ihr werdet

politische Sendungen im

Radio

243 Diese Einleitung ist insofern nicht unproblematisch, als es sich um das Verb 'denken'

handelt, vgl. das Kapitel zur Regreßpflicht.

149

5 [ nou ka koumansé UNE HEURE ET QUART épi nou ka koumansé hören, ein paar beginnen wir eine und eine viertel Stunde und dann beginnen wir Seiten, dann

bald ein ganzes Buch lesen 6 [ UNE HEURE ET DEMIE épi aprè nou ka pran/ nou ka koumansé dézeur eineinhalb Stunden und dann später nehmen wir/ beginnen wir zwei Stunden wenn dies 7 [ paské pandan moun-an ka palé . nou-menm gen nou pròp ekspérians || VIRTUELLE weil während der Mensch redet haben wir unsere eigene Erfahrung CONDITIO eingeschränkte 8 [ DONC EUH IL EST ΙVIDENT QUE nou tout nou pa ka progrésé Regreßpflicht also es ist klar daß wir nicht alle werden vorankommen 9 [ EN MÊME TEMPS sa té ké tro bèl mè omwen si nou fè efòr-a la . in der gleichen Zeit das wäre zu schön aber wenigstens wenn wir uns anstrengen

10 [ si nou konvenk nou kò .. IL EST CERTAIN QUE nou ka konvenk dann werden wenn wir uns überzeugen ist es sicher daß wir überzeugen werden die Leute euch zukünftig 11 [ nou antouraj épi moun pa ka rakonté nou bétiz ankò keinen Unsinn unsere Umgebung und dann die Leute nicht werden erzählen uns irgendwelchen Unsinn

mehr erzählen

12 [ paské nou ka osi kiltivé ké yé || weil wir werden genauso gebildet sein wie sie Für die Sprechergruppe B (Isolate) ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild:

Sprechergruppe B (Isolate)

ka: Progressivität

prozessuale Zukunft

virtuell konditioniert

ké: Futur

aktuell konditioniert

Während also mit dem Futur und dem progressiven Aspekt der Ausdruck eingeschränkter Wahrscheinlichkeit möglich ist, ist dies für ein futurisch gebrauchtes Präsens eher nicht der Fall. Dies ist insofern nachvollziehbar, als sowohl das IRE-Futur (ké < ka alé) als auch der progressive Aspekt vom Kern her einen Vorgang darstellen, der noch nicht als Fakt aufgefaßt werden kann. Das Präsens hingegen hat durch seine enge Bindung an das hic-et-nunc des Sprechers im Gegenteil eine starke Affinität zur Faktizität. Durch diese Art der Gültigkeit gegenwärtiger Tatsachen ist das Präsens mit eingeschränkter Wahrscheinlichkeit eher nicht vereinbar244.

244 Vgl. Schrott 1997: 157 zum Französischen: "Sprecherbefragungen ergeben, daß

sämtliche Kombinationen des présent futural mit Angaben der Wahrscheinlichkeit nicht akzeptabel sind, da ein dem Sachverhalt zugewiesener Grad an Wahrscheinlichkeit als Widerspruch zum durch das présent futural gegebenen festen Entschluß des Sprechers aufgefaßt wird".

150

Daher ist ka für die Sprechergruppe A (Küste) – gerade im Gegensatz zur Gruppe B (s.o.) – eher das aktuell konditionierte, d.h. auch assertiertere Glied der Opposition:

Sprechergruppe A (Küste)

ka: Präsens präsentisches, nahes Futur

aktuell konditioniert

ké: Futur

virtuell konditioniert

Wie an der guayanesischen Küste ist auch für Martinique die Feststellung getroffen worden, daß ka stärker habituelle und präsentische Funktionen übernimmt als progressive. Dadurch wird ké zur weniger assertierenden Futurpartikel:

(97) Gua/ Mar Bernabé 1983: 1035

Nou pa sav ki tan yo ké pòté liv-la Nous ne savons pas quand ils porteront le livre.'

(98) Gua/ Mar Bernabé 1983: 1035

Nou kay pòté liv-la nou menm 'Nous allons porter le livre nous-mêmes.'

Fassen wir zusammen: ka hat also auch auf der Futurebene seine imperfektive Funktion erhalten, die sich für das Futur besonders in der prototypischen (prozessualen) Bedeutung und in der speziellen Randbedeutung der eingeschränkten Assertion manifestiert. Für perfektives Futur kann im Guayanakreol wie im Martiniquekreol Ø stehen, dies ist bisher nur bei Damoiseau (1979: 167) beschrieben:

(99) Mar Damoiseau 1979: 167

demen maten nu Ø alé wè Man Ti Claire 'demain matin nous irons voir Man Ti Claire'

Die folgenden Beispiele aus dem Guayanakreol sind für perfektives Futur zu nennen:

(100) Guy

(a) Jean-Louis 1987: 295; 299

Ba mo dé jounen, trwa jou mo Ø sabré oun ti bati la. 'Donne-moi deux journées, trois jours pour que je sabre un abattis.'

(b) Jean-Louis 1987: 437; 444

Konpè Makak, o, mon ami/ Ba mo mo palto, mo Ø alé. 'Compère Macaque, oh, mon ami/ Rends-moi mon paletot pour que je m'en aille.'

151

(c) Jean-Louis 1987: 449; 453

Alò ou ké vin ké ou kroukrou ké ou bagaj nou Ø alé fè chajman. 'Alors tu viendras avec un panier, toutes tes affaires, pour aller nous approvisionner.'

(d) Atipa 1885: 166

Heinbin! mé li, mo meinnein baille ou; si ou ça houomme, touché li nous Ø wai. 'Eh bien! le voici, je vous l'ai amené; si vous êtes un homme, touchez-le qu'on voie un peu!'

V.2.7. Aspekt und Subordination In Schlupp (1997) ist ein kleines Kapitel mit dem Titel "L'emploi de ka est facultatif" zu finden; hier werden solche Beispielsätze vorgeführt, in denen die Imperfektivpartikel ka gesetzt werden oder auch entfallen kann. Obgleich die Sprecherurteile bei den Kommutationen nicht einheitlich sind, schließt Schlupp darauf, daß die Partikel hier – wohl im Sinne einer freien Variation? – fakultativ sei. Schlupp führt unter anderem die folgenden Beispiele auf; die runde Klammer zeigt die Fakultativität von ka an. Die Übersetzung sei mit oder ohne ka dieselbe:

(101) Guy Schlupp 1997: 524

(a) I Ø koumansé (Ø/ ka) manjé/ gran. 'Il commença à manger/ à grossir.'

(b) I Ø mété (Ø/ ka) kriyé. 'Il commença à pleurer.'

(c) I Ø viré (Ø/ ka) alé koté l'. 'Il alla chez lui de nouveau.'

(d) I Ø rété (Ø/ ka) palé. 'Il resta à parler.'

(e) I Ø fika (Ø/ ka) palé. 'Il resta à parler.' (= d)

(f) I Ø kontinwé (Ø/ ka) maché. 'Il continua à marcher.'

In einem Punkt stimmen meine Informanten mit denen Schlupps überein. Beide Varianten müßten etwa gleich übersetzt werden; dennoch kann im Fall der doppelten Nullmarkierung nach den bisherigen Analysen gleichwohl von einer funktionalen Opposition Nullmarkierung vs. ka ausgegangen werden. Diese funktionale Opposition wurde in den vorherigen Analysen z.B. mit der Kamerametapher erläutert: Das nullmarkierte Verb dient einer Darstellung in der Totale, von fern; beim ka-markierten Verb hingegen wird mit dem Zoom eine Nähe hergestellt, die es erlaubt, Ausschnitte des Geschehens zu sehen, es in seiner inneren Pluralität wahrzunehmen. In einem zweiten Blick auf die genannten Beispiele zeigt sich, daß es sich zumeist um Verben handelt, welche einen finalen Nebensinn zulassen, so daß die Beispiele auch im Sinne von

152

Subordination zu deuten sind. Beide Erläuterungen (Kamera und Subordination) scheinen bei allen folgenden Beispielen zutreffend:

(102) Guy St-Quentin 1872: 97

Lò mo wè ou tout mo kiò pran boulé, // Wey lasou ou mo Ø fika ka gadé 'Dès que je vous vis mon cœur s'enflamma, // Je demeurai immobile les yeux fixés sur vous ...'

(103) Guy Tchang 1988: 117.20

I pa fé lamès pasé sa, a rété i Ø rété ka gadé konsaaaaa ... 'Il n'a pas [encore] célébré une messe comme celle-là, il est resté à regarder comme ça ...'

(104) Guy Lohier 1960: 95

Mo ké déja divan lapòt-a ka antann to. 'Ich werde schon vor der Tür sein und auf dich warten.'

(105) Guy Collectif Maternelle 1989: 5

I té asi ka kalkilé sa i ganyen pou fè, l`oun branch pété krak ... 'Elle était assise réfléchissant à ce qu'elle devait faire, lorsqu'une branche se cassa crac ...'

(106) Guy Tchang 1988: 24.1

Mé madam-a té gen so tifiy i té mété ... 'n timoun konsa, timoun-a Ø rèsté ka paré soléy anba bati-a, é lò Makak vini pou kasé mi ké .. ké manjé, i wè tifi-a la. 'Mais la femme avait sa fille qu'elle avait mise à ... un enfant de la sorte, l'enfant se protégeait du soleil dans l'abattis, et lorsque Macaque est venu pour casser le maïs et le manger, il a vu la fille.'

(107) Guy Tchang 1988: 36.4

Apré i Ø mété l' ka bouyi. 'Après, il le mit à bouillir'245.

(108) Guy Tchang 1988: 86.20

I Ø kontinyé ka menné so mouton manjé. 'Il continua à conduire ses moutons au pâturage.'

(109) Guy Atipa 1885: 28

Apré ça neinnein yé la, négue placè vini beaucoup la dégrad: ça nègresse, to ca wè yé la, Ø vini ca vendé café, qué chicolat. 'Après l'époque de ces marchandes, les Nègres des Placers sont venus nombreux au marché. Aussi les femmes que tu vois là se sont mises à vendre du café et du chocolat.'

245 Dies könnte eine fossilierte Struktur sein, die in Richtung der Etymologie in Kapitel

VII.1. zu deuten ist.

153

(110) Guy Saint-Quentin 1872: 75

Fweng! mo koken, sa poukoufè // To Ø fronté ka lavé la-là? 'Dis-moi, drôle! comment se fait-il // Que tu aies l'audace de t'y baigner?'

Es handelt sich bei diesen Strukturen also um eine durch Aspekte geleistete, lockere Junktion, zumeist ohne komplexe Subordination (die z.B. einem Gerundium bzw. einem Relativsatz entspricht; vgl. Raible 1992 und Ludwig 1989c). Sehr deutlich ist diese Struktur außer in den Beispielen 102, 103, 105, 106, 108-110 auch in dem zu Beginn der Korpusanalysen ausführlich besprochenen Beispiel vom Werwolf, beispielsweise in

(111) TGuy 131

nou ka wé difé ka filé konsa.

Die bislang aufgeführten Beispiele betreffen in diesem Sinne zumeist zwei Verben. Die dort gedeutete Struktur ist jedoch auch auf der Textebene, d.h. für eine Gruppe von Verben, nachzuweisen:

(112) TGuy 165

F [lò nou Ø préséT1 lakoulèv nou ka paséD1 l' annan manaré kwak a épi nou wenn wir die koulèv pressen geben wir es [das Mehl] durch das Manioksieb und dann

Totale T1

F [Ø gen 'n chodyèr ki Ø ron konsa nwè nou ka limenD2 difé/ oun ka/ difé-a . haben wir eine Pfanne die so rund ist schwarz wir entzünden ein Feuer das Feuer

De- tails

F [nou ka météD3 chodyèr annan . nou ka pranD4 'n serk konhan . ki ka alél wir stellen die Pfanne hinein wir nehmen so einen Metallreif der zu der

D1 bis D 5

F [ké chodyèr-a . mem pi piti . nou ka tannD5 nou kasav . aprè nou Ø manjéT2. Pfanne paßt eigentlich kleiner wir walken den Fladen aus dann essen wir

Totale T2

F [ké vyann ké tout bét bon . mit Fleisch mit allem möglichen gut

In dieser Erläuterung des Brotbackens ist der Adressat beim Arbeitsprozeß dabei; er kann somit alle Arbeitsschritte mit den Augen verfolgen. Diese detaillierte, prozessuale Darstellung findet sich auf sprachlicher Ebene mit ka-markierten Verben wieder. Die Ein- und Ausleitung dieser Erläuterung erfolgt jedoch mit Ø-markierten Verben. Da in beiden Fällen mit einer Konjunktion eingeleitet wird, könnte Ø hier statt als perfektiver Aspekt auch auf die reduzierte Nutzung von Partikeln in untergeordeten Sätzen verweisen. Andererseits können sowohl lò als auch aprè sehr wohl mit

154

Partikeln stehen, so daß eine zweite Deutung in Betracht kommt, die auch hier die funktionale Opposition Ø vs. ka annimmt. Ganz deutlich wird, daß beide mit T1 und T2 gekennzeichneten Verben nicht mit Vergangenheit übersetzt werden können, da der Kontext dies nicht zuläßt. Vielmehr wird hier das Pressen der koulèv gleichsam als Eingangssignal, das Essen als Ausgangssignal der Passage genutzt. Anders als die mit D1-5 markierten Verben wird hier jeweils nicht der Prozeß in den Fokus gerückt, sondern nur der Fakt des Pressens bzw. Essens. Man könnte also wiederum von einer Kameraführung im Sinne von Totale–Details (Nahaufnahme)–Totale sprechen. Eine analoge Interpretation bietet sich auch für das folgende Beispiel an; hier ist der Aufbau gerade umgekehrt (Details-Totale-Details):

(113) TGuy 154

M [ mo té gen mo karbé . yé ka vin dronmi ké mo . ich hatte meinen Unterstand sie kommen mit mir um dort zu schlafen M [ nou (ka) dronmi . nou bati tou proch tou proch . sa wir schlafen dort unsere Rodungsstelle ist ganz in der Nähe . davon M [ trwa jou nou k'ay serklé ké sa . trwa jou nou k'ay serklé ké sa drei Tage gehen wir Büsche roden drei Tage gehen wir Büsche roden M [ answit answit jiskan y fini . épi nou ka désann anmidi to Ø fè tò bon immer so weiter bis es fertig ist und dann gehen wir mittags zurück du nimmst M [ bèn lò to Ø rivé lò to Ø rivé bonmaten to Ø fè to ben-d-basen . ein gutes Bad wenn du ankommst [2x] morgens nimmst du ein gutes Wannenbad mit der M [ ké tjwi to Ø lavé (plen) to Ø lavé .to Ø alé pozé to kò . to ka pran travay Kalebasse du wäschst dich du wäschst dich du gehst dich ausruhen du beginnst zu arbeiten M [ i bòrd senk'èr . bati-a tou proch obò to . es ist etwa fünf Uhr die Rodungsstelle ist ganz in deiner Nähe M [ to déja fè to soupé ka (a)tann. to ranjé to kabann du hast schon dein Abendessen gemacht das dich erwartet du räumst die Hütte auf und M [ épi sayè <! nou té ka viv . oh !> das war's wir verstanden es zu leben

Arbeits-prozeß in sei- nen Details

Ruhe- bogen als Fakt von außen

neuer Prozeß

Die Ruhephase wird als nicht unterteilte abgehandelt, d.h. textuell als Ganzes wiedergegeben.

155

V.2.8. Subordination und Schriftlichkeit Ralph Ludwig (1989c) hat gezeigt, daß für das Kreol typischerweise kohärenzbildende integrative Mittel demjenigen Register entnommen werden, welches in den Kreolsprachen besonders reich ausgeprägt ist, d.h. den Aspekt-Tempus-Paradigmen. Ludwig zeigt in diesem Zusammenhang Parallelen mit europäischen Sprachen auf (1989c: 100): "Wie nun z.B. im Deutschen oder Französischen Tempusformen mit imperfektivem oder "Hintergrund"-Wert oft Funktionen teilfiniter Formen übernehmen, also als Unterordnungsmerkmale fungieren können, kann im Dominica- und Guadeloupekreol auch ka als Subordinationsmerkmal verwendet werden. Häufig ist das in den beiden Kreolsprachen in der Konstruktion folgenden Typs der Fall, die beispielsweise dem französischen Syntagma mit se mettre à faire qqc. oder auch dem gérondif entspricht" (vgl. auch Raible 1992: 59-71; 230-239):

(114) Dom (Taylor 1977: 209 u. 236; geänderte Orthographie; Korpus Ludwig/ Telchid)

mwen tann-li ka jwé flit

'ich höre ihn Flöte spielen'

Karouhou ka passe tout lajounen dèwò ka péché 'Karouhou verbringt den ganzen Tag draußen beim Fischen'

manjé yo sipozé ka manjé 'Essen, das sie essen sollen'

(115) Gua Telchid 1985: 23, 34, 143, 88, 107

I mété-y ka pryédyé... 'er begann zu beten'

Sé tifi-la mété-yo ka bat men, ka kouri toupatou, ka gadé, ka touvé toubiten bèl 'die Mädchen begannen, in die Hände zu klatschen, überallhin zu laufen, zu schauen, alles schön zu finden'

yo koumansé ka ba lari chenn 'sie begannen, die Straße auf und ab zu gehen'

i enmé ka ba-y dousin 'sie verwöhnt ihn gerne'

i sizé asi on ba ka kalkilé... 'er setzt sich auf eine Bank, am Rechnen...'

156

Dieser Bedeutungsübergang 'imperfektiver Aspekt' > 'Subordinations-merkmal' (teilfinite Form) werde, so Ludwig 1989c, semantisch gestützt durch "die Nähe der Imperfektivität zur Nicht-Punktualität und so weiter zur Absenz einer fest umrissenen Extension. Das Fehlen einer fest umrissenen Extension führt modal oft zur Aufhebung der Assertion, und der französische subjonctif oder auch der spanische subjuntivo fungieren als Modi der Nicht-Assertion ja syntaktisch gerade als Unterordnungssignal". Die genannten Eigenschaften von ka würden daher in besonderen Kontexten dazu führen, daß die Imperfektivpartikel praktisch als reine Subordinationspartikel fungiere. Dies gelte in besonderer Weise für Relativsätze, wenn dasselbe Subjekt in Haupt- und Relativsatz vorliege und das Verb des untergeordneten Satzes der dynamischen Aktionsart zuzurechnen sei:

(116a) Dom (Korpus Ludwig/ Telchid)

la yo ni on séminèr ka pwan plas 'da haben sie ein Seminar, das stattfindet'

(116b) Gua Telchid 1985: 55, 69, 82)

ni onsèl ka póté on mango jonn 'es gibt (nur) einen, der eine gelbe Mango trägt'

Apa on jako ka anni répété tousa moun ka di 'es gibt keinen Papagei, der nur alles wiederholt, was die Leute sagen'

Sé mwen ka rété isidan... 'ich bin es, der hier wohnt'

Die bisher genannten Faktoren, welche für die Entwicklungen von gesprochener und geschriebener Sprache im Sinne Ludwigs von Bedeutung sind, werden in der (durch eine große Materialaufarbeitung für das Küstenkreol überzeugenden) Arbeit von Daniel Schlupp nicht in die Untersuchung miteinbezogen. Im Kapitel zu Aspekt in untergeordneten Sätzen verzeichnet Schlupp Uneinheitlichkeit im Gebrauch der Partikel ka nach bestimmten Junktoren; einige der Kommentare sind in folgender Liste paraphrasiert:

157

Schlupp (1997: ... ... 433): bei lò sind die Sprecher in habitualem Kontext uneinig, ob ka ausfallen kann246 ... 419): bei chak fwa kann ka u.U. ausfallen ... 510): benki: ka steht fakultativ ... 514): olyé steht immer ohne ka ... 506): bei menm si kann ka fakultativ hinzutreten ... 481): bei si kann ka ausfallen

Da dem Autor kein Korpus gesprochener spontaner Sprache aus Cayenne und der Küste sowie kein Material zu isolierten Gemeinden vorlag, wird das Bild ein wenig unscharf247. Ich nehme zunächst ein von Schlupp zitiertes Beispiel zu Konzessivsätzen auf:

(117) Guy Tchang 1988: Nr. 103.1

Tout chanté i chanté awa! Pa konté: fanm pa ka lovri 'Bien qu'il ait chanté, non! Ne compte pas: la femme n'ouvre pas.'

Hier wird durch mehrere Strategien Konzessivität ausgedrückt. Außer der Verbdoppelung und der Betonung durch 'tout' ist hier das 'awa', dessen Etymologie nicht geklärt ist, in den Blick zu rücken, das in der Tat die Negation ('non') sein kann, hier aber richtiger mit 'vergiß es' übersetzt würde. In den folgenden Beispielen 'fehlen' wiederum Junktoren, hier wäre es laut Schlupp das finale 'pou' (1997: 468):

(118) Guy Schlupp 1997: 468

I di: "Vin Ø mo palé to"! 'Viens, je veux te parler'.

(119) Guy Schlupp 1997: 468

Vin moso Ø mo palé wou! (Tchang 1988: 37.6 und 63.1)

Das Fehlen von ka im pou-Satz wertet Schlupp als stilistische Variante und gibt folgende Beispiele:

(120) Guy Tchang 1988: Nr. 24.2; Übersetzung Schlupp

Bay to pat pou è ... to wa bay to zong mo Ø pliché ... pliché gnanm-a. 'Donne tes pattes pour euh ... tu donneras tes ongles pour que j'épluche ... j'épluche les ignames'.

246 Schlupps Formulierung setzt schon vor der empirischen Analyse voraus, "daß hier

etwas stehen muß, das ggf. ausfallen kann", vgl. die Einleitung dieses Kapitels. 247 Schlupp verwendet die Begriffe mündlich und schriftlich insofern nicht ganz

deutlich, als er die von einem Doktoranden (Tchang) transkribierten Märchen als corpus oral (eher fingierte Mündlichkeit, vgl. Neumann) und Theaterstücke als corpus écrit bezeichnet.

158

(121) Tchang 1988: Nr. 152.5; Übersetzung Schlupp

Wou tro bèl fiy mo Ø lésé djyab manjé wou! 'Vous êtes une trop belle fille pour que je laisse le diable vous manger'!

Bei (120) ist schon denkbar, daß pou 'ausfällt', weil das pou mit Abbruch (è ...) transkribiert ist. Gleiches mag für (121) gelten, da sonst ein Gegensinn entstünde248. Im Anschluß an die Finalsätze sollen nun Temporalgefüge am Beispiel von lè behandelt werden, und zwar nunmehr im Martiniquekreolischen. In konzeptionell mündlichen Texten steht im mit lè eingeleiteten Satz die funktionale Aspektopposition; typischerweise steht jedoch der perfektive Aspekt, da im lè-Satz in der Regel eine Zeitangabe oder eine Bedingung enkodiert wird, die als Ganzes, also perfektiv präsentiert wird, ganz gleich, ob ein dynamisches Verb oder ein Substantiv folgen:

(122) TMar 229-240/241

C [ dépi a douz an man té ka travay . . douz an man té ka travay . lè Ø douz seit ich zwölf Jahre alt war habe ich gearbeitet mit zwölf Jahren arbeitete ich als ich zwölf Jahre war C [ an mwen travay .manman-mwen maléré.manman-mwen pa té ni ayen en arbeitete ich meine Mutter war sehr arm meine Mutter hatte nichts nicht wahr C [ . alò fok fok man té ay travay pou man té lé édé-y daher mußte ich arbeiten gehen um ihr helfen zu können

(123) TMar 229-241

C [ lè Ø lapli lapli antan <! lapli antan té ni dlo !> aktjouèlman pa ni dlo bon wenn es regnete früher der Regen früher das war eine Menge Wasser heute gibt es kaum Wasser

In den folgenden Beispielen ist der lè-Satz stets perfektiv: (124) TMar 229-240/241

C [ lè yo Ø ba-w senk fran ou travay tout simen-an . pitèt sé senk fran wenn sie dir fünf Franc gaben du arbeitest die ganze Woche vielleicht geben sie fünf Franc

248 Ka könnte hier nicht stehen, dies hieße nämlich, der Teufel hätte ein bißchen an dem

Mädchen geknabbert.

159

C yo ba-w an tan-an an tan-an . senk fran sété an chay lajan zu der Zeit zu der Zeit fünf Franc das war eine Menge Geld S an tan-an zu der Zeit

Lè kann mit oder ohne té stehen, steht aber fast immer ohne ka, weil typischerweise eine perfektive Aussage folgt. Dies gilt auch bei Sprechern, die wie die Sozialarbeiterin und Kandidatin für das Bürgermeisteramt Madame Front viel mit Schrift zu tun hat:

(125) TMar 222-234

F [ i ka sourwè tèt ba-w épi i ka pati . lè i Ø pati . er nickt dir zu und dann geht er weg wenn er fortgegangen ist F [ ou ka rand-w kont i pa ka konmprann ayen . machst du dir klar er versteht nichts

In der wissenschaftlichen Arbeit Atines aber steht lè (und in ähnlicher Bedeutung auch si) ausschließlich mit ka oder té ka. Allerdings macht der Kontext auch deutlich, daß es sich hier bei allen um allgemein-faktische (bzw. iterierte) Aussagen handelt!

(126) Mar Atine 1994: 42

Lè yo té ka jwenn an tjak nan an domèn éti yo pa té pé métrizé'y médikalman, yo té ka rityalizé'y; yo té ka ba'y an sinifikasyon, an lesplikasyon majik, épi yo té ka rézoud li pa an pratik majiko-relijyé 'Wenn sie auf ein Problem stießen in einem Bereich, den sie medizinisch nicht beherrschten, dann ritualisierten sie es, sie gaben ihm eine Bedeutung, eine magische Erklärung, und dann lösten sie es mit magisch-religiösen Praktiken.'

(127) Mar Atine 1994: 42

Kontel: Si an moun pa té ka rivé akouché, akouchèz-la té ka fè an dité gonbo ba'y pou té fè ti manmay-la glisé. I té pé fè an lòt dité éti-y té ka mété: [Zutatenliste] 'Zum Beispiel: Wenn ein Mensch niederkam, machte die Hebamme einen Gonbo-Tee für ihn, damit das Kind 'rutschte'. Sie konnte einen anderen Tee machen, in welchen sie [folgende Zutaten] gab: ...'

(128) Mar Atine 1994: 51

Envokasyon-an ka kréyé an kominikasyon ki fò toubonnman, parkonsékan i ka nécésité lang-lan sé moun-lan ka palé a ki sé kréyòl-la. Lè man ka li an lapriyè kon "Invocation à la Sainte Croix", man ka konstaté ki sé pa an lapriyè éti moun ka sèvi selman pou akouchman ... Sé an lapriyè éti an moun pé sévi ... pou potéjé kò'y ..., donk sa ka montré a ki dègré akouchman-an sé an. 'Die Anrufung [Gottes] bringt eine Kommunikation hervor, die sehr sehr stark ist, folglich bedarf sie der Sprache, welche die Menschen sprechen, des Kreols. Wenn ich ein Gebet wie die "Anrufung des Heiligen Kreuzes" lese, stelle ich fest, daß es nicht nur ein Gebet ist, das die Leute

160

für die Niederkunft anwenden ... Das ist ein Gebet, das die Menschen benutzen ... um ihren Körper zu schützen ..., also zeigt das, zu welchem Grad die Niederkunft ein wichtiges Ereignis ist.'

Die Opposition besteht nicht etwa zu Null, sondern zu té ka. Die hier am Beispiel von temporal-konditionalem lè gezeigte Tendenz gilt auch für andere Typen von Subordination, wie die folgende schematische Übersicht belegt: mündlich schriftlich

TEMPORAL lè Ø/ka

lè ou wè Ø/té

• chak lè té ka bay tété

• a chak fwa yo té ka vini palé

• lè man ka li

• lè yo té ka jwenn an tjak ... yo té ka ...

• dépi ou ka rivé / dépi yo té sav

KONDITIONAL si ou Ø/kalévé bonnè ou ké tann li • si yo ka évité, sé pas ...

• si fanm-an pa té ka rivé akouché

KAUSAL Kontext • pis i té ka tété

• paské yo ka di

• sé poutchi nou ka éforsé nou

• piské i ka vini

KONSEKUTIV kontextuell • par konsékan i ka nésésité

• donk sa ka montré

FINAL pou ou ka parisadé-y pou ou byen Ø/ka netwayé-y

• pou'y pa té santi doulè

• pou van pa té antré

• (an serman pou ét respekté)

OBJEKTSATZ si yo wè-w PAUSE Ø ou rété dèyè PAUSE (Prosodie macht es)

• dépi yo té sav ki yo té ka rivé

161

V.2.9. Vorerwähnte Handlungsaufforderungen Der Imperativ wird im Kreol der Kleinen Antillen und Französisch-Guayanas mit der Nullmarkierung ausgedrückt:

(129) Ant/Guy

pa fè sa 'mach das nicht'

palé 'sprich'

Im Korpus finden sich jedoch Beispiele für die Markierung einer Handlungsaufforderung mit der Imperfektivpartikel ka:

(130) TGuy 131

C [ nou tandé Nanni ka di Ø fromen zòt bouch wèy wè bouch wir hörten Nanni sagen Mund zu Augen auf Mund zu C [ pé . pa ka louvri zot bouch . nou pè nou pè nou pè a la pou nou pasé hen . macht euren Mund nicht auf wir haben furchtbare Angst dort müssen wir durch C [ annan chimen-an manman-poul ké omwen karant tipoul dèyè'l . pandan in unserem Weg war die Henne mit mindestens vierzig Küken hinter ihr es war C [ tan-an a zonmbi wi . zonmbi . madanm-an levé < dézabiyé zot . tout timoun vielmehr ein Zombie ja ein Zombie die Frau stehtp auf Kinder zieht euch alle aus C [ dézabiyé > bagaj-a la hen tipoul-ya menm dèyè nou ka < piyam piyam > zieht euch aus das Ding da die Küken hinter uns piepsen und piepsen C [ manman-poul ka < klok klok klok klok klok > nou di dézabiyé . lò nou die Henne gackert sie hat uns gesagt zieht euch aus

(131) TGuy 132

L [ é manjé té ka vin . .aprézan manjé rar . a 'n kou konsa kochon-an und das Essen kam heute ist das Essen rar auf einmal läuft so ein Schwein herum L [ maron . mo pa savé . i pédi so chimen . yé vini yé trouvé l' ich weiß nicht es hat sich verirrt sie kommen sie finden es L [ mé yé vé pa ka trouvé kochon konsa . vandé senkant frank lekilo aber sie können kein Schwein so finden sie verkaufen es 50 Franc das Kilo L ¿ou konprann a tout moun gen ki senkant fran? <! wi !> du denkst249 daß jeder 50 Franc hätte ja G <? senkant fran lekilo vyann bwa isi-ya ?> 50 Franc das Kilo Wild

249 Die wörtliche Übersetzung wäre etwa 'du hast verstanden'.

162

L surplas . é pa ka di to ké pran krédi hen . pa gen krédi . non hier vor Ort und sag nicht du wirst anschreiben lassen Anschreiben gibt es nicht nein E surplas vor Ort G <? surplas ?> di fran vor Ort zehn Franc

In beiden hier zitierten Fällen handelt es sich um einen thematischen (zuvor erwähnten) und negierten Imperativ. Im zweiten Beispiel handelt es sich jedoch nicht um eine Handlungsaufforderung im typischen Sinne; hier geht es vielmehr um die Unnötigkeit der Handlungsausführung. Eine analoge pragmatische Funktion des imperfektiven Aspekts erläutert Mulisch für das Russische (1993: 197).

V.2.10. 'Res gestae' Im folgenden Beispiel sind beide in der Literatur beschriebenen Gebräuche der Vergangenheitspartikel der Kleinen Antillen zu sehen:

(132) TGuy 165

mo papa pa té lé vréyé nou ròt koté paské mo papa mein Vater NEG T wollen schicken uns anderer Ort weil mein Vater ja té vréyé Jémèn premyé a Cayenne schon T schicken Germain den ersten nach Cayenne 'Mein Vater wollte uns nicht in die Stadt [zur Schule] schicken, weil mein Vater schon den ältesten [Sohn], Germain, nach Cayenne geschickt hatte.'250

In der ersten Zeile steht die Partikel té mit dem stativen Verb lé und drückt einfache Vergangenheit (past) aus, während in der zweiten Zeile dieselbe Partikel mit einem dynamischen Verb Geschehen versprachlicht, welches vor einer anderen, ebenfalls vergangenen Handlung zu situieren ist (past perfect)251. Eine Affinität zum Ausdruck der Vergangenheit besitzt auch der nullmarkierte perfektive Aspekt, so daß für das Kreol von Guayana und Martinique (für dynamische Verben) von folgenden Markern ausgegangen werden kann, welche auf res gestae verweisen:

250 Der Kreole mußte dort bedrückende Erfahrungen aufgrund der Ausbeutung durch

die Gastfamilie machen. 251 Der Gebrauch der englischen Begriffe soll hier eine Übertragung der französischen

bzw. deutschen Kategorien auf das Kreol vermeiden helfen.

163

Ø i Ø manjé ('il a mangé, il mangea')

TÉ, TÉ KA

i té manjé ('il avait mangé')

i té ka manjé ('il mangeait, il était en train de

manger')

Bei den meisten Autoren ist nun zu lesen, daß der Marker té (auch bei der Kombination mit ka) ausfallen kann, wenn die Vergangenheitsreferenz aus der Situation oder dem Kontext hervorgeht. Die Analysen des dieser Arbeit zugrunde liegenden Korpus deuten auf eine zugespitztere Formulierung: té fällt in aller Regel aus; es steht – besonders bei Sprechern in den isolierten Gemeinden Guayanas – vor allem dann, wenn die Aussage sonst mißverständlich wäre. Diese Beobachtung gilt in gleicher Weise für Erzählungen wie für Erläuterungen.

(133) TGuy 132

L [ i pa gen timoun komin . dernyèrman oun ti jennjan vini la-a . es gibt keine jungen Leute auf dem Dorf neulich kam ein junger Mann hierher L [ ka di mo madam . mo di wi . ¿koté mo ké touvé oun jenn fiy DE PAYS-a sagt zu mir Madame ich sagte ja wo werde ich ein Mädchen dieses Landes finden L [ menm? mo di . piti . tout k'alé Kayenn aprézan . i pa gen sa isi ich sagte Junge alle gehen nach Cayenne jetzt so etwas gibt es hier nicht L [ pa té gen vrè . aprézan timoun-yan viré mé sa épok i doumandé es gab wirklich keine jetzt kommen die Kinder zurück (ins Dorf) aber zu der Zeit als er L [ mo a . i pa té gen timoun-an . yé tout Kayenn Kayenn . pa té gen mich fragte es gab kein solches Kind alle sind nach Cayenne gegangen gab keine

In der vierten Zeile des vorstehenden Korpusauszugs muß té stehen, da sonst unklar wäre, ob die Sprecherin sich auf die heutige oder damalige Lage bezieht, beides wäre bei Ø möglich. Wenn eine solche Uneindeutigkeit ausgeschlossen ist, etwa weil schon einige Minuten nur von Ereignissen der vergangenen Zeit die Rede ist, steht gar kein té, so etwa in dem bereits zitierten Text über den Werwolf, der hier in einem Ausschnitt noch einmal angeführt werden soll:

(134a) TGuy 131

C [moun ki ka kondwiALFA kabouré-a wonm la-to-wè i désannTOTA la-to-wè i d(i) TOTAto dé der Mann der den Karren lenkt ist ein (echter) Mann da steigt er ab da sagt er zwei Worte C [mo . la i ka diDETA annan/ anlè/ annan kabouré-a . a so zafè i ka fèDETA . i sa pitit

da sagt er vom Karren herunter es sind seine Angelegenheiten die er erledigt er ist ein Kind

164

C [Bondyé . sa ki divan . bay lè pou i pasé . i ka diDETA so trwa kat Gottes das was da vorn ist mach Platz damit er weitergehen kann er sagt seine drei vier

C [mo parol to ka tandéDETA<ryan vlian to ka tandé bèf-a ka kjenbéDETA konsa

Worte du hörst riang vliang du hörst den Ochsen der den Karren anzieht so C [blogodo blogodo vlow> mouché-a tout moun paséTOTA . mè si i pa di sa

blogodo blogodo vlow der Karrenlenker alle gehen vorbei aber wenn er das nicht sagt C [si (i) pa konnèt parol pou to dia . i diTOTA a sa nou tandéTOTA

wenn er die Worte die man sagen muß nicht weiß er sagt das was wir hören C [mè i diTOTA ròt parol nou pa savéTOTA sa i diTOTA . to wèTOTA .

aber er sagt andere Worte wir wissen nicht was er sagt siehst du C [épi la-a to kaDETA tandé <fiou> nou ka apléALFA sa lougarou . bèt-a i sotiTOTA

und dann hörst du fiuuu, wir nennen das Werwolf, das Ding, es geht runter C [di lari-a . nou ka wèDETA difé ka filé konsa to jèn timoun to chivé-tèt ka dréséDETA

von dem Weg, wir sehen ein Feuer, das fliegt, so, wir sind Kinder, unsere Haare stellen sich aufrecht

C to pè pasé pè fèt mè to aléTOTA difé/ to ka wè lougarou-a konsa ka paséDETA konsa wir haben große Angst, aber wir gehen weiter, Feuer/ du siehst den Werwolf der vorbeifliegt,

G ké difé ka volé mit fliegendem Feuer

Zu Beginn dieser Episode war das Geschehen mit té in der Kindheit der Sprecherin in den 30er Jahren situiert worden, im Laufe der Erzählung wird nur an zwei Stellen té verwendet; am Ende der Geschichte wird té noch einmal im Sinne zeitlicher Situierung verwendet:

(134b) TGuy 131

C1 [ i pasé/ lè nou rivé . i té senk ér d’maten . nou rivé . kano-a pran pasajé er kommt durch als wir ankamen war es fünf Uhr morgens wir kamen an das Boot nimmt die Passagiere auf

C2 [ nou doubout désann nou alé Cayenne wir sind bereit zu fahren wir fahren nach Cayenne

Interessanterweise reduziert sich nach Verlassen der 'erzählten Welt' (Weinrich) die Sprechgeschwindigkeit; in diesem Nachklingen-Lassen werden einzelne Verweise noch einmal aufgegriffen. Diese stehen zumeist mit té:

(135) TGuy 131

C lè nou rivé nou alé dronmi i té senkèr/ zizèr-d-maten ah als wir ankamen sind wir schlafen gegangen es war fünf sechs Uhr früh G <? zot alé dronmi ?> seid ihr schlafen gegangen C [ mo déja té wè bagaj wi pou mo ti laj . h a a a ich hatte schon Dinge gesehen ja für mein junges Alter

165

C [ plen ti-poul < piyam piyam piyam > madanm-a di dé mo lauter Küken pieps pieps pieps die Frau sagte wenige Worte C [ parol granmoun ah épi lontan ké sa daprézan yé té konnèt bagaj Worte von Erwachsenen ah und dann die Leute kannten im Vergleich zu heute C osi hen (...) za tan lontan yé té/ hen té gen bokou mal hen bokou auch manche Dinge schon früher gab es viel Böses viel G ah wè oh ja C bokou bokou bon/ LES GENS té movè movè movè movè menm ah wi viel viel gut die Leute waren unfaßbar schlecht oh ja G wè LES GENS/ die Leute

Die hier gezeigte Signalfunktion des Markers té bzw. té ka ist auch für das Französische bekannt. So besitzt das sog. imparfait d'ouverture keinen rein temporalen Charakter, sondern die Funktion eines Signals, durch welches der Text segmentiert wird. Die Annahme solcher Gliederungssignale (auch Oberflächensignale) verweist darauf, daß Texte als Hierarchie von Sinneinheiten verstanden werden können (vgl. Gülich/ Heger/ Raible 1979):

(136) Fra Drac 227, Montagne 45

(a) Il y avait, une fois, un homme et une femme qui avaient trois enfants [...]

(b) Il était une fois un jeune homme noceur qui avait perdu toute sa fortune au jeu.

Auf der Satzebene ist das imparfait der Verweis auf einen Zustand, der vorzeitig zur Erzählsituation liegt. Auf textueller Ebene ist eine zweite Deutung möglich, die hier ein Erzählsignal252 sieht, das darauf hinweisen soll, daß nun die Grenze zu einer anderen – der erzählten – Welt überschritten wird. Eine ebensolche Signalfunktion haben die kreolischen Marker té (Martinique, Guayana, Guadeloupe) und ti (Rodrigues):

(137) Gua Telchid Man talaway 33

Sété an tan Dyab té ti gason. 'Das war zu der Zeit, als der Teufel ein kleiner Junge war.'

Im Rodrigueskreol übernimmt ti offensichtlich eine vergleichbare Funktion: Hier ist auf eine Vorzeitigkeit zum Sprechakt verwiesen, und gewissermaßen gleichzeitig wird ein Signal gegeben, das auf den Wechsel 252 Der Begriff wird im Sinne von Gülich/ Raible verwendet.

166

in die erzählte Welt hindeutet. Im weiteren Erzählkontext fällt ti meist aus, obschon die folgenden Sätze auch in der Vergangenheit zu situieren sind253:

(138) Rod Soudin 104

Enn foi dan in péi, ti éna enn garson ti rénomé Soudin. Soudin li ti enn soular. Soudin li ti enn somer. Bé enn zour Soudin finn boir, le finn sou. Lé tan ki li alé, li tonb bor la ri; troi vakabon traversé ...

Einmal in einem Land gab es einen Jungen, den sie Soudin nannten. Soudin war ein kleiner Säufer. Soudin war ein Arbeitsloser. Nun eines Tages hatte Soudin getrunken, hatte er sich betrunken. Als er losgeht, fällt er am Straßenrand zu Boden; drei Diebe kommen vorbei ...

Diese Tatsache ist auch mit dem Begriff des narrativen Präsens (vgl. Herweg 1990: 74) erklärbar, das den Erzähler wie vor allem den Hörer (oder Leser) gleichsam in die erzählte Welt versetzen soll254. Über die Signalfunktion hinaus scheinen das imparfait und die Vorzeitigkeitsmarker zum Erläutern derjenigen Zustände zu dienen, die bereits eingetreten sind, wenn die eigentliche Erzählhandlung beginnt (Michaelis 1988: 32). Der hier mit dem Perfektivmarker finn und dem Episodenmerkmal255 bé enn zour redundant gekennzeichnete Beginn des besonderen Ereignisses wird in französischen Texten mit dem passé simple ausgedrückt, in den Texten von Martinique und Guadeloupe mit nullmarkierten dynamischen Verben:

(139) Fra Montagne 45

Il était une fois un jeune homme noceur qui avait perdu toute sa fortune au jeu. Il partit, dans l'intention de se suicider. (140) Gua Manni 54

I Ø sizé wóch la, [...] Er T/ A setzen den Felsen 'Er setzte sich auf den Felsen.'

Dieser Zugriff hat gezeigt, daß es nicht möglich ist, auch die Tempora des Französischen ausschließlich bestimmten Zeitstufen zuzuordnen. Sie können ebenso wie kreolische Marker Signalfunktion innerhalb einer Texthierarchie haben.

253 Baker 1972: 106f. beobachtet dies auch für das Kreol von Mauritius. 254 Vgl. Weinrich 1994: 48: "Die Märchenwelt ist [...] zeitlos erzählte Welt. In keiner

Erzählung werden wir aus der alltäglichen Situation weiter herausgetragen als im Märchen. [...] Daher markiert das Märchen auch deutlicher als alle anderen Erzälungen die Grenze zwischen der erzählten Welt und der Alltagswelt".

255 Vgl. zu diesem Begriff Raible 1971: 305.

167

Neben diesen Parallelen im pragmatischen Tempusgebrauch im Kreol und im Französischen sind jedoch auch Unterschiede zu nennen. So wird im Französischen – auch in gesprochener Sprache – das plus-que-parfait obligatorisch benutzt, um Vor-Vergangenheit zu enkodieren:

(141) Fra Bres 1990: 157

... notamment une fois qu'on occupait la direction parce qu'on voulait nous nous interdire la suppression du poste de / le troisième poste c'est-à-dire le poste de nuit / pour un machiniste du puits / alors qu'y [sic] avait des mineurs au fond ça qui mettait en cause la sécurité si quelqu'un se trouvait malade au fond tout ça et qu'i [sic] faille évacuer vite / la direction l'avait mis en cause / compte tenu de ça on a occupé la direction ...

Im Kreolischen jedoch kann té stehen, in vielen Fällen jedoch steht das nullmarkierte Verb:

(142) TGuy 132

L a 'n espès dé chigòm pa chigòm ki dous dous sé sa das ist eine Art Kaugummi kein Kaugummi der süß ist das ist es G i ka fè janr . gòm/ es ist so eine Art Gummi L [ mo-menm pa jen Ø wè sa é mo menm ka wè ti senj-ya . mo di ich selbst hatte das niemals gesehen und ich sehe diese kleinen Affen da ich sage L [ gadé yé non mo ka achté kilo . tout pandan mo ka manjé mo schau mal die nein ich kaufe ein Kilo während ich esse werde ich L [ ka rédi épi you!! mo ka manjé ti tifi lò mo té gen kenz (Lachen) dick und ah ich esse kleines Mädchen als ich fünfzehn Jahre war L [ mo vant vini gro . pyès ròb pa ka antré sou mo . mein Bauch blähte sich auf kein Kleid paßte mir mehr

Hier stünde im Französischen das plus-que-parfait. Nimmt man den Übersetzungsfragebogen zur Hilfe, so bestätigt sich dieser Unterschied zwischen Kreol und Französisch. Die französischen plus-que-parfait werden – in Guayana häufiger als auf Martinique, bei mündlicher Übersetzung zahlenmäßig höher als bei schriftlicher – durch Ø wiedergegeben, z.B.:

(143) QFra 28, QGuy 28

Hier matin, mon frère est allé se baigner. Mo frè θθθθ alé lavé larivyè ayè bonma(n)ten. Mais il avait mangé avant. Alors, il ne pouvait pas nager. Mè li θθθθ manjé anvan. Alò i pa té (pou)vé najé.

168

Im Kreol drückt hier der Aspekt die Außensicht auf die Handlung aus; dies und der kontextuelle Rahmen führen zu einer 'richtigen' Übersetzung, in der jedoch aspektuellen Bezügen die Priorität vor temporalen Situierungen eingeräumt wird. Diese Priorität der aspektuellen vor der temporalen Markierung gilt jedoch nicht für alle Sprecher in gleicher Weise. Im folgenden Korpusauszug wird von einem jungen Kreolen in St-Georges/ Guayana von einer lebensbedrohenden Begebenheit berichtet, welche ihm selbst in der Vergangenheit zugestoßen ist. Insofern liegt hier eine dem Beispiel vom Werwolf analoge Textsorte vor. Während in der Werwolf-Geschichte jedoch außer in den Anfangs- und Endsequenzen fast gar kein Verb mit temporalem té markiert war, sind es hier fast alle Verben:

(144) TGuy Roland

A [ nou té byen . nou té byen euh PICOLE ((lacht)) a 'n terme fransé wir hatten gut wir hatten gut was getrunken das ist ein französischer Begriff A [ mé wè nou té euh 'n pé egzajéré anlè anlè diven-an . tchip . aber na ja wir hatten ähm ein bißchen übertrieben mit mit dem Wein hhm A [ pi bò-d- ti si-zèr nou ka rantré lakaz . . nou k'alé . nou pran 'n ti-kano und dann gegen sechs Uhr gehen wir nach Hause wir gehen wir haben ein kleines Boot A [ 'n ti kano tol mé ki mé ké 'n gro chevo deryèr . alò roun karant chevo genommen ein 'tol' aber das aber mit einem starken Motor also ein 40-PS-Motor A [ nou k'alé a tout vitès . ti/ épi hen hen douvan i té gen roun òt kano wir fahren volle Geschwindigkeit und dann ähm ähm vorne gab es ein anderes Boot A [ k'alé épi euh boug-a té chofè ki té ka mennen nou an/ i té gen das da fuhr und dann ähm der Typ es war der Fahrer des Bootes der uns brachte es gab

A [ 'n gro vag EN PLUS i té gen bwa i té gen briyé douvan ébé i Ø éséyé eine große Welle außerdem gab es Äste es gab Gestrüpp vor uns na ja er versuchte A [ i Ø éséyé doublé boug-a pou i té pasé douvan mé ké vag-a vag-a ké tout balan er versuchte den Typ zu überholen um vor ihn zu gelangen aber mit der Welle Welle mit dem ganzen Schwung A [ i té gen kano-a anni Ø tounen anlè so kò alò sa nou-menm nou-menm den es hatte kippte das Boot um also so was wir selbst wir selbst A [ té anba kanon-an alò kom Michel256 menm i pa té konnèt najé waren unter dem Boot also weil Michel selbst er konnte nicht schwimmen A [ HEUREUSEMENT i té gen tanker-a té la alò sa fé 'n boué softaj zum Glück gab es einen Tank da also das diente als Rettungsboje

256 Der Name wurde geändert.

169

A [ pou li pou i tchyembé sinon si a pa té sa i té ké néyé épi für ihn damit er sich festhalten konnte sonst wenn es das nicht gegeben hätte wäre er ertrunken A [ mo-menm kom mo-menm mo mo té konnèt najé mo té gen ich selbst weil ich selbst ich konnte schwimmen ich hatte meine A [ tout mo lenj ké mo pantalon ké mo soulyé alò mo té konnèt najé ganze Kleidung an und Hose und Schuhe also ich konnte schwimmen A [ alò mo té ka najé pou alé anlè/ abò larivèr-a kom nou té sa also ich schwamm um zum Flußufer zu gelangen A [ mo té ka di a nou té près rivé Saint Georges

wir waren fast in Saint-Georges angekommen

Die Tendenz zu einem erhöhten Tempusgebrauch (té) ist im Korpus vor allem bei denjenigen Sprechern festzustellen, die viel Kontakt mit Schriftlichkeit haben. Die bisherigen Daten gelten in analoger Weise für Martinique, Guadeloupe und Guayana. Anders als auf den Kleinen Antillen, wo té (mit dynamischen Verben) allein dem Ausdruck des past perfect vorbehalten ist, kann in den isolierten Gemeinden Guayanas mit té ebenso auch auf einfaches past referiert werden:

(145) TGuy 132

L [ mo vini mo pati Cayenne . lè mo rivé mo pa té gen nivo . alò ging ich ging ich fort nach Cayenne als ich ankam hatte ich nicht den Bildungsstand also L [ mo té travay déyè chèz madanm a sa mo fè arbeitete ich als Haushälterin [wörtlich: hinter Madames Stuhl] das ist es was ich gemacht habe L [ tout mo levé tout mo pitit tout lé dé tout lé wit pitit. alle ich habe alle meine Kinder großgezogen alle beide alle acht Kinder

Diese Funktion weist té auch in Louisiana auf (vgl. Kap. VI.1.). Bisher ist nur auf das 'Fehlen' von temporalem té in einigen Beispielen hingewiesen worden; bei genauerer Analyse ergibt sich auch das Fehlen von ka in folgender Stelle:

(146) TGuy

ka alé Ø volé 'er geht fort, fliegt fort'

170

Nun könnte man zunächst an eine serielle Konstruktion denken, da die folgenden Kriterien erfüllt sind257: nicht serielle Verben, denn diese müssen folgende Kritierien aufweisen

1. Nur ein Erst- bzw. Zweitaktant ist oberflächenstrukturell auszumachen.

2. Ko- oder Subordinationsmarker fehlen.

3. Beide Verben stehen auch selbständig (als Lexikoneinträge).

4. Aspekt, Tempus und Modus stimmen für beide Verben überein und sind mit zunehmender Grammatikalisierung immer öfter nur beim ersten Verb markiert; d.h. das zweite Verb kann als weniger finit gewertet werden, da es etwa auch die Möglichkeit der Negation ausschließt (vgl. Raible 1992: 51, Michaelis 1994: 56).

5. Zusammen dienen sie der Darstellung nur eines "komplexen Sachverhaltes" (Michaelis 1994: 56).

Doch ist ein weiteres für eine serielle Konstruktion notwendiges Kriterium nicht erfüllt:

6. Die Verben sind mit steigender Grammatikalisierung einer einzigen gemeinsamen Intonationskurve zuzuordnen.

Die Auswertung der Intonationsverläufe zeigt deutlich, daß hier zwei Kurven angenommen werden können. Daher scheint die Annahme plausibler, daß hier die einmal erfolgte Markierung nicht wiederaufgenommen werden muß. Eventuell tritt an ihre Stelle die aus dem Intonationsschema ebenfalls ablesbare Längung des ersten /e/. Die Annahme einer von der Mündlichkeit her begründeten Struktur wird auch durch die zwei folgenden Beobachtungen gestützt. Im folgenden Beispiel müßte bei beiden Verben ka stehen, also auch i ka byen fè l' ...:

257 Nach Michaelis 1994: 56-72, besonders 56-58, sowie Bernabé 1983, Bickerton

1981: 117ff., Boretzky 1983, Goodman 1964, Guy Hazaël-Massieux 1996, Holm 1995, Lehmann 1982: 35f., Ludwig 1996, Raible 1992, Seuren 1990. Mit zunehmender Grammatikalisierung auch zunehmende Begrenzung der funktionalen Bereiche. Vgl. Ludwig 1996 dazu. Michaelis 1994: 26/ 32: "Das finite Verb ist das Element einer Äußerung, das die meisten Relationen stiftet, d.h. gewisse Leerstellen eröffnet, die durch Nominalbegriffe (oder deren Platzhalter) ausgefüllt werden müssen oder können [...] Zusammenfassend seien noch einmal folgende Kategorien, die im Sey Kr [Seychellenkreol] maximale Finitheit anzeigen, aufgeführt: [Assertion], [Affirmation/ Negation], [Verbalrektion: Erst-Aktant in Subjektform], [Variation in Kurzform/ Langform], [Person], [Tempus], [Modus], [Aspekt]. Da ein Großteil dieser Spezifizierungen implizit bleiben kann, ist ein Syntagma wie: ou manze 'du ißt' als maximal finit zu werten, obwohl hier nur Information über den Erst-Aktanten vorliegt. Berücksichtigt man zudem noch die Möglichkeit, den Erst-Aktanten in bestimmten Kontexten unspezifiziert zu lassen, so wird deutlich, in welch hohem Maße Verben [in Kreolsprachen] oberflächenstrukturell indeterminiert sein können."

171

(147) TGuy

i byen fè l' i ka fè l' 'er ist das gut am Machen er ist das am Machen'

Kreolische Muttersprachler korrigierten dieses Beispiel übereinstimmend durch zusätzliches ka, wenn es ihnen schriftlich vorgelegt wurde. Wenn sie es nur hörten, 'fehlte' ihnen nichts. Im Gespräch wurden zwei Erklärungen angeboten. Zum einen wurde darauf verwiesen, daß i ka byen fè l' nicht gut klinge bzw. sich nicht gut spreche. Insofern mögen auch bei Aspekt-/ Tempusmarkern euphonische Gründe in der Untersuchung gesprochenen Kreols einbezogen werden müssen. Zum anderen wurde angemerkt, daß es "ja ohnehin klar" sei, was ausgesagt werden soll258. Diese Annahme einer Leistung der nötigen Information durch Situation und/ oder Kontext kann mit einem weiteren Beispiel aus demselben Text erhärtet werden. Auch in modaler Funktion fehlt der Marker té nämlich konsequent, z.B.:

(148) TGuy

si i pa Ø di sa wenn er das nicht gesagt [hätte]

Hier ist die Sprecherin erregt, lebt eine sehr beängstigende Situation wieder, spricht schnell; keinem Muttersprachler fällt das beim Hören der Kassette als störend auf, nicht im Sinne von ungrammatisch und auch nicht im Sinne von unverständlich. Im Schriftlichen wäre es ohne Kontext leicht mißverständlich. Zu beobachten ist, daß der Satz so von keinem native als (schriftlich wie mündlich) vorgelegter Einzelsatz zugelassen wurde. Kontext und/ oder besondere Intonation leisten hinreichend Ersatz. Fehlen können daher Tempus- und Aspektmarkierungen ebenso wie Junktoren:

(149) TGuy

Ø mo pa té tro charjé, ... [wenn] ich nicht zu sehr beladen wäre, ...

Wenn ein Junktor steht, kann es sich im Mündlichen ohne Störung des Verständnisses auch um einen auf den ersten Blick 'falschen' handeln. 258 Ein Sprecher äußerte eine weitere Ansicht, die zusammengefaßt lauten könnte: "eins

reicht", d.h. entweder ka oder byen oder lé, pouvé. Wenn die Erklärung nicht zu einfach ist, könnte ihr möglicherweise ein wertvoller Hinweis entnommen werden. Wenn die Entstehung der Kreolsprachen u.a. Faktoren durch Reanalyse von einer unter wenig favorablen Bedingungen erlernten L2 geprägt war, ist möglicherweise schlicht eine 'freie' Stelle vor dem Verb anzusetzen, die in für den Hörer nicht unterschiedener Weise von Aspektmarkern (ka), Tempusmarkern (té), Junktoren (si), Adverben (byen) oder Auxiliarverben (lé, pouvé) besetzt werden kann.

172

(150) TGuy

si a moun mouri, yé ka tiré kat kou-d-fizi apré yé oblijé vin chéché to 'wenn jd. gestorben ist, schießen sie [die Angehörigen] viermal, dann müssen sie [die Polizisten] dich [= die Leiche] abholen'

Der Sachverhalt kann ohne weiteres temporal gedeutet werden. Der kulturelle Kontext läßt jedoch auch einen konsekutiv-finalen Sachverhalt zu (man schießt, damit die Gendarmen schnell über den Fluß kommen). Schließt man sich einer solchen Deutung an, wird hier Finalität durch eine weniger merkmalhafte temporale Junktion versprachlicht (vgl. Beispiele aus der Kindersprache bei Ludwig 1996 sowie Raible 1992 und Michaelis 1994).

Exkurs: Der perfektive kreolische Aspekt im Beispiel Pyè vini vwè-w (Martinique, Sprecherin B.L.) kann übersetzt werden mit: 'Pierre ist gekommen, dich zu sehen, und ist noch da'. Perfektive Aspektfunktion auf das französische passé composé übertragen bei Kreolen in Martinique, so daß eine für das Standardfranzösische so ungebräuchliche funktionale Opposition entsteht:

(151) Fra Damoiseau 1994: 116/ Fn. 19

Le plombier est venu. Der Klempner ist gekommen [und hat seine Arbeit getan].

vs.

Le plombier était venu. Der Klempner ist gekommen [und unverrichteter Dinge gegangen].

Im Standardfranzösischen würde der zweite Satz unvollständig erscheinen; der Angesprochene würde nachfragen: Et alors? Im Martinique-französischen aber ist der Satz so vollständig, denn das plus-que-parfait wird in dieser Varietät genutzt, um imperfektive Werte auszudrücken, so daß die Opposition passé composé vs. plus-que-parfait eine aspektuelle ist, welche auch im Russischen bekannt ist:

(152) Rus Kohls et al. 1989: 106

Kto otkryl [p] okno? Kto otkryval [i] okno?

Wer hat das Fenster geöffnet? Wer ?hatte das Fenster geöffnet?

173

Das past perfect wird in Martinique und interessanterweise auch in der Ukraine259 benützt, um im Französischen L2 den imperfektiven Aspekt auszudrücken, welcher in der jeweiligen Muttersprache, nicht aber im Französischen auf allen Zeitstufen grammatikalisiert vorliegt. Im Spanischen von Peru und Bolivien – besonders bei L1-Sprechern des Quechua – drückt das past-perfect nicht Vor-Vergangenheit, sondern "not first-handed, reported information" aus:

(153) Spa Escobar 1997

según dice que había aparecido por ahí ... dos señores una señora y un señor ('as it is said that [there] had appeared around there ... two people a lady and a man')

Im Quechua muß die "reliability, validity, and source of the information" obligatorisch grammatisch ausgedrückt werden (vgl. Escobar 1997: 8f.). Aber auch aus den romanischen Sprachen ist die Entwicklung des Plusquamperfekts zu modalen Funktionen wohlbekannt (z.B. Konjunktiv Spanisch -ra aus lateinischem Plusquamperfekt Indikativ). Daß die Wahl auf das past perfect fällt, ist möglicherweise nicht zufällig, da es nicht direkt an die origo gebunden ist, nur über ein anderes Ereignis, und damit weit vom Sprecher Entferntes enkodiert (zeitlich im primären Gebrauch, modal im abgeleiteten). Somit scheint das past-perfect geeignet, die geringere Regreßpflicht zu übernehmen (Bolivien, Peru), bzw. die Sache an sich, ohne daß über das Resultat gesprochen werden soll (Martinique, Ukraine).

259 Oleg Chinkaroug (persönliche Mitteilung).

174

V.2.11. Aspekte des Sterbens "Avoir cessé de vivre n'a rien d'imparfait."260

Im folgenden soll es abschließend noch einmal um die Interaktion zwischen Aspekt und Aktionsart gehen, welche bereits im Kapitel zu den 'statischen Verben' thematisiert wurde. Hier nun soll anhand nur eines Verbs (sterben) die Problematik vertieft werden. Im Kapitel zu Tod und Tempus geht es Harald Weinrich in seinem bekannten Tempusbuch um den Gebrauch des Verbums mourir im imparfait oder passé simple: "Welchen Unterschied macht es aus, ob man sagt il mourait (il se noyait) oder il mourut (il se noya)? Die Grammatiken lieben dieses Beispiel über die Maßen, nicht nur die romanischen Grammatiken übrigens, sondern auch die Grammatiken des Griechischen und Russischen" (1994: 104). Die Vorliebe der genannten Grammatiken bezieht Weinrich auf die Darstellung zum Verbalaspekt: "Die Ausdrücke des Sterbens scheinen besonders geeignet zu sein, das Wesen der Aspekte deutlich zu machen. Denn der, von dem man sagt il mourait oder il se noyait, kann noch fröhlich weiterleben. Der jedoch, von dem man sagt il mourut oder il se noya, ist wirklich tot" (1994: 104). Der zweite Fall ist – aus grammatischer Sicht – der unproblematische, hier widerspricht Weinrich der Aspektforschung nicht explizit (vgl. aber Kapitel IV.1.). In diesem Fall kommt die temporale Deutung zu dem gleichen Ergebnis wie die aspektuelle: Das typische Ergebnis des Sterbens liegt vor, gleich ob als Totale (aspektuell), als Perfekt (temporal) oder als Vordergrundhandlung im passé simple (Weinrichs Relief) verstanden. Dies sei an zwei kreolischen Beispielen illustriert:

(154) TGuy 165

F [ mo bofrèr Jean261 mété difé i boulé épi sayè hen è è di è pyé-bwa mein Schwager Jean legte Feuer er verbrannte und das wars ja ja sag und der Baum F [ fini hen i mouri hen i fini i Ø mouri . i boulé i fini hörte auf zu sein er starb er hörte auf zu sein er starb er verbrannte er hörte auf zu sein

260 Es handelt sich um ein chinesisches Sprichwort. 261 Der Name wurde geändert.

175

(155) TGuy 131

C [ vaksen . pa té konnèt sa . a nou granmanman a li ki konnèt/ a li ka pansé Impfstoff kannten das nicht unsere Großmutter sie kennt die Dinge sie heilt C [ nou si nou malad i ka ba nou rimèd kréyòl . nou pa té ka désann uns wenn wir krank sind sie gibt uns kreolische Medizin wir gingen nicht zum C [ medsen . nou pa té konnèt medsen nou pa levé ké medsen Arzt wir kannten keinen Arzt wir sind nicht mit dem Arzt aufgewachsen C fè oun lòk pou to (pou)vé bwè . nou pa um einen lòk zu machen um ihn zu trinken G nou té ka pilé fèy pou fè lòk wir zerrieben Blätter um einen lòk zu machen C [ té ka malad . nou pa konnèt sa . a kou mo gran/ mo té jèn timoun wir waren nicht krank wir kannten das nicht C [ (xxx) mo manman menm mo gangan-yan menm ki Ø mouri yé pa jen meine Mutter selbst meine Vorfahren selbst die gestorben sind sie haben sich C [ pran pikir . i pa jenn alé a medsen . i malad ké maladi granmoun ki nie spritzen lassen sie sind nie zum Arzt gegangen sie haben die Krankheit der alten C [ tchwè'l to komprann sa mo di to i pa jen pran pikir pa konnèt doktèr Leute die sie getötet hat verstehst du was ich dir sage sie haben sich nie spritzen lassen

In (155) ist es der textuelle Zusammenhang, der deutlich macht, daß die Vorfahren der alten Dame 'gestorben sind', sie präzisiert, daß sie eines natürlichen Todes gestorben sind, im Kreol wörtlich: sie erkrankten an der Krankheit der Alten, die sie getötet hat. Hier ist es sozusagen einer der Schlußfakten, es ist genauso denkbar als Faktum zu Beginn einer Schilderung etwa der eigenen Lebensgeschichte wie im folgenden Beispiel (156); der Vater starb, als der Sprecher vierzehn Jahre alt war, seitdem war der Junge allein in einer kleinen Siedlung im Regenwald auf sich gestellt:

(156) TGuy 146

R [ mo papa Ø mouri mo té gen katorz an . dèpi a katorz an mo asou mo kont a bati sèl mo ka fè mein Vater starb [als] ich 14 Jahre alt war seit ich 14 war bin ich auf mich gestellt habe nur auf dem Land gearbeitet S [ <? ou pa té gen tan alé lékòl?> non | Sie hatten keine Zeit zur Schule zu gehen nein R [ non katorz an mo té ganyen mo papa Ø mouri lò mo papa Ø mouri nein 14 Jahre alt war ich [als] mein Vater starb als mein Vater starb

176

R [ lò i Ø mouri i lésé mo manman ké trwa timoun ké mo roun gran frè menm lanné-a i pédi so lavi . mo als er starb ließ er meine Mutter mit drei Kindern mit mir ein älterer Bruder starb im selben Jahr ich R [ travay bati jis koté mo pa pouvé mo pa travay bati rounso mo travay tout kalité travay . arbeitete auf dem Land bis ich nicht mehr konnte ich habe nicht nur auf dem Land gearbeitet ich habe jede Art Arbeit gemacht R [ sèl travay mo pa travay a travay/ a mété aglo aparsa mo travay tout kalité . mé lavi die einzige Arbeit [die] ich nicht gemacht habe ist die des Maurers ich habe ansonsten alles gearbeitet aber das Leben R [ lontan-an té pi bon . a té pi bon pi bon pi bon . früher war [das Leben] besser es war besser besser besser

Soweit zum perfektiv ausgedrückten Sterben. Der aus grammatischer Sicht komplexere Fall ist die Darstellung des Sterbens mit dem imperfektiven Aspekt im Kreolischen oder dem imparfait im Französischen. Innerhalb dieses Themas gibt es wiederum einen unproblematischeren Teil, wenn nämlich das gewohnheitsmäßige oder allgemein-faktische Sterben gemeint ist – wie etwa in folgendem Beispiel (164):

(157) TGuy 146 R [ lontan/ kouman moun lontan fika/ pyès jènès aprezan pa ka viv konsa yé ka mouri osi früher wie es den Menschen früher erging kein Jugendlicher lebt heute so sie sterben auch R [ jèn jèn jèn jèn jèn. yé ka mouri sa gen dizwit an . ganyen diznèv an gen vent an yé pa pouvé

jung jung jung jung jung sie sterben der ist 18 Jahre jener 19 Jahre 20 Jahre ihr Körper macht

R [ ké yé kò . tout to kò ka fè ou mal déja . mo-menm . kouman mo fika .mo gen swasant-uit

nicht mit der ganze Körper leidet schon du fühlst dich schon schlecht ich selbst wie ich mich fühle ich bin 68 Jahre

R [ mo kò pa ka fè mo mal hen wi mo ka fè nènmpòt ki travay | ich habe keinerlei Schmerzen ja ich mache jede Arbeit S [ <? swasant-wit ?> achtundsechzig

Die schwierig zu deutenden Fälle treten dort auf, wo das Imperfektum oder der imperfektive Aspekt nicht in der habituellen und allgemein-faktischen Bedeutung verwendet wird. Diese Fälle sind z.B. dem imperfectum de conatu zugeordnet worden. Es wird dann anhand der telischen (oder transformativen) Aktionsart des Verbums 'sterben' erläutert, daß eine imperfekive Verwendung in Interaktion mit der telischen Aktionsart die Funktion eines BEINAHE verschiebt. Il mourait hieße dann nicht 'er starb', sondern 'er lag im Sterben' und kann heute mit Weinrichs Worten "fröhlich weiterleben" (s.o.). Gegen diese de conatu-Bedeutung des imparfait jedoch verwehrt sich Harald Weinrich mit folgendem Gegenbeispiel. Es handelt

177

sich um den Beginn des erzählenden Gedichts Expiation von Victor Hugo (Châtiments V, 13). Dieses wird eingeleitet mit der Schilderung der Niederlage des napoleonischen Heeres vor Moskau. Weinrich spricht von einem Tableau, einer Hintergrundschilderung im imparfait bis Vers 60, wo die Haupthandlung im passé simple einsetzt. Innerhalb des Schlachtgemäldes stehen nun die folgenden zwei Verse:

(158) Chefs, soldats, tous mouraient.

Chacun avait son tour.

Hier kann in der Tat nicht von einem Sterben im Sinne eines BEINAHE gesprochen werden, die Soldaten des napoleonischen Heeres entgehen ihrem Schicksal nicht: "Es kann gar nicht die Rede davon sein, daß die Verbform mouraient hier die Bedeutung haben könnte: 'sie lagen im Sterben', gar noch mit der Nebenbedeutung: 'aber sie kamen davon'. Nein, sie sind nicht davongekommen". Es handelt sich in der Tat mit Weinrich um ein grauenerregendes Schlachtgemälde, so daß eine de conatu-Deutung hier ausscheidet. Wie aber entsteht das Grauen sprachlich, da doch nur wenig geschieht? Die Textpassage ist vom Blick des Heerführers Napoleon getragen:

178

(159) Il neigeait. On était vaincu par sa conquête.

Toute une armée ainsi dans la nuit se perdait.

Pour la première fois l'aigle baissait la tête. Il était comme un arbre en proie à la cognée. Sombres jours! l'empereur revenait lentement, Sur ce géant, grandeur jusqu'alors épargnée, Laissant derrière lui brûler Moscou fumant. Le malheur, bûcheron sinistre, était monté; Il neigeait. L'âpre hiver fondait en avalanche. Et lui, chaîne vivant, par la hache insulté, Après la pleine blanche une autre pleine blanche. Tressaillant sous le spectre aux lugubres revanches, On ne connaissait plus les chefs ni le drapeau. Il REGARDAIT tomber autour de lui ses branches. Hier la grande armée, et maintenant troupeau. On s'endormait dix mille, on se réveillait cent. On ne distinguait plus les ailes ni le centre: Ney, que suivait naguère une armée, à présent Il neigeait. Les blessés s'abritaient dans le ventre S'évadait, disputant sa montre à trois cosaques. Des chevaux morts; au seuil des bivouacs désolés Toutes les nuits, qui vive! alerte, assauts! attaques! On voyait des clairons à leur poste gelés Ces fantômes prenaient leur fusil, et sur eux Restés debout, en selle et muets, blancs de givre, Ils VOYAIENT se ruer, effrayants, ténébreux, Collant leur bouche en pierre aux trompettes de cuivre.

Avec des cris pareils aux voix des vautours chauves,

Boulets, mitraille, obus, mêlés aux flocons blancs, D'horribles escadrons, tourbillons d'hommes fauves.

Pleuvaient; les grenadiers, surpris d'être tremblants,

Chefs, soldats, tous mouraient. Chacun avait son tour.

Marchaient pensifs, la glace à leur moustache grise. Tandis qu'environnant sa tente avec amour, Il neigeait, il neigeait toujours! la froide bise VOYANT son ombre aller et venir sur la toile, Sifflait; sur le verglas, dans des lieux inconnus, Ceux qui restaient, croyant toujours à son étoile, On n'avait pas de pain et l'on allait pieds nus. Accusaient le destin de lèse-majesté, Ce n'étaient plus des cœurs vivants, des gens de guerre;

Lui se sentit soudain dans l'âme épouvanté.

C'était un rêve errant dans la brume, un mystère, Stupéfait du désastre et ne sachant que croire, Une procession d'ombres sous le ciel noir. L'empereur se tourna vers Dieu; l'homme de gloire La solitude vaste, épouventable A VOIR, Trembla; Napoléon comprit qu'il expliquait Partout apparaissait, muette vengeresse. Quelque chose peut-être, et, livide, inquiet, Le ciel faisait SANS BRUIT avec la neige épaisse Devant ses légions sur la neige semées: Pour cette immense armée un immence linceul. - Est-ce le châtiment, dit-il, Dieu des armées? - Et, chacun se sentant mourir, on était seul. Alors il s'entendit appeler par son nom - Sortira-t-on jamais de ce funeste empire? Et quelqu'un qui parlait dans l'ombre lui dit: non. Deux ennemis! le Czar, le Nord. Le Nord est pire. ... On jetait les canons pour brûler les afflûts. La plaine où frissonnaient les drapeaux déchirés, Qui se couchait, MOURAIT. Groupe morne et confus,

Ne fut plus, dans les cris des MOURANTS qu'on égorge,

Ils fuyaient; le désert dévorait le cortège. Qu'un gouffre flamboyant, rouge comme une forge; On pouvait, à des plis qui soulevaient la neige, Gouffre où les régiments, comme des pans de murs, Voir que des régiments s'étaient endormies là. Tombaient, où se couchaient comme des épis mûrs O chutes d'Annibal! Lendemains d'Attila! Les hauts tambours-majors aux panaches énormes, Fuyards, blessés, MOURANTS, caissons, brancards, civières,

Où l'on entrevoyait des blessures difformes!

On s'écrasait aux ponts pour passer les rivières. Carnage affreux! moment fatal! ... - Allons! faites donner la garde, cria-t-il! -262 Napoleon schaut dem Untergang zu, ohne etwas tun zu können. Auf der Ebene der Perzeption ist die Einschränkung auch gegeben: Napoleon sieht, aber es ist, als könne er nichts hören und nichts sagen, sich auch nicht bewegen: Bilder des Schlafes, des Traumes bestimmen das Bild. 262 Hier zitiert nach der Pléiade-Ausgabe, Œuvres complètes, 136-138.

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Verstärkend wirkt die durch das beständige Schneetreiben erzeugte schlechte Sicht und die Stille. In der Darstellung Hugos wird das Sterben in allen Details als langsamer Prozeß wiedererlebt, dem der Heerführer beobachtend und wie paralysiert zuschaut. Für das Hugo-Beispiel ist also außer Weinrichs treffender Hintergrundmetapher auch eine aspektuelle Deutung möglich, nicht im Sinne des Beinahe, sondern im Sinne der konkreten Prozessualität, einer Funktionsschattierung des imperfektiven Aspekts, die neben der habituellen (und für das imparfait möglicherweise häufigeren263) Unterfunktion eine der außereinzelsprachlich wichtigsten ist und die hier im Sinne der Vergegenwärtigung eines gedehnt dargestellten Geschehens gedeutet werden kann. Die imperfektive Deutung kann zusammenfassend gesagt für das Hugo-Beispiel durchaus angenommen werden, allerdings nicht – da ist Weinrich zuzustimmen – in der 'Beinahe'-Funktion. Doch auch diese Beinahe-Perspektive kann – in anderen Beispielen – auch für das Verb sterben angesetzt werden, nur eben ohne die für das Verb sterben nur in spezifischen Fällen relevanten Merkmale [+ control] oder [+ intentional]. Zur Illustration seien zwei französische und ein martiniquekreolisches Beispiel angeführt:

(160) Fra Hilty 1965: 275

La dernière fois que je l'ai vu, il mourait; aujourd'hui il se porte à merveille.

(161) Fra Hilty 1965: 275

Il mourait de faim. Rue La Fayette, il avisa une brasserie, entra.

(162) Mar Atine 170:

An jou an fi rivé byen ta isi a. I di mwen: Man ka mò. Man d'y: Ou ka vini mò isi a? I di mwen: Man ja ka jik fè lafyèv, man ka swé, man ka soufè ... Eines Tages kam ein Mädchen sehr spät hierher. Es sagte mir: Ich sterbe. Ich sagte ihm: Du kommst zum Sterben hierher. Es sagte mir: Ich habe sogar schon Fieber, ich schwitze, ich leide Qualen ...

263 Es ist zu betonen, daß im Französischen Prozessualtät seltener ausgedrückt wird;

Hugo wurde im übrigen wegen des Imparfaitgebrauchs von Georges und Robert le Bidois kritisiert.

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In den französischen Bespielen wird das Überleben im unmittelbaren Kontext deutlich264. Das kranke kreolische Mädchen sucht ja die Hebamme auf, damit diese ihr helfen kann, nicht zu sterben265.

264 Weinrich schließt eine solche Verwendung nicht aus, deutet sie sogar, für Hilty aber

nicht überzeugend: "Der Tod, der immer eine unerhörte Begebenheit sei und daher im Vordergrund (= p.s.) stehe, werde durch etwas noch Wichtigeres in den Hintergrund gedrängt. Damit verliere das Sterben sein existentielles Gewicht, was ihm die Bedeutung 'im Sterben liegen' gebe (171). Selbst wenn man diese Erklärung annehmen wollte, müßte man einräumen, daß bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Handlung, wenn sie in den Hintergrund tritt, ihre Bedeutung zum 'Beinahe' hin verschiebt". Hilty deutet allerdings nur an, daß es ihm um das 'Kräftespiel' zwischen Aktionsart und Tempus geht, ohne es an Beispielen zu illustrieren.

265 Die Verwendung des Verbs in der ersten Person legt die imperfektive Perspektive nahe, ein perfektives 'ich sterbe' kann man wohl eher in der Oper antreffen.

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V.3. Zwischenbilanz "Die Beschreibung einer Sprache kann [...] nur dann hoffen, adäquat zu sein, wenn sie die Pragmatik mitbeschreibt. Wenn sich dabei eine bestimmte Korrespondenz zwischen typischen Sprechsituationen einer Kultur und grammatischen Kategorien der Sprache ergibt, darf der Beschreibende darin eine nachträgliche Rechtfertigung seiner Vorurteile und eine Bestätigung ihrer Richtigkeit sehen."266

Der Ausgangspunkt der bisherigen Analysen war das Fehlen einer Beschreibung des Aspekt-Tempus-Systems für das Kreolische Französisch-Guayanas. Lediglich liegt eine neuere Beschreibung des Verbalsystems des Küstenkreols vor (Schlupp 1993, 1997); für die Isolate fehlten bislang Korpus und Darstellungen. Mit Isolaten sind die schwer erreichbaren Gebiete gemeint, deren Bewohner vergleichsweise wenig Kontakt mit dem Französischen haben. Das von Schlupp für die Küste Guayanas beschriebene Aspekt-Tempus-System kennt fünf voll grammatikalisierte Systemstellen: ka, té, té ka, ké und Ø. Die häufigste Partikel ist ka, der Imperfektivmarker. Um so mehr mag es erstaunen, daß diese Partikel mit den Worten Schlupps sehr oft 'ausfallen' kann ("peut être éffacée"). Dieser Aussage liegt eine nicht formulierte Prämisse zugrunde, nämlich, daß dort, wo Ø steht, vorher ka stand oder aber stehen sollte. Ein Problem ergibt sich für Schlupps Analyse insofern, als die Sprecher sich für viele Ausfälle nicht einig sind,

• ob ka ausfallen darf und

• welche Sinnänderung dadurch ggf. entsteht. Daher folgert Schlupp an mehreren Stellen seiner Arbeit, das Setzen von ka müsse stilistisch (und also fakultativ) sein und in den Bereich der reinen Subjektivität fallen. Ausgehend von der Prämisse, daß die Grammatik gerade nicht einen stilistisch-subjektiven, sondern eher einen hochautomatisierten Bereich der Sprache betrifft, sind in der vorliegenden Arbeit transphrastische, textuelle und situationelle Zusammenhänge untersucht worden, um zu ergründen, ob sich ein kohärentes System für die Verteilung von Ø und ka finden läßt. Diese Verteilung wurde quantitativ ausgewertet. Von allen 9164 bei der Korpusauswertung gezählten Verben sind fast 80 % mit Ø oder ka markiert. Es ergibt sich dabei von 100 266 Weinrich 1994: 307; meine Hervorhebung.

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Verben, daß 53 mit Ø markiert sind, 25 mit ka (für Guayana), bzw. 35 mit Ø und 25 mit ka für Martinique. Dieser Untersuchung lag – auch aufgrund dieser Zahlen – eine andere Prämisse als die Schlupps zugrunde, nämlich, daß ka nicht 'ausfällt', sondern mit Ø in einer Opposition steht, die funktional ist. Hauptfrage war also, wie sich diese Opposition Ø vs. ka gestaltet. Durch die diskurspragmatisch-textuelle und die prototypische Herangehensweise wurde die Uneinigkeit der Sprecher dadurch erklärbar, daß für bestimmte Gruppen unterschiedliche Prototypen vorliegen. Es ist daher an jeweiliger Stelle abgewogen worden, inwieweit Uneinigkeit bzw. Unsicherheit der Informanten – "incertezza con cui i parlanti mostrano di saper emettere i propri giudizi di grammaticalità" – im Sinne Bertinettos als ein möglicher Hinweis auf sich vollziehenden Sprachwandel gewertet werden kann (1986: 178). Die – in metasprachlichen Kommentaren der Kreolen stark betonte – Abhängigkeit der Funktion der Aspekt- und Tempuspartikeln vom Kontext und der Situation hat sich in spezifischer Weise bestätigt. Im Isolat hat das In-der-Situation-Sein noch einmal mehr Gewicht. Nun zu den Aspekten im einzelnen.

Perfektiver Aspekt: Ø Das unmarkierte Verb hat in aller Regel eine perfektive Bedeutung, in der typischerweise eine summarisch-ganzheitliche Sicht mit der Darstellung eines Geschehens als konkreter Fakt zusammenfällt. Dieser Fakt kann der anschaulich-exemplarischen Wiedergabe eines Geschehens dienen. Dies gilt besonders für Verben wie z.B. schlagen, die dynamisch genannt werden, und weniger für Verben, die wie wissen statisch sind. Die prototypische Funktion des perfektiven Aspektes als Totale bzw. konkreter Fakt führt mit den dynamischen Verben oft zu einer Affinität mit der Vergangenheit: Ein Geschehen kann dann besonders gut als Fakt dargestellt werden, wenn es bereits geschehen ist (Sie legte das Brot auf das Brett. Jean gab fünf Schüsse ab). Aufgrund fehlender Entsprechung im Deutschen wird in nicht ganz präziser Weise der perfektive Aspekt oft mit dem Präteritum übersetzt. Denn wie in Haiti und im englischen Kreol von San Andrés267 kann die perfektive Nullmarkierung auch im Guayanakreol der Isolate Gegenwart ausdrücken. Eine in ähnlicher Weise nur annähernde Übersetzung stellt die präsentische Wiedergabe nichtmarkierter statischer Verben dar (Das Kind 267 Dies ist allerdings im Guayanakreol seltener als in jenen beiden Sprachen.

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will spielen. Sie liebt Totin.) Im Korpus sind jedoch auch viele Vorkommen von unmarkierten statischen Verben zu verzeichnen, deren Bedeutung vergangen ist, wenn der entsprechende Teiltext auf die Vergangenheit referiert. Die perfektive Markierung tritt zudem sehr häufig in Nebensätzen auf (wenn es sich nicht um reduzierte Finitheit handelt), wobei die Bezeichnung Nebensatz nur annähernd zutrifft, da Subordination in gesprochener Sprache sehr oft implizit realisiert wird (vgl. Michaelis 1994, Raible 1992, Ludwig 1996). Aus der vorangegangenen Analyse ist die Tendenz abzulesen, daß die Setzung der Aspekt-/ Tempus-Partikeln im Gefüge der drei Ebenen Satz-Text-Diskurs-Pragmatik ein komplexes, aber geordnetes Funktionsgeflecht erhält, das sich um einen Kern oder Basiswert herum aufbaut. So sind auch die Nebenwerte oder Randbedeutungen in der Regel insofern gut zu erklären, als sie im Sinne der Prototypensemantik Überlappungen mit dem Zentrum und/ oder anderen Nebenwerten aufweisen. Diese Werte waren dann klarer zu ermitteln, wenn in präziser Weise die Redesituation mitbedacht und möglichst spontane Rede ausgewählt wurde.

Imperfektiver Aspekt: ka Diese Kategorie stellt sich im Korpus als erwartungsgemäß sehr polysem und insofern weniger prägnant dar als die perfektive Kategorie. Diese Funktionsbreite scheint jedoch eine jüngere Entwicklung zu sein. Die Untersuchung des ältesten uns erhaltenen frankokaribischen Kreoldokuments zeigt, daß die Imperfektivpartikel nur prozessuale Funktionen erfüllt. Die prozessuale Funktion bezieht sich auf ein Verbalgeschehen, welches als eine fortlaufende Handlung mit innerer Pluralität gewissermaßen in einer Nahaufnahme fokussiert wird. Vor allem dynamische Verben erlauben die prototypische progressive Funktion, doch anders als in Martinique stehen in Französisch-Guayana oft auch statische Verben mit der Imperfektivpartikel. Wenn statische Verben in Martinique mit ka stehen, so meist zum Ausdruck der Habitualität/ Iterativität, im Sinne von: Lè i ka sòti, i bodzè ('Immer wenn sie ausgeht, ist sie schick'). In Guayana ist dieser Gebrauch verbreiteter und differenzierter: Die Imperfektivpartikel kann auch inchoative, temporäre oder progressive Werte erhalten. Diese Wirkung des imperfektiven Aspektes führt oft zu einer Änderung der Aktionsart; diese Interferenz zwischen Semantik und grammatischer Kategorie ist in Guayana weit größer als in Martinique. Die zweite wichtige Funktion der allgemeinen Faktizität/ Habitualität wird in dem Passionstext aus dem 18. Jahrhundert noch durch die Nullmarkierung des Verbs ausgedrückt. Während dies für das

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Martiniquekreol kaum noch zutreffend ist, gilt sie in Ansätzen für das Guayanakreol des Regenwaldes. Die habituale Funktion wird an der Küste Guayanas und in Martinique jedoch nicht durch Null, sondern durch den Imperfektivmarker ausgedrückt.

Zur Aspektopposition in konzeptionell mündlichen bzw. schriftlichen Texten Traditionell wird die sprachliche Situation von Kreolgesellschaften als diglossisch bezeichnet. Dieser Begriff von Ferguson ist seit 1959 in die wissenschaftliche Diskussion eingegangen. Seither war diese Bezeichnung nicht nur Gegenstand vielfacher Modifikation, sie ist auch durch komplexere Modelle ersetzt worden. Charakteristisch für Kreolgesellschaften ist im Sinne Fergusons der Umstand, daß das Kreol die low variety darstellt und in informellen und mündlichen Gesprächssituationen Verwendung findet. Hingegen genießt die jeweilige Landessprache als high variety das höhere Ansehen und dient der formellen bzw. schriftlichen Kommunikation. V.a. die dem Diglossieschema zugrunde liegende strenge dichotomische Sichtweise gibt in der Kreolistik Anlaß zur Kritik. Als eine Ursache dieser Kritik sei hier das Vorkommen unterschiedlicher Sprachformen genannt, die sich einer klaren Einordnung in high variety und low variety entziehen (G. Hazaël-Massieux 1996) 268.

268 G. Hazaël-Massieux spricht z.B. von einer Triglossie Kreol-Standardfranzöisch-

Regionalfranzösisch. Es handelt sich bei dem gesprochenen Französisch der Kleinen Antillen und Französisch-Guayanas um eine geographisch begrenzte Sprachform, die als diatopische Varietät bzw. “Subnorm” (vgl. Jerger 1996, Kap. 2.1.) vom Standardfranzösischen abweicht. Um die diatopischen Varietäten in ihrer Bezeichnung zur supralokalen Norm abzugrenzen, wurde der Begriff der français régionaux gebräuchlich.. Er findet sowohl in der räumlichen Ausdifferenzierung innerhalb der Metropole als auch in den Gebieten französischer Muttersprache jenseits der Grenzen Frankreichs Anwendung (Suisse romande, Wallonie, Québec). Darüber hinaus werden zunehmend regionale Varietäten der Überseedepartements sowie der frankophonen Staaten mit dem Terminus français régionaux bezeichnet. Der französische Dialekt der Ile de France breitete sich seit dem Mittelalter als französische Gemeinsprache zunehmend aus. Sowohl die Minderheitensprachen als auch die Substratwirkung der anderen französischen Dialekte trugen währenddessen zur Entstehung der français régionaux Frankreichs bei. Und auch für das Antillenfranzösische kann in gewisser Hinsicht "das Substrat einer einheimischen langue ethnique, nämlich des Kreolischen, geltend gemacht werden, wenn sich auch die Situation aufgrund der Tatsache, daß das Kreol auf lexikalischer Grundlage des Französischen entstanden ist, etwas komplexer gestaltet" (Jerger 1996: 44).

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Analysen anglokaribischer Kreolsprachen von Decamp (1971) und Bickerton (1973, 1975) ist die Erarbeitung eines Modells zu verdanken, welches bis heute Anlaß zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung bietet, ebenso wie das vorgestellte Diglossiekonzept: das sog. Kontinuum, das sich auf einer Vertikalen zwischen kreolischem Basilekt und standardsprachlichem Akrolekt über eine variable Anzahl von Übergangsvarianten (= Mesolekten) erstreckt. Das Kontinuum-Modell verschmilzt insofern mit dem Fergusonschen Diglossiemodell, als die high variety und die low variety als Akro- und Basilekt die Funktion der beiden Pole des Kontinuums übernehmen (vgl. Ludwig 1996). Als Akrolekt wird in der Frankokaribik meist das Französisch angenommen (anders z.B. Englisch in St. Lucia). Der Kontakt mit dem Französischen hat in Martinique alle Gemeinden stark durchdrungen und nimmt auch in den isolierten Gebieten in Guayana stetig zu (Schule, Medien, Reisen). Das bedeutet zumeist auch die Zunahme des Kontaktes zur Schriftlichkeit und damit auch zu neuen Texttypen (vgl. Kap. III.2.). Je mehr die Sprecher meiner Erhebung Kontakt mit französischer (und kreolischer) Schriftlichkeit haben, um so mehr scheinen temporale gegenüber aspektuellen Funktionen favorisiert zu werden. Die Aussage erhält möglicherweise dadurch Gewicht, daß ich stets Sprecher gewählt habe, die überwiegend Kreol (nicht Französisch) sprechen, weil sonst die Gefahr bestünde, daß ich schlicht fehlende Kompetenz von Kreol-L2-Sprechern beschreibe, welche die Interferenz von der Erstsprache Französisch in die Fremdsprache Kreol mitbringen269. Es sind u.a. fünf textuelle Aspektgebrauchs-Typen zu unterscheiden, welche in konzeptionell mündlichem bzw. schriftlichem Kreol unterschiedliche Prägungen aufweisen. Diese fünf Typen werden im folgenden von Beispielen illustriert, welche zumeist schon in den obigen Korpusanalysen an jeweils anderer Stelle erläutert wurden.

269 Allerdings kann nach den Beobachtungen während der Feldarbeit ein Sprecher

zwischen verschiedenen Registern wechseln. Somit könnten die Unterschiede, die bisher verschiedenen Varietäten zugeschrieben wurden, möglicherweise vielmehr mit unterschiedlichen Registern in Verbindung gebracht werden. Erst ein sehr viel längerer Forschungsaufenthalt könnte hier Aufschluß erbringen.

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(Typ 1) Bei dem aspektuellen Marker ka ist in schriftlich geprägten Varietäten die in der Mündlichkeit prototypische Funktion des Typs Ø-ka-ka (visuelle Wahrnehmung konkreter Prozessualität)

TGuy 154 M [ mo manman! a i Ø gadé moun . moun ka manjé Meine Güte! er sieht zu den Leuten hinüber die Leute sind dabei zu essen M [ moun ka brè épi nou ka pran bati ay planté die Leute sind dabei zu trinken und dann gehen wir zur Brandrodungsstelle um zu pflanzen

zugunsten von allgemeiner Faktizität reduziert. Dies ist in besonders starkem Maße für Martinique zu beobachten. Das folgende Beispiel ist daher ein martinikanisches:

TMar 222

F [ mwen man ka travay lasékirité sosyal é . i ni dé timanmay ki ka pati ich arbeite in der Sozialversicherung und es gibt Kinder die zur F [ EN CURE CURE THERMALE timanmay ki asmatik DONC i ni dé paran Thermalkur fahren Kinder die asthmatisch sind also es gibt Eltern F ki pé pa akompagné sé timanmay-la DONC nou ka organisé die diese Kinder nicht begleiten können daher organisieren wir Gruppenfahrten für die Kinder so wie die Gruppen der F [ COLONIES DE VACANCES é nou ka mennen sé timanmay-la Ferienlager und wir bringen diese Kinder F en France en cure donc eu sé timanmay-la nach Frankreich zur Kur also hm diese Kinder P ¿T'AS COMPRIS?270 S a wi271 aha F [ nou ka organisé DES CONVOIS en pou yo pati EN FRANCE wir organisieren Gruppenfahrten damit sie nach Frankreich fahren F [ é nou ka fè DES REUNIONS POUR LES PARENTS pou nou und wir machen Treffen für die Eltern um ihnen F [ DES CONVOIS DE GROUPES D'ENFANTS COMME DE GROUPES DE F [ ekspliké yo kou mannyè sa ka pasé EN FRANCE

zu erklären wie das in Frankreich abläuft

270 Diese Äußerung findet im Hintergrund statt, der Vater redet mit den Kindern. 271 Dies ist bezogen auf Madame Fronts Äußerung.

187

Bei (Typ 2) a) i rété ka/ Ø palé er bleibt zum Reden vs. b) i rété Ø palé

ist die Variante (a) zum Ausdruck einer aspektuellen Opposition Totale-Details [Ø-ka] oder Totale-Totale [Ø-Ø] eher der Mündlichkeit zuzuordnen, während (b) (möglicherweise im Sinne reduzierter Finitheit beim zweiten Verb) eher in konzeptionell schriftlichen Texten zu verzeichnen ist. Die Möglichkeit der Etablierung einer Opposition beim zweiten Verb entfällt in (b). Wie in der Korpusanalyse ausgeführt, ist die Opposition von Totale-Details nicht nur für zwei Verben, sondern auch für kleine Teiltextgefüge zu verzeichen:

(TYP 3a) Ø-ka-ka-ka-ka-ka-Ø: Beschreibung 'anschaulich-exemplarisch' (TGuy 165)

F [lò nou Ø préséT1 lakoulèv nou ka paséD1 l' annan manaré kwak a épi nou wenn wir die koulèv pressen geben wir es [das Mehl] durch das Manioksieb und dann

Totale T1

F [Ø gen 'n chodyèr ki Ø ron konsa nwè nou ka limenD2 difé/ oun ka/ difé-a . haben wir eine Pfanne die so rund ist schwarz wir entzünden ein Feuer das Feuer

De- tails

F [nou ka météD3 chodyèr annan . nou ka pranD4 'n serk konhan . ki ka alél wir stellen die Pfanne hinein wir nehmen so einen Metallreif der zu der

D1 bis D 5

F [ké chodyèr-a . mem pi piti . nou ka tannD5 nou kasav . aprè nou Ø manjéT2. Pfanne paßt eigentlich kleiner wir walken den Fladen aus dann essen wir

Totale T2

F [ké vyann ké tout bét bon . mit Fleisch mit allem möglichen gut

In konzeptionell schriftlichen Texten hingegen sind in der Regel alle Verben ka-markiert. Der imperfektive Aspekt drückt weniger die prozessuale, sondern eher die allgemein-faktische oder habituelle Funktion aus:

(Typ 3b) ka-ka-ka-ka: Beschreibung 'allgemein-faktisch' "Ou ka trapé Pigmé annan gran danvwa Lafrik. Yé ant 100.000 ké 200.000. Sa nasyon-an ka viv an ti bann bout Lafrik ki ka touché loséyan Atlantik pou i rivé asou ròt bò péyi-a koté i gannyen bidim lak. ... Sa moun danbwa ya yé ka pézé 39,8 K ké miziré 1,44 m; mé moun savann yan, a 62,5 ké 1,69 m." (Palade 1987: 21)

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'Man findet die Pygmäen im Regenwald Afrikas. Ihre Anzahl liegt zwischen 100.000 und 200.000. Dieses Volk lebt in kleinen Gruppen in einer Zone, die sich von der Atlantikküste bis zur anderen Seite des Landes erstreckt, wo sich große Seen befinden. ... Die Regenwaldbewohner wiegen 39,8 kg und sind 1,44 m groß, während die Savannenbewohner 62,5 kg wiegen und eine Größe von 1,69 m haben.'

Nimmt man ein weiteres Texttypenbeispiel aus den Korpusanalysen auf, die 'schaurige Geschichte' (vgl. genauer Kap. V.2.10.), so ist in der Gegenüberstellung deutlich, daß bei (4a) die Opposition zwischen ka-markierten, prozessual-wiedervergegenwärtigenden Verben und Ø-markierten, faktenreferierenden Verben besteht.

(Typ 4a) ka-ka-Ø-Ø-Ø-ka-ka (Schaurige Geschichte: Vergegenwärtigung ka – Fakten Ø) (TGuy 131) C [ la i ka di annan/ anlè/ annan kabouré-a . a so zafè i ka fè . i sa pitit da sagt er vom Karren herunter es sind seine Angelegenheiten die er erledigt er ist ein Kind C [ Bondyé sa ki divan. bay lè pou li pasé . i ka di so trwa kat Gottes das was da vorn ist mach Platz damit er weitergehen kann er sagt seine drei vier C [ mo/ parol to ka tandé <ryan vlian to ka tandé bèf-a ka kjenbé konsa blogodo Worte du hörst riang vliang du hörst den Ochsen der den Karren anzieht so blogodo C [ blogodo vlow>mouché-a tout moun pasé . mè si i pa di sa/ blogodo vlow der Karrenlenker alle gehen vorbei aber wenn er das nicht sagt C [ si i pa konnèt parol pou to di a i di a sa nou tandé wenn er die Worte die man sagen muß nicht weiß er sagt das was wir hören C [ mè i di ròt parol nou pa savé sa i di to wè aber er sagt andere Worte wir wissen nicht was er sagt siehst du C [ épi apré to ka tandé <fiou>nou ka aplé sa lougarou . bèt-a i soti und dann hörst du fiuuu wir nennen das Werwolf das Ding es geht runter C [ di lari-a . nou ka wè difé ka filé konsa . to jèn timoun to chivé-tèt ka drésé von dem Weg wir sehen ein Feuer das fliegt so wir sind Kinder unsere Haare stellen sich aufrecht C to pè pasé pè fèt mè to alé difé/ to ka wè lougarou ka pasé konsa wir haben sehr große Angst aber wir gehen weiter Feuer/ du siehst den Werwolf der vorbeifliegt so G ké difé ka volé mit fliegendem Feuer272

272 Das fliegende Feuer hat zumeist die Form einer Kugel.

189

Bei Typ (4b) hingegen ist bei allen Verben die Vergangenheit mit té grammatisch ausgedrückt; die Opposition besteht hier zwischen té ka (Hintergrund) und Ø (Vordergrund, Handlungskette)273: (TYP 4b) té ka / té – té ka – Ø – Ø ... (Schaurige Geschichte: Hintergrund/ Beschreibung té (ka – Vordergrund/ Handlungskette Ø)

A [ nou té byen . nou té byen euh PICOLE ((lacht)) a 'n terme fransé wir hatten gut wir hatten gut was getrunken das ist ein französischer Begriff A [ mé wè nou té euh 'n pé egzajéré anlè anlè diven-an . tchip . [...] aber na ja wir hatten ähm ein bißchen übertrieben mit mit dem Wein hhm A [ k'alé épi euh boug-a té chofè ki té ka mennen nou an/ i té gen das da fuhr und dann ähm der Typ es war der Fahrer des Bootes der uns brachte es gab

A [ 'n gro vag EN PLUS i té gen bwa i té gen briyé douvan ébé i Ø éséyé eine große Welle außerdem gab es Äste es gab Gestrüpp vor uns na ja er versuchte A [ i Ø éséyé doublé boug-a pou i té pasé douvan mé ké vag-a vag-a ké tout balan er versuchte den Typ zu überholen um vor ihn zu gelangen aber mit der Welle Welle mit dem ganzen Schwung A [ i té gen kano-a anni Ø tounen anlè so kò alò sa nou-menm nou-menm den es hatte kippte das Boot um also so was wir selbst wir selbst A [ té anba kanon-an alò kom Michel menm i pa té konnèt najé waren unter dem Boot also weil Michel selbst er konnte nicht schwimmen A [ HEUREUSEMENT i té gen tanker-a té la alò sa fé 'n boué softaj zum Glück gab es einen Tank da also das diente als Rettungsboje A [ pou li pou i tchyembé sinon si a pa té sa i té ké néyé épi für ihn damit er sich festhalten konnte sonst wenn es das nicht gegeben hätte wäre er ertrunken

273 Die hier zur Illustration eines Typs angeführten Beispiele entsprechen einer

Exemplifizierung von Tendenzen. Dennoch ist zu bedenken, daß hier nur der Parameter 'Kontakt zu Schriftlichkeit' zugrunde gelegt wurde. Andere Parameter wie etwa Vertrautheit etc. wurden nicht berücksichtigt. Die Textsorten in den Beispielen (4a) und (4b) scheinen in Hinblick auf fast alle Merkmale fast aller Dimensionen des in Kap. III.2. vorgeschlagenen Texttypenschemas übereinzustimmen. Der Faktor Vertrautheit jedoch ist nicht identisch. Eine systematische Untersuchung dieses Faktors muß hier noch Desideratum bleiben. Es ist allerdings schon jetzt zu vermuten, daß die Zunahme von Vertrautheit eine Abnahme von Tempusgebrauch mit sich bringt.

190

Abschließend sollen Überlegungen angeführt werden zu dem bisher in der Literatur nicht erwähnten Gebrauch der Partikel ka, der sich überraschend aus der Auswertung meiner Fragebögen ergeben hat:

(TYP 5) 'Frank sagt [am Abend], fünf Flugzeuge LANDEN [heute morgen]' wurde übersetzt mit

'Frank Ø di senk avyon pozé' vs.

'Frank ka di ...'

Dieser Typ ist in konzeptionell mündlichen wie schriftlichen Korpusbeispielen zu verzeichnen, wird jedoch in der Schriftlichkeit zumeist lexikalisch umschrieben. Die übereinstimmenden Kommentare der Muttersprachler lauteten: Wenn man ka setzt, dann, weil man keine Gewähr für die Richtigkeit von Franks Worten übernehmen will. In der Analyse ist argumentiert worden, dieser Gebrauch sei nachvollziehbar, da bei imperfektiver Darstellung nichts über das Ende/ Resultat einer Handlung ausgesagt wird, so daß gleichsam weniger sicher ist, ob sie zum Ende gekommen ist, und von hier, ob sie überhaupt stattgefunden hat. Genau dieser Ansatz hat sich als überaus fruchtbar für die Analyse der Futurpartikeln erwiesen, wo ka – verkürzt gesagt – ein prozessuales oder weniger sicheres Futur als ké ausdrückt (ähnlich wie im Russischen). Ka als wenig sicheres Futur gilt allerdings für die isolierten Regenwaldsiedlungen Guayanas, nicht für Guayanas Küste und nicht für Martinique. Diese Unterscheidung scheint mir dadurch erklärbar, daß sich ka an der Küste Guayanas und in Martinique eher zu einem Habitualis oder Präsens entwickelt. Gerade Präsens aber eignet sich durch die Bindung an die origo denkbar schlecht für reduzierte Regreßpflicht, das Gegenteil ist der Fall. Zu den bisherigen Überlegungen passen die von Mervyn Alleyne geäußerten Bedenken bezüglich der bisherigen Beschreibungen der kreolischen Imperfektivpartikeln, welche sehr viele Nuancen nicht erfaßten und nach europäischen Kategorie-Anleihen klängen. Für ihn als Kreolen sei etwa die Konkurrenz von futurisch gebrauchter Imperfektivpartikel vs. Futurpartikel (ka und ké) keineswegs über freie Varianz erklärbar; ka drücke eine futurische Handlung aus, der man mit 'humilité' gegenüberstehe, z.B. "lapli ka tonmbé": 'So Gott will, wird es regnen'. Übersetzt in europäische Kategorien, würde man hier von reduzierter Regreßpflicht in darstellender Modalität oder mit Angela Schrotts Begriff von virtueller conditio sprechen (1997). Das würde den Ansatz vom unsicheren Nebenwert des imperfektiven Aspekts bestätigen.

191

Einen anderen Standpunkt vertritt hingegen Ulrich Detges274: Der imperfektive Aspekt sei besonders 'sicher'. Sein Beispiel ist der vertröstende Zuruf eines Kellners: 'I'm coming'. Indem hier die ing-Form gewählt wird, werde dem Gast eine hohe Sicherheit vermittelt. Der Kellner 'tut so, als wäre er schon unterwegs'. Drei Einwände können genannt werden: Zum einen halte ich es für unscharf, die englische expanded form als 'heimlichen' Prototypen für die Funktionsbeschreibung des imperfektiven Aspekts in Kreolsprachen zu benutzen (vgl. Laca 1996). Zum zweiten ist im englischen Beispiel das Präsens enkodiert ('m), während ka nur eine Affinität zur Gegenwart hat und gerade z.B. im Guayanakreol für alle Zeitstufen Verwendung findet. Drittens steht das Kellnerbeispiel nicht zufällig in der 1. Person und zusätzlich in der wohl 'konkretesten' Imperfektivfunktion 'konkret-prozessual', d.h. 'ich selbst sehe' (Nähe, visuelle Perzeption), wie gerade etwas getan wird. Anders liegen die Dinge für die 3. Person, die etwas ohne Anwesenheit des Sprechers getan hat oder tut. Die Lösung der Gegensätze liegt möglicherweise darin, daß beide Entwicklungen möglich sind, je nachdem, welche Peripherie-Elemente der Kategorie imperfektiver Aspekt sich verstärken. An diesem Punkt der Analysen bieten sich Überlegungen zum (vor allem synchronischen) Vergleich mit anderen Kreolsprachen (Kap. VI) und zur Diachronie (Kap. VII) an.

274 Kongreßbeitrag Regensburg Juni 1998.

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VI. Vorarbeiten zu einer Teiltypologie 'Aspekt'

VI.1. Zentrale vs. periphere Romania bzw. 'Kreolia'?275 Während für das Gebiet der romanischen Sprachen die Verwendung des Begriffes Romania geläufig ist, spricht man für die atlantischen Frankokreolsprachen eher von aires créolophones276. Anders als für die Romania wurden für die atlantische 'Franko-Kreolia' bisher kaum Überlegungen zu möglichen Raumnormen oder arealtypologischen Zusammenhängen vorgenommen. Der meines Wissens einzige Versuch in dieser Richtung ist von Guy Hazaël-Massieux unternommen worden. Ich möchte hier an seine Ausführungen anknüpfen und sie mit dem neuen Korpusmaterial unter der Fragestellung überprüfen, ob ähnliche Raumnormen zu verzeichnen sind wie in der Romania. G. Hazaël-Massieux (1996: 169-205) baut seine Ausführungen auf der schematischen Unterteilung auf, die Matteo Bartoli (1925, 1945) für die Romania vorgenommen hat. Bartolis Arbeit liegen drei Leitfragen zugrunde, die Jürgen Lang (1982: 112) wie folgt zusammengestellt hat: "Wo immer zwei (oder mehr) 'Phasen' im Raum nebeneinander stehen, wie z.B. magis und plus beim Komparativ in der Romania, sei zu fragen:

1. nach dem chronologischen Verhältnis (rapporto cronologico) zwischen diesen Phasen: Was ist (in dieser Funktion) älter, magis oder plus?

2. nach der Herkunft (patria) der Innovation: Wenn plus die Innovation ist, wo ist diese entstanden? Dort wo wir sie noch heute finden; oder ist sie von einem anderen Gebiet dorthin gelangt? Wenn ja, von welchem?

3. nach dem Grund (causa) der Innovation: Warum wurde plus seinem Vorgänger magis vorgezogen?"

Für unsere Problemstellung geht es besonders um die erste Frage, zu deren Beantwortung Bartoli zwei Komponenten heranzieht, nämlich die Dokumentation in älteren Texten sowie die Systematisierbarkeit der geographischen Distribution bezogen auf sog. Raumnormen. Bevor ich auf die älteren Texte des Kreolischen eingehe, sollen zunächst die Raumnormen vorgestellt werden. Diese entwickelt Bartoli aus einer

275 Für Kritik und Anregungen sei Professor I. Neumann und T. Klingler herzlich

gedankt. 276 Siehe Tagliavini 1998; G. Hazaël-Massieux 1996.

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schematischen Gliederung der Romania, welche er in vier Hauptgebiete einteilt, so daß sich exemplarisch folgendes Schema ergibt277:

Iberia Gallia Italia278 Dacia

ROGAR prier pregare RUGA(RE)

In diesem Schema sind die innovatorischen Elemente (precare) durch Kursivschrift, konservative Elemente durch Majuskeln gekennzeichnet279. Aus diesem Gliederungsansatz leitet der Autor nun fünf Raumnormen ab, die hier nach der Veröffentlichung von 1925 wiedergegeben seien280:

- "l'area più isolata conserva di solito la fase anteriore"

- "la fase delle aree laterali è di norma la fase anteriore, purchè l'area di mezzo non sia l'area più isolata"

- "l'area maggiore conserva di norma la fase anteriore, purchè l'area minore non sia la più isolata [...] e non sia costituita da aree laterali"

- "la fase anteriore si conserva di solito nell'area seriore"

- "la fase soprafatta [i.e. morta o moribonda] è di norma la fase anteriore".

Faßt man zusammen, so ist jeweils konservativer das isoliertere, am Rand liegende, größere, später besiedelte 'sterbende' Areal281. Zwei mögliche Einwände sind zu nennen. Einerseits ist bezogen auf die 'Normen' 1 und 4 anzunehmen, daß es nicht so sein muß, daß die ältere Phase anfänglich im ganzen Gebiet verbreitet war. Möglich wäre ebenso, daß es sich bei beiden erhaltenen Sprachständen um Innovationen handelt, welche etwa eine gemeinsame, ausgestorbene Vorstufe abgelöst haben. Andererseits liegt der Norm 2 die Prämisse eines im Laufe der Geschichte nicht verschobenen Zentrums zugrunde – dies muß nicht immer so sein. Mit

277 Vgl. zur Kritik an dieser Schematisierung Lang 1982: 114f. 278 Auf die komplexe dialektale Situation Italiens kann in diesem Rahmen nicht

eingegangen werden. 279 Zum Problem der Bedeutung bzw. des tendenziell, aber nicht konsequent

onomasiologischen Vorgehens Bartolis vgl. Lang 1982: 116. 280 Es handelt sich nicht um 'Gesetze', wie Bartoli betont; er führt im übrigen selbst

Gegenbeispiele zu den jeweiligen Normen an. Lang wertet dies als "idealistische Spitze gegen die Junggrammatiker"; vgl. Lang 1982: 116f.

281 Es wird eine Hierarchisierung der Kriterien vorgenommen: die Kriterien 2 und 3, Randlage und größere Ausdehnung, sind dem Kriterium 1, Isolation, nachgeordnet. Dies übersieht Guy Hazaël-Massieux in seiner Interpretation; es erscheint wichtig, da St. Lucia in mancher Hinsicht, obgleich im Zentrum, doch konservativer, weil isolierter ist (zumal mit Englisch als offizieller Sprache).

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anderen Worten müssen die 'Normen' Bartolis als historisch gebunden verstanden werden. Eine weitere Kritik aus heutiger Zeit bezöge sich auf die Nichtbeachtung anderer diavariationeller Dimensionen, wie sie etwa in besonders umfassender Weise die Arbeiten Harald Thuns (Sprachatlas Uruguay) zeigen282. Trotz dieser Einwände ist Bartoli zu bis heute gültigen Ergebnissen gekommen. Es ist allerdings zu beobachten, daß besonders die Kriterien 1, 2 und 4 rezipiert und fruchtbar gemacht wurden. Diese Thesen Bartolis greift nun Guy Hazaël-Massieux wieder auf, um von ihm beobachtete Zusammenhänge in der kreolischen Karibik zu verdeutlichen: Das Kreolische Französisch-Guayanas ist häufig mit den Sprachen Martiniques und Guadeloupes verglichen und in Arbeiten über diese beiden recht gut erforschten Kreolsprachen am Rande mitbehandelt worden. Es besitzt jedoch Charakteristika, die es deutlich von den anderen Sprachen unterscheiden. Hazaël-Massieux untersucht ausgewählte linguistische Phänomene im gesamten karibischen Raum von Guayana bis Louisiana:

Martinique

AIRESLATÉRALES

AIRECENTRALE

Französisch-Guayana

Haiti

St. Thomas

GuadeloupeDominicaSt. Lucia

Louisiana

0 1000 km 282 Schließlich sei betont, daß die von Bartoli vorgeschlagene Ablehnung einer dem

sprachlichen Wandel inhärenten Regelmäßigkeit hier nicht thematisiert wird.

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Im Rückgriff auf die 'Raumnormen' Bartolis formuliert er folgende Hypothese283:

Une fois posées comme aires centrales les aires insulaires, d'abord de Martinique et de Guadeloupe et à un moindre degré de Saint-Domingue, on peut considérer que la Louisiane et la Guyane constituent des aires latérales, comme dans la Romania, l'Ibérie et la Dacie, ce qui laisse attendre des témoignages de traits plus anciens que dans l'aire centrale (1990: 97; meine Hervorhebungen).

Für die romanischen Sprachen wird angenommen, daß die 'Randzone' eine ältere Entwicklungsstufe innerhalb der Romania abbildet ('näher' an lateinischen Varietäten zu situieren ist). Überträgt man die Annahme, daß eine Randzone einen konservativeren Sprachstand spiegelt, auf die atlantischen Kreolsprachen, so müßten die Sprachen Louisianas und Französisch-Guayanas untersucht werden284. Wenn nun Guy Hazaël-Massieux in der Tat spezifische Züge des Guayanesischen in den Bereichen des Präsentativums (a, a pa) und der Negation feststellt, so konnte er jedoch keinerlei Vergleich zum antillanischen Kreol (d.h. Guadeloupe und Martinique) in den Tempus- und Aspektpartikeln vornehmen, da ihm kein hinreichendes Korpusmaterial zu Französisch-Guayana zur Verfügung stand. Für einen solchen Vergleich können nun durch das vorliegende Korpus neue Elemente vorgelegt werden; zuvor sollen jedoch die Ergebnisse Guy Hazaël-Massieux' kurz referiert werden. Im Kreol Guayanas kann das Präsentativum a, das Nominalsyntagmen einleitet (a Nanine – 'das ist Nanine'), mit und ohne Negation erscheinen (a/ a pa), während es im Martiniquekreol und Guadeloupekreol nur in der Negation vorkommt (sé/ a pa). Da man einen präkolonialen Ursprung dieses Präsentativums annimmt – d.h. karibisch oder Arawak –, so könnte es in älterer Zeit in allen atlantischen (französischen) Kreolsprachen existiert haben; tatsächlich ist die ältere Verwendung (auch in der affirmativen Form) auch für Guadeloupe noch in Texten des vergangenen Jahrhunderts nachzuweisen. Die Reduktion im Gebrauch (eben nur in der Negation) ist folglich als eine Innovation der Kleinen Antillen zu deuten. Versteht man diese Analyse als beispielhaft, so ist wohl zu vermuten, daß das Kreol Guayanas von einer älteren Phase in der Entwicklung der frankokaribischen Kreolsprachen zeugen kann. Anhand des neuen Korpusmaterials kann ich Guy Hazaël-Massieux' Analyse auch auf andere

283 Dieser Passus wird bereits im ersten Kapitel zitiert. 284 Für Louisiana liegen bereits zwei Untersuchungen vor, vgl. Neumann 1985 und

Klingler 1992.

196

Bereiche des Sprachsystems ausdehnen. Folgende Übersicht zur Negation in alten Texten zeigt, daß die heute übliche Position der Negationspartikel VOR allen Tempus- und Aspekt-Markern (z.B. Guayanakreolisch i pa té ka palé ké l' 'sie sprach nicht mit ihm') eine jüngere Entwicklung darstellen könnte285:

Saint-Quentin 1872: Mo té pa ka briga./ tép'ka briga. Mo té pa briga. Mo pa té wa briga./ tép'ka briga. (63) Falé pa. Té pa falé. (66) Gagnen./ Gnianpwen. (67) Parépou 1885: Li gain blangue qui té pou ca286 lessé to vini. (226) Tobler 1983: P-ka bay tã pu mo tóne. (24) Batõ p-ka bay. (45) Si li kale osue p-kale. (59)

In alter Zeit stand also die Negation pa zumeist287 vor dem gesamten Prädikat mit seinen Partikeln, aber nach der Partikel té (vgl. Neumann zu 'ape'). Dies ist offenbar im Louisianakreol (Neumann, Klingler) und im Isolat in Guayana erhalten. Einzelne fossilierte Formen sind auch in anderen Kreols erhalten (vgl. Martinique: i pé pa 'il ne peut pas' und weitere Beispiele in G. Hazaël-Massieux 1996: 176)288. Die folgende Synopse von weiteren Erscheinungen, die in Guayana und Louisiana gleich, in Martinique und Guadeloupe anders gelöst sind, ist anhand des neuen Korpusmaterials möglich geworden.

285 Allerdings ist der Bestand nicht einheitlich; bei Pariset 1848 ist die Stellung der

Negation wie heute: "Conça pas téké bon. Personne p'ka pouvé vini obligé. Zot p'ka obligé. Li p'ka gagné esclave encor la pays Cayenne".

286 Pou steht hier für pa (Dissimilation). 287 Die spätere Reihenfolge ist allerdings vereinzelt schon zu finden, siehe oben das

dritte Beispiel. 288 Dies ist gut zu erklären, wenn man bedenkt, daß im Französischen /pa/ den Ton trägt

und der flektierten Verbform folgt, so daß es in den Prädikaten mit Auxiliarverb nach diesem (dem Auxiliar) steht, aber vor dem Infinitiv oder dem Partizip. Auxiliare (und Kopula) ohne Ton sind im Kreol verschwunden, dort wo été erhalten ist, wird es als Partikel empfunden, welche teils wie eine Kopula funktioniert, jedoch nicht mit der Negation kombiniert werden kann.

197

Französisch-Guayana Martinique; Guadeloupe Louisiana (Klingler)

/w/

/r/

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/r/

travay;

/w/

traway selten;

/r/

Personalpron. mo, to, yé (m)an/ mwen, ou, yo mo, to, yé

Pl./ DEM -ya < yé la (sa)-la < la yo (sa) yé nur in Pointe Coupée

POSS (Stellung und Form)

mo kaz;

mopa

kay-(an)-mwen;

mo zwazo;

motchen/ moken

NEG té paarch pa té té pa

Satzklammer rechts

a la a

Komparation pasé (pli ... ki) pli ... ki (pasé) pasé nur in Pointe Coupée

Lexik

aryen, mouri, vomyé, gen, pouvé

ryen, mò, pisimyé, ni, sa

aryen, mouri, vomyé, gen, (pouvé)

T/ A té (+DYN) past-Habitualis Isolat, selten

té (+DYN) past perfect té (+DYN) past-Habitualis

T/ A Ø PräsensIsolat, selten Ø nur Vergangenes Ø Präsens Kurz-/ Langformen

A ka vor allem Progressiv

ka: PROG/ HAB e, ape, ap: nur Progressiv

Aus dieser Übersicht ist allerdings nur abzulesen, daß das Guayana- und das Louisianakreol in der Tat auffallende Gemeinsamkeiten aufweisen, die beide Varietäten vom Guadeloupe- und Martiniquekreolischen unterscheiden. Es wäre weiter zu untersuchen, ob es sich auch um 'ältere' Züge handelt. Da die meisten der von Guy Hazaël-Massieux benutzten 'alten' Texte noch nicht zugänglich sind, und mit Blick auf das Thema der vorliegenden Arbeit, beschränke ich mich auf die Gemeinsamkeiten im Bereich Tempus und Aspekt.

• Null kann sich in beiden Kreols (Guayana und Louisiana, vgl. Klingler 1992: 144f.) auf die Zeitstufe der Gegenwart beziehen; französisch tu comprends würde also übersetzt mit

1. Lou: to Ø kòprã

2. Guy: to Ø konprann

3. Mar: ou ka konpwann

198

Allerdings gibt es in Louisiana, anders als in Guayana, eine zusätzliche Unterscheidung in Lang- und Kurzformen. Dies aber ist mit Ingrid Neumann wohl eine jüngere Entwicklung, die in den Texten des 19. Jahrhunderts noch nicht nachzuweisen ist (1985: 203). Die Nullform ist für Louisiana für die Gegenwartszeitstufe im Sinne eines perfektiven Aspekts zu verstehen, nicht als Präsens.

• Einen auffälligen gemeinsamen Unterschied zum Antillenkreol weisen Guayana und Louisiana im Gebrauch der Partikel té nicht für past perfect, sondern für past-habitualis auf. Dieser Gebrauch ist auch in alten Texten belegt (siehe z.B. Kap. V.2.1.). Während dieser Gebrauch in Guayana und in Louisiana in Breaux Bridge eher selten anzutreffen ist, ist er in dem von Thomas Klingler Ende der 80er Jahre entdeckten Kreolgebiet in Pointe Coupée typisch: "The most common function of [te] with punctual [hier = dynamischen] verbs, however, is that of marking an habitual past action" (1992: 159).289

[blã kòm nwa te vjê asi ã mo latab e mãge gò/ ãmbo]

'Blacks and whites alike would come sit at my table and eat gumbo.' [je te prã je ê labròs, e se brose sa tu pròp ã de kote]

'They would (used to) take a brush and brush it clean on both sides.' [no te plãte le balen no te plãte maji, nu te plãte le pištaš]

'We used to plant broomcorn, we used to plant corn, we used to plant peanuts.'

• Als dritte Gemeinsamkeit im Aspekt-Tempus-Bereich teilen Guayana und Louisiana die nur teilweise greifende Unterscheidung von statischer und dynamischer Verbgruppe; dies ist ein für die Kleinen Antillen ganz wesentliches Merkmal (vgl. hierzu Kap. V.2.1.).

• Im Zusammenhang mit der dritten ist wohl die vierte Eigenschaft zu sehen290; in Louisiana wie auch in den Isolaten Guayanas drückt die Imperfektivpartikel vor allem die Progressivität aus291.

Sollten diese Beobachtungen zu verallgemeinern sein, so ist wohl zu vermuten, daß das Kreol Guayanas in der Tat Hinweise auf eine ältere Phase in der Entwicklung der frankokaribischen Kreolsprachen geben kann. Für diese Hypothese sprechen auch folgende Punkte:

289 Die folgenden Beispiele sind der Dissertation von Thomas Klingler entnommen;

dieser notiert in phonetischer Umschrift. 290 Siehe auch das folgende Kap. VI.2. 291 Der gleichen Funktion stehen jedoch unterschiedliche Formen gegenüber, siehe

hierzu Kap. VII.1.

199

- geographische 'Randlage' wie Louisana bezogen auf ein 'Zentrum' Martinique/ Guadeloupe

- späte Besiedelung (erst Ende 17./ Beginn des 18. Jahrhunderts; Kleine Antillen bereits 1635)

- isoliertere Lage - vergleichsweise geringer wirtschaftlicher Austausch mit anderen Gebieten

Fassen wir zusammen: Geographisches Zentrum des frankokaribischen Areals sind die Kleinen Antillen. Hier begann auch die Kolonisation, und zwar auf St-Christophe, das jedoch bald wieder aus dem französischen Einflußbereich ausgeschieden ist. Von St-Christophe, dem Sitz des Lieutenant Général, erfolgten die ersten Expeditionen nach Martinique und St-Domingue. Die Einwohner St-Christophes fliehen später aufgrund der Eroberung der Insel durch die Engländer nach St-Domingue, Martinique und Guadeloupe. Von diesen Inseln wiederum starteten neue Expeditionen nach Dominica, St. Lucia und Grenada. Guayana ist zwar von allen Gebieten des Areals bald nach St-Christophe zuerst kolonisiert worden; es kam jedoch zu keiner demographischen Kontinuität (vgl. besonders Jennings). Ebenso wie Louisiana wurde Guayana erst ab Ende des 17. bzw. Anfang des 18. Jahrhunderts kontinuierlich besiedelt. Somit sind Louisiana und Guayana die lateralen und vergleichsweise spätbesiedelten aires der karibischen Frankokreolia. Da zudem die Erhebungsgebiete Pointe Coupée (Louisiana, Klingler) und Ouanary/ St-Georges/ Maya (Guayana, vorliegende Arbeit) innerhalb von Louisiana bzw. Guayana wiederum 'am Rande' liegen und bis heute insofern Isolate darstellen, als sie weniger Kontakt zu anderen Kreolgebieten und dem Französischen (bzw. dem Cajun) aufweisen, sind drei Faktoren gegeben, die mit Matteo Bartoli konservativere Züge als auf den Kleinen Antillen erwarten lassen. Die sprachliche Analyse zeigt in der Tat auffallende Ähnlichkeiten zwischen Guayana und Louisiana in Abgrenzung zu den Kleinen Antillen; allerdings handelt es sich um Ähnlichkeiten, nicht um Übereinstimmungen. Zudem soll betont werden, daß die Ausarbeitung der gemeinsamen Charakteristika argumentativ von Überlegungen zu etwaigen Verwandtschaften getrennt wurde. Möglicherweise greift nun eine nur areale Untersuchung zu kurz; für beide lateralen Gebiete scheinen – wiederum in Abgrenzung zu Martinique und Guadeloupe – zudem vergleichbare soziohistorische Bedingungen in der Phase der Kreolisierung vorzuliegen. Zu nennen sind etwa die geringere Größe der Plantagen, die späte und geringe Einführung des Zuckerrohranbaus, der Kontakt zu anderen Sprachen (Englisch in Louisiana; Portugiesisch, andere Kreolsprachen in Guayana) usw. Die Ergänzung der arealen durch soziohistorische Thesen kann hier allerdings nicht geleistet werden und muß gegenwärtig Desideratum bleiben.

200

VI.2. Vergleich mit spanischen, portugiesischen und englischen Kreolsprachen Das vorliegende Kapitel verfolgt das Ziel, eine neue Synopse der Aspekt-/ Tempus-Marker aufzustellen. Dies geschieht in der Nachfolge von Bollée (1977) (nur Frankokreol), Bickerton (1981), Boretzky (1983) (ohne Tabellen), Stein (1984; nur Frankokreol) und Holm (1988/89). Kleine Neuerungen werden angesetzt:

• die Auswertung neuerer Beschreibungen und Korpora

• die Überprüfung der Aspekte auf allen Zeitstufen, nicht nur in der Vergangenheit.

Eine wesentliche Schwierigkeit, die ein solches Vorhaben mit sich bringt, ist die bereits in Kap. IV genannte Tatsache, daß die Arbeiten zu Aspekt und Tempus im Kreol keine übereinstimmende Terminologie verwenden; die unterschiedlichen Begriffe sind zudem oft nicht ohne weiteres zu übersetzen, da sie unterschiedlich große Bedeutungsspektren abdecken. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, daß für einzelne Kreolsprachen konkurrierende Analyseergebnisse vorliegen, die hier als solche wiedergegeben werden. Eine weitere Tatsache, die einen Vergleich nur mit Vorsicht möglich macht, ist das unterschiedliche methodische Vorgehen zur Erlangung der Daten. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, daß die Fragebogentechnik zu tendenziell anderen Ergebnissen kommt als Aufnahmen möglichst spontaner Sprache. Trotz dieser Schwierigkeiten möchte ich mit den folgenden Tabellen wenigstens eine kleine Vorarbeit leisten, die aber in der Folge der Vertiefung bedürfen wird. Diesem Kapitel liegen folgende Arbeiten zugrunde: Andersen 1990, Arends et al. 1995, Bollée 1977, Byrne 1993, Cellier 1985, Chaudenson 1981b, 1992a, Corne 1973, 1978, 1981, 1983, Damoiseau 1984, 1994a, Didiez Nadal 1984, Edwards 1991, Ehrhart 1992, Faingold 1996, Fattier 1996, Gibson 1992, Goodman 1964, G. Hazaël-Massieux 1983, 1992, 1996, Holm 1988/89 I und II, Instituut voor Taalwetenschap 1994, Ludwig 1996, Matthews 1993, Maurer 1988, 1995, 1997, 1998, McWorther 1997, Michaelis 1993, Moorghen 1972, Mufwene 1984, Munteanu 1996, Raible 1992, Schwegler 1998, Stein 1984, Thiele 1989, Valdman 1978, Veenstra 1996, Winford 1993, 1996, Wittmann 1972, Wittmann/ Fournier 1987. Auf den folgenden fünf Seiten werden die Synopsen dargestellt, dann erste Deutungsansätze.

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Typ 1: Seychellen, Rodrigues Progressiv Null ist Präsens, nicht past; die Imperfektivpartikel ist fakultativ und nur Progressiv. Hier wird fin für Perfekt oder past obligatorisch, da Null ja Präsens ausdrückt. Dies ist anders als bei den Typen 2 und 3, wo das Perfekt fin marginal ist.

Typ 2: Französisch-Guayana/ Jamaika Progressiv > Progressiv

+ Habitualis

Aus einer emphatischen räumlichen Periphrase mit être entwickelt sich der imperfektive Aspekt, allerdings zunächst nur in seiner progressiven Ausprägung. Die habituale Bedeutung kommt erst später hinzu und wird im Schriftgebrauch gar die dominierende. Statische Verben können mit der Imperfektivpartikel stehen und Prozessualität ausdrücken, da eine starke prozessuale Funktion der Partikel vorliegt (gilt eben auch für dynamische Verben).

Typ 3: (Britisch-)Guayana/ Papiamentu Progressiv > Progressiv

+ Habitualis > Präsens

Dieser Typ ist aus einer anfangs gleichen Entwicklung wie Typ 2 ableitbar. Typisch aspektuelle Funktionen werden zurückgedrängt, die Partikel kommt in Opposition zu anderen Tempusmarkierungen und kann hypothetisch als Präsens gedeutet werden. Für diese Sprache ist dokumentiert, daß am Anfang der kopulative Teil (être) der Periphrase erhalten blieb und sowohl die emphatische Funktion als auch die rein progressive vorhanden sind. Bei den romanisch-basierten Beispielen des Typs 2 und 3 muß jedoch gefragt werden, ob es sich tatsächlich um eine diachrone Entwicklung handelt. Möglicherweise liegen hier zwei Varietäten oder Register vor, wobei die temporale als romanischer calque interpretiert würde. Die Entscheidung, ob es sich um Varietäten oder Register handelt, setzt eine neue Korpuserhebung voraus, bei der je ein Informant über längere Zeit begleitet wird; dies muß noch Desideratum bleiben.

207

Typ 4: Trinidad/ Martinique Progressiv > Progressiv

+ Habitualis > Progressiv > Habitualis

Hierbei handelt es sich in gewisser Hinsicht um die Umkehrung des Typs 1, bei dem sich die zuerst progressive um die habituelle Funktion erweitert hat, so daß der imperfektive Aspekt nunmehr ein weiteres Bedeutungsspektrum abdeckt. Dann aber hat sich aus dem Imperfektivmarker da/ a, der beide Funktionen (Habitualis und Progressiv) abdeckte, erneut eine Aufgabenaufsplitterung ergeben: Für Habitualis wird nunmehr doz/ oz/ z verwendet, für Progressiv postverbales -in334, was auf einen englischen calque zurückführbar ist. Dies ist eventuell vergleichbar mit Martinique, wo Bernabé berichtet, daß la hinzutritt, wenn Prozessualität betont wird, also wäre eine Entwicklung im Sinne einer Aufspaltung in Habitualis (ka) und Progressiv (la ka) für die Zukunft denkbar.

Typ 5: Grenada Progressiv > Progressiv

+ Habitualis > Progressiv > Habitualis

> Habitualis

Für das Englischkreolische von Grenada, das ebenfalls den Progressiv mit postverbalem -in bildet, berichten nun Le Page und Tabouret-Keller (1985: 163) noch einen weiteren Schritt, nämlich die Ausdehnung des 'neuen' Progressivs zum Habitualis: Gud childrin go-in tu hevn ('Good children go to heaven')335. Holm stellt die These auf, daß dies durch den Kontakt mit Frankokreolsprachen der Kleinen Antillen geschehe, ohne jedoch eine ähnliche Annahme Bickertons ebenso zu erklären. Bickerton (1981: 97-99) nimmt auch für das haitianische ap Habitualis-Funktionen an (vgl. auch Boretzky 1983). Möglicherweise ist dies schlicht die allgemeine Grammatikalisierungstendenz.

334 Vgl. Winer 1993: 21-31. In Tobago wird der Marker a noch in der doppelten Funktion

verwendet; auch in Trinidad ist er noch zu hören, gilt dort aber als archaisch. 335 Möglicherweise ist die Form auch futurisch zu deuten; der Gebrauch ist in den

Beispielen nicht eindeutig.

208

Ein weiterer kurzer Blick auf die Synopsen zeigt, daß der perfektive Aspekt im Kreol sehr selten formal markiert ist; bereits Matthews (1993: 234) kommt vergleichend zu folgender Übersicht.

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Sranan Saramaccan Hawaiian Guyanese (E) Haitian L. Antillean Guyanais (F) Papiamentu Palenquero Cape Verdean

Papiamentu Palenquero336

Sranan Guyanese Jamaican Gullah Cape Verdean São Tomense Mauritian Papiamentu

Nach diesem Schema hätte das Papiamentu ein Perfektiv-Morphem, das ist allerdings auffällig; so daß zwei Beispiele aus dieser Kreolsprache zitiert werden sollen:

(a) Anto el a weta un homber yongota ei bou then he A see a man kneeling there below 'Then he saw a man kneeling down below.'

(b) Anto e barku mester a bai tirar nan norto na awa. then the ship must A go throw their dead to water 'So the ship had to go and throw their dead into the sea.'

Wenn man davon ausgeht, daß beim Perfekt das Ende der Handlung betont ist, mit deiktischem Bezug zum Sprechzeitpunkt, während beim perfektiven Aspekt die Handlung als ganze im Blickfeld des Betrachters steht – und dies ohne deiktischen Bezug – so handelt es sich bei den Beispielen (a) und (b) in der Tat um Belege für einen Perfektiv-Marker. Aufgrund dieser knappen exemplarischen Auswertung der Synopsen kann vermutet werden, daß es 'typische' Zusammenhänge der semantischen Entwicklungen gibt, die nicht dem Zufall geschuldet sind, wie Holm (1995: 159) annimmt337. Die 336 Vgl. Schwegler 1998. 337 Holm 1995: 158f. und Boretzky 1983 führen aus, daß außer vielen Kreolsprachen

(Negerhollands, Martiniquekreol, Kapverdisch) auch einige afrikanische Sprachen denselben Marker zum Ausdruck von Habitualis und Progressiv benutzen (Kwe, Bambara, Yoruba). Dies ist durch die Untersuchungen von Bybee und Dahl ein weniger starkes Argument für eine Afrogenese, da es weltweit der Fall ist. Für die slavistische Forschung ist diese Polysemie des imperfektiven Aspekts schon länger ein fester Bestandteil der Aspektlehre, so daß wie auch in der vorliegenden Analyse von nur einer Kategorie imperfektiver Aspekt ausgegangen wird, die Progressiv und Habitualis einschließt. Allerdings ist bei aller Typisierung mit Vorbehalten zu rechnen, da die

209

Überprüfung der folgenden stichwortartigen Thesen, welche sich vor allem auf das Frankokreol beziehen, könnte für eine weitere Arbeit vorgeschlagen werden:

A: Je weniger eine Kreolsprache verschriftlicht ist, desto mehr stehen die Verben mit der Nullmarkierung (vgl. Kap. V.3.)

B: Wenn die Imperfektivpartikel als prototypische Funktion den Progressiv hat, dann ist Emphase und/ oder Fokus mit diesem Marker möglich (vgl. Kap. VIII).

C: Wenn die Imperfektivpartikel als prototypische Funktion den Progressiv hat, dann steht die Imperfektivpartikel häufiger mit statischen Verben (vgl. Kap. V.2.5.)

D: Tempus ist später, d.h. té nimmt zu, so im Tayo und in Französisch-Guayana (vgl. Kap. V.2.10.).

E: Té wird erst spät past perfect, ist zunächst nur past (vgl. Kap. VI.1.).

Tempus-/ Aspekt-Systeme von europäischen Muttersprachlern leicht mißverstanden werden können (vgl. Holm 1995: 150).

210

VII. Grammatikalisierung und Sprachkontakt: neue Hypothesen zur Partikel ka Problemstellung Die Entstehung der frankokreolischen Partikeln té/ ti, ké/ kay, va/ wa, apé/ pé/ ap/ e, fin/ finn/ fini, soti, pou, konn u.a. aus französischen Etyma gilt als recht gesichert:

té ...338 > être (été bzw. était) ké ... > (qu') allé/ r va ... > va (3. Sg. von 'aller') apé ... > être après + INF fin ... > finir/ fini soti > sortir/ sorti pou > pour konn > connaître (3. Sg.)

Eine Aspektpartikel aber fehlt in dieser Liste; es ist zugleich die im Guayanakreol häufigste Partikel (Peyraud 1983), nämlich ka. Es ist nun nicht so, daß hier schlicht keine Versuche zu einer Ableitung unternommen worden wären, im Gegenteil; man zählt fünfzehn [sic] Theorien bisher, die zunächst knapp vorgestellt werden. Dann soll ein neuer Vorschlag unterbreitet werden, der von der Grammatikalisierungstheorie her argumentiert. Diese Theorie wird kurz umrissen, so daß anschließend ein Schema für die kreolischen Partikeln skizziert werden kann. Im Ergebnis wird deutlich werden, daß ka in seiner Entstehungszeit funktional einen anderen Bereich abgedeckt haben dürfte als heute; bisherige Theorien haben immer von den heutigen Funktionen aus gesucht. Hier wird auch deutlich, daß es mir mehr um eine Beschreibung des Funktionswandels als um eine Etymologie im engeren Sinne geht. Ein Problem hat die bisherige Herkunftsforschung noch gar nicht aufgeworfen: Warum ist in einigen Frankokreols ka, in anderen mit ähnlicher (nicht gleicher!) Funktion apé grammatikalisiert worden? Hier kann eine weitere Hypothese vorgestellt werden, da neues Material zu den jeweiligen indigenen Sprachen (Arawak, Inselkaribisch) aufgefunden und im Sinne einer Konvergenzhypothese interpretiert worden ist. Es ist anzunehmen, daß das

338 Die drei Punkte bedeuten: inklusive der Varianten.

211

Entschlüsseln dieser Partikel zu einem besseren Verständnis der Genese der sogar sog. ka-Kreols (Goodman) beitragen könnte.

Bisherige Theorien Die bisherigen Theorien zur Herkunft der Partikel ka lassen sich in fünf Gruppen einteilen, bezogen auf die Sprachen, aus welchen das Morphem stammen könnte; es sind dies Portugiesisch, afrikanische Sprachen, Französisch, Arawak und portugiesisch-basiertes Kreol im Golf von Biafra. Da nur zwei der insgesamt fünfzehn Theorien für die folgenden Überlegungen wichtig sind, sollen die einzelnen Ansätze nur schematisch wiedergegeben werden, bevor zwei Ansätzen von Guy Hazaël-Massieux weiter nachgegangen wird.

212

Hypothesen bisher zu Etymologien von ka339: SPRACHE ELEMENT (AUTOR) EINWÄNDE

Portugiesisch • Lokativ cá 'hier' (Schuchardt 1882: 911)

• ficar 'stay' (Kleine Antillen und São Tomé) (Taylor 1963: 812) im Sinne von permanent location 'sich befinden' und in Periphrase: fica olhando '(he) keeps looking'; zumal in S. Tomé ka nur Habitualis, Progressiv durch s(a) ka

• Konvergenz aus beiden (Holm 1995: 155)

• nicht immer aus Lokativ, z.B. Negerhollands lo aus niederländisch lopen 'gehen, laufen', schon im Niederländischen in Progressiv-Konstruktionen, z.B.: ik heb een hele tijd lopen dubben – 'I have been worrying for some time' (Holm 1995: 156; Stolz 1986: 178)

• aber lopen wohl aus früherem 'stehen': ik sta to wachten ('I stand to wait = I stand/ am waiting') < ich sta ende wachte ('I stand and wait')

afrikanische Sprachen

• funktionale (nicht lautliche) Konvergenz mit afrikanischem Herrero [me ri – 'am ist ich essen'] (Schuchardt 1914b: 340)

• Mandinka Progressiv/ Habitualis-Marker ka (Holm 1995: 155);

• Hausa kan (Habitualis) (Goodman 1964: 82-86); Wolof nga (Progressiv) (Goodman)

• Bambara (Guy Hazaël-Massieux); • senegalesische Sprachen (Guy

Hazaël-Massieux) • südlicher Sudan, Moru-Madi-

Sprachfamilie, hier Lulubo ka: (Progressiv und Habitualis) (Pfänder nach Andersen in Bache et al. 1994: 251)

• nicht nachweisbar

Französisch

• capable (Goodmann 1987); • St-Thomas (Virgin Islands) je (suis)

qui ris; je té qui ris • St-Barth (G. Hazaël-Massieux 1992:

656), vgl. auch Réunion: li té i manzé, a nicht aus Futur, sondern: il est à faire

• bisher kein Einwand • zwei phonetisch-phonologisch zu

aufwendige Schritte wären notwendig: ki > k und k > ka durch Agglutinierung des Futur-a (Goodman 1964: 85)

Arawak • Taylor 1945 ka • postverbal (Goodman 1964: 84f.; G. Hazaël-Massieux 1996)

Kreol • Golf von Biafra (Angolar, Maurer, so G. Hazaël-Massieux 1992: 655)

• bisher kein Einwand

339 Ausführlich in Holm 1995: 154-161; vgl. auch Stein 1984, Boretzky 1983, Bartens

1995. 340 Diese Überlegung beruht auf der Beobachtung, daß frankokreolisch ka, iberokreolisch

ta (Kapverden, Papiamentu, Palenquero) sowie auch anglokreolisch de ein Lokativum als Grundlage haben könnten.

213

Im Hinblick auf die vorstehende Tabelle sei nur die für die folgende Argumentation wichtige Hypothese Guy Hazaël-Massieux' genauer ausgeführt. Das Morphem a wird bei diesem Autor anders als bei Goodman nicht als Futurformans gedeutet, sondern ausgehend von einer noch gebräuchlichen Aspektform im Französischen il est à manger interpretiert. Von dieser Form schließt Hazaël-Massieux auf eine expressive Form *il est qu'est à manger, das mit dem kreolisierungstypischen Schwund unbetonter Silben li qu'à manger ergeben haben könnte. Dieser ursprünglich emphatische Gebrauch existiert (wenn auch ohne Progressiv) noch im gesprochenen Französisch: Vot' frère qui vous appelle (für c'est votre frère ...). Drittens schließlich sind betonte Ausdrücke wie il [n'est] qu'à manger im Sinne von il est tout à manger vorstellbar. Darüber hinaus hält der Autor eine parallele Entwicklung KA < KAP < KAPAB < CAPABLE für möglich, die allerdings eine modale Nebenbedeutung erwarten ließe, die im haitianischen Irrealismarker ka durchaus auch zu finden ist, im Kreol der Kleinen Antillen aber zu fehlen scheint. Hierzu sind zwei Anmerkungen zu machen. Erstens könnte sich ein Rest dieser doppelten Entwicklung, so jedenfalls Hazaël-Massieux, in der Theorie Bernabés wiederfinden, da dieser auf der Existenz von zwei kas beharrt341. Zweitens könnte die Hypothese der doppelten Entwicklung Verstärkung finden, wenn für das ka der Kleinen Antillen eine modale Nebenbedeutung nachweisbar wäre. Seit G. Hazaël-Massieux (1992) haben sich folgende Beobachtungen ergeben:

• Ka besitzt auch auf den Kleinen Antillen und in Französisch-Guayana eine modale Bedeutung (siehe oben, Kap. V.2.4.), welche bereits im Passionstext von 1740 einmal vorzukommen scheint (falls diese Deutung nicht durch Übersetzung provoziert wird): Jesus findet alle Jünger vor, alle schlafen, er ruft Petrus an:

li crié pierre ... di li, pierre pierre, coment toé qu'a dromi?342 (12)

'Il appela Pierre ... lui disant, Pierre, Pierre, comment peux-tu dormir?'

341 Bernabé 1983. Mir scheint diese Trennung nicht schlüssig, da gerade die Kombination

von Habitualität und Progressivität in einer einzigen morphologischen Markierung in vielen Sprachen belegt ist. Weiterhin ist diese Trennung eben nicht diejenige in eine aspektuelle und eine modale Bedeutung, sondern in zwei aspektuelle Unterbedeutungen. Schließlich teilt Jean Bernabé mir mit, daß er die Unterscheidung aus didaktischen Überlegungen getroffen habe.

342 Die Metathese dromi > frz. 'dormir' ist heute nur im Guayanakreol so erhalten.

214

• In archaischen Varietäten des Französischen in Übersee sind viele emphatische Formen mit que belegt (vgl. Calvet/ Chaudenson 1998).

• Meine Untersuchung des Textes von 1740 ergab, daß der Gebrauch der Imperfektivpartikel ein noch emphatischer ist, noch kein generalisierter (vgl. Kap. V.2.2.).

• Dieser emphatische Gebrauch ist sehr nah an der französischen Periphrase. Von hier ergeben sich folgende zwei Fragen: 1. Ist ka im Guayanakreol weniger grammatikalisiert (nicht nur in bezug auf

Emphase, sondern auch auf andere Kriterien, wie Stellungsfreiheit, Trennbarkeit u.a.) als in Martinique? Ist die Entwicklung mit romanischen Tendenzen zu vergleichen oder ein eigener Typ?

2. Spielt neben dem Französischen auch das Arawak für das rätselhafte ka eine Rolle? Denn die Verteilung von ap/ pé < être après faire und ka/ qu'à < ?n'être qu'à faire stimmt genau mit der Distribution des Arawak überein. Zudem hatte die indianische Bevölkerung nach jüngsten Untersuchungen mehr Kontakt zu Weißen und Kreolen, als in älterer Forschung angenommen wurde. Obgleich interessante Hinweise zugunsten einer solchen Hypothese in einer Arawakgrammatik gefunden werden konnten, schienen zunächst zwei Einwände zu bestehen: Erstens war die Grammatik zu jung (spätes 19. statt frühes 18. Jahrhundert), zweitens blieb unklar, ob arawakisches ka nur die Kopula in der 3. Person Sg. ausdrückt oder auch oft bedeuten kann. Diese zweite Bedeutung als Präposition ist in keinem der Arawakglossare genannt, so daß eventuell Zweifel an der Genauigkeit der Grammatik (oder der Glossare?) angebracht sind.

Neue Hypothesen: Grammatikalisierung und Konvergenz "On the whole, grammar is not a tool of logical analysis; grammar is busy with emphasis, focus, down-shifting and up-grading; it is a way of organizing information and taking alternative points of view."343

Die im Zitat angeführte Idee von Labov ist eine wichtige Prämisse der Grammatikalisierungsforschung: Zunächst emphatisch verwendete Aus-drücke verlieren durch zunehmenden Usus ihre Aufmerksamkeitsfunktion und können in den Bereich der Grammatik mit Bühler 'hinüberwandeln'. Eine 343 Labov in einem seit 1971 zirkulierenden und 1990 veröffentlichten Beitrag (1990: 45;

hier zit. n. Bybee et al. 1994: 299).

215

weitere Ausgangsidee der Grammatikalisierungtheorie findet sich bei Lehmann (1982: VI): "The discussion will not be couched in terms of a specific theory of grammar, one reason being that existing grammatical models are inadequate for the representation of the gradual nature which is essential to the phenomena compressed by grammaticalization". T. Givón faßt dies in einem oft zitierten, pointiert formulierten Satz wie folgt:

Today's morphology is yesterday's syntax. (Givón 1971: 413)344

Aufbauend auf dieser Grundthese hat sich ein eigenes Forschungsparadigma entwickelt, das im wesentlichen von gleichen Voraussetzungen ausgeht, z.B. Bybee et al. (1994), Diewald (1997), Haspelmath (1998), Heine et al. (1991, 1993), Hopper/ Traugott (1993), Laca (1996), Raible (1996a, 1996b). Eine präzise Definition von Grammatikalisierung findet sich z.B. in Haspelmath (1996: 3):

Grammaticalization is the gradual drift in all parts of the grammar toward tighter structures, toward less freedom in the use of linguistic expression at all levels. In particular, lexical items develop into grammatical items, which often means that independent words turn into clitics and affixes. In addition, constructions become subject to stronger constraints and come to show greater cohesion. Grammaticalization is unidirectional in that elements and structures always become more grammatical(ized), while the reverse (development of less grammatical from more grammatical structures or elements) is practically unattested345.

Eines der Prinzipien ist – wie das Zitat zeigt – Unidirektionalität, d.h., die Entwicklung erfolgt fast ausschließlich vom Lexikon in die Grammatik und nicht umgekehrt. In der Grammatikalisierungstheorie wird der sprachliche Wandel weiterhin immer mit Blick auf die (kommunikativen) Aufgaben, die Sprecher erfüllen wollen, untersucht (vgl. z.B. Bybee et al. 1994: 300-302). Raible zeigt, daß ein solches Unterfangen – ausgehend von der Romania – enorme 344 Vgl. auch Petra Thiele 1989: 759: "Sprachhistorische Analysen belegen, daß sich die

Mehrzahl der heute eindeutig gebundenen Elemente aus freien Formen, d.h. selbständigen 'grammatischen Wörtern', für gewöhnlich unter Funktionswandel und/ oder -erweiterung über morphosyntaktische zu rein morphologischen Formen (Affixen) entwickelt haben".

345 Diese Überlegung gilt auch auf der Ebene der Organisation von Sätzen, wie Haspelmath 1998: 3 betont: "Grammaticalization comporises the development of complex sentences from sequences of sentences in discourse, the development of simple sentences from complex sentences, the development of function words, as well as a large number of concomitant changes which are described most systematically in Lehmann (1982/ 1995) (e.g. desemanticization, shrinking syntactic scope, increasing obligatoriness, paradigmaticization, etc.). Lehmann shows that all these changes can be understood as resulting from the gradual loss of autonomy of linguistic signs".

216

Systematisierungsergebnisse hervorbringt, und kommt zu folgendem dreifachen Ergebnis (1996a: 43):

1. Es werden immer und nur dieselben sog. Grundkonzeptverben grammatikalisiert.

2. Es scheint so etwas zu geben wie ein "kognitives Baukastensystem", d.h. "natürliche elementare Vorstellungen von Geschehenskonzepten"346.

3. Sprachwandel ist nicht zufällig, sondern in verschiedenen Sprachen sehr ähnlich.

Mit Lehmann sieht Raible Sprache also nicht als gegebenes System, sondern als kreativen Prozeß, wobei Raible unterstreicht, daß diese Kreativität in hohem Maße bestimmte Bahnen universal bevorzugt347. Dies widerspricht jedoch nicht der grundsätzlichen Annahme der Autonomie des sprachlichen Zeichens oder – mit Lehmann – der Freiheit des Sprechers. Diese manifestiere sich im Zusammenspiel der obligatorischen Zeichen, die das Verstehen sichern, sowie der weniger obligatorischen Zeichen, welche dazu dienen könnten, das jeweils Besondere in jeweils eigener Form auszudrücken. Eben dieses Zusammenspiel könne auch als synchrone Variation beschrieben werden. Für den Bereich Aspekt und Tempus stellt Heine (1995: 131) einen "limited range of concrete conceptual structures" fest, welche in diesem Bereich der Sprachentwicklung festzumachen seien: Heines Sample umfaßt 125 afrikanische und 104 ozeanische Sprachen348. Die Entwicklung erfolge fast immer über periphrastische Strukturen, deren wichtigste Typen die folgenden drei seien:

a) Progressiv aus "X is at Y", d.h. Lokativ + Kopula (vgl. auch Heine et al. 1993)

b) Perfekt: finish/ end-Periphrasen

c) Futur: go/ come oder want/ desire349

Alle drei Typen finden sich auch im Kreol.

346 Anders freilich Alleyne 1996; vgl. dazu den Epilog der vorliegenden Arbeit. 347 Wenngleich die Grammatikalisierung als universelles Phänomen gelten darf (Lehmann

1985, Raible 1996a, 1996b), hat sie laut Lehmann dennoch keine Erklärungsgewalt, denn scheinbar inkonsistente 'Zwischenstufen' könnten über Jahrhunderte bestehen. Es ist also eine funktionale Betrachtung angemessen, die zeigen kann, auf welchem Weg diese und jene Sprache sich geändert hat; dann aber stellt sich weiterhin die Frage nach dem WARUM der Weiterentwicklung einer Sprache an sich. Denn wenn ein linguistisches System heute so funktioniert, warum sollte es dann nicht in der Zukunft gerade so weiter arbeiten? Lehmann würde also einer Position widersprechen, die davon ausgeht, mit der Grammatikalisierung erklären zu können, warum Sprachen sich ändern.

348 Diese Zahlen beziehen sich in der zitierten Veröffentlichung auf räumliche Konzepte. 349 Das deutsche change-of-state-Verb 'werden' wertet der Autor als eher exotischen Fall.

217

Die von Lehmann (1982) entwickelten und in der Literatur oft unverändert übernommenen Kriterien zur Grammatikalisierung lassen sich auch gut am hier untersuchten Kreol analysieren. Die Grammatikalisierung in paradigmatischer Hinsicht ist z.B. daran festzumachen, daß die semantische und phonologische Substanz bei ké > ka alé reduziert wurde. Weiter wurde das Paradigma funktional homogener, da etwa von den konkurrierenden Formen va/ wa und ké für das Futur und en trin (de), kout(i)mé und ka jeweils nur letztere erhalten blieb. Auch formal ist eine Homogenisierung des Paradigmas festzustellen, da die heutigen Partikeln in der Regel einsilbig und präverbal sind (postverbales kaba ist ausgestorben). In syntagmatischer Hinsicht ist die Reihenfolge der Tempus-Modus-Aspekt-Partikeln und der diesen vorangestellten Negation (siehe Kap. VII.1.) heute (anders als früher) festgelegt. Formen wie i ka yenki palé, i té byen fè l' sind im Begriff auszusterben, so daß die Fügungsenge zunimmt. Um nun die rätselhafte Partikel ka auch im Sinne der Grammatikalisierungsforschung entschlüsseln zu können, ist ein zweifacher Nachweis zu erbringen. Zum einen muß deutlich werden, daß in den gesprochenen Varietäten des Französischen der Kolonialzeit emphatische bzw. fokussierende Verbalkonstruktionen mit que verbreitet waren. Zum anderen sollten einzelne fossilierte Formen auf den ursprünglichen Gebrauch einer emphatischen être-à-/ n'avoir qu'à – Periphrase verweisen. Bei naka (< frz. tu/ il/ elle n'a(s) qu'à) könnte es sich in der Tat um fossilierte Strukturen handeln; allerdings verweisen die folgenden Beispiele nicht auf aspektuell-temporale Bedeutungen, sondern auf Obligation bzw. Restriktion:

Mé, é, anvan ... zòt alé, kan zòt fin manjé, anvan zòt pati, to naka fè sa; to naka jwé ké l', tchenbé so bra, épi fè l' sa. 'Mais avant ... de partir, quand vous aurez fini de manger, avant de partir, tu n'as qu'à faire cela, tu n'as qu'à jouer avec lui, lui tenir le bras et lui faire ça.' (Jean-Louis 1987: 347; 359)

Mé, mo déviré, en ében to naka konprann a pou to disparèt. 'Mais quand je reviens, je te ferai disparaître [sic].' (Jean-Louis 1987: 350; 361)

zòt naka vini palé nou ... (Denis 1935: 362; hier zit. n. Schlupp 1997: 338)

nou naka patajé latè-a (Stephenson 1978b: 4; hier zit. n. Schlupp 1997: 338)

Naka ist nicht in der 1. Sg. und 3. Pl., sonst mit allen Personen belegt (am häufigsten mit der 2. Sg.) und auch in Kombination mit té nachweisbar:

To té naka vini (Schlupp 1997: 144)

To té naka vini pou wè l' (Schlupp 1997: 339)

Auf die oben vorgeschlagene Entwicklung deuten auch die folgenden Konstruktionen hin, welche allerdings in synchroner Sicht eher als Subordinationsgefüge zu deuten sind (vgl. Kapitel V):

218

To pas gain engin ca fait jodla, vini doujenein qué nous. (Atipa 1885: 15) 'Tu n'as rien à faire aujourd'hui, viens [donc] déjeuner avec nous.'

nou ka di sa nou gen ka di (Schlupp 1997: 335) 'wir sagen das, was wir zu sagen haben'

to gen oun travail ka fè (Schlupp 1997: 334)

'du hast eine Arbeit, die du erledigen mußt' pa gen ka mélé a pyé granmoun (TGuy 136)

'das gibt es nicht, daß [die Kinder] sich unter die Erwachsenen mischen'

G. Hazaël-Massieux (1992: 656) präzisiert, daß die heute noch in den französischen Varietäten von St-Thomas und St-Barthélémy erhaltene Konstruktion il était qui mangeait als Ausgangsbasis des Réunionkreolischen li té i manzé angenommen werden kann. Auch Fokus und Emphase mit que ist in Überseedialekten vielfach nachzuweisen. Dank der rezenten Veröffentlichung zum Kreolischen von St-Barthélémy (Calvet/ Chaudenson 1998) können hier folgende Beispiele angeführt werden350:

i é ki kour; (104) – Progressiv mit k'

i é ki va travayé (103)

La marachand é ki van dé fig (102)

i Ø travay la tèr (104) – Habitualis ohne k'

ou ti que tu rest351 (64)

ça qu't'es qui fais là (64)

olà que té qui va? (64)

oh la que té qui va (65)

m'a qui va aux nasses avec mon père (65)

Dola/doti k tu sor? (103)

Oti k vouzot é ki va? (103)

Tonton Alexandre boué pa do i boué k d rom (102)

350 St-Barthélémy stellt in zweierlei Hinsicht ein Rätsel für die Kreolistik dar: "Pourquoi

sur un territoire si réduit (25 km2) trouve-t-on deux parlers nettement différenciés, sinon dans leur réalité, du moins dans la conscience et/ ou l'imaginaire linguistiques de la population locale? Pourquoi trouve-t-on un créole dans une zone où la quasi-totalité de la population est blanche et quels caractères partage-t-il avec les autres créoles français de la zone?" (Calvet/ Chaudenson 1998: 4). Siehe auch Calvet/ Chaudenson 1998: 146: "Sans en être, bien entendu, une variété fossilisée, le patois actuel est une résultante de ce français ce que confirment nombre de rapprochements qu'on peut faire avec les français d'Amérique du Nord".

351 Die Graphie der Schüler wurde respektiert; die Übersetzungen stammen von Calvet/ Chaudenson.

219

Ou vlé moin achté pyès-la pou ou oubien Ø moin ba ou larjan la pour achté vou mèm?

Verbdoppelung wie auch die Emphase durch que existierten offensichtlich in den Varietäten des Französischen im 17. Jahrhundert (vgl. Wittmann)352:

chu te 'k chu te tàn'é "j'étais vraiment démoralisé"

sé mwén 'k'chu/ k'a té màlàd "c'est moi qui est/ qui a été malade"

Fassen wir zusammen: Beide Bedingungen (Emphase/ Fokus mit que und fossilierte Strukturen) konnten mit Beispielen belegt werden, so daß in Form einer Tafel der hypothetische Grammatikalisierungspfad von ka notiert werden soll:

352 Vgl. auch Ehrhart (1993: 167): "ma ke fitf" 'je suis très fatigué'; "la ke kuri abrase lja"

'mais comme il a couru pour l'embrasser', "la ke fe dusma" 'il/ elle travaille lentement'. Die älteren Sprecher kennen als archaisch noch: "rja ke: ta kone, ma rja ke kuri fiske lao" 'imagine-toi comme j'ai couru jusque là-haut'. Vgl. zum Emphaseverlust Lehmann 1982: 33. Im deutschen Beispiel kochen tut sie nicht schlecht ist eine emphatische Wendung anzusetzen; für umgangssprachlich sie tut nicht schlecht kochen ist hingegen nicht (mehr) von einer Emphase auszugehen.

220

Französische Dialekte (17. Jh.)

St-Thomas, St-Barth

Kreol (Französisch-Guayana) Isolat---------------Küste

Lokativ und Kopula

être à/ après

Emphase, Fokus 1. il n’a qu’à faire 2. il est à faire, davon expressiv *il est qu'est à faire 3. *il [n'est] qu'à faire (im Sinne von il est tout à faire)

ist sehr weiß/ sauber (ka blan/ prop) Vordergrund in Erzählung

imperfektiver Aspekt (nur Progressiv)

il est à/ après manger

sind am Reiben (ka krokro) ist traurig (ka tris)

imperfektiver Aspekt

(Progressiv + Habitualis )

i é ki manj i été ki manjé (Réunion: li té i manze)

sind am Reiben bzw. reiben jeden Tag (ka krokro) sind eifersüchtig (ka jalou) [gerade jetzt bzw. immer wieder]

Präsens ihr sagt, daß (zot ka di ki ...)

221

Es bleibt jedoch, wenn diese Überlegungen sich bestätigen, – wie oben ausgeführt – eine Frage offen: Warum wurde in einigen Kreolgebieten être à, in anderen être après zum imperfektiven Aspekt grammatikalisiert? Hier könnte ein Konvergenzphänomen mit dem Arawak Aufschluß geben. Goeje (1939: 1)353 beschreibt die komplexe Sprachensituation zur Zeit der Kolonialisierung im heute frankokreolischen Gebiet wie folgt:

Au temps de la découverte, les Antilles [...] étaient habitées par des peuplades parlant probablement des langues diverses. Il y a deux de ces langues, le Taino d'Haïti et le Caribe de la Guadeloupe, etc., dont des restes ont été conservés.

Das besser als das Arawak bekannte Inselkaribische zeichnet sich durch eine besondere Form der Zweisprachigkeit aus: "Cette langue est d'un intérêt tout particulier par son bilinguisme: parler des hommes et parler des femmes". Das heißt, es gab in einigen Bereichen eine doppelte Lexik und auch verschiedene grammatische Strukturen. Ein 'parler' diente den Männern untereinander (sowie zwischen den Geschlechtern), ein anderer den Frauen. Wie war es dazu gekommen?

Une tradition des Caribes disait que cette particularité de leur langue provenait des Caribes (tribu kaliña de la Guyane [Galibi]) qui avaient envahi les Petites Antilles, habitées jusqu'alors par la tribu iñeri (apparentée aux Arawak de la Guyane). Les conquérants ayant tué et mangé les hommes iñeri et gardé les femmes.

Das Karibische des 14./ 15. Jahrhunderts war also eine 'langue mixte':

On peut se figurer qu'au commencement les Kaliña ne connaissant que leur langue à eux, ont exigé de ces femmes [arawak, taino, iñeri] qu'elles apprennent le Kaliña. Mais quand ces femmes s'entretenaient entre elles, elles se servaient naturellement de la langue qui leur était familière [arawak, taino, iñeri].

Die Kinder haben also beide Sprachen gelernt, die Söhne von den Vätern Kaliña, die Töchter (und die Söhne zunächst auch, solange sie als Kinder bei den Müttern waren) das Arawak der Mütter. So erklären sich auch die Arawak-Formen im Kaliña-Wörterbuch von Breton. Es handelt sich in der Tat eigentlich um ein Iñeri-Wörterbuch (wobei dies sehr eng verwandt mit Arawak ist), mit einigen Kaliña-Galibi-Wörtern. Boomert (1984) zeigt, daß viel Austausch zwischen den Kolonialspaniern und den Arawak von Trinidad und der Guayana-Küste herrschte (z.B. 160-166). Vor dem Hintergrund dieser historischen Zusammenhänge liegt es nahe, die Morphosyntax des

353 Die drei folgenden Zitate sind dem Beitrag von Goeje entnommen. Vgl. mit ähnlichen

Überlegungen Alvarez Nazario 1996.

222

Arawak näher anzusehen, um die Sprache auf etwaige Konvergenzen mit dem Französischen bzw. dem frühen Kreolischen zu prüfen. Leider liegen uns über das ältere Arawak nicht viele grammatische Nachrichten vor. Nun ist es sehr interessant, daß eine (laut Re-Edition von einem Missionar namens Schulz verfaßte) Grammatik des Arawak ein ka aufweist. Es bedeutet 'er/ sie ist' . Aber die Grammatik von Schulz ist 1882 ediert; kann sie also für die Zeit der Kreolisierung (wohl um 1700, vgl. Jennings) überhaupt in Betracht gezogen werden? Darüber hinaus soll ka neben 'ist' auch 'oft' bedeuten, dies taucht aber in keinem der Arawak-Glossare so auf; ist die Grammatik also zuverlässig? Eine Kollationierung im Archiv von Herrnhut konnte diese Probleme lösen: Der 1770 in Ostpreußen geborene Missionar Theodor Schulz (gestorben 1850) war von 1800 bis 1806 in Suriname (in Hope an der Corentyn) "zur Bedienung der Indianergemeinde berufen" worden. Folglich kann die Grammatik offenbar nicht aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammen. Doch das Manuskript der Grammatik ist im gut verwalteten Archiv nicht aufzufinden. Nur das Wörterbuch war vorhanden, allerdings mit dem fast überlesenen Zusatz "vermehrt" durch Th. Schulz 1803. Also galt es den Missionar zu finden, dessen Arbeit Schulz erweitert hat; diesen fand ich in Schumann, von dessen Arbeit im Archiv zwei Abschriften vorliegen. Die Vögtle-Abschrift muß der Edition zugrunde gelegen haben. Denn beim Kollationieren löst sich auch ein weiteres Problem. Man liest in Vögtles Handschrift: "ka bedeutet (er, sie, es) ist und oft", dann folgen zwei Beispiele. Doch ist in der Handschrift von derselben Hand Vögtles das "und oft" dünn mit Bleistift durchgestrichen und mit einer Korrekturbemerkung versehen, die darauf deutet, daß er sich verschrieben hatte354, so daß hier keine Inkohärenz in der Grammatik, sondern eine Ungenauigkeit in der Edition vorliegt. In einem dem damaligen Archivar in Herrnhut zugesandten Kongreßbeitrag von 1924 finden sich zu dieser Edition Ausführungen von Rev. James Williams. Williams beschreibt, daß die Aufbereitung dieser Edition nicht sehr gründlich erfolgt ist: Der Leipziger Spezialist für indigene Sprachen Julius Platzmann hatte sich in Herrnhut das Vögtle-Manuskript ausgeliehen und – nur zu Ansichtszwecken! – Lucien Adam in Paris eine Kopie zur Verfügung gestellt. Adam aber veröffentlichte ohne Erlaubnis Platzmanns (oder der Herrnhuter) – und also vermutlich ohne Kollationierung – 1882 das von Schulz "vermehrte" Schumann-Wörterbuch fälschlich unter Schulz'

354 Das "und oft" gehört schon zum zweiten Beispiel.

223

Autorschaft355. Er schlug Schulz zusätzlich und ebenso unzutreffend auch die Autorschaft für die Grammatik zu, "laquelle est malheureusement incomplète, ce qui indique suffisamment qu'elle est l'œuvre du missionaire Théodore Schulz" (L. Adam et al. 1882: III)356. An dieser Grammatik hatte Schulz jedoch nicht einmal 'vermehrend' gearbeitet, sondern sie nur für eigene Übersetzungen genutzt. Demnach war es nicht Schulz, sondern Theophilus Salomo Schumann, der von 1748 bis 1760 in derselben Gemeinde wie später Schulz in Suriname gearbeitet hat357. Das Original der Grammatik ist 1763 bei einem Sklavenaufstand zerstört worden, aber wir haben zwei Abschriften, die von Vögtle und eine vom Sohn Schumanns358.

355 Dieser Text ist heute zugänglich in einem 1968 in Nendeln/ Liechtenstein [Kraus]

nachgedruckten Sammelband als: Schulz, Theodor (1882): "Wörterbuch und Grammatik der arawakischen Sprache. Abschrift eines im Besitze der Herrnhuter Brüder-Unität bei Zittau befindlichen Manuskripts", in: Adam, Lucien/ Crevaux, Jules/ Sagot, Paul/ (1882): Grammaires et vocabulaires roucouyenne, arrouagué, piapoco et d'autres langues de la région des Guyanes, Paris [Maisonneuve], 166-342.

356 Mit dieser nicht ohne weiteres überzeugenden Begründung endet das Vorwort der Herausgeber. In einer diesem Schlußsatz angefügten Fußnote wird auf eine Publikation Brintons verwiesen: D. G. Brinton: "The Arawack language of Guiana in its linguistic and ethnological relations". Bei Brinton 1871: 428 heißt es in der Tat, Schulz sei Autor der Grammatik, und diese sei "in an unfinished condition". Von hier wird der Irrtum Adams et al. verständlicher.

357 Schumann leistete in dieser Zeit Pionierarbeit in sprachlicher Hinsicht, wie aus einem Brief hervorgeht, worin es heißt, daß zwar die Missionsarbeit schon in den zehn Jahren vor seiner Ankunft erfolgreich verlief, "[...] es fehlte [aber] [...] Jemand, der [den] Indianern den Rath Gottes zur Seligkeit deutlicher und ausführlicher darlegen und sie selbst völlig verstehen konnte". Herrnhuter führten im karibischen Raum Missionen in Jamaika, Barbados, St. Kitts (Christopher), Antigua, Tabago [sic], Trinidad, St. Thomas, St. Jan, Santa Cruz; vgl. Karl Müller (1931): 200 Jahre Brüdermission, 1. Band: Das erste Missionsjahrhundert, Herrnhut, Verlag der Missionsbuchhandlung. Interessant auch die Bedeutungsverschiebung von lukku Arawak zu lukku Mensch, die bewußt initiiert wurde, weil die Arawak kein Wort für Mensch hatten: "[...] viele nöthige Worte haben sie gar nicht, als Vertrauen, Zutrauen, Zuversicht, [...] Mensch [...] Doch haben wir von Anfang an dasjenige Wort statt dessen genommen, welches einen Arawacken bedeutet, und [...] alle Indianer, die mit uns umgehen wissen nun, daß bei uns Lukku lúkkuhu nicht Arawack, sondern Mensch bedeutt". Quandt konstatiert es dann 60 Jahre später nur noch in der Bedeutung Mensch.

358 Th. S. Schumann, Grammatik der Arawackischen Sprache; Arawackisch-Deutsches Wörterbuch; unvollendet hinterlassen von Theophilus Salomo Schumann, in der Abschrift von Friedrich Vögtle, ca. 1763, 153 Seiten und unpaginierte Blätter. Die zweite Abschrift vom Sohn Christian Ludwig Salomo ist etwa 1780 zu datieren; sie trägt den Titel Grammatische Sätze von der Arawackischen Sprache.

224

Darüber hinaus sind noch zwei Hinweise im Archiv auffindbar, die die These einer Konvergenz von Französisch qu'à und Arawak ka stützen könnten. Zum einen diente das Arawak noch zu Zeiten Christlieb Quandts (1807: 294) als verbreitete und leicht erlernbare Verkehrssprache:

Die arawackische Sprache kann einen Europäer, der die Küste von Cayenne von der Suriname bis an die Oranoke [sic] und die Insel Trinidat [sic] bereist, von großem Nutzen seyn; denn in dieser Gegend findet man überall einige von dieser Nation.

Zum anderen ist die funktionale Nähe des arawakischen ka zum kreolischen ka der Anfangszeit größer als nach der Schumann-Grammatik gedacht359. Aus den bisherigen Überlegungen kann eine doppelte Hypothese abgeleitet werden, welche die Herkunft der Partikel ka aus spezifischen Faktoren des Sprachkontaktes und der Grammatikalisierung erklärt: 1. Greift man die Ergebnisse der Grammatikalisierungsforschung auf, so entwickelt sich der imperfektive Aspekt typischerweise aus einer Kopula und/ oder einem Lokativ. Dies ist etwa der Fall für die regionalfranzösischen Verbalperiphrasen être après faire und synonymes être à faire360. Beide Periphrasen können präziser gesprochen nur die progressive Bedeutungsschattierung des imperfektiven Aspektes ausdrücken. Vergleicht man das Kreolische von Französisch-Guayana mit dem Kreolischen von Rodrigues, wo die Form des progressiven Aspekts aus einer der genannten Periphrasen des Französischen entstanden sein dürfte (li pé fè < lui, il est après faire), so könnte man fragen, warum die imperfektive Aspektpartikel in Guayana (und Martinique, Guadeloupe) nicht – wie in Haiti, Louisiana, auf den Maskarenen und Seychellen – ebenfalls pé ist (mit den Varianten apré, apé, ap, e). Vergleicht man die Frankokreols mit den englisch- oder iberisch-

359 "Bei den Verbis haben sie die Bequemlichkeit, durchs Vorsetzen des a oder k und

Anhängen einer bei den Verbis gewöhnlichen Endung ein Verbum zu machen, z.B. lana 'schwarze Farbe', darn a-lana-tin 'schwarz machen' ... amün 'bei' k-amü-nin 'bei sein oder haben'" (Quandt 1807: 301). Ka dient also als Verb-Wortbildungsmorphem; zusätzlich gibt es im Arawak wie im Kreol ein präsentatives und subordinierendes a, sowie kuba (vgl. kreolisch kaba < ptg. acabar?) für lange Vergangenes. Noch ein weiteres Argument könnte angeführt werden: Verschiedene Autoren postulieren eine Transparenz und Regularität des Verbalsystems, vgl. Quandt 1807: 294 und Schumann 1748.

360 Der Aufstieg der Periphrase être à beginnt im 15. Jahrhundert, sie konkurriert zunächst mit être + participe présent, um schließlich ganz in deren Funktionsbereich einzurücken (Werner 1980: 309-319); die verdrängte Variante besaß aber die Funktionen der anderen romanischen Periphrasen, so daß in derselben Sprache der gleiche Prozeß (Auswahl – Verallgemeinerung – neue Wahl – dieses wird seinerseits verallgemeinert) mehrfach auftritt (Laca 1996: 44).

225

basierten Kreolsprachen, so stellt man fest, daß für die Imperfektivpartikel in vielen Fällen ebenfalls eine Konstruktion aus Kopula und Lokativ genutzt wird ((s)ta < está a; de/ a < is there/ a-doing < is on-doing), so daß es naheliegt, für ka die in den französischen Dialekten des 17. Jahrhunderts mit être après faire konkurrierende Periphrase être à faire als Ausgangspunkt anzunehmen. Es bleibt jedoch zu klären, wieso hier après, dort ka und wo das 'k' herkommt. 2. Außer Haiti haben die Kreolgebiete mit pé/ ap keine indigenen Bevölkerungsgruppen aufgewiesen. Dort, wo ka verwendet wird (d.h. Kleine Antillen und Guayana), waren indianische Gruppen anzutreffen, vor allem die diglossischen Kariben, deren Sprache nicht (nur) das Karibische, sondern (auch) das Arawak gewesen sein dürfte. Die jüngere Forschung nimmt an, daß die Arawak einen nicht unbedeutenden Kontakt mit der weißen Bevölkerung hatte (vgl. Chaudenson 1992: 12, Prudent 1993: 105, Rouse 1992: 37, Alvarez Nazario 1996: 24ff.361). Die auf Haiti gesprochene Sprache gehört zwar auch zur Arawakfamilie, ist aber ein anderer Zweig, das sog. Taino. Nicht im Taino, aber im Arawak der Kleinen Antillen und in Guayana gibt es ein ka in der Bedeutung er/ sie ist, eine Formulierung, die im ersten Kontakt sicherlich sehr wichtig ist und für reanalysierende Hörer eine gänzlich analoge Funktion wahrnimmt zu progressivem ka, vor allem mit Adjektivoiden oder Adverboiden: i ka gran, i ka la. Damit lägen erstmalig die von Chaudenson (1992: 14) eingeforderten linguistischen Daten vor, die ermöglichen, daß es ein genetisches Verhältnis zwischen der Kontaktsprache der ersten Kolonialisten mit den Arawak (dem sog. baragoin) und dem Kreol (dem sog. langage des nègres) gegeben haben könnte. Führt man diese Argumentation zu Ende, ließe sich die Hypothese formulieren, daß das für den frankokreolischen südkaribischen Raum charakteristische ka aus einer Periphrase wie *il n'est qu'à faire, also einer expressiven Form der progressiven Form il est à faire, entstanden ist, deren Gebrauch gegen die Konkurrenz après faire im Sinne einer Konvergenz von der Arawakform verstärkt wurde, die für die Sprecher sicherlich nicht schwierig zu isolieren und (re)analysieren war362.

361 Die Recherchen von Bill Jennings deuten allerdings auf eine historisch weniger

bedeutsame Rolle der Arawak für die frühe kreolische Gesellschaft für Französisch-Guayana.

362 Die erste, besser belegte Hypothese (emphatischer Progressiv) kann selbstverständlich auch ohne die zweite (Arawak-Konvergenz) bestehen; vgl. zu möglichen historischen Vorbehalten zur zweiten Hypothese z.B. die Arbeit von Bill Jennings.

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VIII. Ergebnisse "Le désordre ne saurait subsister à l'état d'institution, et là où il se met dans le langage, par le mélange des populations, là, dis-je, commence immédiatement un travail d'organisation. Sur les débris du mélange germe lentement un idiome nouveau [...]." (Saint-Quentin über das Kreolische von Französisch-Guayana 1872: 131)

Die vorliegende Untersuchung verfolgte drei Ziele. Zum einen sollte mit Hilfe eines eigenen Korpus eine erste Beschreibung des Aspekt-/ Tempussystems des in den isolierten Siedlungen Französisch-Guayanas gesprochenen Kreols vorgelegt werden. Zum anderen sollten die hier ermittelten neuen Daten mit anderen Kreolsprachen verglichen werden, insbesondere mit dem Kreolischen von Martinique, für das ebenfalls ein neues Korpus erstellt wurde. Schließlich sollten Spuren der diachronen Entwicklung verfolgt werden. Die folgende Darstellung wird die Ergebnisse der Untersuchung dergestalt zusammenfassen, daß die drei Ausgangsfragen gemeinsam beantwortet werden, um den komplexen Zusammenhängen zwischen den Bereichen gerecht zu werden:

Die Untersuchung eines eigenen Korpus gesprochenen Kreols von Französisch-Guayana und Martinique (81 Stunden Aufnahmen) zeigt, daß die wichtigste aspektuelle Opposition Ø (perfektiv) vs. ka (imperfektiv) in Martinique als abgeschlossen-vergangen vs. habituell-präsentisch gefaßt werden kann. In Französisch-Guayana hingegen sind die Marker Ø und ka nicht bestimmten Zeitstufen zuzuordnen. Die Opposition perfektiv-imperfektiv existiert auf den Ebenen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und weist jeweils eine starke Polysemie auf. Der polyseme Charakter ist in besonderem Maße für die Imperfektivpartikel ka zu verzeichnen.

Die von den guayanesischen Isolat-Sprechern erstgenannte Funktion für die häufigste Partikel ka ist die konkrete Prozessualität, die oft mit der visuellen Wahrnehmung einer gerade geschehenden Handlung verbunden ist. In dieser Funktion ist die Partikel ka nicht gegen andere kommutierbar, so daß drei Kriterien (Frequenz, Erstnennung und fehlende Kommutierbarkeit) für die Prozessualität als prototypische Funktion dieser Partikel sprechen. Bricht eine Aktion in eine andere (im Verlauf befindliche) Handlung ein, so ist das Verb, welches diese inzidierende Aktion ausdrückt, in der Regel nullmarkiert, d.h. perfektiv. Hier wird deutlich, daß die mit ka ausgedrückte Handlung immer als begrenzt in der Zeit, d.h. mit Anfang und Ende, gedacht werden kann. Es ist nur so, daß Anfang und Ende nicht im Fokus der Darstellung sind. In der Darstellung zählt vielmehr eine Art von innerer Pluralität des Ereignisses, in welches eine von außen als Ganzes gesehene

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Einzelhandlung 'hineinbrechen' kann. Diese als Inzidenzsekante bezeichnete Aktion wird im Gegensatz zur Inzidenzbasis ohne innere Pluralitität dargestellt. Dies geschieht ganz unabhängig davon, ob sie in der außersprachlichen Wirklichkeit eine innere Ausdehnung besitzt oder nicht. Die bisher beschriebenen aspektuellen Phänomene gelten nicht nur auf der phrastischen Ebene: Kleine Teiltexte mit jeweils überwiegender Null- oder ka-Markierung können alternieren und eine Opposition perfektiver und imperfektiver Teiltexte bilden (vgl. Raible 1990a). Hier ist, da es sich in diesem Fall nicht um eine Einzelaktion handelt, weniger das oben erläuterte Inzidenzschema von Belang. Es geht vielmehr um eine Opposition des Fokussierens und Nicht-Fokussierens einer inneren Pluralität. Ein möglicher Effekt dieser Fokussierung ist eine Form der Vergegenwärtigung einer komplexen Handlung (Hilty 1965). Das heißt, der Sprecher versetzt sich noch einmal in das Geschehen hinein und stellt es in Form einer 'Zeitlupe' als Wiedererlebtes dar. Zur Darstellung kann der Sprecher seinen Blick – im Sinne der für die Analyse fruchtbar verwendeten Kamerametapher – 'auf nah oder fern' oder (mit anderen Worten) auf Details oder Totale einstellen. Diese Perspektiven wechseln typischerweise ab, so daß der jeweilige Text erzählerisches oder erläuterndes Relief erhält. Hier wird ein entscheidender Unterschied zu dem von Harald Weinrich (1964/ 1994) am Französischen entwickelten Reliefschema deutlich, der die Schwierigkeit bei Übersetzungen in das Französische erklärt, da ka (bzw. té ka) meist mit dem imparfait übersetzt wird. Dies ist insoweit treffend, als die Vergangenheitsmarkierung im Kreolischen zumeist in Form von textein- und -ausleitenden Signalen erfolgt und im Französischen ein Tempus der Vergangenheit gerechtfertigt sein kann. Zum anderen aber kann, wie Gerold Hilty (1965) gezeigt hat, das imparfait auch den Effekt der Vergegenwärtigung ausdrücken, nur eben nicht typischerweise. Dadurch kann ein 'Kreuz' im Übersetzungsvergleich entstehen:

GUAYANAKREOL FRANZÖSISCH

imperfektiver Aspekt (ka) VORDERGRUND HINTERGRUND imparfait

perfektiver Aspekt (Ø) HINTERGRUND VORDERGRUND passé simple

Dieses 'Kreuz' erklärt sich weiterhin dadurch, daß das passé simple im Französischen die Vordergrundhandlungen in Form von Handlungsketten

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ausdrückt, im Kreol geht es jedoch weniger um die Opposition Vorder- vs. Hintergrund als vielmehr um Details vs. Totale. Nun erklärt sich auch der Unterschied in der Markierung. Im Kreol ist der imperfektive Aspekt markiert, im Französischen der perfektive markierter; dieser unterschiedlichen formalen Markierung entspricht auch eine funktionale363. Im Martiniquekreol und im Guayanakreol der Küste kann die Hintergrunddarstellung – wie im Französischen – durch den imperfektiven Aspekt geleistet werden. Doch ist die Frage der Markierung noch weitaus komplexer: Der imperfektive Aspekt macht in Abgrenzung zum perfektiven Partner keine Aussage über den Abschluß einer Handlung, drückt also in skalarer Perspektive "weniger" als der perfektive Aspekt aus, daß eine Handlung (tatsächlich) stattgefunden hat. Diese im Vergleich zum perfektiven Aspekt 'geringere Sicherheit' wird durch einen weiteren semantischen Zug noch verstärkt. Anfang und Ende sind denkbar (wenngleich nicht im Blick), d.h., die Gültigkeit der Handlung ist auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Dies kann erklären, warum sich im Korpus für Martinique und – häufiger – für Guayana eine Randfunktion der imperfektiven Partikel ka findet, die bisher meines Wissens noch nicht in der Literatur erwähnt wurde: ka im Unterschied zu Ø kann eine 'nicht so sichere' Aussage, d.h. genauer eine geringere Regreßpflicht im Sinne der darstellenden Modalität versprachlichen (Ludwig 1988). Mit anderen Worten hängt diese Funktion von ka stärker mit der progressiven als mit der habitualen Semantik des Imperfektivmarkers zusammen, da besonders bei ersterer die innere Pluralität und also fehlende Ganzheitlichkeit und Sicherheit impliziert scheinen. Auch dies spricht für die konkrete Prozessualität (Progressivität) als Prototyp im Guayanakreol. Noch zwei weitere Analyseergebnisse weisen in diese Richtung; sie beziehen sich auf Futur und statische Verben. Was das Futur anbetrifft, so fällt auf, daß die Sprecherurteile weit auseinanderklaffen, nicht nur in der Benennung der Partikel ké, sondern auch in der Bewertung der Beispiele, die die Opposition zu ka, das ebenfalls futurisch verwendet wird, betreffen. Während 363 Es erscheint naheliegend anzunehmen, daß anders als das kreolische ka das imparfait

im Französischen keine eigene aspektuelle Wertigkeit besitzt, sondern – z.B. innerhalb des sog. Inzidenzschemas (Pollak 1988) – die Funktion eines imperfektiven Aspektes übernehmen kann. Eine Anwendung des Schemas auf kreolische Beispiele zeigte seine funktionale Berechtigung für die Opposition nullmarkierter vs. mit ka markierter Verben der dynamischen Verboidgruppe. Das Inzidenzschema vermag jedoch – im Französischen wie im Kreol – nicht alle Fälle der Opposition von Vergangenheitstempora zu erklären.

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Sprecher, die zur Schule gegangen sind, ké weniger assertiert als ka einstufen, ist es für die älteren mündlich geprägten Sprecher (Regenwald, Isolate) gerade umgekehrt. Um diesen Widerspruch zu klären, wurde vor allem die Varietät der Regenwaldsprecher genau untersucht. Für diese Sprecher scheint k'alé das am deutlichsten mit dem Begriff von Angela Schrott (1997) aktuell konditionierte zu sein, dann folgt ké, und als besonders virtuell konditioniert scheint ka. Dies leuchtet ein, da k'alé ähnlich wie das ALLER-Futur im Französischen sich noch an der räumlichen, dem Sprecher nahen und von daher aktuellen Konditionierung orientiert. Ké hat sich vermutlich als Kontraktion aus genau dieser Periphrase entwickelt. Wie bereits oben in der Opposition zu Null ist ka das vergleichsweise virtueller Konditionierte. Die Sprecher drücken dies oft durch eine Wenn-dann-Beziehung aus: Wenn x passiert, dann wird auch y geschehen. Daher der Begriff der virtuellen Konditionierung: Ein zu erwartendes (virtuelles) Ereignis liegt zwischen der Aussage und der für die Zukunft projektierten Handlung. Übrigens kann im Korpus der Regenwaldvarietäten (wenn auch selten) auch Null für Futur gebraucht werden, so daß insgesamt Null und ka auf allen drei Zeitstufen gebräuchlich sind, wenn auch mit besonderer Affinität zur Vergangenheit (Ø) bzw. Gegenwart (ka). Zusammenfassend läßt sich folgendes zweites Ergebnis formulieren:

Die große Polysemie der guayanesischen Tempus- und Aspektmarker zeigt u.a. bisher in der Literatur kaum beschriebene Werte der Partikeln wie non-testimonial, thematischer Imperativ (ka) und gnomische Aussage (Ø). Die sich durch diese neuen Funktionen nur vergrößernde Polysemie ist anhand einer Anwendung der Prototypensemantik auf diesen Bereich der Grammatik erläutert worden. Dadurch war es möglich, die Bezüge zwischen den einzelnen Unterkategorien insofern zu erhellen, als dank der Untersuchung von längeren Textbeispielen die Semantik detailliert auch bezogen auf die diskurspragmatische Ebene beschrieben wurde. So konnten die 'familiären Bande' zwischen den Unterfunktionen mit Bezug auf die je prototypische Funktion erläutert werden.

230

Die prototypischen Funktionen von Ø und ka im Guayanakreol können wie folgt gefaßt werden:

Ø KA proto-typische Funktionen

• konkret-faktisch, 'Abbildung' in Totale

• prozessual/ progressiv, 'Abbildung' in Details

• oft mit statischen Verben, starke Interaktion des Aspekts mit der Verbsemantik

• seltener: allgemein-faktisch/ habituell

Sprecher- perspektive

• sich Entfernendes, in die Erinnerung Abgleitendes

• unmarkiert

• Vergegenwärtigtes, wiedererlebt als Handlungsaufbau mit innerer Entwicklung

• markiert (Form, Funktion, Frequenz)

Textstruk- turierung

• Handlungskette • Rhema/ Inzidenzsekante

• Beschreibung/ Gleichzeitiges

• Thema/ Inzidenzbasis

Im Martiniquekreol und dem von diesem beeinflußten Kreol der guayanesischen Küste hingegen sind folgende Funktionen festzustellen:

Ø KA proto-typische Funktionen

• summarisch, 'Abbildung' in Totale

• meist Vergangenes

• allgemein-faktisch/ habituell 'Abbildung' in Details

• meist Gegenwärtiges • selten mit statischen Verben,

wenn, dann habituell/ iterativ

• eher selten: konkret-prozessual (progressiv), wenn betont: la ka

Sprecher- perspektive

• Bezugspunkt außerhalb des Handlungsablaufs

• unmarkiert

• Bezugspunkt innerhalb des Handlungsablaufs

• zunehmend unmarkiert (steigende Frequenz, Funktion nähert sich Präsens an)

Textstruk- turierung

• Vordergrund • Handlungskette • Rhema/ Inzidenzsekante

• Hintergrund • Beschreibung/

Gleichzeitiges • Thema/ Inzidenzbasis

231

Ein auffallender Unterschied zwischen den Kreols von Guayana und Martinique, der aus den vorstehenden Schemata deutlich wird, ist in einem in der Forschung als Spezifikum für Kreolsprachen genannten Bereich festzumachen. Es handelt sich um die Gruppe der statischen Verben. Auf den ersten Blick scheint die in der Literatur bisher nicht wieder aufgegriffene, gleichwohl wichtige Bemerkung von M. Fauquenoy (1972) zuzutreffen, daß das Kreolische von Guayana keinen Unterschied zwischen statischen und dynamischen Verben mache. Für diese Annahme spricht die Beobachtung, daß die folgenden für Guadeloupe (Ludwig 1996) und Martinique (Bernabé 1983; Damoiseau 1984) angeführten Indizien einer Unterscheidung von dynamischen und statischen Verben für Guayana nur bedingt zutreffen:

• té ist past bei statischen Verben, past perfect bei dynamischen Verben,

• ka ist vor statischen Verben blockiert,

• wenn ka doch einmal mit statischen Verben steht, dann liegt iterativ-habituelle, nicht progressive Bedeutung vor.

Der erste Punkt trifft für Französisch-Guayana nur eingeschränkt zu, da auch die dynamischen Verben nur sehr selten past perfect mit té ausdrücken. Deutlicher ist der Unterschied in den Punkten zwei und drei: ka steht durchaus weit häufiger in habitueller Funktion mit statischen Verben. Zusätzlich sind andere Funktionen zu beobachten: die inchoative, die der vorübergehenden Dauer (temporär) und die der Prozessualität und schließlich die des Fokus oder der Emphase. Alles dies sind Funktionen, die auch bei dynamischen Verben vorkommen. Die Unterscheidung von zwei Verbgruppen ist also für Guayana weniger klar vornehmbar als für Martinique. Die Trennung aufrechtzuerhalten erschien jedoch insofern sinnvoll, als zum einen ka bei statischen Verben seltener ist als bei dynamischen. Zum anderen bewirkt die Imperfektivpartikel hier oftmals eine Veränderung der Semantik in Richtung auf Dynamik. Anders ist eine statische Aktion auch kaum in ihrem Verlauf vorstellbar. Auch dies ist für Martinique und Guadeloupe in Ausnahmefällen belegt, jedoch als markierte Variante. Die in den obigen Schemata aufgeführten Unterschiede zwischen Martinique und Guayana seien unter Berücksichtigung von Unterschieden bezüglich der anderen Aspekt- und Tempusmarker zusammengefaßt:

Durch die detailliert beschriebene Semantik der Aspekte und Tempora ist ein Vergleich der Kreols von Französisch-Guayana und Martinique möglich geworden. Dieser Vergleich zeigt, daß trotz des sehr ähnlichen Formenbestandes der Tempus-/ Aspektmarker die Funktionen unterschiedlich sind. Anders als in Martinique kann die Imperfektivpartikel ka in Guayana z.B. mit Zustandsverben kombiniert werden, um temporäre Zustände auszudrücken; oftmals findet durch den Aspekt eine

232

Änderung der Aktionsart statt (z.B. haben > bekommen), so daß eine prozessuale Funktion entsteht. Der Marker té drückt in Guayana mit dynamischen und statischen Verben auch ein habitual past aus (in Martinique mit dynamischen nur past perfect); der Marker ké wird in Guayana eher für ein assertiertes Futur verwendet (in Martinique für ein weniger assertiertes).

Das Guayanakreol ist stärker aspektuell geprägt als das Martiniquekreol und weist also spezifische Charakteristika auf, die es deutlich vom Kreol der Kleinen Antillen unterscheiden. Es teilt wesentliche Eigenschaften mit dem ältesten uns bekannten kreolischen Text, so daß es als Zeuge älterer Sprachstadien gelten kann. Einige konservative Züge weist es wie das Louisianakreolische auf, so daß die von Matteo Bartoli für die Romania eingeführten Raumnormen möglicherweise auf das Gebiet der atlantischen Frankokreolsprachen übertragen werden können. Hier wie dort sind es die spät besiedelten, isolierten und vor allem am Rande liegenden Gebiete, welche konservativere Sprachstufen spiegeln. Zu diesem konservativen Sprachzustand gehört, daß die konkret-prozessuale Funktion der Imperfektivpartikel die wichtigste ist. Auf textstrukturierender Ebene heißt dies, daß nicht etwa Hintergrund (dies eher dann, wenn der Habitualis die Hauptfunktion ist), sondern gerade das Wichtige, das Vergegenwärtigte ausgedrückt wird. Das Wiedererleben einer Aktion als Handlungsaufbau mit innerer Entwicklung gibt ka einen hohen Grad an Markiertheit, den es im Martiniquekreol bei der Hintergrundfunktion weniger besitzt. Die Partikel ka scheint in ihrem Vorkommen zuzunehmen und dabei an Markiertheit einzubüßen. Erst die detaillierte Analyse der äußerst zahlreichen Funktionen von Ø und ka hat gezeigt, daß hier aufgrund von Sprachwandel zwei Systeme vorliegen könnten, welche sich langsam auseinanderentwickeln. Die Annahme Ludwigs (1996) von Verboiden, Adverboiden etc. kann in noch deutlicherer Weise akzentuiert werden, da die in der Forschung für Kreolsprachen für konstitutiv gehaltene Trennung in zwei Verbgruppen für das Guayanakreolische nur eingeschränkt zutrifft. Es ist eher so, daß bestimmte Lexien aufgrund ihrer Semantik eine Tendenz zu einer Wortart haben; grundsätzlich kann dennoch jede Wortart mit ka stehen und dadurch mit verbtypischen Zügen wie einer inneren Pluralität bzw. Akzidenz versehen werden. Der bisherige Eindruck wird sich noch verstärken: Das Guayanakreol erscheint als nicht grundsätzlich, aber graduell verschieden vom Martiniquekreol, als wäre es ein anderer Sprachstand des gleichen Systems. Zunächst ist noch eine genauere Beschreibung des Systems notwendig. Schlupp bemerkt eine auffallend hohe Zahl von nullmarkierten Verben. Auch die unveröffentlichte Arbeit von Flore Peyraud (1983) verzeichnet ein

233

höheres Vorkommen der Nullmarkierung als etwa die Arbeit von Damoiseau zum Martiniquekreolischen. Diese Zahl erhöht sich für die dynamischen (d.h. typischen, vgl. Ludwig 1996) Verben noch vor dem Hintergrund des vorigen Absatzes, da ja mehr statische Verben ka-markiert sind. Doch anders als für Schlupp scheint mir dies kein Hinweis auf stilistische Freiheiten der Sprecher, da sich ohne erheblichen Aufwand eine Erklärung aus dem System liefern läßt. Eine erste Erklärung ergibt sich aus dem gnomischen Gebrauch der Nullpartikel, die etwa bei Sprichwörtern in Guayana höher scheint als in Martinique. Hier liegt eine besondere Form der 'Totale' vor. Das Dargestellte erhält eine höhere Regreßpflicht durch ein zweifach erklärbares Verfahren. Erstens besteht der Gegensatz zur geringeren Regreßpflicht des imperfektiven Aspekts (s.o.); zweitens ist der perfektive Gebrauch denkbar als Verallgemeinerung eines einst erlebten Beispiels, das nunmehr als Fakt (also nicht in seinen Details) versprachlicht wird. Dieser letzte Typ führt uns zu einer weiteren Systemstelle. Es kann ebenso wie das oben erläuterte Inzidenzschema auch im Sinne von Thema/ Rhema gedeutet werden. Hélène Włodarczyk (1997) zeigt nachhaltig die in diesem Sinne textstrukturierenden Eigenschaften von Aspekt. In beiden genannten Textbausteinen drückt in Übereinstimmung mit dem außereinzelsprachlich typischen Fall der perfektive Aspekt das Neue aus, während der imperfektive Aspekt das Alte entwickelt. Dies kann auch erklären, warum im Guayanakreol in ungewohnter Weise für das Frankokreol der Imperativ in einigen Fällen mit der Partikel ka stehen kann; es handelt sich im Korpus stets um bereits vorher erwähnte Handlungsaufforderungen, die noch einmal aktualisiert werden. Sie wirken bei jüngeren Sprechern eher stärker, bei älteren eher weniger stark, so daß eine ähnliche Überkreuzbewertung wie schon beim Futur zu konstatieren ist. Bisher ist die Schriftlichkeit nicht berücksichtigt worden. Wenn die Schrift ins Spiel kommt, verschiebt sich ka tendenziell zur Habitualität, mehr Verben sind markiert, té als past perfect ist häufiger, ké ist weniger assertiert als ka, Null ist häufiger past und té ka ausgewogener Progressiv und Habitualis. Die beiden Verbgruppen werden deutlicher, so daß die Fakten eher wie in Martinique liegen. Diese Beobachtungen lassen sich möglicherweise wie folgt interpretieren: Wenn ka mehr Habitualis ausdrückt, dann wird es abstrakter; es entwickelt sich in Richtung des Präsens, hat weniger das Prozeßhafte, weniger die eingeschränkte Regreßpflicht, wird unmarkierter. Zugleich verliert die Ø-Markierung die entsprechenden Oppositionswerte und geht mehr in Richtung seiner Affinität zur Vergangenheit. Für das Futur heißt dies, daß ka nicht mehr die geringe Regreßpflicht haben kann, denn präsentisches ka hätte im Gegenteil eine hohe aktuelle Konditionierung

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ähnlich wie das französische présent futural364. Diese Beobachtungen seien – fokussiert auf die Imperfektivpartikel ka im Guayanakreol – im folgenden schematisch wiedergegeben:

IMPERFEKTIVPARTIKEL 'KA'

Isolat/ monolingual/ mündlich Küste/ Kontakt Französisch/ schriftlich

I

• konkret-prozessual/ progressiv, 'Abbildung' in Details; seltener: allgemein-faktisch/ habituell

• allgemein-faktisch/ habituell 'Abbildung' in Details; eher selten: konkret-prozessual (progressiv), wenn betont: la ka

• meist Gegenwärtiges

II • mit statischen Verben, starke Interaktion des Aspekts mit der Verbsemantik

• selten mit statischen Verben; wenn doch, dann habituell/ iterativ

III • eingeschränkte Assertion • selten: eingeschränkte Assertion

IV • Vergegenwärtigtes, (wieder)erlebt als Handlungs-aufbau mit innerer Entwicklung

• Hintergrund

V • markiert (Form, Funktion, Frequenz)

• zunehmend unmarkiert (steigende Frequenz; Funktion nähert sich Präsens an)

Aus den vorangegangenen Analysen ist die Tendenz abzulesen, daß die Setzung der Aspekt- und Tempuspartikel durchaus nicht nur stilistisch bedingt ist, wie angenommen wurde (Schlupp 1997), sondern im komplexen Gefüge der drei Ebenen Satz-Text-Diskurspragmatik (Givón 1990) ein Funktionsgefüge erhält, das sich um einen Kern oder Basiswert herum aufbaut. So sind auch insofern die Nebenwerte oder Randbedeutungen in der Regel gut zu erklären, als sie im Sinne der Prototypensemantik Überlappungen mit dem Zentrum und anderen Nebenwerten aufweisen. Diese Werte waren dann klarer zu ermitteln, wenn in präziser Weise die Redesituation mitbedacht und möglichst spontane Rede ausgewählt wurde,

364 Zu erwarten wäre, daß (so wie ka) auch té ka vor allem progressive Werte hat, es tritt

aber das Gegenteil ein: In meinem Korpus ist ein etwas höherer Anteil habitueller Funktionen für té ka zu verzeichnen. Wie kann das sein, wenn doch té rein temporale Funktion haben soll? Dieser Fall zeigt, wie komplex die einzelnen Systemstellen aufeinander einwirken. Denn es muß noch die Information hinzugenommen werden, daß im System der Isolatvarietät sehr wenig té genutzt wird. Dann aber ist der Progressiv von ka abgedeckt; und té ka entspricht eher der abstrakteren Perspektive (Habitualis).

235

die schwerer zu transkribieren ist, schon deshalb, weil schneller gesprochen und mehr präsupponiert wird. Im Bereich der Diachronie ist für die Kreolsprachen in besonderem Maße ein behutsames Argumentieren angemessen, da es kaum schriftliche Dokumente gibt. Die folgenden diachronen Ergebnisse sind daher als Hypothesen zu verstehen, welche möglicherweise als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen dienen können.

Zusätzlich zum mündlichen Korpus wurde erstmalig der 1993 von einem Historiker zufällig wiederentdeckte, vielleicht älteste uns erhaltene kreolische Text (1740 datiert) ebenso wie der jüngst vorgelegte, erste wissenschaftliche Text in antillanischem Kreol untersucht. Die Auswertung läßt begründeter als bisher Hypothesen zur Diachronie zu: Vier Stadien können im Sinne einer Hypothese angenommen werden, wobei das zweite Stadium dem Stand von Guayana, das dritte dem von Martinique und das vierte konzeptionell schriftlichen Texten in beiden Arealen entspricht:

18. Jh. (hypothetisch) Guayana (Isolate)

Martinique und Guayana-Küste365

Schrift (hypothetisch)

viel perfektives Ø (Essenz)

ka progressiv, markiert (Akzidenz)

en trin progressiv koutimé habitual

wa, va, ka alé, ké Futur

wa-VERB-kaba, fin, soti

té past: fakultativ

té ka habitual: fakultativ

Reanalyse unabhängig von Wortklassen

perfektives Ø auch Präsens und Futur

ka mehr Progressiv als Habitualis, unsicheres Futur

--- ---

k'alé, ké (sicher), kay366

fin367

té past und past perfect

té ka habitual: fakultativ

sehr fließende Wortklassengrenzen

perfektives Ø meist past, kein 'gnomic' mehr

ka mehr Habitualis als Progressiv, sicheres Futur

k'alé, ké (unsicher), kay

fin

té past perfect

té ka habitual obligat.

zwei Verbgruppen

Ø past,

ka Präsens und sicheres Futur

k'alé, ké (unsicher), kay

?

té past perfect obligatorisch

té ka Imperfekt

?

365 Allerdings teilt das Guayanesische der Küste manches mit dem Isolat-Guayanakreol, so

etwa die weniger rigide Trennung von statischen vs. dynamischen Verben. 366 Pou ist anders als im Mauritiuskreol nicht in temporalem Sinne grammatikalisiert; es

hat rein modale Werte, z.B. "pou té wè" - 'fallait voir'. 367 Die Funktionsbreite für fin variiert in den unterschiedlichen Frankokreols beträchtlich.

Eine vergleichende Untersuchung könnte hier zeigen, daß es sich vermutlich ähnlich wie bei ka um unterschiedliche Abstraktions- bzw. Grammatikalisierungsgrade handelt.

236

Von links nach rechts kann das Schema – hypothetisch – im Sinne einer diachronen Entwicklung gelesen werden. Es zeigt sich eine durch die Grammatikalisierungsforschungen aus vielen Sprachen gut bekannte Tendenz, das Paradigma zu straffen (en trin, koutimé etc. fallen weg), die Stellung zu vereinheitlichen (postverbales kaba fällt weg und wird teils durch präverbales fin ersetzt).

Die Darstellung auf der übernächsten Seite (sowie auch die Kugel-Schemata im Anhang) dienen – anders als das Präsensschema zum Spanischen (Kap. III.3.) – nicht der Illustration der Methode, sondern faßt wesentliche Korpusanalyseergebnisse für die im Korpus wichtigste Opposition Null vs. ka zusammen. Das erste Ziel ist zu zeigen, daß die vielen Unterkategorien der Aspekte nicht beliebig sind. Das zweite Ziel ist, daß man beim Hintereinanderlesen (je Spalte von oben nach unten) sehen kann, wie der Wandel gehen mag. Dies scheint insofern interessant, als man so Übergänge zeigen kann. Hier wird keine Vollständigkeit angestrebt; es geht um die aus dem Korpusmaterial erschlossenen Merkmale für die Einzelsprachen Guayana- und Martiniquekreol. In der folgenden Darstellung weisen die unterschiedlichen Ebenen auf die verschiedene Nähe zum Prototyp. Es ist ohne Bedeutung, an welchem Ort innerhalb einer Ebene eine Funktion situiert ist. Interessant ist vielmehr die Nähe oder Ferne zum Prototyp sowie die Veränderungen der Prototypen selbst368. Die Kursivierungen geben an, daß die Funktionen von einer niedrigeren Ebene aufgestiegen sind in größere Nähe zum Prototyp oder umgekehrt. Neu hinzugekommene Funktionen sind fettgedruckt. Zur besseren Übersicht seien an dieser Stelle noch einmal die in Kapitel IV entwickelten und in Kapitel V ausgearbeiteten Definitionen der Termini in tabellarischer Form aufgeführt.

368 In der folgenden Übersicht über die wichtigsten Veränderungen werden die Ebenen

zwei und drei der Kugelschemata zusammengefaßt. Zusätzlich sind ganz unten in der Übersicht die Prototpyen für jüngere konzeptionell schriftliche Texte auf Martinique angeführt; diese werden in den Kugel-Schemata im Anhang nicht aufgegriffen.

237

Termini für (teils kontextinduzierte) Funktionen des imperfektiven Aspekts (rechte Spalte) und des perfektiven Aspekts (linke Spalte)

Totale

Details

Verbalgeschehen ferngezoomt, d.h. in der Totale abgebildet, vom Betrachtungspunkt Geschehen von außen fokussiert, eine innere Ausdehnung ist möglich, aber nicht im Blick (vgl. Comries Tropfen-Metapher), ohne innere Pluralität abgebildet, punktuell

Verbalgeschehen nahgezoomt, d.h. in seinen Details abgebildet, vom Betrachtungspunkt aus das Innere des Geschehens fokussiert, mit innerer Pluralität abgebildet, kann prozessual (=progressiv) oder habitual/iterativ sein

punktuell, konkret-faktisch habitual/iterativ/allg.-faktisch

einmalige, konkrete Handlung, assertierbar wie ein Fakt

Habitualität: wiederholte Handlung zu unterschiedlichen Momenten, Iterativität: wiederholte Handlung in einem Moment, allgemeine Faktizität ist aus der Habitualität abzuleiten: zu unterschiedlichen Momenten wiederholte Handlung, doch steht die innere Pluralität weniger im Blick

Essenz/gnomisch Akzidenz/geringe Assertion

Essenz, z.B. bleibende Eigenschaft einer Sache oder Person, Ende (und Anfang) im Blick, etw. als Ganzes gesehen, bei Handlungen kann eine sprichwörtliche Gesetzmäßigkeit ausgedrückt werden (gnomisch), daher hohe Assertion

Akzidenz, jd./ etw. ist 'schon mal so', 'es kommt vor, daß ...', Ende (und Anfang) nicht im Blick, sondern die Aktion 'an sich', über Anfang und Ende wird nichts gesagt, daraus abgeleitet geringe Assertion

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PERFEKTIVER ASPEKT IMPERFEKTIVER ASPEKT

I. Passionstext, 18. Jahrhundert

konkret-faktisch

prozessual

essentiell temporär,

akzidentiell

gnomisch

II. Französisch-Guayana, Isolate; 20. Jahrhundert past thema-

tischer Imperativ

de conatu

Totale Fokus Details, prozessual

stark assertiert

temporär, akzidentiell

habitual

gnomisch,essentiell

inchoativ

iterativ

III. Französisch-Guayana, Küste; Martinique, 20. Jahrhundert

past iterativ

Totale Details, habitual

allgemein-faktisch

prozessual

essentiell

Präsens

stark assertiert

IV. Martinique, jüngere konzeptionell schriftliche Texte

past Präsens

239

Die vorstehende Schematisierung darf nicht als vollständige Darstellung der Aspektopposition mißverstanden werden; sie gilt in dieser Form ohnehin vor allem für Verben, die selbst prototypisch sind (z.B. dynamisch/ transformativ; vgl. Kapitel V.2.5.). Vor dem Hintergrund der Grammatikalisierungspfade, die aus den vorstehenden Schemata abzulesen sind, ließ sich die folgende Hypothese zum Ursprung der vieldiskutierten Imperfektivpartikel aufstellen:

Es konnte anhand der Korpusanalysen und der erstmaligen Untersuchung eines Textes von 1740 eine neue Hypothese zum rätselhaften Ursprung von ka aufgestellt werden, weniger im Sinne einer Etymologie als einer funktionalen Umwertung; es war bisher immer von der heutigen Bedeutung ausgehend gesucht worden, doch muß man nach den hier vorgelegten Analysen nicht nach einem Habitualis, sondern einem emphatischen Progressiv suchen: ?n'être qu'à.

Zusätzlich haben Archivrecherchen einen Irrtum um eine Arawakgrammatik aufgedeckt, die zudem von einem anderen Autor als dem in der (nichtautorisierten) Edition angegebenen verfaßt wurde und ca. 130 Jahre älter ist als bisher angenommen, so daß die Beschreibung sich auf das zur Kreolisierungszeit gesprochene Arawak bezieht. Hier kann im Sinne einer Konvergenzhypothese argumentiert werden, da das Arawak ein freies Morphem ka mit ähnlicher Funktion aufweist.

Bezogen auf die Markiertheit ist also Ludwigs (1996) Unterscheidung von Markiertheit der Form und der Funktion – und bei letzterer einzel- und außereinzelsprachlich – treffend. Denn je nach Einzelsprache können der imperfektive Aspekt, der perfektive Aspekt und das Präsens markiert oder unmarkiert sein. Der imperfektive Aspekt ist tendenziell dann das markierte Glied, wenn er die Prozessualität ausdrückt (ka im Isolat Guayanas), nicht die Habitualität; der perfektive Aspekt ist eher dann markiert, wenn der imperfektive Aspekt vor allem Gewohnheit, Gleichzeitigkeit oder Hintergrund ausdrückt ((té) ka in Martinique; imparfait im Französischen).

Diese Beobachtungen können mit den Ergebnissen der Grammatikalisierungsforschung in Beziehung gesetzt werden: Die Grammatikalisierung im Guayanakreol verläuft auf Pfaden, die aus anderen Sprachen der Welt gut bekannt sind, an deren Anfang eine aus einem Lokativ + Kopula entstandene emphatische Progressivkonstruktion steht, die sich über Hinzunahme von habituellen Werten möglicherweise zu einem Präsens entwickelt. Diese Hypothese könnte die beobachteten Markiertheits-unterschiede erklären, da die Entwicklung von einer anfangs formal wie funktional markierten zu einer funktional eher unmarkierten Form zu beobachten ist.

240

Epilog: Grammatik und Zeit "Simon laissa retomber le rideau. La nuit serait-elle venue si vite? Ou bien le temps s'écoulerait-il 'ici' selon d'autres lois?" (Robbe-Grillet 1981: 69)

Im Prolog ging es um die Frage, wie in der frankokreolischen Kultur der Kleinen Antillen und Französisch-Guayanas von Zeit gesprochen und geschrieben wird. Scharf getrennt von diesen Überlegungen, wurden in der sprachwissenschaftlichen Analyse die Kategorien Aspekt und Tempus untersucht, welche in der vorliegenden Arbeit auch als grammatische Zeiten bezeichnet wurden, da sie Bezugnahmen auf Zeit enkodieren. Die strenge methodische Trennung von Überlegungen zu 'Zeit' und zu 'grammatischen Zeiten', die für die gesamte Arbeit aufrechterhalten wurde, soll nun für ein Wort post festum behutsam aufgehoben werden. Im Prolog ist deutlich geworden, daß die 'Bewahrer der antillanischen Geschichte' eher als 'Bewahrer antillanischer Geschichten' zu verstehen sind. In von ihnen als richtig empfundenen Augenblicken erzählen sie Geschichte(n) in Form von Märchen, Rätseln oder autobiographisch verankerten Schilderungen369. Die Fähigkeit, im erzählenden Erinnern gleichsam wieder mit den Verstorbenen zu leben, gibt der kreolischen Suche nach der Geschichte in den Nebeln der Vergangenheit ihr besonderes Gepräge. Dieses Bild hat aber auch eine tragische Dimension durch die Sklavenzeit, die ein Auffinden der (afrikanischen) Vorfahren unmöglich macht und noch traumatisch nachwirkt370. Doch wie die traumatische Erfahrung aufarbeiten, wenn es keine Spuren gibt? Zur Illustration soll eine bereits im Prolog zitierte Passage aus "Télumée Miracle" noch einmal aufgegriffen werden: "[...] je pense à la vie du nègre et à son mystère. Nous n'avons, pour nous aider, pas davantage de traces que l'oiseau dans l'air, le poisson dans l'eau, et au beau milieu de cette incertitude nous vivons [...]" (1972: 243). Eine aus Dokumenten erarbeitete Erinnerung ist ausgeschlossen. Möglich ist jedoch ein Verfahren, daß auf der Vergegenwärtigung selbsterlebter Geschichte oder (durch die Erzählungen der 'Alten') nachempfundener Geschichten beruht. Dies geschieht durch die Technik des Hineinversetzens (s.o.), so daß die Dinge gleichsam in ihrem konkreten

369 Zu diesen Erzählern gehört auch die alte Dame Télumee Miracle aus dem Roman der

guadeloupischen Autorin Simone Schwarz-Bart; vgl. besonders 1972: 244. 370 Vgl. Ullrich 1998.

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Verlauf vergegenwärtigt und so noch einmal erlebt werden, als geschähen sie gerade jetzt vor den Ohren der Beteiligten:

Alors je ne songe non pas à la mort, mais aux vivants en allés, et j'entends le timbre de leurs voix, et il me semble discerner les nuances diverses de leurs vies, les teintes qu'elles ont eues, jaunes, bleues, roses ou noires, couleurs passées, mêlées, lointaines ... J'entends les paroles, les éclats de rire ...,

... et je pense à ce qu'il en est de l'injustice sur la terre, et de nous autres en train de souffrir, de mourir silencieusement de l'esclavage après qu'il soit fini, oublié.

Die hier benützte Wendung 'de nous autres en train de souffrir, de mourir' ist in dieser Form ungebräuchlich im Standardfranzösischen. Es liegt gleichsam eine zweite 'Schicht' unter der ersten: Zunächst handelt es sich um eine Form, die nur in der Literatursprache korrekt ist, die ein 'unschönes' qui sommes vermeidet und die Verben souffrir/ mourir stärker hervortreten läßt, da sie nicht von qui sommes retardiert werden. Die Wendung ist dann möglich, wenn durch den Kontext klar ist, daß qui sommes gemeint ist, und verweist somit auf die gesprochene Sprache, welche vieles im Kontext Gegebene nicht ausdrückt. Der Bezug zwischen Tempus und Zeit liegt für Hilty (1965: 301) "im Menschen, der das System seiner Sprache als Möglichkeit in sich trägt und es je nach seinen Bedürfnissen in seinem hier und jetzt zu Rede verwirklicht. Haben wir das erkannt, werden wir das Tempussystem einer Sprache an der erlebten Zeit messen und dabei sehen, daß gerade auch dieses System ein Auffassungsschema der erlebten Zeit und damit eine Gerüstform der Zeitlichkeit des Wirklichen ist. Und in diesem Sinne hat Tempus mit Zeit sehr viel, ja alles zu tun". Die Rede ist bei Hilty anders als bei Heger (1963) nicht von physikalischer Zeit, sondern von erlebter Zeit (1965: 289): "Nach meiner Auffassung läuft selbstverständlich der Handlungsablauf auch in der 'erlebten Zeit', und im Zeiterleben ist er zum vornherein [sic] verbunden mit dem Bezugspunkt, das heißt dem Gesichtspunkt dessen, der Sprache zu Rede aktualisiert". Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, daß in spezifischer Weise auch Aspekt dies leisten kann, allerdings nicht im Sinne deiktischen Situierens, sondern subjektiven Blickens auf eine Handlung. Die oben untersuchte Formulierung 'de nous autres en train de souffrir, de mourir' verdankt sich zwar nicht unmittelbar dem Kreolischen, spielt aber doch auf die mündliche kreolische Redeweise an. Das Erlebte wird wie ein konkreter, langsamer, detaillierter, oft furchterregender und schmerzlicher Prozeß wieder-erfahren. Dazu eignet sich die hier benutzte Progressivform des Französischen gut: en train de souffrir. Die Autorin entlehnt nicht direkt

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aus dem Kreol ins Französische, sondern sie favorisiert die dem Französischen eigenen Verfahren im Sinne des Kreolischen371. Im Kreol der Kleinen Antillen und Französisch-Guayanas spielt nun gerade diese Form der grammatischen Bezugnahme zur Zeit, nämlich Handlungen als konkreten Prozeß darzustellen, die wohl prominenteste Rolle372. Es sind aber, auch dies wird noch einmal deutlich, die gleichen grammatischen Zeiten im Frankokreolischen und im Französischen möglich, es ist nur so, daß nicht alle Kategorien für alle Sprachen gleich wichtig sind (vgl. Raible 1996a). In diesem Sinne können zwar in allen untersuchten Sprachen die gleichen grammatischen Zeiten ausgedrückt werden, es sind im Kreol aber andere grammatische Zeiten (als im Französischen) privilegiert373. In der sprachwissenschaftlichen Analyse wurde versucht, Aspekt und Tempus in verschiedenen Kreolsprachen zu untersuchen und für jede Sprache im Sinne eines tertium comparationis dieselben Kategorien anzusetzen, um zu ermitteln, wie und mit welchen Formen diese außereinzelsprachlichen Kategorien in den Einzelsprachen realisiert würden. In beiden untersuchten Kreolsprachen (Französisch-Guayana und Martinique) ist die Kategorie Aspekt mit der binären Opposition perfektiv vs. imperfektiv stärker als die Kategorie Tempus versprachlicht; dennoch können dieselben – auch temporalen – Kategorien wie in anderen Sprachen ausgedrückt werden, so z.B. das past perfect (Vorzeitigkeit innerhalb der Vergangenheit) oder das future perfect (Vorzeitigkeit innerhalb der Zukunft). Ich hoffe, mit den vorliegenden Analysen gezeigt zu haben, daß in den Kreolsprachen Aspekt und Tempus grammatikalisiert sind. Diese Grammatikalisierung wandelt in mancher Hinsicht auf Pfaden, die aus anderen Sprachen der Welt gut bekannt sind (z.B. Progressiv zu Habitualis). Daß dies bisher für Französisch-Guayana nicht erforscht wurde, liegt nicht 371 Ähnlich ist auch die Form en allés zu deuten, die hier für qui s'en sont allés steht.

Gerade beim mündlichen Vortrag des Romans, für den er u.a. geschrieben wurde, würde die lange Form erheblich stören. So wird also auf den Duktus des mündlichen Kreols angespielt, und zwar gerade mit gehobener französischer Literatursprache.

372 Anders als im Französichen, wo en train de eher selten vorkommt und nicht fest im Tempus-Aspekt-System verankert ist.

373 Diese Überlegungen haben selbstverständlich nur unter dem Vorbehalt Gültigkeit, daß trotz der getroffenen Vorsichtsmaßnahmen (vgl. Kapitel III.1.) nur diejenigen Kategorien vorgefunden werden können, über die der Analysierende verfügt. Erst weitere Analysen der Aspekt-/ Tempussysteme anderer mündlicher Sprachen und der Schriftproduktion auf Kreol, die in Guayana und Martinique voraussichtlich ansteigen wird, werden in der Zukunft mehr Auskunft geben können über das Verhältnis von grammatischen Zeiten (Aspekt/ Tempus) und Zeit.

243

nur daran, daß erst in der vorliegenden Arbeit Korpusmaterial für dieses Areal erstellt wurde, sondern möglicherweise auch an der methodischen Herangehensweise. Denn die Regelmäßigkeiten des kreolischen Aspekt-/ Tempussystems sind auf Einzelsatzebene und mit Übersetzungsfragebögen nicht vollständig zu ermitteln, die Semantik der kreolischen Aspekt- und Tempuspartikeln war erst aufgrund der Analyse von textuellen, kontextuellen und diskurspragmatischen Faktoren möglichst spontaner Sprache zu finden. So konnte die aspektuelle Dimension, die für das Französische marginal ist, als im Kreol zentrale beschrieben werden. An dieser Stelle sei auf eine breit angelegte cross-linguistische Untersuchung von Zeitadverbien in 53 Sprachen verwiesen. Der Autor, Martin Haspelmath (1997), kommt zum Ergebnis der 'Universalität der meisten Zeit-Phänomene'374. Das Vorkommen bestimmter einzelsprachlicher grammatischer Zeiten könnte also als spezifische Abwahl aus universal gleichen Möglichkeiten verstanden werden. Von einer analogen Überlegung her zeigt Haspelmath, daß der (mögliche) Ausdruck der Zeit mit Hilfe von Zeitadverbien in den verschiedensten Sprachen erstaunlich einheitlich ist. Heißt dies aber, wie Haspelmath abschließend mit Alverson (1994: 6) annimmt, daß nicht nur Tempus- und Aspektgrammatik, sondern auch das menschliche Zeiterleben auf einem 'panhumanen Bauplan' beruht (1997: 146)? In der Tat scheinen gewisse Grundstrukturen immer wieder versprachlicht zu werden375. So sind etwa die von Stahlschmidt für das Hopi beschriebenen Zeitrelationen in der Grammatik denen des Kreolischen nicht unähnlich (Stahlschmidt 1983: 619f.)376. Ich hoffe, (ähnlich wie Stahlschmidt für das 374 Haspelmath räumt allerdings ein, daß das Ergebnis von der Methode möglicherweise so

'provoziert', d.h. vorbestimmt war: "Since many of the questions I asked in this study concerned the semantics of the sources of temporal markers, I was bound to find more universals than typological divisions" (1997: 146).

375 Wolfgang Raible betont, daß die Systeme der einzelnen Sprachen permanent umorganisiert werden; geschieht dies durch "Verb-Verb-Tandems", so "werden dabei Verben verwendet, die den Ausgangspunkt eines Grammatikalisierungskanals bilden können. Dies sind jedoch nicht beliebige Verben. Es sind etwa nicht Verben für so elementare Tätigkeiten wie 'essen', 'trinken', 'schlafen', 'hobeln' oder 'kämpfen' oder 'sich kratzen'. Es sind andere Konzepte, und interessanterweise finden sie sich in dieser Rolle nicht nur in einer oder in mehreren, sondern in einer Vielzahl von Sprachen. Dabei gibt es manchmal areale Präferenzen – was dahintersteckt, sind jedoch immer kognitive Universalien" (1996a: 74).

376 Die Dissertation führt zu einer Widerlegung einzelner Prämissen der Whorf-Hypothese. Whorf ging davon aus, daß die "metaphysics of the Hopi" eine Zeitvorstellung in unserem Sinne grundsätzlich ausschließen. An die Stelle von Raum und Zeit, nach

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Hopi) für das Kreolische nachgewiesen zu haben, daß Zeit und Zeitbezug den Kategorien des Kreol-Verbalsystems unverzichtbar zugrunde liegen, nur eben – im Vergleich etwa zum Französischen – in spezifischer aspektueller Ausprägung. Für die besonders aspektuell geprägte Varietät des Guayanakreols kann z.B. die imperfektive Perspektive viel umfassender als das französische imparfait, aber nicht grundsätzlich anders, so verstanden werden, daß etwas Vergangenes wiedererlebt wird als ein Aufbau mit einer inneren Entwicklung, d.h. als etwas aus dem Gedächtnis Herankommendes, Vergegenwärtigtes, ja Gegenwärtiges. In der perfektiven Perspektive hingegen stellt der Sprecher das Geschehene als etwas sich in die Vergangenheit Entfernendes oder 'entfernt Habendes' dar; der Blickpunkt liegt außerhalb des Handlungsablaufes oder -aufbaus. So gesehen haben Aspekt und Tempus mit der Versprachlichung der erlebten Zeit im Dienste einer bestimmten Darstellungsabsicht zu tun. Nach dieser Zusammenschau der sprachlichen Analysen soll nun noch einmal auf das Reden von Zeit, also auf eine kulturelle Ebene eingegangen werden. Im Prolog ist zu zeigen versucht worden, daß die uns als grundlegend erscheinenden Bilder (wie z.B. das vom Fluß der Zeit) nicht universal sind. Die im kreolischen Kulturraum spezifische Zeitbenennung z.B. als 'Kettenhund', der vor- und zurückspringt, korreliert mit einer besonderen Geschichtsauffassung. Muß man also beim Zeiterleben weniger von einem ahistorischen universalen a priori als vielmehr von einem Ergebnis phylo- und ontogenetischer Prozesse, d.h. von einem kulturraumabhängigen Zeiterleben ausgehen? Mit Jochen Mecke könnte man einen Aneignungsprozeß annehmen, bei dem "der einzelne [mit zunehmender Integration in die Gesellschaft] bestimmte Arten der Gedächtnissynthese [und] bestimmte Formen der Zeit [internalisiert], die dann tatsächlich wie eine Art transzendentaler Apparat arbeiten, so daß Ereignisse [...] nach bestimmten Mustern zu Zeitstrukturen geordnet werden" (1990: 16f.). Folglich erscheint die kollektiv privilegierte Form der zeitlichen Wahrnehmung von Ereignissen als gesellschaftlich vermittelt und sukzessive erlernt. Als Beispiel für eine sich wandelnde (und nunmehr eventuell dem Kreolischen verwandte) Zeitwahrnehmung in Europa soll ein jüngst

Whorf "the metaphysics underlying our own language", sollten nach diesem Autor in der Sprache der Hopi allein die Bereiche "objective" bzw. "manifested" und "subjective" bzw. "manifesting" versprachlicht sein (Whorf 1932: 58f.).

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erschiener Beitrag Stefan Kleins (1998) aufgegriffen werden. Nach Klein scheint in Europa ein neues Sprechen von Zeit relevant zu werden: "Die Wissenschaft hat Abschied genommen vom jahrtausendealten Bild eines Zeitstroms, der ebenmäßig [...] dahinzieht. In den Berichten der Wissenschaftler entpuppt sich die Zeit als Wesen von dieser Welt. Sie wird erkennbar als Folge und nicht als Urgrund allen Weltgeschehens. Sie erinnert an einen Wildbach, der unter manchen Umständen wild aufschäumt und manchmal stillsteht" (Stefan Klein, Der Spiegel 1, 1998: 93). Wenn auch die Flußmetapher in veränderter Form erhalten bleibt, die Eigenschaften 'wild' und 'nicht kontinuierlich fließend' erinnern an den Vergleich der Zeit mit dem Kettenhund. Allerdings bleiben die Ideen von Linearität und Unaufhaltsamkeit der traditionellen Flußmetapher erhalten. Folgt man der Kleinschen Hypothese, daß Zeit nicht länger ungefragt als Urgrund, sondern als Wesen von dieser Welt besprochen wird, so könnte man folgern, daß das Sprechen von Zeit kulturell bedingt seien. Dann aber sind Änderungen im Reden von Zeit als Indikatoren für einen Wandel der Kultur zu verstehen.

In bezug auf das Sprechen von Zeit sowie bei der grammatischen Analyse der grammatischen Zeiten (Aspekt und Tempus) war die Arbeit bemüht, die Alterität einer kreolischen Sprache zu untersuchen, ohne sie ausgehend von französischen Kategorien zu beschreiben. Zur Alterität der kreolischen Sprache und der kreolischen Kultur führt Derek Walcott in seiner Nobelpreisrede im Jahre 1992 aus, daß aus den Fragmenten, auf denen die kreolische Kultur von Beginn an stünde, nunmehr ein viel stärkeres, neues Ganzes entstehe (1992: 8f.):

Break a vase, and the love that reassembles the fragments is stronger than that love which took its symmetry for granted when it was whole. The glue that fits the pieces is the sealing of its original shape. [...] If the pieces are disparate, ill-fitting, they contain more pain than their original sculpture, those icons and sacred vessels taken for granted in their ancestral places. Antillean art is this restoration of our shattered histories, our shards of vocabulary, our archipelago becoming a synonym for pieces broken off from the original continent.

Die karibisch-kreolische Kultur und Sprache erscheint dem Schriftsteller Walcott daher wie ein "ferment without history, like heaven, [...] a writer’s heaven" (1992: 12), d.h. wie ein Gebiet, in dem in privilegierter Weise Kunst geschaffen werden kann (vgl. Ludwig 1999). Das künstlerische Vorgehen soll befreien von den alten europäischen Vorbildern, dann habe das aus Europa einst zu hörende Diktum ‘Ihr seid noch keine Kultur’ keine Wirkmacht mehr. Die adäquate Entgegnung auf diese Art der Demütigung sei nunmehr: "I am not your [...] culture" (1992: 25). Ein Fresko sei hier zu

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schaffen, "one without importance, but one with real faith, mapless, Historyless" (1992: 36), eines vielleicht ohne lineare Geschichts- und Zeitverwurzelung, und vielleicht eines, in dem die Zeit ist "wie ein Kettenhund"?

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