Assimilation oder Multikulturalismus? Bedingungen ... · Assimilation oder Multikulturalismus?...

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Assimilation oder Multikulturalismus? Bedingungen gelungener Integration Vortrag auf der „Fachtagung Migration“ der GGG-Migration Basel, 9.5.2019 Ruud Koopmans Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) & Humboldt Universität Berlin

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Assimilation oder Multikulturalismus?

Bedingungen gelungener Integration

Vortrag auf der „Fachtagung Migration“ der GGG-Migration

Basel, 9.5.2019

Ruud KoopmansWissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

(WZB)&

Humboldt Universität Berlin

Klassische US-Amerikanische Theorien der Assimilation

• Kulturelle Assimilation (Sprache, soziale Kontakte und Segregation, interethnische Heiraten, Identifikation)

• Strukturelle Assimilation (Bildung, Arbeitsmarkt)

• Normativ: beide galten als legitim und erstrebenswert

• Theoretische Annahme: Kulturelle Assimilation als Voraussetzung für strukturelle Assimilation

Assimilation: the old fashioned way

Schahnur Waghinak Asnawurjan

Assimilation: the old fashioned way

Die multikulturelle Wende

• Bewegungen der 1960er und 1970er: Identitätspolitik; positive Bewertung von kulturellen Unterschieden („politics ofdifference“)

• Assimilationsbegriff wird ersetzt durch Integration (oder neuerdings Teilhabe, Partizipation, Inklusion, Interkulturalität usw.)

• Normativ: kulturelle Integration wird als Ziel von Integrationspolitik abgelehnt – im Gegenteil: Integrationspolitik soll die eigene Kultur der Zuwanderer schützen und für diese Kultur soll einen gleichberechtigten Platz eingeräumt werden

• Theoretische Annahme: Kultur ist irrelevant für strukturelle Integration (die schwache Variante des Multikulturalismus) oder starke ethnische Kultur und Identität als Voraussetzung für strukturelle Integration (die starke Variante)

Teil I:Die normative Seite: Mehrheits- und

Minderheitenrechte

Wichtiges Vorab: in vielen Bereichen können Mehrheits- und Minderheitskulturen problemlos nebeneinander bestehen und so die kulturelle Palette für alle bereichern, z.B. Gastronomie, Musik, Festen

Zwei grundsätzliche Konfliktkonstellationen:1. Mehrheiten verlangen Anpassung von Minderheiten weil

sie bestimmte Minderheitsbräuche als anstößig oder als Verstoß gegen ihre tiefste Prinzipien empfinden

2. Minderheiten verlangen Anpassung von Mehrheiten weil sie bestimmte Mehrheitsbräuche als anstößig oder als Verstoß gegen ihre tiefste Prinzipien empfinden

Die normative Seite: Mehrheits- und Minderheitenrechte

1. Mehrheiten verlangen Anpassung von Minderheiten weil sie bestimmte Minderheitsbräuche anstößig oder als ihren tiefsten Prinzipien verletzend empfinden

Die normative Seite: Mehrheits- und Minderheitenrechte

2. Minderheiten verlangen Anpassung von Mehrheiten weil sie bestimmte Mehrheitsbräuche anstößig oder als ihren tiefsten Prinzipien verletzend empfinden

„Blackface bei Sternsingern ist immer noch ein Problem“

„Traditionen sind wertvoll, dürfen—und sollten—aber auch hinterfragt werden. In einer Zeit, in der die Hautfarbe eines Menschen nicht auf seine Heimat schließen lässt, sind Sternsinger mit schwarz oder gelb geschminkten Gesichtern einfach nicht mehr zeitgemäß.“

“Saatchi Gallery covers up two artworks after complaints from Muslim visitors”

While the gallery said it “fully supported” freedom of expression as a fundamental right, it added: “the gallery also recognises the sincerity of the complaints made against these works and supported the artist’s decision to cover them until the end of the exhibition.”

The head of Islamic studies at the think tank Quilliam, Usama Hasan, said the works were ”really dangerous”, adding: “It’s The Satanic Verses all over again.”

Haben auch kulturelle Mehrheiten ein Recht auf Erhalt und Schutz ihrer Kultur?

Vier Gründe für eine bejahende Antwort

1. Normative und logische Konsistenz: kulturelle Forderungen nationaler Mehrheiten sind nicht weniger legitim als die von nationalen Minderheiten und eingeborenen Völkern

2. Das nationale Selbstbestimmungsrecht durch Mehrheitsentscheidungen wird heutzutage stark eingeschränkt durch Menschenrechtsnormen und Minderheitenschutzbestimmungen. Mehrheitsidentitäten wie „Niederländer“, „Däne“ oder “Schweizer” werden heutzutage nur noch als legitim erfahren wenn sieverweisen auf “jeden der in den Niederlanden lebt” oder “jeder, der die schweizerische Staatsangehörigkeit hat” aber der Niederländer oder der Däne alsMitglied einer ethnokulturellen Gruppe mit ihrer eigenen Tradtionen ist als normativlegitime Kategorie verschwunden.

3. Das Fehlen einer normativen Grundlage für kulturelle Mehrheitsansprüche vergiftetdie öffentliche Debatte und nährt Radikalisierung und Populismus: es führt zu einerKonfrontation von (normativ-legalem) “Recht” und (numerisch-elektoraler) “Macht”

4. In einer kulturell globalisierenden (und in der Praxis oft amerikanisierenden) Welt, ist die Idee, dass nationale Mehrheitskulturen, insbesondere von kleineren Nationen, keinen besonderen Schutz bedürfen, immer weniger haltbar (vgl. z.B. Quebec vs. Dänemark)

Schlussfolgerungen• Konflikte zwischen Ansprüchen von eingeborenen Gruppen, nationalen

Minderheiten und kulturellen Mehrheiten sind Konflikte zwischen moralisch Gleichberechtigten: sie sollten durch Kompromisse und gegenseitige Toleranz gelöst werden unter besonderer Berücksichtigung der schwächeren Gruppe

• Konflikte zwischen historischen Mehrheiten und aus Zuwanderung hervorgegangene Minderheiten sind keine Konflikte zwischen moralisch Gleichberechtigten: historisch verwurzelte kulturelle Gruppen haben normativ stärker begründete Ansprüche als zugewanderte Gruppen, die eine externe Heimat haben, wo ihre Kultur verwurzelt und abgesichert ist

• Natürlich müssen Mehrheiten die fundamentalen Menschenrechte (etwa die Glaubensfreiheit) aller Bürger und Einwohner respektieren. Auch muss die kulturelle Mehrheitsgruppe durch Identifizierung mit der Kultur und Geschichte der Gruppe und nicht über Abstammung oder sogar Rasse definiert sein. Innerhalb dieser Bedingungen hat die Mehrheitsgruppe aber das Recht, ihre Kultur im öffentlichen Raum über die von zugewanderten Gruppen zu privilegieren

• Ein solches normatives Regime würde das intuitive Rechtsgefühl der meisten Menschen entsprechen, das besagt, dass die Welt kein postnationaler, rein universalistischer Ort ist, wo Geschichte, Traditionen und intergenerationelle Werteübertragung sowie emotionale Verbindungen zu Landschaften und Gedenkstätten keine normative Bedeutung haben.

Teil II:

Ist Kultur tatsächlich irrelevant für die Integration?

Das Beispiel der Arbeitsmarktintegration von

Muslimen

Die Herausforderung

0

10

20

30

40

50

60

70

80

Gesamtbevölkerung15-64

Osteuropa BLG+RUM Südeuropa Balkan "Kriegs- undKrisenländer"

Beschäftigungsquote

Arbeitslosenquote

Leistungsabhängigkeit

Quelle: BA Arbeitsmarktdaten 2015

Die „Eurislam“ Umfrage

• Sechs Länder: D, F, UK, NL, B, CH

• Vier überwiegend muslimische Zuwanderergruppen: Türken, Marokkaner, Pakistani und ex-Jugoslawische Muslime; sowie eine Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund

• Erste, „anderthalbte“ und zweite Generation

• > 7.000 Befragte; davon hier die 18-64-jährige Gruppe (etwa 6.000)

Variablen

• Erwerbsbeteiligung und Arbeitslosigkeit

• Bildungsstand und Demographie (Alter, Familienstand, Kinderzahl)

• Soziokulturelle Variablen: Sprachkenntnisse, Mediennutzung, interethnische soziale Kontakte (Nachbarn, Freunde, Familie), Wertvorstellungen über die Rolle der Frau

• Diskriminierungserfahrungen

Ergebnisse: Erwerbsbeteiligung

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Nur Demographieund Bildung

Hohe sozio-kulturelle

Assimilation

Niedrige sozio-kulturelle

Assimilation

Nur Demographieund Bildung

Hohe sozio-kulturelle

Assimilation

Niedrige sozio-kulturelle

Assimilation

Männer (N=3.105) Frauen (N=2.954)

1. Generation

1,5. Generation

2. Generation

ethnische Mehrheit

Ergebnisse: Arbeitslosigkeit

0

5

10

15

20

25

Nur Demographieund Bildung

Hohe sozio-kulturelleAssimilation

Niedrige sozio-kulturelle

Assimilation

Nur Demographieund Bildung

Hohe sozio-kulturelleAssimilation

Niedrige sozio-kulturelle

Assimilation

Männer (N=2.484) Frauen (N=1.731)

1. Generation

1,5. Generation

2. Generation

ethnische Mehrheit

Ergebnisse: Berufsstatus(ISEI Skala; SCIICS Umfrage)

-8

-7

-6

-5

-4

-3

-2

-1

0

1

2

1. Gen 1,5. Gen 2. Gen 1. Gen 1,5. Gen 2. Gen

Männer FrauenNur Bildung undDemographie

Plus Assimilation

Zum Beispiel: der Unterschied zwischen einem einfachen Polizist und einem Polizeiinspektor beträgt 5 ISEI-Punkte; zwischen einem einfachen Polizist und einem privaten Sicherheitsangestellten sind es 10 Punkte.

Schlußfolgerungen

• Die Annahme, dass Kultur und Religion für die strukturelle Integration irrelevant sind, trifft nicht zu: kulturelle Assimilation wirkt;

• Die Ideologie des Multikulturalismus trägt deshalb nicht zur Lösung von Integrationsproblemen bei weil sie die falschen Diagnosen stellt und Lösungen vorschlägt, die die Probleme zum Teil sogar verschlimmern

Aber….

Kulturelle Assimilation bedeutet nicht die Aufgabe der eigenen Identität:

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