Inof DaF · 325 Multikulturalismus, Hyperkulturalität und Inter-kulturelle Kompetenz Lutz Götze...

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Info DaF Informationen Deutschals Fremdsprache Herausgegeben vom Deutschen Akademischen Austauschdienst in Zusammenarbeit mit dem Fachverband Deutsch als Fremdsprache Nr. 4 36. Jahrgang August 2009 Inhalt Artikel Lutz Götze Multikulturalismus, Hyperkulturalität und Interkulturelle Kom- petenz 325 Gesa Singer Wissenschaftliches Lesen – wissenschaftliches Schreiben 334 DaF im Ausland Hanitrarivelo Oliva Rahamaliarison Motivation im DaF-Unterricht in Madagaskar 340 Olga Moskowtschenko und Maria Steinmetz Zur Perspektive von DaF in Zentralasien – die Deutsch-Kasachi- sche Universität (DKU) Almaty als Modellbeispiel 356 Didaktik DaF / Aus der Praxis Sylwia Adamczak-Krysztofowicz und Antje Stork Zur Gestaltung des Hörverstehenstrainings in universitären Sommerdeutschkursen 368 Maik Walter E-Learning im Rahmen der Lehrerbildung: Die Unterstützung von Unterrichtspraktika durch elektronische Lernplattformen 381 Rezensionen Doitchinov, Serge: Modalverben in der Kindersprache. Kognitive und linguistische Voraussetzungen für den Erwerb von episte- mischem können. Berlin: Akademie Verlag, 2007 (studia gramma- tica 67) (Heiko Narrog, Sendai / Japan) 394 (Fortsetzung umseitig)

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InfoDaFInformationen Deutsch als Fremdsprache

Herausgegeben

vom Deutschen

Akademischen

Austauschdienst

in Zusammenarbeit

mit dem

Fachverband

Deutsch als Fremdsprache

Nr. 4 36. Jahrgang August 2009

InhaltArtikel Lutz Götze

Multikulturalismus, Hyperkulturalität und Interkulturelle Kom-petenz 325

Gesa SingerWissenschaftliches Lesen – wissenschaftliches Schreiben 334

DaF im Ausland Hanitrarivelo Oliva RahamaliarisonMotivation im DaF-Unterricht in Madagaskar 340

Olga Moskowtschenko und Maria SteinmetzZur Perspektive von DaF in Zentralasien – die Deutsch-Kasachi-sche Universität (DKU) Almaty als Modellbeispiel 356

Didaktik DaF /Aus der Praxis

Sylwia Adamczak-Krysztofowicz und Antje StorkZur Gestaltung des Hörverstehenstrainings in universitärenSommerdeutschkursen 368

Maik WalterE-Learning im Rahmen der Lehrerbildung: Die Unterstützungvon Unterrichtspraktika durch elektronische Lernplattformen 381

Rezensionen Doitchinov, Serge: Modalverben in der Kindersprache. Kognitiveund linguistische Voraussetzungen für den Erwerb von episte-mischem können. Berlin: Akademie Verlag, 2007 (studia gramma-tica 67) (Heiko Narrog, Sendai / Japan) 394

(Fortsetzung umseitig)

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Karg, Ina: Diskursfähigkeit als Paradigma schulischen Schrei-bens. Ein Weg aus dem Dilemma zwischen Aufsatz und Schrei-ben. Frankfurt/M.: Lang, 2007 (Regina Freudenfeld, München) 395

Kessel, Katja; Reimann, Sandra: Basiswissen Deutsche Gegen-wartssprache. 2. Auflage. Tübingen: Narr, 2008 (UTB 2704) (Ros-sella Pugliese, Cosenza / Italien) 396

Köpcke, Klaus-Michael; Ziegler, Arne (Hrsg.): Grammatik in derUniversität und für die Schule – Theorie, Empirie und Modellbil-dung. Tübingen: Niemeyer, 2007 (Germanistische Linguistik279) (Rossella Pugliese, Cosenza / Italien) 398

Smirnova, Elena: Die Entwicklung der Konstruktion würde +Infinitiv im Deutschen. Eine funktional-semantische Analyse un-ter besonderer Berücksichtigung sprachhistorischer Aspekte.Berlin: de Gruyter, 2006 (Studia Linguistica Germanica 82) (HeikoNarrog, Sendai / Japan) 400

Sohar-Yasuda, Kaori: Transitivität im Deutschen und Japani-schen. Frankfurt/M.: Lang, 2007 (Europäische Hochschulschrif-ten Reihe XXI Linguistik) (Heiko Narrog, Sendai / Japan) 402

Thüne, Eva-Maria; Ortu, Franca (Hrsg.): Gesprochene Sprache –Partikeln. Beiträge der Arbeitsgruppen der 2. Tagung DeutscheSprachwissenschaft in Italien Rom 2006. Frankfurt a. M.: Lang, 2007(Deutsche Sprachwissenschaft international 1) (Rossella Pugliese,Cosenza / Italien) 403

Venohr, Elisabeth: Textmuster und Textmusterwissen aus derSicht des Deutschen als Fremdsprache. Frankfurt a. M.: Lang,2007 (Im Medium fremder Sprachen und Kulturen 11) (ReginaFreudenfeld, München) 405

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Multikulturalismus, Hyperkulturalität und Inter-kulturelle Kompetenz

Lutz Götze

Zusammenfassung Der Verfasser setzt sich auseinander mit neuen theoretischen Konzepten zum Kulturbegriff:Transkulturalität, Hybridkultur und Hyperkultur. Er kritisiert diese Ansätze und wirftihnen Beliebigkeit des Kulturrelativismus sowie ein fehlendes Wertekonzept vor. Stattdes-sen vertritt er einen Kulturbegriff des interkulturellen Dialogs auf der Grundlage derErklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, um ein Miteinander der Kulturenim globale Sinne zu ermöglichen, Vorurteile abzubauen und das Entstehen von Parallelge-sellschaften in den Zentren zu verhindern.

0. Einführung Neuerliche Auseinandersetzungen inden klassischen EinwanderungsländernKanada und Vereinigte Staaten vonNordamerika, aber auch in europäischenStaaten, haben die Diskussion um dasMit- und Gegeneinander von Kulturenneu belebt, zugleich aber die Auseinan-dersetzung um den Kulturbegriff erneutentfacht. Wir setzen damit unsere Argu-mentation aus dem Jahr 2005 fort (Götze2005). In Kanada hat eine Expertengruppe unterLeitung von Gérard Bouchard undCharles Taylor ein document de consulta-tion vorgelegt, in dem, neben zahlreichenanderen Fragen des Zusammenlebens,die ethnisch-kulturellen Differenzen inder Provinz Québec analysiert wurden.Kanada ist seit langem bekannt für seineVielzahl von Ethnien: In Toronto stammtfast jeder zweite Einwohner aus einerEinwandererfamilie und im HerzenMontréals liegt der Ausländeranteil beiknapp einem Drittel. Trotz dieser – imVergleich zu Deutschland – hohen Pro-zentanteile aber sind aus Kanada bislang

weder Rassenunruhen noch nennens-werte Zunahmen rechtsradikaler Par-teien bekannt geworden. Die Forscher-gruppe hat den Ursachen dieses Zustan-des mit einem Fragebogen nachgespürtund ist zu bemerkenswerten Ergebnissengekommen. Im Abschlussbericht sprichtsich die Kommission für ein »accommo-dement raisonnable« (vernünftige Über-einkunft) aller Kulturen und Interessen-gruppen aus und plädiert entschiedenfür einen Interkulturalismus und die un-bedingte Anerkennung der Grundrechtedurch alle Gruppen, seien es Ethnien,Katholiken, Protestanten, Juden, Mus-lime, Freimaurer, Atheisten, Homosexu-elle, Parteien oder Gewerkschaften. Son-derrechte für einzelne Religionsvereineoder gesellschaftliche Gruppen und da-mit der Gedanke des Multikulturalismusals eines lockeren Nebeneinanders unter-schiedlicher Interessenvereine werdenverworfen: Eine eigene muslimische Ge-richtsbarkeit nach dem Vorbild der sha-riah mit ihren Empfehlungen, Gebotenund Verboten lehnt die Kommission ent-schieden ab; gleiches gilt für alle anderen

Info DaF 36, 4 (2009), 325–333

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Gruppierungen. Der Grundwertekatalogder Menschenrechtserklärung der Ver-einten Nationen sei, so der Bericht, füralle Bürgerinnen und Bürger Québecsgleichermaßen verbindlich. Parallelge-sellschaften mit eigenen Rechten undPflichten werden nicht geduldet. So heißtes: »Cette perspective invitait à revenir surl’interculturalisme, l’immigration, la laïcitéet la thématique de l’identité québecoise«.(Bouchard/Taylor 2008: V)

1. Multikulturalität und mehrfacheIdentität Der Inder Amartya Sen, Nobelpreisträgerfür Ökonomie 1998 und Hochschullehreran der Harvard University, setzt sich insechs Vorlesungen, die jetzt vorliegen,mit Samuel Huntingtons Thesen zumKampf der Kulturen auseinander. Er wirftHuntington und dessen Anhängern vor,den Menschen in seiner Vielfalt undmehrfachen Identität radikal zu verkür-zen. »Tatsächlich ist die Annahme, man könneMenschen ausschließlich aufgrund der Re-ligion oder Kultur zuordnen, eine kaum zuunterschätzende Ursache potentieller Kon-flikte in der heutigen Welt. Der darin ent-haltene Glaube an die alles beherrschendeMacht einer singulären Klassifikation kanndie ganze Welt in ein Pulverfaß verwan-deln. Oft wird die Welt ausschließlich alseine Ansammlung von Religionen (oder»Zivilisationen« oder »Kulturen«) betrach-tet, unter Absehung von anderen Identi-täten, welche die Menschen haben undschätzen, darunter Klasse, Geschlecht, Be-ruf, Sprache, Wissenschaft, Moral und Poli-tik. Eine solche einseitige Einteilung löstmehr Konflikte aus als das Universum derpluralen und mannigfaltigen Zuord-nungen, welche die Welt prägen, in der wirheute leben. Der Reduktionismus der ho-hen Theorie kann, oft ungewollt, zur Ge-walt der niederen Politik beitragen«. (Sen2007: 11 f.) Sens Ziel ist es daher, die Illusion einereinzigartigen Identität zu überwinden

und dadurch Gewalt, Hass und Terroris-mus zwischen Religionen und Kulturenabzubauen. Zugleich wendet er sich ge-gen einen »pluralen Monokulturalis-mus«, den er scharf von einem Multikul-turalismus abgrenzt. Der plurale Mono-kulturalismus bedeutet für Sen nichts an-deres, als dass verschiedene Ethnien,Stile und Traditionen nebeneinander –also in Parallelgesellschaften – existieren,einen kulturellen Konservativismus pfle-gen und ihren eigenen Geboten und Nor-men automatisch Vorrang vor anderengeben. Multikulturalismus hingegen seidie Forderung des Tages, also das Aner-kennen vielfältiger Identitäten und derenfriedliches Miteinander der Kooperationund des Dialogs. Sen versteht ›Multikul-turalismus‹ also positiv und völlig an-ders als Bouchard und Taylor. Sein Fazitlautet: Alle müssen lernen, nicht nur dieAlterität des Anderen zu tolerieren undanzuerkennen, sondern auch dessen plu-rale Identität, die geprägt ist durch Ethnie,Religion, Klassenzugehörigkeit, Ge-schlecht, Beruf und Sprache. Gelinge das,würden Hass und Terror gegen anderebald der Vergangenheit angehören.

2. Hybridkultur und Hyperkultur Sens Argumentation hat etwas Verführe-risches und berührt sich mit Homi Bhab-has Konzept einer Hybridkultur. Darinwird der Hybridität in Zeiten des Multi-kulturalismus eine Kulturen schaffendeKraft zugewiesen: »Hybrid ist alles, was sich einer Vermi-schung von Traditionslinien oder von Signi-fikanten verdankt, was unterschiedlicheDiskurse, Technologien verknüpft, wasdurch Techniken der collage, des samplings,des Bastelns zustande gekommen ist«.(Bronfen/Marius/Steffen 1997: 14)

Noch weiter geht der Koreaner Byung-Chul Han, Philosoph in Basel, mit seinempostmodernen Konzept der Hyperkultur,einem Modell also,

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»was nicht vom Entweder-Oder, sondernSowohl-als-auch, nicht von der Kontradik-tion oder vom Antagonismus, sondern vongegenseitiger Aneignung bestimmt wäre«.(Han 2005: 32) An anderer Stelle wird Han genauer: »Die ›intertwingularity‹ oder das ›structan-gle‹ charakterisiert auch die Kultur vonheute. Die Kultur verliert zunehmend [sic –L. G.] jene Struktur, die der eines konventi-onellen Textes oder Buches gleicht […]. DieGrenzen oder Umzäunungen, denen derSchein einer kulturellen Authentizität oderUrsprünglichkeit aufgeprägt ist, lösen sichauf […]. Heterogene kulturelle Inhaltedrängen sich in einem Nebeneinander. Kul-turelle Räume überlagern und durchdrin-gen sich. […]. Nicht das Gefühl des Trans-,Inter- oder Multi-, sondern das des Hyper-gibt exakter die Räumlichkeit der heutigenKultur wieder. Die Kulturen implodieren,d. h., sie werden ent-fernt zu Hybridkul-turen«. (Han 2005: 16 f.) Han sieht im Ergebnis dieses Prozessesein »Mehr an Kultur«. Sie würde demGlobalisierungsprozess angepasst unddamit einerseits befreit von den kultu-rellen Gegensätzen und deren versuchterÜberwindung durch einen Dialog vonEigen- und Fremdperspektive – wie esdem Konzept des Interkulturellen zu-grunde liegt –, andererseits aber auchvon der romantischen Konzeption derNationalkulturen, wie sie Herder entwi-ckelt hat: Kultur ist unverändert stets jeneeines Volkes, die Blüte seines Daseins. Kul-tur in Herders Sinne dient der Vereinheit-lichung nach innen und der Abgrenzungnach außen: deutsche Kultur, franzö-sische Kultur, russische Kultur – der mandurch Geburt zugehört. An anderer Stelle bekennt Herder: »Je mehr die Länder zusammen rückten, dieKultur der Wissenschaften, die Gemeinschaftder Stände, Provinzen, Königreiche undWelttheile zunahm; je mehr also, wie alleLitteratur, so auch Poesie an Raum undOberfläche die Würkung gewann, destomehr verlor sie an Eindrang, Tiefe und Be-stimmtheit«. (Herder 1989: 413)

Für Herder also ist Kulturenmischunggleichbedeutend mit Verfall. Ohne Zweifel ist Herders Kulturbegriffheute nicht mehr akzeptabel. Zum einensind Kulturen nicht durch Nationen oderEthnien definiert, sondern Multikulturenals Ergebnis globaler Migration. Sie warenübrigens Mischkulturen schon zu antikerZeit. Kulturenmischung aber ist Bereiche-rung und kein Verfall. Zum zweiten ist dasKonzept der Nationalkulturen auch des-halb zu verwerfen, weil diese Nationalkul-turen in der Vergangenheit allzu häufigUrsache von Hass, Feindseligkeit undKriegen waren. So schloss z. B. das Verein-heitlichungsgebot von innen während derZeit des Faschismus in Deutschland Judenals Repräsentanten der Kultur aus, weil sieanderen Glaubens waren, den die Natio-nalsozialisten kurzerhand zur Grundlageeiner vermeintlichen jüdischen Rassemissbrauchten. Nach außen aber wurdenNationalkulturen konsequent als Mittelder Abgrenzung, der Diskriminierungund zum Ausschluss des Fremden ver-wendet. Ergebnis waren Eroberungen,Verwüstungen und Kriege. In seinemKern ist der Begriff der Nationalkulturdaher kultur-rassistisch.

3. Transkulturalität Gegen das Konzept der Interkulturalitätwendet sich auch Welsch (vgl. Welsch1994: 95 f.). Er kritisiert, dass die Vertreterdes interkulturellen Denkens zunächstdie Fehler des Herder’schen Konzeptsübernähmen – die These von einer insel-oder kugelartigen Verfassung der Kul-turen, die einander diffamieren und be-kämpfen –, um dann auf einer sekundä-ren Ebene Methoden vorzuschlagen, wiedie Kulturen dennoch friedlich miteinan-der umgingen und zum Dialog fähigseien. Dies sei nicht möglich, weil dieGrundthese der Homogenität und Sepa-riertheit jeder Kultur nicht aufgegebenwerde.

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Welsch stellt dagegen sein Konzept derTranskulturalität: »Ich vertrete dabei vier Thesen: 1. HeutigeKulturen sind grundsätzlich nicht mehreinzelkulturell, sondern transkulturell ver-fasst. 2. Transkulturalität gilt nicht nur aufder Ebene der Kulturen, sondern ebenso aufder Ebene der Lebensformen. 3. Sie wirktsich sogar bis in die Struktur der individu-ellen Identität hinein aus. 4. Zudem sindheute analoge Veränderungen auch im Be-reich der Wissenschaft insbesondere in derRationalitäts- und Disziplinentheorie fest-zustellen«. (Welsch 1994: 95)

Wie Homi Bhabha geht Welsch von einerHybridisierung der Kulturen als Folgeder weltweiten Migrationsprozesse so-wie technologischer Veränderungen aus.Es gebe folglich kein strikt Fremdes oderstrikt Eigenes mehr: »Authentizität ist zum Bestandteil der Folk-lore geworden, ist simulierte Eigenheit fürandere, zu denen man als Einheimischerlängst selber gehört. Das Regionalspezi-fische ist zum Dekor, zur Oberfläche, zurästhetischen Gesinnung geworden. Es gibtzwar noch eine Rhetorik der Nationalkul-turen, aber in der Substanz ist alles trans-kulturell«. (Welsch 1994: 96)

Das Ergebnis seien transkulturelle Le-bensformen, keineswegs mehr nationalunterschiedliche; sogenannte cross-cul-ture people (also Menschen mit Eltern ausunterschiedlichen Kulturkreisen) be-herrschten die globale Szene und auchdie Identitäten seien transkulturell. MitDaniel Bell ist Welsch der Ansicht, dasswir »alle mehrfache Anhänglichkeitenund Identitäten« besitzen (Bell 1980: 243):»Nur transkulturelle Übergangsfähigkeitwird uns auf Dauer noch Identität und soetwas wie Autonomie und Souveränitätverbürgen können«. (Welsch 1994: 99)

Es ist unmittelbar evident, dass WelschsKonzept der Transkulturalität mit ihrerVermischung der Einzelkulturen deut-liche Berührungspunkte mit Homi Bhab-has Hybridkultur aufweist.

Er versucht weiterhin, sein Konzept auchin den Wissenschaften nachzuweisen:Diese seien durch einen Wechsel von denEinzeldisziplinen zur Transdisziplinari-tät gekennzeichnet. Vernetzungen undSynergieeffekte prägten die Wissen-schaftslandschaft statt traditioneller Fä-chergrenzen. Erstaunlicherweise reklamiert Welsch fürsein Konzept der Trankulturalität auchnoch den Theoretiker der Nationalkul-turen Johann Gottfried Herder – dessenKonzept er wenige Seiten vorher ent-schieden kritisiert hatte – und JohannWolfgang Goethe als Ahnherren. DessenKonzept der Weltliteratur sei keineswegsnur – hier stimmen wir zu – die Gegenpo-sition zur Ausgrenzung fremder Kul-turen und Literaturen, sondern im Kernein transkulturelles Konzept: »Eine wahrhaft allgemeine Duldung wirdam sichersten erreicht, wenn man das Be-sondere der einzelnen Menschen und Völ-kerschaften auf sich beruhen läßt, bei derÜberzeugung jedoch festhält, daß daswahrhaft Verdienstliche sich dadurch aus-zeichnet, daß es der ganzen Menschheitangehört«. (Goethe 1977: Band 14, 932)

An anderer Stelle freilich – und diesverschweigt Welsch – äußert sich Goetheweitaus skeptischer in Hinblick auf dieRolle der Weltliteratur beim friedlichenZusammenleben der Völker in der Zu-kunft: »Wenn nun aber eine solche Weltliteratur,wie bey der sich immer vermehrendenSchnelligkeit des Verkehrs unausbleiblichist, sich nächstens bildet, so dürfen wir nurnicht mehr und nichts anderes von ihr er-warten als was sie leisten kann und leistet. Die weite Welt, so weit sie auch ausgedehntsey, ist immer nur ein erweitertes Vaterlandund wird, genau besehen, uns nicht mehrgeben als was der einheimische Boden auchverlieh; was der Menge zusagt, wird sichgränzenlos ausbreiten und, wie wir jetztschon sehen, sich in allen Zonen und Ge-genden empfehlen; dies wird aber demErnsten und eigentlich Tüchtigen weniger

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gelingen; diejenigen aber die sich dem Hö-heren und dem höher Fruchtbaren gewid-met haben, werden sich geschwinder undnäher kennen lernen. […] Die Ernsten müs-sen deshalb eine stille, fast gedrückte Kir-che bilden, da es vergebens wäre der brei-ten Tagesfluth sich entgegen zu setzen;standhaft aber muß man seine Stellung zubehaupten suchen, bis die Strömung vorü-ber gegangen ist«. (Goethe 1907: 502 f.) Goethe betrachtet also das Zusammenrü-cken der Völker durch Verkehr und an-dere Verbindungen durchaus skeptisch.Er sieht Vermassung und Niveauverlustvoraus; für die ›Ernsten‹, also die Dichterund die geistige Elite, gilt es Widerstandzu leisten gegen die immer größere Be-schleunigung – Goethe spricht an ande-rer Stelle von der veloziferischen Gesell-schaft (vgl. Götze 2004) – und die Unter-werfung der Künste unter das Diktat derVermarktung. Goethe also lässt sich nicht für ein postmo-dernes Konzept der Hybridisierung, wiees Welsch vertritt, vereinnahmen. Goetheging es um ein Verstehen des Anderen,um die bessere Kenntnis anderer Kul-turen, die nicht nur toleriert, sondern alsgleichrangig anerkannt werden sollten.In den Maximen und Reflexionen schreibtGoethe: »Toleranz sollte eigentlich nur eine vor-übergehende Gesinnung sein; sie muß zurAnerkennung führen. Dulden heißt beleidi-gen. Die wahre Liberalität ist Anerken-nung«. (Goethe 1977: 9. Band: 614)

Diese, in moderner Sprache, Anerken-nung des Anderen über die Entwicklungeiner Fremdperspektive aber ist bei Goe-the deutlich wertorientiert. Schon früh vonWinckelmanns Studien über die Antikebeeinflusst, sah Goethe die Vollendungder Künste – als wesentliches Elementjeder Kultur – im griechischen Vorbild: inPlastiken des Phidias, den Werken vonHomer, Aischylos, Euripides und Sopho-kles, in der Philosophie des Platon: dasEdle, Schöne und Wahre.

4. Wertorientierung und Normativität Dieser zentrale Gedanke eines Kulturbe-griffs der Wertorientierung und Normati-vität fehlt durchgängig in allen postmo-dernen Kulturtheorien, seien sie nun derHybridität, dem Multikulturalismus, derHyperkultur oder der Transkulturalitätverpflichtet. Mit immer neuen Termino-logien wird hier im Grunde der gleicheInhalt lediglich paraphrasiert: Die Weltist durch Migration geprägt, die Vermi-schung schreitet voran, Grenzen werdenüberwunden oder nicht mehr erkennbar,Authentizität und Einmaligkeit gehörender Vergangenheit an, Kulturen gehenineinander auf. Bei der Suche nach im-mer neuen Benennungen aber setzt gele-gentlich der Verstand aus, so beim Begriffder Transkulturalität: Trans im Wortsinnbedeutet jenseits, auf der anderen Seite,daher z. B. Transatlantik. Was also solltranskulturell oder transdisziplinär heißen?Gibt es ein Jenseits der Kulturen oder einanaloges Jenseits der Disziplinen? Wiesollte das aussehen? Ernst Cassirer hat, auf Kant fußend, des-sen fundamentale Vernunftkritik weiter-geschrieben und in eine Kritik der Kulturumgewandelt. Den Begriff der Vernunftersetzt er durch Kultur, den des Seinsdurch jenen des Tuns (Cassirer 1988: 11;Band 8). Kultur und Tun werden aufein-ander verwiesen: Kultur als Entäußerungder Vernunft findet ihren sichtbaren Aus-druck im Tun, im täglichen Handeln. Einsolcher Kulturbegriff umfasst dahermehr als das Edle, Schöne und WahreWinckelmanns, das freilich Goethe be-reits 1790 – während der Vorbereitungenzur zweiten italienischen Reise – um dasAlltagshandeln erweitert hatte: Acker-bau, Straßenbau, Gewerbe, Beziehungender Menschen untereinander. In diesemSinne hatten wir den von uns vertretenenerweiterten Kulturbegriff verstanden,der

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»nicht im Winckelmann’schen Sinne auf dasEdle, Wahre und Schöne beschränkt ist,sondern auch solche Leistungen umfaßtwie Anbaumethoden, Erziehungssysteme,Umgang mit alten Menschen und Mitbe-stimmungsmodelle«. (Götze/Pommerin-Götze 1992: 118)

Damit wurden die Enge der traditio-nellen Winkelmann’schen, aber auch dieFehler des Herder’schen Kulturbegriffsüberwunden: Weder die Begrenzung aufdie Hochkultur noch die Reduktion desBegriffs auf Nationalkulturen ist für ei-nen modernen Kulturbegriff akzeptabel.Unser Kulturbegriff geht von der grund-sätzlichen Gleichwertigkeit aller Kulturenaus. Nach unserem Verständnis solltenunter diesem erweiterten und wertorien-tierten Kulturbegriff alle Handlungenund Leistungen des menschlichen Geis-tes wie der manuellen Tätigkeit subsu-miert werden, die – und das ist der uner-lässlich normative Aspekt der Definition– der Erklärung der Menschenrechtedurch die Vollversammlung der Verein-ten Nationen von 1948 genügen. Basie-rend auf dem allgemeinen Sittengesetz Im-manuel Kants – und damit ein Produktder Aufklärung – sowie der Déclarationdes Droits de l’Homme et du Citoyen derFranzösischen Revolution hatten 1948 inSan Francisco weit über einhundert Staa-ten einem Grundrechtekatalog zuge-stimmt, der die Schrecken des ZweitenWeltkriegs hinfort bannen, weltweiteGültigkeit haben und dessen VerletzungSanktionen gegenüber den Verantwort-lichen nach sich ziehen sollte, beispiels-weise die derzeitigen Prozesse vor demKriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag.In den Folgejahren unterzeichneten wei-tere Staaten die Erklärung, so dass heuteohne jede Einschränkung die Menschen-rechtserklärung als das weltweit ammeisten anerkannte Dokument der Völ-kergemeinschaft bezeichnet werdenkann.

Zu den Menschenrechten und nicht dis-kutierbaren Grundforderungen gehört inunserem Verständnis heute die Freiheitder Meinungsäußerung, die Demonstra-tions- und Versammlungsfreiheit, dieGleichwertigkeit von Mann und Frau, dieFreiheit der Presse und anderer Medien,die Religionsfreiheit, die körperliche Un-versehrtheit und damit die Ächtung jegli-cher Folter, die Ablehnung jeglicher bio-medizinischer Technologien wie des re-produktiven Klonens oder der Forschungmit embryonalen Stammzellen, die Ableh-nung der Gleichsetzung des menschlichenGehirns mit dem Computer, schließlichdie Verurteilung von Eroberungskriegen.Von gleichem Rang aber sind die vor allemin den Ländern des Südens zu forderndenGrundrechte auf Ernährung und Gesund-heitsvorsorge, auf menschenwürdigeWohnung, schulische Ausbildung unddas Recht auf eine gesunde Umwelt. Alle diese Grundwerte sind weltweit ge-fährdet: Die Zerstörung der lebensnot-wendigen Grundlagen der menschlichenExistenz schreitet voran und erreicht bei-spielsweise in Ländern südlich der Sa-hara bereits heute Menschen bedrohendeDimensionen. Zahl und Brutalität vonKriegen um Ressourcen wie Wasser, En-ergie und Nahrung wachsen dramatisch,das Foltern und Töten kritischer Geisterin Diktaturen nimmt zu, Presse und Mei-nungsfreiheit werden nicht nur in Russ-land und China mit Füßen getreten, dieComputerwissenschaften wollen denMenschen, seine Vernunft und seinenGeist durch den Computer ersetzen. DasSchlagwort von der instrumental-künstli-chen Intelligenz ist zum Mythos gewor-den, zum Schlachtruf der Moderne (vgl.Götze 1995). Wir hatten unseren Kulturbegriff aufzwei Ebenen definiert: der Ethisch-Nor-mativen Ebene sowie der Kulturspezi-fisch-Deskriptiven Ebene (vgl. Götze2005: 125).

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Unser Anliegen ist heute, den Gegensatzvon Kultur und Unkultur deutlicher alszuvor zu betonen und damit die Wertori-entierung dieses Kulturbegriffs zu unter-streichen. Gerade in einer Epoche, in derweltweit die Freiheit des Andersdenken-den und die Kritik an den herrschendenSystemen Zug um Zug eingeschränktwerden, brauchen Intellektuelle und an-dere kritische Geister, die den Repressi-onen und Folterungen in ihren jeweiligenHeimatländern ausgesetzt sind – Russ-land, China, Kamerun, Syrien, Birmaseien pars pro toto genannt – das Erbe derAufklärung, das den vernunftbegabtenMenschen in das Zentrum rückt – einenMenschen also, der selbständig denktund seine Ansichten vertritt, aber sichauch für die Konsequenzen seiner Hand-lungen verantwortlich fühlt, nicht ge-lenkt oder manipuliert durch Götter, Ob-rigkeit oder andere vernunftwidrige Ins-titutionen. Diesen Anspruch an die unbe-dingte Kraft und Macht der Vernunftdürfen die demokratisch verfassten Län-der des Westens niemals aufgeben, undsie müssen diese Kraft deshalb offensivgegen alle jene Mächte verteidigen, die

unter Missbrauch der Verfassung Son-derrechte und eigene Gerichtsbarkeit for-dern. Konkret: Es darf an Schulen Euro-pas keine eigenständigen Gesetze fürmuslimische Schülerinnen und Schülergeben, weder Kopftuch noch Befreiungvom Sportunterricht oder ähnliches. Der-gleichen in falsch verstandener Toleranzzu akzeptieren heißt Ghettoisierung undParallelgesellschaften fördern und etab-lieren. Das friedliche Zusammenlebenunterschiedlicher Ethnien kann nur ge-währleistet werden, wenn für alle Grup-pen – Mehrheit wie Minderheiten – dasgleiche Grundrecht gilt. Bei aller Anerken-nung von Unterschiedlichkeiten und dar-aus folgender Alterität kann diesesGrundrecht nur im Menschenrechtskata-log der Vereinten Nationen, konkretisiertin den Artikeln des Grundgesetzes derBundesrepublik Deutschland, niederge-schrieben sein. Bei aller Verschiedenheitvon Kulturen muss dieses überwölbendeDach für alle am friedlichen Dialog Inter-essierten verbindlich sein. Wer diesenDialog nicht will, darf logischerweiseauch nicht mit der Toleranz der Anderenrechnen.

Kultur 1. Ethisch-Normative Kultur ↔ Unkultur (Barbarei)

Ebene (global) Grundlage: Immanuel Kants Sittengesetz;

Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen 1948; Grundrechtekatalog

II. Kulturspezifisch- Begriffsinhalt: Deskriptive Ebene

Kultur

Künste Kulturelles Alltags- Gedächtnis Kultur

Gefordertes Verhalten: Toleranz gegenüber dem Anderen/Fremden Kulturstandards unterscheiden, Eigen- und Fremdperspektive dialektisch versöhnen; Interkulturelles Verstehen

332

Es führt in dieser Debatte kulturellerGrundwerte nicht weiter, die verschie-denartigen Identitäten jedes Individu-ums – wie es Sen tut – aufzuzählen oderKulturen grundsätzlich als hybrid, multi-oder transkulturell zu bezeichnen, dienebeneinander herleben, wie der ur-sprüngliche Multikulturalismus eswollte. Es müssen Regelungen unter demgemeinsamen Dach der für alle verbind-lichen Menschenrechte gefunden wer-den, die Eigen- und Fremdperspektiveverbinden und den Dialog der Kulturenermöglichen. Grundlage einer Diversifi-zierung (Vielfalt) der Kulturen aber istdie ökonomisch-soziale Angleichung vonZentren und Peripherie, traditionell: Ers-ter und Dritter Welt. Ziel muss die Über-windung von Vorurteilen und Fremdheitsein, doch häufig endet das Gesprächzwischen den Kulturen, indem die Un-vereinbarkeit der Positionen festgestelltwird. Gerade dann werden Regelungennotwendig, die Gewalt und Kriege ver-hindern. Es ist naiv zu glauben – wie Han,Bhabha und Welsch es tun –, im Zeitalterder Globalisierung rückten die Kulturennäher zueinander, vermischten sich undseien als authentisches und eigenständi-ges Phänomen nicht mehr erkennbar. Ander Oberfläche der touristischen Kon-sumwelt, auch der Machtblöcke, mag daszutreffen; im Kern und im Wesen freilichist heute bereits eher wieder eine Dissozi-ation erkennbar, eine Rückbesinnung aufkulturelle Wurzeln. Sprechakte sind nichtuniversaler Natur, sondern kulturspezi-fisch, Akte der Begrüßung und Ausdrü-cke der Höflichkeit oder des Dankes sindes ebenso, in Zeit- und Raumvorstellun-gen unterscheiden sich Kulturen erheb-lich. Die Fremdheit bleibt uns also erhal-ten, die Alterität besteht fort, das kultu-relle Gedächtnis ist kulturspezifisch undnicht globalisiert. Und das ist gut so. Deswegen ist die kanadische Dokumen-tation wichtig: Sie betont die Unabding-

barkeit der Grundrechte für alle und ver-wirft gruppen- und kulturspezifischeRechtsprechungen oder Gesetzesausle-gungen. Sie fordert darüber hinaus alleBürgerinnen und Bürger auf, interkultu-rellen Dialog mit dem Ziel des friedlichenMiteinanders unterschiedlicher Ethnienzu pflegen und voranzubringen. DemMultikulturalismus hingegen – das ab-sichtsvolle oder nur akzeptierte Nebenein-ander unterschiedlicher Kulturen – wirdeine Absage erteilt, weil daraus allzuleicht Diskriminierung und Hass gegenandere entstehen können. Der interkultu-relle Dialog ist der schwierigere Weg,doch er ist ohne sinnvolle Alternative.

Literatur Bhabha, Homi K.: Die Verortung der Kultur.

Tübingen: Stauffenburg, 2000. Bell, Daniel: The Winding Passage. Essays and

Sociological Journeys 1960–1980. Cam-bridge/Mass.: Abt. Books, 1980.

Bouchard, Gérard; Taylor, Charles: Docu-ment de Consultation. 2008. www.accomo-dements.qc.ca.

Bronfen, Elisabeth; Marius, Benjamin; Stef-fen, Therese (Hrsg.): Hybride Kulturen.Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikul-turalismusdebatte. Tübingen: Stauffen-burg, 1997 (Stauffenburg Diskussion, 4).

Cassirer, Ernst: Gesammelte Werke (Hambur-ger Ausgabe). Hrsg. durch die Ernst-Cas-sirer-Arbeitsstelle. Hamburg: Meiner,1998.

Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke.Hrsg. von Ernst Beutler. Band 9, 14. Zü-rich: Artemis, 1977.

Goethe, Johann Wolfgang: Werke (Sophien-Ausgabe oder Weimarer Ausgabe). Hrsg.im Auftrage der Großherzogin Sophievon Sachsen. Reprint der Ausgabe Wei-mar, Böhlau 1887 ff. Lizenzausgabe derSansyusya Publ. Co. 143 Bände. Und 3Bände Nachträge, Erläuterungen und Re-gister zu Abt. IV Briefe. – zusammen 146Bände. Hier Band 42, 2. Abteilung.

Götze, Lutz: »Multikulturelle Gesellschaft:Realität und Visionen«, magazin for-schung. Universität des Saarlandes, Saar-brücken, 2 (1995), 59–63.

333

Götze, Lutz: Zeitkulturen. Gedanken über dieZeit in den Kulturen. Berlin u. a.: Lang,2004.

Götze, Lutz: »Zum Kulturbegriff«, MontCameroun. Afrikanische Zeitschrift für inter-kulturelle Studien im deutschsprachigenRaum. Hrsg. von Albert Gouaffo undSalifou Traoré. Dschang (Kamerun), 2(2005), 125–141.

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Lutz Götze Prof. Dr. phil; geb. 1943 in Schleffin/Pommern; von 1961–1966 Studium derGermanistik, Anglistik und Niederlandi-stik an der Universität Leipzig; Lektor fürdeutsche Sprache in Conakry (Rep. Gui-nea); von 1968–1981 Mitarbeiter des Goe-the-Instituts München; 1978 Promotionzum Dr. phil. an der Albrecht-Ludwig-Universität Freiburg i. Br. mit demThema »Valenzbeschreibung deutscherVerben und Adjektive«. 1981 Ruf an dieRuhr-Universität Bochum; von 1992 bis2009 Professor für Deutsch als Fremd-sprache an der Universität des Saarlan-des.

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Wissenschaftliches Lesen – wissenschaftlichesSchreiben

Gesa Singer

Zusammenfassung Das wissenschaftliche Schreiben wird als Königsdisziplin des deutschen Hochschulsystemsangesehen, aber wegen seiner mangelnden Vermittlung ist es eine Hürde, an der vieleStudierende scheitern, was im DaF-Bereich am dramatischsten deutlich wird. Vor demwissenschaftlichen Schreiben sollten zunächst entsprechende Lesefertigkeiten gelehrt underlernt werden, die eine wissenschaftliche Schreibkompetenz erst ermöglichen. Dabei ist dieDidaktik gerade im Hinblick auf die aktuelle Hochschulentwicklung von entscheidenderBedeutung. Eine vergleichende Darstellung der Germanistik in Griechenland veranschau-licht dieses Desiderat.

1. Einleitung Das wissenschaftliche Schreiben ist eineim deutschen Hochschulsystem hoch be-wertete Studien- und Prüfungsleistung.Nach der Bestandsaufnahme von Kaluza(2009) scheint es keinen Zweifel mehrdaran zu geben, dass das wissenschaft-liche Schreiben als die Königsdisziplinder akademischen Ausbildung angese-hen werden muss. Es wird jedoch zu-gleich allenthalben ein Defizit bei derVermittlung eben dieser wissenschaft-lichen Schreibkompetenz festgestellt:

»Die spärliche, mangelhafte Erzeugung vonWissen, das zu einer Hausarbeit verarbeitetwerden kann, ist die Achillesferse derSchreibdidaktik.« (Kaluza 2009: 42)

So hat Hermanns (2000 [1985]: 124–126)überzeugend dargelegt, wie deutscheStudierende im Gegensatz zu englischenkeine regelmäßige und von Tutoren be-gleitete Übung im Schreiben erhalten,wenngleich der angelsächsische Essayeine Textsorte darstellt, die mit der inDeutschland geforderten Hausarbeitnicht viel gemeinsam hat:

»Auch wird bei diesen essays nicht dieFiktion gepflegt, daß es sich bei ihnen umquasi wissenschaftliche Beiträge handele,weder bezüglich der Form noch auch indem Sinn, daß es bei ihnen auf den neuestenStand der Forschung abgesehen wäre, wiedies bei uns oft der Fall ist.« (Hermanns2000 [1985]: 125)

2. Schreibhilfen und ihre Didaktik Bevor man die Frage stellt: »Warum dasspontane Schreiben an deutschen Uni-versitäten so wenig kultiviert wird«?(Hermanns (2000 [1985]: 123)), muss manzunächst fragen, warum so wenig Text-muster analysiert und vermittelt werden;warum, zumal in den Philologien, zwarlange Leselisten ausgegeben und als prü-fungsrelevant erklärt, aber selten ge-meinsam im Unterricht Texte gelesenund genauer untersucht werden (das be-trifft eher wissenschaftliche als literari-sche Texte). Eine Reihe von Publikationen (vgl. u. a.von Werder 2000; Tütken/Singer 2006,Kruse 2007, Kommeier 2008) und propä-deutischen Seminaren hat in den vergan-genen Jahren diesem Mangel entgegen-

Info DaF 36, 4 (2009), 334–339

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zuwirken versucht. Die Rolle der oderdes Lehrenden ist aber letztlich für dieEntwicklung wissenschaftssprachigerKompetenzen der Studierenden maßgeb-lich, da er oder sie durch eigene Erfah-rungen Analysekriterien vermitteln unddurch Verbesserungsvorschläge mithilfevon Kritik am Text notwendige Schreib-hilfen geben kann, die man sich alleinkaum oder nur sehr mühselig erwirbt.Ihm Rahmen der vor ca. 40 Jahren offeneingeforderten stärkeren Didaktisierungdes Hochschulstudiums wurde demnachauch die Anleitung zum wissenschaftli-chen Schreiben zwar vielfach eingefor-dert; verwirklicht wurde sie jedoch nursporadisch, abhängig vom Lehrpersonal,Seminarangebot und nicht zuletzt denjeweiligen Rahmenrichtlinien der einzel-nen Universitäten und Fachhochschulen.

3. Zum Vergleich: Griechenland In Griechenland entscheiden zentraleHochschulzugangsprüfungen (Panella-dikes Exetaseis) darüber, für welchesFach man sich einschreiben darf. Teildieser Prüfung war viele Jahrzehnte hin-durch der Aufsatz, meist mit gesell-schaftspolitischer Themenstellung, fürden die Studierenden Passepartout-For-mulierungen auswendig lernten, nachdem Schema: »Wenn wir uns alle bemü-hen, können wir die gesellschaftlicheProblematik x überwinden…«. Leidermacht sich diese Art der Schreibsozialisa-tion auch im Rahmen des Germanistik-studiums bemerkbar, wo solche Leerfor-meln oft auftauchen. Schwerwiegenderist, dass viele Studierende abgesehen vonihren sprachlichen Unsicherheiten im-mense Schwierigkeiten bei der Formulie-rung eigener Stellungnahmen haben, daihnen die Analyseinstrumente fehlen, diezur kritischen Verarbeitung vorliegenderTexte notwendig sind. Zumal der Sprach-unterricht in Griechenland vorwiegendauf das Auswendiglernen ausgerichtet ist

und die Teilnehmer an unseren Semina-ren durch Schulen und private Förderein-richtungen (Frontistirien) nicht auf kom-munikative Unterrichtsgestaltung vorbe-reitet sind, bedarf es mehrerer Lern-schritte, bis sie in der Lage sind, eineTextstruktur in ihrer Gesamtheit zu erfas-sen und einzelne Argumente zu benen-nen, Aussageabsichten herauszulesen so-wie von einzelnen Beispielen auf über-greifende Thematiken zu schließen. Diebeträchtliche Gruppe derjenigen Studie-renden, die aus Migranten- oder deutsch-griechischen Familien stammen und ei-nen Teil ihrer Bildungssozialisation inDeutschland (an deutschen und/odergriechischen Schulen) absolviert haben,hat in aller Regel den Kommilitonen vie-les an mündlichem Ausdrucksvermögenvoraus, und auch die schriftliche Kompe-tenz ist häufig deutlich besser ausgeprägt– wobei allerdings nicht selten umgangs-sprachliche Ausdrucksformen vorkom-men. Beim Bearbeiten komplexer Textejedoch teilen nahezu alle diese heteroge-nen Lernenden die gleiche Problematik:Es fehlt an Textsortenkenntnis, an Ab-straktionsvermögen sowie an der Fähig-keit, kompliziert Dargestelltes sprachlichzu paraphrasieren und zu vereinfachen.Aus diesem Grund habe ich mich wäh-rend meiner bisherigen Tätigkeit alsDAAD-Lektorin an der Abteilung fürDeutsche Sprache und Philologie derAristoteles Universität Thessaloniki inmeinen Seminaren darum bemüht, die-ses Defizit der Studierenden auszuglei-chen und in gezielten Lehrveranstaltun-gen (zur Argumentationslehre, zur Di-daktik von deutschsprachiger Literatur,zur Landeskunde, zum wissenschaftli-chen Schreiben) sowie im eigentlichenSprachunterricht verstärkt angeleiteteTextarbeit zu betreiben. Das Ziel hierbeisollte nicht sein, die Teilnehmer mit nochmehr Stoff zu belasten, sondern sie anzu-leiten, selbständige Textlektüre und Ana-

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lyseverfahren zum wertenden Textver-ständnis umzusetzen. Da das Bachelorstudium in Griechenlandjedoch in der Regel durch eine Akkumu-lation von Einzelprüfungen und nur fa-kultativ und in Einzelfällen durch dasAbfassen einer Diplomarbeit abgeschlos-sen wird, fehlt den Studierenden die Mo-tivation, sich mit dem wissenschaftlichenSchreiben intensiver auseinanderzuset-zen, wenngleich in mehreren Pflicht- undHauptfächern Hausarbeiten als Prü-fungsleistung gefordert werden. DieAusgangslage für das wissenschaftlicheSchreiben im Ausland und speziell inGriechenland ist also disparat und pro-blematischer als im deutschen Lernkon-text, wo doch zumindest einheitlicheSprachbeherrschung vorausgesetzt wer-den kann.

4. Wissenschaftlichkeit? Auch Studierende in Deutschland wis-sen oft nicht genau, welche Anforderun-gen eine wissenschaftliche Seminar-oder Abschlussarbeit mit sich bringt.Kaluza verweist auf die »[…] rechtkrude Mischung aus deduktivem Regel-werk (Merkblätter) […] und induktivemBeispiellernen (wissenschaftlicher Arti-kel)« (Kaluza 2008: 41). Daher greifenStudierende gelegentlich zu Publikatio-nen zum wissenschaftlichen Schreiben,von denen sie sich praktische Antwor-ten auf vielerlei Fragen rund um ihrenSchreibauftrag versprechen. Mit Heils-versprechungen sollte der Käufer vonwissenschaftlichen Schreibhilfen aller-dings vorsichtig umgehen; »ultimativ«können solche Handreichungen nursein, wenn der Nutzer sie kompetentumzusetzen versteht bzw. die vermit-telnde Lehrkraft mit dem eigenen Erfah-rungsschatz an Textrezeption und -pro-duktion eine Auswahl der gebotenenBeispieltexte und Übungsformen alsSchreibanregung zu bestimmten

Schreibanlässen in einen Unterrichts-kontext einbaut, der vorbereitendeSchritte sowie Produktionshilfen undumfassende individuelle Korrekturenund Verbesserungsvorschläge mit ein-schließt. Dazu gehören an erster Stelleauch Hilfen zum Entschlüsseln, Analy-sieren und Verarbeiten von verschiede-nen Texten belletristischer, populärwis-senschaftlicher sowie wissenschaftlicherNatur. Wenn die DaF-Studierenden inder Lage sind, z. B. Zusammenfassun-gen, Erörterungen, Kommentare undStellungnahmen nachzuvollziehen,dann fällt ihnen auch die eigene Text-produktion leichter. Darüber hinaus sol-len und müssen die Studentinnen undStudenten sich auch mit den formalenAspekten des wissenschaftlichen Arbei-tens auseinandersetzen, wie dies in denentsprechenden Handbüchern angebo-ten wird. Bei den Formalien wie demkorrekten Zitierverfahren herrscht zwarkeine Einheitlichkeit, zumal je nach Edi-tionsvorgaben der einzelnen Buchver-lage, Kongress-Publikationen und Zeit-schriften verschiedene Gepflogenheitenherrschen; es ist aber nützlich, sie para-digmatisch kennengelernt zu haben undauf Stringenz bei der einmal gewähltenVariante zu achten.

5. Kreativität Die Kreativität ist von einigen Schreibdi-daktikern als entscheidend für den Pro-zess der Textentstehung erkannt worden(vgl. von Werder 2000 u. ö.; Aczel 2004)und hat, in Anlehnung an das ›CreativeWriting‹ der angelsächsischen Ausbil-dungstradition, seit den 1990er Jahrenauch in das Lehrangebot einiger deut-scher Hochschulen Eingang gefunden.Eigenständige Studiengänge für Kreati-ves Schreiben existieren jedoch nur inLeipzig und Hildesheim. Angesichts derdurch den Bologna-Prozess überfülltenCurricula und der strikteren Leistungs-

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anforderungen droht dieser Bereich je-doch stets an den Rand gedrängt undeher ein ›Spielfeld‹ für Schreibwerkstät-ten mit Freizeitwert zu werden. Für denschulischen bzw. propädeutischen Unter-richtszusammenhang könnte in kreati-ven Zugangsweisen jedoch auch einwichtiges Element für den erfolgreichenUmgang mit Texten liegen; so hat Winter(1998) nachgewiesen, dass eine Kombina-tion aus kreativem und traditionellemAufsatzunterricht an Schulen die bestenErgebnisse hervorbringt. Darüber hinausbieten kreative Schreibanlässe auch eineVermittlungsfunktion zwischen literari-schen und wissenschaftlichen Textsorten,die nicht nur der Germanistik- bzw. DaF-Student sich zunutze machen kann (vgl.Ueding 1996: 161 ff.).

6. Lesefertigkeiten

»Die Rhetorik hat seit der Antike einenengen Zusammenhang von Lese- undSchreibübung betont (lectio und scribendo)und in der Nachahmung der Muster einender wichtigsten Übungszwecke gesehen.«(Ueding 1996: 21)

Im Seminarzusammenhang der Universi-täten wird aber die Fertigkeit des kri-tischen Lesens als gegeben angenommen:»Lese- und Texterschließungstechniken wieextensives Lesen und Exzerpieren werdenvorausgesetzt, das wissenschaftlicheSchreiben lernen die Studenten im imitie-renden Selbstversuch […]«. (Kaluza 2009:41),

wobei diese Annäherung an die »Meis-ter« zugleich der Übung und der Prüfungdient, begleitende individuelle Beratungund Korrektur aber häufig fehlen. VieleSchwierigkeiten der Muttersprachlerund umso mehr der ausländischen Stu-dierenden beim Abfassen von wissen-schaftlichen Texten resultieren aus derTatsache, dass sie zu wenige Textmusterkennen und daher ihre Texte oft nichtsachgerecht und treffend formulieren

können. Da sie meist wenig Übung imUmgang mit wissenschaftlicher Literaturhaben, fällt es ihnen schwer, ihre Lektüreeffektiv und ihrem Arbeitsvorhaben an-gemessen zu gestalten. Sich von der inFrage kommenden Literatur ›erschlagen‹zu fühlen und zu resignieren, oder wahl-los alles zu ›konsumieren‹, was nur imEntferntesten den anvisierten Themenbe-reich tangiert, gehört demnach zu dentypischen Erfahrungen etlicher ange-hender Studenten. Oft sind mangelndeKenntnisse des Gegenstandsbereichs so-wie der entsprechenden Literatur auchder Grund dafür, dass Studierende Pro-bleme bei der Gewichtung von Wesent-lichem und Unwesentlichem haben. Beider Beurteilung des vorhandenen Materi-als tun sie sich in der Folge ebensoschwer wie bei der Produktion eines eige-nen Beitrags. Dies betrifft sowohl denBereich der Textgliederung und der in-haltlichen Gestaltung einerseits, als auchden Bereich der Semantik und Stilistikandererseits. Hermanns schlägt für denUnterricht daher das Anfertigen von Le-seprotokollen vor, um mit den Studieren-den ein besseres Textverständnis zu er-zielen: »Die Frage nach der Leseerfahrung einesStudenten […] muß eine echte sein, derDozent kann die Antwort nicht im Vorauswissen. Indem er sie stellt, kann er hoffen,daß er über den Text, um den es geht, undüber die Person, die ihn liest, etwas Neueserfährt.« (Hermanns 2000 [1985]: 135)

Auch der Spracherwerb im Bereich DaFund DaZ wird durch die angeleitete kriti-sche Lektüre möglichst verschiedener au-thentischer Textformen begünstigt underweitert. Die Aussage, »[…] umso bessere Fortschritte macht je-mand in einer fremden Sprache, je mehr erin der fremden Sprache denkt« (Hermanns2000 [1985]: 128; vgl. Berning 2001),

ließe sich problemlos erweitern um dieTätigkeiten Lesen und Schreiben.

338

»Die Lehrmaterialien, Progressionsvor-schläge, Lehrhilfen der Lehrenden bedür-fen der Flexibilisierung und der Individuali-sierung. Die besondere Leistung der Fremd-sprach-Unterrichtenden besteht in derhochspezialisierten Qualifikation, spezi-fische Lernangebote zu entwickeln, vorzuhal-ten und einzusetzen.« (Ehlich 1998: 24 f.) Den Erfordernissen der Lerngruppe so-wie des Einzelnen gilt es im Schreibun-terricht und insbesondere bei der indivi-duellen Korrektur und RückmeldungRechnung zu tragen: »Aus dieser adressatenspezifischen Grund-situation leitet sich die Aufgabe des univer-sitären Schreibunterrichts im DaF-Bereichab, einerseits die Komplexität des Schreib-prozesses in seinen wesentlichen Kompo-nenten bewusst zu machen und anderer-seits das jeweils herkunftskulturell ge-prägte Wissen über Schreib(stil)konven-tions- und Textmuster durch gezielte Erfah-rung und Übung z ie lsprachl icherSchreib(stil)konventionen und Textmusterzu erweitern.« (Tütken/Singer 2006)

7. Ausblick Kaluza prognostiziert einen sinkendenStellenwert für das wissenschaftlicheSchreiben im Zuge der Umstellung derStudiengänge, »[…] was auch Einflussauf die Qualität haben könnte« (Kaluza2009: 47). Gleichzeitig werde die Bedeu-tung der Schreibdidaktik im Hinblickauf die Berufsqualifizierung an Hoch-schulen wachsen. Gerade in dieser Kon-stellation sowie mit Blick auf einen

wünschenswerten studienbegleitendenAnstieg der Medienkompetenz der Stu-dierenden werden jene Arbeitsschritte,die traditionell das wissenschaftlicheSchreiben vorbereiten helfen sollen, wiekursorisches Lesen (vgl. die SQ3R-Me-thode1), inhaltliche Prüfung von Textin-halten, Analyse von Textaufbau und Ar-gumentationsführung, kritische Über-prüfung von Themenbezug und Text-aussage etc., zu unvermeidlichen Studi-entechniken, deren Bedeutung dieHochschuldidaktik nicht unterschätzensollte (die Beiträge in Ehlich/Steets 2003bestätigen diesen Eindruck). In diesemSinne verspricht die Neuerscheinungvon Lutz von Werder: Einführung in daswissenschaftliche Lesen (2010) eine Lückezu schließen, die bei der Fixierung aufdie wissenschaftliche Textproduktioninnerhalb der hochschuldidaktischenDiskussion der letzten Jahre offen ge-blieben ist. »Besonders im Fach ›Deutsch als Fremd-sprache‹, dem ja von jeher eine stärkereAffinität zu didaktischen Fragestellungenzugestanden wird, als dies in der Germanis-tik der Fall ist, ist eine fundierte wissen-schaftliche Auseinandersetzung mit didak-tischen Fragen notwendig, um die Profilie-rung des Faches zu stärken.« (Singer 2006:294)

Vor dem wissenschaftlichen Schreibensteht somit in jedem Fall das wissen-schaftliche Lesen.

1 »Ein effektiver Umgang mit Lektüre ist die SQ3R-Methode.Das S steht für survey: Am Anfang ist es sinnvoll, sich einen Überblick über das Buch zuverschaffen, wie z. B. durch einen Blick auf das Vorwort oder das Inhaltsverzeichnis. DasQ steht für question: Noch bevor die Studierenden mit dem Lesen beginnen, sollten sieFragen an den Text stellen: Was erwarte ich von der Lektüre? Welchen Bezug hat er zudem Thema, an dem ich arbeite? R steht für read: Erst jetzt beginnt das eigentliche Lesen.Wichtige oder unklare Stellen sollten markiert werden. Noch ein Tipp: Nicht zu viel aufeinmal lesen! Das zweite R steht für recite: Das Gelesene wird jetzt in eigene Wortegefasst. Wichtiges wird notiert. Die Fragen, die man sich vor Lesebeginn gestellt hat,sollten jetzt beantwortet werden können. Das dritte R steht für review: Zur weiterenVertiefung und um Unklarheiten zu beseitigen, werden einzelne Stellen nochmalsgelesen«. (Schreiber, Anja: »Wissenschaftliches Lesen leicht gemacht«, http://www.lit-tera.de/artikel/lesen.html; letzter Besuch: April 2009).

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Literatur Aczel, Richard: Creative Writing. Barcelona

u. a.: Klett Sprachen, 2004 (Uni Wissen:Anglistik / Amerikanistik.

Berning, Johannes: Schreiben als Wahrneh-mungs- und Denkhilfe. Elemente einer holi-stischen Schreibpädagogik. Münster: Uni-versität, 2001 (Dissertation).

Ehlich, Konrad; Steets, Angelika (Hrsg.):Wissenschaftlich schreiben – lehren und ler-nen. Berlin; New York: de Gruyter, 2003.

Ehlich, Konrad: »Fremdsprachendidaktik –Perspektiven für DaF in einer sich wan-delnden Kommunikationswelt«. In: Dorf-müller-Karpusa, Käthi; Vretta-Panidou,Ekaterina (Hrsg.): Thessaloniker Interkultu-relle Analysen. Akten des 33. LinguistischenKolloquiums in Thessaloniki. Berlin u. a.:Lang, 1998, 14–27 (Linguistik Internatio-nal, 3).

Hermanns, Fritz: »Schreiben im Vergleich.Zu einer didaktischen Grundaufgabe in-terkultureller Germanistik«. In: Wierla-cher, Alois (Hrsg.): Das Fremde und dasEigene. Prolegomena zu einer interkulturel-len Germanistik. München: Iudicium, 2000[1985], 123–139.

Kaluza, Manfred: »WissenschaftlichesSchreiben: Die Hausarbeit. Eine Be-standsaufnahme«, Info DaF 36, 1 (2009),35–52.

Kommeier, Martin: Wissenschaftlich schrei-ben leicht gemacht. Für Bachelor, Master undDissertation. Bern: Haupt, 2008.

Kruse, Otto: Keine Angst vor dem leeren Blatt.Ohne Schreibblockaden durchs Studium. 12.,völlig neu bearbeitete Auflage. Frankfurta. M.: Campus Concret, 2007.

Schreiber, Anja: »Wissenschaftliches Lesenleicht gemacht«, http://www.littera.de/artikel/lesen.html.

Singer, Gesa: »Wissenschaftliches und krea-tives Schreiben im Deutsch-als-Fremd-

sprach-Unterricht«. In: Estudios FilológicosAlemanes. Revista del Grupo de Investiga-ción Filología Alemana, Vol. 11. Sevilla,2006, 293–306.

Tütken, Gisela; Singer, Gesa (Hrsg.): Schrei-ben im DaF-Unterricht an Hochschulen undStudienkollegs. Aufgaben zur sachorientier-ten, freien und universitätsbezogenen Text-produktion. Regensburg: FaDaF, 2006 (Ma-terialien Deutsch als Fremdsprache, 75).

Ueding, Gert: Rhetorik des Schreibens. EineEinführung. 4. Auflage. Weinheim: BeltzAthenäum, 1996 (Studienbuch Literatur-wissenschaft).

Werder, Lutz von: Das kreative Schreiben vonwissenschaftlichen Hausarbeiten und Refera-ten. Berlin: Schibri, 2000.

Werder, Lutz von: Einführung in das wissen-schaftliche Lesen. Berlin: Schibri [angekün-digtes Erscheinen 2010] (InnovativeHochschuldidaktik, 18).

Winter, Claudia: Traditioneller Aufsatzunter-richt und kreatives Schreiben. Eine empiri-sche Vergleichsstudie. Augsburg: Wißner,1998 (Augsburger Studien zur Deutsch-didaktik, 1).

Gesa Singer Dr. phil.; Magisterstudium der Germa-nistik und Pädagogik an der Georg Au-gust Universität Göttingen; 2005 Promo-tion zur Wissenschaftsgeschichte derGermanistik an der Universität Olden-burg; seit 2001 Lehrtätigkeit im BereichDaF; seit 2007 DAAD-Lektorin in Thessa-loniki; Forschungsgebiete: Interkultu-relle Germanistik, komparatistische Lite-raturwissenschaft, DaF-Didaktik.

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Motivation im DaF-Unterricht in Madagaskar

Hanitrarivelo Oliva Rahamaliarison

Zusammenfassung: In diesem Beitrag stelle ich die Ergebnisse einer Studie zur Motivation der DaF-Lerner inMadagaskar dar. Eine schriftliche Befragung wurde an drei verschiedenen Institutionen mitDeutschunterricht durchgeführt. Die Erhebung zeigt, dass vor allem positive Einstellungen zu Fremdsprachen das Interessean Deutsch erklären. Ebenso werden die deutsche Sprache und die deutsche Kultur von denBefragten positiv bewertet, und das Deutschlernen sorgt für Ansehen. Andererseits ist dieSelbstbestimmung stark ausgeprägt und die madagassischen Deutschlerner erweisen sichals leistungsmotiviert.

0. Einführung Der Deutschunterricht in Madagaskar,der im Jahr 2008 sein 100-jähriges Jubilä-um feiern konnte, kann nicht nur auf einelange Tradition zurückblicken, sonderner erfreut sich auch großer Beliebtheit. Ineiner Dokumentation des Deutschunter-richts auf dem afrikanischen Kontinentbeschreibt Böhm (2003) die Entwicklungin den einzelnen Ländern bis zu den1990er Jahren. In Bezug auf Madagaskarhebt er in Anlehnung an Kytzler hervor,dass die Zahl der Deutschschüler seineVorstellungen übertraf. Wenn man hört, dass in dem etwa elfMillionen Einwohner zählenden franko-phonen Inselstaat immerhin rund 9000Schüler und Studierende die deutscheSprache lernen, so ist das gewiss nichtwenig; wenn man davon ausgeht, dasseine Anfängerklasse in der höherenSchule in der Regel fünfzig und mehrSchüler zählt, ist das gewiss bei weitem zuviel (Kytzler 1994, zitiert nach Böhm 2003).

Allerdings wurde der Deutschunterrichtin Madagaskar bisher kaum erforscht,und der Frage, worin die Motivation zumDeutschlernen besteht, wurde nur an-satzweise nachgegangen. Vor diesemHintergrund ist vor einigen Jahren einProjekt entstanden, das sich gründlichermit diesem Thema auseinandersetzt. Dieser Artikel berichtet über einen Teilder unternommenen Untersuchung. Erstellt die Konzeption und die Ergebnisseeiner schriftlichen Befragung dar, die fürdie Studie verwendet wurde, um dasallgemeine Motivationsprofil der mada-gassischen Deutschlernenden zu erhe-ben. Aufgrund dieses Erkenntnisinteresseswurden Lernende an verschiedenen Ins-titutionen mit Deutschangebot befragt:Sekundarschullerner, Lerner eines außer-schulischen Sprachinstituts (Goethe-Zen-trum) und Studierende des FachesDeutsch in der Hauptstadt an der Uni-versität Antananarivo.

DaF im Ausland

Info DaF 36, 4 (2009), 340–355

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Deutsch wird in Madagaskar nämlich andrei unterschiedlichen Institutionen an-geboten: 1. Es wird an Sekundarschulen unter-richtet. Nach Französisch und Englischrangiert Deutsch an dritter Stelle imFremdsprachenangebot. Ursprünglichstand Deutsch im Lehrplan ab der 11.Klasse. Doch immer mehr Schulen, insbe-sondere nichtstaatliche, entscheiden sich,den Beginn des Deutschunterrichts aufdie 9. Klasse vorzuverlegen. Der Statusals Wahl- oder als Pflichtfach ist nichteinheitlich, da jede Schule eigenen Rege-lungen folgt. Aus diesen zwei Gründensind zwischen den einzelnen Schulenund innerhalb derselben Schule in deneinzelnen Klassen Unterschiede festzu-stellen, bis zu welcher Stufe der Deutsch-unterricht weitergeführt wird. DerDeutschunterricht an Sekundarschulenzeichnet sich dadurch aus, dass das An-gebot in allen Provinzen des Landes undsogar in kleineren Ortschaften besteht.Der Besuch von staatlichen Schulen istkostenfrei; man hat es also hier mit derzahlenmäßig größten Gruppe zu tun,aber auch mit dem schwierigsten Kon-text, was die materielle Ausstattung an-geht. 2. Deutschunterricht findet auch im Rah-men der Hochschulbildung statt. Bis jetztist das Angebot aber nur auf die Haupt-stadt Antananarivo beschränkt. Es han-delt sich zum einen um das Deutschler-nen im Germanistikstudium an der Uni-versität von Antananarivo, das ursprüng-lich als Fortsetzung des Deutschunter-richts an der Sekundarschule zu betrach-ten war. Seit zwei Jahren steht der Studi-engang aber auch Abgängern vonSprachschulen offen, die ein vergleich-bares Sprachkompetenzniveau wie dieAbiturienten nachweisen. Dieses Niveauwird durch einen Test vor Beginn desStudiums ermittelt. Neben dem Germa-nistikstudium existiert Deutsch in dieser

Universität in den Studiengängen derFakultät für Geisteswissenschaften als»deuxième langue vivante«, zweiteFremdsprache, das heißt, wie in denSchulen, auch als Wahlpflichtfach. Dieneueste Entwicklung ist durch die Ein-führung von Deutschkursen an privatenHochschulen gekennzeichnet. 3. In Großstädten besteht die Möglich-keit, gegen Gebühr an Kursen von priva-ten Sprachschulen teilzunehmen. GroßesAnsehen genießt das »Goethe-Zentrum/Cercle Germano-Malgache« (CGM) inder Hauptstadt. Als Prüfungszentrumdes Goethe-Instituts führt der CGM dieKurse nach den Anweisungen der Zen-trale des Goethe-Instituts durch und ver-wendet moderne Lehr- und Lernmateri-alien aus Deutschland, die von hier em-pfohlen werden. Nicht nur die normalenSprachkurse erfreuen sich wachsenderNachfrage, sondern es besteht seit einigerZeit auch ein großer Bedarf an Fach-kursen (z. B. Deutsch für Tourismus oderfür den Beruf, Kurse für Kinder). Nebendem CGM gibt es immer mehr Sprach-schulen, die Deutsch anbieten.

1. Studie zur Motivation für DaF inMadagaskar: theoretische Grundlagen Die Konzeption der Studie beruht zumgroßen Teil auf Gardners »socio-educatio-nal model« (Gardner/Lambert 1972; Gard-ner 1985), in dem die sozialpsycholo-gische Perspektive in den Vordergrundgestellt wird. Auf der anderen Seite wer-den affektive Einflussfaktoren behandelt.Gardners Modell misst dem Kontext, indem das Fremdsprachenlernen stattfin-det, besondere Bedeutung zu.

1.1 Einstellungen und Orientierungen Die Betonung des Einflusses des sozialenKontexts auf die Motivation impliziertdie These, dass die Stärke des Wunsches,in die Kultur einer Gemeinschaft hinein-

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zuwachsen, die Motivation zum Lernenihrer Sprache prägt. Aus diesem Grund spielt das Konzeptder Einstellung in Gardners Theorie einezentrale Rolle. Einstellung ist insofernrelevant, als eine Fremdsprache anderserlernt wird als andere Lernobjekte, weilman sich nicht auf den eigenen kultu-rellen Hintergrund bezieht. »… the second language course is verydifferent from other courses in the student’scurriculum. Other courses such as mathe-matics, history, and geography, all involveaspects of the student’s own culture, or atleast perspectives of his or her own culture.[…] When confronted with modern lan-guages, however, students face materialfrom another cultural community. More-over, students are not asked simply to learnabout the language; they are required tolearn the language, to take it in, as it were,and make it part of their behavioural reper-toire«. (Gardner 1985: 6)

Von besonderer Bedeutung ist die Ein-stellung zur Zielsprachengemeinschaft,deren Sprache ja nicht nur ein linguisti-sches System darstellt, sondern eine kul-turgeprägte Denkweise. Interesse amLernen einer Sprache setzt deshalb einInteresse an der Kultur voraus, und Er-folg beim Fremdsprachenlernen benötigtOffenheit gegenüber anderen Mei-nungen und Verhaltensweisen, mit dermögliche Unsicherheit oder Überdrussüberwunden werden kann. Entscheidend ist dann, wie groß das In-teresse des Individuums am Lernen vonFremdsprachen allgemein ist. Sollte esdem Lernen von Fremdsprachen gegen-über negativ eingestellt sein, wird mandamit rechnen können, dass es sich nurwiderwillig dem Lernprozess hingebenwird. Der Einstellung zur Zielsprache selbstmuss ebenso Beachtung geschenkt wer-den. Interesse und Erfolg am Lernen ei-ner bestimmten Fremdsprache hängendavon ab, ob die Sprache wegen ihrer

Melodie und/oder Struktur dem Lernergefällt oder missfällt. Denn erst dannbenutzt und lernt er sie mit Freude. Die weitere Einstellung, die nach Gard-ner nicht unterschätzt werden darf, istdie Einstellung zur Lernsituation. AmLernort begegnet der Schüler nämlichder Welt der Zielsprachengruppe. Sowird der Kurs in hohem Maße bestim-men, ob diese Welt dem Lerner verlo-ckend erscheint oder nicht. Der Lernerbewertet zum einen den Inhalt desKurses, durch den ihm die Kultur über-mittelt wird. Weil der Lehrer aber dieAufgabe hat, diesen Inhalt zu präsentie-ren und zu erklären, ist er die zweitewichtige Determinante in diesem Bewer-tungsprozess. Anfang der 1990er Jahre trat der Unter-richtsaspekt in der Debatte um den Fak-tor Motivation in der Fremdsprachener-werbsforschung verstärkt in den Vorder-grund. Die Rolle der Unterrichtsgestal-tung wird seitdem intensiv erforscht(Crookes/Schmidt 1991; Williams/Bur-den 1997; Düwell 1998; Noels/Clément/Pelletier, 1999; Dörnyei 2001). In zahl-reichen Modellen gilt nun der Lehrer alsein nicht zu unterschätzender Motivati-onsfaktor. Es wird betont, dass die Erzeu-gung und die Aufrechthaltung der Moti-vation in starkem Maße von der Persön-lichkeit des Lehrers, von seiner Kompe-tenz und von seinem Umgang mit denSchülern abhängen. Die Qualität des Un-terrichts wird auch von den Lernern häu-fig in Abhängigkeit davon bewertet, in-wiefern der Lehrer es versteht, ihrenWünschen, Interessen und BedürfnissenRechnung zu tragen. Schließlich habendie Rückmeldungen des Lehrers einewichtige Funktion, da die Lerner erstdann ihre Fortschritte einschätzen kön-nen. Seit einigen Jahren werden Fragen zurMotivation auch in Verbindung mit denLehr-/ und Lernmaterialien und mit un-

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terrichtsmethodischen Aspekten unter-sucht. Ein anderer zentraler Begriff in Gard-ners Modell ist der der Orientierung. Erwird im Sinne eines übergeordnetenZiels verwendet. Der Unterschied zwi-schen integrativer und instrumentellerOrientierung steht bis heute im Mittel-punkt der Diskussion (Dörnyei 1990;Clément/Dörnyei/Noels 1994). ZweiHauptziele des Fremdsprachenlernenssind zu unterscheiden: – Mitglied der Zielsprachengemein-

schaft zu werden, oder – aus den Fremdsprachkenntnissen

praktischen Nutzen zu ziehen. Verfolgt der Lerner das erste Ziel, dasheißt, richtet er das Fremdsprachenler-nen darauf aus, sich in die Gesellschaftder Sprecher zu integrieren, so geht esum eine integrative Orientierung. Diesersteht die instrumentelle Orientierung ge-genüber, die aufgrund der Nützlichkeitder erlernten Fremdsprache besteht. Allerdings wurde gegen Gardners Theo-rie die Kritik erhoben, dass die Erfor-schung von Motivation in Bezug auf Ori-entierungen im Bereich des Fremdspra-chenlernens nicht auf diesen einen As-pekt integrativ versus instrumentell re-duziert werden dürfe. Viele Forscher(Clément/Kruidenier 1983; Belmechri/Hummel 1998) richteten deshalb ihr Au-genmerk auf andere Orientierungen undwiesen durch zahlreiche Studien nach,dass neben der instrumentellen und derintegrativen unter anderem auch travel-,friendship- und knowledge-Orientierungeneinen besonderen Stellenwert haben: – Die travel-Orientierung weist darauf

hin, dass die Sprache erlernt wird, umsich auf Reisen im Zielsprachenlandzurechtzufinden.

– Die friendship-Orientierung ist mit derSuche nach Kontakten zu Mutter-sprachlern verbunden.

– Die knowledge-Orientierung charakteri-siert Lerner, die mit Fremdsprachen-kenntnissen Ansehen gewinnen wol-len.

1.2 Persönlichkeitsmerkmale Schon in der frühen Phase der Forschungzur Lernpsychologie wurde über den Zu-sammenhang zwischen Lernerfolg undMotivation diskutiert. Lange Zeit waraber umstritten, dass affektive Faktoreneine bedeutende Rolle spielen. Es bestehterst seit kurzem Konsens darüber, dasssie einen relevanten Einfluss haben.Ebenfalls steht heute in der Fremdspra-chenerwerbsforschung fest, dass Persön-lichkeitskomponenten in engem Zusam-menhang zur Motivation stehen (Solme-cke 1983; Skehan 1991; Crookes/Schmidt1991; Williams/Burden 1997; Williams/Burden/Al-Baharna 2001; Riemer 2001;Riemer 2004; Riemer 2006). Mehrere Motivationspsychologen wid-men sich der Bedeutung des Selbstver-trauens (Clément/Dörnyei/Noels 1994;Horwitz 1991; Scovel 1991; Tremblay/Gardner 1995). Ein hohes Selbstvertrauenist bei Lernern vorhanden, die beim Spre-chen und Lernen einer Fremdsprache we-nig Ängstlichkeit zeigen. Sie scheuen sichnicht vor der Sprachverwendung, dennsie betrachten sich als kompetent, sindzufrieden mit ihren Leistungen und ha-ben positive Erfahrungen. Darüber hin-aus finden sie viel Spaß am Unterrichtund haben keine Lernschwierigkeiten,die durch Sprechangst entstehen können.Ein weiterer Einflussfaktor für die Moti-vation ist die Selbstbestimmung. Dement-sprechend wird in der Motivationsfor-schung der Unterschied zwischen intrin-sischer und extrinsischer Motivation de-battiert (Deci/Ryan 1985; Deci/Ryan 1993;Vallerand 1997; Green 1999; Noels/Pelle-tier/Clément/Vallerand 2000; Noels2001). Es ist ein großer Unterschied, obein Individuum das Lernen als Selbst-

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zweck betrachtet und in erster LinieFreude und Spaß, Überraschung und An-regung, Lösungs- und Entdeckungs-freude erleben möchte, oder ob diesesIndividuum sein Lernen mit verschie-denen Zwecken verbindet, zum Beispielinnerhalb des Unterrichtskontextes mitBelohnungen in Form von Leistungs-nachweisen, außerhalb des Unterrichts-kontextes mit materiellem Gewinn, mitlebenspraktischer Verwendung oder mitdem Streben nach Steigerung des sozi-alen Ansehens usw. Besondere Aufmerksamkeit wird auchdem Leistungsmotiv geschenkt (Wasna1973; Heckhausen 1965). Das Leistungs-motiv bewegt einen Menschen, Anstren-gungen vorzunehmen, um ein gewissesAnspruchsniveau zu erreichen oder zuübertreffen (McClelland/Atkinson/Clark/Lowell 1953). Es beeinflusst deshalb dieMotivation in hohem Maße, vor allem iminstitutionell-akademischen Kontext. DerLeistungswille ist nämlich eine notwen-dige Voraussetzung, um die nötige An-strengung zum Lernen aufzubringen.

2. Der Fragebogen Den soeben dargestellten theoretischenGrundlagen entsprechend wurde einFragebogen erstellt, der aus zwei Teilenbesteht: – Der erste Teil erfasst Motive und Mo-

tivorientierungen, Einstellungen undeinige Persönlichkeitsmerkmale, diedie Motivation beeinflussen, sowie dieMotivationsstärke.

– Der zweite Teil ermittelt die Anwen-dungsbereiche für Deutsch. Dieser Teilwird nicht im Rahmen des vorlie-genden Artikels behandelt.

Der Fragebogen wurde an 286 Proban-den verteilt. 223 kamen aus zwei Sekun-darschulen (1. bis 3. Lernjahr) der Haupt-stadt Antananarivo, 23 aus der Deutsch-abteilung der Universität von Antanana-rivo (2. Studienjahr) und 40 vom

Sprachinstitut des Cercle Germano-Ma-lagasy (CGM). Im ersten Teil wurden die Probanden umStellungnahmen zu 51 Items gebeten. Dienegativ formulierten Items sind mit (-)gekennzeichnet. Mit Negativformulie-rungen soll vermieden werden, dass dieProbanden bei mangelndem Interesseimmer dieselbe Antwort ankreuzen(Konrad 2001). Die Skala zur Bewertung der Items ent-spricht dem Notensystem in madagas-sischen Schulen, das von 0 (nicht bestan-den) bis 20 (sehr gut) geht.

20 = Die Aussage stimmt vollständig.16 = Die Aussage stimmt allgemein.12 = Die Aussage stimmt in der Tendenz.

8 = Die Aussage stimmt nur teilweise.4 = Die Aussage stimmt eher nicht.0 = Die Aussage stimmt überhaupt nicht.

3. Operationalisierungen im Fragebo-gen: Annahmen zu den Motivausprä-gungen bei madagassischen Deutsch-lernenden Die Auswahl bzw. Formulierung derItems beruht auf relevanten sozio-kultu-rellen Gegebenheiten in Madagaskar, dieim Folgenden erörtert werden. Unterstüt-zend wurden Gesichtspunkte hinzugezo-gen, die früheren Studien zur Motivationder Deutschlerner in Madagaskar ent-stammen. Wichtige Hinweise zu denfremd- und zielsprachenspezifischenEinstellungen, zu Orientierungen sowiezu personalen Voraussetzungen findensich in Riemer (2005 und 2006). Im Hin-blick auf die Dichotomie intrinsische/ex-trinsische Motivation lieferte die StudieRaharimbolas (2005) wertvolle Informati-onen.

Einstellungen Riemer (2005, 2006) ermittelte in ihrerUntersuchung zur Motivation madagas-sischer Germanistikstudierender, dass

345

diese sich positiv zur Sprache, zum Landund zum Deutschunterricht äußern. Diese Aspekte sollen im Folgenden diffe-renziert betrachtet werden.

1. Einstellungen zu Land und Leuten Die Madagassen verfügen in der Tat übersehr wenig Wissen über Deutschland.Negative Vorurteile, die etwa durch dienationalsozialistische VergangenheitDeutschlands hätten entstehen können,sind deswegen nicht vorhanden. DasDeutschlandbild ist sehr stark geprägt vonmateriellem Wohlstand und von einerführenden Position in der Weltwirtschaftund im Welthandel. In der HauptstadtAntananarivo ist das deutsche Kulturins-titut des »Cercle Germano-Malagasy«unter den ausländischen Kulturzentrennach dem französischen das aktivste undsteht weit vor dem amerikanischen unddem englischen. Auch dadurch verbreitetsich ein positives Deutschlandbild. Wie die Befragten zu Deutschland und zuden Deutschen eingestellt sind, wurdemit folgenden Items gemessen:

2. Einstellungen zur deutschen Sprache undzum Deutschlernen Es ist zu erwarten, dass eine positiveEinstellung zur deutschen Sprache undzum Deutschlernen mit einem positivenDeutschlandbild einhergeht. Im Fragebogen finden sich vier Items, diesich auf die Einstellung zur deutschenSprache beziehen:

Auf das instrumentelle Motiv »Deutschfür den Beruf« komme ich später zusprechen.

3. Einstellungen zu Fremdsprachen Riemer (2005, 2006) hat erkannt, dass einentscheidendes Merkmal bei madagas-sischen Deutschlernern die positive Ein-stellung zu Fremdsprachen ist. Der Nütz-lichkeitswert der Fremdsprachen, vorallem in Bezug auf eine Verbesserung derKarrierechancen, wird in Madagaskar alssehr hoch eingeschätzt. Französischspielt im Land eine bedeutende Rolle.Aufgrund der kolonialen Geschichte Ma-dagaskars und der Stellung Frankreichsals erstem Wirtschaftspartner fungiert esneben der Muttersprache als zweiteAmtssprache und ist eine wichtige Be-rufs- und Handelssprache. Die franzö-sische Sprache hat allerdings den Statuseiner Zweitsprache, den sie in der Kolo-nialzeit hatte, verloren. Englisch ist we-gen der Dominanz des Französischen inWirklichkeit nicht als »lingua franca« an-zusehen und spielt immer noch eine un-tergeordnete Rolle, aber es wurde vorkurzem als dritte offizielle Sprache dekla-riert. Der Staat will nämlich dadurch er-reichen, dass die Madagassen sich derRolle des Englischen als Weltsprache be-wusst werden. Insbesondere sollen siesich die Notwendigkeit von auslän-dischen Investoren vergegenwärtigen. Das Interesse an anderen Fremdsprachenaußer Französisch und Englisch ist ehergering. Angesichts der wachsenden Zahlder Schulen, die Fremdsprachen anbie-

Ich interessiere mich nicht für die deutsche Geschichte. (-)

Ich möchte die deutsche Kultur näher ken-nenlernen.

Es ist ein großer Vorteil, Kenntnisse über die deutsche Sprache und Kultur zu ha-ben.

Ich finde die Deutschen unsympathisch. (-)

Deutsch lernen erweitert den Horizont.

Deutsch hat eine wichtige Stellung in der Welt.

Deutsch spielt in Madagaskar keine große Rolle. (-)

Im Ausland hilft Deutsch, sich zu verstän-digen.

346

ten, kann man aber behaupten, dass eszunimmt und Institutionen im außer-schulischen Bereich ihr Angebot auf an-dere Fremdsprachen als Französisch undEnglisch erweitern (z. B. auf Italienisch,Deutsch, Japanisch, Chinesisch). Folgende Items sollten im Fragebogendie Nützlichkeit von Fremdsprachenmessen:

4. Das berufsbezogene instrumentelle Motiv Eine instrumentelle Orientierung, die aufberufliche Tätigkeiten ausgerichtet ist,wurde von Riemer (2005) identifiziert. InMadagaskar kann Deutsch tatsächlich inmehreren Bereichen im beruflichen Kon-text Verwendung finden. Die Präsenz von immer mehr internatio-nalen Organisationen zeugt von einemgroßen Interesse an Madagaskar. Darun-ter befinden sich Organisationen im Na-tur- und Umweltschutzbereich, die sichengagieren möchten, Madagaskar imKampf um die Erhaltung seiner einzigar-tigen Fauna und Flora zu unterstützen.Andere sind in der »Humanitären Hilfe«tätig. In diesen Organisationen arbeitenviele Deutsche, die madagassische Mitar-beiter brauchen, um mit den lokalen Ver-hältnissen vertraut zu werden undsprachlich bedingte Schwierigkeiten beider Kommunikation mit der madagas-sischen Bevölkerung zu vermeiden. DerEinsatz der Deutschen in der Entwick-lungshilfe durch solche Organisationenlässt übrigens vermuten, dass in Mada-gaskar positive Einstellungen zu denDeutschen vorherrschen. Die Berufsaussichten für Deutschspre-chende werden auch dadurch erhöht,

dass die bilaterale Kooperation zwischenDeutschland und Madagaskar den kultu-rellen Bereich mit einschließt. Ein weiterer wichtiger Aspekt hinsicht-lich der Verwendungsmöglichkeiten fürDeutsch ist der beachtliche Fortschritt imTourismusbereich. Tourismus scheint ge-genwärtig die Zukunftsbranche zu seinund schafft viele neue Arbeitsplätze.Nach Frankreich (einschließlich derNachbarinsel La Réunion), Italien undUSA steht Deutschland an vierter Stellein der Zahl der Touristen. Schließlich ist der Deutschlehrerberuf zuerwähnen. Mit einem »Licence«-Ab-schluss der Germanistik-Abteilung darfsich ein Absolvent um eine Stelle alsDeutschlehrer an Sekundarschulen be-werben. Da die Anzahl der Schulen, dieDeutsch anbieten, ständig wächst, ist Un-terricht der Bereich, der die meisten Ab-solventen beschäftigt. Die Nachfrage istso groß, dass die meisten eine Stelle fin-den können. Zwar ist die Bezahlung mi-serabel, aber die Arbeitslosenquote istdeutlich niedriger als bei den Absol-venten anderer Fachbereiche. Mit zwei Items wird die berufsbezogeneVerwendung der Deutschkenntnisse ope-rationalisiert:

5. Reisen Die Ausprägung des Motivs Reisen ist inMadagaskar eher in Verbindung mit Auf-enthalten zu betrachten, die durch Sti-pendien finanziert werden. Die Attrakti-vität einer Fremdsprache wird in Mada-gaskar nämlich auch an der Chance ge-messen, ein Stipendium für einen Aufent-halt im Zielsprachenland zu bekommen.Dies hängt nicht nur mit dem Wunschzusammen, dieses Land kennenzulernen,

Fremdsprachenkenntnisse sind nützlich.

Die Madagassen brauchen keine anderen Fremdsprachen außer Französisch. (-)

Man braucht keine Fremdsprachenkennt-nisse, um eine Stelle zu finden. (-)

Ich wünsche mir (oder ich habe) eine Stelle, in der ich Deutsch benutze.

Mit Deutschkenntnissen hat man bessere Berufschancen.

347

sondern auch damit, dass durch diesenAufenthalt die Zukunftsperspektivenverbessert werden können. Viele Mada-gassen glauben, dass es einfacher ist, einStipendium für Deutschland zu bekom-men als für andere Länder, selbst fürFrankreich. Im Rahmen der Förderungder deutschen Sprache im Ausland ver-gibt die deutsche Regierung Stipendienschon an Deutschschüler von Sekundar-schulen. Aufgrund der kleinen Anzahlder Lerner im Deutschunterricht machensich viele große Hoffnungen. Im univer-sitären Bereich werden auch Austausch-,Kooperations- oder Entwicklungshilfe-programme von Deutschland aus durchdie Vergabe von Stipendien realisiert. Drei Items beziehen sich im Fragebogenauf den Wunsch nach einem Deutsch-landaufenthalt:

Ein Item misst die Ausprägung des Rei-semotivs, wenn Reisen ins Zielsprachen-land die Motivation zum Deutschlernenbegründen.

6. Wachsende Bedeutung von Deutsch inMadagaskar Das Angebot des Deutschunterrichts be-steht an den madagassischen Schulen,weil das französische Schulsystem nachder Unabhängigkeit mit nur leichten Ver-änderungen übernommen wurde. Bis jetztist Deutsch, wie an den Schulen Frank-reichs, ein Wahlpflichtfach. Die Einfüh-rung des Faches ist also nicht durch beson-dere politische Zusammenhänge zu erklären.Der Regierungswechsel 2001 stellte abereine große Wende dar, weil der damalsneue Präsident Ravalomanana das Ziel

hatte, Kontakte zu anderen Industrielän-dern als Frankreich zu intensivieren. Indieser Hinsicht wurden innerhalb kurzerZeit beträchtliche Anstrengungen unter-nommen, um aus der geographischen Nä-he zu Südafrika Nutzen zu ziehen. DieWeltmacht USA sieht er als einen Han-delspartner an, der genauso interessant istwie die ehemalige Kolonialmacht Frank-reich. Was Europa betrifft, richtet sich abersein Blick in erster Linie auf Deutschland.Es ist damit zu rechnen, dass die wachsen-den Beziehungen zwischen Deutschlandund Madagaskar neue Perspektiven eröff-nen werden, von denen viele Madagassenprofitieren könnten. Die Items zur Einschätzung der Bedeu-tung von Deutsch in Madagaskar sind imFragebogen wie folgt formuliert:

7. Kontakt- bzw. Freundschaftsmotiv Freundschaften zwischen Madagassenund Deutschen waren bis jetzt selten.Durch die erwähnten zunehmenden Be-ziehungen im soziokulturellen und poli-tischen Bereich gibt es heute aber mehrGelegenheiten für Madagassen, Deut-sche kennenzulernen. Hierzu gibt es jaauch die Möglichkeiten der neuen Kom-munikationstechnologien, auch wenn dieKontakte zunächst nicht in einer »face-to-face«-Situation hergestellt werden. Im Zusammenhang mit dem Freund-schaftsmotiv ist ein Phänomen zu nen-nen, das sich in letzter Zeit rasch verbrei-tet hat: Madagassen suchen einen auslän-dischen Lebenspartner oder eine auslän-dische Lebenspartnerin. Dabei erhoffensich manche in erster Linie bessere Le-bensbedingungen. Das Kontaktmotiv wurde mit vier Itemsoperationalisiert:

Ich möchte in Deutschland studieren.

Ich möchte in Deutschland arbeiten.

Ich möchte gerne in Deutschland leben.

Ich reise oft nach Deutschland.

Es kommen immer mehr Deutsche nach Madagaskar.

Madagaskar hat heute mehr Beziehungen zu Deutschland als früher.

348

8. Prestige Eine dritte Fremdsprache nach Franzö-sisch und Englisch zu beherrschen er-höht das Ansehen in der madagas-sischen Gesellschaft. Außerdem giltDeutsch als schwerer als diese beidenSprachen. Das deutsche linguistischeSystem unterscheidet sich völlig vondem der Muttersprache, denn Madagas-sisch gehört zur austro-polynesischenSprachfamilie. Das trifft zwar auch aufFranzösisch und Englisch zu, aber diefrühe Einführung des Französischen inder Schule erleichtert seinen Erwerb,und die Grammatik des Englischen be-reitet weniger Schwierigkeiten. Riemer(2005) zeigt, dass das weltweit stark aus-geprägte »Exotenmotiv«, das mit Prestigeverbunden ist, auch den madagas-sischen Kontext charakterisiert. Es be-zieht sich auf das Interesse am Deutsch-lernen, das sich dadurch erklärt, dassdiese Sprache von nur wenigen erlerntwird und dass auch nur wenige dabeierfolgreich sind. Zum Prestige-Motiv enthält der Fragebo-gen fünf Items:

9. Unterrichtskontext Inwiefern die madagassischen Deutsch-lerner mit dem Unterrichtskontext zufrie-den sind, dürfte zum größten Teil vonden Materialien abhängen. Ein allge-meines Problem im schulischen Fremd-sprachenunterricht in Madagaskar ist derEinsatz von sehr alten Materialien, dieaußerdem wenig Variation bieten. Dassind in der Regel Arbeitsblätter, die ver-vielfältigt werden oder ins Heft abge-schrieben werden. Der Deutschunterrichtist etwas fortschrittlicher, weil die Schü-ler ein relativ modernes Lehrwerk benut-zen: das regionale Lehrwerk »Ihr undWir« für die frankophonen afrikanischenLänder. Dies ist wieder der bilateralenKooperation und den Programmen zurFörderung der deutschen Sprache imAusland zu verdanken. Hauptakteuresind hier der Deutsche AkademischeAustauschdienst (DAAD) und der Päda-gogische Austauschdienst (PAD). VieleSchüler benutzen zum ersten Mal im Le-ben ein Lehrwerk, wenn sie mit demDeutschunterricht anfangen. Außerdemnehmen manche Lehrer aus eigener Initi-ative deutschsprachige Magazine undZeitungen, Poster oder andere Realienmit in den Unterricht. Das erleben dieSchüler nur selten mit Lehrern der ande-ren Fremdsprachen. Die Ausstattung derGermanistik-Abteilung ist ebenfalls un-zureichend. Sie ist aber trotzdem die ambesten ausgestattete Abteilung in derganzen Universität von Antananarivo.Die Germanistik-Abteilung verfügt so-wohl über eine eigene Bibliothek als auchüber einen eigenen Computerraum undeinen eigenen Internetanschluss. Außer-dem wird nur in dieser Abteilung mittechnischen Medien gearbeitet: ein Over-head-Projektor, ein Video-Gerät und einCD/DVD-Player sind vorhanden. Das istbesonders bemerkenswert, weil Compu-ter und andere Medien im Land nochLuxusware sind.

Ich möchte Kontakte mit Deutschen knüp-fen.

Ich möchte deutsche Freunde haben.

Ich habe deutsche Freunde, mit denen ich Deutsch sprechen möchte.

Ich möchte einen Ausländer / eine Auslän-derin heiraten.

Ich lerne Deutsch, denn nur wenige lernen es.

Deutsch zu können ist etwas Besonderes.

In Madagaskar fällt man auf, wenn man Deutsch kann.

Deutschlernen ist »in«.

Man kann stolz sein, wenn man Deutsch kann.

349

Neben dem materiellen Aspekt beein-flussen auch die inhaltlichen Angebotedie Einstellung der Lerner. In der Aus-und Fortbildung der Deutschlehrer wirddie Funktion der Landeskunde bei derMotivierung der Lerner betont. Als Folgedavon präsentiert der Deutschunterrichtden Lernern eine fremde Welt, die ihreNeugier weckt. Als dritter Aspekt trägt eine neue Metho-dik dazu bei, dass die Deutschlerner denUnterricht positiv bewerten. Sowohl diezukünftigen als auch die schon aktivenDeutschlehrer werden immer wiederdazu angeregt, modernere Methoden an-zuwenden, die die Interaktion zwischenden Lernern fördern. Der Unterrichtskontext spiegelt sich imFragebogen in vier Items wider:

10. Einstellungen zum Lehrer Die oben angeführte Aussage, dass vieleMadagassen es schwer finden, Deutschzu lernen, liegt wahrscheinlich zum Teilauch am Korrekturverhalten der Leh-renden. Es kann an den Schulen allgemein voneiner Zufriedenheit mit der Kompetenzder Lehrer ausgegangen werden (s. o.).Aber gleichzeitig werden die Deutschleh-rer auch als streng charakterisiert. Diesgeht auch aus der Studie von Riemer(2005) hervor. Eine mögliche Erklärungist, dass die Lehrer viel zu rigide bei derFehlerkorrektur vorgehen, die Korrekturder grammatischen Fehler nimmt einengroßen Platz ein. Der Faktor »Lehrer« wurde mit folgendenItems eingeschätzt:

11. Selbstvertrauen Trotz positiver Einstellung bei denDeutschlernern in Madagaskar kann manannehmen, dass ihr Selbstvertrauen rela-tiv gering ist. Die Sprachverwendungsangst ist selbst fürFranzösisch relativ ausgeprägt. Das liegtmeiner Meinung nach daran, dass dieSprachkompetenz bei vielen Madagassenauf einem niedrigen Niveau bleibt, ob-wohl Französisch von der ersten Klassean gelernt wird. Ein Grund dafür ist, dassdie erlernte Sprache zu wenig aktiv ange-wendet wird. Tatsächlich wird Franzö-sisch praktisch nur noch von einem klei-nen Teil der Bevölkerung in Wort undSchrift beherrscht, nämlich von den An-gehörigen der Oberschicht, die perfektFranzösisch sprechen und »französischdenken«, weil sie sich unter anderemleisten können, ihre Kinder in franzö-sische Schulen zu schicken, in denen dieUnterrichtssprache Französisch ist. Vonihnen wird Madagassisch auch im Fami-lienkreis praktisch nicht benutzt. Im Alltag werden keine großen Produkti-onsleistungen in französischer Spracheverlangt. Es wird im ganzen Land aus-schließlich auf Madagassisch kommuni-ziert. Oft entwickeln die Madagassen Kom-plexe, wenn sie aufgefordert werden,Französisch zu sprechen. Und dies ge-schieht fast nur in einer Umgebung, inder die Gesprächspartner eine Machtpo-sition haben, was die Hemmungen nochverstärkt. Man stellt in Schulen allgemein eineSprechangst fest, die auf die Traditionenim Fremdsprachenunterricht zurückzu-führen ist: Die mündlich-produktive

Die Unterrichtsmaterialien gefallen mir nicht. (-)

Wir haben nicht genug Materialien. (-)

Die Themen sind interessant.

Im Deutschkurs ist die Stimmung nicht gut. (-)

Der Lehrer motiviert mich zum Lernen.

Der Lehrer ist nett.

Der Lehrer kann gut erklären.

350

Sprachkompetenz wird nicht gefördert.Da das Schulsystem keine mündlichenPrüfungen vorsieht, konzentrieren sichdie Lehrer auf schriftliche Übungen. Mandarf hier natürlich nicht übersehen, dasseine intensive Arbeit an der Sprechfertig-keit angesichts der Klassengröße (inSchulen bis 50 Schüler) kaum sinnvolldurchgeführt werden kann. Die Passivi-tät der Schüler, die es allerdings ermög-licht, dass die Anweisungen des Lehrersbefolgt werden, ist auffallend. Die Aktivi-täten beschränken sich fast ausschließlichauf das Leseverstehen, wobei die ver-schiedenen Lesetechniken wenig Berück-sichtigung finden. Insgesamt liegt diePriorität auf der Grammatikarbeit. Kom-munikative und sprechproduktive Auf-gaben schrecken die Lernenden ab. Riemer (2005, 2006) weist darauf hin,dass in den von ihr erhobenen DatenSprachverwendungs- und Sprechangstdeutlich zu erkennen sind. Im Fragebogen beziehen sich folgendeItems auf das Selbstvertrauen:

12. Intrinsische/extrinsische MotivationRaharimbola (2005) kommt in ihrer Stu-die zu der Erkenntnis, dass ein Großteilder Probanden intrinsisch motiviert ist,weil der Unterricht mit Spaß und Entfal-tung verbunden wird. Diese Erkennt-nisse dürften sich meiner Ansicht nachauf alle Lerner übertragen lassen, auchwenn diese Studie nur mit Sekundar-schülern durchgeführt wurde. In meinem Fragebogen enthält die intrin-sische Motivation fünf Items:

Extrinsische Motive sind jedoch nichtauszuschließen. Dazu gehört zum Bei-spiel der Einfluss von »peers« (ge-schätzten Personen in der Umgebung),der mit folgenden Items erfasst wurde:

13. Leistungsmotiv Man kann annehmen, dass die Leistungs-motivation der madagassischen Ler-nenden in allen Fächern stark ausgeprägtist, denn gute Leistungen werden allge-mein angestrebt. Riemer (2005) erwähnt,dass Fleiß, Hartnäckigkeit, Mühe undAnstrengung charakteristische Merk-male der Befragten sind, was auf dasLeistungsmotiv hinweist. Das Leistungsmotiv wurde im Fragebo-gen mit einem Item abgefragt:

4. Ergebnisse der Umfrage Für die oben dargestellten Motivkatego-rien wurden die Konsistenzwerte (Cron-bach α) und die Mittelwerte errechnet:Der α-Wert ist der Nachweis, dass dieItems in eine Kategorie klassifiziert wer-den können, und der Mittelwert gibt an,wie ausgeprägt die Motive sind (20 =stark ausgeprägt; 0 = unbedeutend). DieRangordnung nach den Mittelwerten ist

Deutsch ist leicht.

Ich habe Schwierigkeiten, Deutsch zu ler-nen. (-)

Ich habe Hemmungen, in einer Fremd-sprache zu sprechen. (-)

Ich habe Angst ausgelacht zu werden, wenn ich im Kurs Deutsch rede. (-)

Die deutsche Sprache finde ich schön.

Das Deutschlernen macht mir Spaß.

Ich lerne Deutsch freiwillig.

Ich lerne gerne Fremdsprachen.

Deutsch zu können ist für mich eine Her-ausforderung.

Ich lerne Deutsch, weil ich meinen Eltern gehorche.

Die Entscheidung fürs Deutschlernen stammt von der Clique.

Deutsch lernen ist Familientradition.

Ich will im Kurs zu den Besten gehören.

351

der Ausgangspunkt für die Auswertungder Daten.Bis auf die extrinsische Motivation habenalle Motivkategorien einen akzeptablenα-Wert nachgewiesen (zwischen -,76 und-,38). Die extrinsischen Motive des Frage-bogens gehen deshalb einzeln in die Aus-wertung ein.

Auswertung der Daten Die Daten haben die Annahmen weitge-hend bestätigt. Eine äußerst positive Einstellung zu Fremd-sprachen ist bei madagassischen Deutsch-lernern festzustellen; dieses Motiv liegtweit oben. Es herrscht die Vorstellung,dass nicht nur Französisch wichtig ist,

sondern dass Fremdsprachen allgemeinnützlich sind. Den Fremdsprachen wirdim Hinblick auf die berufliche Verwen-dung ein bedeutender Stellenwert beige-messen. Das Leistungsmotiv ist das zweitstärksteMotiv zum Deutschlernen in Madagas-kar. Die starke Ausprägung kann aufmehrere Gründe zurückgeführt werden,so zum Beispiel auf das Streben nachsozialer oder nach elterlicher Anerken-nung, also auf ein starkes Konkurrenz-denken, oder auch auf das Streben nachLob von der Lehrperson. Aus den Ergebnissen kann man alsnächstes schlussfolgern, dass die mada-gassischen Lerner eine starke intrinsischeMotivation aufweisen. Es stellt sich her-aus, dass sowohl das Fremdsprachenler-nen als auch das Deutschlernen mit Spaßverbunden ist. Die drei Items, die aufextrinsische Motivation schließen lassen,erfahren wenig Zustimmung. Bestätigt wurde auch, dass madagas-sische Lernende Deutschland, den Deut-

Ich lerne Deutsch, weil ich meinen Eltern gehorche.

MW 7,69

Die Entscheidung fürs Deutschlernen geht auf die Clique zurück.

MW 6,76

Deutsch lernen ist Familien-tradition.

MW 3,17

Rang Motivkategorie α MW

1 Nützlichkeit von Fremdsprachen 0,41 18,98

2 Leistungsmotiv 17,63

3 Intrinsische Motivation 0,76 16,25

4 Positive Einstellung zu Deutschland 0,55 14,72

5 Positive Einstellung zu Deutsch und zum Deutsch lernen 0,38 13,75

6 Wachsende Bedeutung von Deutsch in Madagaskar 0,66 13,62

7 Positive Einstellung zum Lehrer 0,70 13,13

8 Selbstvertrauen 0,52 12,96

9 Prestige einschließlich Exotenmotiv 0,68 12,64

10 Positive Einstellung zum Unterricht 0,57 11,74

11 Berufsbedingter Nutzen von Deutsch 0,45 10,55

12 Kontakt- / Freundschaftsmotiv 0,50 9,36

13 Reisemotiv 0,68 9,13

352

schen, der deutschen Sprache und demDeutschlernen gegenüber positiv einge-stellt sind. Dass die Bedeutung von Deutsch in Ma-dagaskar aufgrund wachsender Bezie-hungen zwischen Madagaskar und Deutsch-land zunimmt, wird von den Deutschler-nern weitgehend wahrgenommen. Der Deutschlehrer und der Deutschunter-richt werden positiv bewertet. Die Einstel-lung zum Unterricht ist zwar das viert-letzte Motiv, hat aber noch den Mittelwertvon 11,74 erreicht. Das Selbstvertrauen istmit einem Mittelwert von 12,96 als bedeu-tend zu betrachten. Prestigegründe sindebenfalls stark ausgeprägt. Überraschen-derweise wird Deutsch als Berufssprachekeine große Bedeutung beigemessen. DerMittelwert liegt knapp über dem Durch-schnitt. Das ließe sich dadurch erklären,dass die Probanden wenig Informationhaben, welche Berufsperspektiven die Be-herrschung der deutschen Sprache eröff-net. Möglicherweise herrscht die Vorstel-lung, dass mit Französisch und Englischdie Kommunikation mit deutschen Mitar-beitern gewährleistet ist. Der Mittelwert von zwei Motivkatego-rien erreicht nicht den Durchschnitt. Esist allerdings beim Kontakt-/Freundschafts-motiv anzumerken, dass zwei Items vielschlechter bewertet werden als die zweianderen und den niedrigen Mittelwertder Kategorie erklären. Die Items »Ichmöchte Kontakte mit Deutschen knüp-fen« und »Ich möchte deutsche Freundehaben« weisen beide einen Mittelwertüber 14 auf, während die Items »Ich habedeutsche Freunde« und »Ich möchte ei-nen Ausländer/eine Ausländerin heira-ten« mit Mittelwerten unter 05 als unbe-deutend zu betrachten sind. Dementspre-chend besteht das Kontakt-/Freundschafts-motiv bei den madagassischen Deutsch-lernern ausschließlich in dem Wunsch,Kontakte mit Zielsprachlern zu knüpfen.Eine mögliche Begründung für den

schlechten Wert des Items »Ich möchteeinen Ausländer/eine Ausländerin heira-ten« liegt darin, dass die Antworten nichtehrlich sind, weil man mit so einer Ein-stellung dem Vorurteil ausgesetzt ist, reineigennützige Interessen zu verfolgen.Was das Reisemotiv angeht, ist ebenfallsein Item für den niedrigen Mittelwertverantwortlich: Das Item »Ich reise oftnach Deutschland« bildet mit einem Mit-telwert von nur 0,95 das Schlusslicht.Ohne dieses Item würde sich ein Mittel-wert von 11,90 (mit einem α-Wert von0,83) ergeben. Daraus kann man schluss-folgern, dass – trotz geringer Chancenauf Realisierbarkeit – ein starker Wunschnach einem Deutschlandaufenthalt beiden Befragten vorhanden ist. Im Fragebogen sind drei Items enthalten,die sich nicht auf Motive beziehen, son-dern die Motivationsstärke und dieSelbsteinschätzung der Kompetenz mes-sen. Diese sollen für spätere Korrelations-rechnungen verwendet werden, die auchGegenstand der Gesamtstudie sind (Ra-hamaliarison, in Vorb.). Ebenso wird dortberichtet, welche Anwendungen für dieDeutschkenntnisse aus dem zweiten Teilder Befragung ersichtlich werden. In die-ser Gesamtstudie werden die hier berich-teten Befunde weiter differenzierend be-trachtet, indem die unterschiedlichenLernergruppen miteinander verglichenwerden und der Faktor Motivation mit-tels Hauptkomponentenanalysen überdas allgemeine Motivationsprofil hinausuntersucht wird.

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Hanitrarivelo Oliva RahamaliarisonGeb. 1970; seit 1993 Lehrbeauftragte ander Germanistik-Abteilung der Universi-té d’Antananarivo. Schwerpunkt: Didak-tik des Deutschen als Fremdsprache; seit2008 Lehrkraft am Goethe-Zentrum An-tananarivo; zur Zeit Promotion unter derBetreuung von Prof. Dr. Claudia Riemer(Universität Bielefeld) und Dr. Suzy Ra-jaonarivo (Université d’Antananarivo).

356

Zur Perspektive von DaF in Zentralasien – dieDeutsch-Kasachische Universität (DKU) Almatyals Modellbeispiel

Olga Moskowtschenko und Maria Steinmetz

Zusammenfassung In Zentralasien wird die Verbreitung von DaF quantitativ weniger, aber qualitativ besser.Am Beispiel der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) in Almaty kann modellhaftgezeigt werden, welche Nischen Zukunft haben: Integriert in ein Konzept von Mehrspra-chigkeit, wird Deutsch intensiv und in enger Verknüpfung mit den Fachinhalten innova-tiver Studiengänge gelehrt und gelernt und von Anfang an gezielt als Schlüsselqualifikationzur internationalen Kooperation entwickelt.

1. Einleitung Will man das Interesse an einer bestimm-ten Sprache in einer bestimmten Regionfördern, so soll man nicht an alten Wegenfesthalten, die keiner mehr gehen will,sondern nach neuen Wegen suchen, diesich für alle Beteiligten als positiv im Sinneeiner für beide Seiten vorteilhaften Situa-tion erweisen. Das Exportland Deutsch-land braucht eine erfolgreiche Verbrei-tung der deutschen Sprache in der Welt.Deswegen ist es aufschlussreich, funktio-nierende Modelle der Vermittlung vonDaF genauer zu betrachten, um herauszu-finden, welche strukturellen Merkmale zudiesem Funktionieren offensichtlich ent-scheidend und daher möglicherweise aufandere Lernfelder transferierbar sind. Wir wollen hier ein Beispiel aus Zentral-asien vorstellen, das viele positiv wir-kende Strukturelemente für das Lehrenund Lernen von DaF als Teil eines inte-grierten Curriculums aufzeigt, nämlichdas Konzept für Deutsch an der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) Almaty. Wir denken, dass hier ein innovativesModell entstanden ist, das für viele, die

sich mit der zukünftigen Gestaltung undAusrichtung von DaF im außereuropä-ischen Raum befassen, interessant seinkann. Denn wenn DaF neben der Welt-sprache Englisch erfolgreich gelehrt undgelernt werden soll, geht es um Fragendes folgenden Typs: – In welchen Kommunikationszusam-

menhängen zwischen den zentralasia-tischen und den deutschsprachigenLändern wird Deutsch in welcherWeise verwendet?

– Wie ist heute das Verhältnis von Ange-bot und Nachfrage für Deutsch in die-ser Region?

– Welche Qualifikationsprofile sind ge-fragt? Welche fehlen? Welche erweisensich als nützlich, chancenreich, erstre-benswert usw.?

– Was ist neu an einer veränderten Rich-tungsbestimmung für DaF in Zentral-asien?

– In welche Richtung könnten Innovati-onen gehen?

– Sind Tendenzen erkennbar, die auchfür andere Regionen gelten?

Info DaF 36, 4 (2009), 356–367

357

2. Zur Situation von DaF in ZentralasienDie folgenden Ausführungen sind nichtländerspezifisch aufgeschlüsselt, son-dern zeigen in ihrer allgemeinen Ausrich-tung Tendenzen, die in der Entwicklungvon DaF in Zentralasien zu beobachtensind. In diesem Zusammenhang ist dasModell der DKU Almaty in Kasachstan,dem größten und wirtschaftlich bedeu-tendsten Land der Region, zu sehen.

2.1 Bildungspolitische Rahmenbedin-gungen Zentralasien wurde mit Beginn des 21.Jahrhunderts von der EuropäischenUnion als ein wichtiger strategischerPartner deklariert (vgl. AuswärtigesAmt: Die EU und Zentralasien 2007);Schwerpunkte sind dabei Sicherheit,Wirtschaft, Menschenrechte, Rechtsstaat-lichkeit und Energiewirtschaft. Die EUbeabsichtigt für den Zeitraum 2007 bis2013 eine Verdoppelung der durch soge-nannte »Außenhilfeinstrumente« bereit-gestellten Mittel für die Unterstützungder Staaten von Zentralasien auf 750 Mil-lionen €. Die Zentralasienstrategie ist keine bilate-rale Strategie zwischen zwei Ländern,sondern eine europäische mit den fünfzentralasiatischen Staaten: Kasachstan,Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan undTurkmenistan. Sprachen-politisch bedeu-tet dies, dass Deutsch als eine europäischeFremdsprache gilt, während Englischeher als global verwendete Weltsprache,als internationale lingua franca, wahrge-nommen wird. Die Verbreitung von DaFin Zentralasien hat demzufolge immermit einer Öffnung nach Europa zu tun. Zentralasien ist trotz der geografisch wei-ten Entfernung von den deutschspra-

chigen Ländern eine Region, in der dieFremdsprache Deutsch traditioneller-weise an Schulen und Hochschulen rechttief und breit gefächert verankert gewe-sen ist. Einerseits lebten in zahlreichenGebieten der Region bevölkerungsstarkedeutsche Minderheiten, die über vieleGenerationen hinweg die Nachfrage unddas Interesse an der deutschen Sprachestabil hielten, andererseits herrschte inKasachstan wie in den anderen zentral-asiatischen Ländern das einheitliche Bil-dungssystem der Sowjetunion, in demdie deutsche Sprache und das Fach Ger-manistik mit einer einheitlich strukturier-ten Ausbildung von DaF-Lehrern undÜbersetzern in den Hochschulen fest re-präsentiert war. Basis dieser etabliertengegenseitigen kulturellen und wirtschaft-lichen Verbindungen ist die alte Wert-schätzung des Deutschen bereits im vor-sowjetischen Russland, wo Deutschlandseit Jahrhunderten ein traditioneller Be-zugspunkt gewesen ist1. Lenin führtedies weiter, auch die DDR hat eine Rollegespielt. Die Integration des Faches Deutsch in dieAusbildung von Lehrern war verbundenmit dem Angebot des WahlfachesDeutsch – meist als 2. Fremdsprache – inzahlreichen Mittelschulen des sowje-tischen Bildungssystems, während Rus-sisch nicht als Fremdsprache, sondernentweder als Erstsprache oder als»zweite Muttersprache« (z. B. in Usbe-kistan) unterrichtet wurde. Deshalb trifftman in den entferntesten Regionen derehemaligen Sowjetunion häufig nochheute ältere Leute an, die ein paar Bro-cken Deutsch sprechen. Nach der Auflö-sung der Sowjetunion änderte sich dieseSprachenpolitik in Zentralasien; neben

1 Die engen Verbindungen zwischen dem russischen Zarenhaus und dem preußischenKönigtum wurden z. B. 2008 in einer Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin (St.Petersburg – Berlin) anschaulich belegt.

358

dem forcierten Ausbau der jeweiligenNationalsprachen (Kasachisch, Kirgi-sisch, Usbekisch, Tadschikisch etc.) undder traditionellen Bildungs- und Wissen-schaftssprache Russisch wurde Englischals Fremdsprache in den Mittelpunkt ge-stellt. Heute gibt es wahlweise Grund-und Mittelschulen, in denen entwederRussisch oder die Staatssprache desLandes Unterrichtssprache ist; dazukommt ein starker Pflichtanteil der je-weils anderen Sprache sowie Englischun-terricht für alle; Deutsch als Fremdspra-che verlor seine Stellung in den Schulenund wurde in regional unterschied-lichem Maße abgewickelt. Festzuhalten bleibt, dass in Zentralasienseit jeher eine ausgesprochene Sprachen-vielfalt herrschte und dass Mehrspra-chigkeit für die Menschen dieser Länderetwas völlig Normales war und ist.

2.2 Zur Situation von DaF im Hoch-schulbereich Inzwischen ist ein Großteil der Minder-heiten mit deutschen Vorfahren, die inden Regionen Zentralasiens lebten, alsAussiedler nach Deutschland emigriert;der Zerfall der Sowjetunion und die Er-klärung der Unabhängigkeit der zen-tralasiatischen Länder liegt nun fast 20Jahre zurück. Die politisch-wirtschaft-lichen Rahmenbedingungen für das Bil-dungssystem haben sich enorm gewan-delt, und wo man im universitären Raumim Fach Deutsch nur die Gewohnheitenaus dem sowjetischen Bildungssystemweiterführte, ohne die veränderten Ver-hältnisse zu berücksichtigen, sind siedysfunktional geworden. Von deutscher Seite wurden viel Geldund Engagement in die Abteilungen fürGermanistik, deutsche Sprache und Lan-deskunde mit ihren vier- bis fünfjährigenVollstudiengängen im Fach Deutsch ge-pumpt, weil man davon ausging, dasshier die zukünftigen DaF-Lehrer und da-

mit die Multiplikatoren für Deutsch aus-gebildet würden. Doch die erwarteteMultiplikatorenfunktion ist ausgeblie-ben, viele der sprachlich gut qualifi-zierten Germanisten haben die Hoch-schulen verlassen und sind nicht mehr alsUniversitätslehrer, sondern in anderenBereichen (z. B. im privaten Bildungssek-tor, in der Wirtschaft, in der Industrie, ininternationalen Organisationen, im Han-del, in diplomatischen Vertretungen etc.)tätig. Die schlechte Bezahlung von(Hochschul-) Lehrern und das damit ver-bundene niedrige Sozialprestige hat zumbrain-drain vor allem bei jüngerenDeutschlehrern enorm beigetragen. Fürjunge Leute ist der Beruf eines DaF-Leh-rers nicht mehr attraktiv. Und seit in denregulären allgemeinbildenden SchulenDeutsch stark vermindert wurde, fielauch der Aspekt der Arbeitsplatzsicher-heit im öffentlichen Schulsystem weg;daher haben die Studentenzahlen imFach Germanistik dramatisch abgenom-men; die traditionellen Deutschabtei-lungen bluten aus. Die Datenerhebung 2005 des StADaF legtfür Kasachstan folgende Zahlen vor:

Ein Zahlenbeispiel von der Schakarin-Universität von Semej/Nordkasachstanillustriert den Trend im Fach Germanis-tik: Dort gab es 2007 im 5. Studienjahrnoch 12, im 4. Jahr noch 7 und im 3. Jahrnoch 2 Studierende – das erste und daszweite Studienjahr existierte damalsschon nicht mehr, weil niemand mehrdas Fach Deutsch studieren wollte. Die Weltsprache Englisch ist populär, diestudentische Nachfrage nach Deutsch ist

DaF-Lerner in Schu-len: 201.750

Vergleich 2000/2005: - 226.396

DaF-Studierende ge-samt: 33.199

Vergleich 2000/2005: - 61.021

Germanistikstudie-rende: 7961

keine Angaben

359

nahezu verschwunden. An den Schulenvon Kasachstan wird heute Kasachisch,Russisch und eine Fremdsprache gelehrt;dabei steht Englisch faktisch auf demersten Platz, obwohl im Prinzip die Türenauch für andere Sprachen offen sind. Wenn auch die Tendenz, dass dieDeutschabteilungen an Universitätenund Pädagogischen Hochschulen ihreFunktion als Ausbildungsstätten vonSprachmittlern für Deutsch verlieren,eindeutig ist, so heißt das keineswegs,dass die Fremdsprache Deutsch nichtmehr gefragt ist. Nur geschieht dies zu-nehmend in anderen Konstellationen alsin eigenständigen Deutschabteilungen anFremdsprachenfakultäten. An den Universitäten hat sich die Teil-nehmerstruktur von Deutschkursen ver-ändert, die Nachfrage nach berufsbezo-genem Deutsch steigt, Wirtschafts-deutsch hat sich fast zu einem Zauber-wort der neuen Ausrichtung von DaFentwickelt, plötzlich sollen an zahl-reichen Hochschulen in Zentralasien ge-nerell studienbegleitende Deutschkursefür Lerner unterschiedlichster Fächer(Agrartechnologie, Außenhandel, Elek-trotechnik, Energietechnik, Informatik,Jura, Kybernetik, Logistik, Maschinen-bau, Medizin, Volkswirtschaftslehre etc.)angeboten werden. Damit wird eine Ori-entierung des Sprachunterrichts auf dieStudienfächer der DaF-Lerner, die Ver-knüpfung von fachlicher und deutsch-sprachiger Kommunikationskompetenzals Intention des Lernprozesses unab-dingbar. Sprachlehrer werden von ihrenInstitutsleitern dazu angehalten, in tech-nischen, naturwissenschaftlichen, juristi-schen u. a. Fachbereichen für die Fremd-sprache Deutsch zu werben und spezi-fische Kurse »Deutsch für …« (Medizi-ner, Agrartechnologen usw.) zu entwi-ckeln. Wie sie das konkret machen sollen,haben sie in ihrer eigenen philologischenAusbildung kaum gelernt.

Mögen solche Appelle auch teilweise wieein Programm gegen die drohende Ar-beitslosigkeit von DaF-Lehrern wirken, sosteckt doch eine eindeutige Richtung indiesen Initiativen: Deutsch soll in Zukunftnicht als Selbstzweck (Motto: »Ein biss-chen Deutsch und sonst nichts«) vermit-telt werden, sondern als integrierter Be-standteil von wissenschaftsorientiertenQualifikationen mit einer fachlichen undeiner fremdsprachlichen Komponente.Die Kenntnis von Fremdsprachen soll dieKenntnisse in wissenschaftlichen Fächernergänzen, Fremdsprachen sollen länger-fristig als Schlüssel zum Ausbau von Fach-kenntnissen und zur Pflege internationa-ler Kontakte eingesetzt werden (Rezep-tion von Fachliteratur in der Fremdspra-che, Möglichkeiten zu Auslandsstudiumund wissenschaftlichem Austausch, Teil-nahme an internationalen Aktivitätenusw.); angestrebt werden Qualifikations-profile von Fachleuten, die aufgrund spe-zifischer Fremdsprachenkenntnisse an in-ternationalen Kooperationen kompetentmitwirken können (Motto: »Deutsch plusFachwissen«). Diese Tendenz ist in engster Verbindungmit den vielfältigen Aktivitäten, Aus-tausch- und Stipendienprogrammen desDAAD zu sehen, die ein reichhaltigesAngebot an Studien- und Qualifikations-möglichkeiten für Fachleute und (ange-hende) Wissenschaftler verschiedensterDisziplinen bereitstellen. Neben deutsch-sprachigen Studiengängen werden auchenglischsprachige angeboten; d. h. dieDAAD-Programme sind nicht automa-tisch nur für Kandidaten mit Deutsch-kenntnissen konzipiert. Dennoch kommtder Vermittlung deutscher Sprachkennt-nisse im Zusammenhang mit den Stipen-dien- und Studienprogrammen desDAAD eine zentrale Rolle zu. Aus zahl-reichen Gesprächen mit DaF-Lehrernund Experten der Region geht eindeutighervor, dass die beste Motivation für das

360

Deutschlernen die Chance zur Teilnahmean Aus- und Weiterbildungsmöglich-keiten in Deutschland darstellt. Realisier-bar werden diese Chancen nur dann,wenn eine enge Verzahnung zwischenDaF-Ausbildung und Fachstudium vor-liegt. An vielen Hochschulen bleibt diesein Desiderat. Positive Modelle sind spe-zifische Kooperationsprogramme mitdeutschen Partnerhochschulen wie zumBeispiel die Einrichtung von zweideutsch-kirgisischen Fakultäten in Bisch-kek: An der Technischen Universität(KTU) läuft ein Programm mit der TFHBerlin im Bereich Maschinenbau undElektrotechnik, an der Kirgisischen Staat-lichen Universität für Bauwesen, Trans-port und Verkehr (KGUSTA) gibt es einedeutsch-kirgisische Fakultät im BereichInformatik. Der Einsatz von Fachunter-richt in der Fremdsprache Deutsch durchGastdozenten, der Zugang zu aktuellerdeutschsprachiger Fachliteratur und einmehrmonatiger Studienaufenthalt an derdeutschen Partneruniversität sind Be-standteil dieser Programme.

2.3 DaF außerhalb der Hochschulen Auch im außeruniversitären Bereich exis-tieren in zentralasiatischen Ländern zu-nehmend Lernangebote für Deutsch. Or-ganisatorisch zwar eigenständig, aberpersonell oft in enger Kooperation mitörtlichen Hochschulen werden z. B. ansechs gut ausgestatteten Sprachlernzen-tren (SLZ) des Goethe-Instituts (GI) inKasachstan (Astana, Karaganda, Kosta-nai, Pawlodar, Ust-Kamenogorsk) undKirgistan (Bischkek) zahlreiche DaF-Kurse mit aktuellen Kursmaterialien undMethoden durchgeführt, das GI und die

Zentralstelle für das Auslandsschulwe-sen (ZfA) bieten eine Fülle von ver-netzten Aktivitäten zur Unterstützungdes DaF-Unterrichts und der DaF-Lehreran, in Kasachstan haben sich anstelle des»abgewickelten« Deutschunterrichts inden staatlichen Schulen bisher sechsSchwerpunktschulen mit vertieftem DaF-Unterricht etabliert, an denen seit 2000das Deutsche Sprachdiplom der Stufe II(DSD II der KMK), das sich am Niveau»C1« des Gemeinsamen EuropäischenReferenzrahmens für Sprachen orientiert,abgelegt werden kann.1 Ähnliche Initiati-ven finden sich auch in anderen zentral-asiatischen Ländern, z. B. das DeutscheGymnasium in Chudjand/Tadschikistan.In den Schulen setzt sich für das FachDeutsch das Prinzip »Qualität stattQuantität« offenbar durch. Die ZfA und das GI organisieren imAuftrag des Auswärtigen Amtes die Ini-tiative »Schulen: Partner der Zukunft«(PASCH), um ein Netz von Partnerschu-len mit verstärkter Bindung an die deut-sche Sprache und Kultur aufzubauen,mit der Intention, längerfristig »den glo-bal tätigen deutschen Unternehmen in-ternational mobile und zugleich mitDeutschland vertraute künftige Mitarbei-ter anzubieten« (Zühlke 2008/2009: 43).Denn der Mangel an fachlich und fremd-sprachlich gut qualifizierten Mitarbei-tern, die in der Lage sind, die angestrebteÖffnung der Märkte und eine erfolg-reiche technologisch-wirtschaftliche Ko-operation zwischen der EU und Zentral-asien zu realisieren, gilt seit 20 Jahren alsStrukturmangel und wird in einschlä-gigen Kreisen ständig diskutiert.2

1 Vgl. http://deutschessprachdiplom.blogspot.com sowie http//www.auslandsschulwe-sen.de, Aufruf am 9.6.2009

2 In Kirgistan wird damit die fehlende Investitionsbereitschaft deutscher Firmen /Organisationen begründet. Mündliche Mitteilung von Mitarbeitern der DeutschenBotschaft in Kirgistan sowie vom DAAD-Lektor Dr. Dintera.

361

2.4 Konsequenzen für DaF Die Schlussfolgerungen für eine neueFunktionsbestimmung von DaF an Hoch-schulen in Zentralasien liegen klar auf derHand: Die Verbreitung der FremdspracheDeutsch hat dann eine gute Perspektive,wenn Curricula implementiert werden, indenen DaF in systematischer Verbindung miteinem studienbezogenen Verwendungszusam-menhang auf qualitativ hohem Niveau ge-lehrt und gelernt wird. Weder das Gieß-kannenprinzip von deutschen Schmal-spurkursen an Schulen und Hochschulennoch ein ausschließliches Deutschstu-dium ohne real berufsqualifizierende Be-standteile wird in Zukunft Bestand haben.In einer von jeher mehrsprachigen Regionmuss Deutsch als eine europäische Fremd-sprache präsent werden und bleiben, dieden Zugang zur wissenschaftlichen Aus-bildung in Europa und zu qualifiziertenBerufen im internationalen Kontext er-möglicht. Dabei soll Deutsch gelernt wer-den, ohne Englisch auszuschließen. DennWissenschaft und internationale Koopera-tionen in Wirtschaft, Industrie und Tech-nologietransfer sind grundsätzlich mehr-sprachig. Die Ausgangssituation in den Sowjet-Nachfolgestaaten ist an diesem Punktähnlich: Russisch war die Wissenschafts-sprache, die jeweiligen Landessprachenhatten nie diese Funktion. Die Folge war:Alle wissenschaftlichen Inhalte kamenaus der Sowjetunion. Die Festlegung aufnur eine Sprache kam einer Festlegungauf deren Inhalte gleich. Doch zur Rezep-tion der Wissenschaften der Welt mussman deren Sprachen rezipieren; wer alsodie wissenschaftlichen Inhalte der inter-nationalen Gemeinschaft rezipieren will,muss deren Sprachen lernen. Und genau an diesem Punkt wird dieNischenstellung mit Schlüsselfunktion derFremdsprache Deutsch sichtbar: Die Ver-mittlung der Fremdsprache Deutsch anzentralasiatischen Hochschulen muss so

ausgerichtet sein, dass sie den Zugang zumWissenschaftsstandort Deutschland zeigt, er-leichtert und erschließt. Dabei sind fol-gende Qualitätsmerkmale der Sprachaus-bildung von zentraler Bedeutung: – Ausrichtung am Konzept einer elabo-

rierten Kommunikationsfähigkeit; – Studienrelevanz der Inhalte; – Fachsprachenorientierung; – Verknüpfung mit interkulturellem Ler-

nen.

3. Die Deutsch-Kasachische UniversitätAlmaty (DKU) als ModellbeispielMit der DKU besteht in Almaty eineHochschule, die genau dieses Konzeptvon integrierter Ausbildung zu Mehr-sprachigkeit und Fachstudium in die Pra-xis umsetzt. Die DKU wurde 1999 mitdem Ziel gegründet, ein zeitgemäßes Bil-dungsangebot zu schaffen, das sich anden Standards deutscher Hochschulenorientiert und damit den StudierendenQualifikationen vermittelt, wie sie vonder sich entwickelnden Wirtschaft sowievon staatlichen und gesellschaftlichenInstitutionen und Organisationen nach-gefragt werden. In einem eigenen Ab-kommen der Regierungen der Bundesre-publik Deutschland und der RepublikKasachstan, das auf das Abkommen überkulturel le Zusammenarbeit vom16.12.1994 der beiden Länder rekurriert,wurde am 3.9.2008 in der HauptstadtAstana die weitere Zusammenarbeit beider Entwicklung der DKU geregelt (Auf-bau und Akkreditierung von Studien-gängen, Anerkennung von Abschlüssenetc.). Sie hat den Status einer internatio-nalen Hochschule. Das Projekt »Aufbau innovativer Studien-gänge an der Deutsch-Kasachischen Uni-versität in Almaty« wird durch denDAAD mit Mitteln des Programms »För-derung/Export deutscher Studiengängeim Ausland« unterstützt und in Koopera-tion mit einem Konsortium von deutschen

362

Partnerhochschulen realisiert. Dabei sind– und werden weitere – innovative Studi-engänge an vier Fakultäten (BWL-Wirt-schaftswissenschaften1, Wirtschaftsinge-nieurwesen, Ingenieurwissenschaften, So-zialwissenschaften) aufgebaut, die sichcurricular an deutschen Studiengängenorientieren, aber jeweils an die Verhält-nisse in Kasachstan adaptiert werden.

3.1 Studiengänge Mehrere Bachelorstudiengänge und einMasterstudiengang mit insgesamt rund330 Studierenden, davon 270 sogenannteDirekt-Studierende und 60 sogenannteAbendstudierende, sind im Studienjahr2008/09 bereits angelaufen. Im Einzelnenhandelt es sich um folgende Studiengän-ge:

Weitere Studiengänge für Umweltma-nagement, Umwelttechnik, Gebäude-und Infrastrukturtechnik befinden sichim Aufbau.

3.2 Das Sprachkonzept der DKU Für die Standortbestimmung einer ef-fektiven, zukunftsfähigen DaF-Vermitt-lung ist das an der DKU geltendeSprachkonzept von besonderem Inter-esse. Da die DKU ein erfolgreiches Pro-jekt der deutsch-kasachischen Zusam-menarbeit darstellt, nimmt die Fremd-sprache Deutsch eine besondere Stel-lung ein, ohne auf Englisch zu verzich-ten. Vor allem gliedert sich der sehrintensive DaF-Unterricht mit einemStundenumfang von knapp 1000 Unter-richtsstunden in ein Konzept der Mehr-sprachigkeit ein, wie es u. a. der Situa-tion im heutigen Kasachstan entspricht;

Deutsch ist dabei als ein Teil von Mehr-sprachigkeit konzipiert, denn die Kom-bination von guten Fremdsprachen-kenntnissen in Deutsch und Englischwird als besondere Qualifikation fürbessere Karrierechancen bewertet. AlleStudierenden sind mit den beiden Lan-dessprachen Kasachisch und Russischaufgewachsen und haben in der SchuleEnglisch gelernt; Deutschkenntnissesind keine Bedingung zur Aufnahme andie DKU, aber sehr erwünscht. In jedemFall muss man Deutsch lernen, denn abdem 3. Studienjahr findet Fachunter-richt in deutscher Sprache statt. Zwi-schen den beiden Schulen mit verstärk-tem Deutschunterricht (LinguistischeGymnasien 18 und 68) in Almaty undder DKU besteht ein enger Kontakt undein reger Informationsaustausch; es liegtauf der Hand, dass sich ein Studium an

1 An der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften wird bisher vorwiegend der Schwer-punkt BWL unterrichtet. Deshalb wird der Name mit »BWL« abgekürzt.

Fakultät Abschluss Studiengang

BWL (Betriebs-wirtschaft)

BA MarketingFinanzen, insbesondere Wertpapier- und BankenwesenUnternehmensmanagement

WI (Wirtschafts-ingenieurwesen)

BA VerkehrslogistikWirtschaftsinformatik

ING (Ingenieur-wesen)

BA Energie- und UmwelttechnikTelematik

SoWi (Sozial-wissenschaften)

BA

MA

Internationale BeziehungenPolitologieRegionalkunde Zentralasien

363

der DKU für Fortgeschrittene inDeutsch als besonders attraktive Per-spektive darstellt. Dies zeigt sich auch ineiner internen Befragung von Schülernzum Thema: »Warum lernen wir DaF«?über die Motivation zur SprachenwahlDeutsch; dabei wurden die Möglichkeitzu einem Studium an der DKU, inDeutschland und Europa sowie dieAussicht auf gute Berufs- und Karrie-remöglichkeiten als Hauptmotive ge-nannt. Im Unterricht an der DKU sindalle vier Sprachen – Russisch, Kasa-chisch, Deutsch und Englisch – vertre-ten; damit wird die internationale Aus-richtung der Institution deutlich. Auchdie Homepage (www.dku.kz) ist vier-sprachig. Zwei Merkmale sind für die Fremdspra-chenausbildung an der DKU von beson-derer Bedeutung: Die Leistungsdifferen-zierung in den Sprachgruppen Deutschund Englisch und der schrittweise Über-gang zum Fachunterricht in der Fremd-sprache.

3.2.1 Leistungsdifferenzierte Sprach-gruppen Der Sprachunterricht wird grundsätz-lich in Niveaugruppen durchgeführt.Die Einteilung erfolgt nach den Leis-tungsergebnissen, die beim DKU-Auf-nahmetest und im Auswahlgespräch er-mittelt werden. Gute Sprachkenntnissein einer der beiden Fremdsprachen sindfür eine Bewerbung um einen Studien-platz an der DKU erwünscht; allerdings

sind Deutschkenntnisse keine Eingangs-voraussetzung. Dennoch zeichnet sichab, dass ein Studium an der DKU vorallem für fremdsprachlich interessierteLerner geeignet ist. Etwa 15 % der neuangemeldeten Studierenden (Stand01.04.2008) verfügen über DSD-Ab-schlüsse und somit über die formalesprachliche Voraussetzung für ein Stu-dium in Deutschland. Die Verteilung indie Sprachgruppen ist folgendermaßenorganisiert:

Die Differenzierung in Niveaugruppenfördert auch die Entwicklung von spezi-alisierten Leistungsprofilen je nachfremdsprachlichen Vorkenntnissen,Lernfortschritten und Neigung. In denersten zwei Studienjahren ist derSprachanteil an der Ausbildung sehrhoch (jeweils 600 Stunden für Deutschund Englisch). Zur Intensivierung derab dem 3. Studienjahr bereits stark fach-orientierten Deutschausbildung stehenweitere Kursangebote zur Verfügung:Sommerintensivkurse (200 Stunden),Fachsprachenkurse im 5. und 6. Semes-ter (100 Stunden) sowie ein Vorberei-tungskurs für die Prüfung TestDaF1 (70Stunden). Für gute DaF-Lerner besteht

Niveau Deutsch Englisch

A1 D1, D2, D3 E1, E2

A2 D4, D5, D6 E3, E4

B1 D7, D8, D9 E5, E6, E7, E8

B2, C1 D10, D11, D12 E9, E10, E11, E12

1 Um in Deutschland studieren zu können, ist laut Empfehlung des TestDaF-Instituts inHagen in allen vier Teilbereichen der TestDaF-Prüfung der Nachweis von TDN 4erforderlich. Die Hochschulen haben jedoch eine gewisse Autonomie in ihren Anforde-rungen; so akzeptiert z. B. die TU Berlin eine Gesamtzahl von 16 Punkten, d. h. wer ineinem Prüfungsteil nur TDN 3 erreicht, kann dies mit TDN 5 in einem anderenPrüfungsteil ausgleichen. Manche Fachhochschulen akzeptieren auch ein Niveau unterinsgesamt 16 TDN (Quelle: Mündliche Auskunft von Wolfgang Zimmermann, TUBerlin, Zentraleinrichtung Moderne Fremdsprachen; dort werden TestDaF-Prüfungendurchgeführt).

364

die Möglichkeit für ein Praktikumsse-mester in Deutschland im 3. Studien-jahr, für fachlich und sprachlich sehrgute DKU-Studierende ist vorgesehen,dass sie die zwei letzten Semester aneiner deutschen Partnerfachhochschuleabsolvieren und dort den Bachelorab-schluss erwerben können, wobei die BA-Arbeit auf Deutsch zu schreiben ist.

3.2.2 Fachsprachenorientierung Für die Studierenden ist ein Doppelab-schluss und die Möglichkeit zu einemStudium in Deutschland ein realistischesZiel. Daher ist die enge Verzahnung vonSprach- und Fachausbildung eine zen-trale Intention des Unterrichts an derDKU. In allen Niveaugruppen und vonAnfang an wird der DaF-Lernprozess mitder Entwicklung von studien- und wis-senschaftsrelevanten Kompetenzen ver-bunden, z. B. strukturierte und analy-tische Verarbeitung sprachlicher Infor-mationen auf der Grundlage von ge-zielten Aufgabenstellungen; sachlichesund fachliches Argumentieren, Verglei-chen, Erörtern, Beschreiben, Zusammen-fassen von Texten, Daten, grafischen Dar-stellungen, Meinungen, Aussagen etc.,Referieren, Diskutieren sowie kritischeEinschätzung von eigenen und fremdensprachlichen Leistungen u. ä. mehr. Dasheißt, dass DaF gezielt in Sprachverwen-dungszusammenhängen und in Verbin-dung mit Sprachhandlungen vermitteltwird, die zur Kommunikation im fach-wissenschaftlichen Kontext hinführen.Im Gegensatz zur passiven Ansammlungvon Sprachwissen und der »Fehlerver-meidungsstrategie« des vorsichtigenSchweigens wird die aktive mündlicheKommunikationsfähigkeit gefordert, diejedoch nicht auf den Alltags- und Erleb-nisbereich reduziert wird, sondern dieLerner dazu befähigt, komplexe Sachver-halte angemessen sprachlich zu rezipie-ren und sich dazu strukturiert, klar und

elaboriert zu äußern. Für die schriftlicheTextproduktion gilt ähnliches. Damit sollen übergreifende Kompe-tenzen entwickelt werden, die für denErwerb der Fachkenntnisse im jeweiligenStudiengang unerlässlich sind. Ein er-folgreiches Fachstudium ist untrennbarmit dem schrittweisen Erwerb der ent-sprechenden Fachsprache verknüpft.Diesen Lernprozess durchlaufen Mutter-sprachler im Prinzip genauso, aber beieinem Fachstudium im Medium derFremdsprache sind die sprachlichen An-forderungen schwieriger. Doch da dasFachwissen in den jeweiligen Fachspra-chen gespeichert ist und die Studieren-den die Fremdsprache Deutsch zum Ler-nen dieser Fachinhalte benützen sollen,ist es notwendig, die spezifischen fach-sprachlichen Ausdrucksmittel, Textkon-ventionen, Begriffssysteme, Denkstruk-turen etc. (vgl. Buhlmann/Fearns 2000)der deutschen Fachsprachen ihrer Diszi-plin zu lernen. Deshalb ist der Fremd-sprachenunterricht an der DKU so ausge-richtet, dass ein allmählicher Übergangvom Fachunterricht auf Russisch zumFachunterricht in der FremdspracheDeutsch geschaffen wird. In den erstenzwei Studienjahren werden die Fächerauf Russisch unter Einbezug von deut-scher und englischer Fachterminologieoder teilweise auch zweisprachig unter-richtet, ab dem dritten Jahr kommt Fach-unterricht bei deutschen Fachdozentenhinzu, dessen sprachliche Komponenteparallel durch Übungen im DaF-Unter-richt unterstützt wird. Soweit es irgend-wie möglich ist, werden fachliche Studi-eninhalte auch im Sprachunterricht the-matisiert und fremdsprachliche Ele-mente im Fachunterricht berücksichtigt.Eine künstliche Trennung zwischen»Fach« und »Sprache« ist ohnehin pro-blematisch und erübrigt sich, wenn dieFremdsprache kontinuierlich als Kom-

365

munikationsmittel über und mit studien-relevanten Inhalten fungiert. Die Dozenten der DKU werden in spezi-ellen Fortbildungsveranstaltungen imBereich »Deutsch als Fachsprache« wei-terqualifiziert, um in den Intensivkursenbereits eine Basis für den Erwerb fach-kommunikativer Handlungsfähigkeit zulegen. Im dritten Studienjahr findet einspezifischer Kurs »Fachsprachen« statt,in dem die speziellen sprachlichen Mittelder Fachsprachen explizit behandelt wer-den. Damit wird dem bewährten 3-Phasen-Modell der Fachsprachendidaktik Rech-nung getragen: 1. Erwerb einer allgemeinsprachlichen

Basis in der Fremdsprache; 2. Fachsprachenunterricht; 3. Fachunterricht in der Fremdsprache. Die Fachsprachenorientierung des DaF-Unterrichts an der DKU ist ein wichtigerBaustein für den späteren Studienerfolgder Teilnehmer an den deutschen Part-nerhochschulen.

3.3 Beispiel für eine Unterrichtseinheit Zur Veranschaulichung, wie DaF nichtals Selbstzweck, sondern studienbeglei-tend und verzahnt mit dem Fachunter-richt unterrichtet werden kann, sei hierein Ausschnitt aus einer internen Modul-beschreibung (Erprobungsphase) für dasEnde des 2. Studienjahrs skizziert. Im Anschluss an eine theoretische Ein-führung im Fachunterricht Betriebswirt-schaftslehre (in russischer Sprache) in dieBereiche Wirtschaftszweige, Unterneh-mensstandorte, Unternehmensformenund Unternehmensorganisation werdendieselben Themen auf Deutsch aufgegrif-fen. Im ersten Block der Unterrichtsein-heit werden dazu themenspezifisch aus-gewählte Texte und Übungen aus demfachsprachlichen Lehrwerk Einführung indie Fachsprache der Betriebswirtschaft(Buhlmann/Fearns 1989), dem Lehrbuch

Wirtschaftskommunikation (Eismann2000), der Zeitschrift Markt sowie denLehrwerken Dialog Beruf (Becker/Brau-nert 1997) und Unternehmen Deutsch(Conlin 1996) erarbeitet, wobei Rezeptionund Übung der Fachlexik auf Deutsch(HV und LV) die Schwerpunkte bilden. Inden produktiven Phasen (mündlich undschriftlich) werden vorrangig Arbeits-und Lerntechniken zur strukturierten In-formationsentnahme und -wiedergabeeingesetzt. Im zweiten Block finden der Transferund die aktive Anwendung durch einesystematische Projektarbeit »Analyseeines Betriebes, eines Unternehmens, ei-ner Firma« statt. Dabei werden anhandvon Fallbeispielen staatliche sowie pri-vate, kasachische und internationalebzw. deutsche Firmen und Unterneh-men in Kasachstan analysiert, um Be-sonderheiten und Unterschiede auf derBasis der erworbenen theoretischenKenntnisse zu erkennen, zu beschreibenund vergleichend zu diskutieren. Die»soft skills« für Gruppenarbeit (Grup-penbildung nach definierten Kriterien,Kommunikationsspiegelregeln wie Re-spekt vor anderen Meinungen, Gleich-berechtigung, Suchen nach Kompromis-sen, Themenzentrierung, konstruktiveKritik, Definition eines Maßnahmenka-talogs, interne Arbeitsverteilung u. ä.)sind bereits aus dem 1. Semester be-kannt. Bei der Recherche wird das gewählteFallbeispiel eines Unternehmens (einesBetriebes, einer Firma) analysiert: – nach Wirtschaftszweigen; – nach Beschäftigungsanzahl; – nach Rechtsform; – nach Unternehmensstandort (Analyse

nach Faktoren); – nach Unternehmensstruktur; – nach Charakteristik der Kunden; – Sonstiges.

366

Im Verlauf der Projektarbeit wird die Tä-tigkeit der Gruppen mehrmals für eineReflexion im Plenum unterbrochen, umden Arbeitsprozess transparent zu halten: – Stand der Informationsrecherche; – Formen der Informationsverarbeitung;– Produktion von Material; – Vorbereitung der Visualisierung; – Generalprobe. Den Abschluss bildet eine Präsentationmit folgender Fremd- sowie Selbstein-schätzung auf der Basis einer vorgege-benen Präsentationsanalyse, nach der – inhaltliche Kriterien – sprachliche Darstellung – Präsentationsform – Gesamteindruck beurteilt und Alternativen oder Verbesse-rungsvorschläge formuliert werden. Ähnlich strukturierte Projekte werdenim Rahmen von Marketing zum Thema»Ein Produkt auf dem Markt« (Auswahlund Analyse eines Produkts; Absatz-bzw. Vertriebswege: zentraler, dezentra-ler Vertrieb, Franchising; Arten und Al-ternativen der Werbung) und »Grün-dung eines eigenen Betriebs« durchge-führt. Intention ist und bleibt die möglichstenge Verknüpfung vom Sprach- undFachunterricht durch Aufgreifen fach-licher Inhalte und Training, Vor- undNachbereitung der entsprechendenfremdsprachlichen Mittel in komplexen,studienrelevanten Kommunikationssitu-ationen. Die gute Ausstattung mit aktu-ellen Lehr- und Lernmaterialien, diereichhaltige, funktionierende Bücherei,eine geschickte Stundenplangestaltung,interne Fortbildungen und vor allem dasengagierte internationale Leitungs- undDozententeam an der DKU sind wichtigeFaktoren, um die intendierten Ziele zurealisieren.

4. Ausblick Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt derAufbauphase der DKU noch zu früh, sta-tistisch relevante Nachweise über den Stu-dienerfolg ganzer Teilnehmergruppenvorzulegen. Doch man kann bereits heutesagen, dass hier die Weichen richtig ge-stellt wurden, um ein funktionsfähigesModell für die Nischen zu verwirklichen,in denen deutlich wird, in welche Rich-tung die Vermittlung von DaF gehenkönnte, um tatsächlich Zukunft zu haben– vielleicht nicht nur in Zentralasien.

Literatur Abkommen zwischen der Regierung der

Bundesrepublik Deutschland und derRegierung der Republik Kasachstan überdie weitere Zusammenarbeit bei der Ent-wicklung der Deutsch-Kasachischen Uni-versität Almaty, 3.9.2008.

Auswärtiges Amt: Die EU und Zentralasien:Strategie für eine neue Partnerschaft, 2007.http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Europa/Aussenpolitik/Regionalab-kommen/Zentralasien-Strategie-Text-D.pdf (Aufruf 20.03.2009).

Becker, Norbert; Braunert, Jörg; Eisfeld,Heinz: Dialog Beruf. Ismaning: Hueber,1997, Band 1 und 2.

Buhlmann, Rosemarie; Fearns, Anneliese:Einführung in die Fachsprache der Betriebs-wirtschaft. München: Goethe-Institut,1989, Band 1.

Buhlmann, Rosemarie; Fearns, Anneliese:Handbuch des Fachsprachenunterrichts. 6.überarbeitete Auflage. Tübingen: Narr,2000.

Conlin, Christine: Unternehmen Deutsch.München: Klett, 1996.

Eismann, Volker: WirtschaftskommunikationDeutsch. Berlin: Langenscheidt, 2000,Band 1.

Ständige Arbeitsgruppe Deutsch alsFremdsprache (StADaF): »Deutsch alsFremdsprache weltweit – Datenerhebung2005«. http://www.goethe.de/mmo/priv/1459127-Standard.pdf (Aufruf 23.3.2009).

Zühlke, Reinhard: »Mit Deutsch-LernenPartner der Zukunft werden – Deutschlernen lohnt sich mehr denn je«, Deutschin Kasachstan, Rundbrief Nr. 16 (2008/2009), 42–44.

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Olga Moskowtschenko Geb. 1964; Mitbegründerin der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU),Deutschlehrerin, Organisation und Lei-tung des Sprachenzentrums an der DKUbis 2005. Praktische Erfahrung im allge-meinen, berufsbezogenen und fachorien-tierten Deutschunterricht. Aspirantin zurPromotion der Ablai-Chan-Weltspra-chenuniversität in Almaty. Schwerpunktder wissenschaftlichen Interessen: Ent-wicklung von Schlüsselkompetenzen imUnterricht für Wirtschaftsdeutsch. Seit2005 Prorektorin der DKU und seit 2007Projektleiterin von kasachischer Seite imDAAD-Projekt »Aufbau innovativer Stu-diengänge an der DKU«.

Dr. Maria Steinmetz Geb. 1948; früher Lehrerin; vielfältigsteErfahrungen in Praxis und Theorie derBereiche DaF und DaZ in zahlreichenLändern und Institutionen; DAAD-Lek-torin an der Zhejiang Universität Hang-zhou/China. Promotion über Fachspra-chendidaktik. Mitwirkung in Lehre undForschung beim Aufbau innovativer Stu-diengänge an der TU Berlin und Partner-hochschulen in Asien. Seit 2003 Leiterinvon DAAD-Seminaren für Hochschul-lehrer in Zentralasien mit dem Themen-schwerpunkt Fachorientierung des DaF-Unterrichts und Schreiben im wissen-schaftlichen Kontext.

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Zur Gestaltung des Hörverstehenstrainings inuniversitären Sommerdeutschkursen

Sylwia Adamczak-Krysztofowicz und Antje Stork

Zusammenfassung Jedes Jahr kommen Tausende von Deutschlernenden aus den verschiedensten Ländernnach Deutschland, um in universitären Sommerdeutschkursen u. a. ihre Sprachkenntnissezu verbessern. In dem Beitrag stellen wir Ergebnisse aus der Unisom-Studie vor, in derdurch eine Teilnehmerbefragung ermittelt wurde, welche Aufgabenformate und Hörtextedie Deutschlernenden beim Hörverstehenstraining bevorzugen bzw. sie zur Mitarbeitanregen. Die Ergebnisse geben wichtige Hinweise für die Gestaltung des Hörverstehens-trainings in universitären Sommerdeutschkursen.

1. Einleitung Hörverstehen ist eine der Basisfertig-keiten, ohne die zwischenmenschlicheKommunikation nicht möglich ist. Esnimmt in der muttersprachlichen All-tagskommunikation im Durchschnitt mit45 % eine führende Position ein, gefolgtvom Sprechen mit 30 %, dem Lesen mit16 % und schließlich dem Schreiben mit9 % (Neveling 2000: 3). Andere Aufglie-derungen gehen, wenngleich sie in denProzentangaben leicht voneinander ab-weichen, von vergleichbaren Verhältnis-sen aus (z. B. Solmecke 2001: 893; Kieweg2003: 23). Die Vermutung liegt nahe, dass auchDeutschlernende in universitären Som-merkursen, die aus ihrem Heimatland für

einen begrenzten Zeitraum, zumeist einenMonat, in eines der Zielsprachenländerkommen, dem Hörverstehen einen großenStellenwert beimessen. Darüber hinausstellt sich aber die Frage, wie aus Sicht derLernenden ein Hörverstehenstraining ge-staltet werden sollte, d. h. welche Aufga-benformate und Hörtexte sie bevorzugenbzw. zur Mitarbeit anregen. Eine Antwortauf diese Fragestellung bietet die Auswer-tung einer von uns an vier deutschenHochschulen (Frankfurt, Kiel, Mainz,Marburg) durchgeführten Kursteilneh-merbefragung im Rahmen der sogenann-ten Unisom-Studie1, die wir in diesemBeitrag vorstellen. In Abschnitt 2 werdenkonkrete Überlegungen zu Aufgaben-arten im Bereich des holistisch orientierten

Didaktik DaF / Praxis

1 In dieser Studie zu universitären Sommerintensivkursen in Deutschland wurden inmehreren Fragenkomplexen Zielsetzungen, Inhalte, Schwerpunktsetzungen sowieLehr- und Lernmittel der Sommerintensivsprachkurse unter besonderer Berücksichti-gung des Hörverstehenstrainings ermittelt. Neben dem Einsatz quantitativer Fragebö-gen wurden qualitative Interviews mit ausgewählten Lehrenden durchgeführt.

Info DaF 36, 4 (2009), 368–380

369

Hörverstehenstrainings1 angestellt. Imnächsten Teil werden die wichtigsten Hör-textgruppen hinsichtlich ihrer Einsetzbar-keit für das Hörverstehenstraining bewer-tet (Abschnitt 3). Darauf aufbauend wer-den nach einer kurzen Charakterisierungder im Rahmen der Untersuchung be-fragten Kursteilnehmer (Abschnitt 4) Er-gebnisse der Kursteilnehmerbefragung zulernerbezogenen Text- und Aufgabenprä-ferenzen präsentiert (Abschnitt 5) und einFazit gezogen (Abschnitt 6).

2. Klassifikation und Progression vonHöraufgaben Der Terminus »Höraufgabe« bezieht sichzum einen auf inhaltsorientierte (= focuson meaning), möglichst authentische, fürdie Lerner relevante (= personal involve-ment) und autonomiefördernde Lernauf-gaben, die kognitive Prozesse auslösen,diverse Bestandteile der kommunika-tiven Kompetenz aufbauen und dadurchdas verstehende Hören fördern sollen(zur Zusammenfassung der wichtigstenFunktionen von Lernaufgaben vgl.Skehan 1998: 95 und Leupold 2007: 29). Die mit verstehendem Hören verbunde-nen unterschiedlichen Lernziele (Verste-hensabsichten) erfordern jeweils diffe-renzierte Aufgabenstellungen. Je nach di-daktischem Lernziel, Sprachniveau undmethodischem Ansatz können verschie-dene Lernaufgabenarten im Hörverste-henstraining zum Tragen kommen, dieim Folgenden anhand der Kriterien desZeitpunkts ihres Einsatzes, der erwar-teten Reaktion, ihres Grades der Offen-heit und der Verarbeitungstiefe klassifi-ziert und hinsichtlich ihrer Progressiondiskutiert werden.

2.1 Aufgabenart nach Zeitpunkt desEinsatzesIn Bezug auf den Zeitpunkt des Einsatzesim Unterrichtsprozess unterscheidet manprä-auditive, auditive und post-auditiveAufgaben, die in der Vorphase, Hörphaseoder Nachphase des Hörverstehenstrai-nings eingesetzt werden (vgl. Dahlhaus1994: 125 f., Eggers 1994: 33 ff., Honnef-Becker 1996: 59 f. und Wiemer 1999: 50 f.):

2.1.1 Prä-auditive Aufgaben sollen zumTextthema hinführen, das Vorwissendurch Aufbau einer Hörerwartung akti-vieren und den themenbezogenen Wort-schatz einführen. Zu solchen vorberei-tenden Verfahren gehören u. a.: – kognitive Wortschatzarbeit (z. B. Er-

stellen von Wortigel oder Wortspinnen,Synonym- und Antonymdiagramme);

– Arbeit mit einem Lesetext oder mitvisuellen Impulsen (z. B. Bildern, Kari-katuren, Videosequenzen) ähnlicherThematik;

– Aufstellung von Hypothesen; produk-tive Arbeit mit dem Titel, Über-schriften, Satzkarten, akustischen Im-pulsen (z. B. Stimmen, Geräuschen)oder mit inhaltlichen Schlüsselwör-tern.

2.1.2 Auditive Aufgaben dienen der Ge-wöhnung an fremdsprachliche Hörtextesowie der Übung entsprechender Hör-strategien. Zu begleitenden Verfahren ge-hören z. B. – Arbeit mit Bildern, die man in die rich-

tige Reihenfolge bringen, vervollstän-digen oder nach Anweisung selberzeichnen soll;

– Zuordnen von Informationen durchPfeile; Zahlen- und Wortbingo;

1 Die holistisch ausgerichtete Hörverstehensdidaktik sieht das verstehende Hören alseinen komplexen und unteilbar zu entwickelnden Prozess. In diesem Zusammenhangzielt sie auf eine ganzheitliche, meistens inhaltlich orientierte, sowohl eindirektionale(d. h. mediale) als auch zweidirektionale (d. h. interaktive) Vermittlung der Hörverste-henskompetenz ab.

370

– Korrektur von fehlerhaften Textpassa-gen, Ausfüllen von Arbeitsblatt, Ta-belle, Raster oder Liste;

– Ankreuzen von geschlossenen Fragen(siehe unten);

– Markierung der Teilmenge aus Ge-samtmenge;

– Ordnen bzw. Sortieren von Textteilen;handlungsorientierte non-verbale Aus-führung von Anweisungen bei den To-tal Physical Response-Diktaten;

– Beantwortung von offenen Fragen(siehe unten) und Vervollständigungvon halb-offenen Fragenformaten(siehe unten).

2.1.3 Post-auditive Aufgaben können alsnachbereitende Komplexübungen ganzunterschiedliche Zwecke verfolgen, u. a.können sie der Überprüfung der Lö-sungen und/oder Klärung bzw. Analyseder sprachlichen und inhaltlichenSchwierigkeiten dienen, die bei der Bear-beitung von Aufgaben in der Hörphaseaufgetreten sind. Anhand von post-audi-tiven Aktivitäten (z. B. Vervollständi-gung der Dialogskizze; Erstellung desFlussdiagramms; schriftliche oder münd-liche Wiedergabe von Hauptgedankendes Hörtextes mit Hilfe von Stichwör-tern; persönliche Stellungnahme, Formu-lierung von Hypothesen für den Weiter-gang des Gesprächs/der Geschichte; Um-gestaltung des Hörtextes in ein anderesMedium oder in eine andere Textsorte;Entwicklung inhaltlicher Alternativen;Rollenspiel etc.) lässt sich darüber hinausauf eine natürliche Art und Weise einÜbergang vom Hörverstehenstrainingzur eigenen Sprachproduktion beimSprechen und Schreiben, aber auch zurvertiefenden Textrezeption beim Lesenfinden.

2.2 Aufgabenart und erwartete ReaktionHier wird zwischen verbaler und nichtverbaler Reaktion von Hörenden unter-

schieden (vgl. dazu exemplarisch Voss1984: 74 ff.):

2.2.1 Verbale Aufgaben, d. h. Verfahren mitSprachproduktion/Reproduktion, wiedie Beantwortung von Fragen, kommenin allen Stufen zum Einsatz.

2.2.2 Nonverbale Aufgaben, d. h. Verfahrenohne Sprachproduktion, eignen sich sehrgut für Anfänger und können beispiels-weise durch das Nachzeichnen einer imHörtext gegebenen Wegbeschreibungoder das Ergänzen eines vorgegebenenBildes nach Instruktion ausgeführt wer-den. Um die verschiedenen Leistungen derLernenden beim verstehenden Hören inBetracht zu ziehen, sollten die aufgaben-geleiteten Aktivitäten eine Progressionvon nonverbalen Aufgabenformatenüber Aufgabenformate mit geringerSprachproduktion/Reproduktion zuAufgabenformaten mit schriftlicher/mündlicher Sprachproduktion zulassen.Zur Ausdifferenzierung der Art derschriftlichen/mündlichen Sprachtätigkeit(z. B. imitierend reproduktiv, problemlö-send produktiv, formbezogen, inhaltsbe-zogen, inferierend antizipierend etc.) beiallen Arten sprachlicher Reaktion auf dasGehörte sei auf Solmecke (1999: 321) ver-wiesen.

2.3 Aufgabenart nach Grad der OffenheitIn Bezug auf den Grad der Offenheit vonHörverstehens-Aufgaben wird zwischengeschlossenen, halboffenen und offenenAufgaben differenziert:

2.3.1 Geschlossene Aufgaben lassen die Ler-ner die richtige Lösung unter den vorge-gebenen Antwortalternativen nur her-ausfinden und markieren. Zu den ty-pischen geschlossenen Aufgabentypengehören: Multiple-choice-Aufgaben(Mehrwahl-Antwort-Aufgaben bzw.Mehrfachwahl-Aufgaben), Alternativ-

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Antwort-Aufgaben (d. h. Ja/Nein ankreu-zen oder Richtig/Falsch ankreuzen bzw.Zwei-Thesen-Aufgabe) und Zuord-nungsaufgaben. Diese Aufgaben über-prüfen in erster Linie das Detailverste-hen, können aber auch bei der Kontrolleselektiven Hörens eingesetzt werden. Zuden Vor- und Nachteilen der genanntengeschlossenen Aufgabenformate sei aufZehren (1999: 59 ff.) verwiesen. 2.3.2 Bei halboffenen Aufgabenformen sindAntworten innerhalb eines präzise be-grenzten Kontextes nur teilweise von denLernern selbst zu formulieren. Zu denhalboffenen Aufgaben zählen: Ergän-zungsaufgaben (Ergänzungen von Lückenin Einzelsätzen, Listen und Tabellen),Lückentexte (Ergänzungen von gezieltvorgegebenen Lücken in einem zusam-menhängenden Text), Cloze-Tests (Ergän-zungen von mechanisch getilgten Wör-tern). Halboffene Aufgaben kommen re-lativ selten zum Einsatz, weil sie häufigzu hohe Anforderungen an das Mit-schreiben stellen und dadurch Speicher-und Antizipationsprozesse behindernkönnen.

2.3.3 Offene Aufgaben sind mit relativ selb-ständiger Schreibarbeit des Textrezipi-enten verbunden, verlangen eine (leichtoder auch stark) modifizierte Wieder-gabe des Textes und stellen daher an denHörer höhere Anforderungen. Diese Auf-gabenformate können sowohl zur Kon-trolle und Bewertung des extensiven Hö-rens (also des Globalverstehens und desselektiven Hörverstehens) als auch desintensiven Hörens (also des Detailverste-hens) verwendet werden. Offene Aufga-benstellungen enthalten vor allem offeneFragen zum Textinhalt und zu Textzu-sammenhängen, stichwortartige Beant-wortung von globalen W-Fragen, Eintra-gungen von einzelnen Informationen inRaster oder Zusammenfassungen der re-levanten Hauptinformationen von Tex-

ten. Allerdings muss man bei der Aufga-benstellung beachten, dass bei den pro-duktiven Schreibleistungen der Lernerviele stilistische, orthographische undgrammatische Unvollkommenheiten ent-stehen können. Zehren (1999: 60) emp-fiehlt in dieser Situation bei der Beurtei-lung zu erwägen, ob und in welcherGewichtung sprachliche Fehler bei derBewertung offener Übungstypen sankti-oniert werden sollen. Van Weeren (1992:58) schlägt dagegen den Einsatz der Mut-tersprache als Lösung vor. Um den unterschiedlichen Leistungsni-veaus der Lernenden gerecht zu werden,ist eine sinnvolle Progression von ge-schlossenen Aufgaben über halboffeneAufgabenformate zu offenen Aufgabenbei der Konzeption des Hörverstehens-trainings sinnvoll einzuplanen.

2.4 Aufgabenart im Hinblick auf diegeforderte Textverarbeitung Darin inbegriffen sind differenzierte Ar-ten der Fragenformulierung, d. h. Fragenzum globalen, detaillierten oder selek-tiven Verständnis, Fragen zum Verständ-nis indirekter Sprechakte, Fragen zumVerständnis von Konsequenzen, Fragenzum Verständnis von Einstellungen, As-soziationen, Sprechermotiven, Fragen zuden Beziehungen zwischen den Charak-teren sowie doppeldeutige Fragenformu-lierungen (vgl. Zydatiß 2005: 103). Diegeforderte Textverarbeitung lässt sich er-leichtern, wenn man mehr Fragen zumGlobalverständnis formuliert und sie im-mer vor Fragen zum Detailverständnisstellt. Großer Wert ist einem abwechslungs-reichen Einsatz von Aufgabenformatenin den Sommerkursen beizumessen. Beider lernerbezogenen Aufgabenstellunggilt allerdings generell, dass Aufgaben-formate zur Informationsentnahme aufder Textoberfläche, die wenig komplexeDenkoperationen seitens der Hörer erfor-

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dern, leichter sind als Aufgabenformatezum analytischen Verstehen, die tiefge-hende kognitive Teilprozesse und häufigauch erhöhte sprachproduktive Aktivi-täten voraussetzen. Die Schwierigkeit ei-ner komplexen Aufgabe lässt sich aller-dings laut Solmecke (1999: 325) teilweisedosieren, indem man sie mit zusätzlichenErklärungen in Form von Sprach- oderSachinformationen, Musterbeispielenund Strukturierungshilfen versieht.

3. Klassifikation und Auswahl von Hör-texten Im Folgenden sollen die wichtigsten Hör-textarten im erweiterten Sinne, die ver-schiedene Mischformen der mehrkana-ligen auditiven Textrezeption umfassen,nach vier komplexen textbezogenenKlassifikations- und zugleich Auswahl-kriterien (d. h. nach der Art der textuellenRealisierung, der Präsentationsform,Form der Mündlichkeit sowie nach denTextsortenmerkmalen) gruppiert undhinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeitenfür das Hörverstehenstraining bewertetwerden.

3.1 Art der textuellen Realisierung In Bezug auf das Kriterium der textuellenRealisierung kann folgender Katalog vonim Fremdsprachenunterricht einsetz-baren auditiven Texten in ihrer weitenBedeutung aufgestellt werden:

3.1.1 Auditive Texte als Hörtexte sensustricto, für die eine einkanalige auditiveTextverarbeitung charakteristisch ist(z. B. auf CDs oder Kassetten aufgezeich-nete Interviews, Nachrichten, Durchsa-gen etc.).

3.1.2 Hörsehtexte: Da sich das Hör-Seh-Verstehen in der Fremdsprachendidaktikerst seit Beginn der 1990er Jahre etablierthat, ist die Forschungslage dazu nochrelativ spärlich. Einige einleitende Be-merkungen zur Hör-Seh-Verarbeitung

und -didaktik finden sich jedoch beiMeißner (2001), Schwerdtfeger (2001,2003) und Thaler (2007). Kennzeichnend für diese Gruppe vonHörverstehenstexten ist, dass die gespro-chenen Texte mit den parallel gezeigtenBildern in einen Zusammenhang ge-bracht werden müssen, um die Bedeu-tung zu konstituieren. Da die (in denFernsehsendungen und Filmausschnit-ten) gezeigten Bilder medienspezifischenKonventionen unterliegen und kom-plexere Verstehensstrategien erfordern,soll das mehrdimensionale Ton-Bild Ver-ständnis sorgfältig abgestuft und auf diejeweilige Rezipientengruppe angepasstwerden.

3.1.3 Auditive Texte in Kombination mitSchrifttexten: Zu dieser Gruppe werdenbeispielsweise Lieder auf einer CD oderKassette, denen der Text beigelegt ist,oder vorgetragene Dichtung bzw. litera-rische Kleinformen mit Text (Hörbücher)gerechnet. Die Arbeit mit diesen Misch-formen von Hörtexten im Fremdspra-chenunterricht umfasst die simultaneVerarbeitung von auditiven und ge-schriebenen Informationen und ermög-licht eine Hilfestellung durch das Lese-verstehen bei der Aufgabenlösung imBereich des verstehenden Hörens (zurIntegration von Hören und Lesen vgl.Myczko 1995: 111 f.).

3.1.4 Hörsehtexte in Kombination mitSchrifttexten: Hier handelt es sich umHörvorlagen, bei denen Ton, Bild undgeschriebene Sprache als simultane Be-standteile in einem Textverarbeitungs-prozess auftreten (z. B. Filme mit Unterti-teln, Musikclips mit Liedtext etc.).Trotz des erforderlichen technischen undzeitlichen Aufwands sollte der Einsatzsolcher Mischformen von Hörtexten imengeren Sinne die bewährten Formen derherkömmlichen Hörverstehensförde-rung regelmäßig vervollständigen.

373

3.2 Präsentationsform In Anlehnung an Hüllen (1977: 35) kön-nen nach diesem Kriterium Hörtexte indrei Gruppen aufgeteilt werden:

3.2.1 Monologische Hörtexte: zu dieserGruppe zählen vor allem Kurzmel-dungen im Radio, Werbung, Präsentati-onen, Berichte, Kommentare, Reporta-gen, Vorträge, Nachrichten.

3.2.2 Dialogische Hörtexte: dazu gehörenTelefonanrufe, Interviews, an denen zweiGesprächspartner beteiligt sind, oderDialoge aus Filmen oder Theaterstücken.

3.2.3 Multilogische Hörtexte: zu dieserGruppe zählen Gruppeninterviews, Talk-shows, Unterhaltungen, Diskussionen.

Grundsätzlich sollten alle unterschie-denen Präsentationsmodalitäten im Hör-verstehenstraining in den Sommerkursenzum Tragen kommen, wobei hinsichtlichder Progression zuerst den monolo-gischen Hörtexten und erst dann den dia-logischen Hörtexten der Vorzug zu gebenist. Multilogische Hörtexte sind dagegenim nächsten Schritt allmählich und sorg-fältig aufbereitet heranzuziehen.

3.3 Form der Mündlichkeit In Anlehnung an Dirven (1984: 21 ff.)kann man bei der Typologisierung vonHörtexten von den Unterschieden zwi-schen geschriebener und gesprochenerSprache ausgehen (zur eingehendenCharakteristik gesprochener Sprache vgl.Schwitalla 1997: 14 ff., Hess-Lüttich 2001:284 ff. und Grotjahn 2005: 128 ff.) undfolglich drei Gruppen von Hörtexten un-terscheiden:

3.3.1 Nicht spontan gesprochene Hörtexte:Unter diese Kategorie fallen alle Texte,die zuerst geschrieben wurden und erstdann vorgelesen bzw. auswendig aufge-sagt werden. Wegen ihrer geringen Re-dundanz und der daraus folgenden ho-

hen Informationsdichte können solcheHörtexte wie auf Tonträger gesprocheneLiteratur (Hörbücher), Vorlesungen, The-aterstücke zum einen den Rezeptionspro-zess beeinträchtigen. Zum anderen kön-nen sie aber durch ihre sprachliche Kor-rektheit und thematische Geschlossen-heit das verstehende Hören erleichtern.Da der landeskundliche bzw. ästhetischeAspekt sowie die motivierende Funktionbei dieser Gruppe von Hörtexten in denVordergrund des Unterrichtsgeschehenszu stellen sind, wird das verstehendeHören in diesem Fall integrativ mit ande-ren Fertigkeiten beiläufig mitgeübt, wor-auf Krumm (2001: 1090) mit Recht hin-weist.

3.3.2 Vorbereitet spontan gesprochene Hör-texte: Zu dieser Zwischenkategorie gehö-ren Interviews, Reden, Ansprachen,Nachrichten oder Debatten, die einerseitsauf Grund der Vorbereitungsmöglichkeitdes Sprechers strukturiert, kontrolliertund durchdacht sind, andererseits ent-halten sie durchweg die Besonderheitender spontan gesprochenen Sprache wieWiederholungen, Betonungen, Gliede-rungssignale oder Denkpausen etc.

3.3.3 Unvorbereitet spontan gesprocheneHörtexte: Dieser Gruppe sind diverse All-tagsgespräche zuzuordnen, die durch dieLexik aus dem Bereich der gesprochenenUmgangssprache, grammatische Unre-gelmäßigkeiten, ellipsenförmige Sätze,sprachliche Redundanzen oder Anakolu-the gekennzeichnet sind. Diese Hörtexteeignen sich insbesondere für die Schu-lung des globalen Verstehens sowie fürdie Erarbeitung von Besonderheiten ge-sprochener Sprache. Im Hörverstehenstraining sollten alledrei Erscheinungsformen der gespro-chenen Sprache verwendet werden, wo-bei den vorbereitet spontan gespro-chenen Hörtexten die Priorität einzuräu-men ist.

374

3.4 Textsortenmerkmale1 Dieses Kriterium umfasst folgende zweiHauptgruppen von Hörtexten:

3.4.1 Fiktionale Hörtexte: Dieser Gruppewerden im Folgenden alle Hörtexte lite-rarischer Art zugeordnet, zu denen so-wohl die dem ästhetischen Genuss die-nenden poetischen Hörtexte (z. B. vorge-lesene Gedichte) als auch alle erzählen-den (d. h. narrativen) Hörtexte (z. B. vor-gelesene Kurzgeschichten, Ausschnitteaus Hörbüchern) gehören. Stellenwertund Kriterien der Auswahl von litera-rischen Schrifttexten werden genau beiAdamczak-Krysztofowicz (2003: Kapitel3.4) charakterisiert.

3.4.2 Nicht-fiktionale Hörtexte: Zu dieserGruppe zählen allgemeine Gebrauchs-texte wie z. B. Radiokommentare, Fern-sehnachrichten, Reportagen etc. Sie wer-den auch als Alltagstexte oder als prag-matische, populärwissenschaftliche bzw.expositorische Texte bezeichnet. (Zurrecht uneinheitlichen und noch lücken-haften Forschungslage zur Begriffsbe-stimmung, Abgrenzung und Typologi-sierung geschriebener Sach- und Ge-brauchstexte vgl. Adamczak-Krysztofo-wicz 2003: Kapitel 3.5). Außerdem zählen dazu spezialisierteSachtexte wie z. B. mündliche Präsentati-onen, Referate oder Vorträge zu einemSachthema, die gegenüber fiktionalenHörtexten durch drei entscheidende Kri-terien abgegrenzt werden können: reineZweckhaftigkeit, unmittelbarer Realitäts-bezug und Explizitheit der Information. Wichtige Komponenten der Hörverste-henskompetenz lassen sich mit beidenGrundformen sprachlicher Darstellun-gen im Hörverstehenstraining gezielt för-

dern. Die bevorzugten Textsorten sindallerdings durch eine Befragung der Ler-nergruppe zu bestimmen.

4. Kurze Charakteristik der im Rahmender UNISOM-Studie befragten Kurs-teilnehmer Sommerkurse werden in Deutschlandseit 1889 (erster Sommerkurs in Jena)durchgeführt und richten sich an »aus-ländische Studierende, die sich einigeWochen in Deutschland mit deutscherSprache und Kultur befassen möchten«(Bauer 2002: 12). Der DAAD präsentiertInformationen zu den aktuellen Kursenauf seiner Homepage (unter: http://www.daad.de/deutschland/deutschler-nen/sommerkurse/00490.de.html) sowiein einer Broschüre und CD-ROM. DerUmfang der Deutschintensivkurse imGesamtpaket der Sommerkurse ist unter-schiedlich hoch. Seit 1999 gibt es auchKursangebote in englischer Sprache(Bauer 2002: 37). In die quantitativ-qualitative Unisom-Studie wurden vier Hochschulen inDeutschland einbezogen, und zwar inden drei Bundesländern Hessen, Rhein-land-Pfalz und Schleswig-Holstein. Eshandelte sich hierbei sowohl um sog.Sommeruniversitäten (Frankfurt, Mar-burg), in deren Rahmen die Teilneh-merInnen im Sommer 2007 Veranstaltun-gen in ihren jeweiligen Fächern (teilweiseauf Englisch) belegen konnten und be-gleitend Deutschunterricht erhielten, alsauch um internationale Sommerkurse,die sich stärker auf den Sprachunterrichtkonzentrierten. Fast die Hälfte (46,83 %)der auswertbaren Fragebögen (n = 126)stammt von TeilnehmerInnen verschie-dener universitärer Sommerkurse in Kiel,

1 Textsorten werden hier als begrenzte Mengen von Textexemplaren mit spezifischenGemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer Gestaltung, Funktionalität und Sprachstrukturgedeutet.

375

etwa ein Viertel von TeilnehmerInnen derSommeruniversität in Frankfurt a. M.(25,57 %), 16,67 % von TeilnehmerInnendes internationalen Sommerkurses inMainz und 7,94 % aus der Sommeruni-versität in Marburg. Von den insgesamt126 KursteilnehmerInnen waren ca. 79 %weibliche Deutschlernende. Bei allen Be-fragten handelte es sich ausschließlichum erwachsene Lernende der Mittel- undOberstufe, von denen die überwiegende

Mehrheit (über 70 %) zum Zeitpunkt derUntersuchung noch ein Hochschulstu-dium absolvierte (89 Personen). Unterden verbleibenden Befragten waren dar-über hinaus 13 Lehrende und jeweils 3SchülerInnen sowie ÜbersetzerInnen.Was die Altersstufe anbetrifft, entfielendie häufigsten Nennungen (knapp 80 %)dementsprechend auf die Altersspannezwischen 18 und 24 Jahren (vgl. Abbil-dung 1).

Die meisten TeilehmerInnen (etwa einFünftel) gaben an, aus Russland zu kom-men, etwa 13 % nannten Polen.

5. Wünsche und Bedürfnisse der Kurs-teilnehmerInnen hinsichtlich der Hör-textauswahl und Aufgabengestaltung In Bezug auf die bevorzugten Höraktivi-täten sowie die Verfahrensweise bei derTextauswahl und bei der Aufgabenkons-truktion im Hörverstehenstraining wur-den folgende Fragen gestellt:

»An dem Hörverstehenstraining beteilige ichmich….

(Markieren Sie bitte auf jeder Zeile einenentsprechenden Buchstaben von A bis D, obSie die betreffende Höraktivität A (sehr gerne), B (gerne), C (nicht so gerne)oder D (überhaupt nicht gerne) machen.) … wenn wir Lieder hören … wenn wir Märchen und Geschichten hören… wenn wir authentische Fernsehprogramme

sehen … wenn wir Lehrbuchtexte hören … wenn wir Kurzfilme/Filme sehen … wenn wir etwas über Land und Leute erfah-

ren … wenn wir Fragen zum Text beantworten

sollen … wenn wir den gehörten Text zusammenfas-

sen sollen

Altersstufe

79,37%

9,52% 6,35% 2,94% 0,79% 0,79%0%

10%20%30%40%50%60%70%80%90%

18-24 25-30 31-40 41-50 Über 50 OhneWertung

Abbildung 1: Alter der TeilnehmerInnen

376

… wenn wir eine der zwei Alternativen (Rich-tig/Falsch bzw. Ja/Nein) ankreuzen sollen

… wenn wir Lücken in Einzelsätzen/Tabellen/Listen zu ergänzen haben

… wenn wir eine Multiple-Choice-Aufgabe(Auswahl a, b oder c bzw. d) ankreuzensollen

… wenn wir neue Schlüsselwörter aus demHörtext vor dem Hören genau erklärt be-kommen haben

… wenn der Text unserem sprachlichen Niveauentspricht (z. B. Lehrbuchdialoge)

… wenn die Texte viel Neues und Interessantesvermitteln

… wenn ich mir beim Hören Notizen mache … wenn ich den Text in Abschnitten höre … wenn ich den Hörtext mehr als zweimal höre … wenn ich dem Sprecher oder Vorleser auf den

Mund schauen kann … wenn ich zu dem gehörten Text vorher Asso-

ziationen gesammelt habe (in Form einesWortigels, eines Assoziationsnetzes, einerCollage)

… wenn es vorher visuelle Hilfen (z. B. Fotos,Überschriften) zu dem Text gibt

… wenn der Text klar und überschaubar geglie-dert ist

… wenn das Thema und die Inhalte meinemWissen und Erfahrungen angepasst sind

… wenn ich vorher Aufgaben/Fragen zu demHörtext bekommen habe, auf die ich michkonzentriere

… wenn ich die Transkription des Hörtextesdazu mitlesen kann

… wenn, ich (?) ………………….« »Für die Verbesserung der Hörverstehensent-wicklung bei Erwachsenen auf meiner Niveau-stufe empfehle ich meinen Kursleitern (Bitteergänzen Sie)« (offene Frage) Die Beantwortung der ersten genanntenFragestellung, die sowohl bevorzugteHöraufgaben und Texte als auch kon-krete Kriterien der Textauswahl in denVordergrund stellte, erbrachte die fol-gende Ergebnisse (vgl. Abbildung 2), diezur besseren Übersicht in drei Kategorienzusammengefasst werden:

1. Beliebte Textsorten: Die Ergebnisse zeigen die besondere Vor-liebe der Kursteilnehmer für die Arbeitmit authentischen Filmen, Fernsehpro-grammen und Liedern. Die Auswertung

dieser Fragenkategorie lässt auch dieSchlussfolgerung zu, dass viele Erwach-sene (d. h. über 46 % der Befragten) nichtso gerne bzw. überhaupt nicht gerne mitauditiven Lehrbuchtexten arbeiten. EineErklärung der Abneigung fast der Hälfteder Kursteilnehmer gegen Lehrbuchhör-texte ist vielleicht auf die mangelnde Ak-tualität und Authentizität und somitfragliche Attraktivität dieser Lehrmateri-alien zurückzuführen.

2. Bevorzugte Textauswahlkriterien: In Bezug auf die nur in der Auflistungimplizit genannten Kriterien, die bei derAuswahl eines bestimmten Textes für denKurseinsatz besonders berücksichtigtwerden sollten, stehen interessante undneue Inhalte des Textes und landeskund-lich orientierte Themen mit über 65 % allerNennungen auf den Plätzen 1 und 2. Beider Erwägung von weiteren textbezo-genen Faktoren, dank denen sich die Be-fragten an dem Hörverstehenstrainingsehr gern beteiligen, wird auch von knapp60 % der Informanten auf die Eigen-schaften der Hörer (d. h. auf die Berück-sichtigung ihrer Kenntnisse und Bedürf-nisse) verwiesen. Diese Angaben deutendarauf hin, dass die erwachsenen Kurs-teilnehmer häufiger in das Textauswahl-verfahren einbezogen werden sollten.

3. Beliebte Höraktivitäten und Aufgabenfor-mate:

Aus den Ergebnissen zu bevorzugtenHöraktivitäten und Aufgabenformenlässt sich folgendes Fazit ziehen: – Aufgabenbezogene Faktoren scheinen

für erwachsene Lernende viel wenigerrelevant zu sein als die bereits behan-delten textbezogenen Einflussfelder.Diese Schlussfolgerung bestätigt sichin den auffallenden Diskrepanzen beider Reihenfolge von textorientiertenAntwortalternativen, die weit vor allenaufgabenzentrierten Nennungen ran-gieren.

377

48,41%

34,13%

54,76%

11,90%

71,43%

65,87%

16,67%

19,05%

23,81%

23,81%

23,02%

44,44%

44,44%

66,67%

23,81%

23,81%

31,75%

37,30%

27,78%

43,65%

46,83%

57,94%

34,13%

26,98%

3,17%

34,13%

42,06%

30,16%

36,51%

24,60%

24,60%

40,48%

38,89%

32,54%

34,92%

39,68%

32,54%

34,13%

21,43%

34,92%

42,86%

43,65%

30,95%

35,71%

38,89%

39,68%

26,98%

38,10%

34,92%

1,59%

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Lieder

Märchen

Fernsehprogramme

Lehrbuchtexte

Filme

Infos über Land und Leute

offene Fragen zum Text

Textzusammenfassung

Entscheidungsfragen

Lückenergänzungen

Multiple-Choice-Aufgaben

Arbeit an Schlüsselwörtern

Geeignetes Sprachniveau

Neue/Interessante Infos

Anfertigung von Notizen

Hören in Abschnitten

Mehrmaliges Hören

Beobachtung des Mundes

Assoziationen vorher

Visuelle Hilfen vorher

Klare Textgliederung

dem Wissen angepasste Inhalte

Aufgabenblatt vorher

Mitlesen vonTranskripten

Sonstiges

Sehr gerne Gerne Nicht so gerne Überhaupt nicht gerne Ohne Wertung

Abbildung 2: Lieblingshöraktivitäten für die universitären Sommerkurse

378

– Bei der Gewichtung der aufgabenorien-tierten Daten fällt allerdings gleich auf,dass den in den Antwortmöglichkeitengenannten, auf den Rezeptionsprozessvorbereitenden und somit die Verste-hensleistung steigernden Verfahren(d. h. der vorherigen Arbeit an visuellenHilfen und an Schlüsselwörtern) einbesonderer Stellenwert beigemessenwird. Dieser Befund unterstreicht un-seres Erachtens die Notwendigkeit derBerücksichtigung/Einplanung einerlängeren Vorphase beim Hörverstehen-straining in Sommerdeutschkursen.

Die bisher gezogenen Schlussfolge-rungen bedürfen nun einer Gegenüber-stellung mit den Angaben der zweitenFrage, in der individuelle Wünsche fürdie Optimierung des Hörverstehenstrai-nings in den Sommerdeutschkursen er-mittelt werden sollten. Bei der Beantwor-tung dieser offenen Fragestellung listen59 Kursteilnehmer folgende Verbesse-rungsvorschläge auf (die Reihenfolgestellt die Rangfolge dar): – Förderung des Hör-Seh-Verstehens bei

der Arbeit mit Film- und Fernsehpro-grammausschnitten (15 Nennungen)

– Intensivierung des Hörverstehenstrai-nings (9 Nennungen)

– Fokussierung auf differenzierte audi-tive Texte, insbesondere aber aufLieder, humoristische Kurzgeschich-ten, Hörbücher, Witze, Werbespots, Re-portagen, Nachrichten (8 Nennungen)

– Abwechslung im Hörverstehenstrai-ning durch differenzierte Aufga-benstellungen und Arbeitsverfahren (7Nennungen)

– Variation in der Auswahl von aktuellenThemen unter besonderer Berücksich-tigung der Alltagssituationen (6 Nen-nungen)

– Intensive Arbeit am Hörvokabular (5Nennungen)

– Kombination des Hörverstehens mitdem Sprechen, und zwar vor dem und

nach dem Hörvorgang in Form vonHypothesenaufstellung, Diskussions-runde, Zusammenfassungen, thema-tischen Präsentationen etc. (5 Nen-nungen)

– Längere Vorentlastungsphase mit obli-gatorischer Kontexteinblendung (4Nennungen)

– Steigerung des Niveaus des Hörverste-henstrainings durch den Einsatz vonanspruchsvolleren authentischen Tex-ten (3 Nennungen)

– Schaffung von direkten Kontakten mitMuttersprachlern (3 Nennungen)

– Beteiligung der Kursteilnehmer an derText- und Themenauswahl (2 Nen-nungen)

– Differenzierung der Sozialformenbeim Hörverstehenstraining (1 Nen-nung)

– Sensibilisierendes Strategientrainingverbunden mit der Selbstevaluation (1Nennung)

– Kombination des Hörverstehens mitdem Lesen durch die Bereitstellung derTranskription am Ende des Hörverste-henstrainings (1 Nennung)

Die meisten Verbesserungsvorschlägebeziehen sich somit auf die Einbeziehungvon Hör-Seh-Texten sowie die Forderungnach mehr Hörtexten allgemein. Dabeiwurde auch geäußert, dass vor allemauthentische Hörtexte gewünscht wer-den, z. B. von einem Lernenden, der Fol-gendes angab: »Radio und Fernseher – aber nicht diese doofeanfänger gemachte Videos«. Außerdemwurden häufig Wünsche geäußert, diesich auf bestimmte Textsorten und Auf-gabenstellungen bezogen.

6. Fazit Obwohl jedes Jahr Tausende vonDeutschlernenden aus den verschiedens-ten Ländern nach Deutschland kommen,um in universitären Sommerdeutsch-kursen u. a. ihre Sprachkenntnisse zu ver-

379

bessern, waren diese bisher kaum Gegen-stand empirischer Untersuchungen. Unddies, obwohl die Sommerkurse lautDAAD auch das Interesse für einen län-geren Studien- oder Forschungsaufent-halt an einer deutschen Hochschule we-cken (vgl. http://www. daad.de/deutsch-land/deutschlernen/ sommerkurse/00490.de.html) und somit die Internatio-nalisierung der deutschen Hochschulenvorantreiben sollen. Wir halten es daherfür sehr wichtig, die Interessen und An-forderungen der Lernenden zu ermittelnund in einer modernen Unterrichtskon-zeption zu berücksichtigen. Unsere Un-tersuchungsergebnisse sollten dazu inBezug auf die Gestaltung des Hörverste-henstrainings einen Beitrag leisten.

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Sylwia Adamczak-Krysztofowicz Dr. phil; Studium der Angewandten Lin-guistik und Germanistik in Poznań undin Heidelberg. Von 1998 bis 2002 Dokto-randin an der Adam-Mickiewicz-Univer-sität in Poznań. Forschungsaufenthalte inBerlin, Kiel, Wien und Marburg. Von1999 bis 2007 wissenschaftliche Mitarbei-terin an der Europa-Universität ViadrinaFrankfurt (Oder). Nach der Promotion imJahr 2002 Oberassistentin am Institut fürAngewandte Linguistik in Poznań, der-zeit Habilitationsprojekt zur Förderungder Hörverstehenskompetenz im DaF-Unterricht mit Erwachsenen.

Antje Stork Dr. phil; Studium Deutsch und Franzö-sisch (1. Staatsexamen), Promotion imJahr 2003 im Bereich Deutsch als Fremd-sprache in Marburg. Mehrjährige Tätig-keit als DaF-Lehrerin an Volkshochschuleund Sommeruniversität. Seit 1999 wis-senschaftliche Mitarbeiterin an derPhilipps-Universität Marburg, derzeitHabilitationsprojekt zu Lerntagebüchernim Fremdsprachenunterricht.

381

E-Learning im Rahmen der Lehrerbildung: DieUnterstützung von Unterrichtspraktika durchelektronische Lernplattformen

Maik Walter

Zusammenfassung 1. Übernehmen Sie mal! Praktika in der Lehrerausbildung 2. Die ersten Schritte des Lehrens im DaF-Einzelunterricht 2.1 Die One-to-One-Tutorien und das Fach Deutsch als Fremdsprache an der FU Berlin 2.2. Die Praktikumsbetreuung im Rahmen des One-to-One-Tutoriums 2.2.1 Die Phasen des begleitenden Proseminars im Überblick 2.2.2 Die Unterstützung durch die Lernplattform Blackboard 3.1 Die Verknüpfung der einzelnen Phasen mit der Lernplattform 3.1.1 Der elektronische Mehrwert 4. Fazit Literatur

1. Übernehmen Sie mal! Praktika in derLehrerbildung1 Nicht erst seit der Generation Praktikumgelten Praktika als wichtige Bestandteileauch einer akademischen Ausbildung.Was in anderen Fächern durch die neueingerichteten Bachelor- und Masterstu-diengänge als große Innovation curricu-lar festgeschrieben wurde, ist in der Leh-rerbildung seit Jahrzehnten institutionellverankertes Ausbildungselement. Gene-rationen von Studierenden konnten undkönnen im Unterrichtspraktikum ihreersten Schritte im eigenen Unterrichtengehen. Den Studierenden wird in einemgeschützten Raum die Möglichkeit gege-ben, zu testen, ob eine Aufgabe in derUnterrichtspraxis eine realisierbare Be-rufsoption darstellt. Viele erfahrene Leh-

rer fordern deshalb einen größeren Stel-lenwert für Praktika in der akademischenAusbildung. Damit ein in diesem univer-sitären Rahmen sinnvolles Angebot fürdie Studierenden geschaffen wird, müs-sen zuvor erworbenes theoretisches Wis-sen mit den Erfahrungen in der Unter-richtspraxis vernetzt werden. Denn Prak-tikum ist nicht gleich Praktikum: Be-treute Angebote mit einem Mentor unter-scheiden sich hier deutlich von der viel-fach kritisierten zumeist kostenlosenÜbernahme von Hilfsaufgaben wie bei-spielsweise ungeliebte Vertretungsstun-den oder aber die Katalogisierung derLehrmaterialien. Ein betreutes Prakti-kum ist nicht ein bloßes Eintauchen in diejeweilige Praxis, es sollte vielmehr einenAbgleich des bereits im Studienverlauf

1 Im Beitrag werden maskuline Formen generisch verwendet, so wird unter einem›Studenten‹ selbstverständlich sowohl ein weiblicher als auch ein männlicher Studentverstanden.

Info DaF 36, 4 (2009), 381–393

382

erworbenen Wissens und Könnens mitder Praxis darstellen. Dazu ist es beson-ders wichtig, während des Praktikumsdas eigene Verhalten im Unterricht zuplanen, zu beobachten und zu reflektie-ren (vgl. Altrichter/Posch 2007, Warneke2007 sowie Walter in Vorb.). In derFremdsprachendidaktik gibt es eineganze Reihe von Vorschlägen, Praktikazu gestalten (vgl. Ehnert/Königs 2000).Der vorliegende Beitrag stellt mit densogenannten One-to-One-Tutorien eineForm des betreuten Praktikums in derFremdsprachenlehrerausbildung vor. ImMittelpunkt steht dabei die Frage, wieelektronische Lernplattformen bei Unter-richtspraktika effizient eingesetzt wer-den können. Dazu werde ich im Ab-schnitt 2 diese Form der Unterrichtsprak-tika und das Fach Deutsch als Fremd-sprache, wie es an der Freien UniversitätBerlin gelehrt wird, kurz vorstellen, be-vor ich dann im Abschnitt 3 das BlendedLearning-Konzept und seine Umsetzungpräsentiere.

2. Die ersten Schritte des Lehrens imDaF-Einzelunterricht

2.1 Die One-to-One-Tutorien und dasFach Deutsch als Fremdsprache an derFU Berlin Das Fach Deutsch als Fremdsprache ist inder Erwachsenenbildung lokalisiert. DerBegriff der Lehrerbildung wird damit vonmir als weit ausgelegt und umfasst nebendem schulischen Bereich auch den außer-schulischen Bereich, insbesondere den derErwachsenenbildung. An der Freien Uni-versität Berlin kann man die Lehrbefugnisfür das Fach im Rahmen eines Zusatzstu-diums erlangen, das auf eine Dozententä-

tigkeit in der Sprach- und Kulturvermitt-lung des Deutschen als Fremdsprache(DaF) vorbereitet1. Das Studium begleitetdas Hauptstudium der Germanistik undumfasst 10 Lehrveranstaltungen sowie einobligatorisches Unterrichtspraktikum.Dieses Praktikum kann man entweder aneiner Universität oder Sprachenschule imAusland absolvieren oder aber als einsogenanntes One-to-One-Tutorium imInstitut für Deutsche und NiederländischePhilologie der Freien Universität. Bei die-ser Form handelt es sich um eine sehrintensive Form des Einzelunterrichts, diean der Freien Universität seit mehr als 15Jahren in die DaF-Lehrerausbildung inte-griert ist (Ahrenholz & Rost-Roth 1995,Ahrenholz 2000) und bei der ein DaF-Studierender (der Tutor) ein Semesterlang einen ausländischen Studierenden(den Tutee) unterrichtet. Es wird jeweilsim Wintersemester angeboten. Für die 15Sitzungen des Tutoriums wird ein ge-meinsames Curriculum ausgehandelt,wobei einige Aufgaben vorgegeben wer-den – wie beispielsweise die Feststellungdes Sprachstands des Tutees oder aber dasVerfassen eines argumentativen Auf-satzes –, es besteht aber auch ein großerFreiraum, der durch die Studierenden ge-füllt werden kann. Es gibt einige Sit-zungen, an denen alle Tutoren und Tuteesgemeinsam teilnehmen, beispielsweiseein Workshop zum interkulturellen Ler-nen mit einem anschließenden Besuch ei-ner Theatervorstellung, der Normalfall istaber der Einzelunterricht in einer face-to-face-Situation. Das skizzierte Modell derOne-to-One-Tutorien wurde in den ver-gangenen Jahren weiterentwickelt. Fürden hier thematisierten Bereich des e-Learning ist insbesondere das Gießener

1 Mit dem Sommersemester 2007 wurden die letzten Studierenden in den Zusatzstudien-gang aufgenommen. An der Freien Universität Berlin können sich Studierende nichtmehr in diesem Fach immatrikulieren, auch ein Masterstudiengang wurde bislang nichteingerichtet.

383

Elektronische Praktikum hervorzuheben(Rösler 2003, Rösler & Würffel 2003,Tamme 2001, Tamme & Rösler 1999, Wür-fel 2004). Hierbei wurden elektronischeLernplattformen auch als Medium, in demder Unterricht selbst stattfindet, einge-setzt. Dies unterscheidet sich aber grund-legend von dem hier dargestellten Ansatz,bei dem die Unterrichtsversuche mithilfeeiner solchen Lernplattform lediglich di-daktisch betreut werden (vgl. Abschnitt3). Das Gesamtkonzept der Betreuungwird Gegenstand des nächsten Abschnittssein.

2.2 Die Praktikumsbetreuung im Rah-men des One-to-One-Tutoriums Das Praktikum besteht aus drei Ele-menten: Die wöchentlichen Unterrichts-versuche werden durch ein obligato-risches Proseminar vorbereitet und beglei-tet. Daneben gibt es ein wöchentlichesfakultatives studentisches Tutorium. Andem Praktikum nahmen in den letztendrei Jahren 38 DaF-Studierende undebenso viele ausländische Studierendeteil. Im Folgenden werde ich mich auf dasbegleitende Proseminar fokussieren.

Das Begleitseminar für das One-to-One-Tutorium gliedert sich in fünf Phasen: – die Vorbereitungsphase (2 Monate), – die Präsenzphase I (3 Blockveranstal-

tungen mit jeweils 4 Seminarsit-zungen),

– die Phase des eigenverantwortlichenUnterrichtens (und Bearbeitens vonAufgaben),

– die Präsenzphase II (3 Seminarsit-zungen in der zweiten Hälfte des Se-mesters) und

– die Evaluationsphase (abschließendeReflexion und Seminargespräch).

Diese Phaseneinteilung geht nicht mitdem in der akademischen Lehre üblichenWochenzyklus einher und beruht aufmeinen Erfahrungen in der Lehrerbil-dung. Eine der großen Schwierigkeiten,Unterrichtspraktika sinnvoll zu beglei-ten, besteht nämlich darin, dass die Prak-tikanten sofort der Komplexität des Un-terrichtsgeschehens ausgesetzt sind. DasWissen, wie ein Unterrichtsverlauf ge-plant werden kann, welche Möglich-keiten der Korrektur der Fremdsprachebestehen oder aber welche Übungs-formen sich für die Förderung bestimm-ter Kompetenzen eignen, wird bereits inder ersten Unterrichtssituation mit demTutee benötigt. Um einen eventuellenPraxisschock abzumildern, geht deshalbdem ersten Unterrichtsversuch eine Prä-senzphase voraus, in der Grundlagen derFremdsprachendidaktik – auf den Einzel-unterricht abgestimmt – wiederholt bzw.erarbeitet werden. Die 3 Blockveranstal-tungen dieser Phase werden durch einearbeitsintensive Vorbereitungsphase ab-gesichert. Wünschenswert wäre es natür-lich, die Praktika intensiv in einer Block-phase vorzubereiten und gleichzeitig miteinem wöchentlichen Seminar zu beglei-ten. Dies kann jedoch aus Kapazitäts-gründen nicht gewährleistet werden: Dasgesamte Konzept basiert auf einer Lehr-kapazität von 2 Semesterwochenstunden

Abbildung 1: Begleitungskonzept der One-to-One-Tutorien

384

und weiteren 2 Semesterwochenstunden,die für die Tätigkeit eines studentischenTutors beantragt werden können. Esmuss also entschieden werden, wie dieinsgesamt 4 SemesterwochenstundenPräsenzlehre mit möglichst großem Wir-kungsbereich portioniert werden kön-nen. Denn es darf nicht vergessen wer-den, dass in der Erwachsenenbildungkein Referendariat existiert und das Prak-tikum demnach die letzte curricular fest-gelegte Möglichkeit ist, praktische Kom-petenzen – wie beispielsweise die Pla-nung des eigenen Unterrichts oder aberdie adressatenspezifische Auswahl vonsprachlichem Material für den Unterricht– auszubilden. Einen Ausweg aus diesemDilemma bietet die folgende Kombina-tion: Zum einen wird das begleitendestudentische Tutorium wöchentlichdurchgeführt. Zum anderen wechseln imProseminar die Präsenzphasen mit derPhase des selbständigen Arbeitens, diejedoch durch eine Lernplattform beglei-tet wird. Damit ist trotz der geringenLehrkapazität eine intensive Betreuungmöglich und zudem lassen sich Prosemi-nar und studentisches Tutorium gut ver-netzen. Es lässt sich aber nicht verschweigen, dassdiese intensive Betreuung auch ihren Preisauf der Seite der Lehrenden hat. Durch dieaufgezeigte Kombination geht die Vorbe-reitung und Betreuung weit über die eineszweistündigen Seminars hinaus.

2.3 Die Phasen des begleitenden Prose-minars im Überblick Nach der erfolgreichen Bewerbung umeinen Praktikumsplatz erhalten die Stu-dierenden zur Vorbereitung zunächst einumfangreiches Informationsmaterial. Esenthält unter anderem den Seminarplan,eine ausführliche Bibliographie und eineReihe von Aufgaben, die bis zu Beginndes Tutoriums bearbeitet werden müs-sen. Dafür stehen zwei Monate zur Verfü-

gung. In dieser Phase wird von den Stu-dierenden ein kurzes Impulsreferat er-stellt, wobei die Aufgabe darin besteht, – einen thematischen Schwerpunkt (z. B.

die Förderung der Lesefertigkeit) imZeitraum von 20 Minuten aufzuberei-ten,

– dafür die didaktische Literatur auf diebesondere Situation des Einzelunter-richts zu hinterfragen und

– auf deren Basis und in Auswertungeines vorher festgelegten Lehrwerkseine Anwendungsphase zu konzipie-ren, in der die Studierenden typischeÜbungs- und Aufgabenformen desSchwerpunkts sowie eine möglicheAbfolge dieser Übungen und Aufga-ben zusammenstellen, entwickeln bzw.diskutieren.

Zu Beginn der ersten Präsenzphase wer-den die Kenntnisse der Studierenden aufdem Gebiet der deskriptiven Grammatikdes Deutschen überprüft, damit erhaltensie ein Feedback über ihre Kenntnisseund werden ggf. aufgefordert, diese auf-zufrischen. Grundlage ist hierbei eineEinführung in die Germanistische Lingu-istik und eine deskriptive Überblicks-grammatik der deutschen Sprache. An-schließend werden in der ersten Präsenz-phase didaktische Inhalte vermittelt bzw.wiederholt. Im Mittelpunkt stehen diefolgenden Themen, um die sich auch dieImpulsreferate gruppieren: – Verfahren der Sprachstandserhebung,

Testen und Prüfen – Fehleranalyse und Fehlerkorrektur – Übungs- und Aufgabentypologien – Unterrichtsplanung und -auswertung – Auswahl und Didaktisierung von Tex-

ten und Übungsmaterialien zu den vierBasisfertigkeiten Lesen, Schreiben, Hö-ren und Sprechen.

Erst nach dieser Phase, die einerseits derWiederholung und Festigung des didak-tischen Grundwissens aus den bereitsabsolvierten Proseminaren und anderer-

385

seits der Fokussierung auf den Einzelun-terricht dient, beginnen die Studierendenmit ihren ersten Unterrichtsversuchen.Diese Versuche werden selbständig übereinen Zeitraum von 15 Wochen durchge-führt. In dieser Zeit erhalten die Studie-renden zudem Aufgaben, die sie selb-ständig bearbeiten. Beispielsweise erstel-len sie in dieser Zeit ein Lernerportrait,wobei sie den Tutee ausführlich beschrei-ben, d. h. seine Herkunft, seine Interes-sen, seine Ziele im Tutorium, aber auchseinen Sprachstand und die grundle-genden Strukturen seiner Muttersprache.Die Studierenden haben darüber hinausdie Möglichkeit, an einem wöchentlichenstudentischen Tutorium teilzunehmen, indem ihre eigenen Unterrichtsversuche,Lehrmaterialien und Übungsformen dis-kutiert werden. Dies stellt ebenso wie diewöchentliche Sprechstunde eine Formder Supervision dar. Eine zweite Prä-senzphase ist in diese Phase integriert:Hierbei werden in drei kurzen thema-tischen Einheiten im Rahmen von Vorträ-gen exemplarische Gegenstände der ers-ten Präsenzphase vertieft. Beispielsweisewurde ein Gastvortrag zur Struktur vonAufgaben gehalten. Diese Einheiten soll-ten möglichst von Vertretern der Praxisübernommen werden. In der abschlie-ßenden Evaluationsphase werden amEnde des Semesters alle drei Elemente –das One-to-One-Tutorium, das Begleitse-minar und das begleitende studentischeTutorium – durch die Studierenden eva-luiert. Hierbei ist es besonders wichtig,

dass diese Bereiche in der Evaluierungklar getrennt werden. Misserfolge im Un-terricht müssen nicht zwingend auf eineschlechte Vorbereitung und Begleitungschließen lassen, und natürlich mussnicht ein erstklassiges Proseminar zu er-folgreichen Unterrichtsversuchen führen.Deshalb werden die einzelnen Unter-richtssitzungen jeweils am Ende kurz re-flektiert, außerdem wird das gesamtePraktikum von den Tutoren in schrift-licher Form ausführlich am Ende reflek-tiert. In einer Evaluationssitzung werdenanonym – angelehnt an die Delphi-Me-thode1 – das Proseminar und das beglei-tende Tutorium getrennt evaluiert undim Anschluss noch einmal in mündlicherForm ausgewertet. Dabei werden auchdie Unterrichtsversuche einbezogen.

3. Die Unterstützung durch die Lern-plattform Blackboard Eine Lernplattform bildet gewöhnlichdas Zentrum einer komplexen webba-sierten E-Learning-Infrastruktur2. Dieseauf einem Webserver installierte Soft-ware dient dem Bereitstellen von Lernin-halten und bietet zudem Instrumente fürdas kooperative Arbeiten. An der FreienUniversität Berlin wurde ein Kompetenz-zentrum e-Learning/Multimedia (http://www.e-learning.fu-berlin.de/) aufge-baut, das universitätsintern Aktivitätenim e-learning unterstützt. Dabei verwen-det die Freie Universität die Lernplatt-form Blackboard (http://www.black-board.com), die seit drei Jahren auch in-

1 Hierbei erhält jeder Seminarteilnehmer ein leeres Blatt und wird gebeten, drei positiveund drei negative Punkte der Lehrveranstaltung festzuhalten, nachdem das gesamteLehrveranstaltungskonzept noch einmal erklärt wurde. Anschließend vermerkt jederTeilnehmer auf jedem Blatt mit einem Kürzel, ob er mit den Punkten einverstanden odernicht einverstanden ist (oder aber für irrelevant hält). Am Ende wird jedem Teilnehmerdamit ein Meinungsbild der von ihm aufgeworfenen Punkte gegeben und demSeminarleiter eine objektivierte (da mehrstufige) Auswertung durch die Studierenden.Dieses Verfahren (vgl. Häder 2002) hat sich auch in der Evaluierung bewährt.

2 Vgl. auch http://www.e-teaching.org/technik/distribution/lernmanagementsysteme so-wie http://lms.fu-berlin.de

386

tensiv für die Lehrveranstaltungen imZusatzstudium DaF genutzt wird, insbe-sondere auch bei der Betreuung der One-to-One-Tutorien. Es muss angemerktwerden, dass Alternativen zu dieserLernplattform existieren. Diese Systemebieten zumeist einen vergleichbarenFunktionsumfang1 und sind deshalbebenso geeignet. Deshalb werde ich imFolgenden nicht von der eingesetztenLernplattform Blackboard sprechen, son-dern ganz allgemein von Lernplatt-formen.

3.1 Die Verknüpfung der einzelnen Pha-sen mit der Lernplattform Die Lernplattform klammert die drei Be-standteile des Praktikums und ermög-licht eine starke Vernetzung zwischenden jeweiligen Aktivitäten (vgl. Abbil-dung 2). Dieses begleitende Angebotdurch die Lernplattform wird im Fol-genden »Kurs« genannt. Der Kurs setzt sich aus sieben Einheitenzusammen (vgl. Abbildung 3), die mitgrünen Buttons markiert sind: Die Stu-dierenden melden sich bis zu einemStichtag selbständig im Kurs an. DerKontakt zu den Studierenden erfolgtfortan über das Kontaktformular auf derLernplattform (KOMMUNIKATION).Daneben werden rein organisatorischeHinweise über das gesamte Semester alsANKÜNDIGUNGEN verbreitet (vgl. Ab-bildung 4). Neben diesen beiden (in Ka-pitälchen formatierten) Ordnern gibt esden KURS-KALENDER, die KURSIN-FORMATIONEN, das MATERIAL, dieDISKUSSIONSPLATTFORM und dasTUTORIUM. Im (studentischen) Tuto-rium werden Kurzprotokolle dieser wö-chentlichen Treffen abgelegt. Da es sich

um ein fakultatives Zusatzangebot han-delt, können auch Studierende den Ver-lauf nachvollziehen, die nicht daran teil-nehmen möchten. Der KURS-KALEN-DER erinnert an Aufgaben und Termineim Tutorium.Die Lernplattform spielt in den einzelnenPhasen des Praktikums eine jeweils ganzspezifische Rolle:In der Vorbereitungsphase dient dieLernplattform der ersten Orientierungund der Bereitstellung des Materials zurVorbereitung. Im Ordner KURSINFOR-MATION werden grundlegende Infor-mationen über das Proseminar durch denLink auf das Kommentierte Vorlesungs-verzeichnis sowie der Seminarplan unddie Literaturliste gespeichert. Im Ordner

1 Weit verbreitet ist die Lernplattform Moodle, die auf einer Open-Source-Basis entwickeltwurde und damit kostenfrei verfügbar ist (http://moodle.org/). Für viele Universitätenist Moodle deswegen eine wesentlich attraktivere Alternative.

Abbildung 2: Erweitertes Begleitungskon-zept der One-to-One-Tutorien mithilfe einerLernplattform

387

Abbildung 3: Der sich sukzessiv entfaltende Ordner MATERIAL (Ausschnitt)

Abbildung 4: ANKÜNDIGUNGEN von zeitlich befristeten Terminen

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MATERIAL werden darüber hinauskleinere Aufsätze sowie Link-Samm-lungen, die der ersten Orientierung die-nen, zur Verfügung gestellt. Studierendekönnen dort ebenfalls nützliche Materi-alien für die anderen Seminarteilnehmerzur Verfügung stellen (vgl. Abbildung 3).Für die beiden Präsenzphasen wird derOrdner MATERIAL weitergenutzt. An-dere Ordner kommen jedoch hinzu: Einewesentliche Aufgabe für die Studieren-den ist die Erstellung des oben beschrie-benen Impulsreferates. Das dafür zu ent-wickelnde Handout und die Planung derdarauf folgenden Anwendungsphase

werden mit dem Dozenten in der Sprech-stunde im Vorfeld besprochen. DasHandout wird auf der Lernplattform füralle Teilnehmer zur Verfügung gestellt.Die Studierenden sind selbst verantwort-lich, sich die jeweiligen Handouts bzw.die zusätzlichen Materialien herunterzu-laden und ggf. auszudrucken. Damitwerden diese Papiere schon vor der je-weiligen Sitzung zur Kenntnis genom-men und die Diskussion verläuft aufeinem wesentlich anspruchsvolleren Ni-veau. Dafür wurde auf der DISKUSSI-ONSPLATTFORM ein eigener OrdnerREFERATE angelegt (vgl. Abbildung 5).

Die DISKUSSIONSPLATTFORM wird inder Phase des eigenverantwortlichenUnterrichtens zum wichtigsten Elementdes Kurses. Hier veröffentlichen die Teil-nehmer wöchentlich ihre Unterrichts-

skizzen als RTF-Dokumente1. Diese be-stehen aus der Festsetzung eines kon-kreten Unterrichtsziels, einer knappenVerlaufsplanung und einer Reflexion desdurchgeführten Unterrichtsversuchs. Die

Abbildung 5: Referate, Unterrichtsentwürfe auf der DISKUSSIONSPLATTFORM (Aus-schnitt)

1 Das Rich Text Format (RTF) ist ein Dateiformat für Texte, das zum Datenaustauschzwischen unterschiedlichen Textverarbeitungsprogrammen auf verschiedenen Betriebs-systemen dient.

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Struktur des ersten Unterrichtsversuchs,die Erhebung des Sprachstands, wirddurch den Dozenten vorstrukturiert undmit der entsprechenden Skizze den Stu-dierenden an die Hand gegeben. Dieses»Modell« wird bereits in der Präsenzpha-se gemeinsam besprochen und in denfolgenden Wochen von den Studierendenfür ihre eigenen Versuche adaptiert.Sämtliche Skizzen aus vergangenen Se-mestern stehen ebenfalls als eigener Ord-ner für die Ideenfindung zur Verfügung.Neben den Unterrichtsversuchen gibt eseine Reihe von Aufgaben, die sukzessivebearbeitet werden. Beispielsweise wur-den in einem Seminar kognitive Lerner-fragen aus dem Bereich der Grammatikauf der Diskussionsplattform gesammeltund diskutiert, wie mit diesen Fragenumgegangen wird. Diese Fragen geltenin der Forschung auch als Hypothesendes Lerners über die zu erwerbendeFremdsprache. Diese Sichtweise (vgl.Eckerth 1998) wurde zuvor in der Prä-senzphase vorgestellt. Auch kooperativeAufgaben wie die Vorbereitung einer ge-meinsamen Unterrichtssitzung mit allenTutees oder aber die Anfertigung einerSammlung von grammatischen Lernspie-len (Walter/Reznicek 2008) wurden indiesem Forum diskutiert und ausgehan-delt. Die Diskussionsplattform diente da-neben auch als eine Sammelstelle der zuerhebenden Lernerdaten aus dem Tuto-rium. Das Tutorium ist in die empirischeForschung des Studiengebietes Deutschals Fremdsprache eingebunden. ZumBeispiel wurden Lernerdaten für das feh-lerannotierte Lernerkorpus Falko1 erho-ben oder aber Leitfrageninterviews zurRolle des Theaters im Fremdsprachenun-terricht geführt. Diese Daten werdendurch die Studierenden nach der Erhe-

bung in den jeweiligen Ordnern abgelegtund durch die Studierenden ebenfallsausgewertet. Sie wenden auf diese WeiseTechniken des empirischen Arbeitens an(vgl. Albert/Koster 2002) und verknüpfendie praktischen Unterrichtserfahrungenmit einer empirischen Sprachlehrfor-schung. Schon zu Beginn des Semesterserhalten die Studierenden eine Übersichtvon solchen Aufgaben. Dafür benötigteHilfsmittel werden im Ordner MATE-RIAL zur Verfügung gestellt.Die Abbildung 6 demonstriert einen sol-chen Hilfsmittelkatalog am Beispiel derTranskriptionsaufgabe. Die Studierendentranskribieren ausgewählte Sequenzenihres eigenen Unterrichts, bzw. eigeneInterviews mit dem Lerner. Für dieTranskription sind in der Linguistik undempirischen Unterrichtsforschung Stan-dards und Werkzeuge entwickelt worden(vgl Dittmar 2004). Der Einsatz dieserWerkzeuge wird im studentischen Tuto-rium präsentiert und eingeübt. Im Ord-ner MATERIAL werden für die Nachbe-reitung verschiedene Anleitungen (sowiedie Links zu den frei verfügbaren Pro-grammen) zusammengestellt (vgl. Abbil-dung 6). In der Evaluationsphase spielt die Lern-plattform nur eine untergeordnete Rolle.Die Studierenden werten in einer aus-führlichen Reflexion das gesamte Tuto-rium mit seinen drei Elementen aus.Dazu werden Leitfragen vorgegeben.Das Ergebnis wird ebenfalls in Form vonRTF-Dateien in ein Unterverzeichnis derDiskussionsplattform eingespeist. AlleReflexionen sind damit für alle Teilneh-mer zugänglich. Nach den Unterrichts-versuchen wird für jeden Teilnehmer biszum Ende des Semesters eine DVD er-stellt mit sämtlichen erarbeiteten Inhal-

1 Vgl. Lüdeling et al. 2008. Das Korpus ist frei verfügbar auf der Projekt-Homepage http://www.linguistik.huberlin.de/institut/professuren/korpuslinguistik/forschung/falko.

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ten (Walter 2008). Dies sind unter ande-rem die vorgestellten Unterrichtsskizzen,die dazu entwickelten Materialien wiebeispielsweise Lernspiele, aber auch dieLernerdaten. Diese im Tutorium erho-benen Daten stehen für alle Teilnehmerzur Verfügung und bieten eine gute Basisfür weitergehende Analysen, beispiels-weise im Rahmen einer Magister- oderStaatsexamensarbeit.

3.2 Der elektronische Mehrwert Wodurch zeichnet sich nun eine elektro-nische Lernplattform gegenüber her-kömmlichen Betreuungsangeboten aus?Das hier skizzierte Konzept geht weitüber traditionelle Begleitmodelle vonPraktika wie etwa ein wöchentliches Tref-fen oder aber eine begleitende Websitehinaus. Hierbei können zwar ebenfallsMaterialien in der Form von Readern zurVerfügung gestellt werden, aber in derRegel nur vom Dozenten. Die Lernplatt-form bietet die Möglichkeit, die Materi-

alien kontinuierlich abzurufen. Darüberhinaus können diese aber auch adaptiertund diskutiert werden. Als kontinuier-lich zur Verfügung stehende, nicht aneinen Ort gebundene Materialbasis leisteteine elektronische Lernplattform für dieStudierenden unschätzbare Dienste. Da-neben erleichtert sie für den Lehrendendie Stimulierung des kooperativen Ar-beitens, denn die Studierenden könnenauf der Lernplattform eigene Materialienuntereinander diskutieren und austau-schen. Dies betrifft neben den Unter-richtsmaterialien ebenso die Lösungender zu bearbeitenden Aufgaben. Die Auf-gaben werden möglichst so angelegt,dass ein kooperatives Bearbeiten geför-dert wird. Wenn beispielsweise die Mut-tersprache der Lerner in einem Sprach-portrait skizziert wird und mehrere Tu-tees diese Sprache sprechen, werden un-terschiedliche Bereiche der Mutterspra-che dargestellt (und nicht zweimal einvergleichbares Sprachportrait entwi-

Abbildung 6: Hilfsmittel im Ordner MATERIAL

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ckelt). Welche Bereiche dies sind, müssendie Studierenden selbst auswählen. Dazubedarf es Absprachen, die aber bequemauf der Lernplattform durchgeführt wer-den können. Ein anderes Beispiel wärehier die kooperativ erstellte und bereitsoben erwähnte Lernspielsammlung. Hiermüssen Inhalt und Formen ausgehandeltwerden, denn die Aufgabe besteht darin,so viele unterschiedliche Spiele wie mög-lich zu einem sprachlichen Gegenstandzu sammeln und selbst zu entwickeln.Der eigentliche Mehrwert einer elektro-nischen Lernplattform kommt besondersin der Phase des selbständigen Arbeitenszur Geltung, denn hier wären die Studie-renden ohne eine solche Plattform aufsich allein gestellt und ein kooperativesArbeiten zwischen allen Studierendennur mit großem Zeitaufwand organisier-bar. Das skizzierte Blended Learning-Konzept trug in den letzten drei Jahreninsbesondere in dieser Phase zum Erfolgder Praktika bei. In den Präsenzphasenwurde deshalb auch immer auf die Ar-beit mit Blackboard in den restlichenPhasen des Seminars hingewiesen. Be-sonders positiv hervorzuheben ist dieReflexion der einzelnen Sitzungen mit-hilfe einer Lernplattform. Der einerseitsöffentliche und doch geschützte Rahmenhilft erfahrungsgemäß bei der anfäng-lichen Orientierungslosigkeit, indem sichdie Studierenden über andere Unter-richtsskizzen bzw. reflektierende Proto-kolle informieren. Darüber hinaus ver-hindert dieser öffentliche Rahmen einezu starke Psychologisierung und förderteine sachliche Beschreibung und Refle-xion des eigenen Unterrichts. Auf denCharakter eines öffentlichen Genres wirdaus diesem Grund in der Präsenzphasehingewiesen. Interessanterweise wurdejedoch von einer Kommentierung derSkizzen und Reflexionen – im Gegensatzzur bloßen Kenntnisnahme – wenig Ge-brauch gemacht, wie die Besucherstatis-

tik deutlich machte. In der Evaluationwurde die Unterstützung durch dieLernplattform sehr positiv hervorgeho-ben. Diesen positiven Effekten steht abergerade zu Beginn ein immenser Pla-nungs- und Zeitaufwand des Dozentengegenüber. Dieser Aufwand lohnt sichnur, wenn Lehrveranstaltungen wieder-holt angeboten werden (müssen), dennhier können das Konzept und zum Teilauch die Inhalte übernommen werden.Der Ordner MATERIAL beispielsweisewurde in den letzten zwei Jahren fastvollständig übernommen (und natürlichdabei aktualisiert) und erst im Laufe derLehrveranstaltung sukzessive frei ge-schaltet: In der Vorbereitungsphase sinddies vor allem die Bibliographie, der Se-minarplan und relevante Links. In denPräsenzphasen werden diese um die Ba-sistexte und Hintergrundtexte für dieVor- und Nachbearbeitung der Seminar-sitzungen erweitert. In der Phase desselbständigen Arbeitens kommen Hilfs-mittel hinzu, beispielsweise der Hilfsmit-telkatalog zum Transkribieren (vgl. Ab-bildung 6). Auch die Unterrichtsskizzender vergangenen Seminare wurden in dieneuen Kurse übernommen; somit ent-stand eine beträchtliche Sammlung vonkommentierten Entwürfen für den Ein-zelunterricht. Gerade die Zusammenstel-lung von Entwürfen und Materialienlässt das Potential von Lernplattformenerkennen, einerseits für andere Fächerund andererseits vor allem auch für diezweite Ausbildungsphase der Lehrerbil-dung. Denn hier könnte eine solche kom-mentierte Sammlung auf großes Interessestoßen und gewinnbringend eingesetztwerden.Natürlich gibt es Funktionen der einge-setzten Lernplattform, die sich als subop-timal erwiesen haben. Verbesserungs-würdig bleibt zum einen der Terminka-lender: Im ersten Seminar wurden alleAufgaben, Vorträge, Seminarsitzungen

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dort eingetragen. Würde der zentraleTerminkalender der Freien Universitätverknüpft werden, müssten dort aufge-führte Veranstaltungen wie Gastvorle-sungen nicht mehrfach eingetragen wer-den. Auch konnten die Aufgaben nichtohne Weiteres auf den Terminkalenderim zweiten Durchlauf übertragen wer-den und fielen somit dem Rotstift zumOpfer. In der Evaluation berichteten dieStudierenden zudem, dass sie den Ter-minkalender nicht verwendet hatten.Dies führte in der Konsequenz wieder zueinem herkömmlichen Seminar- undAufgabenplan. Für die Organisation wä-re es für den Dozenten sehr günstig,wenn sämtliche Teilnahmelisten und An-wesenheitslisten auch auf der Lernplatt-form zur Verfügung stehen und die Stu-dierenden selbständig ihre Angaben dorteingeben könnten. Für die neu entwickel-ten Studiengänge ist dies mit dem CMSauch bereits gegeben.

4. Fazit In dem Beitrag wurde gezeigt, dass elek-tronische Lernplattformen ein sehr kom-fortables und effizientes Mittel sind, umUnterrichtspraktika zu unterstützen. Derhier aufgezeigte Mehrwert wird – geradezur Einführung einer Lernplattform indie eigene Lehre – mit einem hohen Vor-bereitungs- und dementsprechendenZeitaufwand erkauft. Lehrbeauftragten,die nur einmalig eine Lehrveranstaltunganbieten, rate ich deshalb definitiv voneiner solchen umfassenden Einbindungeiner Lernplattform ab. Für Dozenten,die standardisierte Kurse unterrichten,lohnt sich dieser Aufwand jedoch. Dieinvestierte Zeit ist gut angelegt, was dieErgebnisse der Seminare gezeigt habenund was ab dem zweiten Durchlauf auchin der Zeitbilanz des Dozenten positiv zuBuche schlägt. Diese kurze Darstellungmöchte ich mit einem großen Dank an dieBetreuung durch das sehr kompetente

und hilfsbereite E-Learning-Team derFreien Universität Berlin schließen, ins-besondere Pauline Villentschuk und Bri-gitte Grothe. Ohne ihre engagierte Arbeitund ihre wertvollen Hinweise wärenviele Ideen nicht umgesetzt worden.Dietmar Rösler danke ich für wichtigeinhaltliche Hinweise und den beiden Tu-toren Marc Reznicek und Karen Genz fürihren persönlichen Einsatz in der Beglei-tung der Seminare, denn erst durch ihrekooperative Arbeit ist es gelungen, dasOne-to-One-Tutorium mit seinen dreiElementen als ein Paket zu strukturieren,das den Studierenden den Weg in dieUnterrichtspraxis ermöglichte.

Literatur Ahrenholz, Bernt: »Praktika im Studienge-

biet ›Deutsch als Fremdsprache‹ amFachbereich Philosophie und Geisteswis-senschaften der Freien Universität Ber-lin«. In: Ehnert, Rolf; Königs, Frank G.(Hrsg.): Die Rolle der Praktika in der DaF-Lehrerausbildung. Regensburg: FaDaF,2000 (Materialien Deutsch als Fremd-sprache, 59), 15–28.

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Altrichter, Herbert; Posch, Peter: Lehrer er-forschen ihren Unterricht – Eine Einführungin die Methoden der Aktionsforschung. 4.Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt,2007.

393

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Eckerth, Johannes: Kognitive Aspekte sprach-bezogener Lernerfragen. Interaktion und Ko-gnition im Deutsch-als-Fremdsprache-Un-terricht. Baltmannsweiler: Schneider Ho-hengehren, 1998 (Perspektiven Deutschals Fremdsprache, 10).

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Walter, Maik; Reznicek, Marc (Hrsg.):Grammatikspiele für den Einzelunterricht.DVD. Freie Universität Berlin, 2008.

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Als Nachtrag zur Kommentierten Auswahlbibliographie Für Sie gelesen erscheinen andieser Stelle einige Rezensionen, die aufgrund eines technischen Versehens nicht in dasDoppelheft 2/3–2009 aufgenommen wurden. (Lutz Köster)

Doitchinov, Serge: Modalverben in der Kindersprache. Ko-gnitive und linguistische Voraussetzun-gen für den Erwerb von epistemischemkönnen. Berlin: Akademie Verlag, 2007(studia grammatica 67). – ISBN 978-3-05-004433-0. 239 Seiten, € 64,80

(Heiko Narrog, Sendai / Japan)

Die Modalverben im Deutschen wie auchin vielen anderen Sprachen sind hochpolyfunktional. So kann müssen zum Bei-spiel »deontisch« verwendet werden wiein Du musst jetzt nach Hause! oder »episte-misch« wie in Das muss Peter sein. DiesePolyfunktionalität ist Gegenstand einerreichen Forschungsliteratur, die sich vorallem auf syntaktische und semantischeUnterschiede der verschiedenen Lesartenbezieht. Eine weitere Frage, die sich aus derPolyfunktionalität ergibt, ist, in welcherReihenfolge sich Kinder die verschie-denen Lesarten im Spracherwerb aneig-nen und warum diese Reihenfolge be-steht. Über den ersten Teil dieser Frageweiß man bereits recht gut Bescheid.Unabhängig von der untersuchten Spra-che sind es die epistemischen Lesarten,die später erworben werden, nämlicherst mit 6 bis 8 Jahren, während dienicht-epistemischen Lesarten in der Re-gel bereits mit drei Jahren erworbenwerden. Die Gründe hierfür sind aber

noch weitgehend unbekannt. Doitchi-nov geht ihnen in seiner Studie experi-mentell nach, wobei unter den zahl-reichen Modalverben, die Polyfunktio-nalität aufweisen, können sein Gegen-stand ist. Er stellt vier Hypothesen auf,nämlich 1)Kinder brauchen länger Zeit, um sich

die »Unentscheidbarkeit«, die durchepistemische Lesungen ausgedrücktwird (z. B. ist Peter kann schon da sein»unentscheidbar« zwischen Peter istschon da und Peter ist noch nicht da)kognitiv anzueignen (Unentscheidbar-keits-Hypothese);

2)Kinder brauchen länger Zeit, um sichdie skalaren Implikaturen, die vorallem bei schwachen epistemischenAusdrücken präsent sind (Peter mussschon da sein impliziert Peter kann schonda sein, aber nicht umgekehrt), anzueig-nen (Implikatur-Hypothese);

3)Kinder haben Schwierigkeiten, sich Be-deutungen von polyfunktionalen Wör-tern anzueignen, dies im Gegensatz zuWörtern mit einer eindeutigen Bedeu-tung (im epistemisch modalen Bereichist z. B. vielleicht nicht polyfunktional)(Kontrast-Hypothese);

4)Kinder haben Schwierigkeiten, sich so-genannte syntaktische Anhebungs-strukturen, zu denen Modalverben ge-rechnet werden, anzueignen (Anhe-bungs-Hypothese).

Rezensionen

Info DaF 36, 4 (2009), 394–407

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Doitchinovs akribisch geplanten Experi-mente mit 6- bis 9-jährigen Kindern (undErwachsenen als Kontrollgruppe), in de-nen Kinder Sätze mit ModalausdrückenBildergeschichten zuordnen mussten, zei-gen, dass nur die erste Hypothese vollaufrechterhalten werden kann. Die zweiteund vierte Hypothese können quasi völligverworfen werden, während die dritte,die Kontrast-Hypothese, nur bedingt be-stätigt werden kann. Doitchinov zeigt also im Großen undGanzen, dass der Erwerb von episte-mischen Modalausdrücken von der ko-gnitiven Entwicklung der Kinder abhän-gig ist, die sich das Konzept episte-mischer Unentscheidbarkeit erst aneig-nen müssen, und weniger von der Ent-wicklung rein sprachlicher Fähigkeiten.Dies entspricht der Tatsache, dass dieFakten in Bezug auf den Erwerb vonepistemischen Modalausdrücken fastvöllig sprachunabhängig sind. Eine sehrbeeindruckende Studie!

Karg, Ina:Diskursfähigkeit als Paradigma schuli-schen Schreibens. Ein Weg aus demDilemma zwischen Aufsatz und Schrei-ben. Frankfurt/M.: Lang, 2007. – ISBN 3-631-55285-8. 231 Seiten, € 41,10

(Regina Freudenfeld, München)

Schulisches Schreiben und Diskursfähig-keit – in diesem Spannungsfeld habenSchriftlichkeits- und Schreibforschung inden letzten drei Jahrzehnten eine Vielfaltan Erkenntnissen gewonnen und neueKonzepte wie die Ordnung der Prozesseund Prozeduren des Schreibens entwi-ckelt. Der aus historischer, sprachwissen-schaftlicher und unterrichtspraktischerSicht entstandene Band der GöttingerSchreibdidaktikerin Ina Karg bezieht sichauf den muttersprachlichen Deutschun-

terricht und betrachtet schulischesSchreiben weniger von der kognitivis-tisch ausgerichteten Lese-/Schreibent-wicklungsforschung her als von den Wi-dersprüchen und Defiziten schulischerPraxis. Auf der Grundlage umfang-reichen empirischen Materials geht dieAutorin der Frage nach, wie die Fähig-keiten »Erzählen«, »Zusammenfassen«und »Argumentieren«, die den klas-sischen Kanon schulischer Schreibver-mittlung bilden, von Schülern unter-schiedlicher Jahrgangsstufen entwickeltund schriftsprachlich umgesetzt werden.Dass neuere – in der DaF-Schreibdidaktikdurchaus erfolgreiche – Konzepte, diemit den Schlagworten »Kommunikation«und »Kreativität« wiedergegeben wer-den können, sich in der schulischen Pra-xis des Deutschunterrichts nicht durch-setzen konnten, führt Karg auf das »Ver-säumnis« zurück, den wissenschaftlichenGegenstandsdiskurs nicht ernst genom-men und ihn auf eine vorwissenschaft-lich-naive Vorstellung von »Textsorte«,»Adressat« und »Intention« verkürzt zuhaben, die nicht zu einer Neukonzeptionschulischen Schreibens führen kann (23). Das »Dilemma« schulischen Schreibenswird im Einzelnen an der Wirklichkeitdes Deutschunterrichts aufgezeigt. In de-taillierten Analysen von Schüleraufsät-zen der Sekundarstufe I/II legt die Auto-rin dar, wie das aktuelle, von Schultradi-tionen und Unterrichtskulturen geprägteAufsatzkonzept die kommunikativeWirklichkeit und damit die Komplexitätvon Textsortenspezifik, Verfasserinten-tion und funktionaler Bestimmung vonTexten unterläuft. So wird etwa an derSchülerarbeit »Rotweinkuchen« beispiel-haft ausgeführt, wie ein Aufsatz, derzwei Schriftstücke – ein Rezept und einenBrief – beinhaltet, trotz »gut gemeinter«Aufgabenstellung an den Bedürfnissender sprachlichen Wirklichkeit vorbeigeht(26 ff.).

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Als Alternative zur gängigen schulischenSchreibvermittlung schlägt Karg die Ent-wicklung von Diskursfähigkeit vor, diesie als Kompetenz versteht, mit der dieVerfasser sich in einen Diskurs »ein-schreiben« und diesen je nach Lern-gruppe, Alter und Anbindungsmöglich-keiten an ihre Erfahrungs- und Lebens-welt schriftsprachlich gestalten. Lässt derUnterricht eine Diskursbeteiligung sei-tens der Schüler zu, d. h. hängt die Wahlder Unterrichtsgegenstände davon ab, obder Schüler zwischen seinem Sprach-und Kulturwissen und den Inhalten derTexte »verhandeln« kann, so entstehenvielfältige Zugänge zum Schreiben, Zu-gänge, die sich in der konkreten Unter-richtsarbeit mit Diskurssimulationen er-schließen lassen, die garantieren, dassTexte nicht allein bildungspolitischenVorgaben verpflichtet, sondern Aus-druck einer öffentlich relevanten kom-munikativen Wirklichkeit sind. Aus ihren Überlegungen zur Diskursfä-higkeit leitet Ina Karg eine Revision desSchreibunterrichts ab, welche an dreischulischen Schreibanforderungen kon-kretisiert wird, der Erzählung, der In-haltsangabe und der Erörterung. AusSicht der Entstehungsgeschichte dieserschulischen Aufsatzgattungen und mitBlick auf zwei europäische Nachbarlän-der – England und Finnland – gelingenhöchst aufschlussreiche Analysen zu In-konsistenz und Widersprüchlichkeit die-ser in der außerschulischen Wirklichkeitnicht existenten Textsorten. Obwohl sichder Band die Revision des muttersprach-lichen Deutschunterrichts zum Ziel setzt,sei erwähnt, dass gerade die Diskussionder argumentativen Textsorte »Erörte-rung« dem fortgeschrittenen DaF-Unter-richt und der Didaktik wissenschaftspro-pädeutischen Schreibens wichtige Im-pulse geben kann. So bestätigt sich, dassdie Umsetzung einer Abfolge von In-struktionsschritten noch keinen argu-

mentativen Text entstehen lässt und dieÜberzeugungskraft einer Argumentationnicht in erster Linie davon abhängt, wieder Text auf der Oberfläche formuliert ist,sondern in Bezug auf den Erfahrungs-horizont des Schreibers/Lesers rezipiertwird (156). Auch hier wird der Diskurs-begriff bemüht, um zu zeigen, dass imUnterricht argumentative Textmusterund -sorten wie Leserbrief, Kunst- undLiteraturkritik, Kommentar und Kurz-essay entwickelt werden können, die Au-thentizität simulieren und kommunika-tive Relevanz besitzen. Abschließend sei hinzugefügt, dass InaKarg ihre Analysen weniger an Textkon-ventionen (Textsorten, Textmustern) alsan Komponenten des Diskurses ausführt(207), weshalb so wichtige Fragen derForschung wie die Vorbereitung dergymnasialen Oberstufe auf das wissen-schaftliche Schreiben nicht konkretisiertwerden. Hier bleibt es beim Verweis aufdie Erkundung (möglicher) Expertendis-kurse und die (mögliche) Beteiligung ander entsprechenden Schriftkultur. Insge-samt bietet der Band aber einen nicht nurfür die Vermittlung des Deutschen alsMuttersprache Gewinn bringenden Ein-blick in die didaktische Reflexion desschriftsprachlichen Deutschunterrichtsund seine zukünftigen Herausforde-rungen.

Kessel, Katja; Reimann, Sandra:Basiswissen Deutsche Gegenwartsspra-che. 2. Auflage. Tübingen: Narr, 2008(UTB 2704). – ISBN 978-3-7720-8249-8.294 Seiten, € 14,90

(Rossella Pugliese, Cosenza / Italien)

Ob ein Linguistikstudium erfolgreichabsolviert wird, entscheidet sich ganzam Anfang. Wer die zentralen Begriffeund Erkenntnisziele nicht in den ersten

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Jahren verinnerlicht, wird im Laufe sei-nes Studiums nicht nur den Spaß amForschungsgegenstand verlieren, son-dern spätestens im Hauptstudium schei-tern. Um diesem traurigen Schicksalvorzubeugen, werden immer mehrWerke verfasst, die grundlegend in dieAufgaben und Ziele der deutschenSprachwissenschaft einführen. Obwohldie Anzahl der Einführungswerke in-zwischen Legion ist, unterscheiden sichdie meisten inhaltlich und methodischnur wenig. Einführungswerke wie dievon Heinz Vater (2002) und AngelikaLinke u. a. (2007), um nur zwei Beispielezu nennen, vermitteln das theoretischeGrundwissen über die einzelnen Teilbe-reiche wie Phonologie, Semiotik oderTextlinguistik und führen in die aktu-ellen wissenschaftlichen Debatten ein.Einen etwas anderen methodischen An-satz vertritt das zu besprechende Werkder beiden Sprachwissenschaftler KatjaKessel und Sandra Reimann über dieDeutsche Gegenwartssprache von 2005,das wegen des enormen Zuspruchs desPublikums heute bereits in einer zwei-ten, leicht überarbeiteten Ausgabe vor-liegt. Ausdrücklich wird das Konzept eines»übersichtlichen, analyseorientierten Ar-beitsbuchs« (Vorwort, XI) verfolgt. Nichtder wissenschaftliche Umgang mit denGrundlagen, sondern der praktische Um-gang mit dem dargestellten Basiswissen,der »Transfer in die Analysepraxis«(ebd.) steht im Fokus des Interesses derAutorinnen. Konkrete Arbeitsaufgabenmit Lösungen sollen den Lernerfolg absi-chern und so die Voraussetzungen schaf-fen, um erfolgreich am wissenschaft-lichen Fachdiskurs teilnehmen zu kön-nen. Inhaltlich werden alle Aspekte der deut-schen Sprachwissenschaft abgedeckt.Ausgehend von einem deduktiven Glie-derungsschema – in den Worten der

Autorinnen: »von der Satz- zur Laut-ebene« (ebd.) – werden in acht Kapitelndie zentralen sprachwissenschaftlichenBereiche und Analyseinstrumente insynchroner Perspektive vorgestellt: Syn-tax, Wortarten, Flexion, Wortbildung,Sprache und Sprachen, Semantik, Pho-nologie und Phonetik sowie Graphemik.Besonders ausführlich werden die rechtprüfungsrelevanten Bereiche Syntaxund Wortbildung behandelt. Abschlie-ßend werden mit der Textgrammatikund Stilistik die beiden Teilbereiche derSprachwissenschaft vorgestellt, die grö-ßere sprachliche Einheiten in den Mittel-punkt stellen. Jedes Kapitel folgt einerklaren Trias: Nach der Klärung zentralerBegriffe bzw. Betrachtungsweisen wer-den anhand vieler konkreter Satzbei-spiele die einzelnen Sprachphänomene– wiederum akribisch unterteilt – kurzund prägnant beschrieben. Übungsauf-gaben und Hinweise auf weiterführendewissenschaftliche Literatur mit einerkurzen Charakterisierung beschließendas jeweilige Kapitel. Auch der Form nach ist das Werk aufStudienanfänger zugeschnitten, dienoch wenig Übung im Umgang mit derwissenschaftlichen Fachsprache haben.Hierbei kommt wohl nicht zuletzt auchdie journalistische Arbeitspraxis der Co-Autorin Sandra Reimann zum Tragen:Die didaktische Sprache ist klar undweitgehend frei von Fachjargon. DieAussagen sind in der Regel in einfachenHauptsätzen formuliert; kaum ein Satzgeht über zwei Zeilen. Auch die op-tische Aufbereitung orientiert sich anden Rezeptionsgewohnheiten modernerMedienkonsumenten. Zentrale Aussa-gen sind entweder farblich oder durchspezielle Icons hervorgehoben. Der Stoffwird teilweise nur stichpunktartig inForm einer Aufzählung aufgeführt;auch werden einzelne inhaltlichePunkte wie z. B. die Unterscheidung

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zwischen Morph, Morphem und Allo-morph zur besseren Übersicht in Tabel-lenform nebeneinander zusammenge-fasst bzw., wie im Fall der Satzformana-lyse, mittels Diagrammen veranschau-licht. Die konzentrierte Darstellungsform inSprache und Grafik führt dazu, dassungeachtet des überschaubaren Buchvo-lumens praktisch alle Aspekte und Ana-lyseebenen der deutschen Sprache be-rücksichtigt sind. Allein der Bereich derTextlinguistik wird nur ausschnitthaftbehandelt. Von den grammatikalischenSatzbausteinen und Klassifikationskate-gorien über die lexikalischen Bedeu-tungszusammenhänge bis hin zu denInstrumenten der Textgrammatik undder Rhetorik – jeder Teilbereich wird,feingliedrig in seinen Verästelungen,nüchtern und mit vielen Textbeispielenvorgestellt. Allerdings scheint in einigen Fällen dieverdichtete, vielfach auf Vollständigkeitausgerichtete Vermittlung des Stoffs zuLasten seiner Wertigkeit zu gehen. Sostehen zentrale sprachwissenschaftlichePhänomene teilweise gleichrangig ge-genüber abseitigerem Wissen, was ge-rade den Anfängern den Überblick er-schwert. Besonders im Kapitel zur Wort-bildung ist die Aufteilung sehr fein-gliedrig; eine gewisse Schwerpunktbil-dung hätte besonders in diesem Falldem pädagogischen Lernziel sicher gutgetan. Dieser kleine Kritikpunkt soll aber dasgroße Verdienst dieser Einführung inkeinster Weise schmälern. Wohl selten istes Fachwissenschaftlern so gut gelungen,über linguistische Bereiche so klar undschnörkellos und dabei absolut solide zuinformieren. Das vorliegende sprachwis-senschaftliche Einführungswerk stelltzweifellos einen wichtigen und willkom-menen Beitrag dar, dessen Lektüre vorbe-haltlos zu empfehlen ist.

Literatur Linke, Angelika; Nussbaumer, Markus;

Portmann, Paul R.: Studienbuch Linguistik.5. Auflage. Tübingen: Niemeyer, 2007.

Vater, Heinz: Einführung in die Sprachwissen-schaft. 4. Auflage. Stuttgart: Fink, 2002(UTB 1799).

Köpcke, Klaus-Michael; Ziegler, Arne(Hrsg.):Grammatik in der Universität und fürdie Schule – Theorie, Empirie und Mo-dellbildung. Tübingen: Niemeyer, 2007(Germanistische Linguistik 279). – ISBN978-3-484-31277-7. 230 Seiten, € 62,–

(Rossella Pugliese, Cosenza / Italien)

Grammatik als Bestandteil des Linguis-tikstudiums und Grammatik als Bestand-teil des Deutschunterrichts – sind dasnicht zwei vollkommen verschiedenePaar Schuhe? Wohl fast jedem Studieren-den der Germanistik hat sich diese Frageim Laufe des Studiums aufgedrängt. Seies, weil er feststellte, dass die schulischerworbenen Grammatikkenntnisse fürdas Studium nicht brauchbar sind, oderweil der Lehramtsstudierende sich nichtvorstellen konnte, wie die im Studiumbehandelten sprachwissenschaftlichenTheorien in der Unterrichtspraxis anzu-wenden seien. Mit dieser Problematik der Verbindungvon Theorie und Praxis in der Gramma-tikforschung beschäftigt sich der vorlie-gende Band Grammatik in der Universitätund für die Schule. Hervorgegangen sinddie einzelnen Beiträge aus einem Sympo-sium am Germanistischen Institut derWestfälischen Wilhelms-Universität zuMünster, das am 14. und 15. April 2005stattfand. Namhafte deutsche, österrei-chische und schweizerische Sprachwis-senschaftler aus Universität und Pädago-gischer Hochschule versammelten sichdort, um über die Möglichkeiten einer

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besseren Verzahnung von universitärerLehre und schulischem Grammatikun-terricht zu diskutieren. Ausgehend voneiner funktionalen Sprachbetrachtungund einem Grammatikverständnis, dasim Gegensatz zum starren Regelkorsetteiner rein präskriptiven Grammatik füreinen flexiblen Umgang mit Fehlern plä-diert, wollen die ForscherInnen zu einer»grammatischen Modellbildung« beitra-gen. Diese scheint »in besonderer Weisefür Vermittlungsprozesse in Schule unduniversitärem Unterricht geeignet«, wiees in der Einleitung der Herausgeberheißt (1). Seit der berühmt gewordenen Frage vonKonrad Gaiser Wieviel Grammatik brauchtder Mensch? (1950) hat sich die Gramma-tikforschung enorm weiterentwickelt,was sich, wenn auch nicht immer aufdirektem Wege, auch in der Grammatik-vermittlung an Universität und Schuleniederschlägt. Über die Grundsatzkritikeines Werner Ingendahl hinaus, der inseinem Werk Sprachreflexion statt Gram-matik (1999) dem herkömmlichen Gram-matikunterricht eine fundamentale Ab-sage erteilt, haben sich Sprachdidaktikerimmer wieder über neue Vermittlungs-konzepte von Grammatik Gedanken ge-macht, die als Postulat einer funktionalenGrammatik (vgl. Buscha/Freudenberg-Findeisen 2007) Eingang in die Lehrpläneund in Form von Grammatikwerkstätten(vgl. Bredel 2007) auch in Unterrichts-konzepten ihren Niederschlag fand. Auch die in dem zu besprechenden Werkversammelten Grammatikforscher – wiePeter Klotz, Reinold Funke und ArneZiegler – haben mit ihren Studien dieseDiskussion fortgesetzt und bereichert,und sie tun es auch mit dem vorlie-genden Werk. Denn auch wenn heutzu-tage in den Lehrplänen die Grammatik-einheiten unter Überschriften wie Refle-xion über Sprache zusammengefasst wer-den und die konkrete Sprechsituation als

Ausgangspunkt der Sprachbetrachtungdienen soll, ist die Situation des Gramma-tikunterrichts an Schulen noch immerproblematisch. Und auch wenn vieleSprachwissenschaftler und -didaktikersich um die Rehabilitation der Gramma-tik als unverzichtbare Notwendigkeit desBegreifens jedweder sprachlicher Äuße-rung (also auch Texte) bemühen, gilt esimmer noch, Lücken zwischen Lehre undUnterrichtspraxis zu schließen. Unddurch die Umsetzung neuer Konzeptesind auch neue Probleme entstanden. In diesem Spannungsfeld der aktuellenGrammatikforschung beschäftigen sichalle hier veröffentlichten zwölf Beiträge.Eine kritische Bestandsaufnahme der ge-genwärtigen Grammatikdidaktik liefertder erste Beitrag von Peter Klotz. Er ent-wickelt dabei ganz konkrete Vorschläge,wie die Schwachstellen in der gegenwär-tigen Grammatikvermittlung aufgeho-ben werden können. So stellt er einemögliche Unterrichtseinheit zum ThemaAttribuierung vor, in der Ansätze der Sys-temlinguistik, Textorientierung undPragmatik verknüpft werden. Mit derSprachbewusstheit von Schülern be-schäftigt sich Wolfgang Eichler in seinemBeitrag und plädiert dabei für die Ver-mittlung eines analytischen Verhältnisseszur Sprache in der Sekundarstufe. Die Verbindung von Grammatik- undLiteraturunterricht bzw. Sprach- undTextverständnis stehen im Mittelpunktder drei Aufsätze von MaximilianScherner, Arne Ziegler und ReinholdFunke. Betont wird dabei immer die ge-genseitige Nutzbarmachung von gram-matischem Wissen und Text- bzw. Litera-turverständnis bei Schülern. Trotz der inden Lehrplänen vorgesehenen Orientie-rung des Grammatikunterrichts an situa-tiven Sprachverwendungen bleibt dieserAnspruch im Deutschunterricht zumeistauf der Strecke. Arne Ziegler gibt dabei,sicher zu Recht, zu bedenken, dass für die

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immer noch vorherrschende Aufteilungin Grammatik- und Literatureinheiten imUnterricht nicht zuletzt auch die strikteTrennung von Literaturwissenschaft undLinguistik im Germanistikstudium ver-antwortlich zeichnet. Christa Dürscheid weist in ihrem Artikelauf die Folgen von fehlendem systemati-sierten Grammatikunterricht hin, ohnedabei freilich dem isoliert vermitteltenpräskriptiven Grammatikmodell dasWort zu reden. Doch durch die reineKontextualisierung der sprachlichen Re-flexion werde die Grammatik von Schü-lern nicht mehr bewusst aufgenommenund verliere sich spätestens in der Sekun-darstufe II wieder aus dem Bewusstsein.Deshalb fordert sie auch für die Ober-stufe analytische Grammatikeinheiten,bei denen die Schüler bewusst über Spra-che und ihre Regeln nachdenken. Die Behandlung von Grammatik inSchulbüchern ist das Thema von JakobOssner, der drei gängige Deutsch-Lehr-bücher der Unterstufe untersucht. Erstellt fest, dass bei den wenigsten gram-matischen Übungsaufgaben prozedu-rales Verständnis und/oder metakogni-tive Leistungen abverlangt werden, diefür eine dauerhafte, weil selbst erarbei-tete Aneignung des grammatischen Wis-sens unabdingbar wäre. Ohne hier jeden Aufsatz referieren zukönnen: Alle Beiträge verlieren in diesemWerk nie den Bezug zur unterrichtlichenPraxis, die konkrete Situation vonDeutschdidaktiker/inne/n wird stets be-rücksichtigt. Gleichzeitig sind alle Beiträ-ge stets auf der Höhe des aktuellensprach- sowie des fachwissenschaftlichenDiskurses. Da es sich nicht um eine stringent aufge-baute Monographie handelt, muss sichder Leser/die Leserin die Mühe machen,sich in die einzelnen Aufsätze zu vertie-fen. Für jede/n fortgeschrittene/n Lehr-amtsstudenten/in der Fachrichtung

Deutsch, für praktizierende Deutschdi-daktiker in Schule und Universität, aberauch generell für an Grammatik undsomit am Wesen der Sprache Interes-sierte (mit wissenschaftlicher Vorbil-dung!) ist das Buch eine lohnenswerteLektüre.

Literatur Bredel, Ursula: Sprachbetrachtung und Gram-

matikunterricht. Paderborn: Schöningh,2007.

Buscha, Joachim; Freudenberg-Findeisen,Renate (Hrsg.): Feldergrammatik in der Dis-kussion: Funktionaler Grammatik-Ansatz inSprachbeschreibung und Sprachvermittlung.Frankfurt a. M.: Lang, 2007.

Gaiser, Konrad: »Wieviel Grammatikbraucht der Mensch?« (1950). In: Rötzer,Hans Gerd (Hrsg.): Zur Didaktik der deut-schen Grammatik. Darmstadt: Wissen-schaftliche Buchgesellschaft, 1973, 1–15.

Ingendahl, Werner: Sprachreflexion stattGrammatik. Ein didaktisches Konzept füralle Schulstufen. Tübingen: Niemeyer,1999.

Smirnova, Elena: Die Entwicklung der Konstruktion wür-de + Infinitiv im Deutschen. Eine funk-tional-semantische Analyse unter be-sonderer Berücksichtigung sprachhisto-rischer Aspekte. Berlin: de Gruyter, 2006(Studia Linguistica Germanica 82). –ISBN 978-3-11-019103-5. 352 Seiten,€ 98,00

(Heiko Narrog, Sendai / Japan)

{Würde + Infinitiv} ist eine Konstruktionim Deutschen, die vor allem aus prä-skriptiver Perspektive bekannt ist, näm-lich als stilistisch unerwünschter Kon-junktiversatz. Dabei beschränken sichihre Funktionen nicht nur auf die analy-tische Umschreibung ungebräuchlich ge-wordener Konjunktivformen. Was {würde

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+ Infinitiv} aber eigentlich bedeutet, istsehr umstritten. Smirnovas Blickwinkel als Sprachwis-senschaftlerin ist natürlich deskriptivund nicht präskriptiv. Ihr geht es umeine genaue Funktionsbestimmung undparadigmatische Einordnung dieserKonstruktion im modernen Deutschenund die Beschreibung ihrer Entwick-lung als Grammatikalisierungsprozess. Nach dem einleitenden ersten Kapitelund zwei Kapiteln, die einen Überblicküber den Forschungsstand – synchronund diachron – leisten, widmet sich dasvierte Kapitel mit einiger Ausführlich-keit dem Thema »Evidentialität«. Zielder Autorin ist es nämlich, {würde +Infinitiv}, aber auch {werden + Infinitiv},das dieser Konstruktion zugrundeliegt,nicht als Tempus- oder Modus-, sondernals Evidentialitätsmarker einzuordnen.»Evidentialität« bezeichnet Kennzeich-nung von Informationsquellen, also dasVorhandensein bestimmter Evidenzen(Informationen), aufgrund derer einSprecher ein Urteil abgibt. {Werden +Infinitiv} fungiere im modernen Deut-schen als »Evidentialitätsmarker mit in-ferentieller Bedeutungskomponente«(103). Bei würde tritt noch ein Konjunk-tivelement dazu, das Nichtfaktizität auf-grund einer nichterfüllten Bedingungkennzeichnet (169). Die zwei »relatio-nalen Strukturen« von {werden + Infini-tiv} und Konjunktiv ergeben miteinan-der integriert ein relationales Schemafür {würde + Infinitiv} (171), eine Artabstrakte Grundbedeutung, aus der derAutorin zufolge alle Bedeutungen nachKontext abgeleitet werden können. Die konkreten Bedeutungen dieserKonstruktion lassen sich grob in zweiGruppen einteilen, die in den Kapiteln 5und 6 mit Hilfe von COSMAS II-Teilkor-pora untersucht werden. Zum einen istdies die Verwendung als Konjunktiver-

satz, die vor allen Dingen in adverbialenNebensätzen auftritt. Zum anderen sinddies eigenständige Verwendungen, dieder Autorin zufolge vor allen Dingenden evidentialen Bedeutungsgehalt von{würde + Infinitiv} widerspiegeln. Kapitel 8 gibt einen Überblick über dieEntstehung und diachrone Entwicklungvon {werden + Infinitiv} und {würde +Infinitiv} mit Fokus auf diese beidenGruppen. Die Entwicklung wird als einFall von Grammatikalisierung und, se-mantisch, Subjektivierung aufgefasst,wobei die Autorin ihr Augenmerk aufdie Kontexte richtet, die ihrer Auffas-sung nach besonders am historischenWandel der beiden Konstruktionen be-teiligt waren. Dieses Buch ist die Veröffentlichung derDissertation der Autorin an der Univer-sität Hannover, die offenbar noch imJahr des Abschlusses der Promotion inDruck gegeben wurde. Dass dies beieinem so renommierten Verlag gesche-hen ist, verweist schon auf die hoheQualität der Arbeit. Wie aus den obenstehenden Ausführungen jedoch bereitshervorgegangen sein dürfte, ist sie demCharakter einer Dissertation entspre-chend weniger für praktisch als für the-oretisch interessierte LinguistInnen vonInteresse, vor allen Dingen für solche,die sich für den Tempus-, Aspekt-, Mo-duskomplex und für die Diachronie desDeutschen interessieren. Die Einord-nung von {werden und würde + Infinitiv}als Evidentialmarker liegt sicher imTrend der Zeit, denn in den vergan-genen Jahren sind immer mehr Katego-rien germanischer Sprachen, die traditi-onell als modal betrachtet wurden (vorallen Dingen die Modalverben), mit Evi-dentialität in Verbindung gebracht wor-den. Ob sich diese Hypothese auchdurchsetzen kann, muss sich erst nochzeigen.

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Sohar-Yasuda, Kaori: Transitivität im Deutschen und Japani-schen. Frankfurt/M.: Lang, 2007 (Europä-ische Hochschulschriften Reihe XXI Lin-guistik). – ISBN 978-3-631-56342-7. 191Seiten, € 39,00

(Heiko Narrog, Sendai / Japan)

Transitivität kann entweder als Eigen-schaft von Verben angesehen werden, sospricht man von »transitiven« und »in-transitiven« Verben, oder als Eigenschaftvon grammatischen Konstruktionen oderganzer Sätze. Die vorliegende Studie, dieVeröffentlichung der Dissertation derAutorin an der Universität Graz 2003,wählt die erste Perspektive. Sie vergleichtdie Transitivität deutscher und japa-nischer Verben und stellt die Frage, wor-auf die strukturellen Ähnlichkeiten undUnterschiede deutscher und japanischerVerben begründet sind. Während näm-lich einige Verben sowohl im Deutschenals auch im Japanischen mit Nominativund Akkusativ einen transitiven Kasus-rahmen haben (z. B. D. zerbrechen undJap. waru), unterscheiden sich andere.helfen im Deutschen verlangt zum Bei-spiel Nominativ und Dativ, während dasjapanische Pendant tetsudau transitivkonstruiert ist. Das Buch besteht aus sieben Kapiteln,nämlich 1. einer Einleitung, 2. Erläute-rungen zur Terminologie, 3. einem Abrissder Geschichte der Transitivitätsfor-schung im Deutschen und Japanischen, 4.einem Kapitel zur Forschung zur seman-tischen Transitivität, 5. einer gegenüber-stellenden Untersuchung von 314 sichinhaltlich entsprechenden Verben imdeutschen und japanischen Grundwort-schatz, 6. einem Überblick über (für dieTransitivität) relevante Unterschiede imSprachsystem der beiden Sprachen und7. einem Fazit. Dem Textteil folgt einAnhang mit zwei Verblisten.

Die vier einleitenden Kapitel nehmen be-reits etwa zwei Drittel des Buches ein.Hieraus resultiert die Formulierung vondrei Kriterien für Transitivität: (1) das Vorhandensein von mindestens

zwei Partizipanten, (2) eine Zustandsänderung bei einem

Partizipanten, und (3) das Vorhandensein möglichst vieler

Proto-Rollen-Eigenschaften bei denPartizipanten, z. B. Kontrolle und ab-sichtsvolles Handeln beim Agens(vgl. 95).

Der empirische Teil des Buches (Kapitel5) zeigt, dass diejenigen Verben, die dieseKriterien erfüllen, sowohl im Japanischenals auch im Deutschen transitiv, d. h. mitNominativ und Akkusativobjekt kon-struiert werden. Abweichungen der bei-den Sprachen treten bei den semantischweniger transitiven Verben auf. Die kon-krete Form der Abweichungen (siehez. B. oben helfen und tetsudau) lassen sichder Autorin zufolge in den meisten Fäl-len nicht systematisch aus der Semantikder Verben erklären. Stattdessen schlägtsie eine Erklärung aus den »typolo-gischen« Eigenschaften des Deutschenund Japanischen vor. Während im Deut-schen Verbalereignisse aus der Perspek-tive des Agens konstruiert werden,werde im Japanischen die Perspektive»vom Nachzustand des Geschehens aufdas Gesamtereignis gerichtet« (167). DieAutorin erklärt jedoch dadurch nichtwirklich, warum z. B. helfen im Deutschenden Dativ fordert, tetsudau dagegen denAkkusativ. Die sicherlich interessantenÜberlegungen zu generellen Eigen-schaften der beiden Sprachen im 6. Kapi-tel werden mit den empirischen Ergeb-nissen von Kapitel 5 nicht konkret genugverknüpft. Kritisch ist weiterhin anzu-führen, dass es der Datenanalyse in Kapi-tel 5 z. T. an Transparenz mangelt. Sowerden verschiedene Tests an denVerben beider Sprachen durchgeführt,

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aber in den meisten Fällen wird nur dieZahl der Verben genannt, die in diesenTests so und so klassifiziert werden, ob-wohl die Verbliste im Anhang Gelegen-heit dazu gegeben hätte, bei jedem einzel-nen Verb genau zu markieren, wie es inBezug auf die verschiedenen Tests einge-teilt wurde. Auch die Latinisierung undTranskription japanischer Wörter lässtmitunter zu wünschen übrig. So verwen-det die Autorin zwar angeblich prinzipi-ell das Hepburn-System, aber Latinisie-rungen wie chyokusetsu (109) gibt es we-der in Hepburn (chokusetsu) noch in Kun-reishiki (tyokusetu). Die Morphemgren-zen sind ebenfalls meist fragwürdig(nämlich nach der überholten Hashi-moto-Grammatik), manchmal sogar ein-fach falsch (tabera-re-ta statt tabe-rare-ta;110) gesetzt. Insgesamt ist dies dennoch ein sehr sti-mulierendes Buch, dem man die Liebes-mühen der Autorin für ihre Doktorarbeitdeutlich ansieht, und die erste Monogra-phie, die dem interessanten Thema desVergleichs der Transitivität im Deutschenund Japanischen gewidmet ist.

Thüne, Eva-Maria; Ortu, Franca (Hrsg.):Gesprochene Sprache – Partikeln. Bei-träge der Arbeitsgruppen der 2. TagungDeutsche Sprachwissenschaft in ItalienRom 2006. Frankfurt/M.: Lang, 2007(Deutsche Sprachwissenschaft interna-tional 1). – ISBN 978-3-631-57088-3. 190Seiten, € 41,10

(Rossella Pugliese, Cosenza / Italien)

Der vorliegende Band beschäftigt sichmit zwei verschiedenen sprachwissen-schaftlichen Gebieten: dem umfassendenKomplex der gesprochenen Sprache unddem grammatischen Teilgebiet der Parti-keln. Zu beiden Bereichen bildeten sichim Februar 2006 im Rahmen der Tagung

Deutsche Sprachwissenschaft in Italien inRom Arbeitsgruppen, deren Ergebnissenun im vorliegenden Band niedergelegtwurden. Diese Themen sind jedoch ingewisser Weise durch den Umstand ver-bunden, dass Partikeln in erster Linie inder gesprochenen Sprache verwendetwerden. Der erste Teil setzt sich aus fünf Beiträgender Arbeitsgruppe Gesprochene Sprache zu-sammen. Dieser Forschungszweigmusste sich erst gegenüber dem Hege-monieanspruch der Schriftsprachlichkeitbehaupten, wie Eva-Maria Thüne in ihrerEinleitung darstellt und dabei kurz dieGeschichte der Gesprochene-Sprache-Forschung entwickelt. Hatte man sichseit den 1960er-Jahren zunächst in Anleh-nung an die Syntaxforschung in der ge-schriebenen Sprache v. a. auf syntaktischePhänomene (Ellipsen, Abbrüche, Wie-derholungen etc.) und die Lexik konzen-triert, richtete man in der Folge die Auf-merksamkeit zunehmend auf pragma-tische Funktionen gesprochensprach-licher Elemente. Dazu gehören auchRückmelde- und Gliederungssignale,z. B. Einleitungssignale wie ich mein(e),ich glaub(e), sehen Sie, Schlusssignale wieweißt du?, verstehst du? oder Pausenfüller.Sie stehen im ersten Beitrag von RaisaBabaeva im Vordergrund; Babaeva ver-gleicht gesprächssteuernde Verbal-konstruktionen im Deutschen und Rus-sischen anhand eines authentischen Text-korpus. Dabei lassen die Unterschiedeund Gemeinsamkeiten (z. B. stellt sie fest,dass die Verbalkonstruktionen der rus-sischen Sprecher eher hörerbezogen, dieder deutschen überwiegend sprecherbe-zogen sind) in der Verwendung der Glie-derungssignale auch Rückschlüsse aufdie Konzeption einer interkulturellen Di-daktik zu. Im zweiten Aufsatz des Bandes rückt einweiterer Bestandteil der Gesprochene-Sprache-Forschung ins Zentrum: die Ge-

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sprächsanalyse. In diesem Fall unter-sucht die Autorin Marcella Costa anhandeines sehr spezifischen Textkorpus, näm-lich der mündlichen Tourismus-Kommu-nikation, eine »asymmetrische […] Kom-munikation« (34), in der ein Nicht-Mut-tersprachler mit Muttersprachlernsprachlich interagiert. Sie richtet dabeiihr Hauptaugenmerk auf die »Reparatur-sequenzen« (36), d. h. die sprachlichenVerbesserungen, mit denen der Nicht-Muttersprachler in dieser speziellensprachlichen Interaktion Missverständ-nisse bzw. eigene falsch verwendete Aus-drücke auszugleichen versucht. Einem sehr aktuellen und noch nicht sehrerforschten Gebiet wendet sich SandroMoraldo zu. Er untersucht anhand vonausgewählten Internet-Tagebüchern denEinfluss von mündlichem Sprachge-brauch auf schriftliche Kommunikations-formen. Die Frage, ob sich die hier festzu-stellende Übertragung sprechsprach-licher Elemente in Zukunft auch auf an-dere Schriftformen ausweiten wird, kannnoch nicht beantwortet werden. Eine Zwischenform zwischen geschrie-bener und gesprochener Sprache stelltdie politische Rede dar. Mit den Mittelnder Gesprächsanalyse untersucht MarinaBrambilla eine Rede von Joschka Fischerund weist an ihr nach, dass die strikteTrennung zwischen Mündlichkeit undSchriftlichkeit nicht aufrecht zu erhaltenist, da auch mündliche Kommunikationschriftlich konzipiert sein kann und ge-schriebene Texte mündliche Elementeenthalten können. Mit dem kommunikativen Ansatz hat diegesprochene Sprache auch in der Fremd-sprachendidaktik zunehmend an Bedeu-tung gewonnen. Und so befasst sich derletzte Aufsatz zum Themenbereich Ge-sprochene Sprache mit mündlicher Fehler-korrektur im DaF-Unterricht. Die Verfas-serinnen untersuchen im Rahmen einerKonversationsanalyse Korrekturhand-

lungen im Lehrer-Lerner-Diskurs an-hand von Mitschnitten aus DaF-Kursen.Sie stellen dabei fest, dass die Fehlerkor-rekturen trotz der Orientierung am kom-munikativen Ansatz doch wenig mit Kor-rekturhandlungen in natürlichen Ge-sprächssituationen zu tun haben undnoch sehr von den institutionellen Ge-sprächsmustern der Unterrichtskommu-nikation geprägt sind. Zusammenfassend muss man sagen,dass dem ersten Teil des Bandes ein über-greifender Zusammenhang fehlt. Die ein-zelnen Beiträge behandeln teilweise sehrspezielle Gesprächssituationen, die sichnur bedingt auf andere Gesprochene-Spra-che-Felder übertragen lassen. Die Verfas-serInnen weisen allerdings zumeist auchdarauf hin, dass sie ihre Untersuchungenvor allem als Ausgangspunkt für weitereForschungen verstehen. Interessant ist injedem Fall der interkulturelle Blick ausSicht der Auslandsgermanistik, derdurchaus ein erhellendes Licht auf diedeutsche Sprache werfen kann. Der zweite, acht Beiträge umfassendeTeil des Bandes behandelt die Wort-gruppe der Partikeln. In den ersten beidenAufsätzen werden die syntaktischen Ei-genschaften der Modalpartikeln unter-sucht. Während sich Anna Cardinalettiauf die Distribution und den syntak-tischen Status von Modalpartikeln kon-zentriert und sie mit klitischen undschwachen Pronomen vergleicht, geht esMarco Coniglio um die Beschreibung ein-zelner Fälle der Modalpartikeln ja, schonund wohl und ihr Stellungsverhalten imSatz in Abgrenzung zu den Adverbien.Der dritte Aufsatz untersucht das Stel-lungsverhalten der unakzentuierten Par-tikel ja in Bezug auf die Fokus-Hinter-grund-Gliederung (prosodie-basiert).Dabei weist die Autorin Manuela Moroninach, dass sich die Stellung der Partikelentweder in der Nähe des Satzfokus be-finden oder Teil des Hintergrundmateri-

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als des Satzes sein kann, wodurch sichihre semantische Reichweite ändert.Auch im vierten Beitrag geht es um dieProsodie der deutschen Sprache, in die-sem Fall beim Gebrauch der Partikelschon. Dabei wird deutlich, dass Mutter-sprachlerInnen die Sprecherintention beider Verwendung der Partikel schon alleinanhand der Prosodie wahrnehmen undvon Homonymen der Modalpartikel un-terscheiden können. Mit einer funktional-grammatischen Be-stimmung der Partikel eigentlich beschäf-tigt sich der Beitrag von Andrea Schilling.Peggy Katelhön zeigt am Beispiel vonwohl, dass Partikeln nicht nur modaleFunktionen ausüben. Dabei zieht sie auchÜbersetzungsvergleiche mit anderen eu-ropäischen Sprachen heran. Um die abtö-nende Funktion von glatt geht es im Auf-satz von Wilma Heinrich. Sie greift zurVerdeutlichung pragmatischer und se-mantischer Aspekte auf Übersetzungenins Italienische zurück. Last but not leastbeschäftigt sich Franca Ortu mit der häu-fig benutzten Partikel kaum, deren unter-schiedliche pragmatische und seman-tische Funktionen ein Übersetzungs-problem darstellen. Auch im zweiten Teil des Bandes wirdalso wieder der kontrastive Ansatz derReferenten deutlich, der durch den Ver-gleich mit einer Referenzsprache zur Er-hellung deutscher Sprachphänomenebeiträgt. Zusammenfassend kann man sagen, dassaufgrund der Vielschichtigkeit der vorge-stellten Beitragsthemen der Band in kei-nem Fall als Überblicksdarstellung fürden einen oder anderen der beiden Ge-genstandsbereiche dienen kann. Beson-ders für Linguisten, denen das For-schungsgebiet Gesprochene Sprache amHerzen liegt und die sich mit Korpusana-lysen zu einer der dargestellten Ge-sprächssituationen beschäftigen wollen,bietet der Band aber interessante Anre-

gungen. Vor allem der zweite Teil enthältfundierte syntaktische Untersuchungenzu den wichtigsten Partikeln der deut-schen Sprache. Für Fremdsprachendi-daktiker mit linguistischen Kenntnissenkann der zumeist kontrastive Ansatz desgesamten Bandes erhellend sein.

Venohr, Elisabeth:Textmuster und Textmusterwissen ausder Sicht des Deutschen als Fremdspra-che. Frankfurt/M.: Lang, 2007 (Im Me-dium fremder Sprachen und Kulturen11). – ISBN 978-3-631-55215-5. 385 Seiten,€ 71,70

(Regina Freudenfeld, München)

Mit der an der Universität Saarbrückenangenommenen Dissertation verbindetdie Autorin einen hohen Anspruch: Diediskursorientierte Untersuchung unter-nimmt den Versuch, sich dem »höchstkomplexen Zusammenwirken von Text-muster, Textsortenwissen und der darausresultierenden Text(muster)erwartungim Kontext des interkulturellen Fremd-sprachenunterrichts zu nähern« (351).Verglichen werden dabei Textsorten ausder Sicht des Deutschen als Fremdspra-che mit Blick auf französisch- und rus-sischsprachige Deutschlerner. Eine für die vorliegende kognitionslingu-istische und textdidaktische Ausrichtungunerlässliche Konstante bildet der Begriffdes »Textmusters«. Dieser besagt, dassder Leser den aktuellen Text mit seinerTexterwartung vergleicht und ihn dannerst einer bestimmten Textsorte zuord-net. Auch im interlingualen Textver-gleich steuert das intuitiv vorhandeneTextmusterwissen den Verstehenspro-zess; allerdings unterscheiden sich Text-muster mehr oder weniger von Kultur zuKultur, so dass im interkulturellen Text-sortenvergleich kulturelle oder – wie

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Venohr sie nennt – »lebensweltliche« Un-terschiede zu vermuten sind. Für deninterkulturellen Unterricht haben sichdabei vor allem Textsorten als sinnvollerwiesen, die nicht durch 1:1-Entspre-chungen in die Zielkultur übertragbarsind, sondern sich in ihrer Kulturkompo-nente unterscheiden. Die sog. »partielleÄquivalenz« (60) liegt beispielsweise imVergleich zwischen dem deutschenGRÜSSEN (»Mit besten Grüßen«) unddem russischen VERABSCHIEDEN(russ.: »Do svidanija« / dt.: »Auf Wieder-sehen«) vor. Ein Blick in das klar strukturierte Inhalts-verzeichnis belegt die umfassende Per-spektive, mit welcher sich die Autorinaus den Blickwinkeln von Kognitions-psychologie, Kulturwissenschaft, Text-linguistik und Fremdsprachendidaktikdem Gegenstand theoretisch und empi-risch nähert. Der theoretische Teil behandelt in 7 Kapi-teln die verschiedenen Beschreibungs-ebenen, die für die »exemplarische Text-analyse« herangezogen werden. Dazuzählen die wesentlichen Konzepte zurUnterscheidung von Text und Diskurs,Textmuster und Textsorten sowie Kon-zepte der Text(sorten)linguistik (Kohäsi-on, Kohärenz, Textfunktion, Text-Bild-Relation, Thema-Rhema-Gliederung).Ausdrücklich betont wird der kulturwis-senschaftliche Ansatz, bei dem Kogniti-onsprozesse nicht nur als mentales, son-dern als sozial und historisch geprägtesPhänomen verstanden werden. Im Un-terschied zum Konzept der »kulturellenDeutungsmuster« nach Altmayer geht esbei Venohr allerdings weniger um kultur-bedingte Inhalte als vielmehr um einzel-sprachliche Textmusterrealisierungenund die Aufdeckung ihrer vor allem dis-kursiv bedingten Leerstellen. Mit demdafür nutzbar gemachten Konzept der»Kultur als Lebenswelt« (46) gelangt dieAutorin, nachdem sie sich kurz mit Hus-

serl, Schütz, Habermas und Humboldtbeschäftigt hat, zu einem sowohl kogni-tiv als auch soziologisch motivierten Zu-gang zu Wissensstrukturen in Texten(Textmusterwissen), den sie für den Un-terricht Deutsch als Fremdsprache zuoperationalisieren versucht (52). Aufschluss über die kulturelle Geprägt-heit der Vermittlung von Fremdsprachengeben Venohrs Ausführungen zu denunterschiedlichen landeskundlichenKonzeptionen im deutschen, russischenund französischen DaF-Unterricht einer-seits, die detaillierten Analysen zur Re-zeption allgemeiner Textmuster anderer-seits. Hier ist es als großes Verdienstanzusehen, dass für die Textanalysennicht die in der vergleichenden Textlin-guistik beliebten standardisierten undkodifizierten Gebrauchstexte herangezo-gen werden, sondern in detaillierten Bei-spielanalysen auch weniger bekannteTextsorten wie die Anzeigenwerbung,die Arzneimittelwerbung und die Pa-ckungsbeilage Anwendung finden. Dar-über hinaus verdeutlicht die Analyse dertextsortenspezifischen Merkmale desMärchens den didaktischen Wert eines»Wiedergebrauchstextes«, dessen Mo-tive und Strukturen auch in anderenTextmustern verarbeitet werden können(116). Die sich in Kapitel 10 anschlie-ßende exemplarische Textanalyse führtan insgesamt 25 Beispieltexten im Detailaus, in welchen Aspekten sich deutsche,russische und französische Textsorten inihren Eigenheiten als sprachraumspezi-fische Textmusterrealisierungen unter-scheiden können. Dazu zählen Unter-schiede auf sprachlich-formaler Ebene(Nominalisierungen vs. verbale Struktu-ren beim deutsch-französischen Textver-gleich Packungsbeilage), kulturelle As-pekte (größeres Informationsbedürfnisund Prinzip des »pädagogischen Zeige-fingers« in der russischen Packungsbei-lage), aber auch Unterschiede im Grad

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der Fachsprachlichkeit. Somit bestätigtsich die anfangs aufgestellte These, dasssich vor allem Texte mit partieller Äqui-valenz für die Fremdsprachenvermitt-lung eignen. Da es erklärtes Ziel des vorliegendenBandes ist, Impulse für die Fertigkeiten»Lesen« und »Schreiben« hinsichtlich derTextsortenauswahl in Lehrwerken zu ge-ben, befasst sich Kapitel 11 mit Textsortenin ausgewählten Deutschlehrwerken inDeutschland, Frankreich und Russland.Gerade die (deutschen) Lehrwerke derfünften Generation (seit den 90er Jahren)sind nach Venohrs Auswertung durcheine Fülle von mehr oder weniger authen-tischen Texten (vor allem Gebrauchstex-ten) gekennzeichnet, die jedoch – mit Aus-nahme des Lehrwerks Auf neuen Wegen –im Fortgeschrittenenunterricht keinen Ge-brauch von dem ausgangssprachlichen in-tuitiven Textwissen machen. Dieses sei –so die textdidaktische Konsequenz derAutorin – jedoch in die Textverstehens-und Textproduktionsprozesse zu integrie-ren, so dass der Lerner bewusst auf dieUnterschiede innerhalb der »Lebens-welten« zugreifen und die Leerstellen imSinngebungsprozess auffüllen kann. Insgesamt handelt es sich bei dem unterformalen Aspekten nicht immer sorgfäl-

tig lektorierten Band, der mit einer Fra-gebogenerhebung unter deutschen undfranzösischen Deutschlernern schließt,um eine interessante und breit gefächer-te Untersuchung zum Textsortenwissenim Fach Deutsch als Fremdsprache, diegerade aufgrund ihrer detaillierten Ana-lysen von nicht standardisierten Textsor-ten der deutschen, französischen undrussischen Sprache beeindruckt. Auchwenn die Autorin immer wieder die di-daktischen Möglichkeiten der Textver-netzung oder Intertextualität destext(sorten)linguistischen Ansatzes be-tont – und damit Raum für eher unwahr-scheinliche Sprachanwendungssituati-onen wie die Packungsbeilage schafft –, sodarf nicht übersehen werden, dass dievorgeschlagene Textarbeit sich vor allemfür sehr fortgeschrittene Lernergruppeneignen dürfte, bei denen nicht mehr(nur) die Festigung des Sprachmaterials,sondern vor allem der eigenständigeUmgang mit Sach- und Fachtexten vor-rangig ist. Grundsätzlich dürfte derBand einer zukünftigen textdidaktischausgerichteten Lehrwerkgenerationwertvolle Anregungen bieten. Darüberhinaus stellt er eine nützliche Lektüre fürden (interkulturellen) Übersetzungsun-terricht dar.